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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AVG §58Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision des E B M, vertreten durch Dr. Anton Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. August 2021, L515 2213232-1/19E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Aserbaidschan, stellte am 27. September 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, auf Grund seiner Teilnahme an Demonstrationen und Protestveranstaltungen der Oppositionspartei sowie seiner Tätigkeit in den sozialen Medien mehrmals von der Polizei festgenommen und geschlagen worden zu sein.
2 Mit Bescheid vom 14. Dezember 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Aserbaidschan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Mit Beschluss vom 6. Oktober 2021, E 3454/2021-6, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
5 Daraufhin erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG habe die unmittelbare und persönliche Einvernahme des Revisionswerbers durch einen vorangegangenen Auftrag zur schriftlichen Beantwortung eines Fragenkatalogs ersetzt, der Fragen zu entscheidungsrelevanten Tatsachen und Umständen enthalten habe. Dem Revisionswerber sei die Beantwortung des Fragebogens jedoch aus mangelndem Verständnis sowohl in sprachlicher als auch in fachlicher Hinsicht nicht möglich gewesen. Mangels Beantwortung der Fragen durch den Revisionswerber habe das BVwG die mündliche Verhandlung zeitlich beschränkt und den Revisionswerber nicht zur entscheidungsrelevanten Aktualität seines Fluchtvorbringens befragt. In diesem Zusammenhang macht die Revision mehrere Verfahrensfehler geltend, unter anderem habe das BVwG gegen seine amtswegige Ermittlungspflicht und gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz verstoßen.
8 Ausgehend davon, dass der genannte Fragebogen keine Fragen zum Fluchtvorbringen sondern ausschließlich zum Privat- und Familienleben enthielt, der Richter den Revisionswerber im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung umfassend zu seinem Fluchtvorbringen befragte und einen Großteil der im Fragebogen angeführten Fragen auch in der mündlichen Verhandlung stellte, und dem Revisionswerber überdies eine erneute Frist für die Beantwortung der Fragen eingeräumt wurde, die der Rechtsvertreter des Revisionswerbers auch nutzte und eine eingehende Stellungnahme einbrachte, gelingt es der Revision nicht aufzuzeigen, dass dem BVwG im vorliegenden Fall ein im Revisionsverfahren aufzugreifender Verfahrensfehler unterlaufen wäre.
9 Darüber hinaus wendet sich der Revisionswerber in der Zulassungsbegründung gegen die Beweiswürdigung des BVwG. Es sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen worden, weil das BVwG die Glaubwürdigkeit des Vorbringens nicht unter Einbeziehung der realen Gegebenheiten im Herkunftsstaat überprüft habe.
10 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. In Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 20.4.2021, Ra 2021/19/0096, mwN).
11 Es entspricht zudem der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die Asylbehörden in der Beweiswürdigung den realen Hintergrund der vom Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte in ihre Überlegungen einzubeziehen und die Glaubwürdigkeit seiner Behauptungen auch im Vergleich zur einschlägigen Berichtslage zu messen haben. Bei den von Amts wegen zu treffenden Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern haben die Asylbehörde und das Verwaltungsgericht von den zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten Gebrauch zu machen und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einzubeziehen (vgl. VwGH 30.10.2020, Ra 2020/19/0298, mwN).
12 Das BVwG gelangte nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffte, und nach einer Auseinandersetzung mit dem individuellen Fluchtvorbringen des Revisionswerbers im Rahmen seiner Beweiswürdigung zum Ergebnis, dass sich das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers als nicht glaubwürdig erweise. Dabei stützte es sich - auch unter Heranziehung aktueller Länderberichte - beweiswürdigend auf Widersprüche in den Aussagen des Revisionswerbers in verschiedenen Verfahrensstadien sowie auf Steigerungen im Fluchtvorbringen.
Dass das BVwG diese Beweiswürdigung in unvertretbarer Weise vorgenommen hätte, vermag die Revision nicht darzutun.
13 Zum Vorbringen des Revisionswerbers, das BVwG habe die Begründungspflicht verletzt, weil es auf die Beweiswürdigung des BFA verwiesen habe, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG zu verweisen, wonach diese Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in der Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Demnach ist in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts gefordert, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 2.11.2021, Ra 2019/19/0062, mwN).
14 Im vorliegenden Fall hat sich das BVwG in seiner Beweiswürdigung zunächst den Ausführungen des BFA angeschlossen sowie in weiterer Folge dessen Argumentation angeführt und hiezu Konkretisierungen vorgenommen. Ausgehend davon ist nicht ersichtlich, dass das BVwG gegen die in der Rechtsprechung festgelegten Leitlinien zur Begründungspflicht verstoßen hätte.
15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 12. Jänner 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021190350.L00Im RIS seit
04.02.2022Zuletzt aktualisiert am
10.02.2022