TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/15 L524 2147930-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.10.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

15.10.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


1.) L524 2147938-1/31E

(2.) L524 2147928-1/32E

(3.) L524 2147930-1/26E

(4.) L524 2147937-1/25E

(5.) L524 2147941-1/25E

(6.) L524 2147934-1/25E

(7.) L524 2163854-1/25E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde des (1.) XXXX , geb. XXXX , StA Irak, der (2.) XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA Irak, der (3.) mj. XXXX , geb. XXXX , StA Irak, der (4.) XXXX , StA Irak, der (5.) mj. XXXX , geb. XXXX , StA Irak, der (6.) mj. XXXX , geb. XXXX , StA Irak und des (7.) mj. XXXX , geb. XXXX , StA Irak, alle vertreten durch Mag. Nadja LORENZ, Burggasse 116/17-19, 1070 Wien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (1.) vom 31.01.2017, Zl. 1082523003-151086623/BMI-BFA_SZB_RD, (2.) vom 31.01.2017, Zl. 1082523101-151086658/BMI-BFA_BGLD_RD, (3.) vom 31.01.2017, Zl. 1082523700-151090051/BMI_BFA_BGLD_RD, (4.) vom 31.01.2017, Zl. 1082523602-151090043/BMI_BFA_BGLD_RD, (5.) vom 31.01.2017, Zl. 1082523504-151090027/BMI_BFA_BGLD_RD, (6.) vom 31.01.2017, Zl. 1082523406-151090005/BMI_BFA_BGLD_RD und (7.) vom 19.04.2017, Zl. 1148351205-170430649/BMI-BFA_BGLD_RD, betreffend Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz (hinsichtlich der Zuerkennung der Status der subsidiär Schutzberechtigten) und Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.08.2020, zu Recht:

A) Den Beschwerden gegen die Spruchpunkte II. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX und XXXX , geb. XXXX wird gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigen in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

XXXX , geb. XXXX und XXXX , geb. XXXX alias XXXX , wird gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigen in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wir den Beschwerdeführern jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer eines Jahres erteilt.

Die Spruchpunkte III. und IV. der angefochtenen Bescheide werden ersatzlos aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die Eltern der minderjährigen Viert- bis Siebtbeschwerdeführer. Die Beschwerdeführer stellten am 14.08.2015 jeweils Anträge auf internationalen Schutz und am selben Tag erfolgte die Erstbefragung des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Am 13.01.2017 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einvernommen.

Mit Bescheiden des BFA (1.) vom 31.01.2017, Zl. 1082523003-151086623/BMI-BFA_SZB_RD, (2.) vom 31.01.2017, Zl. 1082523101-151086658/BMI-BFA_BGLD_RD, (3.) vom 31.01.2017, Zl. 1082523700-151090051/BMI_BFA_BGLD_RD, (4.) vom 31.01.2017, Zl. 1082523602-151090043/BMI_BFA_BGLD_RD, (5.) vom 31.01.2017, Zl. 1082523504-151090027/BMI_BFA_BGLD_RD, (6.) vom 31.01.2017, Zl. 1082523406-151090005/BMI_BFA_BGLD_RD und (7.) vom 19.04.2017, Zl. 1148351205-170430649/BMI-BFA_BGLD_RD, wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkte I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurden die Anträge hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkte II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkte III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte IV.).

Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.

Am 27.08.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durchgeführt, an der nur die Beschwerdeführer als Parteien teilnahmen. Das BFA entsandte keinen Vertreter.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.09.2020, (1.) L524 2147938-1/13E, (2.) L524 2147928-1/12E, (3.) L524 2147930-1/10E, (4.) L524 2147937-1/10E, (5.) L524 2147941-1/10E, (6.) L524 2147934-1/10E und (7.) L524 2163854-1/8E, wurden die Beschwerden als unbegründet abgewiesen.

Dagegen erhoben die Beschwerdeführer eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.

Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichthofes vom 07.06.2021, E 3553-3559/2020, wurde das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich der Nichtzuerkennung der Status der subsidiär Schutzberechtigten, der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung, der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und der Festsetzung einer 14tägigen Frist für die freiwillige Ausreise, aufgehoben. Im Übrigen wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Feststellungen:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die Eltern der minderjährigen Viert- bis Siebtbeschwerdeführer. Die Beschwerdeführer sind irakische Staatsangehörige, Araber und schiitische Moslems. Die Beschwerdeführer lebten in der Stadt XXXX im Gouvernement (Provinz) Kerbala.

Der Erstbeschwerdeführer verließ am 15.02.2014 über den Flughafen Bagdad den Irak und reiste nach Amman, Jordanien. Am 27.03.2014 verließ er Jordanien und reiste in die Türkei. Die Zweitbeschwerdeführerin verließ mit ihren Kindern am 19.05.2014 über den Flughafen Bagdad den Irak und reiste in die Türkei. Die Beschwerdeführer hielten sich mehr als ein Jahr in der Türkei auf und reisten zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt nach Österreich. Am 14.08.2015 stellten die Beschwerdeführer ihre Anträge auf internationalen Schutz.

Der Erstbeschwerdeführer wurde in XXXX geboren und lebte dort bis zu seiner Ausreise aus dem Irak. Er besuchte ca. neun Jahre die Schule und beendete den Schulbesuch im Jahr 2002. Ab 2001/2002 arbeitete er als Schmied und in einer Bäckerei. Er führte auch ein Geschäft, in dem für Kinder das Spielen mit Playstations angeboten wurde. Der Erstbeschwerdeführer hat in seiner Freizeit Fußball gespielt. Der Erstbeschwerdeführer hat im Irak für seine eigene Familie, seine Mutter, drei Schwestern und einen Bruder gesorgt.

Die Zweitbeschwerdeführerin wurde in Bagdad geboren. Die Zweitbeschwerdeführerin besuchte insgesamt zwölf Jahre die Schule. Mit dem Schulbesuch begann sie in Bagdad. Es kann nicht festgestellt werden, ab wann die Zweitbeschwerdeführerin im Gouvernement Kerbala lebte. Sie war im Irak nicht berufstätig.

Die Mutter des Erstbeschwerdeführers und sein Bruder leben in XXXX . Zwei Schwestern leben in Babil. Eine Schwester lebt in Kanada. Der Erstbeschwerdeführer hat Kontakt zu seinen Verwandten. Der Vater des Erstbeschwerdeführers ist bereits verstorben. Der Erstbeschwerdeführer hat viele Tanten und Onkel, die in Bagdad und Babil leben. Eine Tante arbeitet in der Gerichtsmedizin in einem Krankenhaus.

Die Eltern der Zweitbeschwerdeführerin, drei Brüder und zwei Schwestern leben in XXXX . Zwei Brüder und eine Schwester leben in Bagdad. Eine Schwester lebt in XXXX . Ein Bruder lebt in Österreich. Alle Geschwister der Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und habe eigene Familien. Ihre Eltern sind nicht mehr berufstätig. Eine Schwester arbeitet als Lehrerin, eine weitere Schwester als Arztassistentin. Die übrigen Schwestern arbeiten nicht. Ein Bruder ist freiberuflich tätig, drei Brüder sind beim Militär und ein Bruder ist Polizist. In Bagdad leben auch Tanten und Onkel der Zweitbeschwerdeführerin. Die Zweitbeschwerdeführerin hat Kontakt zu ihren Verwandten.

Die Beschwerdeführer sind gesund und gehören keiner Risikogruppe für einen schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung an. Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und die Drittbeschwerdeführerin sind strafrechtlich unbescholten. Die minderjährigen Viert- bis Siebtbeschwerdeführer sind strafunmündig.

Das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin zur Begründung ihres Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status der Asylberechtigten wurde als nicht glaubhaft erachtet. Das diesbezügliche Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.09.2020, (1.) L524 2147938-1/13E, (2.) L524 2147928-1/12E, (3.) L524 2147930-1/10E, (4.) L524 2147937-1/10E, (5.) L524 2147941-1/10E, (6.) L524 2147934-1/10E und (7.) L524 2163854-1/8E, hinsichtlich der Nichtgewährung der Status der Asylberechtigten erwuchs in Rechtskraft.

Zur Lage im Irak:

Im Juni 2014 startete der sog. Islamische Staat Irak (IS) oder Da'esh, einen erfolgreichen Angriff auf Mossul, die zweitgrößte Stadt des Irak. Der IS übernahm daraufhin die Kontrolle über andere Gebiete des Irak, einschließlich großer Teile der Provinzen Anbar, Salah al-Din, Diyala und Kirkuk. Im Dezember 2017 erklärte Premierminister Haider al-Abadi den endgültigen Sieg über den IS, nachdem die irakischen Streitkräfte die letzten Gebiete, die noch immer an der Grenze zu Syrien unter ihrer Kontrolle standen, zurückerobert hatten. Der IS führt weiterhin kleine Angriffe vorwiegend auf Regierungstruppen und Sicherheitspersonal an Straßenkontrollpunkten aus. Am 25. September 2017 hat die kurdische Regionalregierung (KRG) ein unverbindliches Referendum über die Unabhängigkeit der kurdischen Region im Irak sowie über umstrittene Gebiete, die unter Kontrolle der KRG stehen, abgehalten. Das Referendum wurde für verfassungswidrig erklärt. Bei den nationalen Wahlen im Mai 2018 gewann keine Partei die Mehrheit, obwohl die meisten Stimmen und Sitze an die Partei des schiitischen Klerikers Muqtada al-Sadr gingen, ein ehemaliger Anti-US-Milizenführer.

Genaue, aktuelle offizielle demographische Daten sind nicht verfügbar. Die letzte Volkszählung wurde 1987 durchgeführt. Das US-Außenministerium schätzt die Bevölkerung im Irak auf rund 39 Millionen. Araber (75 Prozent) und Kurden (15 Prozent) bilden die beiden wichtigsten ethnischen Gruppen. Andere Ethnien sind Turkmenen, Assyrer, Yazidis, Shabak, Beduinen, Roma und Palästinenser. 97 Prozent der Bevölkerung sind Muslime. Schiiten machen 55 bis 60 Prozent der Bevölkerung aus und umfassen Araber, Shabak und Faili-Kurden. Der Rest der Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Sunniten, einschließlich der sunnitischen Araber, die ca. 24 Prozent der Gesamtbevölkerung des Irak ausmachen. Die meisten Kurden sind auch Sunniten und machen etwa 15 Prozent der nationalen Bevölkerung aus. Die schiitischen Gemeinden leben in den meisten Gebieten des Irak, konzentrieren sich jedoch im Süden und Osten. Die Mehrheit der Bevölkerung von Bagdad sind Schiiten, insbesondere Vororte wie Sadr City, Abu Dashir und Al Dora. Sunniten leben hauptsächlich im Westen, Norden und im Zentralirak. Die Anzahl der in Bagdad als gemischt betrachteten Gebiete nimmt ab. In einigen Bezirken Bagdads gibt es immer noch bedeutende sunnitische Gemeinden, darunter Abu Ghraib. Die Bezirke A'adamia, Rusafa, Za'farania, Dora und Rasheed haben kleinere Gebiete sunnitischer Gemeinschaften. Gemischte sunnitische-schiitische Gemeinden leben in den Bezirken Rusafa und Karada, kleinere gemischte Gemeinden auch in den Bezirken Doura, Rasheed, Karkh, Mansour und Kadhimiya.

Die Verfassung garantiert das Recht auf Gesundheitsfürsorge und es gibt ein staatliches Gesundheitswesen und Behandlungsmöglichkeiten sind vom Staat bereitzustellen. Der Irak verfügt über öffentliche und private Krankenhäuser. Die medizinische Grundversorgung erfolgt sowohl in privaten als auch in öffentlichen Kliniken. Die Gesundheitsinfrastruktur hat unter jahrzehntelangen Konflikten gelitten. Das Gesundheitswesen ist begrenzt, insbesondere in von Konflikten betroffenen Gebieten und in Gegenden mit einer großen Anzahl von Binnenvertriebenen.

Die Verfassung sieht eine obligatorische Grundschulausbildung vor. Für Kinder in der Region Kurdistan besteht die Schulpflicht bis zum Alter von 15 Jahren. Der Irak war einst regional führend in der Bildung, aber jahrelange Konflikte haben zu sinkenden Bildungsergebnissen geführt. Kinder, die sich derzeit in der Schule befinden, werden ca. 10,1 Jahre Schulunterricht erhalten. Die durchschnittliche Schulzeit der derzeit über 25-Jährigen lag bei 6,6 Jahren. Mädchen hatten mit 9,7 Jahren eine niedrigere erwartete Schulzeit, verglichen mit Knaben mit 11,5 Jahren. Rund 80 Prozent der Iraker im Alter von über 15 Jahren sind gebildet. Trotz Lehrermangels und der Zerstörung und Beschädigung von Bildungseinrichtungen werden Schulen, einschließlich Schulen und Universitäten in von Konflikten betroffenen Gebieten, von den Gemeinschaften wieder aufgebaut. Wohlhabende Familien in Bagdad haben Zugang zu höherer Bildung von privaten und internationalen Schulen. Die privaten Schulgebühren in Bagdad betragen durchschnittlich rund 1.300 USD pro Monat.

Die irakische Verfassung garantiert grundlegende Menschenrechte einschließlich Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Chancengleichheit, Privatsphäre und Unabhängigkeit der Justiz. Die Verfassung verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Zugehörigkeit, der Nationalität, der Herkunft, der Hautfarbe, der Religion, der Meinung, des wirtschaftlichen oder sozialen Status.

Ethnische Minderheiten haben im Irak eine politische Vertretung und nehmen am öffentlichen Leben teil. Die Verfassung erkennt sowohl Arabisch als auch Kurdisch als Amtssprachen an und verankert das Recht des Einzelnen, seine Kinder in Minderheitensprachen wie turkmenisch, syrisch und armenisch zu erziehen. Personen sind aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit einem geringen Risiko einer offiziellen Diskriminierung ausgesetzt. Es besteht möglicherweise ein mäßiges Risiko gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt zu sein, wenn sie in einem Gebiet leben, in dem ihre ethnische Zugehörigkeit in der Minderheit ist.

Die Verfassung macht den Islam zur offiziellen Religion des Staates. Es garantiert die Glaubens- und Religionsfreiheit für alle Personen, einschließlich Christen, Yazidis und Sabäer-Mandäer. Auf der Scharia beruhende Regelungen verbieten zwar eine Konversion vom islamischen Glauben, doch ist keine Strafverfolgung hierfür bekannt. Nach irakischem Recht wird ein Kind unter 18 Jahren automatisch zum Islam konvertiert, wenn auch einer seiner nicht-muslimischen Eltern konvertiert ist. Als Mehrheitsbevölkerung im Irak mit einer dominierenden Rolle in der Regierung werden Schiiten kaum oder gar nicht diskriminiert. Die Schiiten haben traditionell im ganzen Irak gelebt. Durch die starke Zunahme sektiererischer Gewalt seit 2003 haben einige Schiiten sunnitische Gebiete verlassen. Der Aufstieg des IS im Jahr 2014 führte dazu, dass viele Turkmenen und Shabak in andere Gebiete umsiedelten. Die Gewalt gegen Schiiten hat sich im Jahr 2018 nach der Niederlage des IS verringert. Es kommt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen schiitischen Milizen, die häufiger in schiitischen Gebieten wie Bagdad und dem Südirak auftreten. Schiiten sind keiner offiziellen Diskriminierung ausgesetzt. Sie sind auch keiner gesellschaftlichen Diskriminierung ausgesetzt, obwohl sie bei bedeutenden schiitischen Festen und Pilgerfahrten einem mäßigen Gewaltrisiko ausgesetzt sind.

Die Verfassung sieht für Frauen gewisse Rechte vor, unter anderem das Wahlrecht und gewährleistet soziale und gesundheitliche Sicherheit. Die Verfassung schreibt vor, dass Frauen sowohl im Repräsentantenrat als auch in den Provinzräten mindestens 25% der Sitze innehaben müssen. Die Regionalversammlung der Autonomen Region Kurdistan sieht 30 Prozent der Sitze für Frauen vor. Im Jahr 2011 verabschiedete die Regionalversammlung von Kurdistan ein Gesetz, das häusliche Gewalt unter Strafe stellt und psychische und sexuelle Gewalt sowie weibliche Genitalverstümmelung umfasst. Frauen sind einem mäßigen Risiko gesellschaftlicher Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Frauen sind einem hohen Risiko von häuslicher und familiärer Gewalt ausgesetzt. Dieses Risiko wird für Frauen verstärkt, die Angehörige ethnischer oder religiöser Minderheiten sind.

Über 50 Prozent der Iraker sind jünger als 18 Jahre. Weitere 20 Prozent sind zwischen 18 und 29 Jahre alt. Ein Viertel der Kinder lebt in Armut. Am stärksten betroffen sind Kinder in von Konflikten beherrschten Gebieten und Binnenvertriebene. Hohe Armutsraten gibt es in den Gouvernements Muthanna (52,3 Prozent der Kinder), Qadissiya (43,8 Prozent der Kinder), Maysan (42,2 Prozent der Kinder) and Dhi Qar (40,7 Prozent der Kinder). (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 09.10.2018)

Im Oktober 2019 begann eine Protestbewegung in Bagdad und in den südlichen irakischen Provinzen und setzt sich aus Personen unterschiedlichen Alters und Geschlechts zusammen. Die DemonstrantInnen drücken auf der Straße ihre Frustration über hohe Jugendarbeitslosigkeit, mangelhafte öffentliche Dienste und chronische Korruption im Land aus. Insbesondere Studenten entwickelten sich laut Al Jazeera zum Rückgrat der Protestbewegung. Die Demonstrationen breiteten sich in Provinzen im Süd- und Zentralirak aus, darunter Babil, Dhi-Qar, Diyala, Karbala, Maysan, Muthana, Nadschaf, Qadisiya und Wasit. Die kurdischen Regionen im Norden, sowie die sunnitischen Mehrheitsgebiete im Westen blieben größtenteils ruhig. Die erste Phase der Protestbewegung dauerte vom 1. bis zum 9. Oktober an. Laut eines Sprechers des Innenministeriums hatten DemonstrantInnen 51 öffentliche Gebäude und acht Parteizentralen während dieser ersten Protestphase in Brand gesetzt. Eine zweite Protestwelle brach am 24. Oktober in Bagdad und Provinzen Süd- und Zentraliraks aus. Die Demonstrationen dauerten im Dezember weiter an, mit tausenden Protestierenden im Südirak, die nach dem Rücktritt des Ministerpräsidenten Adel Abdel Mahdi einen unabhängigen Kandidaten forderten. Die Protestbewegung, die eine Revision des politischen Systems im Irak forderte, setzte sich im Jänner fort. Zeitgleich führten US-Angriffe gegen die vom Iran unterstützten Volksmobilisierungskräfte (Popular Mobilization Forces, PMF), sowie der tödliche Angriff auf den iranischen General Qasem Soleimani nahe des Flughafens Bagdad am 3. Jänner 2020 zu separaten Demonstrationen, die von pro-iranischen Gruppierungen angeführt wurden und die sich gegen amerikanischen Einfluss im Land richteten. Premieminister Adel Abdel Mahdi zeigte sich öffentlich von Beginn der Proteste um eine Lösung bemüht. Am 8.Oktober 2019 stimmte das Parlament über ein Maßnahmenpaket ab, das unter anderem Ausbildungsprogramme für junge Arbeitslose und die Bereitstellung einer monatlichen Unterstützungsleistung für Familien unter der Armutsgrenze ermöglichen sollte. Der Ministerrat legte daraufhin ein zweites 13-Punkte-Paket vor, das sich unter anderem mit Subventionen und der Bereitstellung von Wohnraum für Arme befasste. Am 16. Oktober kündigte der Oberste Justizrat die Einrichtung eines zentralen Strafgerichtshofs zur Korruptionsbekämpfung an. Das Ministerium für Arbeit und Soziales hat seitdem damit begonnen, gewissen benachteiligten Familien monatliche Auszahlungen zukommen zu lassen. Am 29. November 2019 beugte sich Adel Abdel Mahdi dem innenpolitischen Druck sowie dem Wunsch der DemonstrantInnen und kündigte seinen Rücktritt als Ministerpräsident an. Am 24. Dezember 2019 verabschiedete das irakische Parlament ein neues Wahlgesetz, doch ein neuer Premierminister war noch nicht gefunden worden. Am 1. Februar 2020 wurde Mohammed Tawfiq Allawi, ein ehemaliger Kommunikationsminister, zum Premierminister ernannt. Die genaue Zahl der bei Protesten Getöteten und Verletzten ist unklar. Human Rights Watch berichtet, dass laut irakischem Gesundheitsministerium die Zahl der Todesopfer Mitte Dezember 2019 511 Menschen erreicht habe. Laut der irakischen Menschenrechtskommission wurden bis Ende Dezember mindestens 490 DemonstrantInnen getötet. Amnesty International geht mit 23. Jänner 2020 von mehr als 600 Menschen aus, die seit Oktober 2019 im Zusammenhang mit den Protesten ihr Leben verloren haben. (ACCORD, Aktuelle politische Entwicklungen – Protestlage, 04.03.2020)

Als Vorfälle werden folgende Kategorien bezeichnet: Kämpfe, Errichtung von Hauptquartieren oder Basen, gewaltlose strategische Entwicklungen, Ausschreitungen/Proteste, Gewalt gegen Zivilpersonen, gewaltlose Gebietseinnahmen und Fernangriffe. Im Jahr 2019 gab es die meisten Vorfälle in Diyala (448), davon 223 Vorfälle mit 474 Todesopfern. In Erbil gab es 410 Vorfälle, von denen 144 Vorfälle mit 447 Todesopfern waren. In Bagdad gab es 268 Vorfälle (davon 95 Vorfälle mit 339 Todesopfern), in Ninewa 262 Vorfälle (davon 152 Vorfälle mit 438 Todesopfern), in Basra 266 Vorfälle (davon 17 Vorfälle mit 41 Todesopfern), in Kirkuk 251 Vorfälle (davon 145 Vorfälle mit 426 Todesopfern). In Babil gab es 64 Vorfälle, von denen elf Vorfälle mit 30 Todesopfern waren. In Kerbala gab es 65 Vorfälle, von denen 15 Vorfälle mit 49 Todesopfern waren. (ACLED, Jahr 2019: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Date Project, 23.06.2020)

Als Vorfälle werden folgende Kategorien bezeichnet: Kämpfe, Errichtung von Hauptquartieren oder Basen, gewaltlose strategische Entwicklungen, Ausschreitungen/Proteste, Gewalt gegen Zivilpersonen, gewaltlose Gebietseinnahmen und Fernangriffe. Im 3. Quartal 2019 gab es in Kerbala fünf Vorfälle, von denen zwei Vorfälle mit 13 Todesopfern waren. In Babil gab es vier Vorfälle mit zehn Todesopfern. Die meisten Vorfälle mit Todesopfern gab es in Ninewa (138 Todesopfer), Diyala (113 Todesopfer), Erbil (113 Todesopfer), Al Anbar (105 Todesopfer). Im 4. Quartal 2019 gab es in Kerbala 52 Vorfälle, von denen elf Vorfälle mit 33 Todesopfern waren. In Babil gab es drei Vorfälle mit zehn Todesopfern. Die meisten Vorfälle mit Todesopfern gab es in Bagdad (254 Todesopfer), Diyala (151 Todesopfer), Salah ad-Din (138 Todesopfer), Dhi-Qar (125 Todesopfer). Im 1. Quartal 2020 gab es in Kerbala 32 Vorfälle, von denen sechs Vorfälle mit sieben Todesopfern waren. In Babil gab es drei Vorfälle mit sieben Todesopfern. Die meisten Vorfälle mit Todesopfern gab es in Salah ad-Din (114 Todesopfer), Diyala (84 Todesopfer), Bagdad (69 Todesopfer), Erbil (55 Todesopfer), Ninewa und Kirkuk (jeweils 37 Todesopfer), Al-Anbar und Dhi-Qar (jeweils 32 Todesopfer). (ACLED, 3. Quartal 2019, 4. Quartal 2019 und 1. Quartal 2020: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Date Project, 26.02.2020 und 23.06.2020)

Im Mai und Juni 2020 gab es sicherheitsrelevante Vorfälle in den Gouvernements Anbar, Babil, Bagdad, Diyala, Erbil, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din. Die meisten Vorfälle ereigneten sich in Diyala. Im Mai 2020 gab es in Babil sieben sicherheitsrelevante Vorfälle und im Juni 2020 war es ein sicherheitsrelevanter Vorfall. Die Vorfälle in Babil ereigneten sich im Distrikt Jurf al-Sakhar. In Kerbala wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle verzeichnet. (Musings on Iraq, 01.06.2020 und 30.06.2020)

Die meisten der Schutzmauern in Bagdad, die in den letzten zehn Jahren errichtet wurden, um öffentliche und private Gebäude zu sichern, wurden abgerissen. Stattdessen finden sich dort jetzt Parks und Grünflächen. Im Zuge der Veränderungen wurde in Bagdad auch das erste Frauencafé eröffnet. Dort können sich Frauen ohne Begleitung von Männern treffen und ihre Kopftücher und die lange Abaya ablegen, die auf den Straßen so verbreitet sind. Im Café "La Femme" werden Wasserpfeifen angeboten und von einer Frau zubereitet. Es werden alkoholfreie Champagnercocktails, Softgetränke und Snacks serviert. Bisher haben sich noch keine Männer in dieses weibliche Heiligtum gewagt – obwohl sich das Café in einem Hochhaus zusammen mit anderen Restaurants, einer Sporthalle für Männer und nur einem Aufzug befindet. Der Kundenkreis von Adel-Abid umfasst vor allem Frauen aus der Mittel- und Oberschicht. Für ihre jungen Kundinnen organisiert sie reine Frauenfeste zu Geburtstagen, Verlobungen und Abschlussfeiern. Die ältere Generation trinkt lieber Kaffee und hört den alten irakischen Sängern zu, die auf der Musikanlage bevorzugt gespielt werden.

Frauen können jetzt Unternehmen führen. Da der "Islamische Staat" verdrängt und die gegenwärtige politische Stabilität zu spüren ist, fordern irakische Frauen immer mehr ihren Anteil am öffentlichen Raum der Stadt. In Mansour, dem Stadtviertel, in dem sich "La Femme" befindet, sind die meisten Cafés und Restaurants heute gemischt, und auch Frauen rauchen dort Wasserpfeife. Der frische Wind des Wandels hat auch das Straßenbild verändert. Frauen kleiden sich wieder bunter, anstatt sich hinter schwarzen Schleiern zu verstecken. Die Entwicklung geht so weit, dass junge Frauen sich immer seltener ein Kopftuch umbinden.

Ehen zwischen Sunniten und Schiiten erleben ein Comeback im Irak; unter den Jugendlichen in Bagdad sind sie sogar zum neuen Standard geworden. So wie bei Merry al-Khafaji, die kürzlich Mustafa al-Ani geheiratet hat. Gemeinsam sitzen die beiden Mittzwanziger bei einer Wasserpfeife in einem beliebten Bagdader Garten, sie trägt ihr dunkles Haar offen und ein grünes T-Shirt mit Jeans. Traditionell wählen Eltern die Partner ihrer Kinder, aber Merry al-Khafaji und Mustafa al-Ani lernten sich in dem Telekommunikationsunternehmen kennen, für das sie beide arbeiten. Mittlerweile entwickeln sich immer mehr Liebesbeziehungen bei der Arbeit, im Studium oder in Workshops. Auch soziale Medien haben eine starke Wirkung. Sie eröffnen jungen Menschen einen neuen Weg, neue Freunde in der konservativen irakischen Gesellschaft zu finden. (Die neuen Freiheiten von Bagdad, qantara.de 01.07.2019)

Der Irak ist nach den Worten einer kanadisch-irakischen Frauenrechtlerin durch den Sieg über die Terrormiliz „Islamischer Staat“ stärker geworden. Die Lage ist deutlich besser als nach dem Sturz von Machthaber Saddam Hussein im Jahr 2003. In Bagdad sind die Straßen um ein Uhr nachts noch voller Leben. Das Land hat eine junge Bevölkerung und verfügt über große Ölressourcen. Die Frauen sind willensstark und kämpfen erfolgreich für mehr Rechte, für Frauenquoten im Parlament und in Parteien sowie für mehr Mitsprache in der Regierung. (Frauenrechtlerin sieht den Irak nach dem Sieg über IS-Miliz gestärk, evangelisch.de, 21.08.2019)

Das Bildungssystem im Irak ist zentralisiert und alle Bildungseinrichtungen unterstehen dem Bildungsministerium in Bagdad. Alle Ausbildungsstufen, von der Volksschule bis zur Hochschule, sind kostenlos. Die sechsjährige Volksschule ist verpflichtend, in der Region Kurdistan sind die ersten neun Schuljahre verpflichtend. Nach Abschluss der Volksschule erhalten SchülerInnen ein Volksschulzertifikat (schahada al-ibtida’iya). 12 bis 15-jährige SchülerInnen besuchen anschließend eine dreijährige Mittelschule (al-madrasa al-mutawassita), die mit einer zentralen und landesweit einheitlichen Prüfung abgeschlossen wird. Nach Abschluss der Mittelschule können die SchülerInnen ihren Bildungsweg fortsetzen, indem sie sich entweder für eine allgemeine Sekundarschule (al-i’dadiya) oder eine berufliche Ausbildung in verschiedenen Bereichen entscheiden. In den drei kurdischen Provinzen umfasst die Grundschule neun Jahre und wird mit einer nationalen Prüfung abgeschlossen, mit der auch der mittlere Schulabschluss erreicht wird. Die allgemeine Sekundarschule, auf die die erfolgreichsten SchülerInnen wechseln, dauert ebenfalls drei Jahre und wird mit einem Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife abgeschlossen. Die Region Kurdistan vergibt ein eigenes Hochschulreifezeugnis. Nach dem ersten Jahr der allgemeinen Sekundarschule besteht die Wahl zwischen einem naturwissenschaftlichen und einem literarischen Zweig. Die SchülerInnen, die den literarischen Zweig wählen, müssen Abschlussprüfungen in den Fächern Arabisch, Englisch, Mathematik, Geschichte, Geographie und Wirtschaft absolvieren, während die SchülerInnen des naturwissenschaftlichen Zweigs in den Fächern Arabisch, Englisch, Mathematik, Physik, Chemie und Biologie geprüft werden. Falls die Ergebnisse der Mittelschulabschlussprüfung nicht für eine Aufnahme auf eine allgemeine Sekundarschule reichen, hat ein/e SchülerIn die Möglichkeit, ein dreijähriges berufsbildendes Programm in den Bereichen Technologie, Handelswirtschaft oder Landwirtschaft an einer berufsbildenden Schule (i’dadiya mihniya) zu durchlaufen. Diese Ausbildung wird ebenfalls mit einer zentralen Prüfung abgeschlossen (Fachmatura), deren Abschluss einen Einstieg in den Arbeitsmarkt ermöglicht. Daher sind in dieser Schule die besuchten Kurse ungefähr zur Hälfte theoretischer und zur Hälfte praktischer Natur. Weitere spezialisierte berufsbildende Schulen bilden beispielsweise zukünftige KrankenpflegerInnen, SozialarbeiterInnen oder PolizistInnen aus. Den besten zehn Prozent der SchülerInnen berufsbildender Schulen bietet sich nach erfolgreichem Abschluss die Möglichkeit, sich für einen Studienplatz zu bewerben.

Bis zum Fall des Regimes von Saddam Hussein 2003 war die Geschlechtertrennung in Schulen weniger verbreitet. Seither werden mit dem wachsenden Einfluss islamischer Lehren auf das Schulsystem zunehmend Mädchen von Buben im Schulunterricht getrennt. Erst die Hochschulausbildung ist dann wieder koedukativ. Unter dem ehemaligen Präsidenten al-Maliki waren aus internationalen Geldern bis zu 825 Millionen US-Dollar für die Verbesserung des Bildungsbereichs und den Bau von Schulen bereitgestellt worden. Bürokratische Hürden bei der Umsetzung führten aber dazu, dass am Ende von al-Malikis Amtszeit 2016 nur 6 Prozent der Projekte umgesetzt worden waren.

Im Irak gibt es zwei Arten von Institutionen der höheren Bildung, die Universitäten und die technischen Institute. Manche Universitäten sind staatlich, andere werden von Religionsgemeinschaften betrieben oder sind örtliche Ableger ausländischer Universitäten. Die technischen Institute bieten zweijährige Programme an, die mit einem technischen Diplom abgeschlossen werden, sowie vierjährige Programme, die mit einem Bachelorabschluss enden. Mit einem überdurchschnittlich guten technischen Diplom ist die Fortsetzung des Studiums an einer technischen Fachhochschule oder Universität möglich. Neben Ausbildungsmöglichkeiten in Industrie und bei privaten Bildungsanbietern nutzen viele Jugendliche den informellen Sektor, um erwerbstätig zu werden.

Jahrzehnte von Konflikt und mangelnden Investitionen haben das Bildungssystem stark strapaziert. Jede zweite öffentliche Schule benötigt Renovierungsarbeiten, Klassen sind überfüllt und es mangelt an Lehrern, insbesondere in den stark vom Konflikt mitgenommenen Regionen wie Mossul und Sindschar in der Provinz Ninawa. Während in Ninawa, einer der bevölkerungsreichsten Provinzen des Landes, 9,6 Prozent der Mädchen und 7,2 Prozent der Buben im Volksschulalter keine Schule besuchten, waren es in der Sekundarschule bereits 28 Prozent der Mädchen und 15 Prozent der Buben. (ACCORD, Das Schulsystem im Irak, Mai 2020)

Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH führt im Irak das Projekt „Privatsektorentwicklung und Beschäftigungsförderung / Entwicklungsorientierte (Re-)Integration der irakischen Jugend“ durch. Das Vorhaben unterstützt die irakische Regierung dabei, Wirtschaftsreformen zu entwickeln und Investitionsanreize zu schaffen. Es steht in engem Austausch mit politischen Partnern, zivilgesellschaftlichen Gruppen und der Privatwirtschaft. Grundlegend für die Reformen sind neustrukturierte Prozesse für die Politikentwicklung und empirische Daten, die unter anderem Wirtschaftsforschungsnetzwerke zur Verfügung stellen. Dadurch kann die Regierung wirtschaftspolitische Entscheidungen treffen, die auf Fakten basieren. Ziel ist es, die Regulierungen für Investitionen zu vereinfachen, transparenter zu gestalten und dadurch vor Korruption zu schützen. Um den Ausbau der Privatwirtschaft zu fördern, sind Unternehmensgründungen nötig. Das Projekt unterstützt die irakische Regierung dabei, eine Vereinfachung von Regularien umzusetzen und Gründer/innen einen Zugang zu Finanzmitteln zu schaffen. In Zusammenarbeit mit Universitäten führt das Projekt Gründerwettbewerbe durch, bei denen Studierende Unterstützung für die ersten Schritte als Gründer/in erhalten. Das Vorhaben arbeitet außerdem mit Ausbildungseinrichtungen zusammen, um arbeitsmarktorientierte Qualifizierungsangebote zu entwickeln. Weiterbildungen und die Vermittlung von Praktika und Jobs werden kombiniert, um jungen Menschen den Einstieg auf dem Arbeitsmarkt zu erleichtern. Frauen und Rückkehrer/innen bilden dabei einen besonderen Schwerpunkt. Bei der Entwicklung und Umsetzung der Schulungsangebote arbeitet das Projekt zum Teil auch mit internationalen Unternehmen zusammen. Dadurch sollen Trainingsinhalte optimal auf die Bedarfe der Arbeitgeber/innen abgestimmt werden und Teilnehmer/innen gezielt auf ihre Tätigkeiten vorbereitet werden. Damit mehr Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft entstehen, arbeitet das Projekt eng mit lokalen Kammern und Industrieverbänden zusammen. Gemeinsam werden Beratungsleistungen zu Themen wie Buchführung, Marketing und Darlehensverwaltung entwickelt, die sich gezielt an kleine und mittelständische Firmen richten. Durch die Beratungen können Unternehmen ihre Geschäftstätigkeiten verbessern und ausweiten, um dadurch neue Arbeitsplätze zu schaffen. In Branchen mit einem besonders starken Wachstumspotenzial unterstützt das Projekt Unternehmen bei der Markteinführung innovativer Produkte und Dienstleistungen. Das betrifft beispielsweise die Solarenergie oder die Abfallaufbereitung. Dadurch erschließen die Unternehmen neue Geschäftsfelder und gleichzeitig entstehen neue Jobs in den entsprechenden Bereichen. (GIZ, Förderung der Privatwirtschaft – Investitionen und Jobs für neue Perspektiven)

Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH führt im Irak das Projekt „Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) – Neue Job-Perspektiven für eine moderne Jugend im Irak“ durch. Die Bevölkerung des Irak ist eine der jüngsten weltweit. Fast zwei Drittel aller Irakerinnen sind jünger als 25 Jahre, viele von ihnen sind Binnenvertriebene im eigenen Land oder Geflüchtete aus den Nachbarstaaten. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie kaum Beschäftigungsperspektiven haben; jede/r Fünfte von ihnen ist arbeitslos. Bei den größten Arbeitgebern des Landes, der Erdölindustrie und dem öffentlichen Dienst, finden sich immer weniger Erwerbsmöglichkeiten. Die Erdölförderung macht 99 Prozent der irakischen Staatseinnahmen aus, trotzdem sind hier nur ein Prozent aller landesweit Erwerbstätigen beschäftigt. Mehr als die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung ist im öffentlichen Dienst tätig, der jedoch mit sinkenden Staatseinnahmen aufgrund des fallenden Ölpreises keine langfristige Perspektive bietet. Die Privatwirtschaft ist hingegen bislang kaum entwickelt. Junge Iraker/innen interessieren sich zunehmend für den Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) als mögliches Berufsfeld. Die Grundvoraussetzungen dafür sind gut: Mobiles Internet in Breitbandqualität ist nahezu landesweit verfügbar und ermöglicht somit eine flexible Arbeitsweise. Allerdings entsprechen weder die verfügbaren Weiterbildungsangebote, noch die Lehrpläne der angebotenen Studiengänge den Anforderungen des irakischen Arbeitsmarkts. Ein eigenes Unternehmen zu gründen scheitert oft an fehlenden staatlichen Unterstützungsstrukturen und dem mangelnden Zugang zu Krediten oder Kapital von Investoren. Junge Arbeitssuchende, vor allem Frauen, Binnenvertriebene und Geflüchtete sollen von besseren Beschäftigungsperspektiven im Bereich IKT profitieren. (GIZ, Startup your future – Irakische Jugend als Tech-Gründer)

Die Zahl der Binnenvertriebenen (IDP’s) wird seit April 2014 aufgezeichnet, jene der Rückkehrer seit April 2015. Seit Juni 2017 sinkt die Zahl der IDPs kontinuierlich. Zum 30.04.2020 wurden 1,38 Millionen IDPs (231.590 Haushalte), verteilt auf 18 Gouvernements und 104 Distrikte identifiziert. Im Vergleich zum letzten Bericht ging die Zahl der IDPs um 9.630. zurück. Die höchsten Rückgänge wurden in Salah al-Din (-3.708), Ninewa (-2.958) und in Bagdad (-1.914) verzeichnet. Die Zahl der Rückkehrer liegt bei 4,7 Millionen (784.197 Haushalte) in 8 Gouvernements und 38 Distrikten. Es gibt im Berichtszeitraum 44.778 Rückkehrer. Damit ist die Zahl der Rückkehrer, verglichen mit dem letzten Bericht (63.954), gesunken. Dieser Rückgang ist zum Teil mit den Reisebeschränkungen wegen der Coronaviruspandemie zu erklären. Die meisten Personen kehrten nach Anbar (22.170), Ninewa (13.890) und Salah al-Din (7.974) zurück. Die Gründe für die Rückkehr liegen in einer verbesserten Sicherheitslage, in bestehenden Serviceangebot, dem Angebot an Schulen, Arbeitsmöglichkeiten und sanierten Häusern. Nahezu alle Haushalte (95%, 4.463.556 Personen) kehrten an ihren vor der Vertreibung gewöhnlichen Wohnsitz zurück, der sich in einem guten Zustand befand. Zwei Prozent (76.182) leben in anderen privaten Einrichtungen (gemietete Häuser, Hotels, Gastfamilien). Drei Prozent der Rückkehrer (165.444) leben in kritischen Unterkünften (informelle Siedlungen, religiöse Gebäude, Schulen, unfertige, aufgegebene oder zerstörte Gebäude). (Displacement Tracking Matrix, Master List Report 115, March – April 2020)

Im Irak gibt es 6.439 bestätigte Covid-19-Fälle, 3.078 aktive Fälle, 205 Todesfälle, 3.156 genesene Personen. Insgesamt wurden beinahe 228.000 Tests durchgeführt. Elf Prozent der Fälle ereigneten sich in der Autonomen Region Kurdistan. Während des Ramadan und der Feiern zum Eid al-Fitr wurden die strengen Ausgangsbeschränkungen gelockert und danach wieder verschärft. Der Irak gehört zu jenen Ländern, auf die sich der Global Humanitarian Response Plan (GHRP) für Covid-19 bezieht. Bis zum 01.06.2020 hat er Irak 16,9 Millionen US-Dollar für die Bekämpfung von Covid-19 erhalten. (UNOCHA, Iraq: Covid-19, Situation Report No. 14, 01.06.2020)

Ab 14.06.2020 galt eine teilweise Ausgangssperre für die Zeit zwischen 18 Uhr und 5 Uhr. Gemäß den Richtlinien dürfen während der Ausgangssperre nur Lebensmittelgeschäfte, Bäckereien und Apotheken öffnen. Restaurants dürfen Essen ausliefern. Die Preise für Grundnahrungsmittel haben sich im Irak durch die Coronapandemie nicht wesentlich verändert. (Kurzinformation der Staatendokumentation, Covid-19 – aktuelle Lage, 16.06.2020)

Kinder waren und sind Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre. Sie sind einerseits in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage, andererseits durch Gewaltakte gegen sie selbst oder gegen Familienmitglieder stark betroffen. (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, 17.03.2020)

III. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, der Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit der Beschwerdeführer ergeben sich aus ihren Angaben vor dem BFA, dem Bundesverwaltungsgericht und den Reisepässen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin.

Die Feststellungen zu den Ausreisezeitpunkten und den Reisebewegungen des Erstbeschwerdeführers ergeben sich aus den Ein- und Ausreisestempeln in den Reisepässen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin. Die Feststellung zum Aufenthalt in der Türkei stützt sich auf die eigenen Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin in der Erstbefragung und der Einvernahme vor dem BFA.

Die Feststellungen zum Geburtsort, zum Wohnort, zur Schulbildung, zur Berufstätigkeit und zur Freizeitgestaltung (im Irak) des Erstbeschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Feststellung, dass der Erstbeschwerdeführer im Irak für seine eigene Familie, seine Mutter, drei Schwestern und einen Bruder gesorgt hat, ergibt sich aus dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung (Seite 15 des Verhandlungsprotokolls). Die Feststellungen zu seinen im Irak lebenden Verwandten und deren Berufstätigkeit ergeben sich aus seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung (Seite 16 des Verhandlungsprotokolls).

Die Feststellungen zum Geburtsort, zum Wohnort, zur Dauer des Schulbesuchs und zur fehlenden Berufstätigkeit der Zweitbeschwerdeführerin ergeben sich aus ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Hinsichtlich der Orte, an denen die Zweitbeschwerdeführerin die Schule besuchte, machte sie in der Erstbefragung, der Einvernahme vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht widersprüchliche Angaben. In der Erstbefragung und vor dem BFA erklärte sie, von 1992 bis 2005 in Bagdad die Schule besucht zu haben (AS 21 und 123 im Akt der Zweitbeschwerdeführerin). Vor dem Bundesverwaltungsgericht behauptete sie jedoch, dass sie in Bagdad und XXXX in die Schule gegangen sei (Seite 5 des Verhandlungsprotokolls) und änderte dieses Vorbringen über Nachfrage ab und erklärte, in Bagdad, Anbar und XXXX die Schule besucht zu haben (Seite 6 des Verhandlungsprotokolls). Es konnte daher einerseits nicht festgestellt werden, an welchen konkreten Orten die Zweitbeschwerdeführerin die Schule besucht hat und andererseits spricht dieses Aussageverhalten der Zweitbeschwerdeführerin nicht für ihre persönliche Glaubwürdigkeit. Bei den Orten des Schulbesuchs handelt es sich nicht um die Schilderung eines komplexen Sachverhalts und nicht um einmalige, allenfalls nur flüchtig wahrgenommene Ereignisse oder nur kurz andauernde Erlebnisse, weshalb es der Zweitbeschwerdeführerin problemlos möglich sein müsste, dazu gleichbleibende Angaben im Verfahren zu machen. So aber spricht dieses Aussageverhalten der Zweitbeschwerdeführerin nicht für ihre Glaubwürdigkeit.

Die Feststellung zum Schulbesuch der Drittbeschwerdeführerin im Irak ergibt sich aus den Angaben in der mündlichen Verhandlung (Seite 21 des Verhandlungsprotokolls).

Die Feststellungen zu den Wohnorten der Mutter und der Geschwister des Erstbeschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Feststellungen zu den Wohnorten und Berufen der Eltern und Geschwister der Zweitbeschwerdeführerin ergeben sich aus ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand, dem Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung und der strafrechtlichen Unbescholtenheit ergeben sich aus den Angaben der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung, GVS-Auszügen und Strafregisterauszügen. Die minderjährigen Viert- bis Siebtbeschwerdeführer sind auf Grund ihres Alters strafunmündig.

Die Feststellungen zur Lage im Irak stützen sich auf die oben angeführten Quellen. Der Verfassungsgerichtshof verweist in seinem Erkenntnis zum vorliegenden Fall ausdrücklich auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 17.03.2020 und die darin getroffenen beiden Sätze zur Lage von Kindern, auf die es nach dem Dafürhalten des Verfassungsgerichtshofes maßgeblich ankommt.

IV. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerden:

1. Familienverfahren gemäß § 34 AsylG:

Stellt ein Familienangehöriger von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist (Z 1); einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist (Z 2) oder einem Asylwerber (Z 3) einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt gemäß § 34 Abs. 1 AsylG dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Gemäß § 34 Abs. 5 AsylG gelten die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und die Eltern der minderjährigen Dritt- bis Siebtbeschwerdeführer. Hinsichtlich der Beschwerdeführer liegt daher ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG vor.

2. Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkte II. der angefochtenen Bescheide):

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivil-person eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (vgl. VfGH 25.09.2018, E 1764-1771/2018).

Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um eine Familie mit fünf minderjährigen Kindern und damit eine besonders vulnerable und besonders schutzbedürftige Personengruppe. Diese besondere Vulnerabilität ist bei der Beurteilung, ob den Beschwerdeführern bei einer Rückkehr in die Heimat eine Verletzung ihrer durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte droht, im Speziellen zu berücksichtigen (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0336 bis 0341; VwGH 07.01.2021, Ra 2020/18/0139 bis 0144).

Nach dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Lage von Kindern sind Kinder Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre. Sie sind einerseits in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage, andererseits durch Gewaltakte gegen sie selbst oder gegen Familienmitglieder stark betroffen. Den mj. Dritt- bis Siebtbeschwerdeführern würde daher bei einer Rückkehr in den Irak die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung drohen.

Den mj. Dritt- bis Siebtbeschwerdeführern steht keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. UNHCR vertritt die Ansicht, dass in Bezug auf die Stadt Bagdad arabisch-schiitische und arabisch-sunnitische alleinstehende, körperlich leistungsfähige Männer und kinderlose Ehepaare im arbeitsfähigen Alter ohne identifizierte besondere Vulnerabilitäten möglicherweise in der Lage sind, ohne Unterstützung durch ihre Familie und/oder ihren Stamm zu bestehen. In Bezug auf urbane Gegenden im Südirak ist UNHCR der Ansicht, dass die einzigen Personengruppen, hinsichtlich derer keine externe Unterstützung vorauszusetzen ist, arabische Schiiten sind, bei denen es sich entweder um alleinstehende, körperlich leistungsfähige Männer oder kinderlose Ehepaare im arbeitsfähigen Alter ohne identifizierte besondere Vulnerabilitäten handelt. Solche Personen sind möglicherweise in der Lage, in urbanen Gegenden im Südirak, in denen die die notwendige Infrastruktur und Möglichkeiten zur Existenzsicherung zur Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse vorhanden sind, ohne Unterstützung durch ihre Familie und/oder ihren Stamm zu bestehen. Diese Voraussetzungen treffen auf die Beschwerdeführer nicht zu.

Den mj. Dritt- bis Siebtbeschwerdeführern ist daher der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die Eltern der mj. Dritt- bis Siebtbeschwerdeführer. Ihnen ist daher gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG ist eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr zu erteilen.

Die übrigen Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide waren daher ersatzlos zu beheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung mit der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes übereinstimmt.

Schlagworte

befristete Aufenthaltsberechtigung Ersatzentscheidung ersatzlose Teilbehebung Familienverfahren Minderjährigkeit real risk Rechtsanschauung des VfGH subsidiärer Schutz vulnerable Personengruppe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L524.2147930.1.00

Im RIS seit

03.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

03.02.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten