TE Vwgh Erkenntnis 1996/9/25 95/01/0212

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Veröffentlicht am 25.09.1996
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AVG §37;
AVG §45 Abs1;
AVG §45 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Dolp und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des P in P, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. Mai 1995, Zl. 4.330.470/11-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, ist am 4. Dezember 1991 in das Bundesgebiet eingereist und hat am 10. Dezember 1991 den Antrag auf Asylgewährung gestellt, den er im wesentlichen damit begründete, er sei Christ in einer mohammedanisch dominierten Gemeinde und daher Mittelpunkt von Schwierigkeiten gewesen. Er habe sein Haus, seine Frau und seine Kinder im August 1991 verloren, das genaue Datum könne er nicht nennen. Sein moslemischer Chef sei der einzige gewesen, der ihm positiv gegenübergestanden sei. Alle anderen Fahrgäste, die er transportiert habe (der Beschwerdeführer war Kraftfahrer), seien ihm als Christen gegenüber negativ eingestellt und deshalb extrem aggressiv gewesen. Er sei einige Male, unter anderem am 14. August 1991, mit Eisenstangen "verdroschen" worden und habe sich deshalb aus Furcht um sein Leben aufgemacht, dieses zu retten.

Bei seiner am 31. März 1992 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich erfolgten niederschriftlichen Befragung gab er zu seinen Fluchtgründen an, er gehöre keiner politischen Organisation an, sei als Katholik aber in die immer wieder in seinem Heimatland aufflammenden Kämpfe zwischen Christen und Mohammedanern geraten. Am 14. Oktober 1991 sei ein "evangelischer Referent" (offenbar gemeint: der evangelische Pfarrer X, BRD) nach K gekommen. Sie hätten gebetet und eine Messe abgehalten. Plötzlich seien Moslems auf sie losgegangen und hätten die Betenden geschlagen und die Häuser verwüstet. Als die Polizei gekommen sei, um für Ruhe zu sorgen, sei er verhaftet und verhört worden. Die Polizei habe den Katholiken die Schuld für den ganzen Wirbel gegeben. Er sei drei Tage in Haft geblieben, bis es seinen Eltern gelungen sei, ihn auszulösen. Wieviel sie hätten bezahlen müssen, könne er nicht sagen. Er sei bezichtigt worden, ein Aufrührer gegen das Regime und ein Führer der Christen zu sein. Sein Anwalt habe ihm mitgeteilt, daß es für ihn besser wäre, wenn er das Land verlassen würde, wenn er keine größeren Schwierigkeiten haben wolle. Sein Haus in T sei zerstört worden, seine Frau und seine Kinder fort. Er wisse nicht, wo sie seien. Er sei dann nach Benin zu seiner Kirche gegangen, wo man ihm gesagt habe, es sei für ihn besser, das Land zu verlassen. Man habe ihm auch das Ticket besorgt. Bei seiner Rückkehr würde er sicher umgebracht werden.

Mit Bescheid vom 9. April 1992 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich fest, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle.

In der dagegen erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer Begründungsmängel geltend und führte im übrigen zu seinen Fluchtgründen aus, er sei Opfer der seit Jahren zunehmend gewalttätiger und umfangreicher werdenden Ausschreitungen von Moslems gegenüber Christen. Unmittelbarer Anlaß für seine Flucht seien die von K ausgehenden Unruhen gewesen, die zu einem wahren Massaker an den Christen geführt hätten. Als Katholik habe er am 14. Oktober 1991 an einer Predigtveranstaltung des deutschen evangelischen Priesters X teilgenommen, wo bereits im Vorfeld dieses Großereignisses merkbare Spannungen zwischen den Religionsgruppen zu bemerken gewesen wären. Als Katholik sei es ihm selbstverständlich gewesen, an einer protestantischen Veranstaltung teilzunehmen, weil alle christlichen Konfessionen durch eine zunehmend aggressiver werdende Islamisierungskampagne zusammenrückten. Am 14. Oktober seien sie plötzlich inmitten der Meßfeier, die auf einem öffentlichen Platz stattgefunden habe, von fanatisierten Moslems angegriffen worden, wobei sie den bewaffneten Horden hoffnungslos unterlegen gewesen seien, wodurch es viele Tote und Schwerverletzte unter den Besuchern gegeben habe. Es seien danach gezielt Häuser von Christen in der Stadt in Schutt und Asche gelegt worden. Als endlich die Polizei eingeschritten sei, seien bevorzugt Christen verhaftet und der Verursachung der Ausschreitung bezichtigt worden. Er selber habe zwei Tage im Polizeigefängnis in K verbracht und sei am 16. Oktober nach Benin-City überstellt worden. Dort hätten ihn seine Eltern am 17. Oktober mittels einer Kaution bis zum Gerichtstermin auslösen können. Er sei der aufrührerischen Tätigkeit bezichtigt worden, was man auf seine Sprecherfunktion unter den Katholiken in Benin-City zurückgeführt habe. Sein Anwalt habe ihm geraten, das Land zu verlassen, da er mit einem fairen Gerichtsverfahren nicht habe rechnen können. Bei seiner Rückkehr nach T habe er sein Haus zerstört vorgefunden, Frau und Kinder seien spurlos verschwunden gewesen. Die Unruhen von K hätten sich bis nach T ausgebreitet. In der Kirchengemeinde sei man der Meinung gewesen, er müsse so schnell wie möglich Nigeria verlassen, und diese hätte das Flugticket besorgt.

Mit Bescheid vom 6. August 1993 wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Infolge der dagegen erhobenen Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 15. September 1994, Zl. 94/19/0428, den bekämpften Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92,93/94) auf, sodaß das Berufungsverfahren neuerlich bei der belangten Behörde anhängig wurde. Aufgrund der dem Beschwerdeführer mit Schreiben der belangten Behörde vom 1. Februar 1995 eingeräumten Möglichkeit, nunmehr einfache Verfahrensmängel und sich allenfalls daraus ergebende Sachverhaltsänderungen vorzubringen, brachte der Beschwerdeführer unter Anschluß des Schreibens des Rechtsanwaltes I vom 18. Oktober 1991, eines Haftbefehles vom 15. Oktober 1991, eines Schreibens der Human-Right-Organisation of Nigeria vom selben Tag, eines Schreibens der Comitee for the Defence of Human-Rights vom 19. Oktober 1991 sowie eines Zeitungsausschnittes der "African Concorde" vom 28. Oktober 1991 in der Sache ergänzend vor, er werde mit Haftbefehl gesucht und beschuldigt, an den Ausschreitungen beteiligt gewesen zu sein, wobei ihm die Todesstrafe bzw. lebenslange Haft angedroht werde. Es treffe ihn an der Eskalation der Gewalt jedoch kein Mitverschulden. Er und seine Familie seien durch diese Gewaltorgien vielmehr selbst unter starkem psychischem Druck gestanden und hätten in ständiger Angst gelebt.

Mit dem Bescheid vom 19. Mai 1995 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers neuerlich gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und begründete dies nach Darstellung des bisherigen Verfahrensganges und allgemein gehaltenen Ausführungen zur geltenden Rechtslage dahingehend, asylrechtlich relevante Verfolgung könnten nur Maßnahmen des Staates bzw. der diesem zurechenbaren Organe aus den in der Genfer Konvention genannten Gründen von bestimmter Intensität und Qualität sein. Die vom Beschwerdeführer geschilderten Ereignisse würden diesen Anforderungen nicht gerecht. Die befürchtete Verfolgung müsse sich auch direkt konkret gegen den Asylwerber selbst wenden. Sei er als Teilnehmer an einer Predigtversammlung in K am 14. Oktober 1991 wegen des Verdachtes, sich in strafrechtlich relevanter Form an den Ausschreitungen beteiligt zu haben, verhaftet und befragt worden, so sei es ihm zumutbar, sich einem ordentlichen Gerichtsverfahren zu stellen, so wie dies jedem anderen Bürger in seinem Heimatsland auch zumutbar sei. Daß er im Falle seiner Rückkehr die Todesstrafe bzw. eine lebenslange Haftstrafe zu befürchten hätte, hielt die belangte Behörde im Hinblick auf die Freilassung des Beschwerdeführers gegen Kaution für unglaubwürdig. Auch den von dem Beschwerdeführer im ergänzenden Berufungsverfahren vorgelegten Urkunden maß die belangte Behörde nicht die erforderliche Glaubwürdigkeit zu, dies auch im Hinblick auf den Umstand, daß der Beschwerdeführer anläßlich seiner Ersteinvernahme aufgrund des Datums ihrer Ausstellung schon im Besitz dieser Urkunden hätte gewesen sein müssen, es jedoch unterlassen habe, sich bereits im erstinstanzlichen Verfahren darauf zu beziehen. Was die Zerstörung des Hauses und das Verschwinden seiner Familie anlange, könne es sich hiebei lediglich um private Übergriffe handeln, zumal er diese Umstände mit seinen moslemischen Nachbarn in Beziehung gesetzt habe und solche Ereignisse nur dann zur Asylgewährung hätten führen können, wenn sie eine gewisse Intensität erreicht hätten und der Staat nicht gewillt oder in der Lage gewesen sei, solche Vorkommnisse hintanzuhalten. Ein umfassender Schutz vor kriminellen Handlungen könne jedoch von keinem Staat verlangt werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Zunächst ist dem Beschwerdeführer zuzugeben, daß die Begründung im Rahmen der beweiswürdigenden Erwägungen der belangten Behörde in bezug auf die in der Berufungsergänzung vorgelegten Urkunden nicht schlüssig erscheint. Die belangte Behörde hätte vielmehr ihre diesbezüglichen, im angefochtenen Bescheid erstmals geäußerten Zweifel zum Thema einer ergänzenden Befragung im Rahmen der Gewährung des Parteiengehörs machen müssen, da ohne entsprechende Sachverhaltsgrundlage, lediglich basierend auf Vermutungen, nicht davon ausgegangen werden kann, die im ergänzenden Berufungsverfahren vorgelegten Urkunden hätten sich im Zeitpunkt der Ersteinvernahme des Beschwerdeführers bereits in dessen Besitz befunden. Aus dem der belangten Behörde in diesem Sinne unterlaufenen Verfahrensfehler ist allerdings für den Beschwerdeführer noch nichts gewonnen. Auch unter Einbeziehung der im Berufungsverfahren ergänzend vorgelegten Urkunden kann sich am Gesamtkalkül nichts ändern. Hauptinhalt der Angaben des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren war es, er sei als Christ in die zwischen Moslems und Christen schwelenden Unruhen geraten, dies insbesondere anläßlich der am 14. Oktober 1991 stattgefundenden Predigtveranstaltung des evangelischen Pfarrers X, bei der es zu Ausschreitungen gekommen sei, aufgrund derer er kurzfristig unter dem Verdacht aufrührerischer Tätigkeit verhaftet und verhört, sodann jedoch gegen Kaution freigelassen worden sei. Den von der belangten Behörde gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 - der auch nach Aufhebung des Wortes "offenkundig" in Abs. 2 dieses Paragraphen durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92,93/94, unverändert in Geltung steht - zugrundezulegenden Angaben des Beschwerdeführers in erster Instanz ist nämlich nicht zu entnehmen, es sei dem Beschwerdeführer unzumutbar gewesen, das gegen ihn eingeleitete Gerichtsverfahren abzuwarten und die gegen ihn erhobenen Vorwürfe entsprechend zu entkräften. Daß die bei den Unruhen einschreitenden Polizisten der Meinung waren, "die Katholiken (gemeint offenbar: die Christen) trügen an dem ganzen Wirbel schuld", indiziert auch nicht, daß ein gerichtliches Verfahren gegen die Teilnehmer der Kämpfe einseitig parteiisch zu Lasten der Christen geführt worden wäre. Bereits die belangte Behörde hat zutreffend darauf hingewiesen, daß erst in dem Fall, in dem der Heimatstaat bzw. die Behörden desselben nicht gewillt oder in der Lage sind, Übergriffe Dritter (hier moslemischer Fundamentalisten) hintanzuhalten, einer der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der GFK genannten asylrelevanten Tatbestände vorliegen könnte (vgl. auch hg. Erkenntnisse vom 24. März 1994, Zl. 94/19/0715 und vom 9. November 1995, Zl. 94/19/1414 uva).

Daß das Verschwinden seiner Familie und das Zerstören seines Wohnhauses direkt oder - im oben aufgezeigten Sinn - indirekt dem Heimatstaat des Beschwerdeführers zurechenbar wäre, läßt sich seinen Angaben ebenfalls nicht entnehmen, vielmehr hat bereits die belangte Behörde darauf verwiesen, daß er selbst seine moslemischen Nachbarn (als Täter ? Anstifter ?) mit diesen Vorfällen in Beziehung setzte.

Insgesamt erweist sich daher die Beurteilung der vorliegenden Asylsache durch die belangte Behörde als frei von Rechtsirrtum, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Beweismittel Urkunden Parteiengehör Verletzung des Parteiengehörs Verfahrensmangel Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung Vorweggenommene antizipative Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995010212.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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