Index
L70309 Buchmacher Totalisateur Wetten WienNorm
AVG §8Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller und den Hofrat Mag. Straßegger und die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision der revisionswerbenden Parteien 1. G AG in G, 2. C Ltd. in B und 3. K in W, alle vertreten durch Mag. Martin Paar und Mag. Hermann Zwanzger, Rechtsanwälte in 1040 Wien, Wiedner Haupstraße 46/6, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 15. März 2021, 1. VGW-002/085/9312/2019, 2. VGW-002/V/085/8124/2019, 3. VGW-002/V/085/9313/2019 und 4. VGW-002/085/8122/2019, betreffend Übertretung des Wiener Wettengesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem an die erst- und zweitrevisionswerbenden Parteien gerichteten (Beschlagnahme-) Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 14. Mai 2019 wurde den erst- und zweitrevisionswerbenden Parteien zur Last gelegt, es bestünde der Verdacht, dass die erstrevisionswerbende Partei am 24. April 2019 um 14:30 Uhr im Wettlokal „C Sportwetten - Self Service“ an einer näher genannten Adresse, ohne ständige Aufsicht die Tätigkeit als Wettunternehmerin in der Art der gewerblichen Vermittlung von Wetten, Wettkundinnen und Wettkunden aus Anlass sportlicher Veranstaltungen an die zweitrevisionswerbende Partei als Buchmacherin fortgesetzt ausgeübt habe, ohne sicherzustellen, dass der Zutritt zur Betriebsstätte nur volljährigen und nicht selbstgesperrten Personen ermöglicht werde. Dadurch hätten die erst- und zweitrevisionswerbenden Parteien gegen § 19 Abs. 2 zweiter Satz Wiener Wettengesetz, LGBl. Nr. 26/2016, idgF, verstoßen, weshalb gemäß § 23 Abs. 2 iVm Abs. 4 Wiener Wettengesetz, LGBl. Nr. 26/2016, idgF, die Beschlagnahme der im Wettlokal befindlichen vier Wettinformationsterminals angeordnet wurde.
2 Mit dem Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien vom 20. April 2020 wurde zu Spruchpunkt I. dem Drittrevisionswerber als verantwortlichem Beauftragten der erstrevisionswerbenden Partei vorgeworfen, dass diese am 24. April 2019 um 14:30 Uhr in der genannten Betriebsstätte, wo die erstrevisionswerbende Partei die Tätigkeit als Wettunternehmerin, nämlich in der Art der gewerbsmäßigen Vermittlung von Wettkunden aus Anlass sportlicher Veranstaltungen, wie z.B. Fußballspiele, an die zweitrevisionswerbende Partei als Buchmacherin durch vier Wettinfoterminals im Sinne des Wiener Wettengesetz ausgeübt habe, und insofern die Verpflichtung des § 19 Abs. 2 zweiter Satz Wiener Wettengesetz, LGBl. Nr. 26/2016 idgF, wonach in einer Betriebsstätte ohne ständige Aufsicht durch verantwortliche Personen des Wettunternehmers oder durch diesen selbst durch geeignete Maßnahmen sichergestellt werden müsse, dass bereits der Zutritt zur Betriebsstätte nur volljährigen und nicht selbstgesperrten Personen ermöglicht werde, nicht eingehalten habe, weil zu Beginn der Amtshandlung ein Mitglied der Amtsabordnung an der Eingangstür des Lokals geklopft habe und von einem im Lokal befindlichen Wettkunden eingelassen worden sei, womit es im gegenständlichen Lokal kein geeignetes Kontrollsystem und keine geeigneten Maßnahmen gebe, um den Zutritt von minderjährigen oder selbstgesperrten Personen zu verhindern.
Wegen der Verletzung des § 19 Abs. 2 zweiter Satz Wiener Wettengesetz, LGBl. Nr. 26/2016 idF LGBL. Nr. 48/2018, wurde über den Drittrevisionswerber gemäß § 24 Abs. 1 Z 12 Wiener Wettengesetz, LGBl. Nr. 26/2016, eine Geldstrafe von € 6.600,-- (Ersatzfreiheitstrafe 5 Tage und 14 Stunden) verhängt. Überdies wurde dem Drittrevisionswerber die Zahlung eines Beitrags zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgeschrieben.
Mit Spruchpunkt II. wurde dem Drittrevisionswerber gemäß § 23 Abs. 8 Wiener Wettengesetz, LGBl. Nr. 26/2016, die der Behörde durch die Beschlagnahme nach Abs. 2 sowie die Betriebsschließung nach Abs. 3 erwachsenen Kosten von € 300,-- vorgeschrieben und ausgesprochen, dass dafür die erstrevisionswerbende Partei gemäß § 9 Abs. 7 VStG zur ungeteilten Hand hafte.
Zu Spruchpunkt III. wurden die vier Wettinfoterminals gemäß § 17 Abs. 1 VStG iVm § 24 Abs. 2 Wiener Wettengesetz, LGBl. Nr. 26/2016 idgF, für verfallen erklärt.
3 Die gegen diese beiden Entscheidungen erhobenen Beschwerden behandelte das Verwaltungsgericht Wien - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mittels Videokonferenz - im gegenständlich angefochtenen Erkenntnis wie folgt:
Hinsichtlich des Beschlagnahmebescheides:
Die Beschwerde der zweitrevisionswerbenden Partei wurde als unzulässig zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Die Beschwerde der erstrevisionswerbenden Partei wurde als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt III.).
Hinsichtlich des Straferkenntnisses:
Die Beschwerde des Drittrevisionswerbers, soweit sie sich gegen die Vorschreibung der Schlosserkosten in Spruchpunkt II. des bekämpften Straferkenntnisses richtete, wies das Verwaltungsgericht als unzulässig zurück (Spruchpunkt II.).
Der Beschwerde der erst- und drittrevisionswerbenden Parteien gab das Verwaltungsgericht insoweit statt, als es den mit Spruchpunkt II. des bekämpften Straferkenntnisses vorgeschriebenen Ersatz der Schlosserkosten aufhob und im Übrigen die Beschwerden mit hier nicht relevanten Maßgabenbestätigungen abwies (Spruchpunkt IV.).
Zudem wurde dem Drittrevisionswerber die Zahlung der Kosten des Beschwerdeverfahrens von € 1.320,-- vorgeschrieben, für die die erstrevisionswerbende Partei zur ungeteilten Hand gemäß § 9 Abs. 7 VStG hafte (Spruchpunkt V.).
4 Die Revision gegen dieses Erkenntnis und diesen Beschluss erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig (Spruchpunkt VI.).
5 Das Verwaltungsgericht stellte - soweit für das gegenständliche Revisionsverfahren von Relevanz - fest, dass das Lokal eine behördlich angezeigte Betriebsstätte der erstrevisionswerbenden Partei sei. Im Zuge der Kontrolle am 24. April 2019 seien vier näher genannte Wettinformationsterminals vorgefunden worden, mit welchen die erstrevisionswerbende Partei gewerbsmäßig Wettkundinnen und Wettkunden an die zweitrevisionswerbende Partei als Buchmacherin vermittelt habe. Beim gegenständlichen Lokal handle es sich um ein Wettlokal ohne ständige Aufsicht, in welchem sich neben den vier Wettinformationsterminals auch Bildschirme zur Verfolgung der sportlichen Wettbewerbe und der Wettquoten sowie ein Wettannahmeschalter mit der Aufschrift „Wettschalter vorübergehend nicht besetzt“ und ein Geldwechselautomat, mit welchem Einzahlungen auf das Kundenkonto und die Auszahlung von Gewinnen getätigt werden könnten, befunden hätten. Bei der Kontrolle seien keine Mitarbeiter der erstrevisionswerbenden Partei anwesend gewesen. Der Zutritt zum Lokal sei durch ein bei der Eingangstür angebrachtes Strichcodelesegerät gesichert gewesen, in welches eine Membercard gehalten werden müsse. Diese Membercard sei ebenso für die Benutzung der Wettinformationsterminals nötig. Die Membercard werde den Kunden nach der Registrierung, für die ein Lichtbildausweis nötig sei, und dem Anlegen eines Kundenkontos ausgestellt. Im Lokal sei der Hinweis angebracht gewesen, dass die Eingangstür ausnahmslos mittels Türöffner (Membercard) geöffnet werden dürfe und das Lokal videoüberwacht werde. Zu Beginn der Kontrolle am 24. April 2019 habe ein Mitglied der Amtsabordnung an die Eingangstür des Lokals geklopft und sei von einem dort befindlichen Wettkunden in das Wettlokal eingelassen worden. Es seien keine geeigneten Maßnahmen vorhanden gewesen, um den Zutritt von minderjährigen oder selbstgesperrten Personen zu verhindern. Die erstrevisionswerbende Partei sei die Eigentümerin der von ihr dort betriebenen Wettinformationsterminals. Der Drittrevisionswerber sei im Tatzeitpunkt verantwortlicher Beauftragter der erstrevisionswerbenden Partei gewesen.
6 Beweiswürdigend führte das Verwaltungsgericht - soweit von gegenständlicher Relevanz - aus, dass sich die Feststellungen über die im Lokal getroffenen Maßnahmen der Zutrittskontrolle aus dem Beschwerdevorbringen sowie der Aussage des Zeugen S. in der mündlichen Verhandlung ergäben. Dass das Amtsorgan durch einen Wettkunden in das Lokal hineingelassen worden sei, ergebe sich aus der Aussage des Zeugen G. in der mündlichen Verhandlung. Die revisionswerbenden Parteien hätten diesbezüglich in der Verhandlung erwidert, dass das Amtsorgan lediglich eingelassen worden sei, weil es sich als Behördenorgan zu erkennen gegeben habe. Zum Beweis dafür hätten die revisionswerbenden Parteien die Einvernahme des Amtsorgans beantragt. Dem sei aber nicht Folge zu geben gewesen, weil es nicht entscheidungserheblich gewesen sei, ob der Eingelassene als Behördenorgan erkannt worden sei und lediglich aufgrund dieser Eigenschaft Zutritt erlangt habe.
7 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht - auf das für das gegenständliche Verfahren Relevante zusammengefasst - aus, dass gemäß § 23 Abs. 4 letzter Satz Wiener Wettengesetz der Eigentümer im Beschlagnahmeverfahren beschwerdelegitimiert sei. Die erstrevisionswerbende Partei sei nach ihrem eigenen Vorbringen Inhaberin des Lokals und Eigentümerin der beschlagnahmten Geräte und daher Partei des gegenständlichen Beschlagnahmeverfahrens. Die Beschwerdelegitimation einer vom Eigentümer eines nach § 23 Wiener Wettengesetz beschlagnahmten Gerätes verschiedenen Person sei nicht vorgesehen. Die zweitrevisionswerbende Partei sei weder Inhaberin noch Eigentümerin der beschlagnahmten Geräte. Die Zustellung des Bescheides an die zweitrevisionswerbende Partei, als eine nicht verfügungsberechtigte Person, mache diese noch nicht zur Partei des Verfahrens.
Es bestehe der begründete Verdacht, dass die erstrevisionswerbende Partei am 24. April 2019 als Wettunternehmerin in der Art der Vermittlung von Wettkundinnen und Wettkunden aus Anlass sportlicher Veranstaltungen an eine Buchmacherin offenkundig gegen § 19 Abs. 2 Wiener Wettengesetz verstoßen habe, weil der Zutritt des Behördenorgans ohne die Verwendung einer Membercard erfolgt sei und somit nicht durch geeignete Maßnahmen sichergestellt worden sei, dass bereits der Zutritt zur Betriebsstätte nur volljährigen und nicht selbstgesperrten Personen ermöglicht worden sei.
Für ein Vorgehen nach § 23 Abs. 2 Wiener Wettengesetz sei aufgrund der Gefahren im Hinblick auf den Jugendschutz, den Schutz der Wettkundinnen und Wettkunden vor Wettsucht etc. ein sofortiges Eingreifen bei Feststellung eines Verstoßes erforderlich. Der begründete Verdacht, dass unter Verwendung der gegenständlichen Wettinformationsterminals offenkundig gegen § 24 Abs. 1 Z 12 Wiener Wettengesetz verstoßen worden sei, habe auch im Entscheidungszeitpunkt noch bestanden. Die Voraussetzungen für die Beschlagnahme seien daher vorgelegen.
Das objektive Tatbild der dem Drittrevisionswerber angelasteten Verwaltungsübertretung sei erfüllt, weil nicht durch geeignete Maßnahmen sichergestellt worden sei, dass der Zutritt zur Betriebsstätte nur volljährigen und nicht selbstgesperrten Personen ermöglicht werde.
Der Drittrevisionswerber sei der verantwortliche Beauftragte der erstrevisionswerbenden Partei gemäß § 9 Abs. 2 VStG. Weder aus dem Vorbringen noch aus dem Akteninhalt ergäben sich Anhaltspunkte, dass dem Drittrevisionswerber die Einhaltung der gegenständlichen Verwaltungsvorschrift ohne ein Verschulden nicht möglich oder unzumutbar gewesen sei. Die Intensität der Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses am Jugendschutz und am Spielerschutz durch die Tat sei nicht als gering zu bewerten und die von der Behörde verhängte Strafe im unteren Bereich des Strafrahmens schuld- und tatangemessen.
Hinsichtlich des Verfalls der Wettinformationsgeräte führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen - nach Zitierung der Rechtslage sowie näher dargelegter Rechtsprechung - aus, dass gegenständlich die erstrevisionswerbende Partei die Eigentümerin der für verfallen erklärten Wettinfoterminals und Inhaberin der gegenständlichen Betriebsstätte sei, in welcher diese aufgestellt gewesen seien. Die in § 17 Abs. 1 VStG iVm § 24 Abs. 2 Wiener Wettengesetz normierten Voraussetzungen - nicht nur eine Gefahrenlage, sondern auch ein Verschulden - für den Verfall als Sanktion für die Übertretung seien vorgelegen. Die Verhängung des Verfalls als Nebenstrafe in Spruchpunkt III. des bekämpften Straferkenntnisses sei rechtmäßig gewesen.
Zur mündlichen Verhandlung führte das Verwaltungsgericht aus, gemäß § 3 Abs. 2 Z 1 COVID-19-VwBG könne die Behörde mündliche Verhandlungen, Vernehmungen, Augenscheine und dergleichen unter Verwendung geeigneter technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung durchführen. Nach den Materialien solle § 3 Abs. 2 und 3 COVID-19-VwBG, um trotz der Beschränkung der Bewegungsfreiheit und persönlichen Kontakte zur Verhütung und Bekämpfung von COVID-19 den Verkehr der Behörden aufrechtzuerhalten, in weitest möglichem Umfang zur Durchführung von mündlichen Verhandlungen unter Verwendung geeigneter technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung ermächtigen. Am 22. Oktober 2020 sei die mündliche Verhandlung mittels Videokonferenz, an der alle Beteiligten teilgenommen hätten, erfolgt. Hinsichtlich der Bedenken zur Vereinbarkeit mit Art. 6 EMRK führte das Verwaltungsgericht aus, dass die revisionswerbenden Parteien durch einen Rechtsanwalt vertreten gewesen seien und diese außerdem selbst an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hätten. Im Beweisverfahren sei es um die Frage gegangen, ob die Mitglieder der Amtsabordnung das gegenständliche „Self-Service-Lokal“, in welchem kein Personal, sondern lediglich einige Wettkunden anwesend gewesen seien, dieses Lokal ohne das Einscannen der Membercard als Türöffner habe betreten können. Zudem sei an der Tür zum Verhandlungsaal, von welchem aus sich die Verhandlungsleiterin zur mündlichen Verhandlung mittels Videokonferenz zugeschaltet habe, für die interessierte Öffentlichkeit ein Anschlag mit den Zugangsdaten zur Videokonferenz angebracht gewesen.
8 Dagegen erhoben die revisionswerbenden Parteien zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 22. Juni 2021, E 1519/2021-5, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG abtrat.
9 Zur Begründung führte der Verfassungsgerichtshof aus, die von den revisionswerbenden Parteien gerügte Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art. 83 Abs. 2 B-VG wären nach den Beschwerdebehauptungen zum erheblichen Teil nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen seien zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Ermittlungsverfahren des Verwaltungsgerichtes in jeder Hinsicht rechtmäßig gewesen sei, insoweit nicht anzustellen gewesen. Soweit die Beschwerde aber insofern verfassungsrechtliche Fragen berühre, als die Rechtswidrigkeit der die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtsvorschriften behauptet werde, lasse ihr Vorbringen die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hätten. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 8. Oktober 2020, E 1873/2020, im Zusammenhang mit der Stammfassung des § 3 und § 6 COVID-19-VwBG festgehalten habe, verletze die Möglichkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Verwendung technischer Kommunikationsmittel zum Schutz vor COVID-19 das in Art. 6 EMRK gewährleistete Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht.
10 In der Folge erhoben die revisionswerbenden Parteien die vorliegende Revision.
11 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
12 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
13 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
14 Die Revision macht zu ihrer Zulässigkeit zunächst geltend, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsfrage, ob der in den §§ 44 ff VwGVG normierten Pflicht in Verwaltungsstrafverfahren eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen im Lichte des § 3 Abs. 2 iVm § 6 Abs. 1 COVID-19-VwBG mit der Durchführung einer Videokonferenz ohne physische Anwesenheit der Parteien, Zeugen und der Volksöffentlichkeit vor Gericht genüge getan werde. Die revisionswerbenden Parteien sind der Ansicht, das Verwaltungsgericht habe in Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 44 Abs. 1 VwGVG keine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt.
15 Ist die Rechtslage nach den in Betracht kommenden Normen klar und eindeutig, dann liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG vor (vgl. VwGH 19.6.2019, Ro 2018/02/0024, mwN).
16 Angesichts der Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und des zwischenmenschlichen Kontakts auf Grund der COVID-19-Pandemie (vgl. die Erläuterungen zum Initiativantrag 397/A BlgNR 27. GP, 32, 36) dehnte der Gesetzgeber mit dem COVID-19-VwBG die Verwendung von technischen Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung gemäß § 3 Abs. 2 leg.cit. in der Fassung BGBl. I Nr. 42/2020 auf „mündliche Verhandlungen, Vernehmungen, Augenscheine und dergleichen“ (lit. a), „mündliche Verhandlungen, die andernfalls an Ort und Stelle abzuhalten wären“ (lit. b) sowie die Aufnahme von „Beweise(n)“ (lit. c) zeitlich befristet bis 31. Dezember 2020 aus (VwGH 7.9.2020, Ro 2020/01/0007).
17 Zum Zeitpunkt der Durchführung der Videokonferenz am 22. Oktober 2020 war die Befristung noch nicht abgelaufen. Der Gesetzgeber sah klar die Möglichkeit der Durchführung von mündlichen Verhandlungen in Abwesenheit aller anderen Beteiligten unter Verwendung geeigneter technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung explizit vor, von dem das Verwaltungsgericht Gebrauch machte.
18 Bereits aus dem Zweck, nämlich der Einschränkung des zwischenmenschlichen Kontakts aufgrund der COVID-19-Pandemie, kann die Durchführung der mündlichen Verhandlung mittels Videokonferenz gegenständlich als vertretbar erachtet werden, zumal auch alle Parteien des gegenständlichen Verfahrens daran teilgenommen haben. Durch den Anschlag der Zugangsdaten zur Videokonferenz an der Tür des Verhandlungssaals war es der Öffentlichkeit möglich, die Verhandlung zu verfolgen.
19 Soweit die revisionswerbenden Parteien einen Verstoß gegen die Waffengleichheit behaupten, weil Tonprobleme während der Zeugenbefragung Zeit zur Vorbereitung auf die Beantwortung von Fragen verschafft hätten und keine Urkunden hätten vorgehalten werden können, wird nicht aufgezeigt, dass das Fragerecht gemäß § 46 Abs. 2 VwGVG beschnitten worden und warum die Bildübertragung dem Vorhalt von Urkunden entgegengestanden sei.
20 Aufgrund der klaren Regelung war die Durchführung der mündlichen Verhandlung mittels Videokonferenz nicht unvertretbar (vgl. auch VfGH 8.10.2020, E 1873/2020, und VfGH 22.6.2021, E 1519/2021; sowie EGMR 14.11.2013, Kozlitin/Russland, 17092/04, Z 73, zur Teilnahme an einer Verhandlung im Strafverfahren per Videolink). Ebenso wenig ist auch eine Abweichung von der bereits zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur mündlichen Verhandlung zu erblicken.
21 Weiters bringen die revisionswerbenden Parteien vor, es fehle Rechtsprechung zur Frage, ob neben dem Eigentümer von beschlagnahmten Gegenständen auch dem Wettunternehmer, an den mit den beschlagnahmten Geräten Wettkunden vermittelt werden, Parteistellung nach dem Wiener Wettengesetz und damit Beschwerdelegitimation an das Verwaltungsgericht zukomme.
22 Damit stützen sich die revisionswerbenden Parteien nicht auf die - nach dem insoweit klaren Wortlaut - in § 23 Abs. 4 letzter Satz Wiener Wettengesetz der Eigentümerin oder dem Eigentümer eingeräumte Parteistellung. Der Wettunternehmer, an den mit den beschlagnahmten Geräten Wettkunden vermittelt werden, zählt auch nicht zu den Personen, denen gemäß § 39 VStG Rechtsschutz eingeräumt ist (vgl. die von Fister in Lewisch/Fister/Weilguny, VStG² (2017) § 39 Rz 28 zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).
23 Die revisionswerbenden Parteien bringen außerdem vor, dass es zur Frage, ob bei einem Ausspruch des Verfalls nach § 24 Abs. 2 Wiener Wettengesetz und einer Beschlagnahme nach § 23 Abs. 2 iVm Abs. 4 Wiener Wettengesetz ein Ermessen eingeräumt sei, oder ob die Beschlagnahme und der Verfall bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen jedenfalls auszusprechen seien. Die revisionswerbenden Parteien seien der Ansicht, dass es sich hierbei um ein Ermessen handle, das das Verwaltungsgericht gegenständlich unzureichend begründet habe.
24 Die Frage, ob in einem konkreten Fall die Beschlagnahme oder der Verfall nach dem Wiener Wettengesetz auszusprechen sind, betrifft nur den Einzelfall. Gleiches gilt für eine Ermessensübung. Fragen, die nur den Einzelfall betreffen, berühren keine Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung (vgl. VwGH 1.10.2019, Ra 2019/02/0030, mwN). Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung würde nur dann vorliegen, wenn die im Einzelfall vorgenommene Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise erfolgt wäre oder wenn eine krasse Fehlbeurteilung im Sinne eines Missbrauches oder eines Überschreitens des eingeräumten Ermessens vorläge (vgl. VwGH 2.8.2017, Ra 2017/05/0202).
25 Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung wird angesichts der vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen und rechtlichen Ausführungen eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nicht aufgezeigt. Das Verwaltungsgericht begründet entgegen dem Zulässigkeitsvorbringen - gerade noch ausreichend erkennbar und - vertretbar, weshalb es gegenständlich die Beschlagnahme und den Verfall der vier Wettinformationsterminals angeordnet hat.
26 Zudem bemängeln die revisionswerbenden Parteien, das Verwaltungsgericht habe sich mit den von den revisionswerbenden Parteien zur Verhinderung des Zutritts von minderjährigen und gesperrten Personen nach § 19 Abs. 2 Wiener Wettengesetz eingerichteten Maßnahmen nicht auseinandergesetzt, sondern sich nur auf den unkontrollierten Zugang einer einzelnen Amtsperson gestützt.
27 Damit wird die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes gerügt. Die revisionswerbenden Parteien sind darauf hinzuweisen, dass Fragen der Beweiswürdigung regelmäßig als nicht über den Einzelfall hinausreichend keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zukommt. Die Beweiswürdigung ist nur dahingehend der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes unterworfen, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde und ob die dabei angestellten Erwägungen schlüssig sind, das heißt den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen; die Richtigkeit der Beweiswürdigung ist vom Verwaltungsgerichtshof nicht zu überprüfen (vgl. etwa VwGH 11.9.2017, Ra 2017/02/0091, mwN).
28 Entgegen den Revisionsausführungen hält die vom Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall vorgenommene Beweiswürdigung den dargestellten Prüfkriterien der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes stand. Die revisionswerbenden Parteien übersehen, dass das Verwaltungsgericht die Maßnahmen zur Vorkehrung nicht in Abrede stellte, sondern sie für nicht ausreichend erachtete.
29 Sofern die revisionswerbenden Parteien zuletzt noch eine Rechtswidrigkeit darin erblicken, dass dem Beweisantrag auf Einvernahme eines Zeugen nicht nachgekommen worden sei, ist auszuführen, dass der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, dass die Beurteilung, ob eine Beweisaufnahme im Einzelfall notwendig ist, dem Verwaltungsgericht obliegt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge diesbezüglich nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 2.10.2020, Ra 2020/02/0208, mwN).
30 Eine grobe Fehlerhaftigkeit ist nicht ersichtlich, weil das Verwaltungsgericht die Abweisung dieses Beweisantrags damit begründete, dass es auf die Einvernahme des beantragten Zeugen nicht ankomme, weil es nicht entscheidungswesentlich sei, ob der Zeuge als Behördenorgan erkannt und lediglich aufgrund dieser Eigenschaft eingelassen worden sei. Schließlich traf das Verwaltungsgericht ohnedies Feststellungen zu den für die Prüfung des § 19 Abs. 2 Wiener Wettengesetz relevanten Maßnahmen der Wettunternehmerin zur Verhinderung des Zutritts jugendlicher und gesperrter Personen (vgl. VwGH 25.5.2021, Ra 2021/02/0055).
31 In der Revision werden daher im Ergebnis keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 18. Jänner 2022
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Parteibegriff Parteistellung strittige Rechtsnachfolger ZustellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021020223.L00Im RIS seit
07.02.2022Zuletzt aktualisiert am
09.03.2022