Index
10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §56Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des N V, vertreten durch Bartlmä Madl Rechtsanwälte OG in 1090 Wien, Liechtensteinstraße 45a, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20. März 2020, W247 2114428-3/9E, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 56 AsylG 2005 sowie Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der 2003 geborene Revisionswerber, ein ukrainischer Staatsangehöriger, reiste im Juni 2014 mit seiner Mutter, einer ebenfalls ukrainischen Staatsangehörigen, nach Österreich ein. Die von beiden gestellten Anträge auf internationalen Schutz wurden letztendlich mit im Beschwerdeweg ergangenem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 3. Dezember 2018 vollumfänglich abgewiesen, wobei unter einem jeweils ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt wurde, eine Rückkehrentscheidung erging und festgestellt wurde, dass ihre Abschiebung in die Ukraine zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit vierzehn Tagen festgesetzt.
2 Die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 26. Februar 2019 ab, die - nach Abtretung der Beschwerde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 13. März 2019 - erhobene außerordentliche Revision wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 21. Mai 2019 zurück.
3 Am 12. Juni 2019 legte der Vater des Revisionswerbers, ein seit 2001 in Österreich lebender armenischer Staatsangehöriger, der über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ verfügt, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einen Vaterschaftsnachweis vor und gab an, die Mutter des Revisionswerbers im Jahr 2000 in Moldawien kennen gelernt und mit ihr damals eine Beziehung, welcher der Revisionswerber entstamme, gehabt zu haben. Jetzt beabsichtige er, die Mutter des Revisionswerbers, die ihn während ihres Asylverfahrens in Österreich jahrelang vergeblich gesucht und erst vor kurzem gefunden habe, zu heiraten.
4 Am 9. Juli 2019 stellten der Revisionswerber und seine Mutter jeweils Anträge auf Erteilung eines „Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen“ gemäß § 56 Abs. 1 AsylG 2005.
5 Mit einem am 3. September 2019 beim BFA eingelangten Schriftsatz teilte der Revisionswerber mit, sich wegen seines mittlerweile abgelaufenen Reisepasses vergeblich an die ukrainische Botschaft in Wien gewendet zu haben, derzufolge die Beantragung eines neuen Reisepasses nur nach Vorlage eines österreichischen Aufenthaltstitels möglich sei. Dazu wurde ein entsprechendes Bestätigungsschreiben der Konsularabteilung der ukrainischen Botschaft vorgelegt.
6 Zu diesem Vorbringen, das vom BFA als Antrag auf Mängelheilung gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV gewertet wurde, hielt das BFA dem Revisionswerber mit Schreiben vom 4. November 2019 vor, dass die Ausstellung von Reisedokumenten für ihre Staatsangehörigen eine wichtige Aufgabe von Botschaften sei und es dem Amtswissen entspreche, dass die ukrainische Botschaft bei entsprechender Kontaktaufnahme und Mitwirkung ihrer Staatsangehörigen gültige Reisedokumente ausstelle. Deshalb sei es dem Revisionswerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht möglich und zumutbar, sich zumindest ein befristetes Notreisedokument ausstellen zu lassen, für dessen Vorlage ebenso wie für die Vorlage der Geburtsurkunde des Revisionswerbers im Original eine Frist bis 30. November 2019 eingeräumt wurde.
7 Am 21. November 2019 wurden der Revisionswerber und seine Mutter in Vollziehung der in Rn. 1 erwähnten Entscheidungen in die Ukraine abgeschoben. In einem fristgerecht eingebrachten Schriftsatz verwies der Rechtsvertreter des Revisionswerbers noch einmal auf die bereits vorgelegte Bestätigung der ukrainischen Botschaft und wiederholte, dass die Beschaffung des Reisepasses nicht möglich bzw. nicht zumutbar sei, weil sie von der Botschaft verweigert werde. Die Geburtsurkunde könne nicht vorgelegt werden, da sie bereits im Zuge der Einbringung des Antrages auf internationalen Schutz von der Behörde einbehalten worden sei.
8 Mit Bescheid vom 29. November 2019 wies das BFA dann den Antrag des Revisionswerbers auf Mängelheilung gemäß § 4 Abs. 1 Z 2 und 3 iVm § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG-DV 2005 ab und den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen gemäß § 58 Abs. 11 AsylG 2005 iVm § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG-DV zurück. Unter einem erließ das BFA gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 3 FPG, verband damit gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot und sprach aus, dass die Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers in die Ukraine gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, eine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 4 FPG nicht gewährt und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt werde.
9 Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 20. März 2020 nur insofern statt, als es die Dauer des verhängten Einreiseverbotes auf ein Jahr herabsetzte. Im Übrigen wies das BVwG die Beschwerde als unbegründet ab und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:
11 Die Revision ist - wie sich aus den weiteren Ausführungen ergibt - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG zulässig; sie ist auch berechtigt:
12 Das BVwG begründete die Abweisung des Antrages auf Mängelheilung im Wesentlichen mit der Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Revisionswerber, da er vor allem kein gültiges Reisedokument vorgelegt und auch die Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit der Beschaffung dieses Dokuments nicht nachgewiesen habe. Der Revisionswerber habe zwar eine Bestätigung der ukrainischen Botschaft vorgelegt, wonach ein neuer Reisepass nur bei Vorliegen eines gültigen Aufenthaltstitels in Österreich und bei „offizieller“ Meldung als ukrainischer Staatsangehöriger ausgestellt werde. Das BFA habe jedoch zu Recht auf ihr notorisches Amtswissen verwiesen, wonach ukrainischen Staatsangehörigen an der ukrainischen Botschaft in Wien „sehr wohl“ Reisepässe ausgestellt würden. Der Revisionswerber habe den Versuch, sich - wie vom BFA angeregt - ein befristetes Notreisedokument bei der Botschaft ausstellen zu lassen, nicht nachgewiesen. Im Übrigen sei auch die Geburtsurkunde des Revisionswerbers, die sich im Akt des BFA nicht befinde, nicht im Original vorgelegt worden.
13 Dagegen bringt die Revision zutreffend vor, dass der Verweis des BVwG auf das notorische Amtswissen des BFA über die Ausstellung von Reisepässen durch die ukrainische Botschaft in Anbetracht der vorgelegten Bestätigung der Konsularabteilung der ukrainischen Botschaft in Wien mit gegenteiligem Inhalt nicht nachvollziehbar sei.
14 Weder aufgrund der beweiswürdigenden Ausführungen des BFA, auf die sich das BVwG bezog, noch aufgrund des Inhalts des Verwaltungsaktes lässt sich das als notorisch bezeichnete Amtswissen des BFA nachvollziehen. Diesbezüglich liegt daher schon keine schlüssige Beweiswürdigung vor. Außerdem durfte das BVwG angesichts der vom Revisionswerber vorgelegten Bestätigung der Konsularabteilung, die zu dem ins Treffen geführten Amtswissen im Widerspruch steht, nicht von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgehen und von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten Verhandlung absehen. Da die (vorrangig bemängelte) Nichtvorlage eines gültigen Reisepasses grundsätzlich nur dann eine auf § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 gestützte Zurückweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 56 AsylG 2005 rechtfertigt, wenn es nicht zu einer Heilung nach § 4 AsylG-DV 2005 zu kommen hat (vgl. VwGH 4.3.2020, Ra 2019/21/0214, Rn. 16, mwN), hätte das BVwG im Hinblick auf die strittige Frage der Möglichkeit und Zumutbarkeit der Beschaffung dieses Dokuments somit jedenfalls die in der Beschwerde beantragte mündliche Verhandlung abhalten müssen. Dies gilt gleichermaßen hinsichtlich des ebenfalls strittigen Verbleibs der Geburtsurkunde des Revisionswerbers.
15 Da dies - wie auch von der Revision gerügt wird - nicht erfolgt ist, war das angefochtene Erkenntnis sowohl hinsichtlich der Abweisung des Antrages auf Mängelheilung und die darauf gegründete Zurückweisung des Antrages nach § 56 AsylG 2005 als auch bezüglich der darauf aufbauenden Aussprüche (insbesondere Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot) gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
16 Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 21. Dezember 2021
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete Verfahrensbestimmungen BerufungsbehördeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210136.L00Im RIS seit
07.02.2022Zuletzt aktualisiert am
10.02.2022