TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/29 L519 2241093-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.10.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

29.10.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


L519 2241093-1/6E


IM NAMEN DER REPUBLIK!         

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 4.3.2021, Zl. 1264594100-200410066, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.10.2021 zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57 und 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge als BF bezeichnet) ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensgemeinschaft. Er brachte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 18.5.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

Bei seiner Erstbefragung brachte der aus XXXX stammende BF im Wesentlichen vor, dass er Beifahrer im Fahrzeug seines Vaters gewesen sei, als dieser einen unbekannten Mann überfuhr. Der BF und sein Vater hätten den Schwerverletzten ins Krankenhaus gebracht. Die Söhne des Verletzten hätten den Vater des BF angezeigt, woraufhin dieser für ein paar Tage eingesperrt worden sei. Es sei zu einem Gerichtsverfahren gekommen und der Vater des BF sei freigelassen worden. Nach 20 Tagen im Krankenhaus sei das Unfallopfer verstorben. Seine Söhne hätten Blutrache geschworen und im August 2019 die Familie des BF bedroht. Die Familie sei in die Türkei geflüchtet, aber nach 1 Woche wieder zurückgekehrt, weil ihr die Söhne des Getöteten verziehen hätten. Nach der Rückkehr hätten die Söhne des Getöteten von der Familie des BF 180.000,- Euro verlangt. Da die Familie des BF diesen Betrag nicht bezahlen konnte, hätten die Söhne des Unfallopfers erneut Blutrache geschworen. Der BF sei dann mit seiner Familie erneut ausgereist.

2. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen uns Asyl brachte der BF am 22.1.2021 im Rahmen der ferien Erzählung zusammengefasst zu seinem Ausreisegrund vor, dass er und sein Vater im Dorf, wo es keine Verkehrsregeln gäbe, einen Mann übersehen und überfahren hätten. Sie hätten ihn nach dem Unfall in ein Krankenhaus gebracht, wo auch seine Kinder hingekommen seien. Diese hätten zunächst nichts vom BF und seinem Vater gewollt. Als der alte Mann nach 20 Tagen starb, hätten seine Angehörigen Blutgeld verlangt und die Familie des BF mit dem Umbringen bedroht. Der BF sei mit seiner Familie in die Türkei ausgereist. Dort hätten die Angehörigen des Getöteten Kontakt mit der Familie des BF aufgenommen und es sei vereinbart worden, gemeinsam eine Lösung zu finden. Nach der Rückkehr in den Irak habe die Familie des Unfallopfers 150.000,- Dollar verlangt. Da sich die Familie des BF das nicht leisten konnte, sei sie erneut in die Türkei ausgereist.

3. Mit im Spruch bezeichneten Bescheid wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak ebenso abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das BFA im Wesentlichen Folgendes aus:

Der BF habe den Eindruck erweckt, eine konstruierte Fluchtgeschichte vorzutragen. Er führte als Fluchtgrund an, dass sein Vater ein Fahrzeug gelenkt und dabei einen Unfall verursacht habe, bei dem ein älterer Herr zu Schaden gekommen sei. Nach 20 Tagen sei dieser Mann im Krankenhaus verstorben. Aufgrunddessen sei die gesamte Familie des BF von den Söhnen des Verstorbenen bedroht worden.

Bei der Erstbefragung gab der BF an, dass die Bedrohungen im August 2019 erfolgt seien und er sich nur 1 Woche in der Türkei aufgehalten habe, ehe er wieder in den Irak zurückkehrte. In Widerspruch dazu stehen die Angaben vor dem Bundesamt, wonach die Bedrohungen bereits im April/Mai 2019 begonnen hätten und sich der BF 2 Monate in der Türkei aufgehalten habe. Weiter gab der BF bei der Erstbefragung an, dass es wegen seines Vaters eine Gerichtsverhandlung gegeben hätte, während er Derartiges beim BFA mit keinem Wort erwähnte.

Ein weiterer Widerspruch ergab sich zur Rückkehr in den Irak: Einerseits führte der BF an, dass die Dorfältesten bzw. die Nachbarn seine Familie verständigt hätten, in den Irak zurückzukehren, während er andererseits angab, die Söhne des Verstorbenen hätten seine Familie in der Türkei kontaktiert.

Weiter sei für die Behörde nicht ersichtlich, wie sich der BF 2 Monate in der Türkei aufhalten konnte. Der BF habe nämlich angeführt, dass seine finanzielle Lage im Irak sehr schlecht gewesen sei. Wenn diese Angaben der Wahrheit entsprechen, sei nicht ersichtlich, wie sich der BF einen 2-monatigen Aufenthalt in einem Hotel in der Türkei finanzieren konnte. Eine nachvollziehbare Begründung dafür konnte der BF nicht abgeben.

Insbesondere sei festzuhalten, dass der BF bei den Rückübersetzungen ausdrücklich angegeben hat, dass alle Angaben richtig und vollständig protokolliert und vom Dolmetscher rückübersetzt wurden, sodass auch nicht davon auszugehen sei, dass die Widersprüche durch Übersetzungsfehler zustandekamen.

Würde man der Geschichte des BF dennoch Glauben schenken, sei nicht plausibel, wie es dem BF möglich gewesen sein soll, von April/Mai 2019 bis August 2019 im Irak zu leben, obwohl er und seine Familie ständig bedroht worden sein sollen. Hättte es die behaupteten Bedrohungen tatsächlich gegeben, hätte der BF bereits eher die Ausreise aus dem Irak veranlasst und wäre er nicht erneut zurückgekehrt. Um den Bedrohungen zu entgehen, hätten der BF und seine Familie beschlossen, sich in der Türkei niederzulassen. Insgesamt hätte er sich ca. 2 Monate in Istanbul aufgehalten, ehe er beschloss, erneut in den Irak zurückzukehren. Der BF berichtete von keinerlei Bedrohungsszenarien in diesem Zeitraum. Für die Behörde sei nicht ersichtlich, weshalb der BF sein Leben erneut der Gefahr augesetzt hat, indem er erneut in den Irak zurückkehrte. Abgesehen davon sei festzuhalten, dass es bis auf die einmalige telefonische Bedrohung des BF zu keinen weiteren Vorkommnissen mit den Söhnen des Unfalllopfers gekommen ist. Der BF führte auch selbst an, persönlich nie an den Streitgesprächen beteiligt gewesen zu sein. Weitere Personen seien zudem ebenfalls nicht an ihn herangetreten.

Anzumerken sei, dass der BF auf gewisse Fragen keine plausiblen Antworten geben konnte bzw. den Fragen vielmehr ausgewichen ist. Dem BF wurde vorgehalten, weshalb er den exakten Zeitraum nennen konnte, den sich das Unfallopfer im Krankenhaus befand (20 Tage), aber nicht angeben konnte, ob er nun tagelang/monatelang etc. bedroht wurde. Auch konnte er zunächst keine Angaben machen, wann er nun die Ausreise aus dem Irak veranlasst hat – dies musste durch mehrmaliges Nachfragen seitens der Behörde in Erfahrung gebracht werden.

Zur Untermauerung seiner Geschichte hat der BF Bilder aus seinem Heimatland (Krankenhausaufenthaltsbilder etc.) vorgelegt. Es kann einerseits nicht festgestellt werden, wer die abgebildeten Personen tatsächlich sind und andererseits auch nicht, wann die Bilder aufgenommen wurden. Es sei nicht erwiesen, dass die vom BF behaupteten Verletzungen aus einer gewalttätigen Auseinandersetzung resultieren. Die Verletzungen könnten ebenso auf einen Unfall o.ä. zurückzuführen sein. Da der Fluchtgeschichte des BF kein Glauben geschenkt wird, sei auch nicht näher auf die Bilder einzugehen. Weiter stünden die Bilder nicht in Zusammenhang mit der Person des BF, da dieser auf keinem einzigen Bild zu sehen sei.

Bezüglich der Ausreise des BF – seinen Angaben nach im Oktober 2019 – sei ebenfalls angemerkt, dass der BF vor seiner Einreise in Österreich nachweislich bereits durch mehrere Länder gereist ist. Die Einreise erfolgte auch durch Italien, das gegen den BF ein schengenweites Einreise- und Aufenthaltsverbot verhängt hat und wo der BF keinen Asylantrag eingebracht hat. Die Asylantragstellung erfolgte vielmehr erst am 18.5.2020 in Österreich. Wäre der BF tatsächlich auf der Suche nach Schutz gewesen, wie er das der belangten Behörde vermitteln wollte, dann hätte er bereits viel eher in einem der Mitgliedsstaaten einen Asylantrag gestellt. Auch in den Mitgliedsstaaten Griechenland, Italien etc. finde die GFK Anwendung. Die Asylantragstellung in Österreich erfolgte offensichtlich nur deshalb, um sich ein legales Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu verschaffen.

Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiter keine Hinweise für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK (§§ 55, 10 Abs. 2 AsylG 2005) dar.

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Irak traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.

4. Gegen diesen Bescheid des Bundesamtes richtet sich die vom BF fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, in der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, mangelhafte Beweiswürdigung und unrichtige rechtliche Beurteilung moniert werden.

Im Wesentlichen wurde neben Wiederholungen und allgemeinen Ausführungen vorgebracht, dass der BF kein Arabisch spreche und daher auch nicht überall im Irak leben könne. Es sei nur unzureichend berücksicht worden, dass der BF im Irak niemanden hat und bei einer Rückkehr völlig auf sich selbst gestellt sei. Der BF habe angegeben nicht religiös zu sein, wozu ebenfalls keine Ermittlungen getätigt wurden. Er sei oftmals ausgegrenzt und diskriminiert worden, weil er nicht faste und nicht bete. Er habe sich vom islamischen Glauben abgewendet. Auch die kurdische Volksgruppenzugehörigkeit des BF und die damit in Zusammenhang stehenden Probleme seien nicht ausreichend hinterfragt worden.

Es sei auch nicht ermittelt worden, was mit dem BF passiert, wenn er das Blutgeld nicht bezahlen kann. Unberücksichtigt sei auch geblieben, dass der BF Analphabet ist und keine Ausbildung besitzt.

Der BF sei auch in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt worden: Er konnte weder seinen Fluchtgrund ausreichend darlegen noch sei ihm Gelegenheit gegeben worden, zur beabsichtigten Beweiswürdigung Stellung zu beziehen. Ausreichende Ermittlungen zu einer IFA und deren Zumutbarkeit für den BF seien ebenfalls unterblieben.

Die Länderfeststellungen seien ebenfalls mangelhaft, insbesondere zum Abfall vom Islam, zu Kurden und ehemaligen Sunniten und zur Blutrache. Zudem sei nicht berücksichtigt worden, dass der IS im Irak wieder vermehrt in Erscheinung trete und die Sicherheitslage noch immer äußerst vulnerabel sei. Außerdem würde sich der angefochtene Bescheid nicht ausreichend mit der Covid19-Thematik im Irak auseinandersetzen.

5. Am 13.10.2021 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des BF, seiner rechtsfreundlichen Vertretung sowie eines Dolmetschers für die kurdische Sprache durchgeführt.

6. Hinsichtlich des Verfahrensganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.Feststellungen:

Zum Beschwerdeführer:

Der BF gab an, den Namen XXXX zu führen. Er ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und sunnitischer Moslem. Weiter gab der BF an, am 20.11.1999 in XXXX geboren zu sein. Der BF ist ledig und hat keine Kinder. Er lebte vor der Ausreise im Dorf XXXX , Bezirk Guer, Provinz Erbil mit seinen Eltern und 3 Geschwistern in einem Haus. Die Identität des BF steht mangels Vorlage irakischer Originallichtbilddokumente nicht fest.

Der BF ist gesund und benötigt keine medizinische Behandlung, er gehört auch nicht zur COVID-19-Risikogruppe.

Der BF besuchte im Irak keine Schule und hat auch keine Berufsausbildung. Zuletzt hat er vor seiner Ausreise aus dem Irak als Landarbeiter gearbeitet.

In XXXX leben Onkel mütterlicherseits sowie Tanten des BF und mehrere Cousins in Häusern bzw. Wohnungen.

Im Oktober 2019 reiste der BF legal auf dem Luftweg vom Irak in die Türkei. Nach rechtswidriger Einreise stellte er im Bundesgebiet am 18.5.2020 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Der BF verfügt über keine irakischen Ausweisdokumente im Original.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet war und ist nicht nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Z. 3 FPG 2005 geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Er wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

Der BF gehört keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und konnte keine Schwierigkeiten in seinem Herkunftsstaat vor der Ausreise mit staatlichen Organen, Sicherheitskräften oder Justizbehörden glaubhaft darlegen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF vor der Ausreise Schwierigkeiten aufgrund seiner sunnitischen Glaubensrichtung oder seiner kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit zu gewärtigen hatte. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der BF tatsächlich vom Islam abgefallen wäre.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Vater des BF einen Fußgänger überfahren hat, welcher in an den beim Unfall erlittenen Verletzungen letztlich starb. Weiter kann nicht festgestellt werden, dass die Hinterbliebenen vom BF und/oder seiner Familie Blutgeld gefordert hätten. Auch Bedrohungen des BF und/oder seiner Familie durch die Hinterbliebenen waren nicht feststellbar.

Dem BF droht im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nicht die Todesstrafe. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des BF festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine im Irak drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie im Hinblick auf kriegerische Ereignisse, extremistische Anschläge, stammesbezogene Gewalt oder organisierte kriminelle Handlungen sowie willkürliche Gewaltausübung durch Sicherheitskräfte bei nicht gewalttätigen Protesten gegen die irakische Regierung.

Die BF ist ein arbeits- und anpassungsfähiger Mensch ohne Schulbildung. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, zumindest anfänglich auch Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten, zur Sicherstellung des Auskommens ist dem BF möglich und zumutbar.

Der Beschwerdeführer hält sich seit 18.5.2020 durchgehend in Österreich auf.

Der BF lebt von der Grundversorgung. Er hat nach eigener Angabe zwar Deutschkurse besucht, aber bislang keine Deutschprüfung abgelegt. Er engagiert sich weder ehrenamtlich noch ist er Mitglied bei einem Verein oder einer Organisation.

Der BF hat in Österreich einen erwachsenen Halbbruder, den er alle 2 Monate besucht. Im Übrigen pflegt er normale soziale Kontakte. Er ist für keine Person im Bundesgebiet sorgepflichtig.

Im gegenständlichen Fall ergab sich weder eine maßgebliche Änderung bzw. Verschlechterung in Bezug auf die den BF betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat, noch in sonstigen in der Person des BF gelegenen Umständen.

Ebenso ergab sich keine sonstige aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation des BF.

Eine relevante Änderung der Rechtslage konnte ebenfalls nicht festgestellt werden.

In Bezug auf die individuelle Lage des BF im Falle einer Rückkehr in den Irak konnte keine im Hinblick auf den Zeitpunkt, an dem letztmalig über den Antrag auf internationalen Schutz inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich geänderte oder gar verschlechterte Situation festgestellt werden.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass dem BF eine aktuelle sowie unmittelbare persönliche und konkrete Gefährdung oder Verfolgung in seinem Heimatland Irak droht. Ebenso konnte unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr in den Irak der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wäre.

Weiter konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung in den Irak eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Des Weiteren liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ nicht vor und ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung geboten. Die Abschiebung des BF in den Irak ist zulässig und möglich.

Weitere Ausreisegründe und/oder Rückkehrhindernisse kamen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht hervor.

Zur Lage im Herkunftsstaat:


Kurdische Region im Irak (KRI) / Autonome Region Kurdistan

Letzte Änderung: 15.10.2021

Die Kurdische Region im Irak (KRI) erhielt bereits 1991 de facto Autonomie (DFAT 17.8.2020,

S.18) und ist als territoriale Entität in der irakischen Verfassung anerkannt (DFAT 17.8.2020,

S.18; vgl. Rudaw 20.11.2019). Artikel 141 besagt, dass die in der KRI seit 1992 erlassenen Rechtsvorschriften in Kraft bleiben und dass die von der Kurdischen Regionalregierung (KRG) erlassenen Beschlüsse als gültig betrachtet werden, sofern sie nicht im Widerspruch zur irakischen Verfassung stehen (DFAT 17.8.2020, S.18). Die KRI besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah (DFAT 17.8.2020, S.18) sowie aus dem im Jahr 2014 durch Ministerratsbeschluss aus Sulaymaniyah herausgelösten Gouvernement Halabja, wobei dieser Beschluss noch nicht in die Praxis umgesetzt wurde (GIZ 1.2021a).

Die KRI wird von einem Präsidenten mit weitreichenden exekutiven Befugnissen geführt. Der Entwurf der kurdischen Verfassung sieht alle vier Jahre Präsidentschaftswahlen vor und begrenzt die Amtszeit auf zwei Perioden. 2013 wurde jedoch die Amtszeit des vormaligen Präsidenten Masoud Barzani von der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) nach bereits achtjähriger Amtszeit aufgrund einer politischen Vereinbarung mit der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) verlängert (FH 3.3.2021). Der Präsident der KRI vertritt die KRI auf nationaler und internationaler Ebene und ist für die Beziehungen und die Koordinierung zwischen der Regierung der KRI und der Zentralregierung zuständig. Das kurdische Parlament besteht aus 111 Mitgliedern, die alle vier Jahre gewählt werden. Im aktuellen Parlament, das im November 2018 gewählt wurde, sind sechzehn Parteien und Listen vertreten. Insgesamt sind elf Parlamentssitze für Minderheiten reserviert, und zwar nach ethnischen und nicht nach religiösen Gesichtspunkten. Je fünf der Sitze sind für Turkmenen und Christen reserviert, einer für Armenier. Laut Gesetz müssen mindestens 30% der Sitze von Frauen gehalten werden (KP 2021; vgl. DFAT 17.8.2020, S.18, FH 3.3.2021).

Bei den letzten Wahlen vom September 2018 erzielte die regierende KDP 45 Sitze, die PUK

21, Gorran 12 und mehrere kleinere Parteien und Minderheitenvertreter verteilten sich auf den Rest. Gorran und andere kleinere Parteien lehnten das Wahlergebnis wegen Betrugsvorwürfen und anderer Unregelmäßigkeiten ab (FH 3.3.2021).

Artikel 140 der Verfassung der Republik Irak aus dem Jahr 2005 sieht eine Lösung der Frage um die sogenannten umstrittenen Gebiete, Regionen in den Gouvernements Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din vor (Rudaw 11.11.2020).Artikel 58 beinhaltet Maßnahmen, die darauf abzielen, die unter der Herrschaft von Saddam Hussein durchgeführte Arabisierungspolitik zu korrigieren (Rudaw 30.7.2019; vgl. Rudaw 11.11.2020). Die Frage von Artikel 140 hätte bis spätestens 2007 durch ein Referendum geregelt werden sollen, bei dem die Einwohner des Gebietes entscheiden sollten, ob sie sich der Region Kurdistan anschließen oder an die föderale irakische Regierung gebunden bleiben wollten, wurde jedoch nie umgesetzt (Rudaw 11.11.2020). Im Juli 2019 stellt das Oberste Bundesgericht des Irak fest, dass Artikel 140 der Verfassung der Republik Irak aus dem Jahr 2005 und Artikel 58 der Übergangsregierung (2005/2006) nach wie vor umzusetzen sind (Rudaw 30.7.2019). In einer Sitzung des Verfassungsausschusses haben einige schiitische Mitglieder die Meinung geäußert, dass Artikel 140 aus der Verfassung gestrichen werden sollte (Rudaw 11.11.2020).

Im Jahr 2017 hat die KRG zu einem Referendum über die Unabhängigkeit Kurdistans aufgerufen, welches von einem irakischen Bundesgericht für verfassungswidrig erklärt wurde (GIZ 1.2021a; vgl. FAZ 18.9.2017). Dieses Unabhängigkeitsreferendum, bei dem sich rund 93% der Wähler für die Unabhängigkeit aussprachen, war angeblich durch Einschüchterung und Betrug beeinträchtigt (FH 3.3.2021; vgl. SDZ 27.9.2017). Im Nachgang zum Unabhängigkeitsreferendum hat die irakische Armee die sog. umstrittenen Gebiete, welche nach dem Zurückdrängen des sog. Islamischen Staates unter kurdischer Kontrolle standen, im Herbst 2017 größtenteils wieder unter ihre Kontrolle gebracht (AA 22.1.2021; S.18). Dabei kam es im Oktober 2017 zu teils auch schweren bewaffneten Auseinandersetzungen mit Opfern auf beiden Seiten (AA 2.3.2020). Der langjährige Präsident der KRI, Masoud Barzani, der das Referendum mit Nachdruck umgesetzt hatte, trat als Konsequenz zurück (FH 3.3.2021; vgl. GIZ 1.2021a). Das Präsidentenamt blieb daraufhin bis Mai 2019 vakant (FH 3.3.2021). Seither ist die Lage in den sog. umstrittenen Gebieten generell angespannt. Es gibt Meldungen von Landbesetzungen und Vertreibung kurdischer Bevölkerungsteile durch Araber einerseits und großen Vorbehalten der dort lebenden Kurden und religiösen Minderheiten gegen die schiitischen PMF-Milizen andererseits (AA 22.1.2021; S.18).

Obgleich sich der Konflikt zwischen der Zentralregierung in Bagdad und der KRI in Erbil im

Lauf des Jahres 2018 wieder beruhigt (AA 12.1.2019; vgl. BS 29.4.2020, S.10) und 2019 weiter verbessert hat (AA 2.3.2020), sind die Beziehungen trotz Unterstützung des irakischen Premierministers Kadhimi durch die kurdischen Parteien belastet. Grund hierfür sind verspätete und gekürzte sowie ausbleibende Transferleistungen aus Bagdad, welche die finanzielle Lage der Bevölkerung in der KRI verschlechtern. Insbesondere die Verabschiedung eines sog. Kreditgesetzes im irakischen Parlament zur Regelung der restlichen Transferzahlungen zwischen Bagdad und Erbil für das Jahr 2020 verschärfte die Lage zum Jahresende (AA 22.1.2021, S.6). Am 12.11.2020 verabschiedete das irakische Parlament zudem ein Budget-Defizitgesetz mit einer Mehrheit seiner Mitglieder, jedoch in Abwesenheit der Vertreter der KRI, welche die Sitzung boykottierten. Der Finanzausschuss des Parlaments stellte die Bedingung, dass die KRI ihre gesamten Einnahmen aus dem Ölsektor und dem Nicht-Ölsektor abgeben muss, um von ihrem Anteil am Haushalt zu profitieren, welcher jedoch geringer ausfällt, als die von der KRG benötigte Summe (Kurdistan24 12.11.2020). Dagegen verbesserte sich die Sicherheitskooperation im Kampf gegen den sog. IS leicht. Zudem unterzeichneten Bagdad und Erbil im Oktober 2020 eine sog. Übereinkunft zu Sinjar [Shengal], die sich eine rasche Verbesserung der Sicherheitslage und Klärung der Verwaltungsverantwortlichkeiten zum Ziel setzt (AA 22.1.2021, S.6). In Abstimmung mit der UN-Unterstützungsmission für den Irak (UNAMI) hat das Abkommen die föderale Regierung gestärkt und den Weg für den Wiederaufbau im Sinjar-Distrikt geebnet. Allerdings nehmen die Jesiden-Vertreter eine ablehnende Haltung ein, da sie in die Verhandlungen nicht einbezogen wurden. Das Abkommen sieht die Beseitigung der bewaffneten Gruppen in der Region vor, einschließlich der PKK und der PMF-Kräfte (Al Monitor 13.10.2020).

Nachdem die KRI 1991 ihre de-facto-Autonomie vom Irak Saddam Husseins erlangt hatte, hat sie sich zu einem politischen Duopol zurückentwickelt, das insbesondere von den beiden familienzentrierten Parteien, der KDP und der PUK, beherrscht wird (MEI 24.2.2021; vgl. FH 3.3.2021, France24 22.2.2020). In der Region Kurdistan fehlt den demokratischen Institutionen die Kraft, den Einfluss der langjährigen Machthaber einzudämmen (FH 3.3.2021). Diese beiden Parteien kontrollieren die staatlichen Institutionen auf allen Ebenen, dazu das Militär und die inneren Sicherheitskräfte (MEI 24.2.2021). Beide verfügen auch über bewaffnete Einheiten (Peshmergas), die eigentlich unter dem gemeinsamen Kommando des Peshmerga-Ministeriums der KRG stehen sollten (BS 29.4.2020, 7f.; vgl. AA 22.1.2021, S.9). Die KDP und die PUK haben die demokratischen Grundsätze der Regierungsbildung häufig untergraben (BS 29.4.2020, S.14), und versuchen, einen echten demokratischen Diskurs zu verhindern, indem sie den freien Zugang zu staatlichen Informationen einschränken, kritische Journalisten und politische Aktivisten verhaften und ihnen nahestehende Medienunternehmen finanzieren. Darüber hinaus beaufsichtigen sie ein weit verbreitetes Klientelsystem, das durch die Ölindustrie der Region und Budgettransfers der irakischen Regierung angeheizt wird, und das Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor an diejenigen vergibt, die als politisch loyal gelten, und Aufträge an parteinahe Unternehmen vergibt (MEI 24.2.2021). Die KDP hat ihr Machtzentrum in Erbil, die PUK ihres in Sulaymaniyah. Beide verfügen einerseits über eine bedeutende Anzahl von Sitzen im irakischen Parlament und gewannen andererseits auch die meisten Sitze bei den Wahlen in der KRI im September 2018 (CRS 3.2.2020). In der KRI ist im Raum Erbil und Dohuk eine Oppositionsbewegung zur KDP kaum existent. In der Region um Sulaymaniyah und Halabja haben sich in den vergangenen Jahren auch Gruppen von der PUK abgewandt, allerdings ohne großen politischen Einfluss gewinnen zu können (AA22.1.2021, S.9). Trotz Wählerverlustes konnte sich die PUK einflussreiche Ressorts sowohl in der KRG als auch in Bagdad sichern (BS 29.4.2020, S.14). Der Machtkampf zwischen KDP und PUK schwächt einerseits inner-kurdische Reformen und andererseits Erbils Position gegenüber Bagdad (GIZ 1.2021a; vgl. ICG 27.3.2019). Nebst den beiden dominanten Parteien, KDP und PUK, sind insbesondere Gorran (Wandel), eine 2009 gegründete Bewegung, die sich auf den Kampf gegen Korruption und Nepotismus konzentriert (KAS 2.5.2018, S.21; vgl. WI 8.7.2019), sowie eine Reihe kleinerer islamistischer Parteien präsent (KAS 2.5.2018).

Auch nach dem Rücktritt von Präsident Masoud Barzani teilt sich die Barzani Familie die Macht. Nechirvan Barzani, langjähriger Premierminister unter seinem Onkel Masoud, beerbte ihn im

Amt des Präsidenten der KRI. Masrour Barzani, Sohn Masouds, wurde im Juni 2019 zum neuen Premierminister der KRI ernannt (GIZ 1.2021a; vgl. FH 3.3.2021) und im Juli 2019 durch das kurdische Parlament bestätigt (CRS 3.2.2020).

Proteste in der KRI gehen auf das Jahr 2003 zurück. Die Hauptforderungen der Demonstranten sind dabei gleich geblieben und drehen sich einerseits um das Thema Infrastrukturversorgung und staatliche Leistungen (Strom, Wasser, Bildung, Gesundheitswesen, Straßenbau, sowie die enormen Einkommensunterschiede) und andererseits um das Thema Regierungsführung (Rechenschaftspflicht, Transparenz und Korruption) (LSE 4.6.2018). Während der Massenproteste in Bagdad und dem Südirak im Herbst 2019 blieb es in der Kurden-Region ruhig. 2017 und 2018 waren zuvor Proteste in der KRI niedergeschlagen worden (BAMF 5.2020, S.10), wobei es sogar, etwa 2017 in Sulaymaniyah, Todesopfer zu beklagen gab (France24, 22.2.2020). Die verschlechterte wirtschaftliche und finanzielle Lage aufgrund der Covid-19-Pandemie und des Ölpreisverfalls führte allerdings seit Sommer 2020 auch in der KRI zu lokal begrenzten, aber teilweise gewaltsamen Protesten (AA 22.1.2021, S.5). Von Mai bis Oktober 2020 hatten etwa Aktivisten und Lehrer in der Region Dohuk Proteste organisiert, um die von den Behörden verzögerte Auszahlung der Gehälter zu fordern. Es kam auch zu Festnahmen. Infolge verurteilte ein Gericht in der KRI am 16.2.2021 in einem als äußerst fehlerhaft kritisierten Verfahren drei Journalisten und zwei Aktivisten zu sechs Jahren Gefängnis (HRW 22.4.2021). Und im Dezember 2020 wurden bei gewaltsamen Protesten acht Menschen getötet und hunderte verletzt. Anlass waren die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage und (wiederum) die Nichtauszahlung von Gehältern im öffentlichen Dienst. In Ortschaften jenseits der größeren Städte und in Sulaymaniyah wurden die Büros diverser Parteien in Brand gesteckt. Die Regierung nahm Organisatoren der Proteste fest und schloss einen Fernsehsender, der über die Demonstrationen berichtete (MEI 24.2.2021; vgl. Al Jazeera 8.12.2020).

Quellen:

•        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021),

https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2 C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republi k_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf , Zugriff 12.8.2021

•        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.3.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027997/Deutschla nd___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebung srelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_02.03 .2020.pdf , Zugriff 13.8.2021

•        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_154 8939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-d er-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.8.2021

•        Al Jazeera (8.12.2020): Iraqi leader calls for end to violence in Sulaymaniyah protests, https://www.aljazeera.com/news/2020/12/8/iraqi-leader-calls-for-end-to-violence-in-sulay maniyah-protests , Zugriff 12.8.2021

•        Al Monitor (13.10.2020): Baghdad, Erbil reach security, administrative agreement on Sinjar district, https://www.al-monitor.com/originals/2020/10/iraq-erbil-kurdistan-krg-baghdad-si njar-nineveh-yazidis.html , Zugriff 12.8.2021

•        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2020): Länderreport 25; Irak; Die Entstehung einer neuen Protestbewegung, Mai 2020

https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/Laenderre porte/2020/laenderreport-25-irak.pdf?__blob=publicationFile&v=2 , Zugriff 12.8.2021

•        BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Iraq, https://www.ecoi.n et/en/file/local/2029486/country_report_2020_IRQ.pdf , Zugriff 12.8.2021

•        ICG - International Crisis Group (27.3.2019): After Iraqi Kurdistan’s Thwarted Independence Bid, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsul a/iraq/199-after-iraqi-kurdistans-thwarted-independence-bid , Zugriff 13.8.2021

•        CRS - Congressional Research Service (3.2.2020): Iraq and U.S. Policy, https://fas.org/ sgp/crs/mideast/IF10404.pdf , Zugriff 13.8.2021

•        DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien]

(17.8.2020): DFAT Country Information Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/203

6511/country-information-report-iraq.pdf , Zugriff 12.8.2021

•        FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (18.9.2017): Bundesgericht erklärt Unabhängigkeitsreferendum für verfassungswidrig, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/streit-im-irak -kurden-referendum-verfassungswidrig-15204639.html , Zugrigg 13.8.2021

•        FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net /en/document/2046520.html , Zugriff 13.8.2021

•        France24 (22.2.2020): Iraqi Kurds rally against ’corruption’ of ruling elite, https://www.fr ance24.com/en/20200222-iraqi-kurds-rally-against-corruption-of-ruling-elite , Zugriff

13.8.2021

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021a): Irak - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/ , Zugriff 16.3.2021

•        HRW - Human Rights Watch (22.4.2021): Kurdistan Region of Iraq: Flawed Trial of Journalists, Activists, https://www.hrw.org/news/2021/04/22/kurdistan-region-iraq-flawed-trial-j ournalists-activists , Zugriff 12.8.2021

•        KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?18050 1131459 , Zugriff 13.8.2021

•        KP - Kurdistan Parliament (2021): Parties, https://www.parliament.krd/english/ , Zugriff

13.8.2021

•        Kurdistan24 (12.11.2020): Iraq’s parliament passes deficit law, despite Kurdish objections, https://www.kurdistan24.net/en/story/23479-Iraq%E2%80%99s-parliament-passes-deficitlaw,-despite-Kurdish-objections , Zugriff 13.8.2021

•        LSE - London School of Economics and Political Science (4.6.2018): Iraq and its regions:

The Future of the Kurdistan Region of Iraq after the Referendum, http://eprints.lse.ac.uk/

88153/1/Sleiman%20Haidar_Kurdistan_Published_English.pdf , Zugriff 13.8.2021

•        MEI - Middle East Institute (24.2.2021): Beyond the elite: Taking protest and public opinion seriously in the Kurdistan Region, https://www.mei.edu/publications/beyond-elite-taking-p rotest-and-public-opinion-seriously-kurdistan-region , Zugriff 12.8.2021

•        Rudaw (11.11.2020): Iraqi Shiite MPs call to abolish disputed territories resolution article from constitution: MP, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/111120201 , Zugriff

13.8.2021

•        Rudaw (20.11.2019): Will the Peshmerga reform – or be integrated into the Iraqi Army?, https://www.rudaw.net/english/analysis/201120191 , Zugriff 13.8.2021

•        Rudaw (30.7.2019): Territories remain disputed, Article 140 can be implemented: Iraqi federal court, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/300720192 , Zugriff 13.8.2021

•        SDZ - Süddeutsche Zeitung (27.9.2017): 92 Prozent stimmen für Unabhängigkeit Kurdistans, https://www.sueddeutsche.de/politik/amtliches-endergebnis-92-prozent-stimmen-f uer-unabhaengigkeit-kurdistans-1.3683744 , Zugriff 13.8.2021

•        WI - Washington Institute (8.7.2019): Gorran and the End of Populism in the Kurdistan Region of Iraq, https://www.washingtoninstitute.org/fikraforum/view/gorran-and-the-end-o f-populism-in-the-kurdistan-region-of-iraq , Zugriff 13.8.2021

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 15.10.2021

Die Sicherheitslage im Irak hat sich seit dem Ende der groß angelegten Kämpfe gegen den sog. Islamischen Staat (IS) erheblich verbessert (FH 3.3.2021). Derzeit ist es jedoch staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen (AA 22.1.2021). Der sog. IS ist zwar offiziell besiegt, stellt aber weiterhin eine Bedrohung dar, und es besteht die ernsthafte Sorge, dass die Gruppe wieder an Stärke gewinnt (DIIS 23.6.2021). Zusätzlich agieren insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen eigenmächtig. Die ursprünglich für den Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar (AA 22.1.2021). Die Volksmobilisierungskräfte

(PMF) haben erheblichen Einfluss auf die wirtschaftliche, politische und sicherheitspolitische Lage im Irak und nutzen ihre Stellung zum Teil, um unter anderem ungestraft gegen Kritiker vorzugehen. Immer wieder werden Aktivisten ermordet, welche die vom Iran unterstützten PMF öffentlich kritisiert haben (DIIS 23.6.2021). Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen

Akteuren (AA 22.1.2021). Siehe hierzu Kapitel: Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi

Im Jahr 2020 blieb die Sicherheitslage in vielen Gebieten des Irak instabil (USDOS 30.3.2021). Die Gründe dafür liegen in sporadischen Angriffen durch den sog. IS (UNSC 30.3.2021; vgl.

USDOS 30.3.2021), in Kämpfen zwischen den irakischen Sicherheitskräften (ISF) und dem IS in dessen Hochburgen in abgelegenen Gebieten des Irak, in der Präsenz von Milizen, die nicht vollständig unter der Kontrolle der Regierung stehen, einschließlich bestimmter Volksmobiliserungskräfte (PMF) sowie in ethno-konfessioneller und finanziell motivierter Gewalt (USDOS

30.3.2021).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA, die am 3.1.2020 in der gezielten Tötung von Qasem Soleimani, Kommandant des Korps der Islamischen Revolutionsgarden und der Quds Force, und Abu Mahdi al-Muhandis, Gründer der Kataib Hisbollah und de facto Anführer der Volksmobilisierungskräfte, bei einem Militärschlag am Internationalen Flughafen von Bagdad gipfelten, haben einen destabilisierenden Einfluss auf den Irak (DIIS 23.6.2021). Schiitische Milizenführer drohen regelmäßig damit, die von den USA unterstützten Streitkräfte im Irak anzugreifen. Anschläge mit Sprengfallen (IEDs) gegen militärische Versorgungskonvois der USA sind im Irak an der Tagesordnung. Es wird häufig über Anschläge in der südlichen Region des Landes berichtet, darunter in den Gouvernements Babil, Basra, Dhi Qar, Qadisiyyah und Muthanna. Aber auch aus den zentralen Gouvernements Bagdad, Anbar und Salah ad-Din wurden Anschläge gemeldet. Konvois werden oft auf Autobahnen angegriffen, wobei diese Vorfälle selten Opfer oder größere Schäden zur Folge haben (Garda 15.7.2021). Die Zahl der Angriffe pro-iranischer Milizen hat ihren bisherigen monatlichen Höhepunkt mit 26 im April 2021 erreicht und ist seitdem zurückgegangen. Diese Gruppen versuchen, die US-Präsenz im Irak einzuschränken, was ihr auch gelungen ist, da sich die Amerikaner nun auf den Schutz ihrer Truppen konzentrieren, anstatt mit den irakischen Sicherheitskräften zusammenzuarbeiten (Wing 2.8.2021).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 22.1.2021).

Im Nordirak führt die Türkei zum Teil massive militärische Interventionen durch, die laut der

Türkei gegen die PKK gerichtet sind, und die Türkei unterhält temporäre Militärstützpunkte (GIZ

1.2021a). Die Gründung weiterer Militärstützpunkte ist geplant (Reuters 18.6.2020).

Die Regierungen in Bagdad und Erbil haben im Mai 2021 eine Vereinbarung über den gemeinsamen Einsatz ihrer Sicherheitskräfte (ISF und der Peshmerga) in den Sicherheitslücken zwischen den von ihnen kontrollierten Gebieten getroffen (Rudaw 14.5.2021; vgl. Rudaw 21.6.2021). Seitdem wurden mehrere „Gemeinsame Koordinationszentren“ eingerichtet (Rudaw 21.6.2021). In vier neuen Gemeinsamen Koordinationszentren, in Makhmour, in Diyala, in Kirkuks K1 Militärbasis und in Ninewa, werden kurdische und irakische Kräfte zusammenarbeiten und Informationen austauschen, um den sog. IS in diesen Gebieten zu bekämpfen (Rudaw 25.5.2021). - Jene Sicherheitslücken werden vom sog. IS erfolgreich ausgenutzt. In einigen Gebieten ist die Sicherheitslücke bis zu 40 Kilometer breit. Der sog. IS gewinnt dort an Stärke und führt tödliche Angriffe auf kurdische und irakische Kräfte und Zivilisten durch (Rudaw 14.5.2021).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www. ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_% C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28St and_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf , Zugriff 3.3.2021

•        DIIS - Danish Institute for international Studies (23.6.2021): Security provision and external actors in Iraq, https://www.diis.dk/en/research/security-provision-and-external-actors-in-ir aq , Zugriff 25.8.2021

•        FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net /en/document/2046520.html , Zugriff 3.3.2021

•        Garda World (15.7.2021): Iraq: Improvised explosive device targets convoy carrying military supplies in Dhi Qar Governorate July 15, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts /502161/iraq-improvised-explosive-device-targets-convoy-carrying-military-supplies-in-dh i-qar-governorate-july-15 , Zugriff 25.8.2021

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/ , Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]

•        Reuters (18.6.2020): Turkey plans more military bases in north Iraq after offensive: official, https://www.reuters.com/article/us-turkey-security-iraq/turkey-plans-more-military-bases-i n-north-iraq-after-offensive-official-idUSKBN23P12U , Zugriff 16.3.2021

•        Rudaw (21.6.2021): Coalition ‘very happy’ with Peshmerga reform, Kurdish-Iraqi coordination: colonel, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/210620212 , Zugriff 21.6.2021

•        Rudaw (25.5.2021): In Makhmour, Iraqi and Kurdish forces collaborate against common enemy ISIS, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/25052021 , Zugriff 21.6.2021

•        Rudaw (14.5.2021): Erbil, Baghdad agree on joint deployment to combat ISIS threat: Peshmerga ministry, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/14052021 , Zugriff 21.6.2021

•        UNSC - United Nations Security Council (30.3.2021): Conflict-related sexual violence; Report of the Secretary-General [S/2021/312], https://www.ecoi.net/en/file/local/2049397 /S_2021_312_E.pdf , Zugriff 1.4.2021

•        USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human

Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html , Zugriff 1.4.2021

•        Wing, Joel, Musings on Iraq (2.8.2021): Violence Picks Up Again In Iraq In July 2021, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/08/violence-picks-up-again-in-iraq-in-july.html , Zugriff 25.8.2021

Islamischer Staat (IS)

Letzte Änderung: 15.10.2021

Im Dezember 2017 erklärte der Irak offiziell den Sieg über den sogenannten Islamischen Staat

(IS), nachdem im Monat zuvor mit Rawa im westlichen Anbar, das letzte urbane Zentrum des IS im Irak zurückerobert worden war (Al Monitor 11.7.2021). Der IS stellt nach wie vor eine

Bedrohung dar (DIIS 23.6.2021; vgl. MEE 4.2.2021, Garda 15.4.2021). Er ist als klandestine

Terrorgruppe aktiv, deren Fähigkeit zu operieren dadurch verringert ist, dass er weder Territorium noch Zivilbevölkerung beherrscht (FH 3.3.2021). Laut irakischen Kommandanten ist der IS nicht mehr in der Lage Territorien zu halten (MEE 4.2.2021).

Nur eine Minderheit der IS-Kräfte ist aktiv in Kämpfe verwickelt, besonders in einigen Gebieten im

Nord- und Zentralirak. In Gebieten mit sunnitischer Bevölkerungsmehrheit konzentriert sich der IS auf die Doppelstrategie der Einschüchterung und Versöhnung mit den lokalen Gemeinschaften, während er auf ein erneutes Chaos oder den Abzug der internationalen Anti-Terrortruppen

wartet (NI 19.5.2020). Der IS unterhält im gesamten West- und Nordirak Zellen, die gut ausgerüstet und äußerst mobil sind. Es wird angenommen, dass sie die Unterstützung aus den marginalisierten sunnitischen Gemeinschaften in der Region erhalten (Garda 15.4.2021). Schätzungen über die Stärke des IS gehen von 2.000 bis zu 10.000 IS-Kämpfer im Irak, dürften aber zu hoch gegriffen sein und sich zur Hälfte aus Unterstützern und Schläfern zusammensetzen (NI 18.5.2021).

Eine grundlegende geografische Verteilung der IS-Kämpfer lässt sich aus deren Operationen ableiten, die sie gegen die Sicherheitskräfte und die PMF durchführen. Diese betreffen hauptsächlich Anbar, Bagdad, Babil, Kirkuk, Salah ad-Din, Ninewa und Diyala (NI 18.5.2021). Nach der territorialen Niederlage im Jahr 2017 haben sich Zellen des IS weitgehend im Gebietsdreieck zwischen den Gouvernements Salah ad-Din, Diyala und Kirkuk, einschließlich des Hamrin-Gebirges, im Nordirak neu gruppiert. Das Gebiet liegt zwischen den Zuständigkeiten der irakischen Sicherheitskräfte und denen der kurdischen Regionalregierung (KRG), den Peshmerga (MEE

4.2.2021). Um die 2.000 der Kämpfer sollen sich in diversen Dreiecksgebieten konzentrieren: Das Gebiet zwischen Nord, West und Süd Bagdad, das Gebiet zwischen den nördlichen Hamreenbergen, Südkirkuk und dem Osten von Salah-ad-Din, das Gebiet zwischen Makhmour, Shirqat und den Khanoukenbergen im nördlichen Salah ad-Din, das Gebiet zwischen Baaj in

Ninewa, Rawa im nördlichen Anbar und dem Tharthar See, das Gebiet zwischen Wadi Hauran,

Wadi al-Qathf und Wadi al-Abyad in Anbar (NI 19.5.2020). Auch Informationen irakischer Sicherheitsbeamter deuten darauf hin, dass der IS auf abgelegene Stützpunkte tief in der Wüste in Anbar, Ninewa, in Gebirgszügen, Tälern und Obstplantagen in Bagdad, Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala zurückgreift, um seine Kämpfer unterzubringen und Überwachungs- und Kontrollpunkte zur Sicherung der Nachschubwege einzurichten. Er nutzt diese Stützpunkte auch, um Kommandozentren und kleine Ausbildungslager einzurichten. In urbanen Gebieten hat der IS seine Kämpfer in kleinen mobilen Untergruppen reorganisiert und seine Aktivitäten in Gebieten in denen er noch Einfluss hat verstärkt, indem er die internen Probleme des Iraks ausnutzt und sich vertrautes geografisches Gebiet zunutze macht (NI 18.5.2021).

(Quelle: NI 19.5.2020)

Der verstärkte Einsatz von mobilen Gruppen, die in verschiedenen Gebieten operieren, oft weit entfernt von ihren Stützpunkten oder von Unterkünften wie den Madafat (Anm.: Grundausbildungslager), die sich in unwegsamem Gelände, Felsenhöhlen oder unterirdischen Tunneln befinden, bedeutet, dass die tatsächliche Präsenz der Gruppe nicht anhand ihrer territorialen

Ansprüche oder von Ankündigungen irakischer Behörden beurteilt werden kann (NI 18.5.2021). Der IS verlässt sich bei der Planung und Ausführung seiner Aktivitäten auf geografisches Terrain.

Obwohl die Gruppe nicht mehr als Staat agiert, wie es in den Jahren des Kalifats von 2014 bis 2018 der Fall war, beziehen sich ihre Kommuniqués, in denen sie sich zu Anschlägen bekennt, immer noch auf das Wilayat als Teil ihrer PR-Strategie (NI 18.5.2021).

Der IS wählt seine Einsatzgebiete nach strategischen Faktoren aus: Ein Faktor ist die Generierung von Finanzmitteln, an den Handelsrouten zum Iran, zu Syrien und zwischen den irakischen Gouvernements, durch Steuern bzw. Schutzgelder, die Transportunternehmen auferlegt werden, sowie aus dem Schmuggel von Medikamenten, Waffen, Zigaretten, Öl, illegalen Substanzen und Lebensmitteln. Ein anderer Faktor ist die Schaffung strategischer Tiefe und sicherer Häfen. So konzentriert sich der IS auf die Ansiedlung in verlassenen Dörfern im Nord- und Zentralirak, wo natürliche geographische Barrieren und Gelände, wie Täler, Berge, Wüsten und ländliche Gebiete, konventionelle Militäroperationen zu einer Herausforderung machen. Hier nutzt der IS Höhlen, Tunnel und Lager zu Ausbildungszwecken, auch um sich Überwachung, Spionage und feindlichen Operationen zu entziehen. Ein weiterer Faktor ist die direkte Nähe zum Ziel. Der IS konzentriert sich beispielsweise auf Randgebiete um Städte und große Dörfer, die eine große Präsenz von einerseits Stammesmilizen oder lokalen Streitkräften und andererseits von nicht-lokalen loyalistischen PMF-Milizen aufweisen, sowie auf niederrangige Beamte, die mit der Regierung für die Vertreibung des IS zusammengearbeitet haben. Solche Gebiete sind häufig instabil aufgrund von Friktionen zwischen den verschiedenen Kräften. Einheimische, vor allem solche, die durch die anwesenden Kräfte geschädigt wurden, können dem IS gegenüber aufgeschlossener sein (CPG 5.5.2020).

Der IS hat die jüngsten Entwicklungen im Irak, wie die weitreichenden öffentlichen Proteste, den Rücktritt der Regierung und die daraus resultierende politische Stagnation, die Machtkämpfe um die Ermordung des Führers der Popular Mobilization Forces (PMF), Abu Mahdi al-Muhandis, durch die USA und den Abzug von US-Streitkräften aus dem Irak, operativ genutzt und in eher kleinen Gruppen von neun bis elf Männern Anschläge in Diyala, Salah ad-Din, Ninewa, Kirkuk und im Norden Bagdads verübt (CPG 5.5.2020).

Seit Sommer 2021 häufen sich Angriffe auf das irakische Stromnetz. Diese Angriffe werden von den Behörden terroristischen Kräften oder dem IS zugeschrieben (AN 14.8.2021). Der IS hat sich zu Dutzenden solcher Anschläge bekannt und bedroht auch andere lebenswichtige Infrastruktur. Es wird angenommen, dass der IS versucht Panik zu verbreiten, indem er das Elektrizitätsnetz angreift (Rudaw 8.8.2021).

Nach der Tötung des „Kalifen“ Abu Bakr al-Baghdadi wurde Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi 2019 der neue Anführer des IS. Dieser wurde als Ameer Muhammed Sa’id al-Salbi al-Mawla identifiziert, ein langjähriger Anführer des IS aus Tal Afar im Nordirak (NI 19.5.2020; vgl. CISAC 2021). Dem neuen Kalifen sind zwei fünfköpfige Ausschüsse unterstellt: ein Shura (Beratungs-) Rat und ein Delegiertenausschuss. Jedes Mitglied des letzteren ist für ein Ressort zuständig

(Sicherheit, sichere Unterkünfte, religiöse Angelegenheiten, Medien und Finanzierung). Die verschiedenen Sektoren des IS arbeiten auf lokaler Ebene dezentralisiert, halbautonom und sind finanziell autark (NI 19.5.2020). Ende Jänner 2021 wurde der Wali [Anm.: Gouverneur] für den Irak Jabbar Salman Ali Farhan al-Issawi, bekannt als Abu Yasser, in einer Operation als Vergeltung für den IS-Bombenanschlag in Bagdad vom 21.1.2021 im Süden Kirkuks getötet

(WIng 4.2.2021; vgl. Al-Monitor 1.3.2021, VOA 7.2.2021). Abu Yasser hatte Berichten zufolge seit 2017 den IS-Aufstand im Irak angeführt (VOA 7.2.2021).

Quellen:

•        Al Monitor (11.7.2021): Islamic State uses hit-and-run tactics in Iraq, https://www.al-monit or.com/originals/2021/07/islamic-state-uses-hit-and-run-tactics-iraq , Zugriff 25.8.2021

•        Al Monitor (1.3.2021): Prominent Islamic State leaders killed in Iraq, https://www.al-monit or.com/originals/2021/03/iraq-security-isis-tarmiya.htm l, Zugriff 12.4.2021

•        AN - Arab News (14.8.2021): West Baghdad without water after ‘attack’ on power grid, https://www.arabnews.com/node/1911056/middle-east , Zugriff 25.8.2021

•        CISAC - Center for International Security and Cooperation (2021): The Islamic State, https://cisac.fsi.stanford.edu/mappingmilitants/profiles/islamic-state#highlight_text_12400 , Zugriff 25.8.2021

•        CPG - Center for Global Policy (5.5.2020): ISIS in Iraq: From Abandoned Villages to the Cities, https://cgpolicy.org/articles/isis-in-iraq-from-abandoned-villages-to-the-cities/ , Zugriff 4.6.2020

•        DIIS - Danish Institute for international Studies (23.6.2021): Security provision and external actors in Iraq, https://www.diis.dk/en/research/security-provision-and-external-actors-in-ir aq , Zugriff 25.8.2021

•        FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net /en/document/2046520.html , Zugriff 3.3.2021

•        Garda World (15.4.2021): Iraq: At least five people killed, 21 injured in car bomb explosion in Baghdad April 15 /update 1, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/467636/iraq-a t-least-five-people-killed-21-injured-in-car-bomb-explosion-in-baghdad-april-15-update-1 , Zugriff 25.8.2021

•        MEE - Middle East Eye (4.2.2021): Islamic State regrouping in northern Iraq and relying on women operatives, https://www.middleeasteye.net/news/iraq-islamic-state-regrouping -northern-women-operatives, Zugriff 10.4.2021

•        NI - Newlines Institute (18.5.2021): ISIS in Iraq: Weakened but Agile, https://newlinesinstit ute.org/iraq/isis-in-iraq-weakened-but-agile/?ref=nl , Zugriff 20.5.2021

•        NI - Newlines Institute (19.5.2020): ISIS 2020: New Structures and Leaders in Iraq Revealed, https://newlinesinstitute.org/isis/isis-2020-new-structures-and-leaders-in-iraq-reveal ed/ , Zugriff 4.6.2021

•        USDOS - US Department of State (USA) (24.6.2020): Country Report on Terrorism 2019 Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032435.html, Zugriff 28.5.2021

•        Rudaw (8.8.2021): More than 18 attacks on electricity towers thwarted in Iraq in two weeks: military spox, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/080820212 , Zugriff 25.8.2021

•        VOA - Voice of America (7.2.2021): Kurds Warn of Growing Islamic State Capabilities in Iraq, https://www.voanews.com/extremism-watch/kurds-warn-growing-islamic-state-cap abilities-iraq, Zugriff 12.4.2021

•        Wing, Joel, Musings on Iraq (4.2.2021): Violence Continues To Decline In Iraq Winter 2020-21, https://musingsoniraq.blogspot.com/2021/02/violence-continues-to-decline-in-ir aq.html, Zugriff 12.4.2021

Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen

Letzte Änderung: 15.10.2021

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den gesamten Irak im Lauf des Monats Jänner 2021 77 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 92 Toten (46 Zivilisten) und 176 Verwundeten (125 Zivilisten) verzeichnet. 64 dieser Vorfälle werden dem sog. Islamischen Staat (IS) zugeschrieben und

13 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Bagdad mit 145, gefolgt von 36 in Diyala, 28 in Ninewa und 26 in Salah ad-Din (Wing 4.2.2021). Im Februar 2021 waren es 63 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 39 Toten (elf Zivilisten) und 77 Verwundeten (elf Zivilisten). 47 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 16 pro-iranischen Milizen. Die Meisten Opfer gab es in Diyala mit 38, gefolgt von 26 in Kirkuk und 21 in Anbar (Wing 8.3.2021). Im März 2021 waren es 79 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 39 Toten (16 Zivilisten) und 44 Verwundeten (14 Zivilisten). 59 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 20 pro-iranischen Milizen. Die Meisten Opfer gab es in Salah ad-Din mit 22, gefolgt von 19 in Diyala und 18 in Kirkuk (Wing

5.4.2021). Im April 2021 waren es 107 Vorfälle mit 54 Toten (19 Zivilisten) und 132 Verwundeten

(52 Zivilisten). 80 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 27 pro-iranischen Milizen. Diyala hatte mit 62 die meisten Opfer zu beklagen, gefolgt von 39 in Kirkuk, 30 in Bagdad, 24 in Salah ad-Din und 22 in Ninewa (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 waren es 113 Vorfälle mit 59 Toten (elf Zivilisten) und 100 Verwundeten (24 Zivilisten). 89 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 24 pro-iranischen Milizen. Die Meisten Opfer gab es in Kirkuk mit 53, gefolgt von 31 in Salah ad-Din, 26 in Diyala und 19 in Anbar (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden 83 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet. Dabei wurden 36 Menschen (16 Zivilisten) getötet und 87 verwundet (50 Zivilisten). 62 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 17 proiran

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten