Entscheidungsdatum
03.01.2022Norm
AlVG §33Spruch
W209 2249973-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Mag. Gabriele STRAßEGGER und Peter STATTMANN als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX , XXXX , XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz vom 30.11.2021 betreffend Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid (Spruchpunkt 2) zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung wird Folge gegeben und Spruchpunkt 2) des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Bescheid vom 17.11.2021 verfügte die belangte Behörde (im Folgenden: AMS) die Einstellung der Notstandshilfe des Beschwerdeführers mangels Notlage gemäß § 33 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG) ab 01.10.2020.
2. Dagegen erhob der Beschwerdeführer binnen offener Rechtsmittelfrist Beschwerde.
3. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 30.11.2021 wies das AMS die Beschwerde mit der Maßgabe ab, das die Notstandhilfe mit 01.10.2021 eingestellt wird, (Spruchpunkt 1) und schloss die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid gemäß § 13 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) aus (Spruchpunkt 2). Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung wurde zusammengefasst damit begründet, dass die aufschiebende Wirkung einen Doppelbezug zu Lasten der Versicherungsgemeinschaft bewirken würde. Ein solcher Doppelbezug sei gesetzlich nicht vorgesehen. Es erscheine sinnwidrig, einen solchen im Zuge einer aufschiebenden Wirkung herzustellen, bzw. stelle dies eine missbräuchliche Inanspruchnahme von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung dar. Der Beschwerdeführer beziehe kein österreichisches Einkommen und wäre daher eine etwaige Eintreibbarkeit der im Zuge der aufschiebenden Wirkung ausbezahlten Beträge in Form einer Auslandsexekution gefährdet bzw. mit einem die Solidargemeinschaft über Gebühr belastenden Verwaltungsaufwand verbunden.
4. Am 16.12.2021 erstattete der Beschwerdeführer binnen offener Rechtsmittelfrist einen Vorlageantrag, mit welchem er zugleich Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erhob. Letztere begründete er u.a. damit, dass der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde voraussetze, dass der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides wegen Gefahr im Verzug dringend geboten sei. Diese Voraussetzung liege in seinem Fall nicht vor, zumal zu Gunsten der Republik Österreich ein fünfstelliger Euro-Betrag unter der Steuernummer auf dem Finanzamtskonto des Beschwerdeführers vorliege.
5. Am 28.12.2021 einlangend legte das AMS sowohl die Beschwerde gegen die Einstellung der Notstandshilfe als auch die Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen und Beweiswürdigung:
Der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergibt sich aus dem unter Punkt I. dargestellten Verfahrensgang und steht aufgrund der Aktenlage als unstrittig fest.
2. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I. Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
§ 56 Abs. 2 AlVG normiert, dass über Beschwerden gegen Bescheide der Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat zu entscheiden hat, dem zwei fachkundige Laienrichter, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und einer aus dem Kreis der Arbeitnehmer angehören. Gegenständlich liegt daher Senatszuständigkeit mit Laienrichterbeteiligung vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A)
Gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG kann die aufschiebende Wirkung von der Behörde mit Bescheid ausgeschlossen werden, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides oder die Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist. Nach § 13 Abs. 5 VwGVG hat die Behörde die Beschwerde gegen einen Bescheid gemäß Abs. 2 – sofern sie nicht als verspätet oder unzulässig zurückzuweisen ist – dem Verwaltungsgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens unverzüglich vorzulegen. Das Verwaltungsgericht hat über die Beschwerde ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden und der Behörde, wenn diese nicht von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absieht, die Akten des Verfahrens zurückzustellen.
Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:
Die Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist das Ergebnis einer im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung (vgl. VwGH 01.09.2014, Ra 2014/03/0028). § 13 Abs. 2 VwGVG ermöglicht es, den in der Praxis bestehenden Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Einbringung allenfalls unberechtigt empfangener Geldleistungen der Arbeitslosenversicherung zu begegnen und dem Interesse der Versichertengemeinschaft, die Einbringlichkeit von (vermeintlich) zu Unrecht gewährten Leistungen an den einzelnen Versicherten ohne Zuwarten auf eine rechtskräftige Entscheidung im Falle der Bekämpfung eines Bescheides zu berücksichtigen, indem die berührten öffentlichen Interessen mit den Interessen des Leistungsempfängers abgewogen werden. Stellt sich im Zuge dieser Interessenabwägung heraus, dass der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist, so kann die Behörde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde mit Bescheid ausschließen.
Das Tatbestandsmerkmal "Gefahr im Verzug" bringt zum Ausdruck, dass der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nur das Eintreten erheblicher Nachteile für eine Partei bzw. gravierender Nachteile für das öffentliche Wohl verhindern soll (vgl. Hengstschläger/Leeb, Rz 31 zu § 64 AVG; Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2, § 13 VwGVG K 12).
Ein im öffentlichen Interesse gelegener Bedarf nach einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ist im Allgemeinen insbesondere bei der Verhängung einer Sperrfrist mangels Arbeitswilligkeit gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG (iVm § 38 AlVG) gegeben, deren disziplinierender Zweck weitgehend verloren ginge, wenn sie erst Monate nach ihrer Verhängung in Kraft treten würde. Die Interessenabwägung kann vor allem dann zu Gunsten einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ausschlagen, wenn für den Fall einer vorläufigen Weitergewährung einer Leistung die Einbringlichkeit des Überbezuges gefährdet ist. Ob eine solche Gefährdung vorliegt, hat das AMS zu ermitteln und gegebenenfalls auf Grund konkret festzustellender Tatsachen über die wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Partei festzustellen (Müller in Pfeil AlVG-Komm Rz 3f und 19 zu § 56) (vgl. VwGH 11.04.2018, Ro 2017/08/0033).
Im vorliegenden Fall begründete das AMS den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung mit dem Umstand, dass die aufschiebende Wirkung einen Doppelbezug zu Lasten der Versicherungsgemeinschaft bewirken würde, ein solcher Doppelbezug gesetzlich nicht vorgesehen sei und es sinnwidrig erscheine, einen solchen im Zuge einer aufschiebenden Wirkung herzustellen, bzw. stelle dies eine missbräuchliche Inanspruchnahme von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung dar. Der Beschwerdeführer beziehe kein österreichisches Einkommen und wäre daher eine etwaige Eintreibbarkeit der im Zuge der aufschiebenden Wirkung ausbezahlten Beträge in Form einer Auslandsexekution gefährdet bzw. mit einem die Solidargemeinschaft über Gebühr belastenden Verwaltungsaufwand verbunden. Feststellungen dazu, wieso die Einbringlichkeit des Überbezuges für den Fall einer vorläufigen Weitergewährung der Leistung im konkreten Fall gefährdet wäre, traf es jedoch nicht, indem es die Frage, ob die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers eine solche Gefahr nahelegen, unbeantwortet ließ.
Sonstige Hinweise, dass durch den Aufschub der Vollstreckung der angefochtenen Entscheidung ein nicht wiedergutzumachender erheblicher Nachteil für das AMS oder ein gravierender Nachteil für das öffentliche Wohl drohen, sind nicht evident. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer kein österreichisches Einkommen bezieht, reicht jedenfalls nicht aus, um "Gefahr im Verzug" iSd § 13 Abs. 2 VwGVG zu begründen, zumal dies bei Arbeitslosen der Regelfall ist (vgl. § 12 AlVG). Zudem gab der Beschwerdeführer vom AMS unwidersprochen an, dass zu Gunsten der Republik Österreich ein fünfstelliger Euro-Betrag unter der Steuernummer auf dem Finanzamtskonto des Beschwerdeführers vorliegt. Auch erschließt sich mangels entsprechender Feststellungen nicht, wieso die Eintreibbarkeit der im Zuge der aufschiebenden Wirkung ausbezahlten Beträge im Wege einer Auslandsexekution gefährdet bzw. mit einem die Solidargemeinschaft über Gebühr belastenden Verwaltungsaufwand verbunden wäre.
Da sich aus dem vorliegenden Sachverhalt somit nicht ergibt, dass der Aufschub der Vollstreckung des gegenständlichen Bescheids ein unverhältnismäßiger Nachteil für die Versichertengemeinschaft droht, ist eine Einschränkung des rechtsstaatlichen Grundsatzes der faktischen Effizienz eines erhobenen Rechtsmittels nicht rechtfertigbar.
Da im Hinblick auf die gemäß § 13 Abs. 5 VwGVG unverzüglich und ohne weiteres Verfahren zu treffende Entscheidung ergänzende Erhebungen durch das Verwaltungsgericht ausscheiden, war der Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung stattzugeben und der angefochtene Bescheid hinsichtlich des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt 2) ersatzlos zu beheben.
Mit der gegenständlichen Entscheidung wird einer Entscheidung in der Hauptsache (Einstellung der Notstandshilfe mangels Notlage), welche zeitnah ergehen wird, nicht vorgegriffen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
aufschiebende Wirkung Doppelbezug finanzielle Mittel Gefahr im Verzug InteressenabwägungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2022:W209.2249973.1.00Im RIS seit
03.02.2022Zuletzt aktualisiert am
03.02.2022