TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/23 W192 2180308-2

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Veröffentlicht am 23.11.2021
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Entscheidungsdatum

23.11.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W192 2180308-2/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Dr. Christian SCHMAUS, Rechtsanwalt in 1060 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.03.2019, Zahl: 1095399601-151806952, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.12.2020 zu Recht:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger aus der Provinz Maidan Wardak, Paschtune, sunnitischer Muslim und Vater von fünf minderjährigen Kindern, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 19.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Mit Bescheid vom 19.10.2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab; ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gleichzeitig wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.

1.3. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.10.2018 wurde der Bescheid in Erledigung der dagegen eingebrachten Beschwerde behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverwiesen.

2.1 Mit Bescheid vom 11.03.2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ebenso wie den Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abermals ab. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gleichzeitig wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.

2.2. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.08.2019 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen.

2.3. Diese Entscheidung hob der Verfassungsgerichtshof auf Grund einer dagegen vom Beschwerdeführer gemäß Art. 144 B-VG eingebrachten Beschwerde mit Erkenntnis vom 28.11.2019, E 3283/2019, wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander auf.

Der Verfassungsgerichtshof begründete die Aufhebung auszugsweise wie folgt:

"3.1. Die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene sogenannte Wahrunterstellung erweist sich als nicht tragfähig. Das Bundesverwaltungsgericht führt aus, dass dem Beschwerdeführer, der von 2004 bis 2013 für das UN World Food Programme zunächst als Sicherheitsmitarbeiter, dann als Dolmetscher in Afghanistan tätig war, selbst dann, wenn die ihm aus diesem Grund widerfahrenen Drohungen der Taliban in den Jahren 2013 und 2015 für wahr gehalten würden, jedenfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative in der mehr als 500 Kilometer von seinem Heimatort entfernten Stadt Mazar-e Sharif offen stünde, weil nicht anzunehmen sei, dass die Taliban ihn dort suchen bzw. finden würden.

3.1.1. Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, ist eine Wahrunterstellung nur dann statthaft, wenn sie vollständig vom Vorbringen des Beschwerdeführers ausgeht, oder die Entscheidung offenlegt, von welchen als hypothetisch richtig angenommenen Sachverhaltsannahmen bei der rechtlichen Beurteilung konkret ausgegangen wird, um sowohl den Verfahrensparteien als auch den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts die Überprüfung zu ermöglichen, ob einerseits die derart erfolgte rechtliche Beurteilung – und daher auch die Annahme, keine (allenfalls: ergänzenden) Feststellungen zum Vorbringen treffen zu müssen – dem Gesetz entspricht (vgl. etwa VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0177; 25.3.2015, Ra 2014/18/0168; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069; 21.10.2014, Ro 2014/03/0076).

3.1.2. Der Beschwerdeführer bringt vor, als ehemaliger und langjähriger Mitarbeiter eines UN-Programmes zu einer Gruppe mit Risikoprofil zu gehören, die ausweislich der Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018, S 49-50, im ganzen Land von regierungsfeindlichen Kräften verfolgt werde, nämlich zu jener der 'Mitarbeiter humanitärer Hilfs- und Entwicklungsorganisationen', hinsichtlich derer Angriffe nicht nur auf hochrangige oder exponierte Mitarbeiter, wie das Bundesverwaltungsgericht vermeine, sondern etwa auch auf Bauarbeiter und LKW-Fahrer registriert seien. Das Bundesverwaltungsgericht hat selbst festgestellt, dass 'NGO-Personal und Mitarbeiter von internationalen Menschenrechts-organisationen […] in der Regel Ziele aufständischer Gruppierungen [sind]' (angefochtenes Erkenntnis, S 68). Ungeachtet der vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommenen Wahrunterstellung ist die Abweisung der Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten für den Verfassungsgerichtshof daher nicht nachvollziehbar.

[…]"

3.1. Mit daraufhin ergangenem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.04.2021 wurde die Beschwerde im zweiten Rechtsgang nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung abermals als unbegründet abgewiesen.

Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten gelangt das Bundesverwaltungsgericht begründend im Wesentlichen zu der Feststellung, dass die frühere Tätigkeit des Beschwerdeführers für das World Food Programme der Vereinten Nationen in dessen Herkunftsort bekannt geworden und er in den Jahren 2013 und 2015 durch dort agierende Mitglieder der Taliban bedroht worden sei. Es sei daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass er bei einer Rückkehr in seine Herkunftsregion mit Sanktionen durch Mitglieder der Taliban zu rechnen hätte. Jedoch hätte der Beschwerdeführer im Falle einer Ansiedlung in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat als innerstaatliche Fluchtalternativen keine Verfolgung durch Mitglieder der Taliban im Zusammenhang mit seiner im Jahr 2013 beendeten Tätigkeit für die Vereinten Nationen respektive einer ihm vorgeworfenen Spionagetätigkeit zu befürchten.

Des Weiteren wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer auf Grund der Tatsache, dass er im Bundesgebiet ordentliches Mitglied von Amnesty International geworden sei und an Demonstrationen und Mahnwachen dieser Organisation teilgenommen habe, nicht einer gezielten Verfolgung im Herkunftsstaat ausgesetzt sein würde. Er habe kein aktives exilpolitisches bzw. menschenrechtliches Engagement behauptet, welches im Herkunftsstaat bekannt geworden wäre.

3.2. Diese Entscheidung hob der Verfassungsgerichtshof auf Grund einer dagegen vom Beschwerdeführer gemäß Art. 144 B-VG eingebrachten Beschwerde mit Erkenntnis vom 29.09.2021, E 2269/2021, wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander auf.

Der Verfassungsgerichtshof begründete die Aufhebung auszugsweise wie folgt:

„3.1. Wie in der vorliegenden Beschwerde zu Recht vorgebracht wird, erachtet das Bundesverwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung zwar – anders als im ersten Rechtsgang – das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers im Wesentlichen als glaubhaft und legt es seiner Entscheidung als Sachverhalt zugrunde. So wird die frühere Tätigkeit des Beschwerdeführers für das World Food Programme der Vereinten Nationen nicht bezweifelt. Darüber hinaus werden die ihm aus diesem Grund widerfahrenen Drohungen durch Mitglieder der Taliban in den Jahren 2013 und 2015 bzw. eine asylrelevante Verfolgungsgefahr in seiner Herkunftsregion als maßgeblich wahrscheinlich festgestellt. Jedoch gelangt das Bundesverwaltungsgericht sodann ohne tragfähige Begründung zu dem Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat zumutbare innerstaatliche Fluchtalternativen zur Verfügung stünden, da eine landesweite asylrelevante Verfolgungsgefahr nach Ansicht des erkennenden Richters auf Grund der individuellen Situation des Beschwerdeführers, insbesondere des Zeitablaufes und der großen Entfernung zur Herkunftsregion, unwahrscheinlich sei.

3.2. Selbst angesichts der ausführlichen Begründung durch das Bundesverwaltungsgericht ist für den Verfassungsgerichtshof nicht nachvollziehbar, wie der erkennende Richter auf Basis der von ihm der Entscheidung zugrunde gelegten Länderinformationen zu dem Ergebnis kommt, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat – auch im Rahmen innerstaatlicher Fluchtalternativen – keine asylrelevante Verfolgungsgefahr auf Grund seiner Zugehörigkeit zu einer Gruppe mit Risikoprofil drohe, die ausweislich der bereits in der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 28. November 2019, E 3283/2019, betonten Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018, S 49 f., im ganzen Land von regierungsfeindlichen Kräften verfolgt werde, nämlich zu jener der "Mitarbeiter humanitärer Hilfs- und Entwicklungsorganisationen", hinsichtlich derer Angriffe nicht nur auf hochrangige oder exponierte Mitarbeiter registriert seien. Zur einzelfallbezogenen Beurteilung der Relevanz innerstaatlicher Fluchtalternativen wird in den UNHCR-Richtlinien, S 120 f., in diesem Zusammenhang grundsätzlich ausgeführt: "Angesichts des geografisch großen Wirkungsradius einiger regierungsfeindlicher Kräfte, einschließlich der Taliban […], existiert für Personen, die durch solche Gruppen verfolgt werden, keine interne Schutzalternative."

3.3. Vor diesem Hintergrund und angesichts des als glaubhaft festgestellten Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers ist die Beurteilung durch das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall, wonach eine asylrelevante Verfolgungsgefahr in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat auf Grund der individuellen Situation des Beschwerdeführers nicht zu prognostizieren bzw. gar "äußerst unwahrscheinlich" (angefochtene Entscheidung, S 71) sei, nicht nachvollziehbar, weil überwiegend spekulativ. Die angefochtene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist daher bereits aus diesem Grund mit Willkür belastet und aufzuheben; daran vermag auch die sonstige – allenfalls zutreffende – Begründung der angefochtenen Entscheidung nichts zu ändern.

3.4. Im Übrigen wird sich das Bundesverwaltungsgericht im fortgesetzten Verfahren auch mit der Frage der Auswirkungen des landesweiten Erstarkens der Taliban nach Abzug der NATO-Truppen seit Ende Mai 2021 (vgl. nur das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Kurzinformation vom 19.7.2021) auf die individuelle Situation des Beschwerdeführers zu befassen haben, worauf in der angefochtenen Entscheidung vom 29.04.2021 noch nicht eingegangen werden konnte.“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist ein volljähriger afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen. Er hat den Herkunftsstaat 2015 verlassen und nach illegaler Einreise am 19.11.2015 in Österreich den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Der Beschwerdeführer ist wegen seiner frühere Tätigkeit für das World Food Programme der Vereinten Nationen in dessen Herkunftsort bekannt geworden und er in den Jahren 2013 und 2015 durch dort agierende Mitglieder der Taliban bedroht worden. Es ist daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass er bei einer Rückkehr in seine Herkunftsregion mit Sanktionen durch Mitglieder der Taliban zu rechnen hätte.

Es besteht keine innerstaatliche Fluchtalternativen (etwa durch Ansiedlung in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat).

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers ist eine Machtübernahme durch die Talibanbewegung erfolgt.

Am 30. August 2021 haben die letzten internationalen Truppen Afghanistan verlassen. Die Taliban hatten bereits am 15. August 2021 Kabul weitgehend gewaltfrei eingenommen und verfügen nun, trotz vereinzelten bewaffneten Widerstands in einigen Landesteilen, über weitgehende Kontrolle im ganzen Land. Damit haben sich die politischen Rahmenbedingungen in Afghanistan grundlegend verändert. Die Anpassung staatlicher und institutioneller Strukturen an diese Veränderung hat gerade erst begonnen.

Während Teile der Bevölkerung, vor allem im städtischen Raum und unter ehemaligen Mitgliedern der Regierungs- und Sicherheitskräfte, eine massive Beschneidung ihrer Grundrechte und Freiheiten wahrnehmen und Vergeltungsmaßnahmen fürchten, befanden sich einige ländliche Gebiete zum Zeitpunkt der Machtübernahme teils bereits über Jahre unter der Kontrolle der Taliban, sodass der Machtwechsel für Teile der Zivilbevölkerung im ländlichen Raum keine weitreichenden Veränderungen des bereits zuvor von den Schattenstrukturen der Taliban geprägten Alltagslebens mit sich brachte. Allerdings hat sich die wirtschaftliche Lage zuletzt landesweit weiter verschlechtert.

Allgemeinen Erklärungen der Taliban, beispielsweise zu einer Amnestie für ehemalige Mitglieder der Regierungs- und Sicherheitskräfte, Pressefreiheit und Frauenrechten, stehen spezifische Anweisungen gegenüber, die die Versammlungsfreiheit, sowie Bildung und Berufstätigkeit für Mädchen und Frauen faktisch einschränken. Hinzu kommen eine Vielzahl von, unter den gegenwärtigen Bedingungen schwer zu verifizierenden, Meldungen von Nichtregierungsorganisationen und Einzelpersonen über Vergeltungsmaßnahmen, Repressionen und Verfolgung. (Quelle: AUSWÄRTIGES AMT Berlin, Bericht über die Lage in Afghanistan, Stand: 21.10.2021, S.4)

Nach Übernahme der Kontrolle über Afghanistan durch die Talibanbewegung besteht für Profile, die eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung durch Taliban haben, keine interne Schutzalternative. (Quelle: EASO, Country Guidance Afghanistan, November 2021, S. 125)

3. Beweiswürdigung:

3.1. Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und über die für ihn in seinem Herkunftsort entstandene Bedrohung ergeben sich aus dessen Angaben und wurden bereits im nunmehr behobenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.04.2021 getroffen.

Das Vorliegen einer landesweiten Bedrohungssituation ist aus den vom Verfassungsgerichtshof im behebenden Erkenntnis vom 29.09.2021 zitierten Länderberichten ersichtlich, wonach angesichts des geografisch großen Wirkungsradius einiger regierungsfeindlicher Kräfte, einschließlich der Taliban […],für Personen, die durch solche Gruppen verfolgt werden, keine interne Schutzalternative existiert.

Dies gilt naturgemäß umso mehr nach der in Abschnitt 3.4. des behebenden Erkenntnis vom 29.09.2021 angesprochenen notorischen Machtübernahme durch die Taliban im Herkunftsstaat und im Hinblick auf die auf den zitierten Quellen beruhen Feststellungen zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

3.1. § 87 Abs. 2 VfGG lautet:

„Wenn der Verfassungsgerichtshof einer Beschwerde stattgegeben hat, sind die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofs entsprechenden Rechtszustand herzustellen.“

3.2. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß den §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

3.3. Auf Grund des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen, nämlich von den Taliban wegen zumindest unterstellter Ablehnung seiner politischen Ausrichtung, verfolgt zu werden, begründet ist.

Da weder eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, noch ein in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannter Endigungs- und Asylausschlussgrund hervorgekommen ist, war der Beschwerde des Beschwerdeführers stattzugeben und ihm gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.

3.3. Die mit 01.01.2016 in Kraft getretenen Abs. 4 bis 4b des § 3 AsylG, die gemäß § 75 Abs. 24 für Asylanträge gelten, die nach dem 15.11.2015 gestellt worden sind, sind im vorliegenden Fall, in dem der Antrag am 19.11.2015 gestellt wurde, anzuwenden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung befristete Aufenthaltsberechtigung Berufstätigkeit Ersatzentscheidung unterstellte politische Gesinnung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W192.2180308.2.01

Im RIS seit

03.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

03.02.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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