TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/24 W159 1438977-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.11.2021
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Entscheidungsdatum

24.11.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W159 1438977-2/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.09.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.11.2019 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 leg. cit. wird festgestellt, dass XXXX , damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, der Volksgruppe der Hazara zugehörig, gelangte (spätestens) am 11.09.2012 irregulär nach Österreich und stellte an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 13.09.2012 erfolgte die Erstbefragung durch die Polizeiinspektion XXXX Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund befragt an, sein Bruder würde in Österreich leben, weil er sich in ein Mädchen verliebt hätte, das mit einem anderen verheiratet worden wäre. Der Bruder hätte dem Mädchen trotzdem weiter nachgestellt, sodass die Familie des Mädchens den Beschwerdeführer zur Verantwortung und Herausgabe des jetzigen Wohnortes des Bruders hätte ziehen wollen, dass er seinen Bruder an die Eltern des Mädchens ausliefere. Aus Furcht habe der Beschwerdeführer seine Heimat verlassen.

In der niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesasylamt am 05.03.2013 brachte der Beschwerdeführer vor, er sei afghanischer Staatsangehöriger, der Volksgruppe der Hazara zugehörig und schiitischer Moslem. Er sei ledig und habe keine Kinder. Er gab befragt an, er habe noch nie Personaldokumente besessen, er sei weder Mitglied einer politischen Partei noch habe er sich politisch betätigt. Zu seinem Fluchtgrund befragt erzählte der Beschwerdeführer, sein Bruder sei in ein Mädchen aus der Schule, die Tochter eines Kommandanten, verliebt gewesen. Die Familie des Mädchens sei gegen eine Hochzeit gewesen, weil sie sehr reich gewesen wäre. Der Vater habe den Bruder mit der Tochter des Onkels verheiratet und auch das Mädchen habe jemand anderen geheiratet. Der Bruder und das Mädchen seien trotzdem in Kontakt geblieben. Dieser Kontakt sei jedoch in Afghanistan strafbar gewesen und so habe der Bruder des Beschwerdeführers fliehen müssen. Nach der Flucht des Bruders, er habe den Asylstatus in Österreich erhalten, sei es im September 2011 zu einem Zusammentreffen der Brüder in Pakistan gekommen. Obwohl das Treffen geheim gewesen sei, habe der Kommandant davon erfahren und den Beschwerdeführer unter Druck gesetzt, um den Aufenthaltsort des Bruders zu erfahren. Der Beschwerdeführer sei von diesem Zeitpunkt an verfolgt worden und hätte sich nicht mehr frei bewegen können, weswegen er sein Heimatland verlassen habe.

In der niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesasylamt am 07.05.2013 wurde der Bruder des Beschwerdeführers, XXXX (ausgewiesen durch österr. Konventionspass), befragt. Er gab an, er habe das österreichische Bundesgebiet im Juni 2011 verlassen, weil er nach Pakistan gereist sei. Er habe dort Urlaub gemacht und seine Freunde getroffen. Er habe den Aufenthalt auch genutzt, um mit seiner Familie in Kontakt zu treten. So sei es ihm möglich gewesen mit seinem Bruder zwei Wochen in Pakistan zu verbringen. Er sei nach XXXX gefahren, weil er gewusst hätte, dass sich seine Feinde dort nicht aufhalten würden. Sein Bruder habe bei ihm im Hotel übernachtet und der Zeuge hätte auch die Kosten für den Aufenthalt des Bruders übernommen. Der Zeuge gab an, er wisse auch, dass nach dem Aufenthalt in Pakistan der Bruder u.a. vom Kommandanten mehrmals belästigt worden sei, um seinen Aufenthaltsort zu erfahren und dass der Kommandant und seine Verbündeten das Leben seines Bruders bedroht hätten.

In der niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesasylamt am 05.11.2013 gab der Beschwerdeführer an, er habe in seinem Heimatland keine Probleme mit den Behörden oder staatsähnlichen Institutionen gehabt. Er habe jedoch Angst vor jenen Personen, die ihn wegen seines Bruders verfolgt hätten. Befragt gab er weiter an, er hätte Angst von dem Sohn des Gruppenleiters der Hezb-e-Nasr Partei verfolgt zu werden. Man hätte sich nach dem Aufenthaltsort seines Bruders erkundigt und mehrmals Druck auf den Beschwerdeführer ausgeübt.

Mit Bescheid des Bundesasylamts vom 11.11.2013, Zl XXXX wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten in Spruchpunkt I. und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan in Spruchpunkt II. abgewiesen, unter Spruchpunkt III. wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen.

In der Begründung des Bescheides wurden die oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebenen Einvernahmen dargestellt sowie Feststellungen zu Afghanistan getroffen. In der Beweiswürdigung wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführer sich in seinen Einvernahmen widersprochen habe, weswegen das Vorbringen unglaubhaft sei.

Rechtlich begründend wurde zu Spruchpunkt I. insbesondere ausgeführt, dass der Antragsteller keine glaubhaften asylrelevanten Gründe im Sinne der GFK darlegen hätte können und daher begründete Furcht als Voraussetzung für die Asylgewährung ausgeschlossen werden könne. Hinsichtlich Spruchpunkt II. wurde auf eine mögliche inländische Fluchtalternative und die Möglichkeit von weitreichenden familiären Anknüpfungspunkten hingewiesen. Es könnten daher aus den individuellen persönlichen Verhältnissen keine Gefährdung im Sinne des § 8 AsylG abgeleitet werden. Es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller im Falle der Rückkehr nach Afghanistan in der Lage sei, seine dringendsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Es wurde darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer über kein schützenswertes Familien- und Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK in Österreich verfüge, in welches eingegriffen werden könne. Es gelte eine Ausweisung, wenn sie durchsetzbar werde, als durchsetzbare Rückehrentscheidung nach dem Fremdenpolizeigesetz.

Der Beschwerdeführer wurde am 29.10.2013, vom LG XXXX , Zl. XXXX wegen § 15 StGB, §105 (1) StGB, § 83 (1) StGB, und § 218 (1) Z 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 3 Monaten, Probezeit 3 Jahre verurteilt.

Der Beschwerdeführer erhob am 26.11.2013 Beschwerde gegen den Bescheid vom 11.11.2013 des Bundesasylamtes, Zl. XXXX in vollem Umfang. Er wiederholte grundsätzlich sein Fluchtvorbringen und war bemüht die beanstandeten Widersprüche zu widerlegen.

Mit Beschluss vom 30.04.2015, Zl. XXXX wurde der Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG vom Bundesverwaltungsgericht aufgehoben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Die belangte Behörde habe die notwendigen Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen und habe sich nicht ausreichend mit dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 29.07.2015 wurde der Beschwerdeführer neuerlich befragt. Bei dieser Einvernehme war auch XXXX als rechtliche Vertretung anwesend. Der Beschwerdeführer legte ein Taufzeugnis, div. Teilnahmebestätigungen-Deutschkurse und Fotos vor. Der Beschwerdeführer gab an, er hab bereits im März 2014 begonnen sich für das Christentum zu interessieren. Er sei zu XXXX Kaffee trinken gegangen, habe begonnen Filme zu schauen und zu diskutieren. In XXXX , im Camp, wären seine zwei afghanischen Mitbewohner Christen gewesen. Sie hätten dem Beschwerdeführer erklärt, dass der einzige Weg zu Gott Vater das Christentum sei und, dass sie so ihre innere Ruhe gefunden hätten. Befragt zu dem Unterschied zwischen Islam und Christentum erklärte der Beschwerdeführer, er habe im Islam alles gemacht, was sein Vater gesagt hätte, er persönlich habe nicht viel Ahnung über den Islam. Er hätte sein Ziel innere Ruhe zu finden im Christentum erreicht. Der Beschwerdeführer erzählte über den Sündenfall und, dass Jesus die Menschen durch seinen Tod freigekauft habe. Er sei vor der Taufe zum Taufunterricht gegangen und habe begründen müssen, warum er getauft werden will. So hätte sich die Kirche versichert, dass er wirklich Christ werden wolle.

Am 31.08.2016 wurden beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Zertifikat Deutsch B1 und ein Zeugnis der Pflichtschulabschuss-Prüfung vorgelegt.

XXXX legte am 23.12.2016 eine Vollmachtbekanntgabe vor und wies darauf hin, dass seit der niederschriftlichen Einvernahme am 29.07.2015 im vorliegenden Verfahren keine weiteren Schritte unternommen worden seien. Zwischenzeitlich seien weitere Deutschkursbestätigungen sowie das Zeugnis über den Pflichtschulabschluss übermittelt worden.

Am 02.06.2017 langten weitere Urkunden beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein. Der Beschwerdeführer brachte durch seinen Rechtsvertreter das Datenblatt „Lehrlingsausbildung“ und die Vertragsrichtlinien XXXX in Vorlage. Er gab an, dass er ab dem 04.09.2017 als Lehrling beim Magistrat XXXX aufgenommen worden sei und eine Lehre als Maurer absolvieren werde. Das Lehrverhältnis werde vom 04.09.2017 bis zum 03.09.2020 dauern. Er habe zwischenzeitlich die deutsche Sprache schon sehr gut erlernt und sei als Mitbewohner bei seinem Bruder in XXXX wohnhaft.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 27.08.2018 gab der Beschwerdeführer befragt an, er sei nunmehr seit sechs Jahren in Österreich und spreche mit seiner Familie in Afghanistan nicht über die Lage dort. Seine Familie hätte keine Probleme, jedoch hätte sein Bruder Probleme, weswegen er auch flüchten hätte müssen. Zu dem christlichen Glauben befragt gab der Beschwerdeführer an, er habe sein Leben verändert. Er sei nun beschäftigt, er besuche manchmal die Kirche, wenn er Zeit hätte. Seit er berufstätig sei und viel lernen müsse, hätte er nicht die Zeit so oft in die Kirche zu gehen. Befragt gab der Beschwerdeführer an, für ihn sei es wichtig sich in der neuen Religion wohlzufühlen. Für ihn gäbe es zwei Arten sich wohlzufühlen. Einerseits sei er in Österreich in Sicherheit und außer Gefahr, andererseits fühle er sich in der Kirche wohl. Befragt zu Ostern gab der Beschwerdeführer an, er wisse, dass zu Ostern die Eier gefärbt werden und die Kinder Geschenke bekommen würden. Sonst wisse er nicht genau Bescheid über Ostern.

Der Beschwerdeführer erzählte, dass er seit September sich im zweiten Lehrjahr befinde. Er sei in einem Sportverein beim XXXX und er sei Jugendvertrauensrat. Er sei bei der Gewerkschaft, er sammle Spenden um anderen zu helfen. Er habe Freunde gefunden und pflege Kontakte zu den Kollegen in der Arbeit.

Der Beschwerdeführer brachte das Jahreszeugnis der Berufsschule XXXX Schuljahr 2017/18 sowie seinen Lehrvertrag und diverse Gehaltsabrechnungen in Vorlage.

Am 31.08.2018 legte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter ein Empfehlungsschreiben der Personalvertretung des XXXX und ein Schreiben von XXXX vor. Der Beschwerdeführer sei als Lehrling sehr engagiert, er sei bemüht seine Arbeit zufriedenstellend zu erledigen und sehr ambitioniert das Ausbildungsziel zu erreichen.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.09.2018, Zl. XXXX wurde unter Spruchpunkt I. der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, unter Spruchpunkt II. dieser Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen, unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, unter Spruchpunkt IV. eine Rückkehrentscheidung erlassen, unter Spruchpunkt V. die Abschiebung nach Afghanistan für zulässig erklärt und unter Spruchpunkt VI. ein Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen gewährt.

In der Begründung des Bescheides wurden die oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebenen Einvernahmen dargestellt sowie Feststellungen zu Afghanistan getroffen. In der Beweiswürdigung wurde festgehalten, dass die vorgebrachten Fluchtgründe unglaubwürdig seien. Es hätte weder festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer wegen einer Beziehung des Bruders zu einem Mädchen Probleme gehabt hätte, noch, dass er zum Christentum konvertiert wäre.

Rechtlich begründend wurde zu Spruchpunkt I. insbesondere ausgeführt, dass der Antragsteller keine glaubhaften asylrelevanten Gründe im Sinne der GFK darlegen hätte können und daher begründete Furcht als Voraussetzung für die Asylgewährung ausgeschlossen werden könne. In Spruchpunkt II. wurde darauf hingewiesen, dass aus den individuellen persönlichen Verhältnissen keine Gefährdung im Sinne des § 8 AsylG abgeleitet werden könne. Es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller im Falle der Rückkehr nach Afghanistan in der Lage sei, seine dringendsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Es würden ihm innerstaatliche Fluchtalternativen wie die Städte Mazar-e-Sharif, Herat oder die Hauptstadt Kabul offenstehen. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG lägen nicht vor (Spruchpunkt III.). Unter Spruchpunkt IV. wurde darauf hingewiesen, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen nicht zu erteilen sei, weil von keinem schützenswerten Privat- und/oder Familienleben auszugehen sei. Es wurde auch auf die gerichtliche Verurteilung aus dem Jahre 2013 hingewiesen. Eine Rückkehrentscheidung sei für zulässig zu erachten gewesen, da ein gewichtiges öffentliches Interesse an der Ausreise bestehen würde. Zu Spruchpunkt V. wurde insbesondere dargelegt, dass keine Gefährdung im Sinne des § 50 FPG vorliege und einer Abschiebung nach Afghanistan auch keine Empfehlung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entgegenstehe, sodass diese als zulässig zu bezeichnen sei (Spruchpunkt V.). In Spruchpunkt VI. (Anmerkung: wurde im Spruch nicht angeführt) sei eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen festgelegt worden.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer vertreten durch seinen Rechtsvertreter, XXXX , fristgerecht, gegen alle Spruchpunkte Beschwerde, in der zunächst der bisherige Verfahrensgang und das Vorbringen (gerafft) wiedergegeben wurde. Der Beschwerdeführer würde seit sechs Jahren in Österreich aufhältig sein und sich seit September 2017 in einem aufrechten Lehrverhältnis beim Magistrat der XXXX befinden. Er habe sich in Österreich vollends integriert und könne für seinen Lebensunterhalt selbst sorgen. Es wurde grundsätzlich zu der Situation in Afghanistan, dargestellt im Länderinformationsblatt, Stellung genommen.

Am 21.07.2021 übermittelte Rechtsanwalt XXXX , ein Schreiben, dass er nunmehr die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers übernommen habe. Gleichzeitig übermittelte er weitere Integrationsunterlagen: Einen Lehrbrief über die bestandene Abschlussprüfung vom 02.06.2021, einen Bezugsausweis über einen Nettoverdienst in Höhe von XXXX im Juni 2021 und einen Bezugsausweis über einen Nettoverdienst in Höhe von XXXX im Mai 2021 sowie ein Jahres- und Abschlusszeugnis der Berufsschule XXXX , Schuljahr 2020/2021, ein Deutschzertifikat B1 und ein Zeugnis über den Pflichtschulabschluss.

Aufgrund der Verfügung des Geschäftsstellenausschusses vom 19.08.2021 wurde die gegenständliche Rechtssache der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.

In einer Stellungnahme vom 09.11.2021 des Beschwerdeführers, eingebracht durch seine rechtliche Vertretung, Rechtsanwalt XXXX , wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass er vom Glauben abgefallen sei. Er sei derzeit religionslos und würde den islamischen Glauben nicht ausüben. Er sei zwar christlich getauft worden, habe sich später jedoch von der christlichen Religion distanziert. Die Religionslosigkeit sei nun fest in seiner Persönlichkeit verankert. Jedenfalls drohe ihm aufgrund seiner Abkehr vom Islam eine Verfolgung aus religiösen Gründen in Afghanistan, weshalb er alle Voraussetzungen für die Erteilung des Status des Asylberechtigten erfüllen würde. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen in Afghanistan könne auch nicht von einer stabilen Sicherheitslage ausgegangen werden. Zudem gehöre der Beschwerdeführer der Volksgruppe der Hazara an, die von den Taliban besonders schikaniert werden würden. Der Beschwerdeführer habe seinen Asylantrag bereits im Jahr 2012 gestellt und habe während seines Aufenthalts einen modernen Lebensstil verinnerlicht, der in Afghanistan von den dort herrschenden Taliban nicht toleriert werden würde.

Am 16.11.2021 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung anberaumt, an welcher der Beschwerdeführer, sein Rechtsvertreter Rechtsanwalt XXXX , der Zeuge XXXX und eine Dolmetscherin teilnahmen. Ein Vertreter des BFA, Regionaldirektion Niederösterreich war entschuldigt nicht erschienen.

Der Beschwerdeführer bestätigte, dass er seine Beschwerde und sein bisheriges Vorbringen aufrecht halte. Es wolle keine Ergänzungen oder Korrekturen anbringen, er verwies auf seine eingebrachte Beschwerde.

Zu seiner Staatsangehörigkeit befragt gab er an, er habe keinen Nachweis der Staatsangehörigkeit, er sei in der Ortschaft XXXX , Distrikt XXXX , in der Provinz Ghazni am XXXX geboren worden. Er sei in Afghanistan, in seinem Geburtsort aufgewachsen und sei dann in den Iran geflüchtet und über die Türkei und Griechenland nach Österreich gekommen. In Afghanistan habe er nur in seinem Heimatdorf XXXX gelebt.

Er gehöre der Volksgruppe der Hazara an und sei in eine muslimische schiitische Familie hineingeboren worden. Er führte aus: „Ich bin nicht mehr Schiit. Ich habe jetzt keine Religion mehr.“ Zwischenzeitlich habe er in Österreich eine Kirche besucht. Er erzählte weiter: „Ich bin in einer muslimischen Familie auf die Welt gekommen. Ich war immer auf der Suche herauszufinden, warum der Islam so engmaschig ist. Hier habe ich das Christentum kennengelernt und ich habe dann recherchiert, um herauszufinden, welche Unterschiede es zwischen dem Christentum und dem Islam gibt. Im Christentum habe ich dann erkannt, dass es viele Freiheiten gibt im Vergleich zum Islam. Dann habe ich weiter versucht, herauszufinden, wie die Religion überhaupt entstanden ist. Das ist meine persönliche Meinung, wenn man auf die Welt kommt, kommt man mit meinem Gehirn auf die Welt und es müssen nicht alle Menschen dieselbe Religion haben. Wenn ein Mensch mit einem vollkommenen Verstand auf die Welt kommt, dann ist es nicht notwendig unbedingt eine Religion zu haben. Es ist nicht wichtig, ob man Christ, Moslem oder eine andere Religion hat. Überall muss die Menschlichkeit bestehen. ….. Meine Familie ist strenggläubig und ich wurde dazu gezwungen, den Glauben so auszuüben. ….. Ich habe es nicht freiwillig getan. Ich habe es gezwungenermaßen gemacht, weil ich von meiner Familie dazu gezwungen wurde.“

Die islamische Religion auszuüben war für den Beschwerdeführer ein Zwang, ein Zwang der Gesellschaft und der Familie, mehr von der Familie und dann von der Gesellschaft. Auf die Frage des Richters, warum er sich entschlossen habe, sich gänzlich vom Islam abzuwenden antwortete der Beschwerdeführer: „Ich habe mich von allen Religionen abgewendet. Es ist meine Meinung, wenn jemand einen klaren Verstand hat, muss man keine Religion haben.“

Er erzählte befragt weiter: „Im Asylheim bin ich mit dem Christentum in Kontakt getreten. Dort hatte ich viele Freunde, die in die Kirche gegangen sind. Ich war selbst auf der Suche, mehr über das Christentum zu erfahren. Ich bin dann in eine iranische Kirche gegangen und wurde dort auch getauft.“ Es habe ihm am Christentum die vielen Freiheiten und, dass alles sehr offen sei, fasziniert. Er habe vor seiner Taufe, Glaubensunterricht erhalten. Er sei jedoch nicht oft dorthin gegangen. Er habe sich selbst erkundigt und sich sein Wissen selbst angeeignet. Nach der Taufe sei er ab und zu in die Kirche gegangen und habe an den Veranstaltungen teilgenommen.

Der Richter erkundigte sich, warum er sich dann wieder vom Christentum abgewendet habe. Der Beschwerdeführer antwortete: „Ich bin ein Mensch, der immer herausfinden möchte und auch bei der Religion wollte ich herausfinden, wie die Religion entstanden ist. Für mich sind alle Religionen auf dieser Welt nichts Anderes, als nur ein „Business“. Damit meine ich alleine, weil die Moslems jährlich die Pilgerfahrt machen werden Milliarden von Geldern umgesetzt. Saudi-Arabien bekommt viel Geld.“ Er gab befragt an: „Ja, ich lehne alle Religionen ab.“

Er würde die Existenz jeglichen Gottes nicht leugnen, es gäbe einen Gott und einen Menschen und eine direkte Verbindung zwischen den Menschen und dem Gott und eine Religion würde keinen Verbindungsweg zum Gott darstellen. Der Beschwerdeführer gab an: „Ich bin der Meinung, dass der Mensch wie die Natur ist. Man kommt auf die Welt, wächst und wächst und dann hört es irgendwann auf und dann ist das Ende. Es gibt keine andere Welt.“ Er würde auch mit anderen Menschen darüber reden, dass er alle Religionen ablehnen würde. Er habe einige afghanische Freunde und sie würden darüber immer diskutieren. Sein Bruder und seine Mütter wüssten über seinen Glaubensabfall. Seine Mutter hätte gemeint, sie akzeptiere es nicht und er müsse Moslem bleiben. Er habe jedoch seiner Mutter gesagt, sie habe ihre Religion und er sei der Ansicht, jeder solle seinen eigenen Weg gehen. Er habe seiner Mutter viele Gründe vorgelegt, damit sie den Kontakt zu ihm nicht abbrechen würde.“ Ich habe eine Mutter und mit ihr habe ich Kontakt und ich kann den Kontakt nicht abbrechen.“

Ein Schulfreund und auch seine Schwester in Afghanistan wüssten noch von seinem Glaubensabfall. In Afghanistan würden seine Mutter und seine Schwester leben. Seine Schwester habe nicht besonders auf den Glaubensabfall reagiert, sie habe selbst studiert und wisse, wie das alles sei.

Der Beschwerdeführer gab befragt an, er habe nur die Grundschule ab dem Alter von 6 Jahren bis zum Alter von 14 Jahren besucht. Die Familie habe den Lebensunterhalt durch eine Landwirtschaft und mit Hilfe von eigenen Grundstücken bestritten. Es sei Gemüse und Obst angebaut worden. Sie hätten keine wirtschaftlichen Probleme in Afghanistan gehabt.

Nach Rücksprache mit dem Rechtsvertreter wurde auf das ursprüngliche Fluchtvorbringen verzichtet. Auf die Frage des Richters: „Warum sollte der Kommandant XXXX Sie heute noch nach mehr als 10 Jahren verfolgen?“ antwortete der Beschwerdeführer: „Solche Leute hatten früher vermutlich etwas Macht, aber aufgrund der neuen Situation in Afghanistan haben sich die Machtverhältnisse von ihnen verdoppelt, da sie mit den Taliban zusammenwirken. Sie arbeiten mit den Taliban zusammen. Die Taliban gehören einer anderen Volksgruppe an und sie suchen sich bestimmte Leute bei den Hazara, die für sie spionieren und auch in unserem Gebiet haben die Taliban Fuß gefasst. Die Taliban selbst wirken bei der Regierung mit, aber durch solche Leute erfahren sie alles und solche Leute verraten auch den Taliban, wer, wann und wo für die Regierung gearbeitet hat und verraten auch solche Leute wie mich.“

Er und sein Bruder hätten sich im Sommer 2011 in XXXX in der Stadt XXXX in Pakistan getroffen. Er habe dann unmittelbar aus Afghanistan ausreisen müssen, weil sie erfahren hätten, dass er sich mit seinem Bruder in Pakistan getroffen hätte. Der Vater und er seien gefragt worden, wo sich sein Bruder aufhalte und wo sie sich getroffen hätten. Sein Vater hätte ihm gesagt, dass er so wie sein Bruder von weggehen müsse und wenn er es nicht tun würde, dann werde er in die Hände dieser grausamen Menschen geraten. Der Beschwerdeführer erzähle, er habe seine Schulbildung wegen diesen Menschen abgebrochen und habe seinem Vater in der Landwirtschaft geholfen.

Eines Abends als der Beschwerdeführer von der Arbeit von den Grundstücken nach Hause gekommen sei, habe der Vater ihn weggeschickt. Er habe im Dunkeln das Haus verlassen. Im Jahr 2014 oder 2015 sei sein Vater verstorben.

Zurzeit würde er in Österreich beim XXXX als Maurer arbeiten. Er würde mit seinem Freund sich eine Wohnung teilen, es sei ein Mitbewohner. Er habe keine Kinder. Er stehe mit seinem Bruder XXXX immer in Kontakt. Früher hätten sie auch in einem Haushalt gelebt. Sie würden sich immer am Wochenende treffen, da sein Bruder auch in XXXX leben würde. Unter der Woche würden sie telefonieren, wegen der Arbeit könnten sie sich nicht treffen. Es würde in keiner Form eine Abhängigkeit zu seinem Bruder bestehen. Befragt zu seiner Ausbildung in Österreich, führte der Beschwerdeführer an: „Ich habe Deutschkurse bis B1 gemacht. 2016 habe ich den Hauptschulabschluss gemacht. Im September 2017 habe ich eine Lehre beim XXXX als Maurer begonnen. Ich habe auch die Lehre positiv abgeschlossen und bin beim XXXX als Maurer angestellt.“ In seiner Freizeit spiele er Fußball und Volleyball. Seine Arbeit sei körperlich anstrengend, da brauche er kein Fitnesscenter.

Befragt gab der Beschwerdeführer an, er würde Schweinefleisch essen und Alkohol trinken. Er sei zurzeit in keinem Verein Mitglied. Sie hätten eine Hobbymannschaft gegründet und würden jedes Wochenende spielen. Er habe sich einen Freundeskreis auch mit österreichischen Freunden und Arbeitskollegen aufgebaut. Zurzeit habe er eine afghanische Freundin, sie habe einen Konventionsreisepass und würde in Wien wohnen. Seine Freundin würde als Verkäuferin arbeiten und sie würden sich am Wochenende und unter der Woche treffen. Der Beschwerdeführer gab an, er würde auch bei seiner Freundin öfters übernachten. Er habe sie nicht nach ihrer religiösen Einstellung gefragt, er glaube jedoch sie sei moslemischen Glaubens, aber nicht streng. Sie hätten schon seit vier Jahren eine Beziehung, hätten aber nicht, wegen den unsicheren Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers geheiratet. Sollten sie heiraten, würde er nur staatlich und nicht nach islamischem Ritus heiraten.

Angesprochen auf seine Zukunftspläne gab der Beschwerdeführer an: „Ich habe viele Pläne. Ich habe die Lehre abgeschlossen. Danach habe ich die Info erhalten, dass ich Weiterbildungen machen kann. Wenn ich 2 Jahre als Maurer gearbeitet habe, kann ich mich weiterbilden. Damit möchte ich anfangen.“ Er führte weiter aus: „Momentan ist die Situation in Afghanistan so schlimm. Für mich ist ein besonderes Risiko. Wenn ich abgeschoben würde, würden die Taliban es erfahren. Der Kommandant würde mich auch verfolgen. Jetzt ist er noch mächtiger geworden. Sobald ich nach Afghanistan abgeschoben werden würde, wäre mein Leben nicht mehr möglich. Ich bin schon mit 17 Jahren nach Österreich gekommen. Ich bin fast 10 Jahre in Österreich. Ich kann nicht nach Afghanistan. Ich bin Afghanistan entfremdet.“ Er würde bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan NICHT wieder zum Islam zurückkehren.

Die Frage seines Rechtsvertreters, ob er denke, dass er so, wie er hier in Österreich leben (Bekleidung, Lebensstil) auch in Afghanistan leben könnte, verneinte er.

Befragung des Zeugen XXXX

Der Richter belehrte den Zeugen über Wahrheitspflicht und Entschlagungsrechte.

Der Zeuge bestätigte, dass der anwesende Beschwerdeführer, sein leiblicher Bruder sei.

Der Zeuge gab an, dass er seit 2017 österreichischer Staatsbürger sei. Er sei zurzeit in einem Gasthaus Geschäftsführer. Er würde mit seiner Frau und zwei Kindern hier in Österreich leben. Er bestätigte, dass er sich nach seiner Ausreise, aber vor der Ausreise seines Bruders mit ihm in Pakistan, in XXXX getroffen habe. Sie hätten in einem Hotel, in welchem man nur schlafen könne, Unterkunft genommen. Er habe auch davon gehört, dass er nach seiner Ausreise aus Afghanistan noch von XXXX , dem ehemaligen Distriktvorsteher gesucht worden sei. Dieser sei mit XXXX immer zusammen gewesen. Nun würden sie mit den Taliban zusammenarbeiten und sie seien noch stärker geworden.

Er würde mit seinem Bruder nicht in einem Haushalt leben, sie würden jedoch in Kontakt stehen. Sie würden beide in XXXX wohnen und würden sich fast jedes Wochenende treffen. Sie würden auch über Telefon oder Internet in Kontakt stehen. In irgendeiner Weise würde eine Abhängigkeit bestehen. Sein Bruder könne den Alltag alleine bewältigen, sie würden sich jedoch gegenseitig brauchen, denn er sei sein einziger Bruder. Sie hätten einen sehr engen persönlichen Kontakt.

Der Zeuge gab an, dass sein Bruder keine Religion mehr habe. Religion würde seinen Bruder nicht mehr interessieren. „Er hat es gezeigt. Ich habe es gesehen. Er betet nicht. Ich bin in einer muslimischen Familie geboren. Mich interessiert aber der Islam auch nicht mehr.“

Gemäß § 45 Abs.3 AVG wurde den Verfahrensparteien das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Version 5 vom 16.09.2021 zur Kenntnis gebracht. Der Rechtsvertreter gab an, er wolle in der Verhandlung eine Stellungnahme erstatten: „Das LIB wird zur Kenntnis genommen. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass die Situation für Apostaten in Afghanistan sehr gefährlich ist., zumal sie sich den in Afghanistan gelebten Sitten widersetzen und als Ungläubige bezeichnet und schikaniert werden. In Anbetracht der Herrschaft der Taliban ist mit drakonischen Strafen zu rechnen. Zuletzt verweise ich auf meine schriftliche Stellungnahme vom 09.11.2021 und halte sie vollinhaltlich aufrecht.“

Im aktuellen Strafregisterauszug des Beschwerdeführers scheint keine Verurteilung auf.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, der Volksgruppe der Hazara zugehörig und wurde am XXXX im Dorf XXXX , Distrikt XXXX , in der Provinz Ghazni geboren und führt den Namen XXXX . Er lebte bis zu seiner Ausreise immer in seinem Heimatdorf. Er hat in Afghanistan die Grundschule besucht und danach auf den eigenen Grundstücken der Familie gearbeitet.

Seine Mutter und seine Schwester leben in Afghanistan, sein Vater ist bereits verstorben.

Der Bruder des Beschwerdeführers ist nunmehr seit 2017 österreichischer Staatsbürger und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in XXXX . Der Beschwerdeführer lebt ebenfalls in XXXX . Die Brüder sind sich ihrer familiären Bande bewusst und haben ein enges Verhältnis zueinander. Sie leben nicht in einem Haushalt, verbringen aber so viel Freizeit wie möglich miteinander.

Der Beschwerdeführer kam als schiitischer Moslem nach Österreich, wandte sich von seinem Glauben, den er als Zwang empfunden hatte ab und wandte sich der christlichen Religion zu. Er war auf der Suche nach seinen inneren Frieden, welchen er offensichtlich durch die christliche Religion fand. Er vollzog den Religionswechsel, indem er nach dem Taufunterricht getauft wurde. Doch mit seinem Aufenthalt in Österreich hat er sich immer mehr von den Religionen abgewandt und ist nunmehr ohne religiöses Bekenntnis. Er ist der Meinung, dass der Mensch wie die Natur ist. „Man kommt auf die Welt, wächst und wächst und dann hört es irgendwann auf und dann ist das Ende. Es gibt keine andere Welt.“ Er versteckt seine areligiöse Ansicht nicht. Seine Mutter, seine Schwester und sein Bruder sowie seine Freunde wissen über seine areligiöse Ansichten Bescheid. Er steht nach wie vor mit seiner Mutter in Kontakt, er respektiert und liebt sie und diese Gegebenheiten seien von religiösen Ansichten zu unterscheiden. Er ist bemüht den Kontakt zu seiner Mutter aufrechtzuerhalten.

In Österreich hat der Beschwerdeführer Deutschprüfungen auf B1 Level und den Pflichtschulabschluss erworben. Der Beschwerdeführer hat die Lehre als Maurer beim XXXX erfolgreich absolviert und alle Prüfungen positiv abgeschlossen. Er wurde in ein Arbeitsverhältnis beim XXXX übernommen und ist selbsterhaltungsfähig. Sobald es möglich sei, wolle er sich fortbilden.

Der Beschwerdeführer ist in einem Liebesverhältnis mit einer afghanischen Staatsangehörigen. Er würde sie gerne heiraten, jedoch nur staatlich, ohne religiöse Zeremonie. Der Beschwerdeführer lebt einen „sehr westlichen Lebensstil.“ Er isst Schweinefleisch und trinkt bei gesellschaftlichen Anlässen auch Alkohol. Er liebt seine in Österreich gewonnene religiöse Freiheit und lebt diese. Er hat sich sowohl von der islamischen als auch der christlichen Religion abgewandt. Er betet nicht und hält sich nicht an die Fastenregeln. Er achtet die Frauenrechte und möchte mit seiner Freundin, gerne mit Trauschein zusammenleben.

Er ist laut Strafregister nicht vorbestraft.

Zu Afghanistan wird Folgendes verfahrensbezogen festgestellt:

Todesstrafe

Letzte Änderung: 14.09.2021

Vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 war die Todesstrafe in der Verfassung und im Strafgesetzbuch für besonders schwerwiegende Delikte vorgesehen (AA 16.7.2021). Und zwar für Delikte wie Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Angriff gegen den Staat, Mord und Zündung von Sprengladungen, Entführungen bzw. Straßenraub mit tödlicher Folge, Gruppenvergewaltigung von Frauen u.a. (StGb-AFGH 15.5.2017: Art. 170).

[Anmerkung: Über dies Auswirkung der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 auf die Todesstrafe in Afghanistan sind noch keine validen Informationen bekannt]

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (16.7.2021): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Mai 2021), https://www.ecoi.net/en/document/2057829.html, Zugriff 1.9.2021

?        StGb-AFGH - Strafgesetzbuch Afghanistan [Afghanistan] (15.5.2017): Strafgesetz, liegt im Archiv der Staatendokumentation auf

Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 14.09.2021

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 23.8.2021; vgl. USDOS 12.5.2021, AA 16.7.2021). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als 0,3% der Bevölkerung aus (CIA 23.8.2021, USDOS 12.5.2021). Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 12.5.2021). Der letzte bislang in Afghanistan lebende Jude hat nach der Machtübernahme der Taliban das Land verlassen (AP 9.9.2021). Die muslimische Gemeinschaft der Ahmadi schätzt, dass sie landesweit 450 Anhänger hat, gegenüber 600 im Jahr 2017. Genaue Angaben zur Größe der Gemeinschaft der Ahmadi und der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 12.5.2021).

In den fünf Jahren vor der Machtübernahme der Taliban im August 2021 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie; jedoch berichteten Personen, die vom Islam konvertieren, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskierten (USDOS 12.5.2021).

In Hinblick auf die Gespräche im Rahmen des Friedensprozesses, äußerten einige Sikhs und Hindus ihre Besorgnis darüber, dass in einem Umfeld nach dem Konflikt von ihnen verlangt werden könnte, gelbe (Stirn-)Punkte, Abzeichen oder Armbinden zu tragen, wie es die Taliban während ihrer Herrschaft von 1996 bis 2001 vorgeschrieben hatten (USDOS 12.5.2021).

[Anmerkung: Über die Auswirkung der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 auf Religionsfreiheit sind noch keine validen Informationen bekannt]

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (16.7.2021): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Mai 2021), https://www.ecoi.net/en/document/2057829.html, Zugriff 1.9.2021

?        ABC News (29.8.2021): Afghanistan's religious minorities live in fear of Taliban, brace for persecution, https://www.nbcnews.com/news/world/afghanistan-s-religious-minorities-live-fear-taliban-brace-persecution-n1277249, Zugriff 2.9.2021

?        AP - Associated Press (9.9.2021): Afghanistan’s last Jew leaves after Taliban takeover, https://apnews.com/article/middle-east-religion-israel-afghanistan-evacuations-c616b5b847da79f0cfc1de6f0f37b0b7, Zugriff 13.9.2021

?        CIA - Central Intelligence Agency [USA] (23.8.2021): The World Factbook - Afghanistan, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/afghanistan/#people-and-society, Zugriff 2.9.2021

?        USDOS - United States Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Afghanistan, https://www.state.gov/reports/2020-report-on-international-religious-freedom/afghanistan/, Zugriff 2.9.2021

Schiiten

Letzte Änderung: 14.09.2021

Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wurde vor der Machtübernahme durch die Taliban auf 10 bis 19% geschätzt (CIA 23.8.2021; vgl. AA 16.7.2021). Zuverlässige Zahlen zur Größe der schiitischen Gemeinschaft sind nicht verfügbar und werden vom Statistikamt nicht erfasst. Gemäß Vertretern der Religionsgemeinschaft sind die Schiiten Afghanistans mehrheitlich Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Unter den Schiiten gibt es auch Ismailiten (USDOS 12.5.2021).

Direkte Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten waren vor der Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan selten (AA 16.7.2021). Im Jahr 2020 verzeichnete UNAMA 19 Angriffe mit 115 zivilen Opfern (60 Tote und 55 Verletzte), die dem ISKP (Islamischer Staat Khorasan Provinz) und anderen regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden und die auf Kultstätten, religiöse Führer und Gläubige abzielten, verglichen mit 20 Angriffen im Jahr 2019 mit 236 zivilen Opfern (80 Tote und 156 Verletzte) (USDOS 12.5.2021).

[Anmerkung: Zur Auswirkung der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 auf die schiitische Minderheit sind noch keine validen Informationen bekannt]

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (16.7.2021): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Mai 2021), https://www.ecoi.net/en/document/2057829.html, Zugriff 1.9.2021

?        CIA - Central Intelligence Agency [USA] (23.8.2021): The World Factbook - Afghanistan, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/afghanistan/#people-and-society, Zugriff 2.9.2021

?        USDOS - United States Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Afghanistan, https://www.state.gov/reports/2020-report-on-international-religious-freedom/afghanistan/, Zugriff 1.9.2021

Apostasie, Blasphemie, Konversion

Letzte Änderung: 14.09.2021

Die Zahl der afghanischen Christen in Afghanistan ist höchst unsicher, die Schätzungen schwanken zwischen einigen Dutzend und mehreren Tausend (LI 7.4.2021; vgl. USDOS 12.5.2021). Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert (AA 16.7.2021). Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam (LIFOS 21.12.2017). Der Islam spielt eine entscheidende Rolle in der afghanischen Gesellschaft und definiert die Auffassung der Afghanen vom Leben, von Moral und Lebensrhythmus. Den Islam zu verlassen und zu einer anderen Religion zu konvertieren bedeutet, gegen die gesellschaftlichen Kerninstitutionen und die soziale Ordnung zu rebellieren (LI 7.4.2021).

Vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 konnten christliche Afghanen ihren Glauben nicht offen praktizieren (LI 7.4.2021; vgl. USDOS 12.5.2021). In den fünf Jahren davor gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie (USDOS 12.5.2021; vgl. AA 16.7.2020); jedoch berichteten Personen, die vom Islam konvertierten, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskierten (USDOS 12.5.2021).

Landinfo argumentiert, dass die größte Bedrohung für einen afghanischen Konvertiten das Risiko ist, dass seine Großfamilie von der Konversion erfährt. Wenn das der Fall ist, wird diese versuchen, ihn oder sie davon zu überzeugen, zum Islam zurückzukehren. Dieser Druck kommt oft von den engsten Familienmitgliedern wie Eltern und Geschwistern, kann aber auch Onkel, Großeltern und männliche Cousins betreffen (LI 7.4.2021). Ein Konvertit wird in jeder Hinsicht stigmatisiert: als Repräsentant seiner Familie, Ehepartner, Eltern/Erzieher, politischer Bündnispartner und Geschäftspartner. Weigert sich der Konvertit, zum Islam zurückzukehren, riskiert er, von seiner Familie ausgeschlossen zu werden und im Extremfall Gewalt und Drohungen ausgesetzt zu sein. Einige Konvertiten haben angeblich Todesdrohungen von ihren eigenen Familienmitgliedern erhalten (LI 7.4.2021; vgl. USDOS 12.5.2021).

Die dominierende Rolle des Islam schränkt den Zugang zu Informationen über andere Religionen für die in Afghanistan lebenden Afghanen ein. Die Wahrscheinlichkeit, dass Afghanen in Afghanistan das Christentum kennen lernen, ist relativ gering. Normalerweise sind es Afghanen, die im Ausland leben, unter anderem in Pakistan oder im Iran, die mit dem Christentum in Kontakt kommen. In den Jahren zwischen dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 und deren erneuten Machtübernahme im August 2021 war die internationale Präsenz in Afghanistan beträchtlich und einige Menschen kamen möglicherweise durch ausländische christliche Entwicklungshelfer oder anderes internationales Personal mit dem Christentum in Kontakt. Verschiedene digitale Plattformen haben ebenfalls dazu beigetragen, dass mehr Menschen mit dem Christentum bekannt gemacht wurden (LI 7.4.2021).

Die Bibel wurde sowohl in Dari als auch in Paschtu übersetzt. Es konnten keine Informationen gefunden werden, die darauf hindeuten, dass die Bibel in Afghanistan zum Verkauf steht oder anderweitig auf legalem Wege erhältlich ist. Sie ist jedoch in Pakistan und im Iran erhältlich. Mehrere Ausgaben der Bibel wurden von iranischen Verlagen veröffentlicht und sind, wenn auch in begrenztem Umfang, in gewöhnlichen Buchläden im Iran erhältlich (LI 7.4.2021; vgl. LI 2017). Mit der zunehmenden Nutzung digitaler Plattformen und sozialer Medien sind Informationen über verschiedene Religionen, einschließlich des Christentums, besser verfügbar als in der Vergangenheit. Die Bibel kann sowohl in Dari als auch in Paschtu kostenlos aus dem Internet heruntergeladen werden, ebenso wie anderes christliches Material (LI 7.4.2021).

[Anmerkung: Über die Auswirkung der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 auf Apostasie, Blasphemie, Konversion sind noch keine validen Informationen bekannt]

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (16.7.2021): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Mai 2021), https://www.ecoi.net/en/document/2057829.html, Zugriff 2.9.2021

?        LI - Landinfo, Utlendingsforvaltningens fagenhet for landinformasjon [Norwegen] (7.4.2021): https://www.ecoi.net/en/file/local/2050251/Landinfo-Report-Afghanistan-Christian-Converts-070402021.pdf, Zugriff 2.9.2021

?        LIFOS - Center för landinformation och landanalys inom migrationsområdet [Schweden] (21.12.2017): Temarapport: Afghanistan -Kristna, apostater och ateister, https://www.ecoi.net/en/file/local/1420820/1226_1515061800_171221551.pdf, Zugriff 2.9.2021

?        USDOS - United States Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Afghanistan, https://www.state.gov/reports/2020-report-on-international-religious-freedom/afghanistan/, Zugriff 2.9.2021

Ethnische Gruppen

Letzte Änderung: 16.09.2021

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 37,5 Millionen Menschen (NSIA 6.2020; vgl. CIA 23.8.2021). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (STDOK 7.2016 ; vgl. CIA 23.8.2021). Schätzungen zufolge sind die größten Bevölkerungsgruppen: 32 bis 42% Paschtunen, ca. 27% Tadschiken, 9 bis 20% Hazara, ca. 9% Usbeken, 2% Turkmenen und 2% Belutschen (AA 16.7.2021).

Neben den alten Blöcken der Islamisten und linksgerichteten politischen Organisationen [Anm.: welche oftmals vor dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan entstanden] mobilisieren politische Parteien in Afghanistan vornehmlich entlang ethnischer Linien, wobei letztere Tendenz durch den Krieg noch weiter zugenommen hat (AAN 24.3.2021; vgl. Karrell 26.1.2017). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 30.3.2021).

[Anmerkung: Über die Auswirkung der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 auf die verschiedenen ethnischen Gruppen sind noch keine validen Informationen bekannt]

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (16.7.2021): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Mai 2021), https://www.ecoi.net/en/document/2057829.html, Zugriff 1.9.2021

?        AAN - Afghanistan Analysts Network (24.3.2021): Afghanistan 1400: The dawn and decline of a political movement, https://www.afghanistan-analysts.org/en/reports/rights-freedom/afghanistan-1400-the-dawn-and-decline-of-a-political-movement/, Zugriff 15.9.2021

?        CIA - Central Intelligence Agency [USA] (23.8.2021): The World Factbook - Afghanistan, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/afghanistan/#people-and-society, Zugriff 2.9.2021

?        Karrell, Daniel (26.1.2017): Ethnic Political Mobilization in Contemporary Afghanistan: An Interview with Abdul Rahman Rahmani, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/sena.12216, Zugriff 15.9.2021 [liegt im Archiv der Staatendokumentation auf]

?        NSIA - National Statistics and Information Authority [Afghanistan] (1.6.2020): Estimated Population of Afghanistan 2020-21, https://www.nsia.gov.af:8080/wp-content/uploads/2020/06/??????-????-????-????-????-???.pdf, Zugriff 2.9.2021

?        STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (7.2016): AfPak - Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur, https://www.ecoi.net/en/file/local/1236701/90_1470057716_afgh-stammes-und-clanstruktur-onlineversion-2016-07.pdf, Zugriff 2.9.2021

?        USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Afghanistan, https://www.state.gov/reports/2020-country-reports-on-human-rights-practices/afghanistan/, Zugriff 2.9.2021

Beweis wurde erhoben durch:

- Erstbefragung des Beschwerdeführers am 13.09.2012 durch die Polizeiinspektion XXXX ,

- Einvernahme durch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich am 29.07.2015, sowie

- durch Befragung des Beschwerdeführers im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.11.2021, insbesondere auch durch Befragung des Zeugen XXXX ,

- durch Vorlage des Lehrbriefs über die bestandene Abschlussprüfung vom 02.06.2021,

- einen Bezugsausweis über einen Nettoverdienst in Höhe von XXXX € im Juni 2021,

- einen Bezugsausweis über einen Nettoverdienst in Höhe von XXXX € im Mai 2021,

- ein Jahres- und Abschlusszeugnis der Berufsschule XXXX , Schuljahr 2020/2021,

- ein Deutschzertifikat B1,

- ein Zeugnis über den Pflichtschulabschluss,

- durch Vorhalt des aktuellen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation und

- Einsicht in die den Beschwerdeführer betreffenden Strafregisterauszug durch das Bundesverwaltungsgericht.

2. Beweiswürdigung:

Die Lage in Afghanistan hat sich im August 2021 maßgeblich verändert, die afghanische Regierung ist nicht mehr im Amt und die Taliban haben die Macht übernommen. Das Bundesverwaltungsgericht hat demgemäß die aktuellsten Länderinformationen mit Stand 16.09.2021 zur Entscheidungsfindung herangezogen. Diese Informationen sind allgemein zugänglich und waren auch Gegenstand umfangreicher medialer Berichterstattung in den letzten Wochen. Die in der Beschwerde zitierten Länderberichte sind jedenfalls durch die aktuellen, in den Feststellungen zitierten Länderinformationen überholt.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers wird wie folgt gewürdigt:

Das Vorbringen eines Asylwerbers ist dann glaubhaft, wenn es vier Grunderfordernisse erfüllt (diesbezüglich ist auf die Materialien zum Asylgesetz 1991 [RV 270 BlgNR 18. GP; AB 328 BlgNR 18. GP] zu verweisen, die wiederum der VwGH-Judikatur entnommen wurden).

1. Das Vorbringen des Asylwerbers ist genügend substantiiert. Dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen.

2. Das Vorbringen muss, um als glaubhaft zu gelten, in sich schlüssig sein. Der Asylwerber darf sich nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

3. Das Vorbringen muss plausibel sein, d.h. mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen. Diese Voraussetzung ist u.a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen und

4. Der Asylwerber muss persönlich glaubwürdig sein. Das wird dann nicht der Fall sein, wenn sein Vorbringen auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt ist, aber auch dann, wenn er wichtige Tatsachen verheimlicht oder bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegründet einsilbig und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in zahlreichen Erkenntnissen betont, wie wichtig der persönliche Eindruck, den das zur Entscheidung berufene Mitglied der Berufungsbehörde im Rahmen der Berufungsverhandlung von dem Berufungswerber gewinnt, ist (siehe z.B. VwGH vom 24.06.1999, 98/20/0435, VwGH vom 20.05.1999, 98/20/0505, uvam.).

Vorausgeschickt wird, dass im Asylverfahren das Vorbringen des Asylwerbers als zentrales Entscheidungskriterium herangezogen werden muss (so schon VwGH 16.01.1987, 87/01/0230, VwGH 15.03.1989, 88/01/0339, UBAS 12.05.1998, 203.037 0/IV/29/98 uvam.)

Obwohl der Beschwerdeführer keine diesbezüglichen eindeutigen Personaldokumente vorlegen konnte, ist auch schon die belangte Behörde unbestrittenermaßen davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer afghanischer Staatsangehöriger ist und der Volksgruppe der Hazara zugehört und in Afghanistan geboren wurde.

Der Beschwerdeführer hat sich zuerst vom Islam abgewandt. Der Islam hat für ihn Zwang bedeutet - Zwang die islamische Religion auszuüben in der Familie und Zwang von der afghanischen Gesellschaft. Vor dem Bundesverwaltungsgericht hat er dann erzählt, dass er sich zuerst der christlichen Religion zugewandt hat und auch die Taufe erhielt. Jedoch mit fortschreitendem Aufenthalt in Österreich erkannte der Beschwerdeführer, dass Religion nicht wichtig für ihn ist. So kann er auch den Kontakt zu seiner Mutter halten, die er liebt und verehrt. Er trennt die religiösen Angelegenheiten von den familiären Banden.

Der Beschwerdeführer wirkte insbesondere auch hinsichtlich seiner persönlichen Erlebnisse sehr überzeugend. Der Beschwerdeführer konnte überzeugend darlegen, dass er mittlerweile ohne religiöses Bekenntnis ist und sich von jeder Religion fernhält. Er hat ein sehr enges Verhältnis zu seinem Bruder, der auch über das religiöse Desinteresse des Beschwerdeführers Bescheid weiß. Der Beschwerdeführer konnte auch glaubhaft ausführen, dass er einen „sehr westlichen“ zu einem österreichischen Erwachsenen nicht unterschiedlichen Lebensstil pflegt, beispielsweise Schweinefleisch isst und auch gerne Alkohol trinkt. Er konnte dem Bundesverwaltungsgericht glaubhaft vermitteln, dass er seine in Österreich gewonnene religiöse Freiheit schätzt und lebt. Er spricht auch mit seinen Freunden offen über seine religiösen Ansichten und ist auch nicht bereit diese im Falle einer Rückkehr aufzugeben. Er führt auch eine Beziehung ohne Trauschein.

Die Selbsterhaltungsfähigkeit ist aus den vorliegenden Gehaltsabrechnungen ersichtlich. Die gute Integration des Beschwerdeführers ist den vorgelegten Bestätigungen zu entnehmen. Die Unbescholtenheit ergibt sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug.

Was den persönlichen Eindruck betrifft, so fallen zunächst einmal die guten Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers auf und vor allem, dass die areligöse Lebenseinstellung ein Teil seiner Identität geworden ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), droht.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Aspekt des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Die vom Asylwerber vorgebrachten Eingriffe in seine vom Staat zu schützende Sphäre müssen in einem erkennbaren zeitlichen Zusammenhang zur Ausreise aus seinem Heimatland liegen. Die fluchtauslösende Verfolgungsgefahr bzw. Verfolgung muss daher aktuell sein (VwGH 26.06.1996, Zl. 96/20/0414). Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, dass als Fluchtgründe unter dem Gesichtspunkt der Schwere des Eingriffes nur solche Maßnahmen in Betracht kommen, die einen weiteren Verbleib im Heimatland aus objektiver Sicht unerträglich erscheinen lassen (VwGH 16.09.1992, Zl. 92/01/0544, VwGH 07.10.2003, Zl. 92/01/1015, 93/01/0929, u.a.).

Wie in der obigen Beweiswürdigung ausgeführt, konnte der Beschwerdeführer nicht nur glaubwürdig jene Gründe darlegen, die zu seinem Abfall vom Islam geführt haben, sondern auch die gegenwärtige Lebenseinstellung als Atheist.

Der VwGH hat im Zusammenhang mit dem Gesichtspunkt einer Verfolgung aus „Gründen der Religion“ zusammengefasst bereits ausgesprochen, dass die allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Menschenrechtspakte das Recht auf Gedanken-, Gewissens-, und Religionsfreiheit verkünden. Dies beinhaltet die Freiheit des Menschen seine Religion zu wechseln und die Freiheit, ihr öffentlich oder privat Ausdruck zu verleihen. Nach Kälin betrifft religiöse Verfolgung Maßnahmen, welche eine Organisation gegen ihre Gegner bei Konflikten über die richtige Anschauung in Fragen des Verhältnisses des Menschen zu (einem) Gott ergreift. Im Gemeinsamen Standpunkt des Rates der Europäischen Union vom 04.03.1996 betreffend die harmonisierte Anwendung der Definition des Begriffs Flüchtling in Art. 1 der GFK ist der Begriff der „Religion“ in einem weiten Sinn aufzufassen und umfasst theistische, nichttheistische oder atheistische Glaubensüberzeugungen. Eine Verfolgung aus religiösen Gründen kann danach auch dann vorliegen, wenn maßgebliche Eingriffe eine Person betreffen, die keinerlei religiöse Überzeugung hat, sich keiner bestimmten Religion anschließt oder sich weigert, sich den mit einer Religion verbundenen Riten und Gebräuchen ganz oder teilweise zu unterwerfen. In diesem Sinn gilt auch nach der Rechtsprechung in der Schweiz als religiöse Verfolgung das Vorgehen des Staates gegen Atheisten, Ungläubige etc., um sie für ihre Ungläubigkeit zu bestrafen oder zu einem bestimmten Glauben zu zwingen (vgl. VwGH 21.09.2000, 98/20/0557 mwN).

Der EuGH hat in seinem Urteil vom 05.09.2012, C-71/11 und C-99/11, BRD gg Y Z, ua ausgeführt:

„62 Um konkret festzustellen, welche Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten können, ist es nicht angebracht, zwischen Handlungen, die in einen ‚Kernbereich‘ (‚forum internum‘) des Grundrechts auf Religionsfreiheit eingreifen sollen, der nicht die religiöse Betätigung in der Öffentlichkeit (‚forum externum‘) erfassen soll, und solchen, die diesen ‚Kernbereich‘ nicht berühren sollen, zu unterscheiden.

63 Diese Unterscheidung ist nicht vereinbar mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie, die alle Komponenten dieses Begriffs, ob öffentlich oder privat, kollektiv o

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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