Entscheidungsdatum
08.10.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W144 1420952-2/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Andreas Huber als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX (auch XXXX ) XXXX , geb. XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.10.2019, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und die Spruchpunkte I. und III. bis VI. werden ersatzlos aufgehoben.
Spruchpunkt II. wird dahingehend abgeändert, dass dem BF in Stattgebung seines Antrags auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine auf zwei Jahre ab dem Tag der Zustellung des Erkenntnisses befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt wird.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Dem bereits im August 2010 eingereisten Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), einem afghanischen Staatsbürger und Angehörigen der Volksgruppe der Hazara, wurde (letztlich im 2. Rechtsgang) mit Erkenntnis des BVwG vom 17.06.2014, Zl. W198 1420952-1/21E, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 17.06.2015 erteilt.
I.2. Diese befristet erteilte Aufenthaltsberechtigung wurde nach entsprechenden Anträgen des BF wiederholt, zuletzt mit Bescheid des BFA vom 13.06.2017, Zl. XXXX , (um weitere zwei Jahre) bis 17.06.2019 verlängert.
I.3. Nachdem der BF am 24.05.2019 einen weiteren Antrag auf Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung gestellt hatte, wurde er am 13.08.2019 vom BFA niederschriftlich einvernommen und zu seiner Situation in Österreich und einer möglichen Rückkehr nach Afghanistan befragt. Der BF gab diesbezüglich im Wesentlichen an, dass seine Geschwister und sein Onkel in Pakistan leben würden. Er habe keine Bekannten in Afghanistan. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan habe er Angst um sein Leben, dies aufgrund seiner Religion und seiner Volksgruppenzugehörigkeit. Auf die Frage, welche Befürchtungen der BF konkret im Falle einer Rückkehr nach Mazar-e-Sharif habe, antwortete dieser lediglich mit der Gegenfrage, ob es dort auch sicher sei. Er habe dort auch niemanden und sei noch nie dort gewesen.
I.4. Mit Bescheid vom 23.10.2019, dem BF am 28.10.2019 durch Hinterlegung zugestellt, wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), der Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abgewiesen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
Begründend führte das BFA aus, dass auch in einem Aberkennungsverfahren bezüglich des Subsidiärschutzes die Erteilungsvoraussetzungen im Hinblick auf eine mögliche innerstaatliche Fluchtalternative zu beurteilen seien. Im unmittelbaren Herkunftsgebiet des BF in der Provinz Sar-e-Pol sei zwar eine reale Gefahr im Sinne einer Verletzung von Art. 2, 3 EMRK zu erkennen, jedoch habe nicht festgestellt werden können, dass dem BF keine innerstaatliche Fluchtalternative offenstünde. Diese Entscheidung werde keineswegs alleine von einer Änderung der Rechtsprechung getragen, sondern vielmehr von einer Aktualisierung des Kenntnisstandes der Behörde zur allgemeinen Situation im Heimatland des BF. Berücksichtigt worden seid dabei auch die konkrete Einzelsituation des BF, wobei im Ermittlungsverfahren spezifische Kenntnisse und Fähigkeiten seiner Person zutage gekommen seien, die im Zeitpunkt der Zuerkennung des Subsidiärschutzes noch keine Berücksichtigung gefunden hätten.
I.5. Mit Verfahrensanordnung vom 23.10.2019 wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.
I.6. mit Schriftsatz vom 20.11.2019 erhob der BF gegen den unter I.4. genannten Bescheid Beschwerde und führte darin unter anderem im Wesentlichen aus, dass die erstmalige Zuerkennung des Subsidiärschutzes aufgrund der prekären Sicherheitslage in Afghanistan und den Umständen, dass der BF bereits mit 5 Jahren nach Pakistan verzogen sei, sowie dass es ihm an sozialen und familiären Kontakten in Afghanistan gemangelt habe, erfolgt sei. Es werde darauf hingewiesen, dass sich an diesen Umständen bis zum heutigen Tage nichts geändert habe.
I.7. Am 25.11.2019 langte die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein, wobei das BFA die Abweisung der Beschwerde beantragte.
I.8. Am 05.07.2021 wurde die Rechtssache der erkennenden Gerichtsabteilung aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses neu zugewiesen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II. Feststellungen:
II.1. Zur Person des BF:
Der BF heißt XXXX und ist am XXXX im Dorf XXXX , Provinz Zabul (Afghanistan) geboren. Der BF ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan. Er ist Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensgemeinschaft des Islam. Die Muttersprache des BF ist Dari.
Der BF ist ledig und hat keine Kinder. Der BF wurde in Afghanistan geboren, verließ seinen Herkunftsstaat gemeinsam mit seiner Familie bereits als Kind und lebte fortan in Pakistan und einige Monate im Iran. Der BF hat sich seitdem nicht mehr in Afghanistan aufgehalten. Der BF hat keine Familienangehörigen mehr im Herkunftsstaat.
Der BF besuchte seit Oktober 2013 einen Kurs zur Erlangung des Pflichtschulabschlusses im XXXX .
Der BF verließ seinen Herkunftsstaat Afghanistan als Kind und hielt sich in der Folge bis zum Jahr 2010 in Pakistan auf. Der BF reiste schließlich am 24.08.2010 über den Iran, die Türkei, und Griechenland kommend unrechtmäßig und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein.
Feststellungen zum Fluchtgrund
Der BF ist in seinem Herkunftsstaat weder vorbestraft noch wurde er jemals inhaftiert und hatte auch mit den Behörden des Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Der BF war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an.
Grund für die Ausreise des BF aus dem Herkunftsstaat war der Umstand, dass seine Familie, als der BF noch ein Kind war, entschieden hat, Afghanistan aufgrund der allgemein schlechten dortigen Lebenssituation zu verlassen.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig.
Der BF ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert. Er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.
II.2. Zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und der befristeten Aufenthaltsberechtigung:
Der BF stellte im Jahr 2010 einen Antrag auf internationalen Schutz, der letztlich im 2. Rechtsgang mit Erkenntnis des BVwG vom 17.06.2014 in Bezug auf den Status des Asylberechtigten rechtskräftig abgewiesen wurde. In Bezug auf den Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde dem Antrag stattgegeben und dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 17.06.2015 erteilt.
Begründend führte das BVwG im Wesentlichen – wie nachfolgend zitiert – aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG gegeben seien:
„Beim BF handelt es sich zwar um einen arbeitsfähigen jungen Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Es muss demgegenüber aber maßgeblich berücksichtigt werden, dass der BF bereits als Kind gemeinsam mit seiner Familie Afghanistan verlassen hatte, in weiterer Folge durchgehend in Pakistan gelebt hat, seitdem auch nicht mehr nach Afghanistan zurückgekehrt ist und sohin einen großen Teil seines bisherigen Lebens außerhalb seines Herkunftsstaates verbrachte. Es ist daher davon auszugehen, dass der BF über keine ausreichenden Kenntnisse der örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten in Afghanistan verfügt um sich dort eine Lebensgrundlage aufzubauen. Weiters muss berücksichtigt werden, dass der BF in Afghanistan über keine familiären Anknüpfungspunkte verfügt, zumal seine Eltern bereits verstorben und seine sonstigen Angehörigen nach wie vor in Pakistan aufhältig sind. Zu berücksichtigen ist weiters, dass auch der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung ausführte, dass Kinder, die längerfristig im benachbarten Ausland gewesen seien, mit der Situation in der Heimatregion ihrer Eltern nicht mehr vertraut seien und es schwer hätten, sich dort niederzulassen und ein menschenwürdiges Leben zu führen. Durch permanente Veränderungen in diesen Regionen, bedingt durch bewaffnete Konflikte und Ein- und Auswanderungen, könne der zurückkehrende Jugendliche die einstigen Familienstrukturen nicht wiederfinden.
Da der BF in Afghanistan über keinerlei soziale oder familiäre Netzwerke verfügt, wäre er im Fall der Rückkehr nach Afghanistan vorerst vollkommen auf sich alleine gestellt und jedenfalls gezwungen, nach einem – wenn auch nur vorläufigen – Wohnraum zu suchen, ohne jedoch über ausreichende Kenntnisse der örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten in Afghanistan zu verfügen. Wie aus den im Verfahren herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ersichtlich ist, stellt sich die Versorgung mit Wohnraum und Nahrungsmitteln insbesondere für alleinstehende Rückkehr ohne jeglichen familiären Rückhalt meist nur unzureichend dar. Angesichts der derzeitigen politischen Lage in Afghanistan ist zudem ausreichende staatliche Unterstützung sehr unwahrscheinlich.
Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die Heimatprovinz des BF Zabul für den BF als Zivilperson so unsicher ist, dass eine Zurückverweisung für diesen jedenfalls ein reales Risiko bedeutet, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt zu sein. Wie sich aus den vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Informationen ergibt, kann die Sicherheitslage in der Provinz Zabul als äußerst angespannt und allgemein als gefährlich bezeichnet werden. In einem Bericht von ANSO (Quarterly Data Report Q.1 2013) zur Situation in Afghanistan wird die Provinz Zabul als „highly insecure“ eingestuft.
Im vorliegenden Fall muss daher davon ausgegangen werden, dass es dem BF im Fall der Rückkehr nach Afghanistan nicht möglich und zumutbar ist, von der Hauptstadt Kabul aus in seine Heimatprovinz Zabul zu gelangen. So ist die Sicherheitslage in der Provinz Zabul, insbesondere jedoch auch die Sicherheitslage in der Provinz Ghazni, welche der BF durchreisen müsste um von Kabul aus in seine Heimatprovinz zu gelangen, als derart unsicher zu beurteilen, dass die Anreise des BF in sein Heimatdorf gleichsam mit hoher Wahrscheinlichkeit ein verstärktes Risiko für seine Unversehrtheit mit sich bringen würde. Eine Rückkehr in seine Heimatprovinz kann dem BF sohin nicht zugemutet werden.
Eine innerstaatliche Schutzalternative (§ 8 Abs. 3 in Verbindung mit § 11 AsylG), etwa in der Hauptstadt Kabul, würde dem BF unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände sowie auch im Hinblick auf die allgemein schlechte Versorgungslage in Afghanistan derzeit ebenfalls nicht zur Verfügung stehen.
Die Rückkehr des BF nach Afghanistan erscheint daher derzeit unter den dargelegten Umständen als unzumutbar.
Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der BF somit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr ausgesetzt sein, in Rechten nach Art. 3 EMRK verletzt zu werden.“
Am 16.06.2015, sowie am 11.05.2017 stellte der BF Anträge auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung, denen mit Bescheiden des BFA vom 24.06.2015 und 13.06.2017 jeweils stattgegeben wurde. Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde zuletzt bis zum 17.06.2019 erteilt.
Am 24.05.2019 stellte der BF einen weiteren, den gegenständlichen Antrag auf Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung.
II.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:
Zur allgemeinen Situation in Afghanistan seit der erst kürzlich erfolgten vollständigen Machtübernahme durch die Taliban hat das Bundesverwaltungsgericht jüngst in seinem Erkenntnis vom 20.08.2021, Zl. W204 2228933-1/5E, Folgendes als notorisch festgestellt:
„Die Taliban haben in Afghanistan so gut wie kampflos die Macht übernommen, während der Präsident und einige weitere Regierungsmitglieder ins Ausland geflohen sind. Der erste Vizepräsident der international anerkannten Regierung befindet sich nach seinen eigenen Angaben noch in Afghanistan und bezeichnet sich als rechtmäßiger Übergangspräsident. Er hat öffentlich aufgerufen, sich dem Widerstand anzuschließen, der versucht, sich im Pandschir-Tal zu organisieren. Im gesamten restlichen Staatsgebiet haben die Taliban die Staatsfunktionen übernommen. In einer Pressekonferenz erklärten die Taliban eine Generalamnestie für alle Regierungsmitarbeiter und alle Afghanen, die mit den ausländischen Militärs zusammengearbeitet hätten. Weiters gaben die Taliban in ihrer Pressekonferenz unter anderem an, dass auch Minderheitsrechte geachtet würden, dies allerdings nur innerhalb der Regeln der Scharia.
In der internationalen Staatengemeinschaft werden diese Versprechen der Taliban aufgrund der bisherigen Erfahrungen, ihrem Verhalten in ihrer früheren Herrschaft, aber auch wegen der Ermordung des Chefs des Informationszentrums der Taliban elf Tage vor der Pressekonferenz durch die Taliban selbst sowie der aktuellen Berichtslage über ausgesprochene Verbote und Tötungen stark angezweifelt. In Bamyan wurde nach Berichten bereits eine Statue eines Hazara-Führers von den Taliban geköpft.
Die Situation in Afghanistan ist derzeit aufgrund der dramatischen Ereignisse vor Ort (vgl. Sonderkurzinformation der Staatendokumentation vom 17.08.2021, S 4) unübersichtlich. Vor allem rund um den Flughafen in Kabul ist sie chaotisch, die Taliban kontrollieren die Zufahrtsstraßen. In Kabul wie auch in anderen Landesteilen wird mit der Flagge Afghanistans demonstriert. Teils werden diese Demonstrationen mit Waffengewalt aufgelöst. Nach Berichten sind neben Frauen und Menschenrechtsaktivisten vor allem die Angehörigen der schiitischen Hazara aufgrund der Machtübernahme durch die Taliban beunruhigt und bewegen sich kaum mehr öffentlich. Viele Afghanen sind vor der Machtübernahme der Taliban in die Städte, vor allem Kabul, geflüchtet, wo sie teils auf den Straßen campieren. Die wirtschaftliche Lage in Afghanistan ist sehr angespannt, die Taliban haben keinen Zugriff auf die Devisenreserven des Landes.
Dem BF droht bei einer Rückkehr ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, derzeit nicht befriedigen, ohne in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten. Es ist dem BF in der derzeit volatilen Lage nicht möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in Afghanistan Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.“
Diese Feststellungen werden auch der gegenständlichen Entscheidung zugrundegelegt und dahingehend ergänzt, dass die Taliban mittlerweile das gesamte Staatsgebiet Afghanistans sowie auch den Flughafen Kabul übernommen haben. Internationale Hilfsgelder sind eingefroren und droht in Afghanistan ein massiver Versorgungsengpass.
III. Beweiswürdigung:
III.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts.
III.2. Zu den Feststellungen zur Person des BF:
Die Feststellungen zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des BF und seinem Familienstand waren aufgrund der insoweit stets gleichbleibenden Angaben des BF zu treffen.
Gleiches gilt im Wesentlichen zum Aufwachsen des BF in Afghanistan, seiner Migration nach Pakistan im Kindesalter, seiner Schulbildung und Berufserfahrung sowie den dortigen Familienverhältnissen.
Die Feststellung zur Gesundheit folgt aus den Angaben des BF anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 13.8.2019 und hat der BF auch zwischenzeitlich keine gesundheitliche Beeinträchtigung geltend gemacht.
Aus dem bisherigen Leben des BF folgt auch zweifelsfrei, dass der BF mit der Kultur der Hazara in Afghanistan vertraut ist, zumal er auch nach seiner Ausreise nach Pakistan im Familienverband seines Onkels und somit in einer Familie, die der Volksgruppe der Hazara angehört, aufgewachsen ist und sozialisiert wurde.
III.3. Zu den Feststellungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und der befristeten Aufenthaltsberechtigung:
Dass und warum dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten gewährt wurde sowie die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ausgesprochen wurde, ergibt sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt.
III.4. Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr der BF:
Die Feststellungen zur aktuellen Situation beruhen (mangels eines aktuellen vollständigen Länderinformationsblatts) auf den aktuellsten und öffentlich zugänglichen Berichten angesehener seriöser Medien. Aufgrund dieser Vielzahl an übereinstimmenden Berichten, die zudem als allgemein bekannt vorausgesetzt werden können, kann nur auf eine Auswahl verschiedener Artikel verwiesen werden (s. https://taz.de/Taliban-uebernehmen-Afghanistan/!5789645/; https://tolonews.com/index.php/afghanistan-174247; https://tolonews.com/index.php/afghanistan-174245; https://www.bbc.com/news/live/world-asia-58219963; https://www.diepresse.com/6021224/taliban-erreichen-kabul-prasidentenpalast-eingenommen?from=rss; https://www.sueddeutsche.de/politik/afghanistan-aktuell-taliban-kabul-evakuierung-1.5377155; https://www.derstandard.at/story/2000128937798/kabul-faellt-kampflos-an-die-taliban?ref=rec; https://www.diepresse.com/6021466/prasident-ghani-habe-afghanistan-verlassen-um-blutvergiessen-zu-vermeiden?from=rss; https://tolonews.com/afghanistan-174248; https://tolonews.com/afghanistan-174252; https://www.diepresse.com/6021482/taliban-der-krieg-in-afghanistan-ist-vorbei?from=rss; https://www.sueddeutsche.de/politik/konflikte-abdullah-afghanistans-praesident-aschraf-ghani-hat-das-land-verlassen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210815-99-850834; https://www.derstandard.at/story/2000128988237/taliban-geben-sich-in-pressekonferenz-mildevizechef-in-afghanistan-eingetroffen; https://www.diepresse.com/6022198/die-milden-worte-der-ersten-taliban-pressekonferenz?from=rss; https://orf.at/stories/3225195/; https://www.bbc.com/news/world-asia-58250607; https://twitter.com/courtneybody/status/1427650075602337792; https://www.sueddeutsche.de/politik/konflikte-taliban-uebernehmen-wichtigste-behoerden-in-afghanistan-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210817-99-874853; https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afghanistan-wie-die-taliban-sich-um-vertrauen-bemuehen-17489392.html; https://tolonews.com/afghanistan-174273; https://www.sueddeutsche.de/politik/konflikte-taliban-machen-versprechungen-us-regierung-skeptisch-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210817-99-876345; https://tolonews.com/afghanistan-174269; https://twitter.com/AmrullahSaleh2/status/1427631191545589772; https://pajhwok.com/2021/08/17/i-am-legitimate-care-taker-president-saleh/; https://www.diepresse.com/6022442/das-panjshir-tal-eine-provinz-widersetzt-sich-den-taliban; https://edition.cnn.com/videos/world/2021/08/13/taliban-former-us-military-base-afghanistan-ghazni-province-ward-dnt-lead-vpx.cnn; Zugriff jeweils am 18.08.2021; https://orf.at/stories/3225186/; https://www.tagesschau.de/ausland/asien/afghanistan-hunger-101.html; https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/taliban-zentralbank-devisenreserven-afghanistan-usa-101.html; https://orf.at/stories/3225407/; https://orf.at/stories/3225342/; Zugriff jeweils am 19.08.2021).
Aus diesen Berichten folgt, dass dem BF als schiitischem Hazara derzeit durchaus eine Gefahr einer Verletzung seiner in der EMRK garantierten Rechte droht und ihm aktuell eine Neuansiedelung nicht möglich ist. Die Taliban geben sich zwar nach außen als moderater, allerdings werden diese Versprechen nach den oben zitierten Berichten in den von ihnen schon länger kontrollierten Gebieten bereits nach einer kurzen Anfangsphase nicht eingehalten. Dies nährt die Furcht einer Rückkehr ihrer Herrschaft von 1996 bis 2001 und der damaligen Bedrohung von Frauen, Ortskräften und Menschenrechtsaktivisten sowie der religiösen Minderheiten wie insbesondere der schiitischen Hazara. Die übereinstimmenden Berichte legen dar, dass – auch wenn die Situation relativ ruhig sein soll – vor allem die wirtschaftliche Situation derzeit besonders angespannt ist, zumal nicht klar ist, ob die Nichtregierungsorganisationen weiterarbeiten können/wollen und derzeit auch kein Zugriff auf die Reserven der Nationalbank besteht. Hinzu kommt, dass die (temporären) Unterkünfte wie Hotels oder Teehäuser derzeit aufgrund der allgemeinen Lage weitgehend geschlossen sind. Auch der Arbeitsmarkt ist von den Unruhen betroffen. Aufgrund der unübersichtlichen Situation in Afghanistan stehen Rückkehrer derzeit vor unüberwindbaren Hürden. Zudem ist nicht einmal die Möglichkeit einer Anreise auf dem Luftweg gesichert.
IV. Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was im gegenständlichen Verfahren nicht der Fall ist.
IV.1. Zu Spruchpunkt A)
Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht (erster Fall) oder nicht mehr (zweiter Fall) vorliegen. Diese Bestimmung verfolgt das Ziel, sicherzustellen, dass nur jenen Fremden, die die Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz erfüllen, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153). Es würde nämlich der allgemeinen Systematik und den Zielen der Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (im Folgenden: Statusrichtlinie) widersprechen, die in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechtsstellungen Drittstaatsangehörigen zuzuerkennen, die sich in Situationen befinden, die keinen Zusammenhang mit dem Zweck des internationalen Schutzes aufweisen. Der Verlust des subsidiären Schutzstatus unter solchen Umständen steht mit der Zielsetzung und der allgemeinen Systematik der Statusrichtlinie, insbesondere mit Art. 18, der die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nur an Personen vorsieht, die die Voraussetzungen erfüllen, im Einklang (EuGH 23.5.2019, Bilali, C-720/17, Rn 44 ff).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfasst der erste Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG die Konstellation, in der der Fremde schon im Zeitpunkt der Zuerkennung von subsidiärem Schutz die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt hat (VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005). § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG erlaubt es der Behörde, die Aberkennung des früher zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten vorzunehmen, wenn sich der Kenntnisstand zu jenem Sachverhalt, der für die Zuerkennung maßgeblich war, geändert hat. Dabei ist nicht erforderlich, dass die damaligen Feststellungen, die sich aufgrund neuer Erkenntnisse später als unzutreffend herausstellen, auf Handlungen zurückgeführt werden müssten, mit denen sich der Fremde die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erschlichen hätte (VwGH 18.11.2020, Ra 2020/14/0082). Dieser Fall ist hier offensichtlich nicht erfüllt und wurde auch vom BFA seiner Entscheidung nicht zugrunde gelegt, sodass darauf in weiterer Folge nicht mehr einzugehen ist.
Nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG darf der Status des subsidiär Schutzberechtigten dann aberkannt werden, wenn sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes beziehungsweise der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG, die nur im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf, geändert hat. Nicht jede Änderung des Sachverhalts rechtfertigt allerdings die Aberkennung des subsidiären Schutzes. Eine maßgebliche Änderung liegt unter Bedachtnahme auf die unionsrechtlichen Vorgaben von Art. 19 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 16 Abs. 2 Statusrichtlinie vielmehr nur dann vor, wenn sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass ein Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht (VwGH 12.02.2021, Ra 2020/20/0415).
Dabei kommt es regelmäßig nicht allein auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses an. Der Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, kann auch ein Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen von Ereignissen sein, die sowohl in der Person des Fremden als auch in der in seinem Heimatland gegebenen Situation gelegen sind. Bei Hinzutreten neuer Umstände dürfen alle für die Entscheidung maßgeblichen Elemente einbezogen werden, selbst wenn sie sich vor der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ereignet haben (VwGH 22.03.2021, Ra 2020/01/0171).
Bei einer Beurteilung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG sind nicht isoliert nur jene Sachverhaltsänderungen zu berücksichtigen, die zeitlich nach der zuletzt erfolgten Bewilligung der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung eingetreten sind, sondern es dürfen im Rahmen der bei der Beurteilung vorzunehmenden umfassenden Betrachtung bei Hinzutreten neuer Umstände alle für die Entscheidung maßgeblichen Elemente einbezogen werden, selbst wenn sie sich vor der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ereignet haben (VwGH 10.12.2020, Ra 2020/01/0425; 29.01.2020, Ro 2019/18/0002; 09.01.2020, Ra 2019/19/0496). Unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkungen der Zuerkennungsentscheidung ist es allerdings nicht zulässig, die Aberkennung auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes beziehungsweise der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG nicht geändert hat (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).
Zum jetzigen Zeitpunkt kann aufgrund der jüngsten Ereignisse die Aberkennung jedenfalls nicht als rechtmäßig angesehen werden, da als (weitere) Voraussetzung für die Aberkennung geprüft werden, ob eine Rückkehr in den Herkunftsstaat in der jetzigen Situation ohne Beeinträchtigung der in § 8 Abs. 1 AsylG geschützten Rechte möglich ist (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0381). Dies ist derzeit jedoch zu verneinen. Mittlerweile ist das gesamte Staatsgebiet an die Taliban gefallen. Diese haben zwar den Krieg in Afghanistan für beendet und etwa auch erklärt, Minderheitenrechte zu achten. Erste Berichte aus Gebieten, die bereits länger unter der Herrschaft der Taliban stehen, zeigen jedoch, dass bereits Verletzungen begangen wurden. So wurde beispielsweise auch die Statue eines Hazara-Führers zerstört. In der derzeitigen, besonders volatilen Situation kann für den BF deshalb nicht von einer bestehenden innerstaatlichen Fluchtalternative ausgegangen werden. Angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft auf Grund jahrzehntelang währender Kriege, massiver Flüchtlingsströme und interner Vertreibung werden besonders die Städte wirtschaftlich wie auch in Bezug auf die Sicherheitslage unter besonderen Druck gesetzt. Ein annähernd normales Leben wäre dem BF als Rückkehrer ohne familiären Anschluss derzeit in Afghanistan nicht möglich, vielmehr ist die Situation unübersichtlich und unklar (vgl. Sonderkurzinformation der Staatendokumentation vom 17.08.2021). Als Angehöriger einer Minderheit ohne familiäres Netzwerk vor Ort wäre der BF der Willkür der Kämpfer wie auch von Kriminellen, die die derzeitige Lage ausnützen und sich als Taliban-Kämpfer ausgeben, ausgesetzt. Darüber hinaus ist derzeit nicht absehbar, wann eine sichere Anreise nach Afghanistan und Weiterreise vom dortigen Flughafen überhaupt wieder möglich sein wird.
Diese Erwägungen stehen auch im Einklang mit jüngster Judikatur des Verfassungsgerichtshofes vom 24.09.2021, E3047/2021-11, indem unter anderem Folgendes ausgeführt wird (Hervorhebungen im Original nicht vorhanden):
„Auf Grund der im Zeitpunkt seiner Entscheidung verfügbaren Länderinformationen, insbesondere des Länderinformationsblatt vom 11. Juni 2021, das das Bundesverwaltungsgericht seinen Feststellungen auch zugrunde legt, war für das Bundesverwaltungsgericht mit diesem Zeitpunkt erkennbar, dass auf Grund der aktuellen Entwicklungen in Afghanistan die Gefahr einer das ganze Land betreffenden kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Taliban und Regierungstruppen und damit eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes für Angehörige der Zivilbevölkerung wie dem Beschwerdeführer gegeben war. So wird etwa im Länderinformationsblatt vom 11. Juni 2021 nicht nur von einer vielfach befürchteten massiven Verschlechterung der Sicherheitslage im Falle des Abzuges internationaler Truppen berichtet, sondern auch darüber, dass sich die Sicherheitslage nach dem erfolgten Truppenabzug tatsächlich stetig verschlechtert hat. In diesem Sinne halten die genannten Länderinformationen ausdrücklich fest, dass auf Grund des US-Truppenabzuges der Beginn "eine[r] neue[n] Phase des Konflikts und des Blutvergießens", der "Zusammenbruch der afghanischen Regierung" und die "Übernahme durch die Taliban" zu befürchten sei, und verweisen in diesem Zusammenhang darauf, dass die "Luftwaffe, vor allem die der Amerikaner, […] in den vergangenen Jahren entscheidend dazu beigetragen [hat], den Vormarsch der Taliban aufzuhalten". Die Kampfhandlungen zwischen Taliban und Regierungstruppen hätten seit dem Abzug der internationalen Truppen im April stark zugenommen, die Taliban "den Druck in allen Regionen des Landes verstärkt" und "seit Beginn des Truppenabzugs am 1.5.2021 bis Anfang Juni mindestens zwölf Distrikte erobert".
Auch auf Grund der breiten medialen Berichterstattung über die Entwicklungen in Afghanistan, die für das Bundesverwaltungsgericht als notorisch gelten können (vgl. VfGH 23.2.2015, E 882/2014), musste das Bundesverwaltungsgericht davon ausgehen, dass die Sicherheitslage in Afghanistan als extrem volatil einzustufen ist (zur Bedeutung dieses Umstandes für die Beurteilung des Vorliegens einer realen Gefahr im Sinne des Art. 2 und 3 EMRK siehe statt vieler VfSlg. 19.466/2011, 20.296/2018, 20.358/2019; VfGH 6.10.2020, E 2406/2020).
Vor diesem Hintergrund war das Bundesverwaltungsgericht damit verpflichtet, das Vorliegen einer realen Gefahr einer Verletzung des Art. 2 oder 3 EMRK bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers angesichts der sich nahezu täglich ändernden Situation in der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung und ihren Truppen eingehend auch im Hinblick auf die laufende Entwicklung zu prüfen (vgl. EGMR 23.3.2016 [GK], Fall F.G., Appl. 43.611/11 [Z 114, 116]). Dieser Verpflichtung genügt das Bundesverwaltungsgericht in dieser besonderen, durch eine extreme Volatilität auf Grund einer sich äußerst rasch verändernden Sicherheitslage gekennzeichneten Situation nicht, wenn es momentbezogen eine kriegerische Auseinandersetzung an bestimmten Orten verneint, ohne die ernsthafte Bedrohung durch eine nachvollziehbar befürchtete, landesweit bereits teilweise tatsächlich eingetretene und möglicherweise auch an den vom Bundesverwaltungsgericht für eine Rückkehr des Beschwerdeführers in Betracht gezogenen Orten unmittelbar bevorstehende wesentliche Verschlechterung der Sicherheitslage mit in den Blick zu nehmen.
Indem das Bundesverwaltungsgericht somit ausschließlich momentbezogen von einer im Hinblick auf Art. 2 und 3 EMRK zulässigen Rückkehrsituation des Beschwerdeführers ausgegangen ist, ohne dabei der sich rasch ändernden, durch sich intensivierende kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den Taliban und afghanischen Regierungstruppen gekennzeichneten Sicherheitslage Rechnung zu tragen, hat es sein Erkenntnis – soweit es sich auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und daran anknüpfend auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, auf die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise bezieht – mit Willkür belastet.“
Die derzeitige volatile und unklare Lage steht daher einer Rückkehr entgegen, was aber die Aberkennung rechtswidrig macht. Es sind auch keine Gründe hervorgekommen, die eine Aberkennung nach § 9 Abs. 2 AsylG rechtfertigen könnten. Der Beschwerde war daher wie im Spruch ersichtlich stattzugeben.
Mit Spruchpunkt II. wurde der Antrag des BF auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abgewiesen, da ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wurde. Wie oben ausgeführt, ist diese Aberkennung derzeit rechtswidrig, sodass dem Antrag des BF auf Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung stattzugeben war. Auch bei der Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung ist die Gültigkeitsdauer der zu erteilenden Berechtigung ausgehend vom Entscheidungszeitpunkt festzulegen. Da die rechtlichen Wirkungen eines Erkenntnisses erst mit dessen Zustellung eintreten und aufgrund der maßgeblichen Rechtsvorschriften eine zweijährige Gültigkeitsdauer der zu verlängernden Aufenthaltsberechtigung vorzusehen ist, hat die Erteilung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ab dem Datum der Zustellung des Erkenntnisses zu erfolgen (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281).
Die übrigen Spruchpunkte verloren damit ihre rechtliche Grundlage und waren entsprechend ersatzlos zu beheben.
IV.2. Zum Unterbleiben der mündlichen Verhandlung
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Nach Abs. 4 leg. cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.
Gemäß Art. 47 Abs. 1 GRC hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Zufolge des Abs. 2 leg. cit. hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.
Nach Art. 52 Abs. 1 GRC muss jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.
Zur Frage der Verhandlungspflicht brachte der Verfassungsgerichtshof etwa in seinem Erkenntnis vom 14.03.2012, U 466/11, u.a. zum Ausdruck, er hege vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR zur Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung weder Bedenken ob Vorgängerbestimmung des § 21 Abs. 7 BFA-VG noch könne er finden, dass der Asylgerichtshof der Bestimmung durch das Absehen von der Verhandlung einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt habe. Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergebe, dass das Vorbringen tatsachenwidrig sei, stehe im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden habe, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt worden sei.
Auch der EuGH führte aus, dass im Lichte des Art. 47 GRC und dessen Auslegung anhand von Art. 6 Abs. 1 EMRK keine absolute Verhandlungspflicht besteht. Die Durchführung einer Verhandlung ist im Zusammenhang mit einer umfassenden ex-nunc-Prüfung der angefochtenen Sache durch das Gericht zu verstehen. Ist das Gericht der Auffassung, dass es den Rechtsbehelf anhand des Akteninhalts - einschließlich der Niederschrift einer persönlichen Anhörung durch die Verwaltungsbehörde - prüfen kann, so muss keine mündliche Verhandlung erfolgen. Ist das Gericht dagegen der Auffassung, dass eine mündliche Verhandlung für die umfassende Beurteilung notwendig ist, so hat es eine solche durchzuführen und darf nicht etwa aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung darauf verzichten. Bei der Frage der Durchführung beziehungsweise des Verzichts auf eine mündliche Verhandlung kommt es vor allem darauf an, ob sich die Rechts- und Tatsachenfragen anhand des Akteninhalts lösen lassen und ob die Informationen aus vorangegangenen Anhörungen durch die Behörde entsprechend umfassend und vollständig sind (EuGH 26.07.2017, C-348/16, Sacko/Commissione Territoriale per il riconoscimento della protezione internazionale di Milano).
Zur vorrangig maßgeblichen Bestimmung des § 21 Abs. 7 BFA-VG judiziert der Verwaltungsgerichtshof, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden ist. Er muss bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüberhinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (VwGH 19.07.2021, Ra 2020/14/0574).
Dazu ist nun festzuhalten, dass dem Bundesverwaltungsgericht bewusst ist, dass es seiner Entscheidung aktualisierte Länder- und öffentlich zugängliche Medienberichte zugrunde legte, was nach dem Verwaltungsgerichtshof grundsätzlich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erfordert (siehe statt vieler nur VwGH 29.03.2021, Ra 2020/18/0346; 19.06.2020, Ra 2019/19/0562). Im konkreten Fall ist jedoch zu bedenken, dass durch die Heranziehung der aktuellen Berichte der BF nicht beschwert ist. Vielmehr war aufgrund dieser seinem Hauptantrag stattzugeben. Der BF ist damit in seinen Rechten nicht verletzt.
Auch das BFA ist in seinen Parteirechten nicht verletzt, auch wenn ihm kein Parteiengehör zu den verwendeten Berichten gewährt wurde, weil die Berichte die Situation in Afghanistan allesamt übereinstimmend schildern, keine andere Beurteilung der derzeitigen Situation zulassen und das BFA in seiner jüngsten Sonderkurzinformation vom 17.08.2021 die Situation selbst derart darlegt. Damit steht aber aufgrund der Aktenlage fest, dass der Bescheid aufzuheben ist, was nach § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG den Entfall der Verhandlung rechtfertigt.
IV.3. Zu Spruchpunkt B, Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Frage, wann nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt werden kann, ist vom Verwaltungsgerichtshof geklärt, wozu auf die oben zitierte Judikatur verwiesen werden kann. Von dieser Judikatur weicht die Entscheidung nicht ab. Ebenfalls geklärt sind die Voraussetzungen zum rechtmäßigen Entfall der Verhandlung.
Schlagworte
Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 1 befristete Aufenthaltsberechtigung Behebung der Entscheidung ersatzlose Teilbehebung familiäre Situation individuelle Verhältnisse Minderheitenzugehörigkeit Rückkehrentscheidung behoben Rückkehrsituation Sicherheitslage Verlängerung Verschlechterung wesentliche ÄnderungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W144.1420952.2.00Im RIS seit
07.02.2022Zuletzt aktualisiert am
07.02.2022