Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr.
Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Insolvenzsache der Schuldnerin S***** GmbH, *****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Insolvenzverwalters Hon.-Prof. Dr. Axel Reckenzaun, Rechtsanwalt in Graz, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 1. Juli 2021, GZ 3 R 84/21d-21, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Text
Begründung:
[1] Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens sind Sicherungsmaßnahmen gemäß § 78 IO, die sich gegen die Geschäftsführerin der Schuldnerin richten und deren Privatvermögen betreffen.
[2] Die Schuldnerin ist sowohl im Hinblick auf die beteiligten Personen als auch auf den wirtschaftlichen Hintergrund eng mit einer weiteren Kapitalgesellschaft verwoben. Mit beiden Gesellschaften wurde der gemeinsame Plan verfolgt, in der Region ein großes Pflegeheim in baulich getrennten Abteilungen zu errichten.
[3] Bereits im Jahre 2016 wurde über Eigenantrag ein Sanierungsverfahren über die nunmehrige Schuldnerin und deren Schwestergesellschaft eröffnet, das im Oktober 2017 mit der Bestätigung eines Sanierungsplans endete.
[4] Um die Annahme dieses Sanierungsplans zu erreichen, hatte sich die Geschäftsführerin der Schuldnerin mittels einer Treuhandvereinbarung verpflichtet, den Erlös aus dem beabsichtigten Verkauf zweier privater Liegenschaften zur Erfüllung des Sanierungsplans zur Verfügung zu stellen, darüber hinaus anerkannte sie das Bestehen einer Forderung der nunmehrigen Schuldnerin von 500.000 EUR und verpflichtete sich zur Zahlung dieses Betrags für den Fall, dass der Sanierungsplan anders nicht erfüllt werden könnte. Hintergrund für diese Zugeständnisse war ein anhängiges Strafverfahren gegen die Geschäftsführerin und deren Partner wegen Verdachts der Untreue und der betrügerischen Krida (§§ 153, 156 StGB).
[5] Mit Beschluss vom 15. 3. 2021 eröffnete das Erstgericht über Antrag eines Gläubigers den Konkurs über das Vermögen der Schuldnerin.
[6] In diesem Verfahren beantragte der Insolvenzverwalter unter Berufung auf § 78 Abs 1 IO die Erlassung von Verfügungsverboten bezüglich der nach wie vor im Eigentum der Geschäftsführerin stehenden Liegenschaften, weil diese zur Besicherung eines in Höhe von 1.308.240,18 EUR aufrecht bestehenden Anspruchs der Schuldnerin aus unzulässiger Einlagenrückgewähr dienten. Es sei zwar bereits ein vom Strafgericht angeordnetes Belastungs- und Veräußerungsverbot einverleibt, im Fall seiner Löschung könne die Eigentümerin aber über die Liegenschaften oder über die Hyperocha aus einem anhängigen Versteigerungsverfahren frei verfügen.
[7] Das Erstgericht trug der Geschäftsführerin antragsgemäß auf, ob der genannten Liegenschaft und Liegenschaftsanteile nur mit Zustimmung des Masseverwalters rechtsgeschäftlich zu verfügen; ebenso entzog es ihr die Verfügungsberechtigung über eine bei exekutiver Verwertung der genannten Liegenschaften anfallende Hyperocha; diese Hyperocha müsse an den Masseverwalter ausbezahlt werden.
[8] Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel der Geschäftsführerin Folge und wies den Antrag des Insolvenzverwalters ab. In seiner ausführlichen Begründung kam es zu dem Ergebnis, dass nach § 78 IO Verbote des Insolvenzgerichts gegenüber Dritten, über die in ihrer Gewahrsame befindlichen Massegegenstände nachteilig zu verfügen, zulässig seien. Das Gesetz erlaube aber keine in eigene Rechte Dritter eingreifende Verfügungsverbote. Das Recht, eine eigene Sache zu verkaufen, dürfe das Insolvenzgericht nicht beschränken.
[9] Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs bei einem 30.000 EUR übersteigenden Entscheidungsgegenstand für nicht zulässig, weil seine Begründung sich auf die zitierte eindeutige höchstgerichtliche Rechtsprechung stütze.
Rechtliche Beurteilung
[10] Der außerordentliche Revisionsrekurs des Insolvenzverwalters zeigt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO auf.
[11] 1. Der erkennende Senat hält die maßgeblichen Rechtsausführungen des Rekursgerichts für zutreffend. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a ZPO).
[12] Die im Revisionsrekurs aufgeworfenen Rechtsfragen sind in der bereits vom Rekursgericht ausführlich zitierten Rechtsprechung hinreichend geklärt (vgl RS0120014).
[13] 2. Der Sicherung der Insolvenzmasse nach § 78 Abs 1 IO dient jede Maßnahme, die geeignet ist, schädigende Verfügungen des Schuldners über Massevermögen oder einen Zugriff darauf durch den Schuldner oder durch Dritte zu verhindern.
[14] Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die beantragte Maßnahme betrifft Vermögensstücke, die nicht im Eigentum der Schuldnerin stehen und deren (fehlende) Massezugehörigkeit auch nicht strittig ist. Der Antrag des Insolvenzverwalters zielt vielmehr darauf ab, die Einbringlichkeit einer der Schuldnerin nicht rechtskräftig zuerkannten Geldforderung zu sichern. Dieser Zweck ist von § 78 Abs 1 IO nicht umfasst (vgl 8 Ob 129/04k).
[15] 3. Ein Eingriff in das Eigentumsrecht eines Dritten, der vor Konkurseröffnung Vermögensbestandteile der Masse erworben hat, kann selbst dann nicht auf § 78 IO gegründet werden, wenn die Nichtigkeit des Erwerbsvorgangs und damit ein Anspruch der Masse auf Rückabwicklung behauptet wird (8 Ob 129/04k; vgl auch Konecny, Kein Eingriff durch Sicherungsmaßnahmen gemäß § 78 IO, Zik 2018, 206).
[16] Im hier vorliegenden Fall war die Schuldnerin nie Eigentümerin der betroffenen Liegenschaften. Selbst wenn zu ihrer Finanzierung von der Geschäftsführerin Mittel verwendet wurden, die sie der Schuldnerin durch unzulässige Einlagenrückgewähr entzogen hat, stellen die Liegenschaften auch kein deckungsgleiches Surrogat des Rückforderungsanspruchs der Schuldnerin dar.
[17] 4. Da schon ein Sicherungszweck im Sinn des § 78 Abs 1 IO nicht vorliegt, kommt es auf die im Revisionsrekurs angestellten Überlegungen zum Einfluss der gleichzeitigen Organstellung der Liegenschaftseigentümerin nicht mehr an.
[18] Die Entscheidung des Rekursgerichts steht auch nicht im Widerspruch zu der Entscheidung 8 Ob 85/16g, die einen ganz anderen Sachverhalt zum Gegenstand hatte. Die in dieser Entscheidung als von § 78 IO gedeckt beurteilten Maßnahmen waren auf das Unterlassen von Rechtshandlungen und Willenserklärungen des Geschäftsführers gerichtet, deren Vornahme zu einer Verringerung der Masse geführt hätte. Der erkennende Senat hat in dieser Entscheidung lediglich klargestellt, dass nach § 78 IO nicht nur eine Absicherung gegen faktische masseschädliche Handlungen des Schuldners möglich ist, sondern einem Schuldnergeschäftsführer auch die Ausübung von Rechten untersagt werden kann, sofern die Wirkungen nach § 3 Abs 1 IO im Einzelfall zur Erreichung des Sicherungszwecks nicht ausreichen.
[19] 5. Der Umstand, dass in dem gegen die Geschäftsführerin wegen §§ 153, 156 StGB geführten Strafverfahren zur Sicherung des Verfalls (§ 20 StGB) nach §§ 110, 115 StPO ein Belastungs- und Veräußerungsverbot auf den betroffenen Liegenschaften einverleibt wurde, wirft im Insolvenzverfahren der Gesellschaft keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO auf.
[20] Die – im Unterschied zum Insolvenzverfahren der Schuldnerin – im Strafverfahren bestehende Möglichkeit, zu Sicherstellungszwecken auf das private Vermögen der Geschäftsführerin der Schuldnerin zuzugreifen, ergibt sich aus ihrer Stellung als Beschuldigte.
[21] 6. Nach § 20 Abs 2 StGB erstreckt sich ein Verfallsausspruch auch auf Nutzungen und Ersatzwerte der für verfallen zu erklärenden Vermögenswerte. Für den Fall, dass das Versteigerungsverfahren eine Hyperocha ergibt, kann der Herausgabeanspruch der Geschäftsführerin nach § 115 StPO beschlagnahmt werden, dies auch auf Antrag der geschädigten Person, somit im konkreten Fall der Insolvenzschuldnerin (vgl Tipold/Zerbes in Fuchs/Ratz, WK-StPO § 115, Rz 17 und 21). Die im Revisionsrekurs geäußerte Besorgnis einer rechtlichen Sicherungslücke ist damit nicht begründet.
[22] Sollte es zu einem Schuld- und Verfallsausspruch im Strafverfahren kommen, können rechtskräftig zuerkannte, nicht beglichene Ansprüche der Schuldnerin als Opfer der Straftat gemäß § 373b StPO aus dem Verfallsgegenstand befriedigt werden.
[23] 7. Mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO war der Revisionsrekurs zurückzuweisen.
Textnummer
E133546European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0080OB00098.21A.1022.000Im RIS seit
03.02.2022Zuletzt aktualisiert am
03.02.2022