Entscheidungsdatum
11.11.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W205 2126467-2/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. SCHNIZER-BLASCHKA über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Indien, vertreten durch RA Dr. Manfred SCHIFFNER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.04.2021, Zl. 1015783401-210300756, zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
II. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG als unzulässig zurückgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Vorverfahren
1.1. Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte am 19.04.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
1.2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA, Behörde, Bundesamt) wies diesen Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 07.04.2016, Zahl: 1015783401-14549789, sowohl gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.)
1.3. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.06.2016, zugestellt am 29.06.2016, gem. §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und §§ 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen. Dagegen erhob der Beschwerdeführer eine Beschwerde an den VfGH sowie eine außerordentliche Revision an den VwGH, es wurde bis dato von keinem der beiden Gerichtshöfe eine aufschiebende Wirkung gewährt.
1.4. Am 06.10.2016 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers mit dem Gegenstand „Durchsetzbare Ausreiseentscheidung – Heimreisezertifikat Anforderung“ statt.
2. Verfahren betreffend den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 21.12.2020:
2.1. Am 21.12.2020 brachte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikels 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ein und führte diesbezüglich zusammengefasst aus, er sei zur Ausübung eines Gewerbes berechtigt, überdurchschnittlich gut integriert, verhalte sich rechtskonform und habe während seines mehr als 6-jährigen Aufenthalts sein soziales Netz in Österreich aufgebaut sowie Freundschaften geknüpft. Seine „Ausweisung“ in den Heimatstaat würde ihn in seinem verfassungsrechtlich geschützten Recht auf Privat- und Familienleben verletzen, weil sich sein Lebensmittelpunkt nach Österreich verlagert habe. Bezüglich COVID-19 sei die Lage in Österreich wesentlich sicherer als in Indien, wo sowohl die Infektionsgefahr höher als auch die Hygiene und Ausstattung in Krankenhäusern ungenügend seien. Weiters legte der Beschwerdeführer einen Auszug aus dem Gewerberegister, eine Verständigung über die Standortverlegung, einen ZMR-Auszug, die Kopie eines Führerscheins, eine Versicherungsbestätigung, zwei aufschiebend bedingte Vorverträge, ein ÖIF-Zeugnis zur Integrationsprüfung auf A2-Niveau, die Kopie einer Jahreskarte der Wiener Linien, die Kopie einer Mitgliedskarte eines Fitnessclubs sowie diverse Referenzschreiben und Kursbesuchsbestätigungen vor.
2.2. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 04.03.2021 teilte das BFA dem Beschwerdeführer die beabsichtigte Abweisung des Antrags auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK mit und ermöglichte ihm innerhalb von 2 Wochen ab Zustellung eine Stellungnahme abzugeben. Weiters gab die Behörde bekannt, dass aufgrund der derzeit vorherrschenden COVID-19 Situation von einer persönlichen Einvernahme Abstand genommen werde und der Beschwerdeführer eindringlich ersucht werde, im Schreiben angeführte Fragen genauestens und gewissenhaft zu beantworten, um die persönlichen und familiären Verhältnisse ausreichend würdigen zu können.
2.3. In der am 22.03.2021 übermittelten Stellungnahme nahm der Beschwerdeführer Bezug auf den Besuch mehrerer Deutschkurse, ehrenamtliche Tätigkeiten sowie soziale Kontakte in Österreich. Weiters führte der Beschwerdeführer aus, dass sein mehr als 6-jähriger Aufenthalt im Bundesgebiet durchwegs aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig gewesen sei. Ein Aufenthalt durch Stellung von unberechtigten Asylanträgen liege nicht vor. Im Herkunftsstaat „Bangladesch“ würden neben Geschwistern auch seine Eltern leben, der Beschwerdeführer pflege jedoch nur manchmal Kontakt mit seiner Mutter. Es sei entsprechend zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer sowohl in strafrechtlichen als auch in verwaltungsstrafrechtlichen Angelegenheiten unbescholten sei. Es sei eine Minderung der öffentlichen Interessen bei einer langen Dauer des Verfahrens anzunehmen. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung könne bei einer Gesamtbetrachtung nur zu Gunsten des Beschwerdeführers ausgehen. Weiters beantwortete der Beschwerdeführer die ihm gestellten Fragen.
2.4. Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid des BFA vom 19.04.2021 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.) sowie festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt III.) und die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
Begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, dass sich der Beschwerdeführer seit rechtkräftig negativem Abschluss des Asylverfahrens nicht rechtmäßig im Bundesgebiet befinde und seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen sei. Er habe mehrere Freunde und Bekannte im Bundesgebiet sowie Deutschkurse absolviert. Der Beschwerdeführer sei krankenversichert und aufrecht gemeldet. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Indien in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihm die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen würde, zumal er über die landesüblichen Sprachkenntnisse verfüge und seine gesamte Familie in Indien lebe. Die Behörde komme daher zu dem Ergebnis, dass die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet nicht schwerer wögen als die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen.
Zur Lage in Indien enthält der Bescheid unter anderem folgende Feststellungen:
„Zur Lage in Ihrem Herkunftsstaat:
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten. Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit SARS-CoV-2 registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).
Sorge bereitet die zunehmende Ausbreitung von COVID-19-Infektionen in Kleinstädten und ländlichen Gebieten, wo der Zugang zur medizinische Versorgung teilweise nur rudimentär oder gar nicht vorhanden ist (WKO 10.2020). Durch die COVID-Krise können Schätzungen zu Folge bis zu 200 Mio. in die absolute Armut gedrängt werden. Ein Programm, demzufolge 800 Mio. Menschen gratis Lebensmittelrationen erhalten, wurde bis November 2020 verlängert. Die Ausmaße dieses Programms verdeutlichen, wie hart Indien von der COVID-Pandemie und dem damit verbundenen Einbruch der Wirtschaft betroffen ist (ÖB 9.2020).
Quellen:
• BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (12.10.2020): https://www.bamf.de/SharedDo cs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw42-2020.pd f;jsessionid=91E533F0FC7A0F35C0751A9F00F3D711.internet572?__blob=publicationFile&v=4 , Zugriff 12.10.2020
• ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien
• WKO - Aussenwirtschaft Austria (10.2020): Aussen Wirtschaft Wirtschaftsbereich Indien, WIRTSCHAFTSBERICHT Indien (Q1–Q22020), https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indien-w irtschaftsbericht.pdfhttps://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indien-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 21.10.2020
[…]
Grundversorgung und Wirtschaft
Letzte Änderung: 23.10.2020
Die Anzahl jener Personen, die in Indien unter der absoluten Armutsgrenze (1,90 USD/Tag
Kaufkraft) leben, konnte zwischen 2012 und 2019 von 256 Mio. auf 76 Mio. reduziert werden. Gemäß Schätzungen könnten durch die COVID-Krise allerdings bis zu 200 Mio. Menschen wieder in die absolute Armut zurückgedrängt werden (ÖB 9.2020).
Das Wirtschaftswachstum lag im Haushaltsjahr 2016/2017 bei 7,1 Prozent und 2017/18 bei 6,75
Prozent (BICC 12.2019). 2019 betrug das Wirtschaftswachstum 4,9 Prozent. Für 2020 wurde ein Wachstum der Gesamtwirtschaft um 6,1 Prozentpunkte erwartet (WKO 1.2020). Doch schrumpfte im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2020/2021 (1. April 2020 bis 30. Juni 2021) aufgrund der COVID-19-Pandemie das Wirtschaftswachstum um beispiellose 23,9 Prozent. Der private Konsum und die Investitionen gingen stark zurück. Gleichzeitig verringerte sich in derselben Periode der Output der Industrie (Minus 38 Prozent) und des Dienstleistungssektors (Minus 21 Prozent) dramatisch. Für das am 1.4.2020 begonnene Geschäftsjahr erwarten Experten, dass die indische Wirtschaft um 9,6 Prozent schrumpfen und danach nur sehr langsam eine Erholung einsetzen wird. Die schwächelnde Nachfrage im In- und Ausland dürfte auch die Handelsbilanz in beide Richtungen belasten (WKO 10.2020).
2017 lag die Erwerbsquote bei 53,8 Prozent (StBA 26.8.2019). Frauen sind weniger häufig als Männer berufstätig (FES 9.2019). Indien besitzt mit ca. 520 Millionen Menschen die zweitgrößte
Arbeitnehmerschaft der Welt (2012). Im Jahr 2019 lag die Arbeitslosenquote bei 7,6 Prozent,
2020 bei 10,8 Prozent. Für 2021 wird eine Arbeitslosenrate von 9,5 Prozent erwartet (WKO 10.2020).
Der indische Arbeitsmarkt wird durch den informellen Sektor dominiert. Er umfasst Familien- und Kleinbetriebe der Landwirtschaft, des produzierenden Gewerbes sowie des Dienstleistungsbereichs und unterliegt keiner Kontrolle oder Besteuerung des Staates. Infolgedessen bestehen in diesem Bereich keine rechtsverbindlichen Bestimmungen oder formal geregelte Arbeitsverhältnisse. Annähernd 90 Prozent der Beschäftigten werden dem informellen Sektor zugerechnet – sie sind weder gegen Krankheit oder Arbeitsunfälle abgesichert, noch haben sie Anspruch auf soziale Leistungen oder Altersversorgung (Wienmann 2019). Die überwiegende Mehrheit der indischen Bevölkerung lebt in ländlich-bäuerlichen Strukturen und bleibt wirtschaftlich benachteiligt. Der Anteil der Landwirtschaft an der indischen Wirtschaftsleistung sinkt seit Jahren kontinuierlich und beträgt nur noch etwa 16,1 Prozent (2017/18) der Gesamtwirtschaft, obgleich fast 50 Prozent der indischen Arbeitskräfte in diesem Bereich tätig sind (Shah-Paulini 2017).
Arbeitssuchende registrieren sich selbständig bei den Arbeitsagenturen und werden informiert sobald eine geeignete Stelle frei ist (BAMF 2019; vgl. PIB 23.7.2018). Einige Bundesstaaten geben Arbeitssuchenden eine finanzielle Unterstützung für die Dauer von drei Jahren. Für weitere Informationen sollte die jeweilige lokale Vermittlungsagentur kontaktiert werden. Diese bieten auch Beratungen an, bei denen sie Informationen zu Verfügung stellen (BAMF 2019).
Indien steht vor gewaltigen Herausforderungen bei der Armutsbekämpfung und in der Bildungsund Infrastrukturentwicklung. Das durchschnittliche jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei rund 1.852 USD. Auf dem Human Development Index der UNDP (Stand: September 2016) steht Indien auf Platz 131 unter 188 erfassten Staaten. Während es weltweit die meisten Millionäre und Milliardäre beheimatet, liegt Indien bei vielen Sozialindikatoren deutlich unter den Durchschnittswerten von Subsahara-Afrika. Gleichzeitig konnten in den letzten beiden Jahrzehnten hunderte Millionen Menschen in Indien der Armut entkommen (BICC 7.2020).
Die Regierung betreibt eine Vielzahl von Programmen zur Finanzierung von Wohnungen. Diese richten sich jedoch zumeist an Personen unterhalb der Armutsgrenze. Weiters bieten die Regierungen eine Vielzahl an Sozialhilfen an, die sich ebenfalls an unterprivilegierte Gruppen, wie die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, richten. Diese Programme werden grundsätzlich durch die lokalen Verwaltungen umgesetzt (Panchayat) (BAMF 2019).
Die Arbeitnehmerrentenversicherung ist verpflichtend und mit der Arbeit verknüpft. Das staatliche Sozialversicherungsprogramm (National Social Assistance Programme) erfasst nur die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze oder physisch Benachteiligte. Das staatliche Rentensystem National Pension System (NPS) ist ein freiwilliges, beitragsbasiertes System, welches es den Teilnehmern ermöglicht systematische Rücklagen während ihres Arbeitslebens anzulegen (BAMF 3.9.2018).
55,3 Prozent der Bevölkerung (642,4 Mio.) lebt in multi-dimensionaler Armut (HDI 2016). Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz (AA 23.9.2020). Ein Programm, demzufolge 800 Mio. Menschen gratis Lebensmittelrationen erhalten (also etwa 2/3 der Bevölkerung) wurde bis November 2020 verlängert. Die Ausmaße dieses Programms verdeutlichen, wie hart Indien von der COVID-Krise und dem damit verbundenen Einbruch der Wirtschaft betroffen ist (ÖB 9.2020).
Im September 2018 bestätigte der Oberste Gerichtshof die Verfassungsmäßigkeit des biometrischen Identifikationsprojekts Aadhaar. Im Juli 2019 verabschiedete das Parlament Änderungen zumAadhaar-Gesetz. Damit wird der Weg für den Einsatz der Daten durch private Nutzer frei. Die geplanten Änderungen gaben Anlass zur Besorgnis hinsichtlich der Privatsphäre und des Datenschutzes und wurden angesichts eines Entscheids des Obersten Gerichtshofs vom September 2018 vorgenommen, welcher eine Nutzung von Aadhaar für andere Zwecke als den Zugang zu staatlichen Leistungen und die Erhebung von Steuern beschränkt (HRW 14.1.2020). Als Teil einer Armutsbekämpfungsinitiative wurde seit 2010 Millionen indischer Bürger eine Aadhaar-ID ausgestellt. Ursprünglich wurde das System eingeführt, um Steuerbetrug entgegenzuwirken. In den folgenden Jahren wurde der Umfang jedoch stark ausgeweitet: In einigen indischen Bundesstaaten werden mittels Aadhaar Pensionen, Stipendien und die Essensausgabe für arme Menschen abgewickelt (ORF 27.9.2018). Aadhaar stellt für den Großteil der Bevölkerung den einzigen Zugang zu einem staatlich anerkannten Ausweis dar. Diejenigen, die sich bei Aadhaar angemeldet haben, erhielten nach der Übermittlung ihrer Fingerabdrücke und Netzhautscans eine eindeutige zwölfstellige Identifikationsnummer (BBC 26.9.2018).
Menschenrechtsgruppen äußern Bedenken, dass die Bedingungen zur Registrierung für Aadhaar arme und marginalisierte Menschen daran hindern, wesentliche, verfassungsmäßig garantierte Dienstleistungen wie etwa Nahrung und Gesundheitsversorgung zu erhalten (HRW
13.1.2018).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local /2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lag e_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf , Zugriff 16.10.2020
• BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2019): Länderinformationsblatt Indien, http: //files.returningfromgermany.de/files/CFS_2019_India_DE.pdf , Zugriff 22.10.2020
• BBC - British Broadcasting Corporation (26.9.2018): Aadhaar: India top court upholds world’s largest biometric scheme, https://www.bbc.com/news/world-asia-india-44777787 , Zugriff 17.1.2019
• BICC - Bonn International Centre for Conversion (7.2020): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http: //ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.pdf, Zugriff 20.10.2020 • FES – Friedrich-Ebert-Stiftung (9.2019): Feminist perspectives on the future of work in India, http: //library.fes.de/pdf-files/bueros/indien/15719.pdf , (Zugriff 18.3.2020
• HRW – Human Rights Watch (14.1.20120): World Report 2020 - India, https://www.ecoi.net/de/do kument/2022689.html , Zugriff 17.1.2020
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2018): India: Identification Project Threatens Rights, https: //www.ecoi.net/de/dokument/1422175.html , Zugriff 17.1.2019
• ORF - Österreichischer Rundfunk (27.9.2018): Indiens Form der digitalen Überwachung, https: //orf.at/stories/3035121/ , Zugriff 17.1.2019
• ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien
• PIB - Press Information Bureau Government of India Ministry of Labour & Employment (23.7.2018): Modernisation of Employment Exchanges, http://pib.nic.in/newsite/PrintRelease.aspx?relid=18085 4 , Zugriff 13.3.2020
• Shah-Paulini, Purvi (2017): Chefsache Integrales Business mit Indien. Den Subkontinent aus verschiedenen Perspektiven verstehen. Springer Gabler Verlag. Seite 40
• StBA – Statistisches Bundesamt (26.8.2019): Indien: Statistisches Länderprofil, https://www.dest atis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Laenderprofile/indien.pdf?__blob=publicat ionFile , Zugriff 15.3.2020
• Wiemann, Kristina N. (2019): Qualifizierungspraxis deutscher Produktionsunternehmen in China, Indien und Mexiko: Eine Analyse der Übertragbarkeit dualer Ausbildungsansätze. Springer Verlag. Seite 201
• WKO - Aussenwirtschaft Austria (10.2020): Aussen Wirtschaft Wirtschaftsbereich Indien, WIRTSCHAFTSBERICHT Indien (Q1–Q22020), https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indien-wir tschaftsbericht.pdf , Zugriff 21.10.2020
• WKO - Aussenwirtschaft Austria (1.2020): Aussen Wirtschaft Wirtschaftsbereich Indien, https:
//www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indien-wirtschaftsbericht.pdf , Zugriff 11.2.2020
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 05.11.2020
Eine gesundheitliche Minimalversorgung wird vom Staat im Prinzip kostenfrei gewährt (ÖB
9.2020; vgl. BAMF 3.9.2018). Sie ist aber durchwegs unzureichend (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Einige wenige private Krankenhäuser in den größten Städten gewährleisten europäische Standards. Im wirtschaftlich starken Punjab und in New Delhi ist die Gesundheitsversorgung im Verhältnis zu anderen Landesteilen gut (AA 23.9.2020). Darüber hinaus gibt es viele weitere Institutionen, die bezahlbare Behandlungen anbieten (BAMF 3.9.2018). Ebenfalls gibt es Gemeindegesundheitszentren und spezialisierte Kliniken. Diese sind für alle möglichen generellen Gesundheitsfragen ausgestattet und bilden die Basis des Gesundheitswesens in städtischen Gegenden. Sie werden von der Regierung betrieben und nehmen auf Empfehlung der Ersteinrichtungen Patienten auf. Jede dieser Einrichtungen ist für 120.000 Menschen aus städtischen bzw. 80.000 Patienten aus abgeschiedenen Orten zuständig. Für weitere Behandlungen können Patienten von den Gemeindegesundheitszentren zu Allgemeinkrankenhäusern transferiert werden. Die Zentren besitzen daher auch die Funktion einer Erstüberweisungseinrichtung. Sie sind dazu verpflichtet, durchgängig Neugeborenen- bzw. Kinderfürsorge zu leisten sowie Blutkonservenvorräte zu besitzen. Für den Rest der Bevölkerung ist eine beitragspflichtige Krankenversicherung durch verschiedene private und staatliche Firmen zu unterschiedlichen Konditionen gegeben (BAMF 3.9.2018).
Staatliche Gesundheitszentren bilden die Basis des öffentlichen Gesundheitswesens. Dies sind meist Ein-Personen-Kliniken, die auch kleine Operationen anbieten. Diese Zentren sind grundsätzlich in der Nähe aller Dörfer zu finden. Insgesamt gibt es mehr als 25.500 solcher Kliniken in Indien, von denen 15.700 von nur einem Arzt betrieben werden. Einige Zentren besitzen spezielle Schwerpunkte, darunter Programme zu Kinder-Schutzimpfungen, Seuchenbekämpfung, Verhütung, Schwangerschaft und bestimmte Notfälle (BAMF 3.9.2018).
Von den Patienten wird viel Geduld abverlangt, da der Andrang auf Leistungen des staatlichen Gesundheitssektors sehr groß ist. Die privaten Gesundheitsträger genießen wegen fortschrittlicher Infrastruktur und qualifizierterem Personal einen besseren Ruf, ein Großteil der Bevölkerung kann sich diesen aber nicht leisten. In allen größeren Städten gibt es Einrichtungen, in denen überlebensnotwendige Maßnahmen durchgeführt werden können. Dies gilt mit den genannten Einschränkungen auch für den öffentlichen Bereich. Fast alle gängigen Medikamente sind in Indien (meist als Generika westlicher Produkte) auf dem Markt erhältlich. Für den (relativ geringen) Teil der Bevölkerung, welcher sich in einem formellen Arbeitsverhältnis befindet, besteht das Konzept der sozialen Absicherung aus Beitragszahlungen in staatliche Kassen sowie einer Anzahl von – vom Arbeitgeber zu entrichtenden – diversen Pauschalbeträgen. Abgedeckt werden dadurch Zahlungen für Renten, Krankenversicherung, Mutterkarenz sowie Abfindungen für Arbeitslosigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit (ÖB 9.2020).
Für 10.000 Inder stehen 0,8 praktizierende Ärzte (StBA 26.8.2019) und 0,5 Klinikbetten je tausend Einwohnern zur Verfügung (GTAI 23.4.2020). In ländlichen Gebieten ist der Zugang zur medizinische Versorgung teilweise nur rudimentär oder gar nicht vorhanden. Sorge bereitet die zunehmende Ausbreitung von COVID-19-Infektionen (WKO 10.2020).
Die staatliche Krankenversicherung erfasst nur indische StaatsbürgerInnen unterhalb der Armutsgrenze. Für den Rest der Bevölkerung ist eine beitragspflichtige Krankenversicherung durch verschiedene private und staatliche Firmen zu unterschiedlichen Konditionen gegeben.
Bekannte Versicherer sind General Insurance, Bharti AAA, HDFC ERGO, Bajaj, Religare, Apollo Munich, New India Assurance, Max Bupa etc. (BAMF 3.9.2018).
Im September 2019 wurde mit der Einführung des indienweiten Pradhan Mantri Jan Arogya
Abhiyaan begonnen (auch „Modicare“ genannt), einer Krankenversicherung, die insgesamt 500 Millionen Staatsbürger umfassen soll, welche sich ansonsten keine Krankenversicherung leisten können. Diese Krankenversicherung deckt die wichtigsten Risiken und Kosten ab. Dazu kommen noch verschiedene öffentliche Krankenversicherungen in einzelnen Unionsstaaten mit unterschiedlichem Empfänger- und Leistungsumfang (ÖB 9.2020). Eine private Gesundheitsversorgung ist vergleichbar teuer und die Patienten müssen einen Großteil der Kosten selber zahlen. Für den Zugang zu den Leistungen ist grundsätzlich ein gültiger Personalausweis nötig (Adhaar card, Voter ID, PAN) (BAMF 3.9.2018).
In Indien sind fast alle gängigen Medikamente auf dem Markt erhältlich (AA 23.9.2020). Apotheken sind in Indien zahlreich und auch in entlegenen Städten vorhanden. (BAMF 3.9.2018). Die Einfuhr von Medikamenten aus dem Ausland ist möglich. Indien ist der weltweit größte Hersteller von Generika und Medikamente kosten einen Bruchteil der Preise in Europa (AA 23.9.2020). Die Kosten für die notwendigsten Medikamente sind staatlich kontrolliert, sodass diese weitreichend erhältlich sind (BAMF 3.9.2018).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local /2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lag e_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf , Zugriff 16.10.2020
• BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (3.9.2018): Länderinformationsblatt Indien, http: //files.returningfromgermany.de/files/CFS_2018_India_DE.pdf , Zugriff 18.3.2020
• GTAI – German Trade and Invest (23.4.2020): Covid-19: Gesundheitswesen in Indien, https:
//www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/indien/covid-19-gesundheitswesen-in-indien-234420 , Zugriff 15.5.2020
• StBA – Stadistisches Bundesamt (26.8.2019): Indien: Statistisches Länderprofil, https://www.dest atis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Laenderprofile/indien.pdf?__blob=publicat ionFile , Zugriff 19.3.2020
• ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien
• WKO - Aussenwirtschaft Austria (10.2020): Aussen Wirtschaft Wirtschaftsbereich Indien, WIRTSCHAFTSBERICHT Indien (Q1–Q22020), https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indien-w irtschaftsbericht.pdfhttps://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indien-wirtschaftsbericht.pdf , Zugriff 21.10.2020
Rückkehr
Letzte Änderung: 23.10.2020
Allein die Tatsache, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, führt nicht zu nachteiligen Konsequenzen nach der Abschiebung (AA 23.9.2020). Abgeschobene erfahren bei der Rückkehr nach Indien von den indischen Behörden grundsätzlich keine nachteiligen Konsequenzen, abgesehen von einer Prüfung der Papiere und gelegentlichen Befragung durch die Sicherheitsbehörden. Gesuchte Personen müssen allerdings bei Einreise mit Verhaftung und Übergabe an die Sicherheitsbehörden rechnen (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Aktivisten, die im Ausland eine in Indien verbotene terroristische Vereinigung unterstützen, werden hierfür nach ihrer Rückkehr strafrechtlich verfolgt, sofern ihre Aktivitäten den indischen Behörden bekannt geworden sind. Menschenrechtsorganisationen berichten über Schikanen der indischen Polizei gegen Personen, die wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt wurden, selbst wenn diese ihre Strafe bereits verbüßt haben (ÖB 9.2020).
Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe gibt es nicht, die
Rückkehrer sind auf die Unterstützung der eigenen Familie oder von Bekannten angewiesen (ÖB 9.2020).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local /2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lag e_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf , Zugriff 15.10.2020 • ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien
[…]“
2.5. Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 19.05.2021 fristgerecht vollumfänglich Beschwerde. Darin wurde zusammengefasst vorgebracht, das Ermittlungsverfahren zu den Spruchpunkten III. und IV. sei mangelhaft, weil hinsichtlich der Erlassung einer Rückkehrentscheidung der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht erhoben worden sei. Das BFA habe es unterlassen, Ermittlungen zur Integration und zum Privatleben des Beschwerdeführers anzustellen. Es sei gänzlich außer Acht gelassen worden, dass mit Zunahme der Aufenthaltsdauer der Aspekt des aufenthaltsrechtlichen Status zunehmend in den Hintergrund trete. Der Beschwerdeführer habe sich um das Erlernen der deutschen Sprache bemüht und Deutschkurse auf Niveau B2 erfolgreich absolviert. Der Beschwerdeführer habe sich während seines Aufenthalts ein soziales Netz an Freunden und Bekannten aufgebaut und befinde sich sein Lebensmittelpunkt in Österreich. Die Kontakte im Herkunftsstaat würden sich auf ein Minimum beschränken. Der Grad der Beziehungen zu seinen Verwandten sei insbesondere dadurch herabgesetzt, weil er sich seit mehr als 7 Jahren in Österreich aufhalte und seit mehr als 4 Jahren keinen Kontakt mehr pflege. Der Beschwerdeführer habe seine Integration in wirtschaftlicher, sprachlicher und sozialer Hinsicht erfolgreich vollzogen, indem er seit Jahren einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit als Zeitungszusteller nachgehe. Eine Rückkehrentscheidung sei daher ein Verstoß gegen Art. 8 EMRK. Im Zusammenhang mit COVID-19 sei die Lage in Österreich viel sicherer als in Indien, wo sowohl die Infektionsgefahr höher sei, als auch die Hygiene und Ausstattung in den Krankenhäusern ungenügend. Im Fall der Ansteckung habe der Beschwerdeführer in „Bangladesch“ keine angemessene und rechtzeitige Behandlung zu erwarten. Die belangte Behörde übergehe die positiv absolvierte Integrationsprüfung, sehe in dessen Ablegung keine als außergewöhnlich zu betrachtende Integrationsleistung und werde nicht begründet, warum sich der Beschwerdeführer nicht ausreichend bezüglich der österreichischen Kultur und Gesellschaft integriert habe. Zu den zwischenmenschlichen Beziehungen seien keine Erhebungen durchgeführt und sowohl die soziale Entfremdung zu Indien als auch die konkreten Gefahren des Beschwerdeführers im Heimatstaat nicht untersucht worden. Auch habe es die belangte Behörde unterlassen, die selbständige Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers zu würdigen.
Weiters wurde die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG beantragt. Sollte die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt werden, werde der Beschwerdeführer nach Bangladesch abgeschoben und müsse damit rechnen, dass er auch wie in der Vergangenheit weiterverfolgt werde. Ihm drohe daher ein nicht wieder gut zu machender Schaden, während die öffentlichen Interessen in keinster Weise beeinträchtigt wären. Ferner wurde auf die Warnung auf der Website des Außenministeriums zu Indien vor allen touristischen und nicht notwendigen Reisen im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Coronavirus verwiesen.
2.6. Mit E-Mail vom 25.05.2021 teilte das BFA einem Magistratischen Bezirksamt mit, dass der Beschwerdeführer keinen rechtlichen Aufenthaltsstatus besitze und daher eine Überprüfung der Gewerbeberechtigung angeregt werde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu den bisherigen Verfahren:
Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte am 19.04.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Zu seinem Fluchtgrund brachte er zusammengefasst vor, er werde von der Familie seiner Lebensgefährtin bedroht. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom 07.04.2016 abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen erlassen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.06.2016, W222 2126467-1/3E, rechtskräftig seit 29.06.2016, abgewiesen. Der Beschwerdeführer hielt sich seitdem weiterhin im österreichischen Bundesgebiet auf, ohne über einen Aufenthaltstitel zu verfügen.
1.2. Zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer stammt aus Indien, spricht Hindi auf muttersprachlichem Niveau und besuchte in seinem Herkunftsland 10 Jahre eine Schule. Außerdem betrieb der Beschwerdeführer in Indien eine eigene „Handywerkstatt“ und hatte ein Taxi.
Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Die Eltern, zwei Brüder und eine Schwester des Beschwerdeführers leben weiterhin in Indien. Der Beschwerdeführer steht alle 2 Monate in telefonischem Kontakt mit seiner Mutter. In Österreich hat der Beschwerdeführer keine Familienangehörigen.
Der Beschwerdeführer hält sich spätestens seit 19.04.2014 im Bundesgebiet auf, wobei sein Aufenthalt seit rechtskräftiger Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz am 29.06.2016 unrechtmäßig ist.
Der unbescholtene Beschwerdeführer verfügt über ein Zeugnis zur Integrationsprüfung auf A2-Niveau (vgl. AS 372 f., 417 f.). Der Beschwerdeführer besuchte diverse Deutschkurse bis zum Niveau B2 (AS 380 ff., 431 ff.). Er ist Inhaber eines österreichischen Führerscheins und einer Jahreskarte der Wiener Linien (vgl. AS 368, 390, 409, 443). Außerdem ist er Mitglied eines österreichischen Fitnessclubs (vgl. AS 390, 443). Der Beschwerdeführer verfügt über eine private, sämtliche Risiken abdeckende Krankenversicherung (vgl. AS 369, 411).
Der Beschwerdeführer ist Inhaber einer Gewerbeberechtigung für die Güterbeförderung von Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, deren höchstzulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt (vgl. AS 365 f., 403 ff., AS 621) und arbeitet seit Jahren als Zeitungszusteller.
Der Beschwerdeführer ist Mitglied des Vereins „ XXXX “. Er ist für diesen Verein freiwillig tätig und erhält dafür eine wöchentliche Entschädigung in der Höhe von EUR 50,- sowie Essensgutscheine. Im September 2019 half der Beschwerdeführer als Volontär beim „ XXXX Festival“ mit. Der Beschwerdeführer geht in Österreich keiner rechtmäßigen Erwerbstätigkeit nach.
Außerdem legte der Beschwerdeführer einen mit der Erteilung einer Aufenthalts- und Arbeitsberechtigung aufschiebend bedingten „Dienstvertrag“ vom 12.11.2020 zu einem Monatslohn von EUR 1.700,- brutto sowie einen mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels bedingten „Vorvertrag“ vom 12.11.2020 über die Beschäftigung von Marketingarbeit und einer Entlohnung nach dem „BABE Kollektivvertrag“ bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden (vgl. AS 370 f., 413 ff.) vor. Ferner übermittelte der Beschwerdeführer insgesamt 6 Schreiben von Freunden und Bekannten im Bundesgebiet (vgl. AS 374 ff., 419 ff.).
Der Beschwerdeführer brachte vor, dass er eine Deutschprüfung auf B1- bzw. B2-Niveau erfolgreich absolviert habe (vgl. AS 473 und 555); diesbezüglich wurden keine Bestätigungen vorgelegt.
1.3. Zur Situation im Fall der Rückkehr:
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Abschiebung nach Indien in seinem Recht auf Leben gefährdet wird, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wird oder eine Rückkehr nach Indien für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.
Im Fall seiner Rückkehr nach Indien verfügt der Beschwerdeführer zudem über die Möglichkeit, außerhalb seiner Heimatstadt zu leben und einer Beschäftigung nachzugehen.
Zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus ist notorisch: COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.
Der Beschwerdeführer gehört als gesunder 32-jähriger Mann keiner Risikogruppe an, es besteht daher kein Anhaltspunkt für eine maßgebliche Gefährdung im Falle einer Rückkehr, etwa durch ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf. Zudem besteht aktuell in Österreich auch für nicht sozialversicherte Personen die Möglichkeit einer Impfung gegen SARS-CoV-2.
Der gegenständlichen Entscheidung werden die von der Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen, ausreichend aktuellen Länderfeststellungen zugrunde gelegt.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen basieren auf dem vorliegenden Akteninhalt iZm dem Beschwerdevorbingen.
2.2. Der Verfahrensgang ergab sich aus den von der Behörde vorgelegten verwaltungsbehördlichen Akten sowie aus der Einsicht in den Akt des hg. zur Zl. W222 2126467-1 geführten Verfahrens.
2.3. Die Feststellungen zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers konnten aus den Angaben des Beschwerdeführers gegenüber dem BFA, welche auch die Behörde im angefochtenen Bescheid nicht anzweifelte, getroffen werden.
2.3.1. Die festgestellte Schulbildung und Berufserfahrung des Beschwerdeführers in Indien konnte dessen diesbezüglichen Angaben im Asylverfahren entnommen werden (vgl. AS 65).
2.3.2. Der bestehende Kontakt zur Mutter ergab sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme vom 22.03.2021 (vgl. AS 471 und 477). Der Beschwerdeführer bringt in der Beschwerde davon abweichend zwar vor, dass er seit mehr als 4 Jahren keinen Kontakt mehr zu seinen Verwandten pflege (vgl. AS 556). Dies steht jedoch in augenscheinlichem Widerspruch zu seinen vorangehenden Angaben im verwaltungsbehördlichen Verfahren. Im verfahrenseinleitenden Antrag vom 21.12.2020 behauptete er noch, „sehr geringen Kontakt“ zu seinen Familienangehörigen zu pflegen (vgl. AS 360). In der genannten Stellungnahme vom 22.03.2021 führte der Beschwerdeführer damit in Einklang stehend aus, er habe „spärlichen Kontakt“ zu seiner Familie und höre von seiner Mutter alle 2 Monate per Telefon (vgl. AS 471 und 477). Zumal keine Gründe ersichtlich sind, weshalb diese Darstellungen gegenüber dem BFA nicht zutreffen sollten, konnten diese – entgegen dem Vorbringen in der Beschwerde – den Feststellungen zugrunde gelegt werden. Selbst im Falle der Wahrunterstellung sind im Verfahren keine Umstände hervorgekommen, wonach eine Kontaktaufnahme mit den Familienangehörigen nicht möglich wäre.
2.3.3. Im Vorbringen des Beschwerdeführers fällt ferner auf, dass teilweise Bangladesch als sein Herkunftsstaat bezeichnet bzw. auf die dortige Lage (vgl. AS 362) und seine dort lebende Familie Bezug genommen wird (vgl. AS 471, 474). Im verfahrenseinleitenden Antrag wird etwa zunächst die COVID-19-Situation in Indien beschrieben, später jedoch auf das Ansteckungsrisiko und das Gesundheitssystem in Bangladesch hingewiesen (vgl. AS 361 f.). In der Stellungnahme vom 22.03.2021 wird auf ähnliche Weise unter anderem die fehlende Bindung „zum Heimatstaat Bangladesch“ genannt (vgl. AS 471), später jedoch im Zusammenhang mit dem ursprünglichen Fluchtvorbringen die fehlende Rückreisemöglichkeit nach Indien angemerkt (vgl. AS 474). Da aber nicht nur im Asylverfahren und dem gegenständlich angefochtenen Bescheid, sondern die vorliegende Beschwerde von einer Herkunft aus Indien und dort lebenden Familie ausgeht (vgl. insb. AS 556), handelt es sich bezüglich der Nennung des Staats Bangladesch offensichtlich um einen bloßes Versehen sodass sich weitere Ermittlungen hierzu erübrigen.
2.3.4. Die Feststellungen zur Integrationsprüfung (vgl. AS 372 f., 417 f.), den Deutschkenntnissen (AS 380 ff., 431 ff.), dem Führerschein (vgl. AS 368, 390, 409, 443), der Jahreskarte der Wiener Linien (vgl. AS 390, 443), der Mitgliedschaft in einem Fitnessclub (vgl. AS 390, 443), der Krankenversicherung (vgl. AS 369, 411) und der Gewerbeberechtigung (vgl. AS 365 f., 403 ff., AS 621) basieren auf den vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen. Die Erwerbstätigkeit als Zeitungszusteller ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen (vgl. AS 556).
2.3.5. Die Feststellungen im Zusammenhang mit der Vereinsmitgliedschaft und der freiwilligen Tätigkeit waren dem Vorbringen in der Stellungnahme vom 22.03.2021 zu entnehmen (vgl. AS 473 f.). Die Tätigkeit als Volontär ergibt sich zudem aus dem vorgelegten Schreiben einer Bekannten des Beschwerdeführers (vgl. AS 377, 425).
2.4. Die Feststellungen zur Situation im Fall der Rückkehr beruhen auf den vom BFA angeführten und von diesem herangezogenen Quellen. Es bestehen im Entscheidungszeitpunkt keine Anhaltspunkte, aufgrund derer anzunehmen wäre, dass sich die allgemeine Lage in Indien seit der letzten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.06.2016 – abgesehen vom Ausbruch der COVID-19-Pandemie – entscheidungswesentlich und in einer Weise verändert hätte, die von Gerichts wegen wahrzunehmen wäre.
2.4.1. Bezüglich der COVID-19-Pandemie brachte der Beschwerdeführer vor, dass er im Fall einer Ansteckung keine angemessene und rechtzeitige Behandlung zu erwarten hätte. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt in diesem Zusammenhang keinesfalls die aus den in der Beschwerde zitierten Berichten hervorgehenden angespannten Lage in Indien betreffend die Ausbreitung des Corona-Virus. Der Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 22.03.2021 lässt sich jedoch entnehmen, dass er gesund ist (vgl. AS 475). Vor diesem Hintergrund gelangte das BVwG auch zu der Feststellung, dass der Beschwerdeführer im Hinblick auf COVID-19 keiner Risikogruppe angehört. Es besteht daher keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Indien eine Covid-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus zu gewärtigen hätte. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die Zahl der Neuinfektionen und Todesfälle seit Mai 2021 stark zurückgegangen ist (vgl. etwa 2.738.957 Neuinfektionen und 26.820 Todesfälle in der Woche vom 03.05.2021 bzw. 1.846.055 Neuinfektionen und 27.922 Todesfälle in der Woche vom 17.05.2021 gegenüber 82.236 Neuinfektionen und 2.605 Todesfällen in der Woche vom 01.11.2021; siehe dazu https://covid19.who.int/region/searo/country/in) und es in Österreich die Möglichkeit gibt, sich niederschwellig impfen zu lassen und damit besser bvor einer Erkrankung bzw. einem schweren Verlauf geschützt zu sein.
Es somit ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer als gesunder, junger Mann mit Bildung und Berufserfahrung in der Lage ist, sich seine Existenzgrundlage im Herkunftsstaat aus Eigenem zu sichern, insbesondere da in seinem Herkunftsstaat seine Familie, nämlich seine Eltern und Geschwister, leben. Anhaltspunkte für eine allfällige Gefährdung im Falle seiner Rückkehr sind weder den aktuellen Länderberichten, noch konkret dem Vorbringen zu entnehmen.
Grundsätze zur Pandemie sowie die Feststellung, dass aktuell gesunde Personen (ohne die oben angeführten Vorerkrankungen) nicht zur COVID-19 - Risikogruppe zählen sowie in Österreich eine Impfmöglichkeit zum Schutz vor COVID-19 auch für nicht sozialversicherte Personen besteht, sind als notorisch anzusehen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Abweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK):
§ 55 AsylG lautet:
"Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK
§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn
1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und
2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.
(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen."
Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) i.d.F BGBl. I Nr. 70/2015 sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:
"1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden
Gemäß § 60 Abs. 1 AsylG 2005 dürfen Aufenthaltstitel einem Drittstaatsangehörigen nicht erteilt werden, wenn gegen ihn eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 iVm 53 Abs. 2 oder 3 FPG besteht (Z 1), oder gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht (Z 2).
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Art. 8 Abs. 2 EMRK erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen. In diesem Sinne wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
3.1.2. Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VfGH 29.09.2007, B 1150/07-9; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423).
Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem auch, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer „Familie“ voraussetzt.
Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Familienangehörigen. Daher ist mit der gegenständlichen Entscheidung kein ungerechtfertigter Eingriff in sein Familienleben zu befürchten.
Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu. Für den Aspekt des Privatlebens spielt auch die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung grundsätzlich keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852ff.).
Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).
Der Verwaltungsgerichtshof wies mit Beschluss vom 04.02.2020, Ra 2020/14/0026-5, die Revision eines seit 7 Jahren im Bundesgebiet aufhältigen Revisionswerbers, gegen den eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde und der über Deutschkenntnisse auf B1-Niveau sowie einen Freundes- und Bekanntenkreise in Österreich verfügte, in einer Beziehung war, eine Lehre abschloss, im Rahmen einer Beschäftigungsbewilligung legal als Koch arbeitete und selbsterhaltungsfähig war, als unzulässig zurück.
Der vorliegende Fall stellt sich wie folgt dar:
Der Beschwerdeführer hält sich bereits seit mehr als 7 Jahren im österreichischen Bundesgebiet auf. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich nur aufgrund eines im Ergebnis unbegründeten Antrags auf internationalen Schutz vorübergehend, nur für etwas mehr als 2 Jahre, rechtmäßig war. Demgegenüber hielt sich der Beschwerdeführer seit Rechtskraft der Abweisung dieses Antrags mit Erkenntnis vom 27.06.2016, somit seit mehr als 5 Jahren, unrechtmäßig im Bundesgebiet auf und kam seiner Ausreisepflicht bislang nicht nach.
Der VwGH hat festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine (dort:) Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190). In diesem Zusammenhang vertritt auch der Verfassungsgerichtshof grundsätzlich die Ansicht, dass ein allein durch beharrliche Missachtung der fremden- und aufenthaltsrechtlichen Vorschriften erwirkter Aufenthalt keinen Rechtsanspruch aus Art. 8 EMRK bewirken könne, zumal eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde (vgl. dazu VfGH 12.06.2010, Zl. U 614/10-11).
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass der Beschwerdeführer eine Integrationsprüfung aus A2-Niveau ablegte, Deutschkurse besuchte, über einen Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich verfügt, Mitglied eines Vereins sowie Fitnessclubs ist, freiwillig arbeitete und aufschiebend bedingte Arbeitsverträge vorlegte. Ferner wird nicht übersehen, dass der Beschwerdeführer Inhaber eines österreichischen Führerscheins und einer Gewerbeberechtigung ist. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer schon seit Jahren als Zeitungszusteller arbeitet, ohne über eine Aufenthaltsberechtigung zu verfügen und damit einer illegalen Erwerbstätigkeit (vgl. § 32 NAG) nachgeht. Zudem entstand das vom Beschwerdeführer in Österreich geführte Privatleben in einem Zeitpunkt, in dem ihm der unsichere bzw. unrechtmäßige Aufenthalt in Österreich sowie seine Ausreisepflicht bewusst gewesen sein musste.
Letztlich war auch nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer, auch wenn er sich bereits seit 2014 in Österreich befindet, so entwurzelt wäre, dass er überhaupt nicht mehr in der Lage sein könnte, sich in Indien wieder zurecht zu finden. Der Beschwerdeführer spricht Hindi und verbrachte den Großteil seines Lebens im Herkunftsstaat. Im Hinblick auf die in Indien herrschende allgemeine Situation kann auch nicht angenommen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in eine ausweglose Lage geriete. Der Beschwerdeführer hat in seiner Heimat eine 10-jährige Schulbildung genossen und Berufserfahrung gesammelt. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig und leidet an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten, ist in keiner ärztlichen Behandlung und muss keine Medikamente einnehmen. Er wird daher im Herkunftsstaat grundsätzlich in der Lage sein, ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften.
Zudem halten sich in Indien weiterhin seine Eltern und Geschwister auf und verfügt somit über soziale Anknüpfungspunkte zu seinem Herkunftsstaat.
Dass der Beschwerdeführer strafrechtlich unbescholten ist, vermag weder sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (VwGH vom 25. 02. 2010, 2009/21/0070; 19.04.2012, 2011/18/0253).
Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet – auch bei Zugrundelegung der vorgebrachten Deutschprüfungen auf B1- und B2-Niveau – gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen sowie der Verhinderung von „Schwarzarbeit“ aus Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung in den Hintergrund treten. Die Nichterteilung des beantragten Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK erfolgte vom BFA daher zu Recht.
3.2. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides (Rückkehrentscheidung):
Der mit „Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme“ übertitelte § 10 AsylG lautet in seinem Absatz 3 erster Satz wie folgt:
„§ 10.
(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.“
Gem. § 52 Abs. 3 FPG hat das BFA unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. §§ 55, 56 oder 57 AsylG zurück- oder abgewiesen wird.
In diesem Zusammenhang konnte auch kein Sachverhalt erkannt werden, wonach eine Rückkehrentscheidung im Sinne des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG vorübergehend unzulässig wäre (vgl. § 46a Abs. 1 Z 4 FPG). Da die Erteilungsvoraussetzungen gem. § 55 AsylG nicht vorliegen, wurde die Entscheidung vom BFA zu Recht gem. § 10 Abs. 3 AsylG und § 52 Abs. 3 FPG mit einer Rückkehrentscheidung verbunden.
3.2. Zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides (Zulässigkeit der Abschiebung):
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig