Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. K*, 2. E*, beide vertreten durch Dr. Harald Hauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei D*, vertreten durch Mag. Stefano Alessandro, Rechtsanwalt in St. Andrä-Wördern, wegen Unterlassung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 2. Juni 2021, GZ 21 R 59/21s-22, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Tulln vom 3. Februar 2021, GZ 2 C 390/20i-18, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagenden Parteien haben die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Begründung:
[1] Den Klägern steht ein verbüchertes Wohnungsgebrauchsrecht an einer im Eigentum ihres Sohnes – dem ehemaligen Ehegatten der Beklagten – stehenden Liegenschaft zu. Das Wohnungsgebrauchsrecht umfasst das auf der Liegenschaft errichtete Wohnhaus und die Alleinbenützung des Gartens. Auf der Liegenschaft befindet sich auch die Schuhmacherwerkstatt des Sohnes, die über einen sogenannten Kundeneingang erreicht werden kann. Über diesen Kundeneingang betrat die Beklagte am 30. 4. 2020 ohne Einverständnis der Kläger die Liegenschaft, um ihre beiden Kinder aus der Ehe mit dem Sohn der Kläger abzuholen. Dabei war der Beklagten aufgrund des Verhaltens der anwesenden Kläger und deren Sohnes deutlich und klar erkennbar, dass ihre Anwesenheit auf der Liegenschaft nicht erwünscht war.
[2] Das Berufungsgericht verpflichtete die Beklagte, das Betreten dieser Liegenschaft zu unterlassen. Ausgehend von der Feststellung, wonach die Beklagte (weiterhin) die Rechtsansicht vertrete, es könnte Gründe geben, aus denen ihr das Betreten der Liegenschaft rechtlich erlaubt sei, etwa weil sich ihre Kinder dort aufhielten, sei die Wiederholungsgefahr geradezu evident. Auch dass die Beklagte im Prozess noch den Standpunkt vertreten habe, zu der beanstandeten Handlung berechtigt gewesen zu sein, spreche gegen die Ernstlichkeit ihrer Absicht, die Liegenschaft nicht neuerlich zu betreten.
[3] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht nachträglich über Antrag der Beklagten gemäß § 508 ZPO für zulässig erklärt, weil zu klären sei, inwieweit unter dem Gesichtspunkt des Art 8 EMRK der Beklagten generell oder etwa nur in Notfällen bzw bei Gefahr in Verzug zur Wahrung ihrer aus der Obsorge ergebenden Fürsorgepflichten ein Betreten des Grundstücks der Kläger nicht untersagt werden könne.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die von den Klägern beantwortete Revision der Beklagten ist entgegen dem – nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[5] 1. Nach ständiger Judikatur setzt der Unterlassungsanspruch eine Unterlassungspflicht und die Gefahr, dass dieser zuwidergehandelt wird, voraus (RS0037660). Hat der Beklagte bereits gegen diese Unterlassungspflicht verstoßen, so hat er die Umstände zu behaupten und zu beweisen, aus denen sich gewichtige Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er gewillt ist, von künftigen Störungen Abstand zu nehmen (RS0037661; RS0012087). Dabei kommt es bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr nicht nur auf die Art des erfolgten Eingriffs, sondern auch auf die Willensrichtung des Täters an, für die insbesondere auch sein Verhalten nach der Beanstandung oder während des Rechtsstreits wichtige Anhaltspunkte bieten kann (RS0079692). Die Wiederholungsgefahr ist auch dann aufrecht, wenn der Beklagte im Prozess – wie hier – seine Unterlassungspflicht bestreitet und keine Gewähr dafür besteht, dass er Eingriffe in absehbarer Zeit unterlässt (RS0012055).
[6] 2. Die Beklagte steht nun offenbar auf dem Standpunkt, ihr dürfte das Betreten der Liegenschaft ihres ehemaligen Ehegatten gar nicht untersagt werden, weil ihr jedenfalls dann, wenn sich ihre (minderjährigen) Töchter dort aufhielten, nach Art 8 EMRK das Recht zukomme, die Liegenschaft ohne Zustimmung des Eigentümers bzw der dinglich berechtigten Kläger zu betreten.
[7] Dabei verkennt die Beklagte allerdings, dass dem von ihr in Anspruch genommenen Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens Grundrechte der Kläger gegenüberstehen, die ihrerseits ebenfalls auf Art 8 EMRK und insbesondere auch auf der Unverletzlichkeit des Eigentums nach Art 5 StGG und Art 1 1. ZPEMRK gründen. In einem solchen Fall geht die Rechtsprechung von einer grundrechtlich verankerten Pflicht zur umfassenden Interessenabwägung aus (vgl RS0116695). Eine Überspannung des Schutzes der Persönlichkeitsrechte würde zu einer unerträglichen Einschränkung der Interessen anderer und jener der Allgemeinheit führen; es bedarf vielmehr einer Wertung, bei welcher dem Interesse am gefährdeten Gut stets auch die Interessen der Handelnden und die der Allgemeinheit gegenübergestellt werden müssen (RS0008990).
[8] Eine solche Interessenabwägung lässt die Argumentation der Beklagten völlig außer Acht. Art 8 EMRK verschafft ihr jedenfalls nicht das Recht, die fremde Liegenschaft (unabhängig von einer Interessenabwägung) immer dann zu betreten, wenn sich ihre Kinder zu Besuch bei den väterlichen Großeltern aufhalten. Die Beklagte vermag damit keine Bedenken an dem vom Berufungsgericht geschaffenen Unterlassungstitel zu wecken.
[9] Daran ändert auch ihr Rückgriff auf Duldungspflichten des Grundeigentümers in Bezug auf das Tierverfolgungsrecht nach § 384 ABGB nichts: Selbst ein in Analogie dazu gewährtes allgemeines Sachverfolgungsrecht verlangt nach herrschender Lehre außer bei Gefahr im Verzug die Einholung der Zustimmung des Grundeigentümers (vgl Holzner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 384 ABGB Rz 4 mwN).
[10] 3. Mit ihrem Einwand, dass ihr auch im Notfall, etwa wenn sie ihre Kinder auf der Liegenschaft weinen und nach ihr rufen hören würde, das Betreten der Liegenschaft unter „exekutiven, bis hin zu drakonischen Sanktionen“ verboten wäre, ist die Beklagte auf das Exekutionsverfahren zu verweisen:
[11] Grund für eine Exekution nach § 355 EO kann nämlich nur ein Verhalten bilden, das schuldhaft, also zumindest fahrlässig gesetzt wurde (RS0085147). Der Verpflichtete kann daher die Exekutionsbewilligung bekämpfen oder die Aufhebung eines Strafbeschlusses mit Impugnationsklage namentlich dann erreichen, wenn er im Prozess dartut, ein Unterlassungsgebot ohne jedes Verschulden verletzt zu haben (RS0107694). Der Verpflichtete muss dabei alles Zumutbare unternehmen, um die titulierte Verpflichtung erfüllen zu können. (Nur) Wenn er dem nachkam, kann er sich darauf berufen, ohne jedes Verschulden dem Exekutionstitel zuwider gehandelt zu haben (3 Ob 1/18w mwN).
[12] Die Beklagte kann die Fällung eines Unterlassungsurteils daher nicht mit dem Hinweis darauf verhindern, dass ein Zuwiderhandeln gegen den Titel in Ausnahmefällen nicht vorliegen bzw nicht schuldhaft sein könnte. Ihren in gewissen Situationen gegenüber dem Unterlassungsanspruch der Kläger allenfalls höherrangigen Interessen als obsorgeberechtigte Mutter wäre im Zusammenhang mit dem Exeutionsverfahren Rechnung zu tragen.
[13] 4. Insgesamt gelingt es der Beklagten daher nicht, eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen, sodass die Revision zurückzuweisen ist.
[14] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Kläger haben auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen und nicht deren Zurückweisung beantragt. Ihre Rechtsmittelbeantwortung war damit nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig, weshalb ihnen kein Kostenersatz zusteht (RS0035979; RS0035962).
Textnummer
E133704European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0080OB00121.21H.1129.000Im RIS seit
04.02.2022Zuletzt aktualisiert am
04.02.2022