TE Bvwg Erkenntnis 2021/12/6 W284 2213213-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.12.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

06.12.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W284 2213213-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. WAGNER-SAMEK über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , StA. IRAK, vertreten durch: BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.12.2018, Zl. 1093976110-151719529, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird abgewiesen.

II. Hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird der Beschwerde stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird dem Beschwerdeführer eine einjährige befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter erteilt.

IV. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger und Sunnit, stellte am 06.11.2015 seinen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Es erfolgte am 08.11.2015 eine Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Am 01.03.2018 und am 08.11.2018 fanden niederschriftliche Einvernahmen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA bzw. belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) statt.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 19.12.2018 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.). Dem Beschwerdeführer wurde eine 14-tägige Frist ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gesetzt (Spruchpunkt VI.).

Betreffend die Feststellungen zur Situation im Falle der Rückkehr des Beschwerdeführers führte die Behörde aus: „Bezüglich der Verfolgung Ihrer Sippe in Al-Basra wird Ihnen Großteils Glaubens geschenkt, auch die damalige, nach der Eroberung Mosuls schwierige Lage wird nicht verkannt, jedoch stellt der IS in Mosul keine aktuelle Gefahr mehr dar. Die Stadt wurde 2017 zurückerobert und wird seither stetig wiederaufgebaut“.

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht vollumfänglich Beschwerde.

4. Am 19.11.2021 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung, an der die Behörde entschuldigt nicht teilnahm, durchgeführt und im Anschluss das Erkenntnis, wie im Spruch angeführt, mitsamt den wesentlichen Entscheidungsgründen mündlich verkündet.

5. Mit Schriftsatz vom 29.11.2021 verlangte der Beschwerdeführer eine schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Beschwerdeführer und seinem Leben im Irak:

Beim BF handelt es sich um einen irakischen Staatsangehörigen sunnitischer Volksgruppenzugehörigkeit. Der Beschwerdeführer wurde in Basra geboren. Dort lebte er in einem Vorort namens Zuber in einem Einfamilienhaus mit seiner Familie, bestehend aus seinem Vater und seinen Geschwistern. Im Alter von 23 Jahren zog der Beschwerdeführer mit seiner Familie in die Stadt Mosul, in ein gemietetes Haus, um.

1.2. Zu den einzelnen Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist nicht homosexuell. Der Beschwerdeführer ist verheiratet. Seine Ehe wurde nicht zivilrechtlich geschieden. Seine Frau kehrte freiwillig in den Irak zurück.

Die Frau des Beschwerdeführers wurde weder von Mitgliedern des IS noch durch Luftangriffe anderer Mächte angeschossen oder gar getötet.

Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer nicht Verfolgung zu gewärtigen hat, weil er als Elektriker für die Polizei tätig war.

Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer keinen Sohn hat, der getötet wurde.

Der Beschwerdeführer wurde in der Vergangenheit auch nicht aufgrund einer Mitgliedschaft seines Vaters bei der Baath-Partei entführt.

Der Vater des Beschwerdeführers wurde nicht im Juli 2020 getötet.

Eine spezifische, gezielt gegen die Person des Beschwerdeführers gerichtete Verfolgung, hat nach seinem Umzug nach Mosul nicht stattgefunden.

1.3. Zur Erteilung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:

Der Beschwerdeführer leidet an Depressionen und steht deswegen seit mindestens zwei Jahren in medikamentöser Behandlung.

Der Beschwerdeführer zog in der Vergangenheit von Basra nach Mosul um. In Mosul erhielt er staatliche Unterstützungsleistungen (Essen). Ob und wie oft er nach seinem Umzug nach Mosul wieder nach Basra fuhr, kann nicht festgestellt werden.

Bei Mosul handelt es sich um ein ehemals vom IS besetztes Gebiet. In Mosul lebte der Beschwerdeführer in einem gemieteten und nicht mehr (wie in Basra) in einem Eigentumshaus.

Der Beschwerdeführer könnte im Falle der Rückkehr in den Irak weder auf bestehende finanzielle Besitztümer (z.B. Haus) noch auf familiäre Unterstützung in Mosul zurückgreifen, weshalb er nicht auf seinen letzten, langjährigen Wohnort vor Verlassen des Iraks (Mosul) verwiesen werden kann.

Auch eine Rückkehr nach Basra, von wo er im Vorfeld „vertrieben“ wurde und folglich nach Mosul umzog und dort in der Folge auf staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen war, scheidet im Fall des Beschwerdeführers aus.

Der Beschwerdeführer kann auch nicht auf Bagdad als innerstaatliche Fluchtalternative verwiesen werden.

1.4. Zur Lage im Irak:

Islamischer Staat

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat durch den damaligen Premierminister al-Abadi im Dezember 2017 (USCIRF 4.2019; vgl Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019) und kehrte zu Untergrund-Taktiken zurück (USDOS 1.11.2019; vgl. BBC 23.12.2019; FH 4.3.2020). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen IS sowie eine Mobilisierung von Schläfer-Zellen (Portal 9.10.2019) und einen neuerlichen Machtzuwachs im Norden des Landes (PGN 11.1.2020).

Gouvernement Ninewa (mit Mosul als Hauptstadt):

Der Islamische Staat (IS) hat seine Präsenz in Ninewa durch Kräfte aus Syrien verstärkt und führte seine Operationen hauptsächlich im Süden und Westen des Gouvernements aus (Joel Wing 3.5.2019). Er verfügt aber auch in Mossul über Zellen (Joel Wing 5.6.2019). Es wird außerdem vermutet, dass der IS vorhat in den Badush Bergen, westlich von Mossul, Stützpunkte einzurichten (ISW 19.4.2019).

Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Ninewa 40 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 33 Toten und 25 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es zwölf Vorfälle mit 35 Toten und 15 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Ninewa ereigneten sich im Süden des Gouvernements (Joel Wing 3.2.2020).

Sicherheitslage Bagdad

Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

Sunnitische Araber

Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt. Mangels anerkannter Führungspersönlichkeiten fällt es den sunnitischen Arabern weiterhin schwer, ihren Einfluss auf nationaler Ebene geltend zu machen.

Oftmals werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt (AA 12.1.2019). Bei willkürlichen Verhaftungen meist junger sunnitischer Männer wird durch die Behörden auf das Anti-Terror-Gesetz verwiesen, welches das Recht auf ein ordnungsgemäßes und faires Verfahren vorenthält (USDOS 21.6.2019). Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richten sich vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger (AA 12.1.2019).

Es gibt zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, PMF und Peshmerga (USDOS 11.3.2020). Noch für das Jahr 2018 gibt es Hinweise auf außergerichtliche Hinrichtungen von sunnitischen Muslimen in und um Mossul (USCIRF 4.2019).

Medizinische Versorgung

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können - für den Zugang zum Gesundheitswesen wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt - haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 1.4.2019). Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 12.2019).

Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 12.1.2019). Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 12.2019). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.1.2019). Spezialisierte Behandlungszentren für Personen mit psychosoziale Störungen existieren zwar, sind jedoch nicht ausreichend (UNAMI 12.2016). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen (AA 12.1.2019). Für das Jahr 2020 werden in Flüchtlingslagern der kurdischen Gouvernements Dohuk und Sulaymaniyah erhebliche Lücken in der Gesundheitsversorgung erwartet, die auf Finanzierungsengpässe zurückzuführen sind (UNOCHA 17.2.2020).

Rückkehr

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig – u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Kurdischen Region im Irak (KRI) finden regelmäßig statt. In der KRI gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Eine Fortführung dieser Tendenzen wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der KRI kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 12.1.2019).

Studien zufolge ist die größte Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vgl. REACH 30.6.2017).

Einreise und Einwanderung in Irak unter der Zentralregierung

Es gibt keine Bürgschaftsanforderungen für die Einreise in die Gouvernements Babil, Bagdad, Basra, Diyala, Kerbala, Kirkuk, Najaf, Qadissiya und Wassit. Für den Zugang zu den Gouvernements Maysan und Muthanna wird hingegen ein Bürge benötigt, der die Person an einem Grenz-Checkpoint in Empfang nimmt, oder mit ihr bei der zuständigen Sicherheitsbehörde für eine Freigabe vorstellig wird. Ohne Bürge wird der Zugang wahrscheinlich verweigert, auch wenn die Sicherheitsbehörden über einen Ermessensspielraum für Ausnahmen verfügen (UNHCR 11.2019).

Für die Niederlassung in den verschiedenen Gouvernements existieren für Personen aus den vormals vom IS kontrollierten Gebieten unterschiedliche Regelungen. Für eine Ansiedlung in Bagdad werden zwei Bürgen aus der Nachbarschaft benötigt, in der die Person wohnen möchte, sowie ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar (Anm.: etwa Dorf-, Gemeindevorsteher). Für die Ansiedlung in Diyala, sowie in den südlichen Gouvernements Babil, Basra, Dhi-Qar, Kerbala, Maysan, Muthanna, Najaf, Qadisiya und Wassit sind ein Bürge und ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar erforderlich. Eine Ausnahme stellt der Bezirk Khanaqin dar, in dem Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar, des nationalen Sicherheitsdiensts (National Security Service, NSS), und des Nachrichtendienstes notwendig sind. Für die Ansiedlung in der Stadt Kirkuk wird ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar benötigt (UNHCR 11.2019).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen betreffend den Beschwerdeführer und sein Leben im Irak beruhen auf den Angaben, die im Laufe des Verfahrens gleichgeblieben sind. Seine Identität stellte die Behörde nach Verweis auf den als unbedenklich eingestuften Untersuchungsbericht zu seinem vorgelegten Personalausweis fest (AS 423, AS 489 und AS 79).

2.2. Gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben des Beschwerdeführers spricht stark, dass er seine Fluchtgründe im laufenden Verfahren mehrmals änderte. Hervorzuhaben ist dabei, dass er sich nicht bloß in untergeordneten Nebenumständen korrigierte, sondern die tragenden Eckpunkte seiner Flucht grob unterschiedlich darstellte. Dabei konnte auf seine Angaben in der Erstbefragung, zwei Einvernahmen vor der Behörde sowie auf die mündliche Beschwerdeverhandlung zurückgegriffen werden; ebenso wurden seine Angaben im Beschwerdeschriftsatz und in der Stellungnahme am Vortag der mündlichen Verhandlung zur Glaubhaftigkeitsprüfung seiner Aussagen herangezogen.

Gerade weil der Beschwerdeführer somit mehrfach Möglichkeiten hatte, seine Fluchtgeschichte darzustellen, traten seine unterschiedlichen, teils diffusen und widersprüchlichen Angaben anschaulich zutage. Dass die Erstbefragung nicht der Erhebung der Fluchtgründe dient, wird nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer jedoch die allgemeinen Lebensbedingungen in Mosul (s. AS 17, wonach Männer nicht rauchen dürften und einen langen Bart tragen müssten) sowie Bombardements auf sein Haus, noch dazu in Basra und in Mosul, erwähnt, nicht jedoch, worauf er sich im weiteren Verfahrensverlauf, vor allem in der mündlichen Beschwerdeverhandlung überwiegend stützte, seine behauptete Homosexualität anführte, spricht gegen die glaubhaften Aussagen seine sexuelle Orientierung betreffend. Umgekehrt: Soweit sich der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung überwiegend auf seine Homosexualität stützte, entzieht er damit seiner bisherigen Einlassung (wie Bedrohung durch den IS, weil er als Elektriker für die Polizei gearbeitet habe, Bombardements auf sein Haus in den Kriegswehen, Tötung seines Sohnes, Tötung seines Vaters) die Substanz.

Nicht nur änderte er mit Blick auf die asylrelevanten Ausführungen die fluchtauslösenden Gründe (S. 6 VH-Protokoll), er nahm im Laufe des Verfahren auch Steigerungen vor und ist beispielsweise zu nennen, dass er mit Stellungnahme vom 18.11.2021, also am Tag vor der mündlichen Verhandlung, davon sprach, über Lichtbildaufnahmen des Leichnams seines Vaters, welcher im Juli 2020 getötet worden sei, zu verfügen, sich diese jedoch nicht ansehen könne. Derartiges Beweismaterial brachte er in der durchgeführten Verhandlung am darauffolgenden Tag – trotz expliziter Nachfrage, ob weitere Dokumente vorgelegt werden – dann auch nicht in Vorlage. Auch die Angaben im Beschwerdeschriftsatz, als Kind wegen der politischen Tätigkeit seines Vaters (AS 545) entführt worden zu sein, griff er im Verfahren zu keinem Zeitpunkt neuerlich auf. Die Angaben, wonach sein „kleiner Sohn“ getötet wurde (s. Anamnesegespräch bei einer ärztlichen Befundung am 13.06.2019; AS 545) stehen diametral der Aussage entgegen, wonach seine „schwangere“ Frau (S. 7 VH-Protokoll) bei einem Bombenangriff verletzt wurde; in der Einvernahme im März 2018 verneinte er die Frage nach Kindern überhaupt (AS 80).

Einschub:

Bereits mit der mündlichen Verkündung, welche die wesentlichen Entscheidungsgründe zu enthalten hat, wurde dem Beschwerdeführer die Glaubhaftigkeit seiner variierenden fluchtauslösenden Verfolgungssituationen, in geraffter Darstellung, abgesprochen. An dieser Stelle gilt es daher insbesondere darauf hinzuweisen, dass in einer lediglich ausführlicheren (und nicht der mündlichen Verkündung widersprechenden) Begründung in der vom Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 29.11.2021 begehrten schriftlichen Ausfertigung kein Begründungsmangel liegt (VwGH 23.9.2020, Ra 2019/14/0558). Es muss daher als zulässig angesehen werden, dass das Bundesverwaltungsgericht in der gegenständlichen, schriftlichen Ausfertigung weitere Argumente (wie fallbezogen etwa die divergierenden Aussagen betreffend die Fragestellung, ob der Beschwerdeführer Kinder hat), welche die in der mündlichen Verkündung bereits dargestellten tragenden Erwägungen, nämlich die Unglaubwürdigkeit der Fluchtgründe des Beschwerdeführers, bloß untermauern, ins Treffen führt. Die durch eine mündliche Verkündung beabsichtigte Entlastung der Verwaltungsgerichte kann nämlich nur dann eintreten, wenn an die in der Niederschrift (im Protokoll) festgehaltene Begründung des mündlich verkündeten Erkenntnisses geringere Anforderungen gestellt werden als an die Begründung im Rahmen einer (vollen) schriftlichen Ausfertigung im Sinne des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (vgl. VwGH v. 15.03.2010, 2006/01/0355). Daher durften diese grob widersprüchlichen Angaben des Beschwerdeführers zu seinem familiären Hintergrund zwecks Verdeutlichung der Unglaubwürdigkeit seiner Aussagen ebenfalls herangezogen werden.

Dem Bundesverwaltungsgericht ist durchaus bewusst, dass Angaben des Beschwerdeführers zu seiner sexuellen Orientierung mit Scham behaftet sein können und dadurch möglicherweise erst später im Verfahren angesprochen werden. Gründe dafür, weshalb der Beschwerdeführer jedoch auch, bereits nach Erlassung eines negativen Bescheides, in seiner 18-seitigen Beschwerdeschrift (AS 561f) mit keinem einzigen Wort erwähnt, dass er homosexuell sei, sind nicht ersichtlich und muss sich der Beschwerdeführer den – wie in den wesentlichen Entscheidungsgründen bereits aufgezeigt – sehr späten Zeitpunkt, zu dem er sich auf dieses völlig neue Vorbringen stützte, anlasten lassen.

Auch die in der Verhandlung – auf ausdrücklichen Wunsch des Beschwerdeführers bzw. seines Vertreters (S. 9 des VH-Protokolls) – eingesehenen Chatverläufe auf der App am Handy des Beschwerdeführers belegen lediglich eine Kontaktanbahnung mit fremden Männern, die per se noch keinen Beweis seiner Homosexualität liefern. Ob es in der Folge tatsächlich zur Ausführung dieser verabredeten Treffen mit anderen Männern gekommen ist, lässt sich daraus nicht ableiten, weshalb in diesem Punkt auf seine Aussagen zurückzugreifen ist: Die Schilderungen des Beschwerdeführers hierzu waren aber äußerst vage und nicht nachvollziehbar; zur Veranschaulichung herausgegriffen wird, dass der Beschwerdeführer, obwohl es sich dabei um den ersten sexuellen Kontakt mit einem Mann gehandelt haben soll und dies demnach ein einschneidendes Erlebnis darstellen müsste, nicht einmal an den Namen der Ehefrau dieses Mannes erinnern konnte, die ihn „eingeladen“ hätte, mit ihrem Ehemann Geschlechtsverkehr zu haben, obwohl er mir dieser Frau gemeinsam in die Schule gegangen sein will (s. S. 7 des VH-Protokolls), sie ihm also näher bekannt sein müsste.

Auch der persönlich vermittelte Eindruck in der Befragung hierzu lässt nicht darauf schließen, dass der Beschwerdeführer erlebte Geschehnisse abrief, weshalb seinen Ausführungen diesbezüglich die Glaubhaftigkeit zu versagen war.

Auch die Umstände, wonach der Beschwerdeführer, auch dieser Punkt findet sich bereits in den wesentlichen Entscheidungsgründen der mündlichen Verkündung, traditionell und standesamtlich verheiratet (AS 9) ist, seine Ehe bloß mittels Bescheinigung der islamischen Religionsgemeinde Linz (AS 59) „geschieden“ ist, nicht jedoch zivilrechtlich, und seine Frau, legt man seine eigenen Angaben zugrunde, in der Vergangenheit auch von ihm schwanger gewesen sein soll, sprechen ebenso gegen seine Behauptung, homosexuell zu sein.

Gerade weil er seine Homosexualität erst zu einem sehr späten Zeitpunkt entdeckt haben will, hätte es konkreter Angaben dazu bedurft, wie er seine sexuellen Neigungen festgestellt oder diese entwickelt hätte. In diesem Punkt waren ihm in der mündlichen Verhandlung jedoch keinen konkreten Aussagen zu entlocken.

Dass der Beschwerdeführer unglaubhafte Angaben zu seiner Homosexualität machte, schlägt auch auf die Glaubwürdigkeitsprüfung der zuvor – zahlreich – angeführten Fluchtgründe durch. Es widerspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass bei Zutreffen einer Verfolgungssituation weitere, bisher noch nicht genannte Bedrohungen „nachgeschoben“ werden. Im Übrigen teilte das Bundesverwaltungsgericht (s. S. 15 VH-Protokoll, wonach der im Bescheid vorgenommenen Glaubwürdigkeitsprüfung im Wesentlichen zu folgen ist) die im angefochtenen Bescheid angestellten Überlegungen (AS 489f), weshalb auch festzustellen war, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers freiwillig in den Irak zurückkehrte (AS 491).

2.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt darauf hingewiesen, dass psychische Erkrankungen im Hinblick auf konstatierte Unstimmigkeiten im Aussageverhalten zu berücksichtigen sind (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 16. April 2009, Zl. 2007/19/1193, vom 20. Februar 2009, Zlen. 2007/19/0827 bis 0829, und vom 28. Juni 2005, Zl. 2005/01/0080, mwH), weshalb auch Augenmerk auf den psychischen Zustand des Beschwerdeführers gelegt wurde. Der BF leidet an schweren depressiven Episoden und steht in Österreich seit zwei Jahren in psychologischer sowie in medikamentöser Behandlung; dies belegen die zahlreichen ärztlichen Unterlagen (Dokumentenvorlage vom 01.07.2019, mit der ein Befund vom 13.06.2019 der Gruppenpraxis G., ärztliche Unterlagen vom Klinikum W. vom 29.05.2019, eine Bestätigung des Therapiezentrums O. vom 07.04.2019 sowie ein Rezept vom 01.04.2019 in Vorlage gebracht wurden) und die damit übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung. Im Zuge der Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden dem Beschwerdeführer dementsprechend mehrfach Pausen vorgeschlagen und in der Folge auch eingeräumt, wie dem Verhandlungsprotokoll zu entnehmen ist; zudem rückversicherte sich die verhandlungsführende Richterin (sowohl beim Beschwerdeführer als auch dem der Verhandlung beiwohnenden Vertreter) mehrfach, ob der Beschwerdeführer in der Lage sei, die Einvernahme durchzuführen; dies wurde durchgehend, insbesondere vom Beschwerdeführer selbst, bejaht (S. 9 VH-Protokoll); jedoch entbindet den Beschwerdeführer die bei ihm diagnostizierte Krankheit nicht, stringente, zumindest in Grundzügen gleichbleibende Angaben zu machen, weshalb ihm aufgrund der Fülle der widersprüchlichen Aussagen die Glaubhaftigkeit abzusprechen war. Auf der anderen Seite floss sein psychisch instabiler Zustand in Bezug auf die Erteilung einer subsidiären Schutzberechtigung in die Entscheidungsfindung ein.

Dass der Beschwerdeführer weder über Familienangehörige noch über eine Unterkunft in Mosul verfügt, erläuterte er in der Verhandlung, bei der er nicht nur über seine Wohnorte, sondern auch die Art der Unterkunft befragt wurde. Im Zuge seiner Befragung haben sich keine familiären Anknüpfungspunkte in Mosul ergeben, zumal seine Ehefrau nach Basra zurückgekehrt sein dürfte. Auch gründet sich die Feststellung, wonach er – anders als in Basra – in Mosul lediglich in einem Mietshaus mit seiner Familie lebte, auf seine Angaben vor Gericht, weshalb davon ausgegangen werden muss, dass dem Beschwerdeführer, mangels konkreter gegenteiliger Angaben, in Mosul keine Unterkunft oder finanzielle Unterstützung durch Familienangehörigen zuteilwerden würde.

Als zutreffend wurden seine Angaben bewertet, wonach er in der Vergangenheit von Basra nach Mosul umgezogen ist, und legte dies auch die belangte Behörde dem angefochtenen Bescheid bereits zugrunde. In diesem Punkt blieben seine Angaben in der mündlichen Verhandlung auch gleich und konkret (vgl. S. 12 des VH-Protokolls, wonach ihm alle drei Monate Essen zur Verfügung gestellt wurde, eine Unterkunft jedoch aus eigenen Stücken zu bewerkstelligen war). Widersprüchlich waren dagegen seine Aussagen dazu, ob und gegebenenfalls wie oft er nach seiner Ansiedelung in Mosul noch nach Basra gereist ist, weshalb dieser Punkt keiner entsprechenden Feststellung zugeführt werden konnte. Weiters brachte er ein Schreiben in Vorlage (Beilage ./C), wonach ihm ein Schriftstück in Mosul ausgehändigt wurde, demzufolge er als intern Vertriebener gilt. In der Verhandlung nahm die Dolmetscherin auf Bitte der Richterin in dieses Schreiben Einsicht und konnte den Namen des Vaters des Beschwerdeführers auf dem Schriftstück verifizieren. Der Beschwerdeführer sagte übereinstimmend aus, in Mosul Essen als Unterstützungsleistung erhalten zu haben. Es war daher festzustellen, dass der Beschwerdeführer in der Vergangenheit bereits von Basra nach Mosul umgezogen ist und in Mosul bereits auf Unterstützungsleistungen angewiesen war. Somit ist aber zugleich nicht ersichtlich, inwiefern sich der Beschwerdeführer nunmehr, im Falle der Rückkehr, in Mosul ansiedeln könne sollte, zumal sich weder ein familiäres Auffangnetz noch finanzielle Rücklagen des Beschwerdeführers feststellen haben lassen und er auch mit Blick auf seine psychischen Leiden als besonders vulnerabel anzusehen ist. Auch eine Rückkehr nach Basra, von wo der Beschwerdeführer bereits intern (nach Mosul) vertrieben wurde, scheidet aus; dass der Beschwerdeführer nicht mehr auf Basra verwiesen werden kann, ist auch den Ausführungen der Behörde im Bescheid schlüssig zu entnehmen.

2.4. Dass es sich bei Mosul zudem um vormals vom IS besetztes Gebiet handelt, weshalb der Beschwerdeführer (wie in der rechtlichen Beurteilung zu erläutern sein wird) auch unabhängig von seinen psychischen Leiden ein erhöhtes Risikoprofil im Sinne der UNHCR Schutzerwägungen (Irak) aufweist, basiert auf den oben dargestellten, auszugsweise ausgewählten, Länderinformationen, wobei das LIB (nunmehr aktualisiert mit Oktober 2021), die UNHCR Schutzerwägungen (Stand Mai 2019) sowie die EASO Country Guidance (Stand Jänner 2021), welche in den entscheidungswesentlichen Themen ein übereinstimmendes Bild zeichnen, herangezogen wurden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Zur Versagung des Asylstatus:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention – GFK, droht.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (VwGH 15.03.2001, 99/20/0036; 15.03.2001, 99/20/0134). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 29.03.2001, 2000/20/0539; 17.03.2009, 2007/19/0459).

Diese Überlegungen sollen hier mit Blick darauf, dass der Beschwerdeführer in der Vergangenheit innerhalb des Iraks von Basra nach Mosul „vertrieben“ wurde, Erwähnung finden. Da der Beschwerdeführer in der Vergangenheit bereits umziehen musste, ein Schriftstück als „intern Vertriebener“ vorlegte und angab, Essensleistungen als Unterstützung in Anspruch genommen zu haben, könnte die Frage aufkommen, ob darin Asylrelevanz liegt. Aus dem landesinternen Umzug des Beschwerdeführers von Basra nach Mosul ist jedoch keine asylrelevante Verfolgung abzuleiten, weil der Beschwerdeführer ja tatsächlich in Mosul unterkommen und sein Auslangen, immerhin seit weit über einem Jahrzehnt, finden konnte. Er siedelte sich dort an, griff auf Unterstützungsleistungen zurück und lebte dort – langjährig – bis zum Verlassen des Iraks im Jahr 2015. Dies belegt, dass der Beschwerdeführer in der Vergangenheit eine interne Schutzalternative (Mosul) in Anspruch nehmen konnte und daraus kein asylbegründender Sachverhalt hervorgeht. Gegenteiliges behauptete der Beschwerdeführer diesbezüglich auch nicht.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459; 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031; 06.11.2009, 2008/19/0012). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011; 28.05.2009, 2008/19/1031; 02.09.2019, Ro 2019/01/0009, mwN). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid (bzw. das Asylerkenntnis) erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233).

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Wie in der Beweiswürdigung näher ausgeführt, hat der Beschwerdeführer seine (zahlreichen) Fluchtvorbringen nicht glaubhaft gemacht. Erachtet die zur Entscheidung über einen Asylantrag zuständige Instanz - wie im gegenständlichen Fall - im Rahmen der Beweiswürdigung die Angaben des Asylwerbers grundsätzlich als unwahr, dann können die von ihm behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung nicht näher zu beurteilen (VwGH 09.05.1996, Zl.95/20/0380).

Somit war die Beschwerde gegen die Versagung des Asylstatus als unbegründet abzuweisen.

Zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).

Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582, 2005/20/0095). Dabei kann bei der Prüfung von außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten nur dann in der Außerlandesschaffung des Antragsstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK liegen, wenn außergewöhnliche, exzeptionelle Umstände, glaubhaft gemacht sind (vgl. EGMR, Urteil vom 06.02.2001, Beschwerde Nr. 44599/98, Bensaid v United Kingdom; VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443).

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 MRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden hg. Judikatur ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 MRK ist nicht ausreichend (Hinweis E vom 6. November 2009, 2008/19/0174). Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 MRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307; Hinweis E vom 21. August 2001, 2000/01/0443). Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, Rn. 123, mwN).

Gemäß § 8 Abs. 3 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Asylantrag auch in Bezug auf den subsidiären Schutz abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

Wie bereits in den wesentlichen Entscheidungsgründen des am 19.11.2021 mündlich verkündeten Erkenntnisses dargestellt, kann im Falle des Beschwerdeführers nicht ausgeschlossen werden, dass seine Rückkehr in den Irak eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Hierbei fällt einerseits ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer, ein in Basra geborener und aufgewachsener arabischer Sunnit, im Alter von 23 Jahren bereits nach Mosul umgezogen ist bzw. er intern vertrieben wurde und in der Folge auf Unterstützungsleistungen angewiesen war. Eine Rückkehr nach Basra (zu seiner Ehefrau) scheidet für den Beschwerdeführer demnach aus. Dies beurteilte selbst die Behörde im angefochtenen Bescheid in gleicher Weise (s. Verfahrensgangs I. Punkt 2.).

Bei Mosul, wo er seither (langjährig) lebte, handelt es sich wiederum um ein vormals vom IS besetztes Gebiet, weshalb der Beschwerdeführer ein erhöhtes Risikoprofil im Sinne der UNHCR Schutzerwägungen (Irak) aufweist.

Mangels feststellbaren familiärem Auffangnetz in Mosul, der fehlenden bestehenden Unterkunftsmöglichkeit des Beschwerdeführers, der zuvor lediglich in einem gemieteten Haus in Mosul lebte, dem Umstand, dass er bereits nach seiner Ansiedelung in Mosul auf Unterstützungsleistungen angewiesen war sowie (nicht zuletzt) aufgrund seiner festgestellten schweren depressiven Episoden, weshalb er auch medikamentös behandelt wird und seine Erwerbschancen erheblich gemindert erscheinen, muss davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer auch nicht nach Mosul zurückverwiesen werden kann.

Der Beschwerdeführer kann auch nicht auf Bagdad als Fluchtalternative verwiesen werden: Der VfGH hielt mit Entscheidung vom 07.10.2021, Zl. E 2563/2021-10, fest, dass hinsichtlich sunnitischer Araber, die aus vormals vom IS besetzten Gebiet (Mosul) stammen, ein erhöhtes Risikoprofil besteht und ihre Ansiedlung in Bagdad zweier Sponsoren sowie der Einverständniserklärung eines Muchtars bedarf. Im vorliegenden Verfahren hat sich zudem ergeben, dass der Beschwerdeführer bereits aus Basra vertrieben wurde bzw. verzogen ist. Dass er die nach der genannten Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes erforderlichen Bürgen bzw. eine Einverständniserklärung eines Muchtars aufzutreiben vermag, um sich in Bagdad tatsächlich niederlassen zu können, hat sich im Verfahren nicht ergeben, weshalb auch ein Verweis auf Bagdad als innerstaatliche Fluchtalternative im Fall des Beschwerdeführers ausscheidet.

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen. Diese gilt für ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über den Antrag des Fremden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl für jeweils zwei weitere Jahre verlängert.

Dem Beschwerdeführer wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, sodass eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 zu erteilen und spruchgemäß zu entscheiden war.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine Rechtsfrage grundlegender Bedeutung vorliegt. Es kann auf einschlägige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sowie die Judikatur des VfGH vom 07.10.2021, Zl E 2563/2021-10, zurückgegriffen werden.

Schlagworte

befristete Aufenthaltsberechtigung Depression Glaubwürdigkeit Homosexualität mangelnde Asylrelevanz psychische Erkrankung Rückkehrsituation sexuelle Orientierung Sicherheitslage soziale Gruppe subsidiärer Schutz Verfolgungsgefahr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W284.2213213.1.00

Im RIS seit

07.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

07.02.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten