Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 19. Jänner 2022 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gitschthaler als weiteren Richter sowie die Rechtsanwälte Dr. Strauss und Dr. Stortecky als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Frisch in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in * wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Kammeranwalts der Niederösterreichischen Rechtsanwaltskammer wegen Strafe gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Niederösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 14. September 2020, AZ D 26/11, 26/18–TZ 52, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Janda, des Kammeranwalts Dr. Winiwarter, des Beschuldigten und seiner Verteidiger Dr. Nagl und Mag. Krakow zu Recht erkannt:
Spruch
In teilweiser Stattgebung der Berufung wird über * neben der unverändert bleibenden Disziplinarstrafe der – für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen – Disziplinarstrafe der Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer von einem Jahr eine Geldbuße von 10.000 Euro als Zusatzstrafe unter Bedachtnahme auf die Erkenntnisse des Disziplinarrats der Niederösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 9. März 2015 zu AZ D 27/13, vom 9. März 2015 zu AZ D 25/11 und vom 11. Juni 2018 zu AZ D 11/17 verhängt.
Dem Beschuldigten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen, auch einen rechtskräftigen Freispruch beinhaltenden Erkenntnis wurde der Beschuldigte [richtig:] der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt.
[2] Danach hat er „als Bestimmungs- oder Beitragstäter bewirkt, dass das Vermögen der * GmbH von zumindest 14. Februar 2008 bis Ende 2009 wirklich verringert wurde und dadurch die Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft, nämlich der * und zumindest 49 anderer Gläubiger laut Anmeldeverzeichnis im Konkursverfahren des Handelsgerichts Wien, AZ *, vereitelt oder geschmälert, sodass danach über das vorgenannte Unternehmen am 11. Februar 2010 der Konkurs eröffnet und die Gesellschaft aufgelöst werden musste, indem der geschäftsführende Gesellschafter dieses Unternehmens auf Druck unter anderem des Disziplinarbeschuldigten im Jahr 2009 sämtliche Einnahmen aus diversen Catering- und Eventveranstaltungen auf ein vom Disziplinarbeschuldigten parallel zum Firmenkonto eingerichtetes Konto überweisen musste, was dazu geführt hat, dass offene Raten des Ausgleichs, in der Folge auch Forderungen anderer Gläubiger, nicht mehr befriedigt werden konnten und auf Antrag der * schließlich das Konkursverfahren über das Vermögen des Unternehmens eröffnet wurde“.
[3] Der Disziplinarrat sprach gemäß § 16 Abs 1 Z 3 DSt die Disziplinarstrafe der Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer eines Jahres aus, welche unter Bestimmung einer Probezeit von einem Jahr bedingt nachgesehen wurde (§ 16 Abs 2 DSt), und verhängte zudem unter Bedachtnahme auf die Erkenntnisse des Disziplinarrats der Niederösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 9. März 2015 zu AZ D 27/13, vom 9. März 2015 zu AZ D 25/11 und vom 11. Juni 2018 zu AZ D 11/17 gemäß § 16 Abs 3 DSt eine Geldbuße in Höhe von 5.000 Euro als Zusatzstrafe über den Disziplinarbeschuldigten.
Rechtliche Beurteilung
[4] Den in der angefochtenen Entscheidung getroffenen Feststellungen ist zu entnehmen, dass gegen * wegen des den angelasteten Disziplinarvergehen zugrunde liegenden Sachverhalts zu AZ * des Landesgerichts für Strafsachen Wien (AZ * der Staatsanwaltschaft Wien) ein Strafverfahren geführt wurde, in welchem er mit – seit 19. Mai 2020 rechtskräftigem (s dazu 12 Os 42/19x sowie AZ * des Oberlandesgerichts Wien) – Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 17. September 2018, GZ *, des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 StGB iVm § 161 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Der Disziplinarrat folgte bei Feststellung der Sachverhaltsgrundlage den – als schlüssig und richtig beurteilten – Konstatierungen des Strafgerichts im verurteilenden Erkenntnis.
[5] Das – mit Beschluss vom 10. Dezember 2012 eingeleitete (ON 14 der D-Akten) Disziplinarverfahren – wurde mit Beschluss vom selben Tag bis zur rechtskräftigen Beendigung des Strafverfahrens unterbrochen (ON 15 der D-Akten).
[6] Die gegen den Strafausspruch gerichtete Berufung des Kammeranwalts, die die Ausschaltung bedingter Nachsicht der Disziplinarstrafe der Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft unter gleichzeitiger Verhängung einer wesentlich höheren Geldstrafe anstrebt, ist hinsichtlich des zweiten Begehrens im Recht.
[7] Der Disziplinarrat wertete bei der Strafbemessung keinen Umstand als erschwerend, als mildernd dagegen das lange Zurückliegen (gemeint:) der inkriminierten Taten und das Wohlverhalten seit den (der letzten Bedachtnahmeverurteilung zugrunde liegenden) Taten sowie die lange Verfahrensdauer.
[8] Zur Strafbemessung sind im anwaltlichen Disziplinarverfahren die entsprechenden Bestimmungen des Strafgesetzbuches (§§ 32 ff StGB) sinngemäß heranzuziehen (RIS-Justiz RS0054839).
[9] Davon ausgehend zeigt die Berufung zutreffend auf, dass – auf Basis der strafgerichtlichen Verurteilung (vgl dazu auch RIS-Justiz RS0056864 sowie S 7 des Erkenntnisses) – sowohl die federführende Beteiligung des Beschwerdeführers an den verfahrensgegenständlichen Malversationen (§ 33 Abs 1 Z 4 StGB) als auch der lange Deliktszeitraum (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) erschwerend hinzutreten, wobei das Gewicht des letztgenannten Strafzumessungsgrundes – auch unter Berücksichtigung der Bedachtnahmeverurteilungen – zudem durch das Zusammentreffen mehrerer Disziplinarvergehen erhöht wird (vgl dazu RIS-Justiz RS0091200).
[10] Demgegenüber ist – entgegen dem Berufungsstandpunkt – nicht von einem einschlägig getrübten Vorleben des Disziplinarbeschuldigten auszugehen, vielmehr sind die vom Disziplinarrat angenommenen Milderungsgründe durch jenen bisheriger Unbescholtenheit zu ergänzen. Denn während die Vorverurteilungen, auf die der Disziplinarrat rechtsrichtig Bedacht genommen hat (§ 16 Abs 5 DSt, § 31 StGB; vgl dazu Ratz in WK² StGB § 31 Rz 5), nicht erschwerend sind (RIS-Justiz RS0090773), sind die davor liegenden Schuldsprüche zu D 118/91, 226/93 der Rechtsanwaltskammer Wien und zu D 7/03 der Niederösterreichischen Rechtsanwaltskammer getilgt, weil die mit dem letztgenannten Erkenntnis verhängte Geldbuße am 27. Mai 2005 bezahlt wurde, sodass die Frist des § 74 Z 2 DSt bereits verstrichen und keine relevante Verlängerung iSd § 75 DSt eingetreten ist.
[11] Weitere zusätzliche Milderungsgründe kommen dem Disziplinarbeschuldigten – entgegen dessen in der Äußerung zur Berufung des Kammeranwalts vertretenen Auffassung – nicht zugute. Auf Basis der strafgerichtlichen Verurteilung (vgl erneut RIS-Justiz RS0054839) liegen achtenswerte Beweggründe iSd § 34 Abs 1 Z 3 StGB sowie eine untergeordnete Tatbeteiligung iSd § 34 Abs 1 Z 6 StGB gerade nicht vor. Ebensowenig vermag der Disziplinarbeschuldigte als langjähriger Rechtsanwalt und Steuerberater darzutun, dass er die inkriminierten Taten in einem (die Schuld nicht ausschließenden) Rechtsirrtum (§ 34 Abs 1 Z 12 StGB) begangen hat. Soweit er das Vorliegen des Milderungsgrundes nach § 34 Abs 1 Z 11 StGB reklamiert und die Kausalität seines Verhaltens für den Schadenseintritt bei den Gläubigern der * GmbH bestreitet, orientiert sich der Beschuldigte erneut nicht am Schuldspruch (§ 295 Abs 1 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt; vgl Ratz, WK-StPO § 295 Rz 15). Eigene Bereicherung ist kein Tatbestandsmerkmal des § 156 StGB, womit eine entsprechende Täterintention zwar erschwerend ins Gewicht fallen würde, deren Fehlen sich aber nicht mildernd auswirkt.
[12] Unter Berücksichtigung der solcherart korrigierten Strafbemessungsgründe sowie der den Bedachtnahmeverurteilungen zugrunde liegenden Vorwürfe zeigt die Berufung zutreffend auf, dass die vom Disziplinarrat verhängten Sanktionen dem hohen Tatunrecht sowie der Täterschuld nicht ausreichend Rechnung tragen. Insbesondere mit Blick auf den (hinzugetretenen) Milderungsgrund der bisherigen Unbescholtenheit und jenen des § 34 Abs 1 Z 18 StGB ist zwar – entgegen dem Berufungsstandpunkt – anzunehmen, dass die bloße Androhung der Disziplinarstrafe der Untersagung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer einer Probezeit von drei Jahren genügen werde, um den Disziplinarbeschuldigten von weiteren Disziplinarvergehen abzuhalten (§ 16 Abs 2 DSt), jedoch wäre die Verhängung einer – den Einkommens- und Vermögensverhältnissen entsprechenden – Geldbuße von 15.000 Euro als Zusatzstrafe angemessen gewesen.
[13] Die (großteils) nicht vom Disziplinarbeschuldigten zu vertretende, in der angefochtenen Entscheidung zutreffend als mildernd gewertete (vgl dazu Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 23 DSt Rz 3) unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer von etwa 10 Jahren (Art 6 Abs 1 MRK, § 34 Abs 2 StGB) war jedoch durch Milderung der an sich gebotenen Geldbuße um 5.000 Euro auszugleichen und – in teilweiser Stattgebung der Berufung – nach § 16 Abs 1 Z 2, Abs 3 DSt eine Geldbuße in Höhe von 10.000 Euro als Zusatzstrafe zu verhängen.
[14] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.
Textnummer
E133698European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0280DS00001.21T.0119.001Im RIS seit
04.02.2022Zuletzt aktualisiert am
04.02.2022