Entscheidungsdatum
01.12.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L512 2246292-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marlene JUNGWIRT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. der islamischen Republik Pakistan, vertreten durch BBU, Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom XXXX , Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3, § 57 AsylG iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46, § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als „BF“ bezeichnet), ein Staatsangehöriger der islamischen Republik Pakistan, (in weiterer Folge „Pakistan“ genannt) stellte am 14.07.2021 nach illegaler Einreise einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.1.1. Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte der BF am 15.07.2021 zusammengefasst Folgendes vor:
Er sei ledig, Sunnit und gehöre der Volksgruppe der Punjabi an. Er habe 10 Jahre lang die Grundschule besucht. Zuletzt sei er als XXXX tätig gewesen.
Zum Fluchtgrund gab der BF an, er habe ein religiöses Problem. Als der BF im XXXX in ihre Moschee gegangen sei, welche sich neben dem Haus des BF befand, habe er den Imam predigen gehört. Dieser habe gesagt, die Vergewaltigungen würden steigen. Deshalb müssten sich Frauen besser bedecken. Ein anderer habe gesagt, dass richtige Muslime sich mit den Taliban zusammenschließen sollten. Als der BF das gehört habe, habe der BF gesagt, dass er nicht dieser Meinung sei. Daher sei es zu einer starken Auseinandersetzung gekommen. Der BF sei mit dem Tode bedroht worden. Deshalb habe er seine Heimat verlassen.
Bei einer Rückkehr in seine Heimat befürchte der BF getötet zu werden und habe Angst um sein Leben [Aktenseite (AS) 21 ff.].
I.1.2. Vor einem Organwalter der belangten Behörde brachte der BF am 03.08.2021 im Wesentlichen Folgendes vor:
Er sei gesund und nehme keine Medikamente. Er habe bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht und wurden ihm diese Angaben auch rückübersetzt und korrekt protokolliert.
Zum Fluchtgrund erklärte der BF, er sei im XXXX in der Moschee gewesen. Der Islamische Gelehrte habe gepredigt und gesagt, dass die Frauen Jeans tragen, sich mehr für Fashion interessieren und deshalb die Kriminalität in Pakistan steige. Es sei zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen dem BF und dem islamischen Gelehrten „Maulwi“ gekommen. Danach habe der islamische Gelehrte weitergepredigt und hätte sie aufgefordert, in den „Jihad“ zu gehen. Es sei erneut zu einer Auseinandersetzung gekommen. Der islamische Gelehrte habe gesagt: „Was schaut ihr alle da, macht was mit diesem Mann. Er ist kein Moslem. Er ist ein Ungläubiger. Hört zu, was er alles sagt.“ Der BF sei schnell aus der Moschee hinausgegangen. Nach zirka 10-15 Minuten habe der BF über der Lautsprechanlage der Moschee gehört, dass durchgesagt werde, dass er kein Moslem und ein Ungläubiger sei und deshalb bestraft gehöre und man solle den BF töten. Der BF habe gewusst, dass er in Gefahr sei und habe so schnell wie möglich sein Dorf verlassen. Er sei in die Stadt gegangen. Die Mutter des BF sei zu Hause gewesen. Sie sei von fremden Männern in ihrem Haus beschimpft worden. Man habe auch nach dem Aufenthalt des BF gefragt. Es sei zu einer großen Unruhe gekommen. Der BF sei danach in das Haus seiner Großeltern mütterlicherseits geflüchtet. Die Mutter des BF habe ebenso vom Dorf flüchten müssen. Der BF habe seinen Onkel väterlicherseits angerufen und nach der Situation im Heimatdorf befragt. Der BF habe zu seinem Onkeln gesagt, sie sollen zur Polizei gehen und Anzeige erstatten. Der Onkel habe jedoch Angst gehabt. Der BF habe dann einen Freund darum gebeten zur Polizei zu gehen. Es sei jedoch keine Anzeige aufgenommen worden, da die Polizei gemeint habe, dass der BF den Fall persönlich schildern müsse. Es sei somit zu keiner Anzeigebestätigung oder Anzeigeaufnahme gekommen. Nach 2-3 Tagen habe der Onkel des BF mütterlicherseits Drohanrufe bekommen. Der BF habe sich in XXXX versteckt. Es sei zu einer Dorfsitzung mit den islamischen Gelehrten und den älteren Herren des Dorfes gekommen. Diese hätten dann beschlossen, dem BF zu verzeihen, wenn er bereit sei, 1 Jahr lang das Training für den Krieg zu machen. Der BF habe sie gefragt, was für eine Garantie er habe, dass sie ihn nicht schon bei seiner Rückkehr ins Dorf töten würden. Außerdem könnte er beim „Training“ Menschen ermorden. Das wolle er nicht. Die Verwandten des BF hätten zu ihm gesagt, er solle den Deal eingehen, weil man sonst seiner Familie auch etwas antun könnte. Der BF habe den Deal nicht angenommen. Er habe danach mit einem Freund über die gesamte Situation gesprochen. Dieser habe ihm geraten, das Land zu verlassen (AS 47 ff.).
I.2. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde folglich mit im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde gemäß § 3 Abs 1 AsylG abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Absatz 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan nicht zugesprochen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde die Frist zur freiwilligen Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.) (AS 83 ff.).
I.2.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Vorbringen aufgrund näher dargestellter Ungereimtheiten und Widersprüche als unglaubwürdig.
I.2.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Pakistan traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.
I.2.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK dar. Zudem sei die Abschiebung zulässig, da kein Sachverhalt im Sinne des § 50 Abs 1, 2 und 3 FPG vorliege. Eine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe in Höhe von 14 Tagen, da keine Gründe im Sinne des § 55 Abs 1a FPG vorliegen würden.
I.3. Gegen diesen Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für den BF günstigerer Bescheid erzielt worden wäre, vollumfänglich Beschwerde erhoben (AS 209 ff.).
I.4. Hinsichtlich des Verfahrensherganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
II.1.1. Der Beschwerdeführer
Die Identität des BF steht nicht fest. Der BF ist pakistanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Jat sowie der moslemisch/sunnitischen Glaubensrichtung. Er stammt aus einem Dorf im Distrikt Sheikhupura, Provinz Punjab und spricht die Sprache Urdu. Der BF besuchte zehn Jahre lang die Grundschule in Pakistan. Zuletzt arbeitete der BF in XXXX .
Der Beschwerdeführer ist ledig. Der BF ist Drittstaatsangehöriger, leidet an keiner lebensbedrohenden Erkrankung und ist arbeitsfähig.
Der BF verfügt über bestehende familiäre Anknüpfungspunkte (Mutter, Onkel mütterlicherseits und Onkel väterlicherseits) im Herkunftsstaat und einer – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage.
In Österreich halten sich keine Verwandten des BF auf.
Der BF verließ im XXXX Pakistan und reiste im Juli 2021 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Seither ist der BF ununterbrochen im Bundesgebiet aufhältig.
Der BF verfügt über keine Kenntnisse der deutschen Sprache. Der BF ist bemüht Deutsch zu lernen.
Der BF ist in Österreich nicht legal erwerbstätig und bezieht Leistungen aus der Grundversorgung für Asylwerber. Der BF hat keine privaten Kontakte in Österreich.
Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat Pakistan
Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Pakistan werden folgende Feststellungen getroffen:
Covid-19
Letzte Änderung: 16.06.2021
In Pakistan wurden bisher mehr als 882.900 Infektionen mit dem Virus Covid-19 sowie mehr als 19.700 Todesfälle bestätigt (Stand 18.5.2021). Laut lokalen Medienberichten mit Verweis auf das Gesundheitsministerium, wurden bisher etwa 3,9 Millionen Menschen landesweit geimpft (Einwohner gesamt: 220 Millionen). Hauptsächlich wurden Personen, die im Gesundheitsbereich tätig sind und Personen über 50 Jahre geimpft. Am 17. Mai 2021 hat man mit der Impfregistrierung für die Altersgruppe der 30 bis 49-Jährigen begonnen. Am gleichen Tag hat Pakistan die Covid-Maßnahmen nach der landesweiten Sperre vom 8. bis 16. Mai gelockert und Geschäften, Märkten und Büros unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln die Öffnung erlaubt. Märkte und Geschäfte dürfen nun wieder bis 20 Uhr öffnen. Das pakistanische National Command and Operation Center hat zudem festgehalten, dass touristische Aktivitäten im Land weiterhin untersagt seien. Öffentliche städtische und interprovinzielle Verkehrsmittel haben ihren Betrieb wieder aufgenommen, dürfen jedoch nur mit einer maximal 50 prozentigen Belegung operieren. Auch wenn sich die Covid-19-Situation aktuell etwas entspannt, warnen die Behörden, dass das Gesundheitssystem noch immer unter Druck stehe und Krankenhäuser stark belegt seien (ÖB 18.5.2021).
Pakistan hat am2.2.2021 mit seinem nationalen Impfprogramm gegen das Coronavirus begonnen. In dem südasiatischen Land mit mehr als 220 Millionen Einwohnern werden zunächst Beschäftigte des Gesundheitswesens geimpft, gefolgt von älteren Menschen. Dazu waren etwa eine halbe Million Impfdosen des chinesischen Unternehmens
Sinopharm mit einem Militärflugzeug aus Peking nach Pakistan gebracht worden. Das Land hat zudem 17 Millionen Impfdosen des Herstellers Astra Zeneca bestellt, die im Lauf des Monats Februar 2021 geliefert werden sollen. Nach einer einer Ende Januar 2021 veröffentlichten Umfrage des Instituts Gallup, will sich fast die Hälfte aller Pakistaner nicht impfen lassen (ÄfW 2.2.2021). Hinsichtlich anstehender Impfungen hat die Regierung bei der COVAX-Organisation der UN um Unterstützung angesucht. Diese wird die Impfung von vorrangig zu impfenden Gruppen - etwa 20% der Bevölkerung - abdecken. Die Regierung führt außerdem Gespräche mit mehreren Impfstoffherstellern und mit Gebern (Weltbank und Asiatische Entwicklungsbank) über die Beschaffung zusätzlicher Impfstoffe, die mit einem Budget von 250 Millionen US-Dollar finanziert werden sollen. Der Start der Impfkampagne wird für das zweite Quartal des Jahres 2021 erwartet(IMF 8.1.2021).
Am 24. März 2020 wurde von der Bundesregierung ein Hilfspaket im Wert von 1,2 Billionen PKR (ca. 6,2 Milliarden Euro) angekündigt, das inzwischen fast vollständig umgesetzt wurde.
Zu den wichtigsten Maßnahmen gehören u.a. die Abschaffung der Importzölle auf medizinische Notfallausrüstung (kürzlich bis Dezember 2020 verlängert); Bargeldtransfers an 6,2 Millionen Tagelöhner (75 Mrd. PKR); Bargeldtransfers an mehr als 12 Millionen einkommensschwache Familien (150 Mrd. PKR); Unterstützung für KMUs und den Agrarsektor (100 Mrd. PKR) in Form eines Aufschubs der Stromrechnung, Bankkrediten sowie Subventionen und Steueranreizen. Das Konjunkturpaket sah außerdem Mittel für eine beschleunigte Beschaffung von Weizen (280 Mrd. PKR), finanzielle Unterstützung für
Versorgungsunternehmen (50 Mrd. PKR), eine Senkung der regulierten Kraftstoffpreise
(mit einem geschätzten Nutzen für die Endverbraucher in Höhe von 70 Mrd. PKR),
Unterstützung für die Gesundheits- und Lebensmittelversorgung (15 Mrd. PKR),
Erleichterungen bei der Bezahlung von Stromrechnungen (110 Mrd. PKR), einen Notfallfonds (100 Mrd. PKR) und eine Überweisung an die National Disaster Management Authority (NDMA) für den Kauf von COVID-19-bezogener Ausrüstung (25 Mrd. PKR) vor. Der nicht ausgeführte Teil des Hilfspakets wird auf das Jahr 2021 übertragen. Darüber hinaus enthält das Budget für das Jahr 2021 weitere Erhöhungen der Gesundheits- und
Sozialausgaben, Zollsenkungen auf Lebensmittel, eine Zuweisung für das „COVID-19
Responsive and Other Natural Calamities Control Program“ (70 Mrd. PKR), ein
Wohnungsbaupaket zur Subventionierung von Hypotheken (30 Mrd. PKR) sowie die
Bereitstellung von Steueranreizen für den Bausektor (Einzelhandels- und Zementunternehmen), die im Rahmen der zweiten Welle bis Ende Dezember 2021 verlängert wurden (IMF 8.1.2021; vgl. WKO 18.2.2021).
Quellen:
• ÄfW - Ärztekammer für Wien (2.2.2021): Pakistan startet mit Coronaimpfung, https://www.medinl ive.at/gesundheitspolitik/pakistan-startet-mit-corona-impfungen , Zugriff 26.2.2021
• IMF - International Monetary Fund (8.1.2021): Policy Responses to COVID-19, Pakistan, https: //www.imf.org/en/Topics/imf-andcovid19/Policy-Responses-to-COVID-19#P , Zugriff 28.1.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Bangkok [Österreich] (18.5.2021): Kurzbericht zur Entwicklung der Covid-19-Situation in Pakistan, per E-Mail, Zugriff 11.6.2021
• WKO - Wirtschaftskammer Österreich (18.2.2021): Coronavirus: Situation in Pakistan, https://ww
w.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-pakistan.html , Zugriff 26.2.2021
2. Politische Lage
Letzte Änderung: 16.06.2021
Pakistan ist ein Bundesstaat mit den vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa sowie dem Hauptstadtterritorium Islamabad (AA 26.3.2021). Die vormaligen FATA (FederallyAdministered TribalAreas / Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) sind nach einer Verfassungsänderung im Mai 2018 offiziell in die
Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert worden (ET 25.5.2018). Daneben kontrolliert Pakistan die Gebiete Gilgit-Baltistan und Azad Jammu & Kashmir auf der pakistanisch verwalteten Seite des Kaschmir (AA 26.3.2021).
Pakistan ist eine föderale parlamentarische Republik. Bei den Parlamentswahlen 2018 gewann die Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf die meisten Sitze in der Nationalversammlung, und der Parteivorsitzende, Imran Khan, wurde Premierminister. Während unabhängige Beobachter technische Verbesserungen bei der Verwaltung des Wahlprozesses durch die pakistanische Wahlkommission feststellten, äußerten Beobachter, zivilgesellschaftliche Organisationen und politische Parteien Bedenken hinsichtlich der Einmischung von Militär und Geheimdiensten im Vorfeld der Wahlen, die zu ungleichen Wahlbedingungen führten. Einige politische Parteien behaupteten auch erhebliche Unregelmäßigkeiten am Wahltag
(USDOS 30.3.2021; vgl. HRW 28.7.2018). Zudem wurde die Wahl überschattet von einer Reihe gewalttätiger Zwischenfälle in verschiedenen Provinzen; von Strafverfahren, die gegen Mitglieder der Regierungspartei eingeleitet worden waren; und vom Vorwurf des Premierministers, das Militär habe sich eingemischt (EASO 10.2019).
Neben den geopolitischen und geostrategischen Faktoren ist das Ungleichgewicht der Regierungsinstitutionen innerhalb des pakistanischen Staates Ursache für die kontinuierliche Regierungskrise und die strukturelle Gewalt im Land. Das pakistanische Militär spielt eine überaus wichtige und dominante Rolle in der Nuklearmacht Pakistan. Es ist disproportional groß (es vereinnahmt ein Viertel des gesamten Haushalts) und deshalb übermächtig, während die zivilen Institutionen, wie z.B. die Bürokratie, die Justiz, die Polizei und die politischen Parteien, permanent unterfinanziert sind. Die Interventionen des Militärs in Politik und Wirtschaft hat diese Organisation im Laufe der Geschichte immer stärker gemacht (GIZ 9.2020).
Seit 12. April 2021 brachen nach Verhaftung des Anführers der fundamentalistischen Partei Tehreek-e-Labbaik Pakistan (TLP), mehrtägige und landesweite Proteste aus. Tausende Unterstützer der für die Förderung der Blasphemiegesetzgebung im Land bekannten TLP demonstrierten in den größeren Städten gegen die Position des französischen Präsidenten Macron in Reaktion auf die Enthauptung eines Lehrers in der Nähe von Paris im November 2020. Vielerorts kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen mit Sicherheitskräften. Am 16. April 2021 sperrte die pakistanische
Internetregulierungsbehörde (Pakistan Telecommunication Authority, PTA) den Zugriff auf sämtliche soziale Netzwerke für mehrere Stunden zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, um über das Internet verbreitete neuerliche Aufrufe und
Propaganda der TLP zu unterbinden. Am 18. April kam es zu weiteren Ausschreitungen in Lahore (Punjab), wo TLP-Anhänger auch ein Polizeirevier stürmten und ein halbes Dutzend Sicherheitskräfte als Geiseln nahmen (BAMF 19.4.2021).
Schließlich hat die Regierung die TLP, die als eine sunnitische politisch-religiöse HardlinerGruppe gilt und für ihre gewalttätige Unterstützung der drakonischen Blasphemiegesetze des Landes bekannt ist, verboten. Das Verbot kam drei Tage nachdem TLP-Anhänger aufgrund der Verhaftung von Anführer Saad Hussain Rizvi in ganz Pakistan auf die Straße gegangen waren (UCA News 16.4.2021; vgl. DW 15.4.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.3.2021): Pakistan: Politisches Porträt, https://www.ausw aertigesamt.de/de/aussenpolitik/laender/pakistan-node/politisches-portraet/205010 , Zugriff
14.4.2021
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (Stand: 14.4.2021) Pakistan: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertigesamt.de/de/aussenpolitik/laender/pakistan-node/pakistansicherheit/2049 74#content_0 , Zugriff 14.4.2021
• BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (19.4.2021). Briefing Notes, https:
//www.ecoi.net/en/document-search/?country%5B%5D=pak&countryOperator=should&srcId%5
B%5D=11010&srcIdOperator=should&useSynonyms=Y&sort_by=origPublicationDate&sort_order =desc&content=briefing%20notes , Zugriff 22.4.2021
• DW - Deutsche Welle (15.4.2021): Pakistan protests: Why the Islamist TLP party is now a major political force, https://www.dw.com/en/pakistan-protests-why-the-islamist-tlp-party-is-now-a-majorpolitical-force/a-57214719 , Zugriff
17.5.2021
• EASO - European Asylum Support Office (10.2019): Pakistan Security Situation, https://www.ec oi.net/en/file/local/2019113/2019_EASO_Pakistan_Security_Situation_Report.pdf , Zugriff
22.4.2021
• ET - The Express Tribune (25.5.2018): Senate passes FATA-KP merger bill with 71-5 vote, https:
//tribune.com.pk/story/1718734/1-ppp-pti-set-throw-weight-behind-k-p-fata-merger-bill-senate/ , Zugriff 14.4.2021
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020): Das Länderinformationsportal - Pakistan - Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/pakistan/geschichte-staat/ , Zugriff
9.3.2021
• HRW - Human Rights Watch (28.7.2018): Controversial Election in Pakistan, https://www.hrw.org/ news/2018/07/28/controversial-election-pakistan , Zugriff 14.4.2021
• UCA News (16.4.2021): Pakistan bans TLP for engaging in terrorism, https://www.ucanews.com/ news/pakistan-bans-tlp-forengaging-in-terrorism/92133# , Zugriff 17.5.2021
• USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048102.html , Zugriff 14.4.2021
3. Sicherheitslage
Letzte Änderung: 23.06.2021
Die Sicherheitslage in Pakistan ist landesweit unterschiedlich und wird von verschiedenen Faktoren wie politischer Gewalt, Gewalt von Aufständischen, ethnischen Konflikten und konfessioneller Gewalt beeinflusst. Die Sicherheitslage im Inneren wird auch von Auseinandersetzungen mit den Nachbarländern Indien und Afghanistan beeinflusst, die gelegentlich gewalttätig werden (EASO 10.2020). Die Anzahl terroristischer Anschläge mit Todesopfern in Pakistan ist seit 2009 deutlich rückläufig (AA 14.5.2021; vgl. USDOS 24.6.2020). Kontinuierliche Einsatz und Überwachungskampagnen der Sicherheitskräfte gegen militante Gruppen und polizeiliche Antiterrorabteilungen sowie einige Antiextremismusmaßnahmen im Rahmen des Nationalen Aktionsplans, haben dazu beigetragen (USDOS 24.6.2020). Trotzdem bleibt die Zahl terroristischer Anschläge auch weiterhin auf einem erhöhten Niveau. Schwerpunkte sind die Provinzen Khyber
Pakhtunkhwa (KP) und Belutschistan (inkl. Quetta). Es besteht weiterhin landesweit – auch in den Großstädten Islamabad, Lahore, Karachi, Multan und Rawalpindi – eine Gefahr für terroristische Anschläge seitens der Pakistanischen Taliban sowie religiös motivierter oder separatistischer Gruppen - insbesondere durch Sprengstoffanschläge und Selbstmordattentate. Die Anschläge richten sich vor allem gegen Streitkräfte, Sicherheitsdienste, Polizei, Märkte, Einrichtungen der Infrastruktur, gegen religiöse Stätten (Moscheen, Schreine, Kirchen) sowie gegen ethnische Minderheiten (AA 14.5.2021).
Der Nationale Aktionsplan (NAP) wurde fast unmittelbar nach dem Anschlag auf die Army Public School (APS) im Dezember 2014 mit der Absicht eingeführt, einen sinnvollen Konsens zur Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus zu erreichen. Die 20 Aktionspunkte des NAP haben seither unterschiedliche Erfolge erzielt. Taktische Operationen in ganz Pakistan haben zu einem verbesserten allgemeinen Sicherheitsumfeld beigetragen, was sich in einem allmählichen Rückgang der Zahl gewalttätiger Vorfälle im ganzen Land seit dem Start des NAP zeigt. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass der NAP bei der Bekämpfung des gewalttätigen und gewaltfreien Extremismus im Land nur geringe Erfolge erzielt hat. Extremistische Literatur ist online und offline in Hülle und Fülle vorhanden und die Verherrlichung von Terroristen und ihren Taten geht weiter. Auch zur Unterstützung des politischen Versöhnungsprozesses in Belutschistan wurde bisher nichts Wesentliches unternommen (FES 12.2020; vgl. GIZ 9.2020).
Im Jahr 2020 verübten verschiedene militante, nationalistische/aufständische und gewalttätige sektiererische Gruppen in ganz Pakistan insgesamt 146 Terroranschläge. 220 Menschen kamen bei diesen Anschlägen ums Leben - ein Rückgang von 38% im Vergleich zu 2019. Eine Verteilung dieser Terroranschläge nach ihren Urhebern legt nahe, dass sogenannte religiös inspirierte militante Gruppen wie die Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP), ihre Splittergruppen Hizbul Ahrar und Jamaat-ul Ahrar, sowie andere militante Gruppen mit ähnlichen Zielen wie lokale Taliban-Gruppen, Lashkar-e-Islam und ISIS-nahe Gruppen die meisten Terroranschläge verübten. Anschläge nationalistisch aufständischer Gruppen der Belutschen und Sindhi verübten weitere Anschläge. In KP wurden dabei die meisten Terroranschläge in Pakistan verübt, mehrheitlich im Stammesgebiet Nord-Waziristan.
Während die Mehrheit dieser Anschläge auf Sicherheitskräfte abzielte, waren auch Zivilisten, Stammesälteste, politische Führer/Mitarbeiter und Schiiten Ziele der Anschläge. Nach KP war die Provinz Belutschistan im Jahr 2020 am stärksten von Terrorismus durch verschiedene aufständische Gruppen der Belutschen wie die Baloch Liberation Army (BLA), die Balochistan Liberation Front (BLF), Lashkar-e-Balochistan, die Baloch Republican Army (BRA) und die United Baloch Army (UBA) usw. betroffen (PIPS 2021; vgl. USDOS 30.3.2021, AA 29.9.2020).
Pakistan dient weiterhin als sicherer Hafen für bestimmte regional ausgerichtete terroristische Gruppen. Es erlaubt Gruppen, die gegen Afghanistan gerichtet sind, einschließlich der afghanischen Taliban und des mit ihnen verbundenen HaqqaniNetzwerks, sowie Gruppen, die gegen Indien gerichtet sind, einschließlich LeT (Lashkar-e Taiba) und der mit ihr verbundenen Frontorganisationen und JeM (Jaish-e Mohammad), von seinem Territorium aus zu operieren (USDOS 24.6.2020; vgl. CEP o.D.).
Das Militär und paramilitärische Organisationen führten mehrere Operationen zur Aufstandsbekämpfung und Terrorismusbekämpfung durch, um sichere Zufluchtsorte von Militanten zu beseitigen. Die 2017 begonnene Operation Radd-ul-Fasaad des Militärs wurde das ganze Jahr 2020 über fortgesetzt. Radd-ul-Fasaad ist eine landesweite AntiTerror-Kampagne, die darauf abzielt, die Errungenschaften der Operation Zarb-e-Azb (2014-17) zu konsolidieren, welche gegen aus- und inländische Terroristen in den ehemaligen FATA vorging. Die Polizei dehnte ihre Präsenz in ehemals unregierte Gebiete aus, insbesondere in Belutschistan, wo Militäroperationen zur Normalität geworden waren (USDOS 30.3.2021).
Der im März 2017 begonnene Bau eines befestigten Zaunes entlang der afghanischpakistanischen Grenze sei nach pakistanischen Regierungsangaben fast fertiggestellt und soll planmäßig im April 2021 abgeschlossen sein (BAMF 1.3.2021).
Quelle: ACLED o.D.; UCDP Candidate o.D.; UCDP GED o.D. Farbig hervorgehoben: Hauptstadtregion. UCDP weist sicherheitsrelevante Vorfälle in den ehem. FATA eigens aus, hier wurden sie zur besseren Vergleichbarkeit der Provinz Khyber Pakhtunkhwa hinzugezählt.
Anmerkung: ACLED und UCDP erfassen sicherheitsrelevante Vorfälle unter Verwendung festgelegter Kriterien und Methodologien mittels Medienbeobachtung, wobei sich die festgelegten Kriterien der beiden Organisationen voneinander unterscheiden. Dies trägt zur unterschiedlichen Höhe bei den dargestellten Fallzahlen bei (ACLED 2020; UCDP 2020).
Quellen: • AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.5.2021): Pakistan: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung und COVID-19bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aus senpolitik/laender/pakistannode/pakistansicherheit/204974#content_0 , Zugriff 14.5.2021
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen
Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2
038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelev
ante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020. pdf , Zugriff 14.4.2021
• ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (2020): ACLED Codebook, https://acledd ata.com/acleddatanew/wpcontent/uploads/dlm_uploads/2019/01/ACLED_Codebook_2019FINAL .docx.pdf , Zugriff 10.3.2021
• ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (o.D.): ACLED Data, http://www.acleddata. com/data/ , Zugriff 26.2.2021
• BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (1.3.2021): Briefing Notes, https: //www.ecoi.net/en/documentsearch/?country%5B%5D=pak&countryOperator=should&srcId%5
B%5D=11010&srcIdOperator=should&useSynonyms=Y&sort_by=origPublicationDate&sort_order
=desc&content=briefing%20notes&page=2 , Zugriff 14.5.2021
• CEP - Counter Extremism Project (o.D.): Pakistan: Extremism and Terrorism, https://www.counte rextremism.com/countries/pakistan , Zugriff 28.4.2021
• EASO - European Asylum Support Office (10.2020): Pakistan Security Situation, https://www.ecoi
.net/en/file/local/2040057/10_2020_EASO_COI_Report_Pakistan_Security_situation.pdf , Zugriff
14.4.2021
• FES - Friedrich-Ebert-Stiftung (12.2020): Strengthening Governance in Pakistan Assessing the National Action Plan to counter Terrorism and Extremism, https://www.pakpips.com/web/wp-conte nt/uploads/2021/01/NAP-Final-from-Hamayun.pdf , Zugriff
9.3.2021
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020): Das Länderinformationsportal - Pakistan - Gesellschaft, https://www.liportal.de/pakistan/gesellschaft/ , Zugriff 9.3.2021
• PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (2021): Pakistan Security Report 2020, https://www.pa kpips.com/web/wpcontent/uploads/2021/01/Conflict-and-Peace-Studies.pdf , Zugriff 2.3.2021
• UCDP Candidate - Uppsala Conflict Data Program (o.D.): UCDP Candidate Events Dataset Version
20.01.20.12 (global), https://ucdp.uu.se/downloads/ , Zugriff 2.3.2021
• UCDP GED - Uppsala Conflict Data Program (o.D.): UCDP Georeferenced Event Dataset (GED) Global version 20.1, https://ucdp.uu.se/downloads/ , Zugriff 4.3.2021
• UCDP - Uppsala Conflict Data Program (2020): UCDP Candidate Events Dataset CodebookVersion
1.1, https://ucdp.uu.se/downloads/candidateged/ucdp-candidate-codebook%201.1.pdf , Zugriff 10.3.2021
• USDOS - US Department of State [USA] (24.6.2020): Country Report on Terrorism 2019 - Chapter 1 - Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032437.html , Zugriff 14.4.2021
• USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048102.html , Zugriff 15.4.2021
3.1.Relevante Terrorgruppen
Letzte Änderung: 23.06.2021
Der pakistanische Staat hat den islamischen Extremismus als strategisches Instrument zur
Förderung seiner Interessen in der Region immer wieder eingesetzt. Insbesondere hat er Aktivitäten militanter extremistischer Gruppen, die sich gegen indische Interessen richten, geduldet und manchmal auch unterstützt bzw. auch Gruppen unterstützt, die in Afghanistan operieren, um den indischen Einfluss dort zu unterbinden. Zu den extremistischen Gruppen, die Pakistan in der Vergangenheit toleriert oder unterstützt hat, gehören Lashkar-e-Taiba (LeT), Harakat-ul-Mujahideen (HuM), Hizb-ul-Mujahideen (HM), die Mullah-Nazir-Gruppe, Jaish-e-Mohammed (JeM) sowie die afghanischen Taliban und das mit ihnen verbundene Haqqani-Netzwerk. Den Großteil seiner Antiterroroperationen hat Pakistan auf Gruppen konzentriert, die den pakistanischen Staat herausfordern und stürzen wollen. Zu diesen Gruppen, die eine direktere Bedrohung für den Staat darstellen, gehören die Tehrik-e Taliban Pakistan (TTP), eine Untergruppe der pakistanischen Taliban und die tödlichste der einheimischen pakistanischen Extremistengruppen; al-Qaida auf dem indischen Subkontinent (AQIS); Jamaat-ul Ahrar (JuA); und Lashkar-e-Jhangvi (LeJ) (CEP o.D.).
Die pakistanische Regierung setzt die Umsetzung des Antiterrorism Act von 1997, des National Counterterterrorism Authority (NACTA) Act, des Investigation for Fair Trial Act von 2014 und der Änderungen des Antiterrorism Act (ATA) von 2014 fort, die allen Strafverfolgungsbehörden, Staatsanwälten und Gerichten erweiterte Befugnisse in Terrorismusfällen einräumen. Militärische, paramilitärische und zivile Sicherheitskräfte führten in ganz Pakistan CT-Operationen gegen staatsfeindliche Kämpfer durch. Das pakistanische Recht erlaubt präventive Inhaftierung, lässt die Todesstrafe für terroristische Straftaten zu und ermächtigt spezielle Anti-TerrorismusGerichte, über Terrorismusfälle zu verhandeln (USDOS 24.6.2020).
Folgend ein Auszug relevanter extremistischer Gruppen:
Tehrik-e Taliban Pakistan (TTP): Die TTP (auch pakistanische Taliban genannt) wurde 2007 von Baitullah Mehsud gegründet, der 2009 durch einen US-Drohnenangriff getötet wurde. Die ursprünglichen Ziele der Organisation waren die Umsetzung der Scharia und die Vertreibung der Koalitionstruppen aus Afghanistan. Die TTP ist eine Dachorganisation, die aus 13 verschiedenen pakistanischen Taliban-Fraktionen gebildet wird - ungefähr die Hälfte aller pakistanischen Taliban-Fraktionen. Die TTP besteht aus ca. 3.000 bis 5.000 aktiven Kämpfern in Afghanistan.
Während die TTP auf der anderen Seite der Grenze im Osten Afghanistans Zufluchtsorte unterhält, hat sie Schläferzellen und Sympathisanten in Pakistan zurückgelassen. Afghanistan ist die Operationsbasis, aber die Gruppe führt im Allgemeinen keine Angriffe in Afghanistan durch. Die TTP konzentriert sich auf den Kampf gegen die pakistanische Regierung (EASO 10.2020; vgl. CEO o.D., PIPS 2021).
Jamaat-ul Ahrar (JuA): Jamaat-ul Ahrar (JuA) ist eine Fraktion der TTP, operiert aber mit einer gewissen Eigenständigkeit aus der Provinz Nangarhar in Afghanistan heraus.
Angriffsziele der Gruppe sind Mitglieder der Sicherheitskräfte, Regierungsgebäude, Politiker, Minderheiten und
Rechtsanwälte. Im August 2020 schloss sich JuA wieder der TTP an. Das Pakistan Institute for Peace Studies dokumentierte, dass die JuA im Jahr 2019 an einem Terroranschlag beteiligt war, verglichen mit 15 im Jahr 2018 (EASO 10.2020; vgl. PIPS 2021, CEP o.D.).
Islamic State Khorasan Province (ISKP): Die ersten Berichte über den ISKP (auch ISIS, ISIL, IS oder Daesh genannt) in Pakistan gehen auf Anfang 2015 zurück. Der ISKP sah eine weltweite Expansion des Kalifats vor und bezeichnete die Region Afghanistan, Pakistan, Iran und die zentralasiatischen Republiken als Wilayat Khorasan (ISKP - Islamischer Staat
Provinz Khorasan). Im Mai 2019 kündigte der islamische Staat die Gründung des „Wilayat Pakistan“ (Islamischer Staat - Provinz Pakistan, ISPP) an, nachdem er mehrere Angriffe in der Provinz Belutschistan für sich beansprucht hatte. Der ISKP hatte es geschafft, seinen
Einfluss zu vergrößern, indem er taktische Bündnisse mit ähnlichen lokalen militanten Gruppen eingegangen war. Einem Bericht vom Januar 2020 zufolge ist der ISKP hauptsächlich in der Provinz Belutschistan präsent. Laut dem jährlichen Sicherheitslagebericht von PIPS 2019 haben die Sicherheitsbehörden mehrere Operationen in Belutschistan gegen den ISKP durchgeführt. Der ISKP ist für einige der tödlichsten Anschläge in Pakistan in den vergangenen zwei Jahren verantwortlich, darunter ein Anschlag auf eine Wahlkundgebung in Mastung, bei dem im Juli 2018 mehr als 130 Menschen getötet und 300 verletzt wurden (EASO 10.2020; vgl. CEP o.D., PIPS 2021).
Lashkar-e Jhangvi (LeJ): Lashkar-e-Jhangvi (LeJ) ist eine Deobandi-Terroristengruppe. Die Gewalt von LeJ richtet sich größtenteils gegen Schiiten; die Organisation vertritt auch radikale Standpunkte gegenüber Christen, Ahmadis und sufistischen Muslimen. Laut PIPS war LeJ im Jahr 2019 für acht terroristische Angriffe in Pakistan verantwortlich, verglichen mit sieben solcher Angriffe im Jahr 2018. Fünf dieser Angriffe fanden in Karachi und drei in Belutschistan statt. In seinem jährlichen Sicherheitsbericht für 2019 erwähnte PIPS, dass mehrere Berichte darauf hindeuten, dass sich LeJ wieder auf Karachi konzentriert (EASO 10.2020; vgl. CEP o.D., PIPS 2021).
Nationale Bewegungen in Beluchistan: Der PIPS-Jahresbericht 2019 zur Sicherheitslage gab an, dass etwa sieben belutschische nationalistische Bewegungen in Belutschistan aktiv sind. Die operativen Fähigkeiten dieser Gruppen unterscheiden sich. Die Balochistan Liberation Army (BLA) ist eine bewaffnete nationalistische Bewegung der Belutschen. Ihr Ziel ist ein unabhängiges Belutschistan, frei von pakistanischer und iranischer Herrschaft. Wegen ihrer gewalttätigen Methoden, wie z.B. Bombenanschläge, wurde sie im April 2006 in Pakistan verboten. PIPS gab an, dass die BLA im Jahr 2019 27 terroristische Angriffe in Belutschistan durchführte, was eine leichte Steigerung im Vergleich zu 2018 darstellt, als sie 25 Angriffe durchführte. Im Juli 2019 wurde die Gruppe vom US-Außenministerium als terroristische Vereinigung eingestuft. Die Baloch Liberation Front (BLF) ist vor allem im so genannten Makran-Gürtel (Küstenregion von Beluchistan, Anm.) aktiv. Im Jahr 2010 wurde die Gruppe verboten. Laut PIPS hat sich die Führung der BLF in die Nachbarländer verlagert, was sich negativ auf ihre operativen Fähigkeiten auswirkt. Im Jahr 2019 übernahm die BLF die Verantwortung für 11 Terroranschläge im Vergleich zu 22 im Jahr 2018. Weitere belutschische Gruppen sind die Baloch Republican Army (BRA), die United Baloch Army (UBA) und die Baloch Raji Ajoi Sangar (BRAS) (EASO 10.2020; vgl. CEP o.D., PIPS 2021).
Quellen:
• CEP - Counter Extremism Project (o.D.): Pakistan: Extremism and Terrorism, https://www.counte rextremism.com/countries/pakistan , Zugriff 28.4.2021
• EASO - European Asylum Support Office (10.2020): Pakistan Security Situation, https://www.ecoi
.net/en/file/local/2040057/10_2020_EASO_COI_Report_Pakistan_Security_situation.pdf , Zugriff 28.4.2021
• PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (2021): Pakistan Security Report 2020, https://www.pa kpips.com/web/wpcontent/uploads/2021/01/Conflict-and-Peace-Studies.pdf , Zugriff 28.4.2021
• USDOS - US Department of State [USA] (24.6.2020): Country Report on Terrorism 2019 - Chapter 1 – Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032437.html , Zugriff 28.4.2021
3.2. Khyber Pakhtunkhwa
Letzte Änderung: 23.06.2021
Die Sicherheitslage hat sich in vier der sieben Bezirke der Khyber Pakhtunkhwa Tribal Districts (KPTDs) im Jahr 2020 weiter verschlechtert. Eine Zunahme an Vorfällen im Zusammenhang mit Aufständischen und den daraus resultierenden Opfern wurde in den Bezirken Bajaur, Khyber, Nord-Waziristan und Süd-Waziristan der KPTDs beobachtet.
Insgesamt wurde im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg der militanten Vorfälle und der Opfer beobachtet, wobei Nord-Waziristan und Süd-Waziristan als am meisten betroffen gelten (FRC 1.2021; vgl. PIPS 2021). In den ersten sieben Monaten des Jahres 2020 beobachtete PIPS insgesamt 100 Vorfälle, von denen 49 als terroristische Anschläge in der Provinz genannt wurden. In den ersten sieben Monaten des Jahres 2020 fanden in folgenden Bezirken von KP die meisten terroristischen Angriffe statt: NordWaziristan, Bajaur und Peshawar (EASO 10.2020).
Andererseits führten die pakistanischen Sicherheitskräfte im Rahmen der laufenden Militäroperation mit dem Codenamen Radd-ul-Fasad im Jahr 2020 in den neu zusammengeschlossenen Bezirken nachrichtendienstliche Operationen (IBOs) durch, um der zunehmenden Militanz entgegenzuwirken. 2020 wurden insgesamt 28 IBOs verzeichnet. Obwohl IBOs in allen Stammesbezirken von KP durchgeführt wurden, blieben Nord-Waziristan, Süd-Waziristan, Khyber und Bajaur der Hauptfokus dieser AntiTerrorismus (CT) Operationen (FRC 1.2021; vgl. PIPS 2021). Auf operativer Ebene leitete das Militär diese taktischen Operationen. Dadurch wurde die Fähigkeit der Militanten zur Ausführung größerer Angriffe im Laufe der Jahre reduziert. Allerdings gab es in letzter Zeit ein beunruhigendes Wiederaufleben dschihadistischer Militanter und sektiererischer Extremisten. In Gebieten von KP wie Nord-Waziristan und Bajaur, gab es in den letzten Monaten militante Aktivitäten, und sektiererische Extremisten haben auch in mehreren Städten Kundgebungen abgehalten. Seit dem Start des NAP hat die Regierung 18 Organisationen verboten und 88 Personen sanktioniert, ihr Eigentum beschlagnahmt und ihre Bankkonten eingefroren (FES 12.2020).
Quellen:
• EASO - European Asylum Support Office (10.2020): Pakistan Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2040057/10_2020_EASO_COI_Report_Pakistan_Security_situation.pdf, Zugriff 9.3.2021 • FES - Friedrich-Ebert-Stiftung (12.2020): Strengthening Governance in Pakistan Assessing the National Action Plan to counter Terrorism and Extremism, https://www.pakpips.com/web/wp-content/uploads/2021/01/NAP-Final-from-Hamayun.pdf, Zugriff
9.3.2021
• FRC - FATA Research Center (7.1.2021): Khyber Pakhtunkhwa Tribal Districts Annual Security Report 2020, https://frc.org.pk/news/kptds-annual-security-report-2020/, Zugriff 9.3.2021 • PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (2021): Pakistan Security Report 2020, https://www.pakpips.com/web/wpcontent/uploads/2021/01/Conflict-and-Peace-Studies.pdf, Zugriff 9.3.2021
3.3.Punjab und Islamabad
Letzte Änderung: 23.06.2021
Insgesamt fanden im Jahr 2020 in Punjab sieben (7) Terroranschläge statt, die fünf Todesopfer und 59 Verletzte forderten. Mit Ausnahme eines Anschlags, der von der aufständischen Gruppe der Belutschen (BLA) in Tehsil Sadiqabad im Bezirk Rahim Yar Khan im Süden des Punjab verübt wurde, konzentrierten sich alle anderen Anschläge auf Rawalpindi und wurden von den pakistanischen Taliban, einschließlich der TTP und ihrer Abspaltungen Jamaat-ul Ahrar und Hizbul Ahrar, die sich im August 2020 wieder der TTP anschlossen, verübt. Während fünf dieser Anschläge im Punjab offenbar Zivilisten zum Ziel hatten, richtete sich ein Anschlag gegen die Polizei und ein weiterer gegen eine Gaspipeline (PIPS 2021).
Quellen:
• PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (2021): Pakistan Security Report 2020, https://www.pa kpips.com/web/wpcontent/uploads/2021/01/Conflict-and-Peace-Studies.pdf , Zugriff 29.4.2021
3.4.Kaschmir: Gilgit-Baltistan und Azad Jammu & Kashmir
Letzte Änderung: 24.06.2021
Das von Pakistan kontrollierte Gebiet von Kaschmir besteht aus Azad Jammu und Kaschmir (AJK; allgemein Azad Kaschmir genannt) und Gilgit-Baltistan. Die Mehrheit in AJK ist muslimisch. Das Territorium Kaschmir ist ein umstrittenes Gebiet, das zwischen Indien, Pakistan und China aufgeteilt ist, aber in seiner Gesamtheit von Pakistan und Indien beansprucht wird. Indien wirft Pakistan vor, militante Gruppen wie JeM, LeT und Hizb-ulMujahideen (HM) zu unterstützen, und dass diese ihre Operationsbasen in der Region AJK hätten. Das Gebiet ist weniger durch terroristische Anschläge als vielmehr durch die latent vorhandenen Spannungen (wiederholte Grenzverletzungen und Militäraktionen) zwischen Pakistan und Indien entlang der Line of Control (LoC), der provisorischen Grenze zwischen den beiden Staaten geprägt (EASO 10.2020).
Die Situation an der Grenze zu Indien bleibt dennoch volatil (EASO 10.2020). Mehrere in Pakistan ansässige extremistische Gruppen, darunter Lashkar-e-Taiba (LeT), Jaish-e-Mohammed (JeM), Harakat-ul-Mujahideen (HuM) und Hizb-ul-Mujahideen (HM), führen Angriffe auf indische Ziele im indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir durch, der 45% der gesamten Kaschmirregion ausmacht. So wurden bei einem Selbstmordattentat am 14. Februar 2019 im Pulwama-Distrikt von Jammu und Kaschmir mindestens 40 indische paramilitärische Polizisten getötet, und es kam zu Indiens erstem direkten Luftangriff auf Pakistan seit 1971, als das Land ein sogenanntes JeM-Ausbildungslager bombardierte (CEP o.D.).
Nach pakistanischen Angaben ist es an der LoC (Line of Control) im Jahr 2020 zu fast 3.000 Verletzungen des Waffenstillstands gekommen. Auf der pakistanischen Seite sind durch die Grenzkonflikte in diesem Jahr mehr als zwei Dutzend Menschen getötet und über 200 verletzt worden. Nach Militärangaben haben sich Indien und Pakistan mittlerweile darauf verständigt, den grundsätzlich geltenden Waffenstillstand an der durch Kaschmir verlaufenden Grenzlinie strikter einzuhalten. Auf beiden Seiten der Grenzlinie wurden 2020 durch Verstöße gegen den Waffenstillstand entlang der Line of Control Soldaten und Zivilisten getötet bzw. verletzt (BAMF 1.3.2021).
In Islamabad, Gilgit-Baltistan und AJK wurden im Jahr 2020 keine terroristischen Anschläge verübt (PIPS 2021).
Quellen: • BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (1.3.2021): Briefing Notes, https://www.ecoi.net/en/documentsearch/?country%5B%5D=pak&countryOperator=should&srcId%5B%5D=11010&srcIdOperator=should&useSynonyms=Y&sort_b y=origPublicationDate&sort_order=desc&content=briefing%20notes&page=2, Zugriff 29.4.2021
• CEP - Counter Extremism Project (o.D.): Pakistan: Extremism and Terrorism, https://www.counterextremism.com/countries/pakistan, Zugriff 29.4.2021
• EASO - European Asylum Support Office (10.2020): EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Pakistan – Sicherheitslage, https://www.ecoi.net/en/file/local/2040057/10_2020_EASO_COI_Report_Pakistan_Security_situation.pdf, Zugriff 28.4.2021 • PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (2021): Pakistan Security Report 2020, https://www.pakpips.com/web/wpcontent/uploads/2021/01/Conflict-and-Peace-Studies.pdf, Zugriff 9.3.2021
3.5.NATO-Abzug Afghanistan - Mögliche Auswirkungen auf Pakistan
Letzte Änderung: 24.06.2021
Pakistan und Afghanistan teilen sich eine 2.640 Kilometer lange Landgrenze. Die mit dem NATO-Truppenabzug einhergehende Instabilität in Afghanistan könnte vor allem auf die pakistanischen Stammesgebiete deutliche Auswirkungen haben. Auch in der Vergangenheit war dieses Gebiet wiederholt Schauplatz von Kämpfen zwischen Extremisten und Sicherheitskräften, wobei es zur Vertreibung der lokalen Bevölkerung kam (z.B. Militäroperation im Swat-Tal 2009, Kämpfe in Nordwaziristan). Die Vertriebenen suchten vielfach Zuflucht in angrenzenden Gebieten, indem sie z.B. in Lagern oder bei Verwandten lebten. 2015 wurden von den Vereinten Nationen mehr als 1,2 Millionen Binnenvertriebene wegen Kämpfen in den Stammesgebieten registriert. Nach dem NATO-
Truppenabzug könnten extremistische Gruppen, wie etwa die afghanischen Taliban, das Vakuum nutzen und die pakistanischen Stammesgebiete verstärkt als Rückzugsort nutzen und hierbei die lokale Bevölkerung vertreiben. Zudem ist es wahrscheinlich, dass afghanische Flüchtlinge in Pakistan nach dem NATO-Truppenabzug keine schnelle Heimkehr in Erwägung ziehen. In Pakistan leben bereits jetzt rund 2,8 Millionen dokumentierte und nicht dokumentierte afghanische Flüchtlinge. Nur etwa die Hälfte der Flüchtlinge sind registriert, der Rest lebt ohne Dokumente, hauptsächlich in den nordöstlichen Provinzen Khyber Pakhtunkhwa und Südwest-Belutschistan, die an Afghanistan grenzen. In der südlichen Provinz Sindh, deren Hauptstadt Karatschi ist, leben circa 500.000 afghanische Flüchtlinge. Laut dem UNHCR wurden seit 2002 mehr als 3,8 Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgeführt, aber viele kehrten aufgrund anhaltender Gewalt, Arbeitslosigkeit, mangelnder Bildung und medizinischer
Einrichtungen nach Pakistan zurück. Nach dem Abzug der NATO-Truppen wird erwartet, dass nur ein kleiner Teil der afghanischen Flüchtlinge in Pakistan in ihr Land zurückkehren wird. Insofern wird Pakistan auch in Zukunft eine anhaltend hohe Anzahl von afghanischen Flüchtlingen im Land beherbergen bzw. ist allenfalls mit einem weiteren Anstieg zu rechnen. Auch wenn Pakistan sich bei den Afghanistan-Friedensverhandlungen für einen zeitlichen Plan für die Rückkehr und Wiedereingliederung afghanischer Flüchtlinge in ihre Heimat einsetzt, ist die Umsetzung dieses Ziels wenig greifbar (VB 10.5.2021).
Quellen:
• VB - VB des BMI in Islamabad/Bangkok [Österreich] (10.5.2021): Bericht: NATO-Truppenabzug aus Afghanistan und mögliche Auswirkungen auf Pakistan, Auskunft per Email
4. Rechtsschutz, Justizwesen
Letzte Änderung: 24.06.2021
Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor, aber laut NGOs und Rechtsexperten unterliegt die Justiz oft externen Einflüssen, wie z.B. der Angst vor Repressalien durch extremistische Elemente in Terrorismus- oder Blasphemie-Fällen und der öffentlichen Politisierung von hochkarätigen Fällen. Zivilgesellschaftliche Organisationen berichteten, dass Richter zögern, der Blasphemie beschuldigte Personen zu entlasten, weil sie Selbstjustiz befürchten (USDOS 30.3.2021). Die pakistanische Verfassung und die gesamte pakistanische Rechtsordnung basieren weitgehend auf dem britischen Rechtssystem. Wenngleich gemäß Art. 227 der Verfassung alle Gesetze grundsätzlich im Einklang mit der Scharia stehen müssen, ist deren Einfluss auf die Gesetzgebung trotz Bestehens des Konsultativorgans Council of Islamic Ideology jedoch eher beschränkt, abgesehen von bestimmten Bereichen wie beispielsweise den Blasphemiegesetzen (ÖB 12.2020).
Der Supreme Court ist das pakistanische Höchstgericht. Die fünf High Courts fungieren u.a. als Berufungsinstanz gegen Beschlüsse und Urteile von Special Courts sowie als Aufsichts- und Kontrollorgane für alle ihnen unterstehenden Gerichte. Ferner bestehen Provinz- und Bezirksgerichte, Zivil- und Strafgerichte sowie spezialisierte Gerichte für Steuern, Banken und Zoll. Des Weiteren existiert gemäß Verfassung ein Federal Shariat Court (FSC), das zur Prüfung von Rechtsvorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Islam angerufen wird und diesbezüglich auch von sich aus tätig werden kann. Er fungiert zusätzlich zum Teil als Rechtsmittelinstanz in Delikten nach den Hudood Ordinances von 1979, die eine v.a. Frauen stark benachteiligende Islamisierung des Strafrechts brachten und durch den Protection of Women (Criminal Law Amendment) Act 2006 in Teilen etwas entschärft wurden. In Azad Jammu und Kaschmir (AJK) sowie in Gilgit-Baltistan gibt es derzeit noch eigene Justizsysteme (ÖB 12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Einzelpersonen können gegen Entscheidungen der FSC Berufung bei der Shariat Appellate Bench des Obersten Gerichtshofs einlegen, wobei noch eine weitere Berufung durch den Obersten Gerichtshof zugelassen werden kann. Im Zivil-, Straf- und Familienrecht gibt es öffentliche Verhandlungen, es gilt die Unschuldsvermutung, und es gibt die Möglichkeit einer Berufung. Angeklagte haben das Recht auf Anhörung und auf Konsultation eines Anwalts (USDOS 30.3.2021).
Die Justiz verteidigt ihre nach Ende der Militärherrschaft zurückgewonnene Unabhängigkeit und bemüht sich, den Rechtsstaat in Pakistan zu stärken. Gleichzeitig steht sie weiterhin unter dem Einfluss der mächtigen pakistanischen Armee. Erhebliche Unzulänglichkeiten im Justizapparat und Schwächen bei der Durchsetzung des geltenden Rechts bestehen fort. Die Gerichte und das pakistanische Rechtssystem sind hochgradig ineffizient (AA 29.9.2020).
De facto spielt in weiten Landesteilen das staatliche Recht für die meisten Pakistaner kaum eine Rolle. Rechtsstreitigkeiten werden nach Scharia-Recht oder nach lokalen Rechtsbräuchen gelöst. Im WJP Rule of Law Index belegt Pakistan Platz 120 von 128 untersuchten Staaten (AA 29.9.2020). Neben dem staatlichen Justizwesen bestehen also vor allem in ländlichen Gebieten Pakistans auch informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen. Hier drohen vor allem Frauen menschenunwürdige Bestrafungen (ÖB 5.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Berichte über Korruption im Justizsystem hielten sich hartnäckig, einschließlich Berichten, dass Gerichtsmitarbeiter Zahlungen verlangten, um Verwaltungsverfahren zu erleichtern. Untere Gerichte blieben Berichten zufolge korrupt, ineffizient und unterlagen dem Druck von höherrangigen Richtern sowie prominenten, wohlhabenden, religiösen und politischen Persönlichkeiten (USDOS 30.3.2021).
Die Regierung stellte staatlich finanzierten Rechtsbeistand für Gefangene zur Verfügung, die wegen Verbrechen angeklagt werden, für die eine Verurteilung die Todesstrafe beinhaltet. Für andere Fälle wird keine regelmäßige rechtliche Vertretung zur Verfügung gestellt. Die Verfassung erkennt das Recht auf Habeas Corpus an und erlaubt es den hohen Gerichten, die Anwesenheit einer Person, die eines Verbrechens beschuldigt wird, vor Gericht zu verlangen. Das Gesetz erlaubt es Bürgern, Habeas-Corpus-Petitionen bei den Gerichten einzureichen. In vielen Fällen, in denen es um das gewaltsame Verschwindenlassen von Personen ging, versäumten es die Behörden, die Inhaftierten gemäß den Anordnungen der Richter vorzuführen (USDOS 30.3.2021).
Quellen: • AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen
Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2
038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelev ante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020.
pdf , Zugriff 15.4.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Islamabad [Österreich] (12.2020): Asylländerbericht Pakistan, https:
//www.ecoi.net/en/file/local/2050270/PAKI_%C3%96B-Bericht_2020_12.pdf , Zugriff 4.5.2021 • USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048102.html , Zugriff 15.4.2021
4.1.Militärgerichte
Letzte Änderung: 24.06.2021
Die Regierung erließ im Jänner 2015 als Reaktion auf einen Terrorangriff auf die Militärschule in Peschawar eine Verfassungsänderung, welche es Militärgerichten erlaubt, gegen unter Terrorverdacht stehende Zivilisten zu prozessieren. Nach einer Verlängerung des Mandats dieser Gerichte im Jahr 2017 endeten deren Tätigkeiten endgültig mit Ende März 2019 (ICJ 1.4.2019).
Ende März 2019 lief das Mandat der Militärgerichtshöfe für Terrorismusverfahren gegen Zivilisten aus, es existieren jedoch weiterhin sog. Anti Terrorism Courts (ATC) zur Verurteilung Terrorismusverdächtiger, die Angeklagten nur unzureichende Rechte einräumen (AA 29.9.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Weiters werden dieATCs für die gerichtliche Verhandlung hochkarätiger Fälle benutzt, auch dann, wenn diese keine Verbindung zum Terrorismus hatten. Menschenrechtsaktivisten kritisieren dieses parallele System und behaupten, es sei anfälliger für politische Manipulation (USDOS 30.3.2021).
Quellen: • AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen
Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2
038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelev
ante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020. pdf , Zugriff 29.4.2021
• ICJ - International Commission of Jurists (1.4.2019): Pakistan: as military courts lapse, Government must prioritize reform of the criminal justice system, https://www.icj.org/pakistan-as-military-courtslapse-government-must-prioritize-reform-of-thecriminal-justice-system/#:~:text=Military%20cour ts%20were%20first%20empowered,a%20period%20of%20two%20years , Zugriff 30.4.2021
• USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048102.html , Zugriff 29.4.2021
4.2.Informelle Rechtsprechungssysteme
Letzte Änderung: 24.06.2021
In ländlichen Gebieten Pakistans bestehen auch informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen. So spielt in von Paschtunen bewohnten Teilen des Landes, vor allem in den ehemals semi-autonomen Federally Administered Tribal Areas (FATA), der für diese Volksgruppe maßgebliche Rechts- und Ehrenkodex Paschtunwali eine bedeutende Rolle. Dieser wird bei Unrechtsfällen vom Vergeltungsgedanken sowie v