Index
E3L E19103010Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, über die Revision des M S, vertreten durch Mag. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Februar 2020, W195 2205802-1/7E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Volksrepublik Bangladesch, stellte am 29. Juni 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Diesen Antrag begründete er im Wesentlichen damit, dass gegen ihn eine Beschwerde bei der Polizei eingebracht worden sei, nachdem man ihn bei homosexuellen Handlungen entdeckt habe, und er somit aufgrund seiner sexuellen Orientierung (auch) staatlich verfolgt werde.
2 Mit Bescheid vom 29. Juni 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen vom Revisionswerber erhobene Beschwerde nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Zu den Lebensumständen des Revisionswerbers in Österreich stellte das BVwG in diesem Erkenntnis u.a. fest, er sei hier „mit einem bengalischen Jungen zusammen“ und habe „behaupteter maßen“ mit mehreren verschiedenen Männern Geschlechtsverkehr.
5 Unter den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Revisionswerbers führte es zunächst aus, dass dieser sich „in Österreich als homosexueller Mensch geoutet“ habe. Weiters stellte es - u.a. mit der Formulierung „Festgestellt wird, dass der BF behauptet, ...“ - das Vorbringen des Revisionswerbers zu homosexuellen Erfahrungen im Herkunftsstaat, Gesprächen darüber mit seinen Eltern und Beleidigungen in seinem Heimatort fest.
6 In der Folge wurde festgestellt, dass „nach Aussage des BF“ am 10. März 2017 ein näher geschilderter Vorfall stattgefunden habe, bei dem der Revisionswerber mit seinem Freund in den Maschinenraum einer Bewässerungsanlage gewaltsam eingebrochen sei und dort vom Besitzer bei sexuellen Handlungen betreten worden sei. Dieser habe deswegen „eine G.D veranlasst“ (nach dem Akteninhalt offenbar gemeint: eine Anzeige bei der Polizei - führend zu einem Eintrag im „General Diary“ - erhoben). Der Revisionswerber sei zunächst mit seinem Freund zu dessen Familie geflohen und in der Folge - weil der Freund nach Saud-Arabien gehen habe wollen und eine Beziehung daher nicht aussichtsreich gewesen sei - schlepperunterstützt nach Europa gelangt.
7 „Zusammenfassend“ wurde schließlich festgestellt, dass der Revisionswerber am 10. März 2017 „nach eigenen Angaben“ einen Einbruch in den Maschinenraum einer Reisbewässerungsanlage mit vorsätzlicher Sachbeschädigung verübt habe und - als er vom Besitzer gestellt worden sei - geflohen sei.
8 Festgestellt wurde weiters, dass der Revisionswerber „ein behauptetes G.D.“ vom 25. Juni 2017 - in der der Vorfall vom 10. März 2017 geschildert werde - und ein weiteres „behauptetes G.D.“ vom 24. Mai 2017 (nach dem Akteninhalt: 2018) gegen den Vater des Revisionswerbers vorgelegt habe, in dem dieser vom Besitzer der Bewässerungsanlage angezeigt worden sei, weil die beiden wegen des Vorfalles vom 10. März 2017 eine Auseinandersetzung im Basar gehabt hätten.
9 Abschließend traf das BVwG eine Negativfeststellung dazu, dass der Revisionswerber im Fall einer Rückkehr in sein Herkunftsland „aufgrund seiner behaupteten sexuellen Orientierung“ unmittelbaren Bedrohungen ausgesetzt wäre.
10 Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch betreffend sexuelle Orientierung und Geschlechteridentität (SOGI) stellte das BVwG u.a. Folgendes fest:
„Homosexuelle Handlungen sind illegal und können nach § 377 des ‚Bangladesh Penal Code, 1860‘ (BPC) mit einer Haftstrafe von bis zu zehn Jahren, inklusive der Möglichkeit einer Geldstrafe bestraft werden (...). Gerichtsverfahren oder Verurteilungen von Homosexuellen sind allerdings nicht bekannt (...). Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft (Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender und Intersex) berichteten, dass die Polizei das Gesetz als Vorwand benutzt, um LGBTI-Personen sowie feminine Männer unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, zu schikanieren (...).
Homosexualität ist gesellschaftlich absolut verpönt und wird von den Betroffenen nicht offen gelebt. Wo Homosexuelle als solche erkannt werden, haben sie mit gesellschaftlicher Diskriminierung, in Einzelfällen auch mit Misshandlungen bis hin zum Mord zu rechnen (...). Jedes Jahr wird über dutzend Angriffe auf Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft berichtet (...); diese bleiben meist straflos (...).“
11 Beweiswürdigend führte das BVwG aus, dass der Revisionswerber sein Fluchtvorbringen, „wegen seiner Homosexualität in Bangladesch verfolgt worden zu sein, und deshalb behördlichen Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen zu sein,“ nicht glaubhaft machen habe können.
12 Es sei nicht glaubhaft, dass er in seiner Jugend eine Vorliebe für weibliche Kleidung und Kosmetikartikel entwickelt habe. Er sei in der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG zwar geschminkt mit Lippenstift und roten Fingernägeln an einer Hand erschienen, dies sei aber keinerlei Beweis für die sexuelle Orientierung eines Menschen, sondern erscheine als ein verkrampfter Versuch einer Inszenierung vor Gericht, um damit eine behauptete Homosexualität zu untermauern.
13 Hingegen werde die Aussage eines vom Revisionswerber namhaft gemachten Zeugen - mit näherer Begründung - durchaus als glaubwürdig angesehen. Das BVwG würdige dessen ernsthaften Zugang zur Wahrheitsfindung, indem es die Darstellung, dass der Revisionswerber sich in Österreich als homosexueller Mensch geoutet habe, als glaubwürdig ansehe.
14 Zum fluchtauslösenden Ereignis vom 10. März 2017 erwog das BVwG zusammengefasst, dass die Anzeigen („G.D.“) des Besitzers der Bewässerungsanlagen „durchaus“ allein auf die Tatsache zurückzuführen sein könnten, dass der Revisionswerber in den Maschinenraum eingebrochen sei. Dem Besitzer wäre kein Vorwurf zu machen, wenn er nicht wollte, dass jemand in den Maschinenraum, welcher zur notwendigen Bewässerung der Reisfelder vorhanden sei, einbreche, um sich dort mit seinem Freund sexuell zu vergnügen. Ein Einbruch und eine vorsätzliche Sachbeschädigung wären auch in Österreich strafbar, und die Anzeige eines derartigen Vorfalles sei keine asylrelevante Verfolgung. Dass der Besitzer des Maschinenraumes diese Straftat - samt Begleiterscheinungen - anzeige, sei verständlich, insbesondere wenn die Begründung für diese Straftat den Wunsch nach Ausführung homosexueller Handlungen beinhalte, welche der Besitzer offensichtlich nicht goutiere.
15 Ansonsten habe der Revisionswerber einen Zeitraum von insgesamt zumindest zehn Jahren geschildert, in denen er seine homosexuellen Neigungen in Bangladesch ausleben habe können, ohne einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein.
16 Abgesehen davon seien aus weiteren näher dargestellten Gründen auch die vom Revisionswerber im Verfahren getätigten Angaben betreffend seine Lebensumstände in Bangladesch (als homosexuell orientierter Mann) erheblich in Zweifel zu ziehen, womit im Ergebnis auch nicht festgestellt werden habe können, dass der Revisionswerber - wie von ihm als Kern seines Fluchtvorbringens vorgebracht - in Bangladesch ein Leben als heimlich homosexuell orientierter Mann geführt habe.
17 Im Ergebnis habe der Revisionswerber mit seinen Angaben den Eindruck erweckt, auf Grundlage der vorherrschenden - vom BVwG nicht verkannten, schwierigen - Situation für Homosexuelle in Bangladesch eine ihn individuell, konkret betreffende Verfolgungsgefährdung konstruieren zu wollen, insbesondere, weil er eine Straftat (vorsätzlicher Einbruch und Sachbeschädigung) begangen habe.
18 Auch die Teilnahme an bestimmten Veranstaltungen in Österreich könne eine homosexuelle Orientierung des Revisionswerbers allein für sich genommen nicht belegen. Allerdings sei dem Revisionswerber auf Grund der Aussage des von ihm namhaft gemachten Zeugen zuzugestehen, dass er sich in Österreich als homosexueller Mann geoutet habe.
19 Zur allgemeinen Lage im Herkunftsland hielt das BVwG in der Beweiswürdigung u.a. fest, dass es nicht verkenne, dass unter Berücksichtigung der diesbezüglich herangezogenen Berichte nicht ausgeschlossen werden könne, dass Homosexuelle in Bangladesch etwaigen Diskriminierungen ausgesetzt seien, und verwies zur (mangelnden) Asylrelevanz dieser Diskriminierungen auf seine rechtliche Beurteilung.
20 Zusammengefasst gehe das BVwG davon aus, dass der Revisionswerber sich einer Bestrafung wegen einer - nicht asylrelevanten - Straftat in Bangladesch zu entziehen versuche. Selbst unter Zugrundelegung einer bestehenden Homosexualität des Revisionswerbers sei keine andere Entscheidung zu treffen, zumal keine konkrete strafrechtliche Gefährdung für Menschen dieser Ausrichtung im Herkunftsland bestehe, sondern lediglich eine mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz in manchen Bevölkerungsschichten. Dies gehe Hand in Hand mit den Ausführungen des Revisionswerbers, der von sich selbst behauptet habe, seit vielen Jahren diverse homosexuelle Beziehungen in Bangladesch geführt zu haben und dass eine solche sexuelle Orientierung auch - durch eine markante Fußbemalung - ohne Nachteile öffentlich gemacht werden könne.
21 In rechtlicher Hinsicht erwog das BVwG zur Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten, dass es dem Revisionswerber nicht gelungen sei, eine in seinem Herkunftsstaat bestehende konkrete und asylrelevante Bedrohungssituation für seine Person glaubhaft zu machen. Seine Verfolgung resultiere allenfalls aus der Begehung einer vorsätzlichen Straftat („Einbruch“, Sachbeschädigung), die mit seiner behaupteten Homosexualität in keinem direkten Zusammenhang stehe.
22 „Der Vollständigkeit halber“ sei im Hinblick auf die Frage einer in Bangladesch für homosexuell orientierte Männer generell bestehenden Verfolgungsgefährdung auf die in der Judikatur aufgestellten Vorgaben betreffend die Asylrelevanz einer Kriminalisierung homosexueller Handlungen zu verweisen. Die diesbezügliche in den Länderfeststellungen dargestellte und vom Revisionswerber geschilderte Lage in Bangladesch erreiche - näher begründet - nicht die Intensität asylrechtlicher Verfolgung. Darüber hinaus sei Homosexualität in Bangladesch zwar verpönt und es komme in Einzelfällen auch zu Diskriminierungen und Misshandlungen. Dieses (gesellschaftliche) Diskriminierungspotential erreiche jedoch nicht ein Ausmaß, dass davon auszugehen wäre, dass bereits jeder in Bangladesch lebende homosexuell orientierte Mann mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung zu fürchten hätte.
23 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit näher begründet unter anderem vorbringt, das BVwG sei von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen sowie zur notwendigen Auseinandersetzung mit vorgelegten Beweismitteln abgewichen.
24 Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
25 Die Revision ist aus den von ihr genannten Gründen zulässig und begründet.
26 Vorweg ist festzuhalten, dass eine Verfolgung von Homosexuellen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die wiederum auf Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union Bezug nimmt, Asyl rechtfertigen kann. Es wurde auch bereits ausgesprochen, dass von einem Asylwerber nicht erwartet werden kann, seine Homosexualität im Herkunftsstaat geheim zu halten, um eine Verfolgung zu vermeiden (vgl. VwGH 23.2.2021, Ra 2020/18/0500, mwN auch aus der Judikatur des EuGH).
27 Gemäß § 29 Abs. 1 VwGVG sind die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtes zu begründen. Diese Begründung hat, wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Demnach sind in der Begründung eines Erkenntnisses die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte zudem (nur) dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgebenden Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 21.2.2019, Ra 2018/09/0031, mwN).
28 Für das Vorliegen einer ordnungsgemäß begründeten verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ist die bloße Zitierung von Beweisergebnissen - wie hier etwa in der Form der Feststellung von „Behauptungen“ des Revisionswerbers - weder erforderlich noch hinreichend. Lässt eine Entscheidung die Trennung der Begründungselemente in einer Weise vermissen, dass die Rechtsverfolgung durch die Partei oder die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird, dann führt ein solcher Begründungsmangel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung schon aus diesem Grund. Gleiches gilt, wenn eine solche maßgebliche Beeinträchtigung sonst in einem Mangel an Klarheit bzw. Übersichtlichkeit der Zusammenfassung iSd § 60 AVG gründet (vgl. VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076).
29 Zur entscheidungsrelevanten Frage der Homosexualität des Revisionswerbers stellt das BVwG - wie oben dargestellt - einerseits dessen Outing „in Österreich“ fest, und dass er hier „mit einem bengalischen Jungen zusammen“ sei, geht aber letztlich nur von einer „behaupteten“ sexuellen Orientierung aus. Die weiteren Feststellungen zu „Behauptungen“ des Revisionswerbers, oder zu Sachverhalten, die sich „behaupteter maßen“ oder „nach Aussage“ des Revisionswerbers ereignet haben sollen, stellen letztlich nur eine Wiedergabe dessen Vorbringens dar und lassen für sich nicht erkennen, ob das BVwG vom Vorliegen dieser Tatsachen überzeugt ist oder nicht und diese der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt hat.
30 Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtet das BVwG dann die vorgebrachte Verfolgung „wegen seiner Homosexualität“ als nicht glaubhaft und scheint die Schilderung des Revisionswerbers, wonach er seine homosexuellen Neigungen in Bangladesch (jahrelang, ohne verfolgt zu werden) ausleben habe können, seiner Entscheidung zu Grunde zu legen. Es erachtet aber das Vorbringen, wonach der Revisionswerber in Bangladesch ein Leben als heimlich homosexuell orientierter Mann geführt habe, als unglaubwürdig. Das BVwG führt an, dass bestimmte Umstände eine homosexuelle Orientierung nicht belegen könnten, und sieht sich schließlich im Rahmen seiner rechtlichen Erwägungen zu einer Alternativbegründung „selbst unter Zugrundelegung einer bestehenden Homosexualität“ veranlasst - geht also offenbar von einer nicht gegebenen homosexuellen Orientierung aus. Dem Erkenntnis ist somit auch in Zusammenschau der Erwägungsteile nicht in der erforderlichen Klarheit zu entnehmen, ob das BVwG von einer Homosexualität des Revisionswerbers ausgeht und diesen Umstand seiner Entscheidung zugrunde legt oder nicht, was eine nachprüfende Kontrolle dieses Begründungsstranges des Erkenntnisses durch den Verwaltungsgerichtshof verunmöglicht.
31 Aber auch die Alternativbegründung des BVwG, wonach „selbst unter Zugrundelegung einer bestehenden Homosexualität“ keine asylrelevante Verfolgung anzunehmen sei, kann die Entscheidung ohne Auseinandersetzung mit der individuellen Situation des Revisionswerbers und seinem Verfolgungsvorbringen nicht alleine tragen.
32 Nach den vom BVwG getroffenen Feststellungen, wonach Homosexualität in Bangladesch gesellschaftlich absolut verpönt sei und von den Betroffenen nicht offen gelebt werden könne, bei Bekanntwerden dies nicht nur zu gesellschaftlicher Diskriminierung führe, sondern auch mit Misshandlungen bis hin zum Mord zu rechnen sei und jedes Jahr über dutzend Angriffe auf Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft berichtet würden, die meist straflos blieben, kann dem Vorbringen des Revisionswerbers, anders als das BVwG meint, nicht von vornherein jegliche Asylrelevanz abgesprochen werden (vgl. VwGH 26.1.2021, Ra 2020/14/0122; in diesem Sinne auch VwGH 14.4.2021, Ra 2020/18/0126, und VwGH 23.2.2021, Ra 2020/18/0500). Die Frage der drohenden Verfolgung des Revisionswerbers wird auf Basis gesicherter Feststellungen zu seiner individuellen Situation vor dem Hintergrund dieser Länderfeststellungen zu beurteilen sein.
33 Soweit das BVwG die vorgebrachten Strafanzeigen („G.D.“) als legitime, von der sexuellen Orientierung des Revisionswerbers unabhängige Strafverfolgung beurteilt, lässt es eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit den vorgelegten Beweismitteln vermissen. So bezieht es sich diesbezüglich zwar auf die vorgelegten Urkunden (Kopien der G.D. samt beglaubigten Übersetzungen ins Englische), lässt dabei aber allerdings - durch die fallweise Bezeichnung als „behauptete G.D.“ - offen, ob es von deren Echtheit und Richtigkeit ausgeht und gegebenenfalls, warum nicht. Legt man dem Sachverhalt aber diese Urkunden zu Grunde, so müsste sich das BVwG zur Nachvollziehbarkeit seiner oben dargestellten Schlussfolgerungen auch damit befassen, dass in den G.D. nicht nur mehrmals ausdrücklich auf die Homosexualität des Revisionswerbers und seine homosexuellen Handlungen Bezug genommen wird, sondern jenes vom 25. Juni 2017 auch mit dem Begehren des Anzeigers schließt, dass dem Revisionswerber „eine solche böse Sache“ nicht nur im Maschinenraum sondern auch sonst in dieser Gegend untersagt werden möge.
34 Da das BVwG im Fall eines mängelfreien Verfahrens zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war das angefochtene Erkenntnis - zur Gänze, weil die rechtlich von der das Begehren auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abweisenden Entscheidung abhängenden Aussprüche ihre Grundlage verlieren - schon aus den dargestellten Gründen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Vorbringen in der Revision einzugehen war.
35 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 13. Jänner 2022
Gerichtsentscheidung
EuGH 62012CJ0199 VORABEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020140214.L00Im RIS seit
04.02.2022Zuletzt aktualisiert am
10.02.2022