TE Lvwg Erkenntnis 2021/10/14 VGW-102/013/5758/2021

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Veröffentlicht am 14.10.2021
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Entscheidungsdatum

14.10.2021

Index

24/01 Strafgesetzbuch

Norm

StGB §269 Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Dr. Helm über die Beschwerde des Herrn A. B., vertreten durch Rechtsanwälte, gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch seine Festnahme, die dabei erfolgte Beschädigung seiner Sonnenbrille und die nachfolgende erkennungsdienstliche Behandlung einschließlich eines DNA-Abstrichs am 6.3.2021 in Wien, gegen die Landespolizeidirektion Wien als belangte Behörde, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerdeführer hat dem Rechtsträger der belangten Behörde (Bund) EUR 57,40 für Vorlageaufwand, EUR 368,80 für Schriftsatzaufwand und EUR 461,00 für Verhandlungsaufwand, insgesamt sohin EUR 887,20 an Aufwandersatz binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu leisten.

III. Die Revision ist unzulässig.

Entscheidungsgründe

1. Mit Schriftsatz vom 16.4.2021, zur Post gegeben am selben Tag und sohin rechtzeitig, erhob der Einschreiter durch seine Rechtsfreunde Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG, worin er zum Sachverhalt vorbringt:

„In der dem Beschwerdeführer ausgestellten Festnahmebestätigung begründet die belangte Behörde die Festnahme mit „§ 171 Abs 2 in Verbindung mit § 170 Abs. 1 Z 1 durch die Kriminalpolizei von sich aus, weil Widerstand gegen die Staatsgewalt“.

Gemäß § 170 Abs 1 Z 1 StPO ist die Festnahme einer Person, die der Begehung einer strafbaren Handlung verdächtig ist, zulässig, wenn sie auf frischer Tat betreten oder unmittelbar danach entweder glaubwürdig der Tatbegehung beschuldigt oder mit Gegenständen betreten wird, die auf ihre Beteiligung an der Tat hinweisen.

Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt der Festnahme nicht der Begehung einer strafbaren Handlung verdächtig.

Durch die sofortige Einstellung des Verfahrens wird deutlich, dass nicht einmal das von der belangten Behörde behauptete Umwerfen eines Tretgitters - und daher schon gar nicht das vom Beschwerdeführer tatsächlich vorgenommen bloße Rütteln daran - einen Widerstand gegen die Staatsgewalt und damit die Begehung einer strafbaren Handlung darstellt.

Vollständigkeitshalber weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass gegen den

Beschwerdeführer noch ein für diese Maßnahmenbeschwerde nicht relevantes Strafverfahren vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien zu GZ … anhängig ist.

Dieses Strafverfahren betrifft die - vom Beschwerdeführer bestrittenen - Vorwürfe, er habe während der Demonstration einerseits einen Polizisten angegriffen und andererseits Widerstand gegen die Festnahme geleistet, wobei ersterer Vorwurf auf der angeblichen Wiedererkennung des Beschwerdeführers als zuvor unbekannter Täter durch den angeblich angegriffenen Polizisten im Nachhinein am 11. März 2021 basiert. Beide Vorwürfe sind durch evidente Beweise zu Gunsten des Beschwerdeführers (inklusive Videobeweis) zu widerlegen.

Ungeachtet dessen, sind die gegen den Beschwerdeführer im Strafverfahren erhobenen Vorwürfe keinesfalls geeignet, die Festnahme des Beschwerdeführers am 6. März 2021 zu rechtfertigen.

Die Gesetzwidrigkeit einer Festnahme oder Anhaltung ist nämlich nach der Rechts- und Sachlage im Zeitpunkt der Entscheidung über die Freiheitsentziehung bzw der Verhaftung zu beurteilen. Dabei sind nachträglich hervorgekommene Umstände nicht mehr zu berücksichtigen (vgl OGH l Ob 197/19f). Die nachträgliche Wiedererkennung des Beschwerdeführers als Angreifer kann daher nicht einmal, wenn sie den Tatsachen entspräche, dessen Festnahme am 6. März 2021 (also rückwirkend!) rechtfertigen.

Eine Rechtfertigung der Festnahme durch das angebliche Verhalten, das der Beschwerdeführer aufgrund eben dieser Festnahme gesetzt haben soll, käme ebenso einer unzulässigen Berücksichtigung nachträglicher Umstände gleich. Die Festnahme kann daher auch nicht durch den angeblichen Widerstand des Beschwerdeführers gegen die Festnahme gerechtfertigt werden.

Beweis: Abschlussbericht samt Strafantrag vom 12.3.2021, ./B

Verletzung des Rechts auf Persönliche Freiheit

Der Beschwerdeführer wurde durch die widerrechtliche Festnahme in seinem gemäß Artikel 5 EMRK sowie Artikel 1 des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf Persönliche Freiheit verletzt. Denn der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt der Festnahme nicht der Begehung einer strafbaren Handlung verdächtig.

Selbst bei Verwirklichung des Tatbildes des Widerstandes gegen die Staatsgewalt durch das von der belangten Behörde behauptete - vom Beschwerdeführer bestrittene - Umwerfen eines Tretgitters, wäre die Festnahme unzulässig gewesen. Denn die Haft einer Person ist eine so schwerwiegende Maßnahme, dass sie willkürlich wäre, wenn sie nicht als letztes Mittel gerechtfertigt ist und andere, weniger schwerwiegende Maßnahmen in Erwägung gezogen und als unzureichend zur Sicherung des individuellen oder öffentlichen Interesses, das die Haft verlangen könnte, befunden wurden (EGMR, Rush, ÖJZ 2009, 426). Selbst bei Verwirklichung des Tatbildes des Widerstandes gegen die Staatsgewalt wäre das Verbringen des Beschwerdeführers ins Polizeianhaltezentrum Rossauer Lände, nachdem sich der Beschwerdeführer ausgewiesen hatte, nicht zulässig gewesen.“

In rechtlicher Hinsicht wird vorgebracht, der Beschwerdeführer sei zum Zeitpunkt der Festnahme nicht der Begehung einer strafbaren Handlung verdächtig gewesen, was sich aus der sofortigen Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft ergebe. Der Vorwurf des Angriffs auf einen Polizeibeamten basiere auf eine Wiedererkennung des Beschwerdeführers durch den Beamten fünf Tage nach dem Vorfall, und sowohl dieser Vorwurf als auch der des Widerstands seien durch Beweise einschließlich Videos zu widerlegen, seien keinesfalls geeignet gewesen, die Festnahme des Beschwerdeführers zu rechtfertigen. Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer durch die erkennungsdienstliche Behandlung einschließlich DNA-Untersuchung in seinem Recht auf Geheimhaltung der ihn betreffenden Personen bezogenen Daten verletzt. Bei seiner Festnahme sei der Beschwerdeführer in unverhältnismäßiger Weise am Boden fixiert worden, wodurch seine Sonnenbrille zu Bruch gegangen sei. Schließlich vermeint der Beschwerdeführer, noch in seinen Rechten auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit verletzt worden zu sein. Es wird die kostenpflichtige Erklärung der Maßnahme für rechtswidrig beantragt.

Der Beschwerde liegen eine Haftbestätigung über die Haftdauer von 14:45 Uhr bis 20:10 Uhr am 6.3.2021, sowie der Auszug eines Berichts der Polizei über die Festnahme aus eigener Macht und ein Strafantrag der Staatsanwaltschaft Wien vom 12.3.2021 wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt einschließlich der Einstellung vom selben Tage mangels Verwirklichung des Tatbestandes.

2. Mit Schriftsatz vom 7.6.2021 legte die belangte Behörde auftragsgemäß den von ihrem Polizeikommissariat … zur AZ: … geführten Verwaltungsakt in Ablichtung vor und gab bekannt, dass das Original mit Abschlussbericht vom 11.3.2021 der Staatsanwaltschaft Wien vorgelegt worden sei. Das gerichtliche Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer sei vom Landesgericht für Strafsachen Wien zur GZ: … protokolliert.

2.1. Unter einem erstattete die belangte Behörde zu ihrer GZ: … eine Gegenschrift, worin sie zum Sachverhalt auf die im vorgelegten Akt enthaltene Meldung der WEGA – Zivile Aufklärungsgruppe und deren von RevI C. verfassten Amtsvermerk vom 6.3.2021 verweist und ausführt, der Beschwerdeführer habe im Zusammenwirken mit anderen Personen durch Gewaltausübung eine polizeiliche Tretgittersperre weggerissen und die an dieser Sperre postierten Exekutivbeamten „überlaufen“. Es werde unter anderem von Angehörigen der WEGA – Zivile Aufklärungsgruppe beobachtet worden, welche den Beschwerdeführer später ihren uniformierten Kollegen zur Durchführung der Festnahme gezeigt hätten. Beim Ausspruch der Festnahme gemäß § 171 Abs. 2 iVm § 170 Abs. 1 Z 2 StPO habe sich der Beschwerdeführer widersetzt und versucht zu flüchten, sei aber nach kurzer Verfolgung angehalten und zu Boden gebracht worden.

In rechtlicher Hinsicht wird auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes verwiesen, wonach der Beurteilung der Frage, ob der in § 170 Abs. 1 StPO für die Festnahme zwingende vorausgesetzte Tatverdacht vertretbarer Weise angenommen wurde, jener Sachverhalt zugrunde zu legen ist, der sich den einschreitenden Behördenorganen im Zeitpunkt der Amtshandlung darbot (VwGH 7.10.1991, B 1352/90 u.a. für den damals gültigen § 175 StPO). Der Beschwerdeführer habe zunächst eine polizeiliche Sperre durch Ausrufung Gewalt überwunden und habe sich bei seiner Festnahme losgerissen und zu flüchten versucht. Um nach seiner Einholung zu verhindern, dass er neuerlich Widerstand und Fluchthandlungen setze, sei er am Boden fixiert worden. Die dabei erfolgte Beschädigung seiner Brille sei selbstverständlich nicht beabsichtigt gewesen. Am Boden sei der Beschwerdeführer an den Händen gefesselt worden.

Die in der Beschwerde weiters bekämpfte Identitätsfeststellung stelle geradezu der Zweck einer Festnahme gemäß § 171 Abs. 2 iVm § 170 Abs. 1 Z 1 StPO dar. Sie sei daher nicht - auch nicht in Bezug auf das im § 1 DSG normierte Recht – rechtswidrig.

Die belangte Behörde beantragte daher die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet.

2.2. In seiner Stellungnahme vom 15.7.2021 rügt der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsfreund, es sei ihm nicht genauer dargelegt worden, worin sein Widerstand gegen die Staatsgewalt bestanden habe. Während die Staatsanwaltschaft vom Umwerfen eines Tretgitters ausgegangen sei, werde nunmehr ein Wegreißen und ein anschließendes nicht näher konkretisiertes „Überlaufen der postierten Beamten“ durch den Beschwerdeführer behauptet. Durch die unzureichende Begründung seien überdies seine Informationsrechte verletzt worden. Die Beamten, welche das Verhalten des Beschwerdeführers selbst hätten beobachten können, während keinem Irrtum über Tatsachen erlegen, sondern lediglich einem Rechtsirrtum, weil sie das von ihnen beobachtete Verhalten zu Unrecht unter den Straftatbestand des Widerstands gegen die Staatsgewalt subsumiert hätten. Die Annahme, das Hantieren an einem Tretgitter verwirkliche das Delikt des § 269 StGB, sei nicht vertretbar, und die Rechtsunkenntnis der Beamten könne keinesfalls zur Rechtmäßigkeit der Festnahme führen.

Weiters wird vorgebracht, Grund der Beschädigung der Sonnenbrille sei das unverhältnismäßige Fixieren des Beschwerdeführers am Boden gewesen. Erstmals wird auch vorgebracht, dass die Voraussetzungen für den Einsatz von Handfesseln nicht vorgelegen hätten, und dass die Besichtigung des unbekleideten Körpers des Beschwerdeführers unverhältnismäßig gewesen wäre. Wie bereits in der Beschwerde wird die erkennungsdienstliche Behandlung gerügt. Erstmals hingegen wendet sich der Beschwerdeführer auch gegen die Anhaltedauer von fünfeinhalb Stunden.

2.3. Die belangte Behörde hat dazu neuerlich Stellung genommen, in dem sie ausführt, im vorgelegten Akt sei durchgehend von einem Reißen am Tretgitter nicht von einem Umwerfen die Rede. Die Tathandlung sei durchgehend mit einem Reißen umschrieben worden, wobei verschiedentlich angemerkt worden sei, dass die Tretgitter dadurch am Ende auch auf den Boden lagen. Nicht nachvollziehbar sei auch, weshalb in der Stellungnahme der Vorwurf des Überlaufens der aus Beamten bestehenden Sperrkette als „unverständlich“ bezeichnet werde. Vielmehr sei dieses Vorkommnis in diversen Aktenteilen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Einsatz von Pfefferspray gegen die attackierenden Demonstrationsteilnehmer genannt. Es sei sohin klar, dass es sich hierbei um einen gewalttätigen Vorgang handle, durch den die Sperrkette überwunden werde. Unter einem legte die belangte Behörde zwei kurze Videosequenzen auf DVD vor.

3. Am 14.10.2021 fand die öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien statt, zu welcher der Beschwerdeführer mit seinem Rechtsvertreter Mag. D. und die Zeugen RvI E., BzI F., RvI C. und BzI G. ladungsgemäß erschienen sind. Die belangte Behörde war durch Herrn Dr. H. vertreten. Nach Abschluss des Beweisverfahrens wurde das Erkenntnis verkündet.

3.1. Aufgrund des Akteninhaltes und der vorgelegten Unterlagen und Videos, Einvernahme der genannten Zeugen und Parteienvernehmung hat das Verwaltungsgericht Wien folgenden Sachverhalt festgestellt und als erwiesen angenommen:

Am 6.3.2021 war eine Kundgebung gegen die Covid-19-Maßnahmen zunächst um die Mittagszeit am K.-platz angemeldet, sodann am Nachmittag auf der L. Zwischen den beiden Kundgebungen versuchte ein Großteil der Teilnehmer, auf dem M. und – soweit gesperrt – etwas außerhalb von einem Ort zum anderen zu gelangen. Um etwa 14.00 Uhr befand sich der Beschwerdeführer im Bereich der P.-straße inmitten einer größeren Gruppe von Demonstranten, die durch die Innenstadt marschieren wollten, obwohl die dem M. nächstgelegenen Straßen mit Tretgittern und daran postierten Beamten abgesperrt waren. Der Beschwerdeführer hatte zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Biere getrunken und war einigermaßen alkoholisiert. Da zahlreiche Demonstranten ärgerlich darüber waren, dass auch die dem M. nächstgelegenen Parallelstraßen gesperrt waren, forderte der Beschwerdeführer die der Sperre der R.-straße nächst stehenden Demonstranten lautstark auf, diese Sperre zu durchbrechen und begann daraufhin an einem der Tretgitter zu rütteln. Andere folgten seinem Beispiel und rüttelten ebenfalls an den Tretgittern. Als eines der Tretgitter nachgab und sich dort eine Lücke auftat, forderte der Beschwerdeführer mit Handbewegungen die anderen Demonstrationsteilnehmer auf, durch diese Lücke in die R.-straße weiterzuströmen. Die etwa sechs dort postierten Beamten mussten vor der Übermacht kapitulieren und die Demonstranten vorbeilassen, nachdem sie vorher vergeblich Pfefferspray eingesetzt hatten.

Neben den zum Schutz der Sperre postierten uniformierten Exekutivbeamten unter dem Kommando von BzI G. befanden sich in dem Bereich auch wenigstens zwei zivile Aufklärungsbeamte der WEGA, welche – ebenso wie BzI G. - den Beschwerdeführer als Rädelsführer des Durchbruchs der Sperre wahrgenommen hatten und seine Beschreibung an die weiter in Marschrichtung der Demonstranten postierten Beamten (namentlich an die drei übrigen Zeugen) weitergaben. Zudem wurde einer der zivilen WEGA-Beamten nach vor geschickt, um den Beschwerdeführer auch selbst zu identifizieren. Aufgrund von dessen Angaben und der über Funk bzw. Ferngespräch weitergegebenen Beschreibung gelang die Identifizierung des Beschwerdeführers im Bereich des S., wo zunächst Abteilungsinspektor F. versuchte, den Beschwerdeführer ohne größeres Aufsehen aus den Demonstranten herauszulösen, ihn an der Jacke fasste und sagte, er möge mitkommen. Obwohl der Beschwerdeführer den Zeugen als uniformierten Exekutivbeamten erkannte, riss er sich los und lief davon. Die Zeugen E. und C. verfolgten ihn und konnten ihn stellen. Da er sich gegen die Festnahme wehrte, wurde er kontrolliert zu Boden gebracht und mit Handschellen gefesselt, wobei seine Sonnenbrille zu Bruch ging. In der Folge wurde er darüber informiert, dass er wegen des zuvor gesetzten Widerstands gegen die Staatsgewalt festgenommen worden sei. Die Festnahme fand um 14.55 Uhr statt. Der Beschwerdeführer wurde daraufhin in das Polizeianhaltezentrum Roßauer Lände verbracht, wo ihm vor seiner Visitierung die Handfesseln abgenommen wurden. Es fand eine erkennungsdienstliche Behandlung statt, bei der vom Beschwerdeführer mit dessen Einwilligung auch ein DNA-Abstrich genommen wurde. Weniger als drei Stunden nach seiner Festnahme fand bereits die Einvernahme statt, nach der der Beschwerdeführer auf freien Fuß gesetzt wurde.

3.2. Diese Feststellungen gründen sich auf folgende Beweisergebnisse:

In erster Linie waren die beiden vorgeführten Videos und die Aussagen der drei festnehmenden Beamten E., C. und F. maßgeblich. Aus dem Zusammenhang von deren Aussagen mit den vorgeführten Videos ergibt sich bereits, dass die Wahrnehmungen der bei der R.-straße postierten zivilen Aufklärungsbeamten und des Zeugen G. zutreffend an die am S. postierten Kollegen weitergegeben worden sind, sodass diese mit dem Beschwerdeführer genau jene Person festgenommen haben, welche von den erstgenannten Beamten als Rädelsführer des gewaltsamen Durchbruchs der Sperre wahrgenommen worden war. Eine zusätzliche Befragung der Aufklärungsbeamten – welche im Übrigen aus gutem Grund anonym bleiben sollen – würde daran nichts ändern, weil bereits aus den Videos die Rolle des Beschwerdeführers als Rädelsführer dieses Durchbruchs deutlich erkennbar ist.

Im Übrigen war dem Beschwerdeführer – legt man seine eigenen Aussagen zu Grunde – bei seiner Festnahme durchaus bewusst, dass er sich im Zusammenhang mit dem Durchbrechen der Sperre R.-straße unter Umständen einer Straftat schuldig gemacht habe. Dieses Schuldgefühl dokumentierte er auch vor den festnehmenden Beamten durch sein Losreißen und Weglaufen. Dass beim kontrollierten Zu-Boden-Bringen und Anlegen der Handfesseln eine Sonnenbrille herunterfallen und zu Bruch gehen kann, ist nicht außergewöhnlich. Eine alternative Vorgehensweise für die Beamten ist aber aus dem Beweisverfahren nicht hervorgekommen. Im Übrigen hat der Beschwerdeführer seine Rolle als Rädelsführer beim Durchbruch der Sperre, welche er bereits bei seiner polizeilichen Einvernahme nur zu relativieren versucht, aber im Wesentlichen eingeräumt hatte, auch vor Gericht nicht ernsthaft bestritten; er hat die auf den Videos ersichtlichen Vorgänge nur etwas anders interpretiert.

Die Visitierung fand in keiner ungewöhnlichen Weise statt, hat der Beschwerdeführer doch selbst angegeben, dass er sich nur bis auf die Boxershorts ausziehen musste. Weiters hat er eingeräumt, dass er dem DNA-Abstrich letztlich zugestimmt hat.

3.3. In rechtlicher Hinsicht wurde erwogen:

Die Aufforderung, eine polizeiliche Sperre zu durchbrechen, das eigenhändige Rütteln an dieser Sperre und nach dem dadurch erfolgten Öffnen einer Lücke das Durchleiten der anderen Demonstranten, sodass die dagegen in gravierender Unterzahl postierten Polizeibeamten gezwungen waren, die Übermacht der Kundgebungsteilnehmer vorbeizulassen, kann vertretbarer Weise als Widerstand gegen die Staatsgewalt im Sinne des § 269 Abs. 1 StGB gewertet werden. Dass in der Folge die Staatsanwaltschaft, welche im Übrigen nur vom Umwerfen eines Tretgitters ausgegangen war, das Verfahren eingestellt hat, verschlägt dabei nichts. Schon zwecks Identifizierung war der Beschwerdeführer daher festzunehmen; zudem hat er versucht, sich seiner Festnahme durch Flucht zu entziehen. Bereits aus diesem Grund war auch die Handfesselung gerechtfertigt (abgesehen davon, dass sie erst nach Ablauf der Beschwerdefrist zum Beschwerdegegenstand erhoben worden ist; das gleiche gilt für die Anhaltedauer).

Auf den Festnahmegrund wurde der Beschwerdeführer ordnungsgemäß hingewiesen, zumal ihm der genaue Sachverhalt offenkundig bewusst gewesen ist, und der Rechtsgrund der Visitierung ergibt sich aus der Festnahme. Der Festnahmegrund rechtfertigt auch die darauf gestützten erkennungsdienstlichen Maßnahmen, soweit sie sich nicht in der bloßen Datenermittlung erschöpfen; für letztere wäre das Verwaltungsgericht ohnehin unzuständig.

Der Vollständigkeit halber (wegen der Verspätung nur als obiter dictum) ist anzumerken, dass sich die Anhaltedauer durchaus im erwartbaren Rahmen hält, und angesichts der vorhandenen Belastung der belangten Behörde und ihrer Organe mit Demonstrationsüberwachung und Amtshandlungen gegen auffällig gewordene Personen sogar als äußerst kurz darstellt.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 35 VwGVG in Verbindung mit der VGW Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 517/2013. Als unterliegende Partei hat der Beschwerdeführer der obsiegenden belangten Behörde Kostenersatz für deren Schriftsatz-, Vorlage- und Verhandlungsaufwand zu leisten.

5. Die ordentliche Revision gegen diese Entscheidung ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Polizeiliche Sperre; Durchleiten von Demonstranten; Widerstand gegen die Staatsgewalt; Festnahmedauer; Handfesselung; Fluchtversuch; Identifizierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2021:VGW.102.013.5758.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.02.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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