TE Bvwg Erkenntnis 2021/12/22 W205 2245931-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.12.2021
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Entscheidungsdatum

22.12.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §33 Abs1

Spruch


W205 2245931-3/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. SCHNIZER-BLASCHKA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.10.2021, Zl. 307812205-210609425, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 33 Absatz 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid des BFA vom 28.05.2021 wurde dem Beschwerdeführer I. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt; II. gegen ihn gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen; III. gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig ist; IV. gegen ihn gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von 7 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen; V. gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt; sowie VI. einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Der Bescheid enthält eine Rechtsmittelbelehrung sowohl in deutscher Sprache als auch in der Muttersprache des Beschwerdeführers, diese weist ua. auf die Beschwerdefrist von vier Wochen hin (AS 67-71).

Ferner erhielt der Beschwerdeführer, wiederum auf Deutsch sowie in seiner Muttersprache, eine „Information – Rechtsberatung“ vom selben Tag, in der insbesondere festgehalten wird, dass ihm die angeführte Organisation (BBU GmbH) als Rechtsberater amtswegig „zur Seite gestellt“ werde. Er habe die Möglichkeit, sich durch den Rechtsberater im Beschwerdeverfahren vertreten zu lassen. Für eine allfällige Beschwerdeerhebung solle er sich aufgrund der laufenden Rechtsmittelfrist unverzüglich mit seinem Rechtsberater in Verbindung setzen. Ein Ersuchen auf Vertretung sei ebenfalls an den Rechtsberater zu richten.

2. Dieser Bescheid sowie die Verfahrensanordnung betreffend die Rechtsberatung wurden laut eh. unterfertigter Übernahmebestätigung am 31.05.2021 vom Beschwerdeführer persönlich übernommen (AS 95).

3. Der Beschwerdeführer erhob durch seinen Rechtsvertreter (BBU GmbH) mit Schriftsatz vom 26.08.2021 Beschwerde und brachte unter einem einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist ein.

Darin führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, dass ihm der angefochtene Bescheid am 31.05.2021 persönlich in eine Justizanstalt zugestellt worden sei und er sich innerhalb offener Rechtsmittelfrist an den Sozialen Dienst mit dem Ersuchen um Kontaktaufnahme mit einer Rechtsberatung und Unterstützung bei der Verfassung des Rechtsmittels gewandt habe. Ihm sei mitgeteilt worden, dass ihm die BBU GmbH als Rechtsberatung zur Seite gestellt worden sei und ihn innerhalb offener Frist aufsuchen werde. Er solle sich gedulden. Im Zuge seiner letzten Intervention um Rechtsberatung habe er die Auskunft erhalten, die Rechtsberatung würde umgehend verständigt. Diese Verständigung fand am selben Tag, dem 01.07.2021, somit nach Ablauf der Beschwerdefrist, statt. Mit Verfahrensanordnung vom 28.05.2021 sei die BBU GmbH seitens der Behörde als unabhängige Rechtsberatung bestellt worden. Der Beschwerdeführer habe aus Eigenem keinen Kontakt zu seiner Rechtsberatung herstellen können. Nur aufgrund des Versäumnisses der Mitarbeiter der BBU GmbH habe der Beschwerdeführer das Rechtsmittel nicht rechtzeitig verfassen können.

4. Die beim BFA mit diesem Schriftsatz eingebrachte Beschwerde samt Wiedereinsetzungsantrag wurde dem Bundesverwaltungsgericht samt Verwaltungsakt – ohne dass über den Wiedereinsetzungsantrag abgesprochen worden wäre – vom BFA mit Schreiben vom 30.08.2021vorgelegt und ist hg. am 01.09.2021 eingelangt.

5. Mit Schreiben vom 30.08.2021 teilte das BFA dem Beschwerdeführer mit, dass die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt wurde.

6. Mit hg. Beschluss vom 08.09.2021 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid vom 28.05.2021 gemäß § 7 Abs. 4 erster Satz VwGVG als verspätet zurückgewiesen. Begründend wurde insbesondere ausgeführt, dass die Frage der Verspätung eines Rechtsmittels unabhängig von einem bloß anhängigen, aber noch nicht entschiedenen Wiedereinsetzungsantrag zu entscheiden und die Beschwerde daher zurückzuweisen sei. Das BFA sei für die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag zuständig, weil der Antrag vor Beschwerdevorlage (und Mitteilung darüber) gestellt worden sei.

7. Das BFA ersuchte den sozialen Dienst der JA, in welcher sich der Beschwerdeführer befand, um Stellungnahme zu dem im Wiedereinsetzungsantrag dargelegten Sachverhalt. In dem daraufhin übermittelten Schreiben wurde der von der BBU GmbH beschriebene Sachverhalt „prinzipiell bestätigt“, jedoch sei der Beschwerdeführer erst am 30.06.2021 mit dem Bescheid an den Mitarbeiter des Sozialen Dienstes herangetreten und habe um Rechtsberatung ersucht. Daraufhin sei am 01.07.2021 die BBU GmbH per Mail von der gewünschten Beschwerdeerhebung und dem Ersuchen um Rechtsberatung verständigt worden. Sobald ein Insasse unter Vorlage des BFA-Bescheides an den Sozialen Dienst herantrete und um Rechtsberatung ersuche, werde die BBU GmbH per Mail kontaktiert und in weiterer Folge ein Besuchstermin vereinbart, um mit dem Insassen in Kontakt zu treten.

8. Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid wies das BFA den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 26.08.2021 gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ab. Zusammenfassend wurde ausgeführt, dass es nicht als Mangel angesehen werden könne, dass die BBU GmbH nicht gewusst habe, in welcher Justizanstalt sich der Beschwerdeführer befunden habe. Die „Verfahrenshilfe“ bezwecke nicht, dass die BBU GmbH selbständig Kontakt mit dem Insassen aufnehme, sondern nur wenn dies auch von der Partei gewünscht werde. Durch den Sozialen Dienst der Justizanstalt werde widerlegt, dass der Beschwerdeführer innerhalb offener Rechtsmittelfrist an diesen herangetreten sei und dieser dem Beschwerdeführer gesagt habe, er solle sich gedulden. Die im Bescheid auch in der Sprache des Beschwerdeführers enthaltene Rechtsmittelbelehrung informiere über die 4-wöchige Rechtsmittelfrist. Es habe daher nicht glaubhaft gemacht werden können, dass der Beschwerdeführer durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis diese Frist versäumt habe.

9. Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 19.11.2021 fristgerecht Beschwerde. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, die belangte Behörde habe ausschließlich der Stellungnahme des Sozialen Dienstes Glauben geschenkt. Der Beschwerdeführer habe allerdings auch während der offenen Rechtsmittelfrist informell mit dem Sozialen Dienst gesprochen und sei davon ausgegangen, dass ihm die BBU GmbH als Rechtsberatung zur Seite gestellt werde und ihn die zuständige Rechtsberaterin von sich aus aufsuchen werde. Üblicherweise werde der Betroffene innerhalb von 2 bis 3 Wochen ab Erhalt der Verfahrensanordnung von einer Rechtsberaterin der BBU GmbH besucht und habe der soziale Dienst bzw. der Beschwerdeführer auch in diesem Fall von so einer Vorgehensweise ausgehen müssen. Erst nach Ablauf der Frist, habe der Beschwerdeführer aktiv eine Rechtsberatung gefordert. Die belangte Behörde habe unterlassen, die Rechtsberatung bzw. den Beschwerdeführer zu befragen, weshalb es zu einer falschen Beweiswürdigung bzw. rechtlichen Beurteilung gekommen sei. Die unterbliebene Rechtsberatung stelle jedenfalls ein unabwendbares und unvorhersehbares Ereignis dar, woran den Beschwerdeführer kein Verschulden treffe. Ohne Unterstützung der BBU GmbH wäre es ihm nicht möglich gewesen, eine Beschwerde einzubringen. Ferner wurde der Beschwerdeführer, eine Rechtsberaterin der BBU GmbH und ein Mitarbeiter des Sozialen Dienstes als Zeugen beantragt.

10. Am 24.11.2021 langte die Beschwerdevorlage beim BVwG ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer befindet sich seit 08.09.2020 in Haft.

Der Bescheid des BFA vom 28.05.2021, Zl. 307812205-210609425, wurde am 31.05.2021 vom Beschwerdeführer persönlich übernommen (AS 95).

In der Rechtsmittelbelehrung dieses Bescheides, die auch in die Muttersprache des Beschwerdeführers übersetzt war, wurde auf eine vierwöchige Rechtsmittelfrist verwiesen. Ferner erhielt der Beschwerdeführer gemeinsam mit diesem Bescheid folgendes, ebenfalls in die Muttersprache des Beschwerdeführers übersetztes, Schreiben:

„INFORMATION – RECHTSBERATUNG

gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG

Für ein etwaiges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wird Ihnen die untenstehende Organisation als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt. Sie haben zudem die Möglichkeit, sich durch den Rechtsberater im Beschwerdeverfahren, einschließlich einer mündlichen Verhandlung, vertreten zu lassen. Für eine allfällige Beschwerdeerhebung (gegen alle oder einzelne Spruchpunkte, in denen Sie nicht Recht bekommen haben) setzen Sie sich bitte aufgrund der laufenden Rechtsmittelfrist unverzüglich mit Ihrem Rechtsberater in Verbindung. Ein Ersuchen auf Vertretung ist ebenfalls an den Rechtsberater zu richten.

[…]

Organisation:

[…]

Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH – BBU

XXXX

Tel Nr.: XXXX

E-Mail: XXXX

[…]“

Die Beschwerde samt Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurden mit Email vom 26.08.2021 versendet und langte am selben Tag bei der belangten Behörde ein.

Es kann nicht festgestellt werden, dass Umstände vorliegen, die den Beschwerdeführer im Laufe der Rechtsmittelfrist - zwischen Zustellung des Bescheides und Ablauf der vierwöchigen Frist – an der Einbringung der Beschwerde gehindert hätten bzw. er Maßnahmen zur Einbringung der Beschwerde gesetzt hätte.

2. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und dem Vorbringen des Beschwerdeführers. Der Zustellzeitpunkt des Bescheides vom 28.05.2021 ist unstrittig.

Aus dem eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers in Verbindung mit der Stellungnahme des Mitarbeiters des Sozialen Diensten, ergab sich, dass das Vorliegen konkreter, die rechtzeitige Einbringung des Rechtsmittels hindernde Umstände nicht festgestellt werden konnte:

Entsprechend der Stellungnahme des Sozialen Dienstes trat der Beschwerdeführer erst am 30.06.2021 – somit nach Ablauf der Rechtmittelfrist am 28.06.2021 – mit dem Bescheid an den Mitarbeiter heran und ersuchte um eine Rechtsberatung. Das wurde auch in der Beschwerde nicht bestritten. Vielmehr wird darin selbst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist mit dem Bescheid an den Sozialen Dienst herangetreten sei und „aktiv“ eine Rechtsberatung gefordert habe. Soweit in der Beschwerde weiters behauptet wird, der Beschwerdeführer habe bereits davor „informell“ mit dem Sozialen Dienst gesprochen, geht aus der Beschwerde nicht hervor, welchen Inhalt diese Gespräche gehabt hätten. Die Behauptung im Wiedereinsetzungsantrag, dass dem Beschwerdeführer vom Sozialen Dienst mitgeteilt worden sei, er werde aufgesucht und solle sich gedulden, wurde im angefochtenen Bescheid – wenn auch disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung – angesichts der Ausführungen des Sozialen Dienstes, wonach um Rechtsberatung ersucht werde, sobald sich ein Insasse an diesen wende, im Ergebnis als unglaubhaft gewertet. Dieser Argumentation wurde in der Beschwerde nicht substantiiert entgegengetreten, sondern bloß pauschal behauptet, dass der Beschwerdeführer davon ausgegangen sei, die zuständige Rechtsberaterin werde ihn von sich aus aufsuchen. Weiter wurde nur allgemein vorgebracht, dass „üblicherweise“ die Betroffenen innerhalb von 2 bis 3 Wochen ab Erhalt der Verfahrensanordnung von einer Rechtsberaterin bin der Justizanstalt besucht würden. Dass dies auch ohne eine vorherige Kontaktaufnahme der Insassen erfolge, wurde in der Beschwerde allerdings nicht mehr behauptet. Angesichts des klaren Wortlauts in der Verfahrensanordnung betreffend die Rechtsberatung, hätte der Beschwerdeführer jedoch jedenfalls nicht darauf vertrauen dürfen, dass er von der BBU GmbH ohne eigenes Zutun aufgesucht werde. Zudem musste ihm aufgrund der im Bescheid enthaltenen Rechtsmittelbelehrung die 4-wöchige Beschwerdefrist bekannt sein. Es wäre ihm daher jedenfalls zumutbar und angesichts des Wortlauts in der Verfahrensanordnung vom Beschwerdeführer auch zu erwarten gewesen, noch innerhalb dieser Frist – und nicht erst am zweiten Tag nach Eintritt der Rechtskraft – mit dem Bescheid an den Sozialen Dienst heranzutreten und eine Rechtsberatung „aktiv“ einzufordern. Zudem wäre es dem Beschwerdeführer auch in der Haft möglich gewesen, eigenständig Kontakt mit einer Rechtsberatung aufzunehmen (vgl. §§ 86 ff. StVG). Es sind somit keine konkreten Hinderungsgründe für die Einbringung eines Rechtsmittels ersichtlich (s. dazu näher die rechtliche Beurteilung).

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchpunkt A)

§ 33 VwGVG lautet:

„Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

§ 33. (1) Wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis – so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat – eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

(2) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung eines Vorlageantrags ist auch dann zu bewilligen, wenn die Frist versäumt wurde, weil die anzufechtende Beschwerdevorentscheidung fälschlich ein Rechtsmittel eingeräumt und die Partei das Rechtsmittel ergriffen hat oder die Beschwerdevorentscheidung keine Belehrung zur Stellung eines Vorlageantrags, keine Frist zur Stellung eines Vorlageantrags oder die Angabe enthält, dass kein Rechtsmittel zulässig sei.

(3) Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist in den Fällen des Abs. 1 bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen. In den Fällen des Abs. 2 ist der Antrag binnen zwei Wochen

1. nach Zustellung eines Bescheides oder einer gerichtlichen Entscheidung, der bzw. die das Rechtsmittel als unzulässig zurückgewiesen hat, bzw.

2. nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Stellung eines Antrags auf Vorlage Kenntnis erlangt hat,

bei der Behörde zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.

(4) Bis zur Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag die Behörde mit Bescheid zu entscheiden. § 15 Abs. 3 ist sinngemäß anzuwenden. Ab Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden. Die Behörde oder das Verwaltungsgericht kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung die aufschiebende Wirkung zuerkennen.

(4a) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrags auf Ausfertigung einer Entscheidung gemäß § 29 Abs. 4 ist auch dann zu bewilligen, wenn die Frist versäumt wurde, weil auf das Erfordernis eines solchen Antrags als Voraussetzung für die Erhebung einer Revision beim Verwaltungsgerichtshof und einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof nicht hingewiesen wurde oder dabei die zur Verfügung stehende Frist nicht angeführt war. Der Antrag ist binnen zwei Wochen

1. nach Zustellung einer Entscheidung, die einen Antrag auf Ausfertigung der Entscheidung gemäß § 29 Abs. 4, eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof oder eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof als unzulässig zurückgewiesen hat, bzw.

2. nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit eines Antrags auf Ausfertigung der Entscheidung gemäß § 29 Abs. 4 Kenntnis erlangt hat,

beim Verwaltungsgericht zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen. Über den Antrag entscheidet das Verwaltungsgericht.

(5) Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.

(6) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags findet keine Wiedereinsetzung statt.“

Nach § 7 Abs. 4 erster Satz VwGVG beträgt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Behörde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG vier Wochen.

Gemäß § 32 Abs. 2 AVG enden nach Wochen Monaten oder Jahren bestimmte Fristen mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, der durch seine Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hat. Wie festgestellt, wurde der Bescheid des BFA vom 28.05.2021 dem Beschwerdeführer am Montag dem 31.05.2021 persönlich ausgehändigt, die Beschwerdefrist endete dementsprechend mit Ablauf des Montags, dem 28.06.2021. Die erst am 26.08.2021 erhobene Beschwerde erweist sich daher als verspätet, weswegen eine tatsächliche Fristversäumnis, ohne die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von vorherein nicht in Betracht käme (aus der stRsp zB VwSlg 19502 A/2016 RS 2), im Beschwerdefall vorliegt.

Voraussetzung für die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist allerdings das Vorliegen eines tauglichen Wiedereinsetzungsgrundes. Ein solcher ist gegeben, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie daran kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft. Als Ereignis im Sinne des § 33 VwGVG ist jedes Geschehen ohne jede Beschränkung auf Vorgänge in der Außenwelt anzusehen. Gehindert wird eine Person ebenso durch eine alltägliche Erkrankung wie durch eine Naturkatastrophe, durch eine eigene menschliche Unzulänglichkeit ebenso wie durch Gewalteinwendungen von außen. Unvorhergesehen ist aber ein Ereignis dann, wenn die Partei es tatsächlich nicht einberechnet hat und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme von zumutbarer Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte (vgl. VwGH 26.08.1998, 96/09/0093).

Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Ereignis unabwendbar ist, kommt es nach der Rechtsprechung auf objektive Umstände an; nämlich darauf, ob das Ereignis auch von einem Durchschnittsmenschen objektiv nicht verhindert werden kann (VwGH 24.01.1996, 94/12/0179). Ob ein Ereignis unvorhergesehen ist, hängt demgegenüber nach der Rechtsprechung nicht von einer objektiven Durchschnittsbetrachtung, sondern vom konkreten Ablauf der Geschehnisse ab. Unvorhergesehen ist ein Ereignis dann, wenn es von der Partei tatsächlich nicht einberechnet wurde und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht auch nicht erwartet werden konnte (VwGH 03.04.2001, 2000/08/0214).

Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur im Rahmen der Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers zu untersuchen. An den im Antrag vorgebrachten Grund bleibt die Partei gebunden (vgl. VwGH vom 17.03.2015, Zl. Ra 2014/01/0134; VwGH vom 25.02.2003, Zl. 2002/10/0223). Der Beschwerdeführer hat die Obliegenheit, im Antrag konkret jenes unvorhergesehene und unabwendbare Ereignis zu beschreiben, das ihn an der Einhaltung der Frist gehindert hat und diesen behaupteten Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft zu machen, was aber als Grundlage ein entsprechendes Vorbringen voraussetzt (vgl. VwGH vom 16.12.2009, 2009/12/0031).

Der Begriff des minderen Grades des Versehens im letzten Satz des § 33 Abs. 1 VwGVG 2014 ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben (VwGH 21.01.2020, Ra 2019/14/0604). Auch unvertretene Parteien trifft bei der Wahrnehmung von Fristen eine erhöhte Sorgfaltspflicht (vgl. VwGH 25.09.2018, Ra 2016/05/0018 mwN).

Für die Wiedereinsetzung reicht es nicht aus, wenn die Partei gehindert war, die fristwahrende Handlung selbst zu setzen. Ein Wiedereinsetzungsgrund liegt nur vor, wenn die Partei auch gehindert war, der Fristversäumung durch andere geeignete Dispositionen - im Besonderen durch Beauftragung eines Vertreters - entgegen zu wirken (VwGH, 29.11.2007, 2007/21/0308) bzw. ihr auch insofern nur ein leicht fahrlässiges Fehlverhalten vorgeworfen werden könnte.

Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 31.05.2021 persönlich ausgehändigt und es wurde gleichzeitig mit dem Bescheid die Verfahrensanordnung zur Rechtsberatung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ausgehändigt. Ausdrücklich wurde in dieser Verfahrensanordnung – auch in die Muttersprache des Beschwerdeführers übersetzt – darauf hingewiesen, dass er sich für eine allfällige Beschwerdeerhebung … „bitte aufgrund der laufenden Rechtsmittelfrist unverzüglich mit Ihrem Rechtsberater in Verbindung“ setzen solle.

Der Beschwerdeführer hatte daraufhin vier Wochen Zeit, sich mit der ihm zugewiesenen Rechtsberaterorganisation in Verbindung zu setzen, wovon er allerdings keinen Gebrauch machte. Das Vorbringen, er habe angenommen, die BBU GmbH würde den Beschwerdeführer aufsuchen, ist vor dem Hintergrund der ihm ausgehändigten unmissverständlichen Informationen nicht nachvollziehbar.

Auch bei Wahrunterstellung des Vorbringens, wonach dem Beschwerdeführer vom Sozialen Dienst mitgeteilt worden sei, er werde aufgesucht und solle sich gedulden (vgl. dazu allerdings oben die Beweiswürdigung), wäre es dem Beschwerdeführer zumutbar und in Anbetracht der Umstände auch von ihm zu erwarten gewesen, dass er noch innerhalb offener Rechtsmittelfrist den Sozialen Dienst mit dem Bescheid aufsucht und „aktiv“ eine Rechtsberatung fordert, wie er dies am 30.06.2021 tat, bzw. selbst die BBU GmbH oder einen sonstigen Rechtsvertreter kontaktiert.

In diesem Zusammenhang ist auch nicht ersichtlich und wurde vor dem Hintergrund der Bestimmungen der §§ 86 ff. StVG nicht substantiiert dargelegt, dass es dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Inhaftierung bzw. wegen sonstiger Umstände nicht möglich gewesen wäre, eigenständig Kontakt mit der Rechtsberatungsorganisation aufzunehmen, zumal nicht behauptet wurde, dass der Kontakt des Beschwerdeführers mit der Außenwelt etwaigen individuellen Beschränkungen unterlägen wäre. Alleine aufgrund seiner Anhaltung in Strafhaft ergibt sich jedenfalls keine derartige Einschränkung seiner Dispositionsfähigkeit, die ihm an der rechtzeitigen Erhebung eines Rechtsmittels gehindert hätte.

Abgesehen davon, dass dem Beschwerdeführer die maßgeblichen Informationen in seiner Muttersprache zugegangen sind, würde nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes selbst der Umstand, dass die Partei die deutsche Sprache nicht oder nur mangelhaft beherrscht, keinen Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dar (VwGH 22.5.1997, 97/18/257; 1.8.2000, 2000/21/0097; 19.9.2007, 2007/08/0097) dastellen. Vielmehr genügt es, dass dem Sprachunkundigen bewusst gewesen sein musste, ein rechtlich bedeutsames behördliches Schriftstück erhalten zu haben (vgl. VwGH 24.2.2000, 96/21/0430; 11.10.2001, 98.18.0355; 19.11.2003, 2003/21/0090) um dessen Pflicht auszulösen, im Falle seiner Ungewissheit über den Inhalt und die Bedeutung des behördlichen Schreibens, diese nicht auf sich beruhen zu lassen (VwGH 28.1.2003, 2002/18/0291; 27.1.2004, 2003/21/0167). Vor allem der Rechtsmittelbelehrung (VwGH 10.5.2000 95/18/0972) sowie den Tag der Bescheidzustellung hat ein Fremder, der die deutsche Sprache nur ungenügend beherrscht, besondere Aufmerksamkeit zu widmen, zumal aus der Rechtmittelbelehrung die Zulässigkeit und die Art des allfällig zur Verfügung stehenden Rechtsmittels sowie die Einbringungsstelle sowie die dafür zur Verfügung stehende Frist hervorgeht und aufgrund der besonderen Bedeutung des Zustelldatums für die Einhaltung der Rechtmittelfrist, der Partei erhöhte Sorgfaltspflicht zukommt (VwGH 7.8.2001, 98/18/0068). Hat die der deutschen Sprache nicht mächtige Partei es unterlassen diesbezügliche Erkundigungen einzuholen, trifft diese ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden (vgl. VwGH 12.12.1997, 96/19/3394, 10.5.2000, 95/18/0972).

Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers ergibt sich im Ergebnis kein unabwendbares Ereignis, weil die unterbliebene Rechtsberatung von einem Durchschnittsmenschen objektiv durch eine selbständige Kontaktaufnahme mit der Rechtsberatungsorganisation bzw. durch Herantreten bzw. entsptrechender Urgenz an den sozialen Dienst mit dem Bescheid und „aktiver“ Forderung einer Rechtsberatung noch vor Ablauf der 4-wöchigen Frist hätte verhindert werden können.

Zudem war das Ereignis nicht unvorhersehbar, da der Beschwerdeführer unter Bedachtnahme von zumutbarer Aufmerksamkeit und Vorsicht aufgrund der ihm in seiner Muttersprache erteilten Informationen nicht erwarten durfte, er werde aktiv (rechtzeitig) aufgesucht und er somit mit dem Unterbleiben einer Rechtsberatung rechnen musste.

Es liegt auch kein bloß minderer Grad des Versehens vor, vielmehr ist das Verhalten des Beschwerdeführers, nämlich das Nichtlesen der Schriftstücke bzw. das Ignorieren der behördlichen Informationen und Anweisungen bzw. der Umstand, dass er erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist „aktiv“ eine Rechtsberatung forderte, obwohl ihm die Wichtigkeit eines solchen Verhaltens bewusst gewesen sein musste, als grob sorglos zu bewerten.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist daher – worauf die belangte Behörde zu Recht verweist – nicht geeignet, ein die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligendes unabwendbares oder unvorhergesehenes Ereignis aufzuzeigen.

Da die belangte Behörde den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht abgewiesen hat, war die Beschwerde abzuweisen.

Von der Durchführung der mündlichen Verhandlung und der Einvernahme der beantragten Zeugen konnte abgesehen werden, da der Beschwerdeführer der im angefochtenen Bescheid enthaltenen Beweiswürdigung nicht substantiiert entgegentrat sowie das Antragsvorbringen des Beschwerdeführers in sachverhaltsmäßiger Hinsicht zugrunde gelegt und einer rechtlichen Würdigung unterzogen wurde, weswegen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt war.

3.2. Zu Spruchpunkt B (Unzulässigkeit der Revision):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Rechtsberatung Rechtsmittelbelehrung Rechtsmittelfrist Strafhaft Übersetzung Wiedereinsetzungsantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W205.2245931.3.00

Im RIS seit

07.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

07.02.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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