TE Vwgh Erkenntnis 2021/12/21 Ra 2020/21/0135

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Veröffentlicht am 21.12.2021
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E19100000
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §56
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z5
AsylG 2005 §60 Abs2 Z3
AVG §56
BFA-VG 2014 §18 Abs2 Z1
BFA-VG 2014 §9
EURallg
FrPolG 2005 §52 Abs3
FrPolG 2005 §52 Abs9
FrPolG 2005 §53 Abs1
FrPolG 2005 §53 Abs2
FrPolG 2005 §53 Abs2 Z6
MRK Art8
NAG 2005 §11 Abs5
NAGDV 2005 §7 Abs1 Z7
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
32008L0115 Rückführungs-RL Art11 Abs1 litb

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision der J V, vertreten durch Bartlmä Madl Rechtsanwälte OG in 1090 Wien, Liechtensteinstraße 45a, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20. März 2020, W247 2114426-2/10E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Die 1982 geborene Revisionswerberin, eine ukrainische Staatsangehörige, reiste - gemeinsam mit ihrem 2003 geborenen Sohn, einem ebenfalls ukrainischen Staatsangehörigen - im Juni 2014 nach Österreich ein. Ihre beiden unmittelbar danach gestellten Anträge auf internationalen Schutz wurden letztendlich mit im Beschwerdeweg ergangenem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 3. Dezember 2018 vollumfänglich abgewiesen, wobei unter einem jeweils ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt wurde, eine Rückkehrentscheidung erging und festgestellt wurde, dass ihre Abschiebung in die Ukraine zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit vierzehn Tagen festgesetzt.

2        Die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 26. Februar 2019 ab, die - nach Abtretung der Beschwerde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 13. März 2019 - erhobene außerordentliche Revision wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 21. Mai 2019 zurück.

3        Am 9. Juli 2019 stellte die Revisionswerberin (ebenso wie ihr Sohn) einen Antrag auf Erteilung eines „Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen“ gemäß § 56 Abs. 1 AsylG 2005. Am 21. November 2019 wurden die Revisionswerberin und ihr Sohn in Vollziehung der in Rn. 1 erwähnten Entscheidungen in die Ukraine abgeschoben. Gemäß den Feststellungen des BVwG schlossen die Revisionswerberin und der Vater des gemeinsamen Sohnes sodann am 23. Jänner 2020 in der Ukraine die Ehe.

4        Mit Bescheid vom 29. November 2019 hatte das BFA den Antrag der Revisionswerberin gemäß § 56 AsylG 2005 abgewiesen, gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 3 FPG erlassen und damit gemäß § 53 Abs. 1 iVm 2 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot verbunden. Unter einem stellte das BFA die Zulässigkeit der Abschiebung der Revisionswerberin in die Ukraine gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 4 FPG und erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab.

5        In der Folge sah sich das BFA darüber hinaus veranlasst, mit Bescheid vom 16. Dezember 2019 noch einmal auszusprechen, dass der Revisionswerberin (von Amts wegen) kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt werde, gegen sie gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG neuerlich eine Rückkehrentscheidung, nunmehr gemäß § 52 Abs. 1 Z 2 FPG, und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass ihre Abschiebung in die Ukraine zulässig sei. Ferner wurde einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

6        Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde gab das BVwG mit dem vorliegend angefochtenen Erkenntnis vom 20. März 2020 nur insofern statt, als es die Dauer des verhängten Einreiseverbotes auf ein Jahr herabsetzte, im Übrigen aber die Beschwerde als unbegründet abwies und gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aussprach, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7        Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:

8        Die Revision erweist sich - wie die weiteren Ausführungen zeigen - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG als zulässig und auch als berechtigt:

9        Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Ausspruch, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 werde nicht erteilt, seine Grundlage in § 58 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 hat. Danach ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn sich ein Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des sechsten Hauptstückes des FPG fällt. Sowohl im Zeitpunkt der Bescheiderlassung als auch in jenem der Entscheidung des BVwG über die gegen den Bescheid des BFA erhobene Beschwerde befand sich die Revisionswerberin, die - wie erwähnt - am 21. November 2019 in ihren Herkunftsstaat abgeschoben worden war, jedoch nicht mehr im Bundesgebiet. Damit war die Voraussetzung für die amtswegige Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 weggefallen (vgl. VwGH 5.5.2020, Ra 2019/21/0061, Rn. 13, mit Hinweis auf VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0234, Rn 23). Deshalb hätte das BVwG den Bescheid vom 16. Dezember 2019 in diesem Punkt jedenfalls ersatzlos zu beheben gehabt.

10       Das Einreiseverbot stützte das BVwG auf die Mittellosigkeit der Revisionswerberin und überdies darauf, dass sie nach der mit Erkenntnis des BVwG vom 3. Dezember 2018 rechtskräftig ausgesprochenen Rückkehrentscheidung „beharrlich“ im Bundesgebiet verblieben sei.

11       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes rechtfertigt ein unrechtmäßiger Aufenthalt per se noch nicht die Verhängung eines Einreiseverbotes zusätzlich zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung; liegt aber nicht bloß ein unrechtmäßiger Aufenthalt, sondern eine qualifizierte Verletzung der Ausreiseverpflichtung vor, so kann daraus eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit abzuleiten sein, die die Verhängung eines Einreiseverbots erforderlich macht. Eine solche qualifizierte Verletzung der Ausreiseverpflichtung wird von § 53 Abs. 2 FPG erfasst, was jedenfalls auch von Art. 11 Abs. 1 lit. b der Rückführungsrichtlinie gedeckt ist, wonach Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot einhergehen, falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde (vgl. in diesem Sinn VwGH 27.4.2020, Ra 2019/21/0277, Rn. 14, mwN).

12       Im vorliegenden Fall war die Revisionswerberin nach Abschluss des Asylverfahrens - trotz Stellung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 56 AsylG 2005 im Juli 2019 - zwar grundsätzlich zur Ausreise verpflichtet. In Anbetracht der konkreten Umstände, mit denen dieser Antrag begründet wurde, insbesondere der vom BVwG nicht in Zweifel gezogenen Erfüllung der zeitlichen Antragsvoraussetzungen und der Lebensgemeinschaft der Revisionswerberin mit ihrem nunmehrigen Ehemann und Vater des gemeinsamen minderjährigen Sohnes, kann jedoch nicht angenommen werden, der Verbleib während dieses Verfahrens - die Abschiebung erfolgte ohnehin noch vor Erlassung des antragserledigenden Bescheides des BFA - habe eine so qualifizierte Verletzung der Ausreiseverpflichtung bewirkt, dass darin eine die Erlassung eines Einreiseverbots rechtfertigende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gesehen werden könnte.

13       Soweit das BVwG das verhängte Einreiseverbot ferner mit der Mittellosigkeit der Revisionswerberin nach § 53 Abs. 2 Z 6 FPG begründete, kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Überlegungen im ebenfalls die Revisionswerberin betreffenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom selben Tag, Ra 2020/21/0131, insbesondere unter Rn. 11, verwiesen werden. Daraus ergibt sich auch für den vorliegenden Fall, das BVwG hätte sich, um das Vorliegen des Tatbestandes der Z 6 des § 53 Abs. 2 FPG beurteilen zu können, mit dem von der Revisionswerberin vorgelegten Arbeitsvorvertrag und mit der von ihr nachgereichten Einstellungszusage inhaltlich auseinandersetzen und sie einer (Beweis-)Würdigung unterziehen müssen.

14       Somit vermögen die Feststellungen des BVwG die Verhängung des Einreiseverbotes nicht zu tragen. Das angefochtene Erkenntnis war daher zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, weil in diesem Fall auch die offenbar nur zur Ermöglichung eines Einreiseverbotes (neuerlich) erlassene Rückkehrentscheidung und die damit zusammenhängenden Aussprüche ebenfalls keinen Bestand haben können.

15       Im Übrigen ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar, weshalb nach der mit Bescheid vom 29. November 2019 erlassenen Rückkehrentscheidung, mit der unter einem ein zweijähriges Einreiseverbot erging, bereits mit Bescheid vom 16. Dezember 2019 neuerlich eine Rückkehrentscheidung und ein wiederum auf zwei Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen wurden. Außerdem wären die vom BFA vorgenommene Versagung einer Frist zur freiwilligen Ausreise und die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nur dann gerechtfertigt und auch sinnvoll gewesen, wenn sich die Revisionswerberin noch im Bundesgebiet aufgehalten hätte und wegen der Dringlichkeit einer Abschiebung die sofortige Durchsetzbarkeit der erstinstanzlichen Rückkehrentscheidung hätte bewirkt werden müssen (siehe nochmals VwGH 5.5.2020, Ra 2019/21/0061, Rn. 13).

16       Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 21. Dezember 2021

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210135.L00

Im RIS seit

07.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

10.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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