TE Bvwg Erkenntnis 2021/12/6 W119 2193969-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.12.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

06.12.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch


W119 2193969-1/24E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a EIGELSBERGER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. VR China, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.04.2018, Zl. 1159453502/170813475, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 13 Abs. 2 Z 2, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und § 52 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der VR China, stellte am 11.07.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Anlässlich der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung nach dem AsylG gab die Beschwerdeführerin zunächst an, der Volksgruppe der Han anzugehören und ohne Religionsbekenntnis zu sein. Sie stamme aus XXXX . Darüber hinaus sei sie geschieden und habe eine Tochter. In ihrem Heimatstaat würden ihre Eltern, ihre Tochter, ihr Bruder sowie ihr Ex-Ehemann leben. Ihr Ex-Ehemann habe das Sorgerecht für ihre Tochter. Sie habe fünf Jahre die Grundschule und ein Jahr eine Hauptschule in XXXX besucht. Zuletzt sei sie als Hilfskraft tätig gewesen. Einen Identitätsnachweis könne sie nicht vorlegen. Zu ihrem Fluchtgrund führte die Beschwerdeführerin aus, dass ihr Ehemann keiner Erwerbstätigkeit nachgehe und sie jede Nacht zum Geschlechtsverkehr genötigt habe. Aus gesundheitlichen Gründen habe sie dies allerdings nicht gewollt. Das sei ihr einziger Fluchtgrund. Bei einer allfälligen Rückkehr in den Heimatstaat befürchte sie Probleme mit ihrem Ex-Ehemann.

Mit Schreiben vom 11.07.2017 wurde der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) gemäß der Dublin-Verordnung Konsultationen in Form einer Anfrage mit der Tschechischen Republik führe.

Mit Schreiben vom 25.07.2017 wurde die Beschwerdeführerin über die Einstellung der Grundversorgung im Falle des Privatverzuges belehrt. Darüber hinaus wurde die Beschwerdeführerin über die Meldeverpflichtung in periodischen Abständen von fünf Tagen, unter Vorlage der Identitätskarte in der benannten Polizeiinspektion, in Kenntnis gesetzt.

Am 17.08.2017 langte ein Schreiben der zuständigen Behörde der Tschechischen Republik ein, aus dem hervorgeht, dass in der Tschechischen Republik keine Informationen über die Beschwerdeführerin erfasst seien.

Die Beschwerdeführerin wurde am 25.01.2018 beim Bundesamt einvernommen und gab eingangs an, der Volksgruppe der Han anzugehören und christlichen Glaubens zu sein. Sie sei allerdings weder getauft, noch sehr gläubig. Weiters führte sie aus, dass sie seit bereits drei Jahren geschieden sei. Konkretere Angaben zu ihrer Scheidung habe sie auf Nachfrage allerdings nicht tätigen können. Sie habe eine Tochter. Ihr Ex-Ehemann habe zwar das Sorgerecht für die Tochter, allerdings lebe sie bei ihrer Mutter. Die Tochter werde vom Ex-Ehemann versorgt, er sei in einer Fabrik tätig. Darüber hinaus habe sie auch einen erwachsenen Sohn, er lebe in der Stadt XXXX , in der VR China. Bislang habe sie ihren Sohn nicht erwähnt, da er im Grunde bereits erwachsen sei. Weiters lebten die Eltern sowie der Bruder der Beschwerdeführerin in ihrem Heimatstaat. Ihre Eltern seien Pensionisten, ihr Bruder Gelegenheitsarbeiter. Ihr Sohn sei bis vor einem Jahr in einer Konditorei beschäftigt gewesen, derzeit lebe er von seinen Ersparnissen. Die Beschwerdeführerin habe regelmäßigen Kontakt zu ihren Angehörigen in ihrem Herkunftsland. In Österreich habe sie keine Verwandten, allerdings einen Onkel in Italien und zwei Cousinen in Spanien.

Zu ihren bisherigen Aufenthaltsorten befragt, führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie von ihrer Geburt an, bis zu ihrer Hochzeit (im Jahr 1997) in der Kreisstadt XXXX , gelebt habe. Anschließend sei sie bis zu ihrer Scheidung in der Stadt XXXX gewesen. Den Zeitraum zwischen der Scheidung und ihrer Ausreise habe sie in einer Mietwohnung in der Stadt XXXX verbracht. Den Aufforderungen, konkretere Angaben zu dem Aufenthaltsort zu tätigen, kam die Beschwerdeführer allerdings nicht nach. Auf nochmalige Nachfrage änderte die Beschwerdeführerin ihre Aussage dahingehend, dass sie nach der Scheidung weiterhin an identen Adresse aufhältig gewesen sei. Nachfolgend änderte die Beschwerdeführerin neuerlich ihre Aussage und führte an, vor der Ausreise an der elterlichen Heimatadresse gewohnt zu haben. Dabei handle es sich um ein Eigentumshaus. Die Mietwohnung, die sie anfangs erwähnt habe, habe ihre Mutter nach der Ausreise der Beschwerdeführerin angemietet. In dieser Wohnung seien derzeit ihre Mutter sowie ihre Tochter aufhältig.

Zu ihrem gesundheitlichen Zustand befragt, führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie grundsätzlich gesund sei und gelegentlich an „Frauenkrankheiten“ leide. Sie sei diesbezüglich bereits beim Gynäkologen gewesen, der ihr mitgeteilt habe, dass sie einen kleinen Polypen habe. Den Namen des behandelnden Arztes könne sie zwar nicht nennen, allerdings kenne sie die ungefähre Adresse der Ordination.

Zu ihrer Schulbildung befragt, gab die Beschwerdeführerin an, fünf Jahre lang die Grundschule und ein Jahr die Hauptschule besucht zu haben. Sie sei über zehn Jahre in einer Schuhfabrik tätig gewesen.

Darüber hinaus gab die Beschwerdeführerin an, dass die von ihr in der Erstbefragung getätigte Aussage, sie sei durch Tschechien gereist, nicht der Wahrheit entspreche. Tatsächlich wisse sie gar nicht, durch welche Länder sie gereist sei. Ihr seien vom Schlepper Medikamente verabreicht worden und sie sei während der gesamten Reise nicht im Klaren gewesen. Ihr sei im Zuge der Erstbefragung vorgeworfen worden, dass es nicht glaubhaft sei, dass sie die Reiseroute nicht kenne, sodass sie „Tschechien“ angegeben habe. Die Ausreise aus ihrem Heimatstaat habe sie durch den Verkauf ihres Hauses finanziert. Auf Nachfrage, um welches Haus es sich dabei handle, gab die Beschwerdeführerin an, sie habe kein Haus verkauft, sondern habe nach der Scheidung von ihrem Ehegatten einen Teil des gemeinsamen Vermögens in Form von Bargeld erhalten.

Als Fluchtgrund brachte sie im Wesentlichen vor, dass ihr Ex-Ehemann sie nicht in Ruhe gelassen habe. Auf Vorhalt, sie erstatte bloß ein abstraktes Vorbringen, gab die Beschwerdeführerin an, dass sie von ihrem Ehemann zum täglichen Geschlechtsverkehr genötigt worden sei. Für den Fall, dass sie abgelehnt habe, sei er ausgerastet. Dies sei schließlich der Grund für die Scheidung gewesen. Nach der Scheidung habe er sie weiterhin belästigt und nicht in Ruhe gelassen. Auf Nachfrage, in welcher Form sich die Belästigung geäußert habe, gab die Beschwerdeführerin an: „Er wollte mich noch haben.“. Weiters führte sie an: „Er war immer wieder bei mir und hat von mir verlangt, dass ich ihn wieder heirate. Wenn ich mir einen anderen suche, würde er demjenigen Probleme machen.“. Bezüglich der Belästigung seitens ihren Ex-Ehemannes, habe sie sich nie an eine Sicherheitsbehörde gewandt oder den Ehegatten deswegen angezeigt. Sie hätte zwar die Möglichkeit gehabt, sich an die Polizei zu wenden, allerdings sei er immerhin der Vater ihrer Kinder. Für den Fall, dass er festgenommen worden wäre, hätte er seine Arbeit verloren und die Kinder wären nicht versorgt gewesen. Dass sie nicht in einen anderen Teil der VR China umgezogen sei, begründete sie damit, dass er sie überall finden hätte können. Im Fall der Rückkehr befürchte sie, dass ihr Ex-Ehemann weiterhin Probleme verursachen würde. Es wäre sicherlich nicht vermeidbar, dass er von ihrer Rückkehr erfahre. Auf Vorhalt, dass die Fluchtgründe nicht glaubhaft seien sowie, dass ihre Beweggründe keinerlei Asylrelevanz aufweisen würden, führte die Beschwerdeführerin begründend aus, dass ihr Gehirn manchmal „nicht gut“ funktioniere, ihr Gedächtnis von Haus aus schlecht sei und sie sich einiges nicht merken könne.

Zu ihrem Leben in Österreich führte die Beschwerdeführerin zusammenfassend aus, dass sie in keiner Lebensgemeinschaft lebe, in ihrer Freizeit nur chinesische Landsleute treffe und keiner Organisation angehöre. Gelegentlich lebe sie bei einem Landsmann, er sei „geborener“ Asylwerber. Einen Deutschkurs habe sie bislang nicht besucht.

Ergänzend legte die Beschwerdeführerin eine Unterstützungserklärung vom 16.10.2017 vor.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 04.04.2018, Zl. 1159453502/170813475, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat VR China (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG in die VR China zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV). Begründend wurde ausgeführt, dass den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin keinerlei Glaubwürdigkeit zugesprochen werden könne.

Mit Verfahrensanordnung vom 05.04.2018 wurde der Beschwerdeführerin gem. § 52 BFA-VG der Verein ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberaterin zur Seite gestellt.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 26.04.2018 vollumfänglich Beschwerde. Darin wurde ausgeführt, dass das Verfahren beim Bundesamt nicht den Anforderungen des amtswegigen Ermittlungsverfahrens gemäß § 18 Abs 1 AsylG genügt habe. Darüber hinaus seien die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen unvollständig und teilweise unrichtig. Insbesondere sei eine Befassung mit dem konkreten Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin unterlassen worden.

Am 16.05.2018 übermittelte die Beschwerdeführerin einen Befundbericht sowie dazugehörige Fotos ihrer Narben als Beweis der vorgefallenen häuslichen Gewalt.

Am 9. 8. 2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an der ein Vertreter des Bundesamtes nicht teilnahm. Die Beschwerdeführerin führte eingangs aus, dass sie oft an Bauchschmerzen leide. Sie habe eine Gastroskopie durchführen lassen, habe allerdings den Befund nicht dabei. Auf die Frage der Richterin, ob die Beschwerdeführerin Kontakt zu einem Rechtsberater aufgenommen habe, gab sie an, keine Kenntnis zu haben, an wen sie sich hätte wenden können. Aufgrund des Umstandes, dass die Befundberichte der Beschwerdeführerin vorzulegen waren und einer Erörterung bedurften, wurde die Verhandlung auf den 09.11.2021 vertragt.

Die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH übermittelte am 03.09.2021 eine Vollmacht.

Mit Schriftsatz vom 04.11.2021 wurde eine Stellungnahme zu den Länderberichten eingebracht und dabei zusammenfassend ausgeführt, dass die Länderberichte das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit den Misshandlungen und Vergewaltigungen durch ihren Ehemann, später Ex-Ehemann, stützen würden: Sowohl die von ihr geschilderte erlebte Gewalt, als auch die fehlende Effektivität der behördlichen Schutzgewährung bei Gewalt gegen Frauen, finde in den Länderberichten über die VR China Deckung. Diesem zufolge sei häusliche bzw. frauenspezifische Gewalt weiterhin ein großes Problem und ein starker rechtlicher Mechanismus zum Schutz von Frauen nicht vorhanden. Darüber hinaus sei aufgrund der Hukou-Problematik für die Beschwerdeführerin ein Umzug in einen anderen Landesteil, um dieser Gewalt zu entgehen, ausgeschlossen. Eine Niederlassung ohne Hukou-Registrierung sei zwar grundsätzlich möglich, jedoch nicht zumutbar, da nur mit einer Registrierung der Zugang zu sozialen Leistungen oder zum Arbeitsmarkt bestehe. Vor dem Hintergrund der Länderinformationen, wonach ein Umzug innerhalb der VR China durch die restriktive Registrierungspraxis („Hukou“-System) kaum möglich sei und ein solcher somit den Verlust des Zugangs zu Bildung und Sozialleistungen bedeute, könne für die Beschwerdeführerin nicht von einer zumutbaren innerstaatliche Fluchtalternative ausgegangen werden. Die Beschwerdeführerin sei somit Flüchtling nach der GFK, wobei die Flüchtlingseigenschaft (gem. Art 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK) auf ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der von häuslicher Gewalt bzw. von Gewalt durch ihren Ehemann bzw. geschlechtsspezifischer Gewalt betroffener Frauen, beruhe.

Ergänzend legte die Beschwerdeführerin einen Befundbericht vom 14.09.2021, aus dem hervorgeht, dass die Beschwerdeführerin an Magenschmerzen und Schwindel leide.

Am 09.11.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an der ein Vertreter des Bundesamtes neuerlich nicht teilnahm. Die Beschwerdeführerin führte eingangs aus, dass sie die VR China verlassen habe, da dort die Zukunft „nicht so gut“ sei. Dies sei ihr einziger Fluchtgrund gewesen. Auf nochmalige Nachfrage der Richterin, ob es nicht weitere Fluchtgründe gegeben habe, führte die Beschwerdeführerin an: „Weil er mich nicht so gut behandelt hat. Das ist auch ein Grund.“. Weiters gab die Beschwerdeführerin zu ihren Familienangehörigen im Heimatstaat an, dass ihr Ehemann dort lebe. Erst auf Vorhalt der Richterin, die Beschwerdeführerin habe bislang angegeben, zwei Kinder im Heimatstaat zu haben, bestätigte sie dies und gab an, den Kontakt zu ihren Kindern weiterhin zu pflegen. Ihre Tochter befinde sich bei ihrer Mutter, ihr Sohn lebe seit zwei oder drei Jahren in Südamerika. Ansonsten würden ihre Eltern noch in der VR China leben. Weitere Verwandte außerhalb Chinas habe sie nicht. Auf Vorhalt der Richterin, die Beschwerdeführerin habe angegeben, dass sie Verwandte in Italien und Spanien habe, führte sie aus, dass sie keinen Kontakt zu diesen Verwandten habe.

Zu ihrem beruflichen Werdegang gab die Beschwerdeführerin an, in einer Fabrik für Seifenschachteln tätig gewesen zu sein. Auf Vorhalt der Richterin, bislang angegeben zu haben, in einer Schuhfabrik tätig gewesen zu sein, gab sie an, dass dies anschließend gewesen sei, wobei sie über zehn Jahre dort tätig gewesen sei.

Zu ihren Fluchtgründen befragt, führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie sich mit ihrem Mann nicht gut verstanden habe. Er sei sehr neidisch gewesen und habe sie geschlagen. Auf die Frage, worauf er neidisch gewesen sei, erklärte die Beschwerdeführerin, dass er neidisch gewesen sei, wenn sie spät nach Hause gekommen sei oder mit anderen Personen gesprochen habe. Aufgrund der Tatsache, dass sie oft von ihm geschlagen worden sei, habe sie sich ebenfalls im Spital aufhalten müssen. Ihr Ehemann sei sehr launisch gewesen, sodass er entweder „sehr nett“ ihr gegenüber gewesen sei oder sie geschlagen habe. Eine Anzeige bei der Polizei habe sie diesbezüglich nicht erstattet. Auf Vorhalt der Richterin, dass die Beschwerdeführerin beim Bundesamt ausgesagt habe, dass sie sich von ihrem Mann getrennt habe, da er sie ständig bedrängt habe mit ihm zu verkehren, bejahte die Beschwerdeführerin dies und fügte ergänzend hinzu, dass sie dies nicht habe erwähnen wollen, da sie sich dafür schäme. Auf Vorhalt der Richterin, beim Bundesamt habe sie schließlich ebenfalls davon gesprochen, begründete die Beschwerdeführerin dies damit, dass die anwesende Dolmetscherin eine „Chinesin“ sei und sie sich deswegen schäme darüber zu sprechen. Würde es sich hingegen um eine „Ausländerin“ handeln, hätte sie durchaus darüber gesprochen. Auf Vorhalt der Richterin, dass die im Zuge der Befragung beim Bundesamt anwesende Dolmetscherin, ebenfalls eine Chinesin gewesen sei, gab die Beschwerdeführerin lediglich an, dass sie es vergessen habe. Weiters führte die Beschwerdeführerin an, dass ihr Ehemann sie nach der Trennung weiterhin aufgesucht habe, er habe schließlich die Trennung nicht gewollt. Im Falle einer allfälligen Rückkehr in ihren Heimatstaat befürchte die Beschwerdeführerin ihren Ehemann „zu sehen“. Allerdings wäre sie gleichzeitig in der Lage ihre Tochter wiederzusehen.

Zu ihrem Leben in Österreich befragt, brachte die Beschwerdeführerin zusammenfassend vor, derzeit keinen Partner zu haben. Sie habe in Österreich ausschließlich chinesische Freunde. Einer Berufstätigkeit gehe sie nicht nach. Sie habe einer älteren Dame bei der Körperpflege sowie bei Reinigungstätigkeiten geholfen. Weitere freiwillige oder ehrenamtliche Tätigkeiten habe sie bislang nicht ausgeübt. Sie habe bislang weder einen Deutschkurs, noch einen anderen Kurs besucht. Sie nehme derzeit keine Medikamente ein.

Im Anschluss an die mündliche Verhandlung wurden der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin die Länderfeststellungen zur Situation in der VR China (Gesamtaktualisierung am 16.12.2019, letzte Information eingefügt am 16.12.2020) übergeben, wozu dieser eine zweiwöchige Frist zur Abgabe einer Stellungnahme gewährt wurde.

Mit Schriftsatz vom 14.09.2021 wurde eine Stellungnahme zu den Länderberichten eingebracht und dazu zusammenfassend ausgeführt, dass die Länderberichte das Vorbringen der Beschwerdeführerin stützen würden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist chinesische Staatsangehörige, gehört der Volksgruppe der Han an und bekennt sich christlichen Glauben, wobei sie nicht besonders gläubig ist. Sie reiste bereits im Februar 2016 ins Bundesgebiet ein und stellte am 11.07.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Identität der Beschwerdeführerin steht nicht fest. In ihrem Heimatstaat lebte die Beschwerdeführerin hauptsächlich in der Stadt XXXX bzw. im Kreis XXXX . Die Beschwerdeführerin besuchte fünf Jahre lang die Grundschule und ein Jahr die Hauptschule. Danach war sie über zehn Jahre in einer Schuhfabrik tätig. Die Beschwerdeführerin ist geschieden und hat zwei Kinder. In ihrem Heimatland leben ihre Eltern, ihre Tochter sowie ihr Ex-Ehemann. Ihr Sohn lebt derzeit außerhalb der VR China. Sie ist arbeitsfähig, im erwerbsfähigen Alter und beherrscht die Landessprache ihres Herkunftsstaates als Muttersprache.

Die Beschwerdeführerin leidet an Magenschmerzen und Schwindel, allerdings an keiner schweren körperlichen oder psychischen Erkrankung und es besteht auch kein längerfristiger Pflege- oder Rehabilitationsbedarf.

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach sie während der aufrechten Ehe zum täglichen Geschlechtsverkehr genötigt und nach der Scheidung weiterhin von ihrem Ex-Ehemann belästigt worden sei, hat sich als nicht glaubhaft erwiesen.

Die Beschwerdeführerin geht im Bundesgebiet keiner legalen Erwerbstätigkeit nach und bezieht keine staatliche Grundversorgung. Sie hat bislang weder Deutschkenntnisse erworben noch Deutschkurse besucht. Sie verfügt in Österreich über einen Freundeskreis, der nur chinesische Staatsangehörige umfasst. Sie ist nicht Mitglied von Vereinen oder Organisationen und hat im Bundesgebiet weder Familienangehörige noch führt sie ein Familienleben. Daraus ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin weder in sprachlicher, sozialer noch beruflicher Hinsicht integriert ist.

Seit der Antragstellung besteht eine aufrechte durchgehende Meldung der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet. Die Beschwerdeführerin ist im Bundesgebiet strafrechtlich unbescholten.

Zur Situation im Herkunftsstaat:

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation

Gesamtaktualisierung am 16.12.2019, letzte Information eingefügt am 16. 12. 2020

COVID-19

Letzte Änderung: 16.12.2020

Nach bekanntwerden von COVID-19 Fällen im Dezember 2019, wurde von den Behörden trotz eines umfassenden, landesweit ausgebauten Meldesystems für Epidemien die bestehenden Vorfälle verharmlost und vertuscht (TNYT 1.2.2020). Die chinesischen Behörden haben medizinische Fachkräfte, die über das "geheimnisvolle Lungenleiden" informierten, vorgeworfen, Falschinformationen zu verbreiten (DP 4.4.2020).

Wuhan wurde als Ausgangspunkt der Pandemie rund eineinhalb Monate nach der Registrierung des ersten Patienten unter Quarantäne gestellt (DW 12.2.2020), nachdem von staatlicher Seite mehr als 55.000 Infektionsfälle gemeldet wurden (TG 23.4.2020). Später folgten weitere Regionen, in denen – je nach Anzahl der Infektionen – unterschiedlich strenge Maßnahmen durch die Regierung angeordnet wurden. Von den ergangenen drastischen Regelungen waren rund 60 Millionen Menschen betroffen (Addendum 20.3.2020; vgl. ZO 14.4.2020, SF 9.4.2020).

Die Industrieproduktion ging im Januar und Februar um 13,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zurück (ZO 14.4.2020), was den stärksten Einbruch seit 30 Jahren bedeutet (LVAk 5.2020; vgl. ZO 14.4.2020). Mittlerweile meldet China kaum noch neue COVID-19 Fälle (DW 8.5.2020; vgl. FORBES 17.4.2020), doch treten vermehrt "importierte Fälle" auf (FORBES 17.4.2020; vgl. DS 27.3.2020). Verschwiegen wird jedoch in den Staatsmedien stets, dass es sich bei den eingereisten Infizierten bis zu 90 Prozent um Staatsbürger der Volksrepublik China handelt. Ausländer, darunter auch Diplomaten, durften damals nur in Ausnahmefällen ins Land (LVAk 5.2020).

Seit 28.3.2020 besteht ein Einreiseverbot für ausländische Staatsbürger (WKO 10.12.2020). Das chinesische Gesundheitssystem hielt nicht mit der wirtschaftlichen Entwicklung mit. Gemäß aktuellen Vergleichszahlen der OECD sind für 1.000 Einwohner 2,7 Krankenschwestern und -pfleger sowie zwei Ärzte verfügbar. Zwar räumt die Regierung Schwachstellen im zentralisierten Gesundheitswesen ein (HB 19.2.2020), jedoch haben Kritik am Vorgehen der Regierung, wie auch eine kritische Berichterstattung mitunter Verhaftungen wegen der "Verbreitung falscher Gerüchte" zur Folge (RSF 14.4.2020). Der chinesische Präsident Xi Jinping hat sich währenddessen verpflichtet, ein leistungsfähiges öffentliches Gesundheitssystem aufzubauen, das für Chinas Entwicklungsstrategie und nationale Sicherheit von entscheidender Bedeutung ist (SCMP 5.6.2020).

Im März und April 2020 nahmen Fabriken und unterschiedliche Unternehmen, ihre Arbeit wieder auf (LVAk 5.2020). In der Jahresmitte 2020 stellte sich die COVID-19-Gesamtsituation sich landesweit stabil dar, sporadische Fälle traten auf (XN 4.6.2020; vgl. FR 26.5.2020) und es wird von vereinzelten (XN 4.6.2020; vgl. DW 30.5.2020, FR 26.5.2020), vorrangig aus dem Ausland importierten Fällen von Neuinfektionen berichtet (CGTN 8.6.2020; vgl. FR24 1.6.2020, AnA 26.5.2020, TG 23.5.2020). Das seit 28.3.2020 gültige Einreiseverbot für ausländische Staatsbürger nach Festlandchina, auch für solche mit gültiger Aufenthaltsberechtigung ist weiterhin aufrecht (BMEIA 24.11.2020; vgl. MoFA CH 26.3.2020).

Im Ursprungsland des Coronavirus bleiben die Neuinfektionen seit Monaten derart niedrig, dass an den offiziellen Zahlen Zweifel bestehen. Konstant vermelden die chinesischen Behörden zwar neue Infektionen, aber die sind nahezu täglich im niedrigen zweistelligen Bereich. Tauchen doch kleinere Cluster auf, müssen sich alle Bewohner einem Test unterziehen. Zudem werden für einzelne Stadtviertel oder gesamte Städte strikte Ausgangssperren verhängt. Verwunderlich aber ist es dennoch, dass die Zahl der Neuinfektionen so gut wie nie 30 überschreitet (DS 12.10.2020).

Quellen:

?        Addendum (20.3.2020): Chinas Kampf gegen das Coronavirus: Europa, sei gewarnt!
https://www.addendum.org/coronavirus/china-und-das-coronavirus/, Zugriff 15.12.2020

?        AnA – Anadolu Agency (26.5.2020): COVID-19: 7 new cases in China, 19 in South
Korea, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/covid-19-7-new-cases-in-china-19-in-south-korea/1853895, Zugriff 15.12.2020

?        BMEIA – Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten (24.11.2020): China (Volksrepublik China), Aktuelle Hinweise, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/china/, Zugriff 15.12.2020

?        CGTN – China Global Television Network (8.6.2020): Chinese mainland reports 4 new COVID-19 cases, no new deaths, https://news.cgtn.com/news/2020-06-08/Chinese-mainland-reports-4-new-COVID-19-cases-no-new-deaths-R9cUqfA6re/index.html, Zugriff 15.12.2020

?        DP – Die Presse (4.4.2020): Was China vertuscht und die WHO ignoriert hat, https://www.diepresse.com/5795657/was-china-vertuscht-und-die-who-ignoriert-hat, Zugriff 11.12.2020

?        DS – Der Standard (12.10.2020): China, das Reich der rätselhaften Corona-Zahlen, https://www.derstandard.at/story/2000120861503/china-das-reich-der-raetselhaften-corona-zahlen, Zugriff 15.12.2020

?        DS – Der Standard (27.3.2020): China riegelt wegen Corona seine Grenzen ab,
https://www.derstandard.at/story/2000116236843/china-riegelt-wegen-corona-seine-grenzen-ab, Zugriff 15.12.2020

?        DW – Deutsche Welle (30.5.2020): Kaum noch Neuinfektionen: China lockert
Corona-Auflagen, https://www.dw.com/de/kaum-noch-neuinfektionen-china-lockert-corona-auflagen/av-53366246, Zugriff 15.12.2020

?        DW – Deutsche Welle (8.5.2020): Kaum noch Neuinfektionen: China lockert Corona-
Auflagen, https://www.dw.com/de/kaum-noch-neuinfektionen-china-lockert-corona-auflagen/av-53366246, Zugriff 15.12.2020

?        DW – Deutsche Welle (12.2.2020): China setzt auf Massen-Quarantäne gegen Corona-Virus, https://www.dw.com/de/china-setzt-auf-massen-quarant%C3%A4ne-gegen-corona-virus/a-52348053, Zugriff 16.11.2020

?        FORBES (17.4.2020): China Just Admitted Coronavirus Death Toll In Wuhan Was 50%
Higher Than Reported, https://www.forbes.com/sites/isabeltogoh/2020/04/17/china-just-admitted-coronavirus-death-toll-in-wuhan-was-50-higher-than-reported/#15c7d120702f,
Zugriff 15.12.2020

?        FR – Frankfurter Rundschau (26.5.2020): China nach Corona: Stadt will Gesundheit
der Bürger überwachen, https://www.fr.de/panorama/corona-virus-schweden-internationale-lage-russland-lockerungen-infizierte-zr-13754379.html, Zugriff 15.12.2020

?        FR24 – F (1.6.2020): China reports highest number of new Covid-19 cases in nearly
3 weeks, https://www.france24.com/en/20200601-china-reports-highest-number-of-new-covid-19-cases-in-nearly-3-weeks, Zugriff 15.12.2020

?        HB – Handelsblatt (19.2.2020): Coronavirus offenbart gravierende Mängel an Chinas
Gesundheitssystem, https://www.handelsblatt.com/politik/international/krankenversorgung-coronavirus-offenbart-gravierende-maengel-an-chinas-gesundheitssystem/25561166.html?ticket=ST-1039047-CrBiznv23udUClzvzT0p-ap4, Zugriff 15.12.2020

?        LVAk – Landesverteidigungsakademie Hauser, Gunther (5.2020): Chinas Aufstieg zur Globalmacht der Weg einer Regionalmacht zum weltpolitischen Akteur, Seite 167.

?        MoFA Ch – Ministry of Foreign Affairs of the People‘s Republic of China (26.3.2020):
Ministry of Foreign Affairs of the People's Republic of China National Immigration
Administration Announcement on the Temporary Suspension of Entry by Foreign Nationals
Holding Valid Chinese Visas or Residence Permits, https://www.fmprc.gov.cn/mfa_eng/wjbxw/t1761867.shtml?from=groupmessage&isappinstalled=0, Zugriff 15.12.2020

?        RSF – Reporters Sans Frontières (14.4.2020): Whistleblowing doctor missing after
criticizing Beijing's coronavirus censorship, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027934.html,
Zugriff 15.12.2020

?        SCMP – South China Morning Post (5.6.2020): Xi Jinping vows to build strong public health
system to ensure China’s stability, https://www.scmp.com/news/china/politics/article/3087609/xi-jinping-vows-build-strong-public-health-system-ensure-chinas, Zugriff 15.12.2020

?        SF – Sience Focus (9.4.2020): Aggressive Wuhan lockdown ‘halted coronavirus
outbreak’ in China, https://www.sciencefocus.com/news/aggressive-wuhan-lockdown-halted-coronavirus-outbreak-in-china/, Zugriff 15.12.2020

?        TG – The Guardian (23.5.2020): Global report: China records no new Covid-19 cases
for first time as Hertz files for bankruptcy, https://www.theguardian.com/world/2020/may/23/global-report-china-no-new-covid-19-cases-hertz-bankruptcy, Zugriff 15.12.2020

?        TG – The Guardian (23.4.2020): China coronavirus cases may have been four times
official figure, says study, https://www.theguardian.com/world/2020/apr/23/china-coronavirus-cases-might-have-been-four-times-official-figure-says-study, Zugriff 15.12.2020

?        TNYT – The New York Times (1.2.2020): As New Coronavirus Spread, China’s Old Habits Delayed Fight, https://www.bundesheer.at/pdf_pool/publikationen/01_2020_s_iss_hauser_china_1949_2019_kern_ae_final1105webv.pdf, Zugriff 9.12.2020

?        https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/china-update-reisehinweise-quarantaenebestimmungen.html#heading_aktuell_wichtig,

?        WKO – Wirtschaftskammer Österreich (10.12.2020): Coronavirus: Situation in China, Aktuelle Lage und laufende Updates, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/china-update-reisehinweise-quarantaenebestimmungen.html#heading_aktuell_wichtig, Zugriff 15.12.2020

?        XN - XINHUANET (4.6.2020): China stresses targeted COVID-19 containment measures,
developing vaccines and drugs, http://www.xinhuanet.com/english/2020-06/04/c_139114738.htm, Zugriff 15.12.2020

?        ZO – Zeit Online (14.4.2020): Chinas Exporte sinken um 6,6 Prozent, https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-04/coronavirus-china-exporte-rueckgang, Zugriff 15.12.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 17.12.2020

Wegen der Ausbreitung von COVID-19 kommt es in China zu verschärften Einreisekontrollen, Gesundheitsüberprüfungen und seit 28.03.2020 zu einer Einreisesperre für Ausländer (BMEIA 24.11.2020). Die Fallzahlen haben sich in China auf einem niedrigen Niveau stabilisiert (AA 7.12.2020).

Aufgrund einer massiven Präsenz von Sicherheitskräften in besonders gefährdeten Regionen ist eine Wahrscheinlichkeit von Terroranschlägen in China generell niedrig (GW 19.6.2020). Berichten zufolge wurden in den letzten zehn Jahren 170 Millionen Überwachungskameras in Städten und Gemeinden im ganzen Land installiert (DFAT 3.10.2020). Dennoch kann es vereinzelt zu Demonstrationen und Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften kommen. Auch sind in den letzten Jahren in China Anschläge verübt worden (EDA 23.7.2020). Konflikte und mutmaßliche Diskriminierung und Ungleichbehandlung durch die Han-Mehrheitsbevölkerung und die anhaltende harte Linie der lokalen Regierung, können die laufende Problematik der muslimischen Gemeinschaft über die uigurischen Minderheiten hinaus noch verschärfen (GW 17.6.2020).

Zwar gibt es in China noch keine unversöhnlichen ethnischen, sozialen oder religiösen Spaltungen, soziale Unruhen sind allerdings an der Tagesordnung. Auch wenn die meisten Demonstrationen als Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik personell meist gering ausfallen, betreffen sie dennoch existentielle Fragen wie Lohnrückstände, dem Abriss von Häusern und der Umsiedlung oder Enteignung (BS 29.4.2020). Landerwerb ohne volle Einbeziehung der örtlich Betroffenen stößt zunehmend auf Proteste, insbesondere in Guangdong, Fujian, Zhejiang, Jiangsu, Shandong und Sichuan. Proteste wegen der Modalitäten von Zwangsumsiedlungen wie auch Entschädigungsleistungen sind an der Tagesordnung und die Behörden verfolgen einige der Anführer solcher Proteste strafrechtlich. Die Wahrscheinlichkeit von Protesten, vor allem in Form von Demonstrationen und Blockaden, wird in Bezug auf den Bau größerer Infrastrukturprojekte, dem Bergbau, etc. auch weiterhin hoch eingeschätzt. Wesentliche Störungen sind aufgrund einer starken Sicherheitspräsenz unwahrscheinlich (GW 17.6.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, BS 29.4.2020).

China hat anhand der Vorkommnisse der späten 1980er Jahre gelernt, dass soziale Spannungen zu einer ernsthaften Gefährdung des Systems führen können. Infolgedessen wurde ein engmaschiges Kontroll- und Regulierungssystem sowohl in urbanen Kerngebieten als auch in den peripheren Siedlungsgebieten der Minderheiten aufgebaut (LVAk 9.2019). Die staatliche Kontrolle durch eine massive, sichtbare Polizeipräsenz an strategischen Punkten und wichtigen Orten wird aufrechterhalten (BS 29.4.2020). Medienberichten zu Folge haben die chinesische Polizei und die Sicherheitsbehörden 2016 damit begonnen, Fotodatenbanken, künstliche Intelligenz und Überwachungskameras mit Gesichtserkennungstechnologie zu kombinieren, um Verdächtige und "destabilisierende Akteure" in der Gesellschaft aufzuspüren (DFAT 3.10.2020). Berichten zufolge werden auch gewonnene DNA-Proben, Urinproben, Sprachaufzeichnungen, Fingerabdrücke, Fotos und eine Vielzahl von persönlichen Daten von den Sicherheitsbehörden gesammelt (BBC 19.12.2019; vgl. RFA 23.8.2019, HRW 16.5.2017).

Auf der Tagung des Volkskongresses im Mai 2020 kündigte der Ministerpräsident an, dass auch trotz der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie sowie des Handelskonflikts mit den Vereinigten Staaten, der Verteidigungshaushalt im laufenden Jahr abermals deutlich steigen soll. Die Ankündigung erfolgte vor dem Hintergrund der in den vergangenen Jahren gewachsenen Spannungen zwischen China und mehreren Nachbarstaaten sowie die USA wegen der von Peking erhobenen Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer (SN 22.5.2020; vgl. FAZ 21.5.2020, WKO 12.5.2020)

China und Russland:

Die chinesisch-russischen Beziehungen werden aus chinesischer Sicht als eine "stabile strategische Partnerschaft" betrachtet (LVAk 5.2020; vgl. GH 17.2.2016). Diese politische, wirtschaftliche und auch militärische Partnerschaft beruht auf einer nüchternen Einschätzung der jeweiligen nationalen Interessen (CISR 2020; vgl. LVAk 5.2020). Langfristigen Aussichten für die chinesisch-russische Partnerschaft sind ungewiss. Vor dem Hintergrund eines unruhigen internationalen Umfelds stehen China und Russland vor großen Herausforderungen, um die Dynamik ihrer Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten (CISR 2020).

Seit 2003 arbeiten Russland und China eng im UN-Sicherheitsrat zusammen. Um die jeweiligen Positionen zu koordinieren, werden die diplomatische Rahmenstrukturen der BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika)-Gruppe und die SCO (Shanghai Cooperation Organization – SCO), Russland, China, Indien, Kasachstan, Kirgisistan, Pakistan, Tadschikistan und Usbekistan genutzt. Äußerst relevant stellt sich die Sicherheitskooperation innerhalb der SCO dar. Diese widmet sich dem Kampf der "three evil forces", Terrorismus, Separatismus (Taiwan, Tibet und Xinjiang) und Extremismus. In diesen Bereichen soll auch ein Austausch nachrichtendienstlicher Informationen erfolgen und Auslieferungsabkommen exekutiert werden (LVAk 5.2020; vgl. BAMF 2.2020).

China und Indien:

Der südasiatische Subkontinent ist der bedeutendste geopolitische Rivale Chinas in Asien (IPG 15.10.2020). Die Streitigkeiten zwischen China und Indien über den Grenzverlauf im bevölkerungsarmen Himalaya-Gebiet ist seit dem Grenzkrieg von 1962 nicht beigelegt (LVAk 5.2020). China und Indien beanspruchen gegenseitig Geländeabschnitte, wobei es gelegentlich zu gewalttätigen Auseinandersetzungen in diesem Grenzgebieten kommt (LVAk 5.2020; vgl. REUTERS 2.9.2020). Ein "Handgemenge" zwischen indischen und chinesischen Soldaten führte zuletzt am 15. Juni 2020 zum Tod von Soldaten auf beiden Seiten (WSJ 17.6.2020).

China betreibt im Zuge seiner "String of pearls Strategy" (CEFIP 13.8.2019; vgl. FA 9/10 2019) den weiteren Ausbau von Häfen in befreundeten Staaten an der nördlichen Küste des Indischen Ozeans wie Kambodscha, Myanmar, Bangladesch, Sri Lanka, Pakistan, den Malediven und darüber hinaus in Afrika forciert aus und bedroht damit im Zuge der "Belt and Road"-Initiative Einflusssphären Indiens in diesem Raum (DRM 26.8.2019). Die guten Beziehungen zwischen China und Pakistan stellen besonders im Hinblick auf den verbindenden Wirtschaftskorridor und die Unterstützung Chinas der pakistanische Anliegen im Kaschmir ein weiterer Konfliktpunkt zwischen China und Indien dar (SWP 2016; vgl. DRM 26.8.2019).

China und USA:

Die Verschlechterung der Beziehungen zwischen China und den USA sowie eine zunehmend konfrontative diplomatische Sprache und militärische Haltung erhöhen das Risiko unbeabsichtigter Eskalationen in den umstrittenen Regionen (GW 23.8.2020; vgl. DRM 26.8.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (7.12.2020): China: Reise- und Sicherheitshinweise, Aktuelles, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/china-node/chinasicherheit/200466#content_1, Zugriff 11.12.2020

?        BBC – British Broadcasting Corporation (5.12.2019): Chinese residents worry about rise of facial recognition, https://www.bbc.com/news/technology-50674909, Zugriff 11.12.2020

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2.2020): Länderreport 22; China; Situation der Muslime, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025535/laenderreport-22-china.pdf, Zugriff 14.12.2020

?        BMEIA – Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (24.11.2020): China, Aktuelle Hinweise, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/china/, Zugriff 11.12.2020

?        BS – Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): Country Report China, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029406/country_report_2020_CHN.pdf, Zugriff 11.12.2020

?        CEFIP – Carnegie Endowmwnt for International Peace (13.8.2019): New Delhi Remains Washington’s Best Hope in Asia, https://carnegieendowment.org/2019/08/13/new-delhi-remains-washington-s-best-hope-in-asia-pub-79666, Zugriff 11.12.2020

?        DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade (3.10.2019): DFAT Country Information Report China, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019379/country-information-report-china.pdf, Zugriff 11.12.2020

?        DRM – De Re Militaria (26.8.2019): The Chinese String of Pearls or How Beijing is Conquering the Sea, https://drmjournal.org/2019/08/26/the-chinese-string-of-pearls-or-how-beijing-is-conquering-the-sea/, Zugriff 11.12.2020

?        EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (23.7.2020): Reisehinweise für China, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/china/reisehinweise-fuer-china.html, Zugriff 11.12.2020

?        FA – Foreign Affairs (9/10 2019): The India Dividend, New Delhi Remains Washington’s Best Hope in Asia, https://www.foreignaffairs.com/articles/india/2019-08-12/india-dividend?gpp=WlLQHrv60hOMo/LWqt4OfjptV0xxVkgyaFRqSTlDUWN3TFhkQmNUNmRnVDZ2T3g3cjFvOU9Udm4zRTFNKzRDdTZ4bG5wWWdpdlVXTUdkT1JJOjlmMGVkZTNjMTY2NTg0YjBlYjJmODI0MTVkN2Q4MzhlYzFlMmE0MmVlMDhiMGQxZGRlMjA2OGY1ZmU3ZmY2MmU%3D, Zugriff 11.12.2020

?        FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (21.5.2020): China erstmals seit 1990 ohne Wachstumsziel, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/volkskongress-eroeffnet-china-erstmals-seit-1990-ohne-wachstumsziel-16780739.html, Zugriff 11.12.2020

?        GH – Gateway House (17.2.2016): How China Sees Russia, https://www.gatewayhouse.in/how-china-sees-russia/, Zugriff 11.12.2020

?        GW – GardaWorld (23.8.2020): China Country Report, Executiv Summary https://www.garda.com/crisis24/country-reports/china, Zugriff 11.12.2020

?        GW – GardaWorld (19.6.2020): China Country Report, Terrorism, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/china, Zugriff 11.12.2020

?        GW – GardaWorld (17.6.2020): China Country Report, Social Stability, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/china, Zugriff 11.12.2020

?        HRW – Human Rights Watch (16.5.2017): China: Police DNA Database Threatens Privacy, https://www.ecoi.net/de/dokument/1400058.html, Zugriff 11.12.2020

?        IPG – Internationale Politik und Gesellschaft (15.10.2020): Indische Visionen, https://www.ipg-journal.de/regionen/asien/artikel/indien-4712/, Zugriff 11.12.2020

?        LVAk – Landesverteidigungsakademie (5.2020): Hauser, Gunther (5.2020): Chinas Aufstieg zur Globalmacht der Weg einer Regionalmacht zum weltpolitischen Akteur, Seite 101 - 108, 109 - 112.

?        LVAk – Landesverteidigungsakademie (9.2019): Buchas, Peter/Feichtinger, Walter/Vogl, Doris (Hg.): Chinas Grand Strategy im Wandel, Militärwissenschaftliche Publikationsreihe der Landesverteidigungsakademie, 1.2019, S.228

?        REUTERS (2.9.2020): Grenzkonflikt zwischen Indien und China flammt wieder auf, https://de.reuters.com/article/indien-china-grenzkonflikt-idDEKBN25Z181, Zugriff 11.12.2020

?        RFA – Radio Free Asia (23.8.2019): China Gears up to Collect Citizens' DNA Nationwide, https://www.rfa.org/english/news/china/collect-08232019115209.html, Zugriff 11.12.2020

?        SN – Salzburger Nachrichten (22.5.2020): Chinas Volkskongress eröffnet - Hongkong und Corona im Fokus, https://www.sn.at/politik/weltpolitik/chinas-volkskongress-eroeffnet-hongkong-und-corona-im-fokus-87870631, Zugriff 11.12.2020

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (2016): Wagner, C.: Die Auswirkungen des China-Pakistan Economic Corridor (CPEC). Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, https://nbnresolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-46698-5, Zugriff 11.12.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - China, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026349.html, Zugriff 11.12.2020

?        WSJ – Wall Street Journal (17.6.2020): The China-India Clash, https://www.wsj.com/articles/the-china-india-clash-11592435121, Zugriff 11.12.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 17.12.2020

Die Führung unternimmt Schritte, das Rechtssystem auszubauen (AA 1.12.2020). Auf der Plenartagung des Zentralausschusses der KPCh im Oktober 2019 wurde die Notwendigkeit betont, die Macht der KPCh zu festigen und ihre Kontrolle über alle Ebenen der chinesischen Gesellschaft auszuweiten (FH 4.3.2020). Gewaltenteilung und Mehrparteiendemokratie werden abgelehnt (DP 27.6.2019). Im März 2018 wurden neue Kontroll- und Ausgleichsmechanismen in die Verfassung aufgenommen, um die Umsetzung zentraler Richtlinien und Vorschriften durchzusetzen. Die Zentralregierung verlässt sich zunehmend auf große Datenmengen, die sie zur Überwachung und Kontrolle der Umsetzung der Reformpolitik auf den verschiedenen Verwaltungsebenen einsetzt. Eine unabhängige Strafjustiz existiert in China nicht. Strafrichter und Staatsanwälte unterliegen der politischen Kontrolle von staatlichen Stellen und Parteigremien (AA 12.2020; vgl. FH 4.3.2020). Die Kontrolle der Gerichte durch politische Institutionen ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip (ÖB 10.2020). Die KP dominiert das Rechtssystem auf allen Ebenen und erlaubt Parteifunktionären, Urteile und Verurteilungen zu beeinflussen (FH 4.3.2020; vgl. AI 30.1.2020). Während Bürger in nicht-politischen Fällen ein gewisses Maß an fairer Entscheidung erwarten können, unterliegen solche, die politisch sensible Fragen oder die Interessen mächtiger Gruppen berühren, den politisch-juristischen Ausschüssen (FH 4.3.2020). Seit dem vierten Jahresplenum des 18. Zentralkomitees 2014 betont die Führung die Rolle des Rechts und ergriff Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität gerichtlicher Verfahren und zum Aufbau eines "sozialistisches Rechtssystem chinesischer Prägung" unter dem Motto "den Gesetzen entsprechend das Land regieren". Echte Rechtsstaatlichkeit im Sinne der Achtung des Legalitätsprinzips in der Verwaltung und der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit wird dabei aber dezidiert abgelehnt. Das in den Beschlüssen reflektierte Verständnis von Recht soll die Macht des Staates, d.h. der Kommunistischen Partei (KP), keinesfalls einschränken, sondern vielmehr stärken (ÖB 10.2020; vgl. AA 1.12.2020).

Die Richterernennung erfolgt auf Provinzebene durch Rechtskomitees, welchen hochrangige Partei-Funktionäre angehören und welche von einem KP-Inspektorat überwacht werden. Richter sind verpflichtet, über Einflussnahme seitens lokaler Politiker auf Verfahren Bericht zu erstatten. Es ist für Richter schwierig, zwischen "Unabhängigkeit" von lokalen politischen Einflüssen, und Loyalität zur KP-Linie (welche regelmäßig miteinander und mit einflussreichen Wirtschafts- und Privatinteressen verbunden sind) zu navigieren. Trotz laufender Reformbemühungen gibt es – vor allem auf unterer Gerichtsebene – noch immer einen Mangel an gut ausgebildeten Richtern (ÖB 10.2020).

Ein umfassender Regelungsrahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene soll "Fehlverhalten" von Justizbeamten und Staatsanwälten in juristischen Prozessen unterbinden (AA 1.12.2020).

Das umstrittene System der „Umerziehung durch Arbeit“ („laojiao“) wurde Ende 2013 offiziell abgeschafft. Missbräuchliche Einweisungen politisch missliebiger Personen (vor allem Petitionäre oder Dissidenten) in psychiatrische Anstalten aber auch willkürliche Festsetzungen in sogenannten schwarzen Gefängnissen („black jails“ bzw. „legal education center“) ohne faires Gerichtsverfahren oder aufgrund falscher oder gefälschter medizinischer Gutachten kommen weiterhin vor (AA 1.12.2020).

Mit der letzten großen Novellierung 2013 sieht die Strafprozessordnung genaue Regeln für Festnahmen vor, führt die "Hochachtung und der Schutz der Menschenrechte" an und verbietet Folter und Bedrohung bzw. Anwendung anderer illegaler Methoden zur Beweisermittlung. Es besteht jedoch eine teilweise erhebliche Divergenz zwischen den Rechtsvorschriften und deren Umsetzung, und werden diese zum Zwecke der Unterdrückung von politisch unliebsamen Personen instrumentalisiert. Laut Strafprozessordnung müssen auch im Falle einer Festnahme wegen Terrorismus, der Gefährdung der Staatssicherheit oder der schwerwiegenden Korruption die Angehörigen von in Untersuchungshaft befindlichen Personen innerhalb von 24 Stunden über die erfolgte Festnahme informiert werden. Es müssen von den Behörden jedoch keine Angaben zum Grund der Festnahme oder über den Aufenthaltsort der festgenommenen Person gegeben werden. Da Verdächtige sich formell in Untersuchungshaft befinden, muss der Ort der Festhaltung laut Gesetz auch in diesen Fällen eine offizielle Einrichtung sein (ÖB 10.2020). Das Strafprozessgesetz sieht zudem vor, dass Verdächtige, die die staatliche Sicherheit gefährden, an einem "designierten Ort" bis zu sechs Monate unter "Hausarrest" gestellt werden können (ÖB 10.2020).

Im Zusammenhang mit verwaltungsstrafrechtlich bewehrten rechtswidrigen Handlungen kann die Polizei zudem "Verwaltungsstrafen" verhängen. Diese Strafen reichen von Ermahnungen über Geldbußen bis hin zu einer "Verwaltungshaft" (ohne richterliche Entscheidung) von bis zu 15 Tagen. Der Aufenthalt in den offiziell nicht existenten "schwarzen Gefängnissen" kann zwischen wenigen Tagen und in einigen Fällen langjährigen Haftaufenthalten variieren (AA 1.12.2020).

Das 2019 erneut revidierte Strafverfahrensgesetz verbessert dem Wortlaut nach die Stellung des Beschuldigten/Angeklagten und des Verteidigers im Ermittlungs- und Strafprozess. Die Umsetzung steht aber in jedem Fall unter dem politischen Eingriffsvorbehalt der jeweiligen Parteiorgane, die fester integrierter Bestandteil auch bei den Strafgerichten sind (AA 1.12.2020).

Seit 2014 wurden schrittweise Reformen zur Verbesserung der Justizleistung unter Wahrung der Parteivormachtstellung durchgeführt. Die Änderungen konzentrierten sich auf die Erhöhung der Transparenz, Professionalität und Autonomie gegenüber den lokalen Behörden (FH 4.3.2020).

Das chinesische Strafgesetz hat die früher festgeschriebenen "konterrevolutionären Straftaten" abgeschafft und im Wesentlichen durch "Straftaten, welche die Sicherheit des Staates gefährden" (Art. 102-114 chin. StGB) ersetzt. Gerade dieser Teil des Strafgesetzes fällt durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe auf (AA 1.12.2020). Der Handlungsraum für Menschenrechtsanwälte zur Ausübung ihrer Tätigkeit wird immer weiter eingeschränkt. Menschenrechtsanwälte sind behördlicher Überwachung, Belästigungen, Einschüchterungen und Inhaftierungen ausgesetzt (AI 30.1.2020). Prozesse, bei denen die Anklage auf Terrorismus oder "Verrat von Staatsgeheimnissen" lautet, werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Was ein Staatsgeheimnis ist, kann nach chinesischer Gesetzeslage auch rückwirkend festgelegt werden. Angeklagte werden in diesen Prozessen weiterhin in erheblichem Umfang in der Wahrnehmung ihrer Rechte beschränkt. Unter anderem wird dem Beschuldigten meist nicht erlaubt, Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen; nur in seltenen Ausnahmefällen wird vom Gericht überhaupt eine Verteidigung bestellt (AA 1.12.2020).

Das mehrjährige harte Vorgehen gegen Menschenrechtsanwälte hat den Zugang der Angeklagten zu unabhängigem Rechtsbeistand geschwächt (FH 4.3.2020). Anwälten und Mitarbeitern von Kanzleien und Aktivisten droht bei öffentlicher Kritik am System Festnahme und Haft (AI 1.10.2019; vgl. ZO 29.1.2019, DP 19.1.2018). Von schikanösen Maßnahmen können auch Familienangehörige betroffen sein (AI 1.10.2019; vgl. TT 29.3.2016).

Seit der offiziellen Abschaffung des Systems der "Umerziehung durch Arbeit" werden Menschenrechtsaktivisten nicht mehr in administrativer Haft angehalten, sondern systematisch auf Basis von Strafrechtstatbeständen wie Staatsgefährdung, Separatismus, Volksverhetzung, oder gemeiner Vergehen oder Verbrechen verurteilt, womit der Anschein der Rechtsstaatlichkeit erweckt werden soll. Aufgrund der vagen Tatbestände, des Zusammenhalts der einzelnen Institutionen und des Mangels an unabhängiger engagierter anwaltlicher Vertretung, kann ein strafrechtlich relevanter Sachverhalt relativ leicht "geschaffen" werden (ÖB 10.2020). Eine neue Form der außergerichtlichen Inhaftierung für Ziele von Antikorruptions- und offiziellen Fehlverhaltensuntersuchungen, die als „Liuzhi“ bekannt ist, wurde 2018 zusammen mit der Einrichtung der National Supervisory Commission (NSR) eingeführt. Einzelpersonen können unter Anwendung dieser Maßnahmen bis zu sechs Monate lang ohne Zugang zu Rechtsbeistand inhaftiert werden (FH 4.3.2020).

Wegen der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz wählen viele Betroffene von Behördenwillkür den Weg der Petition bei einer übergeordneten Behörde (z.B. Provinz- oder Zentralregierung). Petitionen von Bürgerinnen und Bürgern gegen Rechtsbrüche lokaler Kader in den Provinzen nehmen seit einigen Jahren ab. Petitionäre, die Vergehen von lokalen Behörden und Kadern anzeigen wollen, werden häufig von angeheuerten Schlägertrupps aufgegriffen und ohne Kontakt zur Außenwelt in Gefängnissen festgehalten. Diese Art des Verschwindenlassens ist eine weit verbreitete, von der Regierung aber stets verleugnete Methode, um unliebsame Personen aus dem Verkehr zu ziehen (AA 1.12.2020; vgl. ÖB 10.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (1.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041768/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_China_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_01.12.2020.pdf, Zugriff 16.12.2020

?        AI – Amnesty International (30.1.2020): Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 - China, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023866.html, Zugriff 10.12.2020

?        AI – Amnesty International (1.10.2019): Sippenhaft in China, https://www.amnesty.de/informieren/aktuell/china-sippenhaft-china, Zugriff 10.12.2020

?        DP – Die Presse (27.6.2019): Chinesische Höchstrichterin: „Gewaltentrennung ist für China ungeeignet“, https://www.diepresse.com/5650654/chinesische-hochstrichterin-bdquogewaltentrennung-ist-fur-china-ungeeignetldquo, Zugriff 10.12.2020

?        DP – Die Presse (19.1.2018): Haft für Anwalt: China setzt Verfolgungswelle gegen Kritiker fort, https://www.diepresse.com/5356720/haft-fur-anwalt-china-setzt-verfolgungswelle-gegen-kritiker-fort, Zugriff 10.12.2020

?        FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - China, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025907.html, Zugriff 10.12.2020

?        ÖB Peking (10.2020): Asylländerbericht Volksrepublik China

?        TAZ – Die Tageszeitung (29.3.2016): Peking setzt auf Sippenhaft, https://taz.de/Neue-Stufe-der-Repression-in-China/!5291032/, Zugriff 20.11.2019

?        ZO – Zeit Online (29.1.2019): Bürgerrechtsanwalt zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-01/tianjin-buergerrechtsanwalt-china-viereinhalb-jahre-haft, Zugriff 10.12.2020

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 17.12.2020

Zivile Behörden haben die Kontrolle über die Militär- und Sicherheitskräfte (USDOS 11.3.2020). Xi Jinping, Präsident und Vorsitzender der Kommunistischen Partei Chinas, ist Oberkommandierender der Streitkräfte, welche seit 1997 direkt der Kommunistischen Partei Chinas unterstellt sind (GX 10.11.2019). Die Ausgaben für die innere Sicherheit sind in allen Provinzen und Regionen im Zeitraum von 2007 bis 2016 um 215 Prozent angestiegen und erhöhten sich 2018 insbesondere in sensiblen Minderheitenregionen wie Xinjiang und Tibet weiter (DFAT 3.10.2019).

Sicherheitsbehörden sind das Ministerium für Staatssicherheit, das Ministerium für Öffentliche Sicherheit und die Bewaffnete Volkspolizei (BVP) der Volksbefreiungsarmee. Das Ministerium für Staatssicherheit soll vor Staatsfeinden, Spionen und konterrevolutionären Aktivitäten zur Sabotage oder dem Sturz des chinesischen sozialistischen Systems schützen. In die Zuständigkeit dieses Ministeriums fallen auch der Inlands- und Auslandsgeheimdienst. Darüber hinaus beschäftigen zahlreiche lokale Kader u.a. entlassene Militärangehörige in paramilitärischen Schlägertrupps. Diese Banden gehen häufig bei Zwangsaussiedlung im Zuge von Immobilienspekulation durchaus auch im Zusammenspiel mit der BVP gegen Zivilisten vor. Die Zuständigkeiten des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit sind die innere Sicherheit, Wirtschaft und Kommunikationssicherheit, neben der Verantwortung für Polizeieinsätze und Gefängnisverwaltung. Die Organisationseinheit auf niedrigster Ebene sind die lokalen Polizeikommissariate, die für den alltäglichen Umgang mit der Bevölkerung verantwortlich sind und die Aufgaben von Polizeistationen erfüllen (ÖB 10.2020).

Im Juni 2017 wurde mit dem Aufklärungsgesetz ("Intelligence Law" 2017; geändert 2018), durch das Ständige Komitee des Nationalen Volkskongresses Chinas ein neues Gesetz erlassen, welches über die staatlichen Sicherheitsbehörden hinaus jedes einzelne Mitglied der chinesischen Gesellschaft aufruft, zur nationalen Aufklärungsarbeit beizutragen und nachrichtendienstlich relevante Informationen über Dritte, die an Aktivitäten beteiligt sind, welche der nationalen Sicherheit Chinas oder seinen Interessen schaden können, an die Behörden weiterzugeben (DFAT 3.10.2019). Darüber hinaus besteht ein enges Netz an lokalen Partei-Büros welche mittels freiwilliger „Blockwarte“ die Bewegungen der Bewohner einzelner Viertel überwachen und mit der Polizei zusammenarbeiten (ÖB 10.2020).

Die Behörde für Staatssicherheit kann seit Mitte April 2017 Beträge zwischen 10.000 und 500.000 Yuan (etwa 68.000 Euro) für nützliche Hinweise an Informanten auszahlen, welche durch ihre Mitarbeit bei der Enttarnung von ausländischen Spionen helfen. Informationen können über eine speziell eingerichtete Hotline, Briefe oder bei einem persönlichen Besuch bei der Behörde gegeben werden. So sich die Hinweise als zweckdienlichen herausstellen, soll der Informant das Geld erhalten (FAZ 11.4.2017).

Quellen:

?        DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade (3.10.2019): DFAT Country Information Report China, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019379/country-information-report-china.pdf, Zugriff 10.12.2020

?        GX – German Xinhuan (10.11.2019): Xi nimmt an Sitzung der ZMK zur militärischen Entwicklung auf der Primarstufe teil, http://german.xinhuanet.com/2019-11/11/c_138545144.htm, Zugriff 10.12.2020

?        FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (11.4.2017): Peking belohnt Bürger für Enttarnung ausländischer Spione, http://www.faz.net/aktuell/politik/china-bezahlt-buerger-fuer-enttarnung-auslaendischer-spione-14967307.html, Zugriff 10.12.2020

?        ÖB Peking (10.2020): Asylländerbericht Volksrepublik China

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - China, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026349.html, Zugriff 10.12.2020

Folter und unmenschliche Behandl

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten