Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Jänner 2022 durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski als Vorsitzende sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz und Dr. Mann und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Mag. Jäger, BA, als Schriftführer in der Strafsache gegen * S* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten * M* sowie die Berufungen der Angeklagten * S*, * O* und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 26. Juli 2021, GZ 20 Hv 46/21g-155, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Gföller, der Angeklagten und ihrer Verteidiger Mag. Bertsch, Mag. Concin sowie Mag. Jelinek zu Recht erkannt:
Spruch
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * M* sowie aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den * O* und * M* betreffenden Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und insoweit in der Sache selbst erkannt:
Es werden für das ihnen zur Last liegende Verbrechen des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB (I./) sowie die Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (II./) und der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs 1 StGB (III./) unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB sowie der § 19 Abs 1 iVm § 5 Z 4 JGG nach § 142 Abs 1 StGB
* O* zu einer Freiheitsstrafe von
fünf Jahren
und * M* zu einer Freiheitsstrafe von
fünfeinhalb Jahren
verurteilt.
Die Vorhaftanrechnung wird dem Erstgericht überlassen.
Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten M* und O* sowie die Staatsanwaltschaft – soweit sie sich gegen die diese Angeklagten betreffenden Strafaussprüche richtet – auf die Strafneubemessung verwiesen.
Der Berufung des Angeklagten S* und der diesen Angeklagten betreffenden Berufung der Staatsanwaltschaft wird nicht Folge gegeben.
Den Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden * S*, * O* und * M* jeweils des Verbrechens des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB (I./), des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (II./) sowie des Vergehens der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs 1 StGB (III./) schuldig erkannt.
[2] Danach haben sie am 19. Juni 2020 in D* im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter
I./ Dr. * W* mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld und Wertgegenstände unerhobenen Gesamtwerts mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem sie vorerst zu zweit (S* und M*) an der Eingangstüre des Wohn- und Geschäftshauses des Dr. W* läuteten, als die Pflegerin * B* an der Türe erschien, die Türe aufdrückten, B* ins Stiegenhaus zurückdrängten, ihr den Mund zuhielten, mit entsprechender Handbewegung zum Ausdruck brachten, dass man ihr den Hals durchschneiden werde, wenn sie nicht kooperiere, sie in der Küche mit Klebeband und später auch einem Elektrokabel an einen Stuhl fesselte, sie nach einem Fluchtversuch zurückbrachten und ihr mitteilten, dass man ihre Familie kenne und wisse, wo diese wohne, indem sie weiters mehrere Schnurlostelefone unbrauchbar machten und eines zerstörten, sie zusammen mit dem zwischenzeitig dazu gekommenen O* arbeitsteilig die Räumlichkeiten der Wohnung und in Begleitung der B* die ehemaligen Kanzleiräumlichkeiten durchsuchten, mit einem Brieföffner versuchten, einen versperrten Schrank aufzubrechen, was misslang, mit einem Winkelschleifer („Flex“) während der gesamten Zeit den Wandtresor im Schlafzimmer aufzubrechen versuchten, wobei B* währenddessen stets von zumindest einem Täter bewacht blieb, indem sie sodann der hinzu kommenden * Be* ihr Handy abnahmen, sie ins Wohnzimmer drängten und dort an einen Stuhl fesselten, und, nachdem sie an der Öffnung des Tresors gescheitert waren nach über zweieinhalb Stunden die Wohnung des Dr. W* verließen;
II./ eines der im Zuge der zu I./ geschilderten Tat funktionsunfähig gemachten Schnurlostelefone des Dr. W*, mithin eine fremde Sache, durch Auseinanderbrechen irreparabel beschädigt, wobei der entstandene Schaden rund 50 Euro beträgt;
III./ den bei der zu I./ geschilderten Tat mitgenommenen Schlüsselbund des Dr. W* an einer unbekannten Stelle weggeworfen, mithin eine fremde bewegliche Sache aus dessen Gewahrsam dauernd entzogen, ohne sie sich oder einem Dritten zuzueignen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Gegen den Strafausspruch richtet sich die aus Z 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten M*.
[4] Zutreffend zeigt die Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall) eine Überschreitung der Strafbefugnis durch das Erstgericht auf, weil es bei der Strafbemessung hinsichtlich des Beschwerdeführers und des (Mit-)Angeklagten O* – der selbst keine Nichtigkeitsbeschwerde ergriffen hat – „unter Anwendung von § 36 StGB iVm § 19 Abs 1 und (zu ergänzen: §) 5 Z 4 JGG“ einen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe zugrunde gelegt hat (US 10), obwohl es sich bei den beiden Angeklagten nach den Feststellungen (US 1, 4 f) um zum Tatzeitpunkt junge Erwachsene handelte, bei denen nach den angeführten Bestimmungen das Mindestmaß der von § 142 Abs 1 StGB angedrohten Freiheitsstrafe entfällt.
[5] Diese Nichtigkeit erfordert die Aufhebung des Strafausspruchs hinsichtlich M* und – von Amts wegen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz zweiter Fall StPO) – O*.
[6] Bei der dadurch erforderlichen Strafneubemessung war bei beiden Angeklagten erschwerend das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit zwei Vergehen, das Eindringen in die Wohnstätte eines anderen, die dabei geübte Gewalt gegen zwei Opfer und die Ausnützung der Hilflosigkeit des Dr. W*, mildernd hingegen das Geständnis, der Umstand, dass es hinsichtlich des Raubs beim Versuch geblieben ist, eine Schadensgutmachung in der Höhe von insgesamt 1.500 Euro, die Tatbegehung vor Vollendung des 21. Lebensjahres (RIS-Justiz RS0091277 [T3]) und bei O* zusätzlich der bisher ordentliche Lebenswandel.
[7] Für eine durch Drogenkonsum maßgeblich herabgesetzte Zurechnungsfähigkeit – wie von M* behauptet – fehlen jegliche Anhaltspunkte (US 5; vgl im Übrigen § 35 StGB). Genauso wenig kann bei zwei strafgerichtlichen Vorverurteilungen (ON 69: §§ 185, 194 dStGB und § 374 Abs 1 dStGB [letzte Tat: 7. Jänner 2020]) und seinem eingestandenen Suchtgiftmissbrauch von einem ordentlichen Lebenswandel die Rede sein.
[8] Soweit die Angeklagten ihr – nach eigenen Angaben – umfassendes und reumütiges Geständnis sowie den von ihnen geleisteten Beitrag zur Wahrheitsfindung herausstreichen, ist dies insofern zu relativieren, als sie vor allem bestrebt waren, den eigenen Beitrag als untergeordnet darzustellen und die Verantwortung den jeweils anderen zuzuschieben, auch auf Nachfrage aber Aufschlüsse über Hintergründe und die Rollenverteilung bei dem Überfall schuldig blieben.
[9] Im Hinblick auf die konkreten Umstände des Raubversuchs, nämlich dem geplanten Eindringen in die Wohnstätte eines an Altersdemenz leidenden Opfers, der Anwesenheit in diesem geschützten Bereich über einen Zeitraum von zumindest zwei Stunden und den mit der Tat verbundenen psychischen Folgen bei * B* (posttraumatische Belastungsstörung) und * Be* (Schock) kann der Unrechtsgehalt der Tat, auch wenn sich die Angeklagten – wie sie vorbringen – „schwerer Gewalt“ enthalten haben, keineswegs als „unterdurchschnittlich“ angesehen werden.
[10] Unter Abwägung dieser Strafzumessungskriterien waren die aus dem Spruch ersichtlichen Freiheitsstrafen dem Unrechtsgehalt der Taten und der Schuld der Angeklagten angemessen.
[11] Einer auch nur teilbedingten Strafnachsicht (§§ 43, 43a StGB iVm § 19 Abs 2 und § 5 Z 9 JGG) stehen angesichts der gezeigten kriminellen Energie unabweislich spezialpräventive Erwägungen entgegen.
[12] Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten O* und M* sowie die Staatsanwaltschaft auf diese Strafneubemessung zu verweisen.
[13] Über den Angeklagten S* wurde vom Erstgericht eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren verhängt.
[14] Bei der Strafzumessung wertete das Erstgericht – zutreffend – das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit zwei Vergehen, die einschlägige Vorstrafe, das Eindringen in die Wohnstätte eines anderen, die dabei geübte Gewalt gegen zwei Opfer und die Ausnützung der Hilflosigkeit des Dr. W* als erschwerend, das Geständnis, den Umstand, dass es hinsichtlich des Raubs beim Versuch geblieben ist, sowie die Schadensgutmachung in der Höhe von insgesamt 1.500 Euro hingegen als mildernd,
[15] Mit dem Vorbringen, er sei „quasi“ unbescholten, im Tatzeitpunkt nur knapp über 21 Jahre gewesen und die Gewalt habe sich „in Grenzen“ gehalten, zeigt der Beschwerdeführer angesichts der oben angestellten Erwägungen zum Gewicht der Straftat keine Notwendigkeit der Korrektur des Strafausspruchs auf.
[16] Gleiches gilt für die Berufung der Staatsanwaltschaft, die als erschwerend noch die Begehung mit Mittätern reklamiert (vgl aber § 33 Abs 1 Z 4 StGB).
[17] Den Berufungen des Angeklagten S* und der Staatsanwaltschaft in Bezug auf diesen Angeklagten war daher keine Folge zu geben.
[18] Die Vorhaftanrechnung wird dem Erstgericht überlassen.
[19] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E133712European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0150OS00122.21M.0119.000Im RIS seit
07.02.2022Zuletzt aktualisiert am
07.02.2022