TE Bvwg Erkenntnis 2021/12/17 W112 2190177-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.12.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

17.12.2021

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z2
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §29 Abs5
VwGVG §31 Abs1

Spruch


W112 2190177-1/26E
W112 2190180-1/18E
W112 2190169-1/18E
W112 2190171-1/17E
W112 2190173-1/17E

GEKÜRZTE AUSFERTIGUNG DES AM 02.11.2021 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Elke DANNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1. XXXX , geb. XXXX , StA RUSSISCHE FÖDERATION, 2. XXXX , geb. XXXX , StA. RUSSISCHE FÖDERATION, 3. XXXX , geb. XXXX , StA. RUSSISCHE FÖDERATION, 4. mj. XXXX , geb. XXXX , StA. RUSSISCHE FÖDERATION, 5. mj. XXXX , geb. XXXX , StA. RUSSISCHE FÖDERATION, die Minderjährigen vertreten durch ihre Eltern XXXX und XXXX , alle vertreten durch RA Helmut BLUM, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.02.2018, 1. Zl. XXXX , 2. Zl. XXXX , 3. Zl. XXXX , 4. Zl. XXXX und 5. Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

I. Das Beschwerdeverfahren gegen Spruchpunkt I. und II. der angefochtenen Bescheide wird gemäß § 28 Abs. 1 iVm § 31 Abs. 1 VwGVG eingestellt.

II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide wird abgewiesen, soweit sie sich gegen die Nicht-Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 richtet.

III. Im Übrigen wird der Beschwerde stattgegeben und gemäß § 9 BFA-VG iVm § 52 Abs. 2 FPG festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist. Gemäß §§ 54, 55 und 58 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

IV. Spruchpunkt VI. wird ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Wesentliche Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer, die Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerin reisten am 01.03.2014 unter Verwendung von von der Österreichischen Botschaft in MOSKAU ausgestellten Schengen-Visa über den Flughafen XXXX nach Österreich ein und stellten am 03.03.2014 Anträge auf internationalen Schutz in Österreich, zu denen der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin am selben Tag erstbefragt wurden. Der Fünftbeschwerdeführer wurde am XXXX in Österreich geboren. Am 12.01.2015 stellte der Erstbeschwerdeführer für ihn einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 09.01.2018 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) niederschriftlich einvernommen.

Mit Bescheiden vom 09.02.2018 wies das Bundesamt die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl im Hinblick auf den Status von Asylberechtigten, als auch den Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat RUSSISCHE FÖDERATION ab, erteilte ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen sie und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass ihre Abschiebung der Beschwerdeführer in die RUSSISCHE FÖDERATION zulässig war und räumte ihnen gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung ein.

Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter mit Schriftsatz vom 09.03.2019 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und beantragten, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen, die angefochtenen Bescheide dahingehend abändern, dass ihnen der Status von Asylberechtigten, in eventu der Status von subsidiär Schutzberechtigten, in eventu ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilte werde und die gegen sie erlassene Rückkehrentscheidung ersatzlos behoben werde, in eventu die angefochtenen Bescheide aufheben und dem Bundesamt die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auftragen sowie der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkennen.

Nach der Einräumung von Parteiengehör mit Schriftsatz vom 11.08.2021 zogen die Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 05.10.2021 die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide zurück.

Am 02.11.2021 fand die hg. mündliche Verhandlung statt, an der die Beschwerdeführer, ihr rechtsfreundlicher Vertreter und eine Dolmetscherin für die Sprache RUSSISCH teilnahmen; das Bundesamt nahm nicht an der Verhandlung teil. In der Verhandlung zogen die Beschwerdeführer den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zurück. Dem Bundesamt wurde die Verhandlungsschrift im Anschluss an die Verhandlung zugestellt.

Keine der Parteien stellte einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung des am 02.11.2021 mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

Das Beschwerdeverfahren gegen die Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide war einzustellen, weil die Beschwerdeführer die Beschwerde in diesem Umfang zurückgezogen hatten.

Gründe für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 hatten die Beschwerdeführer nicht vorgebracht, daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide abzuweisen.

Die Beschwerdeführer waren russische Staatsangehörige, Angehörige der ARMENISCHEN Volksgruppe und ARMENISCH-APOSTOLISCHEN Glaubens; die Viertbeschwerdeführerin und der Fünftbeschwerdeführer wurden in Österreich KATHOLISCH getauft. Der Erstbeschwerdeführer lebte seit 2001 in der RUSSISCHEN FÖDERATION, die Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerin seit ihrer Geburt, der Fünftbeschwerdeführer nie, weil er in Österreich geboren wurde. Der Erstbeschwerdeführer lebte bis 2014 nie außerhalb von ARMENIEN und RUSSLAND, die Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerin nie außerhalb von RUSSLAND, der Fünftbeschwerdeführer nie außerhalb von Österreich.

Der Erstbeschwerdeführer absolvierte seine Ausbildung in ARMENIEN, bis zu seiner Verheiratung war er Mönch, danach Priester, seit ca. 2004 war er nicht mehr für die Kirche tätig, sondern bestritt den Lebensunterhalt der Familie durch den Familienbetrieb und Taxifahren. Die Zweitbeschwerdeführerin absolvierte in RUSSLAND nur die Grundschule und war danach Hausfrau, die Drittbeschwerdeführerin besuchte dort Vor- und Volksschule, die Viertbeschwerdeführerin den Kindergarten. Sie wohnten in der Wohnung der Schwester des Erstbeschwerdeführers, aber nicht mit dieser zusammen. Die Eltern und der Bruder des Erstbeschwerdeführers kehrten nach ARMENIEN zurück, die Eltern und die Schwester der Zweitbeschwerdeführerin sowie die Schwester des Erstbeschwerdeführers blieben in RUSSLAND. Mit diesen Angehörigen bestand weiterhin Kontakt über soziale Medien und online-Dienste. Die Drittbeschwerdeführerin verlor den Kontakt zu ihren Freundinnen in RUSSLAND.

Die Beschwerdeführer sprachen in der Familie RUSSISCH und ARMENISCH, der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sprachen gut Deutsch, die Drittbeschwerdeführerin fließend; sie konnte ARMENISCH nicht lesen und schreiben. Die Zweitbeschwerdeführerin stemmt den Großteil des Haushalts und der Kindererziehung, der Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin halfen ihr dabei.

In Österreich hatten die Beschwerdeführer keine Angehörigen, allerdings war die Taufpatin der Vierbeschwerdeführerin und des Fünftbeschwerdeführers eine enge Bezugsperson. Alle Beschwerdeführer waren in der örtlichen Kirchengemeinde integriert. Die Drittbeschwerdeführerin lebte nicht in einer Lebensgemeinschaft, sondern im Familienverband der Beschwerdeführer.

Der Erstbeschwerdeführer hatte einen XXXX , der in Österreich operiert worden war, zuletzt 2020, seither litt er an einer XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX , die Zweitbeschwerdeführerin litt an XXXX , bedurfte aber keiner Behandlung mehr, die übrigen Beschwerdeführer waren gesund.

Der Erstbeschwerdeführer absolvierte das Sprachdiplom A2 2019, ebenso die Zweitbeschwerdeführerin. Diese schaffte die Deutschprüfung auf dem Niveau B 1 nicht, der Erstbeschwerdeführer war noch nicht angetreten. Beide sprachen Deutsch zumindest auf dem Niveau B 1. Beide hatten den Werte- und Orientierungskurs absolviert.

Die Drittbeschwerdeführerin besuchte ein Semester lang die Volksschule als außerordentliche Schülerin, danach die Neue Mittelschule mit ausgezeichnetem Erfolg und am Schluss in der 1. Leistungsgruppe. Sie war in der Maturaklasse des BORG und abgesehen von MATHEMATIK im letzten Schuljahr ausgezeichnet. Sie übernahm auch freiwillige Tätigkeiten in der Schule und sprach fließend Deutsch. Außerschulische Tätigkeiten (Klavierunterricht, Kirchenchor, Ministrantin) hatte sie auf Grund des schulischen Leistungsdrucks eingestellt. Sie hatte ein Stipendium für das Studium an der XXXX beantragt.

Die Viertbeschwerdeführerin absolvierte in Österreich Kindergarten und Volksschule und besuchte im Entscheidungszeitpunkt die Neue Mittelschule in der 1. Leistungsgruppe mit ausgezeichnetem Erfolg. Daneben war sie über die Musikschule in der musikalischen Frühförderung, im Tanzunterricht und im Jugendchor und Ministrantin in der örtlichen Pfarrkirche; sie und der Fünftbeschwerdeführer waren katholisch getauft, der Fünftbeschwerdeführer aber noch zu jung zum Ministrieren.

Die Zweitbeschwerdeführerin war Blutspenderin, bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie ehrenamtlich im Besuchsdienst des örtlichen Pflegeheims, in der Katholischen Frauengruppe ihrer Ortschaft aktiv und seit 2018 auf Grund einer Gewerbeberechtigung im erlaubten Ausmaß erwerbstätig.

Der Erstbeschwerdeführer war in der örtlichen Pfarrkirche aktiv.

Die Beschwerdeführer bestritten darüber hinaus ihren Lebensunterhalt durch die Grundversorgung, der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin hatten aber bedingte Arbeitsverträge und konnten mit Zugang zum Arbeitsmarkt den Lebensunterhalt der Familie sichern.

Alle Beschwerdeführer waren unbescholten und wiesen keine Verwaltungsstrafen auf. Sie hatten sich in Österreich einen engen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut.

Auf Grund der geschilderten Integration, der Aufenthaltsdauer, der legalen Einreise und des rechtmäßigen Aufenthalts während des Asylverfahrens, der überlangen Verfahrensdauer ihres ersten und einzigen Asylverfahrens in der Europäischen Union, an der die Beschwerdeführer kein Verschulden traf, der Unbescholtenheit, dem Umstand, dass der Erstbeschwerdeführer nur 13 Jahre seines Lebens, sohin kaum länger als in Österreich, im Herkunftsstaat lebte, die Drittbeschwerdeführerin die prägenden Jahre Ihrer Adoleszenz in Österreich verbrachte und zur hervorragenden Integration in Österreich nutzte, und ungeachtet dessen, dass sie noch im anpassungsfähigen Alter waren, auch die Viertbeschwerdeführerin und der Fünftbeschwerdeführer hervorragend waren und die Zweitbeschwerdeführerin trotz Grundversorgung in Österreich legal erwerbstätig wurde, überwog das private Interesse der Beschwerdeführer an der Fortsetzung ihres Privatlebens in Österreich das öffentliche Interesse an der Beendigung ihres Aufenthalts, zumal die unbescholtenen Beschwerdeführer nie unrechtmäßig in Österreich aufhältig waren.

Da der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin die Voraussetzung des § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm §§ 9 Abs. 4 Z 1, 11 IntG erfüllten, die Drittbeschwerdeführerin die des § 10 Abs. 2 Z 5 IntG und die Viertbeschwerdeführerin und der Fünftbeschwerdeführer die des § 10 Abs. 2 Z 3 IntG, waren ihnen Aufenthaltstitel „rot-weiß-rot-Karte plus“ zu erteilen.

Die Revision war nicht zulässig, weil sich die Entscheidung auf eine klare Rechtslage gründete.

III. Begründung der gekürzten Ausfertigung

Gemäß § 29 Abs. 5 VwGVG kann das Erkenntnis in gekürzter Form ausgefertigt werden, wenn von den Parteien auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof verzichtet oder nicht binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Niederschrift gemäß Abs. 2a eine Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Abs. 4 von mindestens einem der hiezu Berechtigten beantragt wird. Die gekürzte Ausfertigung hat den Spruch sowie einen Hinweis auf den Verzicht oder darauf, dass eine Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Abs. 4 nicht beantragt wurde, zu enthalten.

Diese gekürzte Ausfertigung des nach Schluss der mündlichen Verhandlung am 02.11.2021 verkündeten Erkenntnisses ergeht gemäß § 29 Abs. 5 VwGVG, da ein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG durch die hiezu Berechtigten innerhalb der zweiwöchigen Frist nicht gestellt wurde.

Schlagworte

Aufenthaltstitel gekürzte Ausfertigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W112.2190177.1.00

Im RIS seit

03.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

03.02.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten