TE Vwgh Beschluss 2022/1/18 Ra 2020/02/0061

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Veröffentlicht am 18.01.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRKZP 07te Art4
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller und den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision der Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 10. Februar 2020, LVwG-S-725/001-2019, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha; mitbeteiligte Partei: K in W, vertreten durch Univ.-Prof. Dr. Richard Soyer, Mag. Dr. Roland Kier und Dr.in Alexia Stuefer, Rechtsanwälte und Rechtsanwältin in 1010 Wien, Kärntner Ring 6), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Bund hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha vom 7. Februar 2019 wurde dem Mitbeteiligten als gemäß § 9 VStG verantwortlichem Beauftragten einer namentlich genannten Gesellschaft zur Last gelegt, dass in einer näher genannten Arbeitsstätte am 8. Mai 2018 eine Absperrarmatur einer Kondensat-Leitung nicht dicht gewesen sei, obwohl an der Leitung Arbeiten durchgeführt worden seien. Dadurch sei § 17 Abs. 1 ASchG übertreten worden, wonach Arbeitgeber dafür zu sorgen hätten, dass die Arbeitsstätten einschließlich der Arbeitsmittel ordnungsgemäß instandgehalten werden. Der Mitbeteiligte habe dadurch § 130 Abs. 1 Z 14 iVm § 17 Abs. 1 ASchG übertreten, weshalb über ihn gemäß § 130 Abs. 1 Z 14 ASchG eine Geldstrafe von € 1.660,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 144 Stunden) verhängt und ein Kostenbeitrag gemäß § 62 Abs. 2 VStG von € 166,-- vorgeschrieben wurde.

2        In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte der Mitbeteiligte - soweit für das gegenständliche Revisionsverfahren von Relevanz - vor, dass sich das Straferkenntnis aufgrund der Verletzung des Doppelverfolgungsverbotes als rechtswidrig erweise. Dies deshalb, weil die Staatsanwaltschaft Korneuburg das Ermittlungsverfahren wegen des Verdachtes der fahrlässigen Körperverletzung aufgrund des Arbeitsunfalles vom 8. Mai 2018 gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt habe.

3        Mit gegenständlich angefochtenem Erkenntnis vom 10. Februar 2020 gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich der Beschwerde Folge, es hob das bekämpfte Straferkenntnis auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG ein. Eine Revision erklärte es für nicht zulässig.

4        Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass der Mitbeteiligte zum verwaltungsstrafrechtlichen Beauftragten der in Rede stehenden Gesellschaft für die Einhaltung sämtlicher Arbeitnehmerschutzbestimmungen in der gegenständlichen Arbeitsstätte bestellt worden sei. Beim Tausch einer Kondensat-Leitung sei die Absperrarmatur nicht dicht gewesen, weswegen heißes Kondensat ausgetreten sei und einen Arbeitnehmer jenes Unternehmens, das mit der Durchführung von Instandhaltungsarbeiten beauftragt gewesen sei, verletzt habe. Aufgrund der schweren Körperverletzung des Arbeitsnehmers sei Anzeige an die Staatsanwaltschaft erstattet worden, die gegen unbekannte Täter wegen § 88 Abs. 1 und 4 erster Fall StGB ermittelt und - wie sich aus der dislozierten Feststellung auf Seite 10 des angefochtenen Erkenntnisses ergibt - ein sorgfaltswidriges Verhalten des Mitbeteiligten verneint habe. Mit dem an den Rechtsvertreter der Gesellschaft (und hier des Mitbeteiligten) adressierten Schreiben vom 21. Dezember 2018 habe die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt.

5        Rechtlich führte das Verwaltungsgericht aus, dass mit Blick auf Art. 4 7. ZP EMRK zunächst zu klären sei, ob die strafgerichtlich verfolgte Tathandlung (fahrlässige Körperverletzung nach § 88 StGB) einerseits und die verwaltungsstrafrechtliche Übertretungshandlung nach § 130 Abs. 1 Z 14 iVm § 17 Abs. 1 ASchG andererseits überhaupt dieselbe strafbare Handlung (idem) betreffen würden. Bei Bejahung dieser Frage sei im nächsten Schritt zu klären, ob die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 190 StPO Sperrwirkung im Sinne des „ne bis in idem-Prinzips“ entfalte und daher die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens zur Folge habe. Vor dem Hintergrund, dass ein sorgfaltswidriges Verhalten des Mitbeteiligten und damit sein Verschulden im Rahmen des Strafverfahrens wegen Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 StGB verneint worden sei, habe der Mitbeteiligte im Hinblick auf Art. 4 7. ZP EMRK sohin nicht ein weiteres Mal verwaltungsstrafrechtlich wegen Übertretung des § 130 Abs. 5 (wohl gemeint: Abs. 1 Z 14) ASchG verfolgt und verurteilt werden dürfen.

6        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Amtsrevision der Bundesministerin für Arbeit, Jugend und Familie mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

7        Der Mitbeteiligte erstattete nach Einleitung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung und beantragte die kostenpflichtige Zurück- in eventu die Abweisung der Revision.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Die Amtsrevision bringt in ihrer Zulässigkeitsbegründung vor, dass gegenständlich keine Doppelbestrafung vorliege, weil die Staatsanwaltschaft nicht konkret gegen den Mitbeteiligten, sondern gegen unbekannte Täter ermittelt habe. Es stelle sich somit die Rechtsfrage, ob die verwaltungsstrafrechtliche Verfolgung einer strafbaren Handlung aufgrund des Doppelbestrafungsverbots ausgeschlossen sei, wenn von der Staatsanwaltschaft das gegen unbekannte Täter wegen derselben strafbaren Handlung geführte Ermittlungsverfahren eingestellt wurde.

12       Der Mitbeteiligte wendet in der Revisionsbeantwortung ein, dem Strafverfahren der Staatsanwaltschaft liege ein materieller Beschuldigtenbegriff zu Grunde und es habe den Verdacht über das Vorliegen einer Straftat eines Entscheidungsträgers betroffen, ob die den Verband treffenden Pflichten verletzt worden seien. Das Ermittlungsverfahren habe sich lediglich formal gegen „unbekannte Täter“ gerichtet. Die Verständigung von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 194 Abs. 1 StPO sei gegenüber dem Beschuldigten (dem im Strafverfahren für die Gesellschaft ausgewiesenen Rechtsvertreter) erfolgt. Eine Verständigung von Zeugen über eine Verfahrenseinstellung sei gesetzlich nicht vorgesehen. Zudem sei der Gesellschaft Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren gewährt worden. Dies sei ein Recht, das gemäß § 49 Z 3 StPO dem Beschuldigten zustehe. Sowohl das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren als auch das Strafverfahren der Staatsanwaltschaft habe sich materiell gegen die Gesellschaft und den Mitbeteiligten als deren verantwortlichen Beauftragten gerichtet.

13       Die in den rechtlichen Ausführungen des angefochtenen Erkenntnisses enthaltene Annahme, ein sorgfaltswidriges Verhalten des Mitbeteiligten sei im Rahmen des Strafverfahrens verneint worden, betrifft tatsächliche Vorgänge und ist sohin als dislozierte Sachverhaltsfeststellung über die Ermittlungstiefe und -richtung des von der Staatsanwaltschaft geführten Verfahrens zu sehen.

14       Eine verfassungsrechtlich unzulässige Doppel- und Mehrfachbestrafung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 7. ZP EMRK liegt dann vor, wenn eine Strafverfolgung wegen einer strafbaren Handlung bereits Gegenstand eines Strafverfahrens war und dabei der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt des Täterverhaltens vollständig erschöpft. Ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt in dieser Konstellation, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Delikts in jeder Beziehung mitumfasst. Strafverfolgungen oder Bestrafungen wegen mehrerer Delikte, deren Straftatbestände einander wegen Subsidiarität, Spezialität oder Konsumtion ausschließen, bilden verfassungswidrige Doppelbestrafungen, wenn dadurch ein und dieselbe strafbare Handlung strafrechtlich mehrfach geahndet wird (vgl. VwGH 29.3.2021, Ra 2020/02/0298, mwN).

15       Da nach den Sachverhaltsannahmen des Verwaltungsgerichtes das von der Staatsanwaltschaft geführte Strafverfahren Ermittlungen (auch) gegen den Mitbeteiligten zum Gegenstand hatte, konnte mit der davon abweichenden Zulässigkeitsbegründung der Revision ein Widerspruch des angefochtenen Erkenntnisses zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 29.5.2015, 2012/02/0238, VwSlg. 19136 A, Punkt 6.) nicht aufgezeigt werden.

16       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

17       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, im Besonderen auf § 51 VwGG in Verbindung mit der VwGH-AufwErsV.

Wien, am 18. Jänner 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020020061.L00

Im RIS seit

07.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

09.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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