TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/26 W140 2168379-1

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Veröffentlicht am 26.07.2021
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Entscheidungsdatum

26.07.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs1
B-VG Art133 Abs4
Dublin III-VO Art28
FPG §76 Abs2 Z2
VwGVG §35

Spruch


W140 2168379-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. HÖLLER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , StA. Irak, gegen den Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.08.2017, Zl. XXXX , und gegen die Anhaltung in Schubhaft von 10.08.2017 bis 30.08.2017 zu Recht erkannt:

A.)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG idgF iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG idF BGBl. I Nr. 70/2015 iVm Art. 28 Dublin III-VO als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 35 VwGVG iVm VwG - Aufwandersatzverordnung, hat die BF dem Bund (Bundesminister für Inneres) Aufwendungen in Höhe von € 426,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Der Antrag der BF auf Kostenersatz wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.

B.) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

Mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 10.08.2017, Regionaldirektion XXXX , wurde über die Beschwerdeführerin (BF) gemäß Art 28 Abs. 1 und 2 der Dublin III-VO iVm § 76 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz, BGBl I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, iVm § 57 Absatz 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl Nr. 51/1991 (AVG) idgF, die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Anordnung zur Außerlandesbringung sowie der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Die Verwaltungsbehörde führte u. a. Folgendes aus:

„Verfahrensgang

Sie reisten um den 09.08.2017 illegal nach Österreich ein und am 09.08.2017 versuchten Sie illegal nach Deutschland auszureisen, Ihnen wurde die Einreise in die BRD verweigert und Sie wurden nach Österreich zurückgewiesen.

Sie wurden im Anschluss zur zuständigen Supportstelle XXXX verbracht, wo eine Erstbefragung zur Feststellung der allgemeinen Situation vorgenommen wurde.

Im Zuge der Überprüfungen wurde festgestellt, dass Sie bereits in Rumänien am 1.8.2017 um internationalen Schutz angesucht haben.

Am 09.08.2017, Uhr, wurde der BFA-Journaldienst über den Sachverhalt informiert und es wurde gegen Sie um ca. 19.30 Uhr ein Festnahmeauftrag gem. § 34/1/2 BFA-VG erlassen, Ihre Überstellung in das PAZ XXXX angeordnet und ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet. Dieses ist noch nicht durchsetzbar.

Am 10.08.2017 wurden Sie im PAZ XXXX , im Beisein eines Dolmetschers der kurdischen Sprache, niederschriftlich befragt, die wesentlichen Passagen gestalteten sich dabei wie folgt:

Anmerkung: Der Fremde wird infolge eines Festnahmeauftrages gem.

§ 34 Abs.1 Ziffer 2 BFA-VG

durch Organe der Exekutive.. um 10:20 Uhr vorgeführt.

F. Welche Sprachen sprechen Sie.

A.Nur kurdisch

Sie werden nunmehr ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Sie im Fall von Verständigungsschwierigkeiten jederzeit rückfragen können.

V: Ihnen werden die Anwesenden vorgestellt und der Zweck und Ablauf der Einvernahme erläutert. Sie werden davon in Kenntnis gesetzt, dass gegen Sie nunmehr ein Verfahren zur Erlassung einer Sicherungsmaßnahme geführt wird. Gibt es Einwände gegen eine anwesende Person?

A: Ich habe verstanden, ich habe keine Einwände.

Zur Prüfung dieses Sachverhaltes sind Sie, auch in Ihrem Interesse einer möglichsten Vermeidung von Eingriffen in Ihre Rechte, zur mitwirkenden Klärung des Sachverhaltes verpflichtet und haben die Möglichkeit das Parteiengehör wahrzunehmen.

F: Haben Sie irgendein Dokument.

A.Nein.

LA: Wieviel Geld haben Sie bei sich bzw wieviel steht Ihnen zur Verfügung (Kreditkarte od Bankomatkarte – wieviel kann davon behoben werden, sind sie gedeckt)?

Partei: Ich habe kein Geld, auch keine Kreditkarte oder Bankomatkarte.

F. Wann und wie verließen Sie Ihren Heimatstaat. Geben Sie, unter Nennung auch von Dauer von Aufenhalten in den jeweigen Ländern an, über welche Länder Sie nach Österreich gelangten.

A. Ich bin am 16.07.2017 aus dem Irak ausgereist. Von dort über die Türkei durch mehrere andere Länder, ich weiß die Namen nicht, bis nach Deutschland wo die Einreise verweigert wurde.

F. Wann reisten Sie nach Österreich ein.

A. Am 08.08.2017

F. Haben Sie eine fremdenrechtliche Genehmigung wie etwa ein Visum/Aufenthaltsberechtigung etc. für Österreich oder einen sonstigen europäischen Staat.

A. Nein

F. Stellten Sie jemals in Österreich oder woanders in Europa einen Antrag auf internationalen Schutz.

A. Nein

Anm.: Partei wird mit dem Einbringen eines Asylantrages in Rumänien am 01.08.2017 konfrontiert und gibt an, dass Ihr dort die Fingerabdrücke abgenommen wurden.

F. Geben Sie Ihre Heimatadresse an.

A.Stadt: XXXX
Dorf: XXXX

F: Sind Sie verheiratet?

A: Nein

F: Haben Sie Kinder?

A: Nein

F: Haben Sie Geschwister?

A: Ich habe 7 Geschwister, 4 Brüder u. 3 Schwestern.

F. Namen der Geschwister und Alter?

A. XXXX

F: Wo sind die Geschwister?

A: XXXX sind mit mir hier in Österreich, XXXX sind XXXX . XXXX sind in Deutschland.

F: Haben Sie in Österreich einen Wohnsitz oder waren Sie jemals länger in Österreich aufhältig.

A: Nein

F. Haben Sie Verwandte oder sonstige enge Bindungen/Bezugspersonen (Familie, Freunde, Privatleben) in Österreich.

A.Nein ich habe hier niemanden.

V: Sie haben am 01.08.2017 in Rumänien einen Asylantrag gestellt, warum haben Sie das Verfahren nicht abgewartet?

A:Ich habe nicht bewusst einen Asylantrag dort gestellt. Uns wurden von der Polizei die Fingerabdrücke abgenommen.

F: Aufgrund der derzeitigen Aktenlage beabsichtigt das BFA eine Anordung zur Außerlandesbringung zu erlassen, besteht ein Interesse an freiwilliger Ausreise?

A: Nein es besteht kein Interesse an freiwilliger Ausreise.

V. Als irakischer Staatsangehöriger unterliegen Sie einer fremdenrechtlichen Genehmigungspflicht (Visum/Aufenthaltstitel für Österreich oder EU etc.) für einen rechtmäßige Einreise und in weiterer Folge einen rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich, eine solche fremdenrechtlichen Genehmigung haben Sie gem. Aktenlage nicht, Sie sind somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.

Aufgrund der Aktenlage steht fest, dass Sie am 08.08.2017 illegal nach Österreich einreisten, Sie keinen Aufenthaltstitel für Österreich oder die EU haben, in weiterer Folge sich somit illegal im Bundesgebiet aufhielten und aufhalten.

Sie haben auch keine Bezugspersonen oder sonstigen Bezugspunkte in Österreich.

Deshalb wird Ihnen zur Kenntnis gebracht, dass gegen Sie ein Verfahren zur Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung geführt wird und/oder die Abschiebung in den zuständigen Mitgliedsstaat damit verbunden ist und beabsichtigt ist gegen Sie die Schubhaft zu verhängen.

F: Nehmen Sie dazu Stellung?

A: Wir haben in Rumänien keinen Asylantrag gestellt uns wurden nur die Fingerabdrücke abgenommen.

F: Sind Sie oder Ihre mitgereisten Angehörigen je von einer gerichtlichen Untersuchung als Zeuge oder Opfer oder einem zivil- oder strafrechtlichen Gerichtsverfahren oder eine (einstweiligen) gerichtlichen Verfügung in Österreich betroffen gewesen?

A. Nein

F. Wollen Sie ansonsten noch etwas angeben.

A. Ich will nicht zurück nach Rumänien, ich habe dort keinen Asylantrag gestellt.

Ich habe alles verstanden und nichts mehr hinzuzufügen.

F: Hiermit erhalten Sie die Länderinformation für Rumänien, Sie können innerhalb einer Woche dazu Stellung nehmen.

Anm.: Die Aushändigung der Länderinformation wird angeboten u. von der Partei abgelehnt.

Mit Verfahrensanordnung vom heutigen Tag wurde Ihnen ein Rechtsberater gemäß § 52 BFA-VG für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

Feststellungen

Der Entscheidung liegen folgende Feststellungen zugrunde:

Zu Ihrer Person:

Sie sind nicht österreichischer Staatsbürger. Die Bestimmungen des FPG sind daher auf

Ihre Person anwendbar.

Ihre Identität steht nicht fest. Soweit Sie in diesem Verfahren benannt werden handelt es sich

um eine Verfahrensidentität.

Zu Ihrer rechtlichen Position in Österreich:

Sie sind ohne gültiges Reisedokument illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist, nachdem Sie zuvor am 01.08.2017 in Rumänien einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben. Sie wollten nach Deutschland weiterreisen.

Sie halten sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Sie haben keinen Wohnsitz, keine Beschäftigung. Es sind keine Anzeichen einer Integration bekannt.

Gegen Sie wurde ein Verfahren zur Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung eingeleitet. Diese ist noch nicht durchführbar.

Nach Abschluss des Verfahrens ist Ihre Abschiebung nach Rumänien geplant.

Zu Ihrem bisherigen Verhalten:

Sie sind nach Österreich illegal eingereist und halten sich nicht rechtmäßig in Österreich auf.

Sie entzogen sich dem laufenden Verfahren in Rumänien und versuchten unentdeckt nach Deutschland weiterzureisen.

Sie besitzen kein gültiges Reisedokument. Sie können Österreich aus eigenem Entschluss nicht legal verlassen. Sie missachteten die österreichische Rechtsordnung, indem Sie illegal nach Österreich einreisten und in weiterer Folge illegal die Grenze nach Deutschland passieren wollten.

Sie haben sich auch nicht den österr. Behörden zur Verfügung gehalten oder sich an diese gewandt.

Sie verfügen nicht über ausreichend Barmittel um Ihren Unterhalt zu finanzieren. Einer legalen Beschäftigung gehen Sie nicht nach.

Sie gaben bei der Erstbefragung am 9.8.2017 und bei der Einvernahme am 10.08.2017 an, dass Sie nach einer etwaigen Entlassung gleich wieder nach Deutschland fahren zu wollen, obwohl dies mangels Dokumente und sonstiger Berechtigungen (Visa etc.) nur unrechtmäßig möglich wäre.

Zu Ihrem Privat- und Familienleben:

Sie haben keinen ordentlichen Wohnsitz in Österreich.

Sie sind in Österreich weder familiär, noch beruflich oder sozial verankert.

Rechtliche Beurteilung

(…)

Entsprechend ihres bisherigen Verhaltens begründen folgende Kriterien in Ihrem Fall eine erhebliche Fluchtgefahr:

Sie reisten widerrechtlich und ohne gültiges Reisedokument nach Österreich ein und versuchten, illegal nach Deutschland weiterzureisen und Sie haben sich auch nicht aus eigenem an die den österr. Behörden zwecks Klärung Ihres Aufenthaltes gewandt.

Sie stellten am 1.8.2017 in Rumänien einen Asylantrag und verließen das für die Prüfung Ihres Asylantrages zuständige Land, Rumänien.

Sie haben das Verfahren nicht abgewartet sondern entzogen sich dem dortigen Verfahren. Betreffend Ihrer weiteren Reisepläne gaben Sie am 9.8.2017 und bei der Einvernahme am 10.08.2017 an, wenn Sie in Österreich freigelassen würden, wieder nach Deutschland weiter reisen zu wollen.

Sie stellten in Österreich keinen Asylantrag und aufgrund des gesamten Sachverhaltes geht die Behörde davon aus, dass Sie sich auch den österreichischen Behörden freiwillig nicht zur Verfügung halten werden, dies gaben Sie auch durch die Aussage wieder nach Deutschland weiterreisen zu wollen, auch ausdrücklich an.

Sie haben keinerlei persönliche Beziehungen oder Bindungen zu Österreich.

Aufgrund Ihres illegalen Aufenthaltes haben Sie auch keine Möglichkeit einer legalen Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Sie haben keinen Wohnsitz in Österreich.

Sie unterlaufen durch Ihre rechtswidrige Einreise die fremdenrechtlichen Bestimmungen Österreichs.

Eine Abschiebung nach Rumänien ist zeithnah möglich.

Ihr gesamtes Verhalten ist, wie ausgeführt, dergestalt, dass die Behörde von einer erheblichen Fluchtgefahr, insbesondere auch durch Ihre Aussage nach einer etwaigen Freilassung wieder nach Deutschland auszureisen, ausgehen muss. Sie sind in keinster Weise gewillt sich dem Verfahren, insb. einer Abschiebung zu stellen.

Daher ist die Entscheidung auch verhältnismäßig.

Die Sicherung des Verfahrens bzw. der Abschiebung ist erforderlich, da Sie sich aufgrund Ihres oben geschilderten mehrfach gezeigten Vorverhaltens als keineswegs vertrauenswürdig erwiesen haben. Es ist eindeutig davon auszugehen – Sie haben es auch immer wieder schon bewiesen- dass Sie auch hinkünftig nicht gewillt sein werden, die Rechtsvorschriften einzuhalten.

Aus Ihrer Wohn- und Familiensituation, aus Ihrer fehlenden sonstigen Verankerung in Österreich sowie aufgrund Ihres bisherigen Verhaltens kann geschlossen werden, dass bezüglich Ihrer Person ein beträchtliches Risiko des Untertauchens vorliegt.

Einem geordneten Fremdenwesen kommt im Hinblick auf die öffentliche Ordnung und dem wirtschaftlichen Wohl des Staates ein hoher Stellenwert zu. Es besteht die Verpflichtung Österreichs, seinen europarechtlichen Vorgaben, als auch den Pflichten gegenüber seinen Staatsbürgern und anderen legal aufhältigen Personen nachzukommen.

Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft und ihrer Notwendigkeit ergibt daher in Ihrem Fall, dass Ihr privates Interesse an der Schonung Ihrer persönlichen Freiheit dem Interesse des Staates am reibungslosen Funktionieren der öffentlichen Verwaltung hintanzustehen hat.

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 28.8.2008, 2008/22/0532; VwGH 31.8.2006, 2004/21/0140).

Dabei wurde auch berücksichtigt, dass die Schubhaft eine ultima - ratio – Maßnahme darstellt. Es ist daher zu prüfen, ob die Anordnung gelinderer Mittel gleichermaßen zur Zweckerreichung dienlich wäre. In Betracht käme dabei das gelindere Mittel gem. § 77 FPG mit den dafür vorgesehenen Aufenthalts- und Meldepflichten bzw. der Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit. Dabei kommt die finanzielle Sicherheitsleistung aufgrund Ihrer finanziellen Situation schon von vornherein nicht in Betracht.

Doch auch was die Unterkunftsnahme in bestimmten Räumlichkeiten und die periodische Meldeverpflichtung betrifft, kann in Ihrem Fall damit nicht das Auslangen gefunden werden.

Wie oben ausführlich dargelegt, besteht in Ihrem Fall aufgrund Ihrer persönlichen Lebenssituation sowie aufgrund Ihres bisherigen Verhaltens ein beträchtliches Risiko des neuerlichen Untertauchens. Damit wäre jedoch der Zweck der Schubhaft, nämlich die Sicherung des Verfahrens bzw. der Abschiebung, vereitelt. Es liegt somit eine ultima – ratio – Situation vor, die die Anordnung der Schubhaftverhängung unabdingbar erfordert und eine Verfahrensführung, während derer Sie sich in Freiheit befinden, ausschließt.

Es ist weiters aufgrund Ihres Gesundheitszustandes davon auszugehen, dass auch die subjektiven Haftbedingungen, wie Ihre Haftfähigkeit, gegeben sind.

Es wurden weder gesundheitliche Hinderungsgründe vorgebracht, noch solche festgestellt.

Die Behörde gelangt daher zum Ergebnis, dass sowohl die gesetzlichen Formalerfordernisse vorliegen, als auch, dass die Schubhaft zum Zweck der Maßnahme in einem angemessenen Verhältnis steht und im Interesse des öffentlichen Wohls dringend erforderlich und geboten ist.“

Mit Verfahrensanordnung vom 10.08.2017 wurde der BF durch das BFA gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe amtswegig zur Seite gestellt.


Mit Schriftsatz vom 23.08.2017 erhob die BF durch ihre Vertretung Beschwerde. In der Beschwerde wird u. a. Folgendes ausgeführt:

„ (…)

Da im vorliegenden Fall die Schubhaft nach der Dublin III-VO verhängt wurde, sind zur Beurteilung des Sachverhaltes die in Art 28 der Dublin III-VO festgelegten Kriterien heranzuziehen. Gem Art 28 Abs 2 darf eine Person nur nach Durchführung einer Einzelfallprüfung in Haft genommen werden und nur im Falle dass Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnehmen nicht wirksam anwenden lassen.

Der EuGH hebt hervor, „dass bei der Inhaftnahme von Antragstellern, die einen schwerwiegenden Eingriff in deren Recht auf Freiheit darstellt, strenge Garantien, nämlich

Bestehen einer Rechtsgrundlage, Klarheit, Vorhersehbarkeit, Zugänglichkeit und Schutz vor Willkür, einzuhalten sind" (vgl EuGH RS AI Chodor u.a. vom 15.03.2017, C-528/15, Rz 40).

Die belangte Behörde begründet das Vorliegen des Sicherungsbedürfnisses damit, dass die BF widerrechtlich und ohne gültiges Reisedokument nach Österreich eingereist seien und versucht hätten, illegal nach Deutschland weiterzureisen. Sie hätten sich auch nicht aus eigenem an die österreichischen Behörden zwecks Klärung des Aufenthaltes gewandt. Die BF hätten am 01.08.2017 in Rumänien einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und hätten das zuständige Land zur Prüfung des Antrages (gemeint Rumänien) verlassen. In der Einvernahme am 10.08.2017 hätten die BF angegeben, im Fall der Entlassung nach Deutschland weiterreisen zu wollen. Die BF hätten in Österreich keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Aufgrund des gesamten Sachverhaltes gehe die Behörde davon aus, dass sich die BF den österreichischen Behörden nicht zur Verfügung halten würden. Die BF hätten keine persönlichen Beziehungen oder Bindungen zu Österreich. Aufgrund des illegalen Aufenthaltes bestünde keine Möglichkeit einer legalen Erwerbstätigkeit. Die BF hätten auch keinen Wohnsitz in Österreich (Bescheid betreffend BF1).

Die belangte Behörde übersieht in diesem Zusammenhang jedoch, dass die von ihr aufgezählten Sachverhaltselemente großteils Umstände sind, die in einer „Dublin Konstellation" geradezu typischerweise vorliegen. Bereits zu Zeiten der Anwendbarkeit der

Dublin Il-VO stellte es die ständige Rechtsprechung des VwGH dar, dass im Anwendungsbereich dieser Schubhaft keine Standardmaßnahme gegen Asylwerber sein darf (vgl VwGH 28.02.2008, 2007/21/0391). In der Regierungsvorlage zum Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015 (FrÄG 2015) wird klargestellt:

Z 6 berücksichtigt insbesondere die bisherige Judikatur des VwGH, wonach für die Schubhaftverhängung „besondere Gesichtspunkte vorliegen (müssen], die erkennen ließen, es handle sich um eine von den typischen ,Dublin-Fällen' abweichende Konstellation, in der mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auf Grund konkreter Anhaltspunkte auf eine drohende Verfahrensvereitelung durch den Fremden geschlossen werden könne" (Zl 2014/21/0075 sowie Z/ 2013Æ1/0170 mwN).

Die Äußerung nicht in den als zuständig erachteten Mitliedstaat zurückkehren zu wollen und mangelnde berufliche und soziale Verankerung im Bundesgebiet stellen keine besonderen Umstände dar, um ein nur durch Schubhaft abzudeckendes Sicherungsbedürfnis zu begründen (vgl VwGH 30.08.2011, 2008/21/0498).

Zwar gaben die BF in der Einvernahme am 10.08.2017 an, nicht nach Rumänien ausreisen zu wollen, diese Willensbekundung ist jedoch gem der hier dargestellten Judikatur des VwGH nicht maßgeblich. Dass die BF Rumänien verlassen haben, führt überhaupt erst zur Eröffnung des Anwendungsbereiches der Dublin III-VO, begründet daher ebenso wenig Fluchtgefahr, schon gar nicht Fluchtgefahr in erheblichem Ausmaß. Auch, dass die BF beabsichtigten, nach Deutschland einzureisen, begründet keine Fluchtgefahr. Die Behörde spricht damit den Schubhafttatbestand des § 76 Abs 3 Z 6 lit b FPG an. Doch auch dieser Umstand stellt keinen besonderen Gesichtspunkt dar, der den gegenständlichen Fall wesentlich von anderen Dublin-Konstellationen unterscheiden würde.

(…)

Unzweifelhaft war Deutschland das Ziel der BF, als sie nach Europa einreisten. Dies ist vor dem Hintergrund, dass die Eltern und Geschwister der zwar erwachsenen, jedoch noch jungen, BF in Deutschland leben, verständlich. Bis zum Zeitpunkt der Schubhaftverhängung waren die BF jedoch nicht darüber aufgeklärt worden, dass die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates sich nach den Kriterien der Dublin-VO richtet. Auch dem Protokoll der Einvernahme ist nicht zu entnehmen, dass den BF das System der Dublin-VO erklärt worden wäre. Die Unkenntnis der Dublin III-VO kann den BF nicht zum Vorwurf gemacht werden.

Nach Konfrontation mit den maßgeblichen Bestimmungen sind die BF nunmehr sehr wohl bereit, das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates in Österreich abzuwarten (siehe dazu nachfolgend Punkt 4). Unzutreffend ist; dass die BF 1 in der Einvernahme am 10.08.2017 angegeben hätte, (nach wie vor) im Fall der Entlassung nach Deutschland ausreisen zu wollen. Eine derartige Aussage ist dem Protokoll der Einvernahme nicht zu entnehmen, die Feststellung der Behörde daher aktenwidrig.

Wie bereits angesprochen, begründet auch die fehlende soziale Verankerung in Österreich in einem „Dublin-Fall" keine Fluchtgefahr.

Entscheidend wäre daher, ob weitere Gesichtspunkte die Annahme rechtfertigen, die BF würden sich dem Verfahren entziehen. Gerade in einem früheren Verfahrensstadium bedarf es nach der Rechtsprechung des VwGH (vgl VwGH 23.09.2010, 2007/21/0432) besonderes ausgeprägter Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung, um die Verhängung der Schubhaft zu rechtfertigen (vgl auch die Materialien zur Regierungsvorlage des FRÄG 2015, 582 der Beilagen XXV. GP Regierungsvorlage — Erläuterungen). Derartige Umstände liegen aber im vorliegenden Fall nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, welche Umstände „besondere Gesichtspunkte" iSd VwGH Judikatur darstellen würden, die den vorliegenden Fall von anderen „DublinFällen" unterscheiden würde.

Die belangte Behörde verweist noch abstrakt darauf, dass die Normen, welche die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zukomme. Dazu ist festzuhalten, dass Gesichtspunkte der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit keinen Grund für die Anhaltung in Schubhaft darstellen (VwGH 20.02.2014, 2013/21/0178).

Mangels Bestehens erheblicher Fluchtgefahr erweist sich daher schon die Verhängung der Schubhaft als rechtswidrig.

(…)

Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, auszuführen, warum sie im Fall der BF davon ausgeht, dass die Anträge in missbräuchlicher Art und Weise gestellt wurde. Dafür liegen nämlich objektiv betrachtet keine Anhaltspunkte vor. Die BF beabsichtigten ursprünglich, am 09.08.2017, nach Deutschland weiterzureisen. Im Rechtsberatungsgespräch im Stande der Schubhaft am 17.08.2017 wurden die BF erstmals über den Inhalt der Dublin III-VO aufgeklärt. Die Antragstellung erfolgte somit auch noch in zeitlicher Nähe zur Schubhaftverhängung am 10.08.2017. (…)“


Die Verwaltungsbehörde erstattete am 23.08.2017 nachstehende Stellungnahme:

„Das Bundesamt informiert über gegenständliches Verfahren, in welchem eine Entscheidung – gem. Art. 28 Abs 1 und 2 der Verordnung iVm § 76 Abs. 2 Zi. 2 FPG iVm § 57 Abs.1 AVG - ergangen ist. (…) Aufgrund der eingebrachten Beschwerde erlaubt sich das BFA folgende Stellungnahme abzugeben:

- Der Fremden wurde am 09.08.2017 die illegale Einreise nach Deutschland verweigert und von Beamten der LPD XXXX festgenommen.

- Am 10.08.2017 wurde die Fremde niederschriftlich zur Prüfung der Sicherungsmaßnahme und Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme einvernommen.

- Aufgrund eines EURODAC-1 Treffers von Rumänien ( XXXX vom 01.08.2017) wurde am 10.08.2017 ein Konsultationsverfahren eingeleitet – das Ergebnis ist noch ausständig

- Die Fremde stellte am 17.08.2017 im Stande der Schubhaft einen Asylantrag. Am 18.08.2017 Uhr erfolgte die Asyl-Erstbefragung durch die Exekutive. Am selben Tag wurde ein AV gem. § 76 Abs. 6 FPG verfasst und der Betroffenen nachweislich zur Kenntnis gebracht.

- Aufgrund des laufenden Asylverfahrens, wird das eingeleitete EAM-Verfahren ( zur Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung) nicht weitergeführt, sondern wird dies im Rahmen der Asylentscheidung mitabgehandelt. Das INT-Verfahren ist bei der EAST-Ost derzeit laufend.

- Bei der Identität handelt es sich mangels Dokumente um eine Verfahrensidentität. Es liegen dzt. Keine Aliasdatensätze auf.

- Ein HRZ-Verfahren ist nicht laufend, da aufgrund des EURODAC-1-Treffes einer Anordnung zur Außerlandesbringung vorgesehen ist.

Es wird beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge

1.       die Beschwerde als unbegründet abweisen

2. gemäß § 22a BFA-VG feststellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen,

3. den Beschwerdeführer zum Ersatz der unten angeführten Kosten verpflichten.“

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.08.2017, Zl. XXXX wurde der Beschwerde stattgegeben und die Anhaltung vom 10.08.2017 (14.00 Uhr) bis zur Entlassung der BF für rechtswidrig erklärt (Spruchpunkt A.I). Der Bund hat gemäß § 35 Abs. 2 VwGVG iVm § 1 Z. 1 VwG-AufwErsV der BF den Verfahrensaufwand in Höhe von € 737,60 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen (Spruchpunkt A.II). Der Antrag, die BF von der Eingabegebühr zu befreien, wurde als unzulässig zurückgewiesen (Spruchpunkt A.III). Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt B.). Gegen das Erkenntnis erhob die belangte Behörde außerordentliche Revision.


Der Verwaltungsgerichtshof erkannte über die erhobene Revision mit Erkenntnis vom 14.11.2017, Ra 2017/21/0194-5, wie folgt: „Das bekämpfte Erkenntnis wird im Umfang seiner Anfechtung (Spruchpunkte A I. und A II.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.“

Seine Entscheidung begründete der VwGH auszugsweise wie folgt:

„ (…)13 Dem BVwG ist im Sinne der Ausführungen des BMI zunächst anzulasten, dass es einen ausdrücklichen "Fortsetzungsausspruch" nach § 22a Abs. 3 BFA-VG unterlassen hat. Entgegen seiner Auffassung war dieser "Fortsetzungsausspruch" im Hinblick darauf, dass sich die Mitbeteiligte im Entscheidungszeitpunkt noch in Haft befand, auch auf Grund ihrer nach Ansicht des BVwG gebotenen Entlassung aus der Schubhaft nicht "obsolet", weil erst mit dem "Fortsetzungsausspruch" über die Rechtmäßigkeit einer weiteren Anhaltung in Schubhaft - woraus dann, wenn diese nicht für zulässig erklärt wird, erst die Verpflichtung des BFA zur Enthaftung des Fremden folgt - abgesprochen wird. Insoweit hat das BVwG daher genau betrachtet eine Entlassung vorweggenommen, ohne dass sich eine behördliche Verpflichtung zu einer solchen aus dem Spruch seines Erkenntnisses ergeben hätte. Lediglich die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses lässt die Deutung zu, es solle auch die weitere Anhaltung in Schubhaft nicht zulässig sein.

14 Davon abgesehen verbietet aber auch die unterschiedliche Struktur der Entscheidung über Schubhaftbescheid und bisherige Anhaltung auf dessen Basis einerseits sowie der Entscheidung über die Zulässigkeit der Fortsetzung der Haft andererseits (vgl. dazu nur das Erkenntnis VwGH 5.10.2017, Ro 2017/21/0007, Rn. 11) die vom BVwG vorgenommene ganzheitliche Beurteilung.

15 Die verfehlte Vorgangsweise des BVwG bildet sich im Weiteren darin ab, dass - soweit dem angefochtenen Erkenntnis überhaupt Ausführungen mit Begründungswert zu entnehmen sind (siehe dazu gleich unten) - unterschiedslos mit einem "im Hinblick auf das laufende (Asyl) Verfahren" offenstehenden Grundversorgungsanspruch argumentiert wird. Wie das für den Schubhaftbescheid vom 10. August 2017 und die darin anschließende Anhaltung bis zur Stellung des Antrags auf internationalen Schutz am 17. August 2017 relevant sein kann, entzieht sich einem sinnvollen Verständnis bzw. lässt sich nur so erklären, dass das BVwG in Verkennung der Rechtslage (siehe Rn. 14) den gebotenen Abspruch über die Beschwerde nach § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG mit dem "Fortsetzungsausspruch" nach § 22a Abs. 3 BFA-VG in unzulässiger Weise vermengt hat.

16 Der Verweis auf einen bestehenden Grundversorgungsanspruch, dem im Übrigen angesichts der jedenfalls vom BFA unterstellten Weiterreiseabsicht der Mitbeteiligten nach Deutschland fallbezogen nur eingeschränkt Bedeutung beigemessen werden kann, ist das einzige erkennbare Begründungselement der angefochtenen Entscheidung. Darüber hinaus begnügt sie sich im Wesentlichen, im Rahmen der "Beweiswürdigung", mit der oben unter Rn. 9 dargestellten Kritik an Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Schubhaft. Ein Begründungswert ist diesen Ausführungen schon deshalb nicht zu entnehmen, weil ihnen jeder Fallbezug fehlt. Wenn überhaupt, so lassen diese Ausführungen, wie in der Amtsrevision mit Recht angemerkt wird, lediglich erkennen, dass das BVwG im Ergebnis an der Richtigkeit seiner eigenen Entscheidung zweifelt.

17 Im Einzelnen braucht auf diese "Überlegungen" des BVwG aber nicht eingegangen werden; sie sind als reine Polemik zu qualifizieren, entbehren einer sachlichen Grundlage und sind in Bezug auf die angesprochenen (hier aber gar nicht vorliegenden) Fälle von ehemaligen Asylwerbern nach rechtskräftigem Abschluss ihres Verfahrens schlichtweg falsch. Festzuhalten ist jedoch, dass sie mangels Bezugnahme auf konkrete rechtliche Überlegungen des Verwaltungsgerichtshofes über das hinaus gehen, was in einer gerichtlichen Entscheidung in Auseinandersetzung mit der Judikatur eines Höchstgerichtes zulässig erscheint und insoweit die Autorität der Staatsfunktion Gerichtsbarkeit insgesamt in Frage stellen. An dieser Einschätzung ändert auch der - gleichfalls nicht näher explizierte - Verweis auf den, eine Amtsrevision in Schubhaftsachen zurückweisenden, hg. Beschluss vom 15.9.2016, Ra 2016/21/0256, nichts. Verschwiegen wird nämlich, dass in diesem Zurückweisungsbeschluss abschließend unter Rn. 14 ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, es sei "fallbezogen auch unerheblich, dass das BVwG im Einzelnen nicht tragfähige Überlegungen, unter undifferenzierter Bezugnahme auf nicht näher genannte ‚Judikatur der Höchstgerichte', anstellte." Damit wurde in hinreichender Deutlichkeit zu erkennen gegeben, dass die in dem dem genannten Beschluss zu Grunde liegenden Erkenntnis des BVwG angestellten Erwägungen verfehlt waren.

18 Der nach dem Gesagten jedenfalls unpassenden "Beweiswürdigung" des BVwG steht gegenüber, dass es die gebotene Auseinandersetzung mit dem konkreten Fall nahezu völlig unterlassen hat. Insbesondere ist es auf die unter Rn. 3 wiedergegebenen Überlegungen des BFA in seinem Schubhaftbescheid vom 10. August 2017, bei deren Zutreffen in Verbindung mit der geäußerten Absicht, nicht nach Rumänien zurückkehren zu wollen, am Maßstab der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (siehe etwa schon das Erkenntnis VwGH 25.03.2010, 2008/21/0617) jedenfalls von erheblicher Fluchtgefahr auszugehen wäre, und auf die dazu aufgestellten Behauptungen in der erhobenen Schubhaftbeschwerde - was allerdings die Durchführung der dort beantragten Beschwerdeverhandlung vorausgesetzt hätte - überhaupt nicht eingegangen. Das angefochtene Erkenntnis erweist sich somit auch deshalb als rechtswidrig. Es war aber im Umfang seiner Anfechtung schon im Hinblick auf die insoweit prävalierende Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (siehe insbesondere Rn. 15) gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.“

Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 18.11.2019 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung W197 abgenommen und der Gerichtsabteilung W140 neu zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Die BF ist Staatsangehörige des Irak und nicht österreichische Staatsangehörige. Sie reiste über die Türkei und aus Rumänien kommend am 08.08.2017 mit ihren Geschwistern in das Bundesgebiet ein.

In Rumänien stellte die BF laut EURODAC-Abfrage am 01.08.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie wartete das rumänische Asylverfahren jedoch nicht ab. Sie reiste nach Österreich weiter, ihr Ziel war Deutschland.

Der BF wurde gemeinsam mit ihren Geschwistern die Einreise nach Deutschland verweigert und sie wurden nach Österreich zurückgewiesen.

Mit Mandatsbescheid des BFA vom 10.08.2017, Regionaldirektion XXXX , wurde über die BF gemäß Art 28 Abs. 1 und 2 der Dublin III-VO iVm § 76 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz, BGBl I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, iVm § 57 Absatz 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl Nr. 51/1991 (AVG) idgF, die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Anordnung zur Außerlandesbringung sowie der Sicherung der Abschiebung angeordnet.

Die BF hat sich dem Verfahren in Rumänien entzogen. Ihr wurde bei ihrem Versuch - aus Rumänien kommend über Österreich illegal nach Deutschland zu reisen - die Einreise nach Deutschland verweigert, sie wurde nach Österreich zurückgewiesen und in weiterer Folge festgenommen. Sie hat sich nicht von sich aus an die österreichischen Behörden gewandt. Am 09.08.2017 wurde der BF an der deutschen Grenze die Einreise verweigert. Sie gab in der Basisbefragung durch die LPD XXXX am 09.08.2017 an, dass sie im Falle einer Freilassung versuchen würde, nach Deutschland zu kommen, da dort ihre Verwandtschaft lebe. Bei ihrer Einvernahme vor dem BFA am 10.08.2017 gab die BF an, ihr Zielland wäre Deutschland gewesen. Ebenso verweigerte sie in der Einvernahme freiwillig auszureisen respektive nach Rumänien zurückzukehren. Das Konsultationsverfahren mit Rumänien wurde seitens des BFA am 10.08.2017 eingeleitet. Rumänien stimmte am 24.08.2017 zu.

Die BF stellte am 17.08.2017 aus dem Stande der Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz. Das BFA fertigte nach Asylantragstellung am 18.08.2017 einen Aktenvermerk gemäß § 76 Abs. 6 FPG an und brachte diesen der BF nachweislich zur Kenntnis.

Die BF befand sich von 10.08.2017 bis 30.08.2017 in Schubhaft.

Die BF war mittellos und verfügte - bis auf ihre Geschwister, mit denen sie zusammen einreiste - über keine familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Weiters verfügte sie im Bundesgebiet über keinen festen Wohnsitz und war nicht legal erwerbstätig. Sie sprach nicht Deutsch. Die BF war haftfähig.

Im Fall der BF war von erheblicher Fluchtgefahr auszugehen. Die BF verfügt zum Entscheidungszeitpunkt über keine aufrechte Meldeadresse in Österreich.

2. Beweiswürdigung

Der angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA, den vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes sowie dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes.

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität XXXX , und zur Staatsangehörigkeit der BF getroffen wurden, beruhen diese auf den vom BFA sowie vom Bundesverwaltungsgericht getroffenen Feststellungen. Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung der Person der BF im gegenständlichen Verfahren.

Die Feststellungen zur Festnahme und der weiteren Anhaltung ergeben sich aus dem unstrittigen Akteninhalt und entsprechen dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes (Einsicht in die Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung).

Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen und Lebensumständen der BF in Österreich, insbesondere zur fehlenden sozialen, familiären, beruflichen Verankerung und zum Fehlen ausreichender Existenzmittel beruhen auf den Angaben der BF im Verfahren vor der belangten Behörde. Die Feststellungen die Barmittel der BF betreffend ergeben sich auch aus der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung.

Die BF wollte nach ihren eigenen Angaben - wie auch nach den Ausführungen in der Beschwerdeschrift - nach Deutschland weiterreisen. Ihr wurde bei ihrem Versuch - aus Rumänien kommend über Österreich illegal nach Deutschland zu reisen - die Einreise nach Deutschland verweigert, sie wurde nach Österreich zurückgewiesen.

In der Basisbefragung am 09.08.2017 bei der LPD XXXX antwortete die BF auf die Frage: „Was würden Sie tun wenn Sie jetzt freigelassen werden: Ich würde versuchen nach Deutschland zu kommen da dort meine Verwandtschaft lebt“.

Aus der Einvernahme vor dem BFA vom 10.08.2017 geht hervor, dass die BF nach Deutschland wollte, kein Interesse an freiwilliger Ausreise besteht sowie sie nicht zurück nach Rumänien will. Die BF brachte u. a. vor: „Ich bin am 16.07.2017 aus dem Irak ausgereist. Von dort über die Türkei durch mehrere andere Länder, ich weiß die Namen nicht, bis nach Deutschland wo die Einreise verweigert wurde. (…) XXXX sind mit mir hier in Österreich, XXXX sind XXXX . XXXX sind in Deutschland. (…) Nein es besteht kein Interesse an freiwilliger Ausreise. (…) Ich will nicht zurück nach Rumänien, ich habe dort keinen Asylantrag gestellt“.

Das Gesamtbild, dass die BF nach Deutschland weiterzureisen beabsichtigte und nicht nach Rumänien zurück wollte wurde auch durch die Asylantragstellung am 17.08.2017 und die Angabe - die BF wolle nunmehr in Österreich bleiben - nicht verändert. Die Illegalität einer Weiterreise nach Deutschland musste der BF jedenfalls spätestens seit ihrem Aufgriff an der deutschen Grenze und ihrer Zurückweisung nach Österreich am 09.08.2017 bewusst gewesen sein. In der Erstbefragung nach dem Asylgesetz am 18.08.2017 gab die BF an, dass Deutschland ihr Reiseziel gewesen sei, weil dort ihre Familie lebe. Sie wolle auf keinen Fall zurück nach Rumänien. Es war daher von erheblicher Fluchtgefahr auszugehen.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht aufzunehmen.


3. Rechtliche Beurteilung

Der Verwaltungsgerichtshof behob mit Erkenntnis vom 14.11.2017, die Spruchpunkte A.I und A.II des Erkenntnisses des BVwG vom 30.08.2017.

Es war daher gegenständlich erneut über die Beschwerde gegen den Mandatsbescheid vom 10.08.2017 und die darauf gestützte Anhaltung der BF von 10.08.2017 bis zu ihrer Entlassung am 30.08.2017 abzusprechen.

Zu Spruchpunkt A.I.) Mandatsbescheid vom 10.08.2017 und Anhaltung in Schubhaft vom 10.08.2017 bis zum 30.08.2017

Der mit "Schubhaft" betitelte § 76 FPG idF BGBl. I Nr. 70/2015 lautete:

„(1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

2. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,   

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen oder Meldeverpflichtungen gemäß §§ 56 oder 71 FPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder 15a AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“


Gemäß § 76 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz (FPG) idF BGBl. I Nr. 70/2015 konnten Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG durfte eine Schubhaft angeordnet werden, wenn die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Artikel 28 Dublin III-Verordnung „Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung“ lautet:

„Haft

(1) Die Mitgliedstaaten nehmen eine Person nicht allein deshalb in Haft, weil sie dem durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegt.

(2) Zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren, dürfen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dieser Verordnung, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, nach einer Einzelfallprüfung die entsprechende Person in Haft nehmen und nur im Falle, dass Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.

(3) Die Haft hat so kurz wie möglich zu sein und nicht länger zu sein, als bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung gemäß dieser Verordnung durchgeführt wird.

Wird eine Person nach diesem Artikel in Haft genommen, so darf die Frist für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs einen Monat ab der Stellung des Antrags nicht überschreiten. Der Mitgliedstaat, der das Verfahren gemäß dieser Verordnung durchführt, ersucht in derartigen Fällen um eine dringende Antwort. Diese Antwort erfolgt spätestens zwei Wochen nach Eingang des Gesuchs. Wird innerhalb der Frist von zwei Wochen keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

(…)“

Art 29 Dublin III-Verordnung „Überstellung“ lautet:

„Modalitäten und Fristen

(1) Die Überstellung des Antragstellers oder einer anderen Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme — oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Absatz 3 aufschiebende Wirkung hat.

Wenn Überstellungen in den zuständigen Mitgliedstaat in Form einer kontrollierten Ausreise oder in Begleitung erfolgen, stellt der Mitgliedstaat sicher, dass sie in humaner Weise und unter uneingeschränkter Wahrung der Grundrechte und der Menschenwürde durchgeführt werden.

Erforderlichenfalls stellt der ersuchende Mitgliedstaat dem Antragsteller ein Laissez-passer aus. Die Kommission gestaltet im Wege von Durchführungsrechtsakten das Muster des Laissezpasser. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

Der zuständige Mitgliedstaat teilt dem ersuchenden Mitgliedstaat gegebenenfalls mit, dass die betreffende Person eingetroffen ist oder dass sie nicht innerhalb der vorgegebenen Frist erschienen ist.

(2) Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist.(…)“

Fluchtgefahr im Sinne der Dublin III-VO (Art. 2 lit n) bedeutet das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein zu überstellender Fremder dem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte. Die gesetzlichen Kriterien waren/sind in § 76 Abs. 3 FPG festgelegt.

Gemäß § 76 Abs. 3 FPG liegt eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei sind insbesondere die Kriterien des § 76 Abs 3 Z 1 bis 9 zu berücksichtigen.

Im vorliegenden Fall wurde die Schubhaft über die BF gemäß Art 28 Abs. 1 und 2 der Dublin III-VO iVm § 76 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz, BGBl I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, iVm § 57 Absatz 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl Nr. 51/1991 (AVG) idgF, zum Zwecke der Sicherung der Anordnung zur Außerlandesbringung sowie der Sicherung der Abschiebung angeordnet.

Im Fall der BF war aufgrund der Kriterien des § 76 Abs. 3 Z 6 und Z 9 FPG von erheblicher Fluchtgefahr auszugehen.
Gemäß § 76 Abs. 3 Z 6 FPG ist zu berücksichtigen, ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat, der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt.

Die BF ist als Irakerin Drittstaatsangehörige. Die BF stellte am 01.08.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz in Rumänien und wartete ihr Asylverfahren in Rumänien nicht ab.

Der BF wurde am 09.08.2017 bei ihrem Versuch - aus Rumänien kommend über Österreich illegal nach Deutschland zu reisen - die Einreise nach Deutschland verweigert, sie wurde nach Österreich zurückgewiesen.

In der Basisbefragung am 09.08.2017 bei der LPD XXXX antwortete die BF auf die Frage: „Was würden Sie tun wenn Sie jetzt freigelassen werden: Ich würde versuchen nach Deutschland zu kommen da dort meine Verwandtschaft lebt“.

Aus der Einvernahme vor dem BFA vom 10.08.2017 geht hervor, dass die BF nach Deutschland wollte, kein Interesse an freiwilliger Ausreise besteht sowie sie nicht zurück nach Rumänien will. Die BF brachte u. a. vor: „Ich bin am 16.07.2017 aus dem Irak ausgereist. Von dort über die Türkei durch mehrere andere Länder, ich weiß die Namen nicht, bis nach Deutschland wo die Einreise verweigert wurde. (…) XXXX sind mit mir hier in Österreich, XXXX sind XXXX . XXXX sind in Deutschland. (…) Nein es besteht kein Interesse an freiwilliger Ausreise. (…) Ich will nicht zurück nach Rumänien, ich habe dort keinen Asylantrag gestellt“.

Österreich leitete am 10.08.2017 ein Konsultationsverfahren mit Rumänien ein. Die Zustimmung Rumäniens erfolgte am 24.08.2017.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen gab die BF sehr wohl an, im Falle einer Entlassung versuchen zu wollen, nach Deutschland weiter zu reisen, dies in der Basisbefragung am 09.08.2017 durch Organe einer LPD. Auch darüber hinaus gab die BF an, nicht nach Rumänien zurückreisen zu wollen. Anders als in der Beschwerde angeführt, lag im Hinblick auf die BF erhebliche Fluchtgefahr vor. Zu den „Dublin-typischen“ Elementen hinzu trat nämlich eben jenes erklärte Bestreben der BF, sie wolle nach Deutschland zu ihrer Familie. Dem Beschwerdeargument, der BF sei nicht bewusst gewesen, dass eine Weiterreise nach Deutschland nicht zulässig war, man könne ihr diese Unkenntnis nicht zum Vorwurf machen, ist nicht beizupflichten. Sie wurde an der deutschen Grenze erfasst und zurückgewiesen. Der BF, einer erwachsenen Frau, musste somit jedenfalls ab diesem Zeitpunkt bewusst sein, dass ihre Weiterreise nach Deutschland nicht zulässig ist. In der Basisbefragung am 09.08.2017 bei der LPD XXXX antwortete die BF jedoch auf die Frage: „Was würden Sie tun wenn Sie jetzt freigelassen werden: Ich würde versuchen nach Deutschland zu kommen da dort meine Verwandtschaft lebt“.

Bei der Beurteilung der Fluchtgefahr ist nach § 76 Abs. 3 Z 9 FPG auch der Grad der sozialen Verankerung in Österreich zu berücksichtigen. Die BF verfügte weder über soziale, familiäre Bindungen, eine legale Erwerbstätigkeit, einen aufrechten Wohnsitz noch über finanzielle Mittel. Es lagen daher in einer Gesamtbetrachtung keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die BF aufgrund des Grades ihrer familiären, sozialen und beruflichen Verankerung in Österreich einen so verfestigten Aufenthalt hat, um sich ihrem Verfahren nicht zu entziehen.

Bei der Beurteilung des Sicherungsbedarfes ist das gesamte Verhalten der BF vor Anordnung der Schubhaft sowie ihre familiäre, soziale und berufliche Verankerung im Inland in einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen. Diese Beurteilung hat ergeben, dass mehrere Kriterien für das Bestehen eines Sicherungsbedarfes sprachen. Es war daher eine konkrete Einzelfallbeurteilung vorzunehmen, welche ergeben hat, dass das Verhalten der BF nicht vertrauenswürdig ist. Es war nicht davon auszugehen, dass die BF hinkünftig gewillt sein wird die fremdenrechtlichen Bestimmungen einzuhalten. Die BF stellte in Rumänien einen Asylantrag. Der BF wurde bei ihrem Versuch - aus Rumänien kommend über Österreich illegal nach Deutschland zu reisen - die Einreise nach Deutschland verweigert, sie wurde nach Österreich zurückgewiesen. Eine Rückkehr nach Rumänien lehnte die BF ab. Auch eine freiwillige Ausreise lehnte die BF ab.

Aufgrund einer vorzunehmenden Verhaltensprognose ergab sich ein Sicherungsbedarf, da ein beträchtliches Risiko des Untertauchens gegeben war. Die BF verfügte zudem in Österreich nicht über ausreichende Mittel zur Existenzsicherung und es lagen keine Anhaltspunkte für eine Verankerung der BF im Inland vor.

Im Ergebnis konnte vom Bestehen sowohl eines Sicherungsbedarfes als auch von erheblicher Fluchtgefahr ausgegangen werden.

Bei der Verhältnismäßigkeit ist das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen.

Eine auf den vorliegenden Einzelfall bezogene Gesamtabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung der Anordnung zur Außerlandesbringung sowie der Sicherung der Abschiebung einerseits und der Schonung der persönlichen Freiheit der BF andererseits ergibt, dass das erwähnte öffentliche Interesse überwiegt, weil ohne Anordnung der Schubhaft das Verfahren wahrscheinlich vereitelt oder wesentlich erschwert worden wäre.

Es war daher davon auszugehen, dass die Schubhaft auch das Kriterium der Verhältnismäßigkeit erfüllt.


Hinsichtlich der Anwendung eines gelinderen Mittels ist § 77 FPG idgF maßgeblich:

§ 77 (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. [...]

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,

1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,

2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder

3. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

Hinsichtlich der Möglichkeit der Anordnung eines gelinderen Mittels führte die belangte Behörde aus, dass die finanzielle Sicherheitsleistung aufgrund der finanziellen Situation der BF schon von vornherein nicht in Betracht komme. Doch auch mit der Unterkunftsnahme in bestimmten Räumlichkeiten und der periodischen Meldeverpflic

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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