TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/11 W133 2170215-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.08.2021
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Entscheidungsdatum

11.08.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W133 2170215-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Natascha GRUBER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Afghanistan, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.08.2017, Zl. 1084153402-151177831, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.05.2021 zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX , geboren am XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG. wird festgestellt, dass XXXX , geboren am XXXX , damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

III. Die Spruchpunkte II., III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 25.08.2015 als seinen Angaben zufolge Minderjähriger einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Anlässlich seiner Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 25.08.2015 gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt an, seiner Familie sei es im Iran schlecht gegangen und er habe dort deshalb die Schule nicht besuchen können. Er befürchte im Iran nichts, aber in Afghanistan herrsche Krieg.

Nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zur Altersfeststellung stellte die nunmehr belangte Behörde, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Verfahrensanordnung vom 01.02.2016 das im Spruch genannte Datum als spätestmögliches Geburtsdatum des Beschwerdeführers fest.

Am 16.05.2017 wurde der Beschwerdeführer durch die belangte Behörde einvernommen. Der Beschwerdeführer führte zu seinem Fluchtvorbringen im Wesentlichen aus, sein Vater sei im Krieg in Ghazni getötet worden. Daraufhin sei die Familie mit einem Onkel mütterlicherseits in den Iran gezogen. Im Iran sei er aufgegriffen und verpflichtet worden, nach Syrien in den Krieg zu ziehen. Aus diesem Grund sei er geflohen.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 03.08.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Begründend führte die Behörde im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer keine konkrete Bedrohung in Afghanistan vorgebracht habe. Eine Rückkehr nach Afghanistan und Ansiedlung etwa in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif sei möglich und zumutbar. Es bestehe in Österreich kein schützenswertes Privat- oder Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstünde.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer am 21.08.2017 binnen offener Rechtsmittelfrist vollumfänglich Beschwerde. Darin brachte er im Wesentlichen vor, dass die belangte Behörde dem Umstand, dass er Angehöriger der schiitischen Minderheit der Hazara sei und lediglich die ersten vier Lebensjahre in Afghanistan verbracht habe, nicht angemessen beachtet habe.

Die Beschwerdevorlage an das Bundesverwaltungsgericht erfolgte am 06.09.2017. Das Verfahren wurde der Gerichtsabteilung W173 zugeteilt.

In einer Stellungnahme vom 29.06.2018 gab der Beschwerdeführer bekannt, dass er mittlerweile praktizierender und getaufter Christ sei.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 23.03.2021 wurde das Beschwerdeverfahren der Gerichtsabteilung W173 abgenommen und mit 01.04.2021 der Gerichtsabteilung W133 neu zugewiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 20.05.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari und dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers durch, in welcher der Beschwerdeführer sowie ein Zeuge ausführlich zum Glaubenswechsel des Beschwerdeführers sowie zu seiner Integration in Österreich befragt wurden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Fluchtgründen

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen und wurde spätestens an dem im Spruch angeführten Geburtsdatum geboren. Seine Identität steht nicht zweifelsfrei fest.

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, ursprünglich Angehöriger der schiitischen Glaubensgemeinschaft und bekennt sich nunmehr zum christlichen Glauben. Seine Muttersprache ist Dari.

Der Beschwerdeführer stammt aus der afghanischen Provinz Ghazni, welche er im Alter von etwa vier Jahren verlassen hat. Seitdem lebte der Beschwerdeführer mit seiner Familie im Iran.

Der BF ist strafgerichtlich unbescholten.

Er reiste im August 2015 unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte am 25.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Seitdem hält sich der Beschwerdeführer in Österreich auf.

Seit seiner Einreise hat sich der Beschwerdeführer dauerhaft und aus innerer Überzeugung vom islamischen Glauben abgewandt und bekennt sich seit mittlerweile mehr als zwei Jahren zum christlichen Glauben. Er ist Angehöriger einer protestantischen Freikirche, lebt nach christlichen Werten und lehnt ein Leben nach den Glaubensinhalten des Islam nachhaltig ab. Im Mai 2018 hat sich der Beschwerdeführer taufen lassen. Er sieht es auch als seine Pflicht an, zu missionieren. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan würde der Beschwerdeführer am christlichen Glauben und dessen Ausübung festhalten und wäre nicht dazu bereit, diesen wieder aufzugeben.

Zur Lage im Herkunftsstaat

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan beruhen maßgeblich auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan in der aktualisierten Version 4 vom 11.06.2021, Stand der letzten Kurzinformation 02.08.2021 (LIB).

Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als 0,3% der Bevölkerung aus. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (LIB, Religionsfreiheit).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung. Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung. Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (LIB, Religionsfreiheiheit).

Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Recht zu sprechen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime. Vertreter nicht-muslimischer religiöser Minderheiten, darunter Sikhs und Hindus, berichten über ein Muster der Diskriminierung auf allen Ebenen des Justizsystems (LIB, Religionsfreiheit).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe. Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig. Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (LIB, Religionsfreiheit).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (LIB, Religionsfreiheit).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung. Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung. Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (LIB; Religionsfreiheit).

Apostasie, Blasphemie, Konversion

Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Weder in der afghanischen Verfassung noch im Strafgesetzbuch wird Apostasie erörtert, und daher sollte Apostasie im Einklang mit der Scharia bestraft werden. Eine wichtige Bedingung ist, dass die Ablehnung des Islams und die Konversion freiwillig sein müssen, um als Apostasie zu gelten. Der Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion gilt als Apostasie und ist sowohl nach der sunnitischen Hanafi-Rechtsprechung als auch nach der schiitischen Jafari-Rechtsprechung verboten. Die Scharia sieht die Verhängung der Todesstrafe gegen erwachsene, geistig gesunde Männer vor, die den Islam freiwillig verlassen. Frauen werden sowohl nach der Hanafi- als auch nach der Jafari-Jurisprudenz anders bestraft als Männer, wobei beide die Auspeitschung und Schläge vorschreiben, um sie zur Rückkehr zum Islam zu bewegen (LIB, Apostasie, Blasphemie, Konversion).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen. Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam. Der Islam spielt eine entscheidende Rolle in der afghanischen Gesellschaft und definiert die Auffassung der Afghanen vom Leben, von Moral und Lebensrhythmus. Den Islam zu verlassen und zu einer anderen Religion zu konvertieren bedeutet, gegen die gesellschaftlichen Kerninstitutionen und die soziale Ordnung zu rebellieren (LIB, Apostasie, Blasphemie, Konversion).

Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung „religionsbeleidigende Verbrechen“ verboten ist (LIB, Apostasie, Blasphemie, Konversion).

Christliche Afghanen können ihren Glauben nicht offen praktizieren. Es gibt wenig konkrete Informationen darüber, wie sie ihren Glauben tatsächlich praktizieren; das einzige verfügbare Material, das ihre Situation und Herausforderungen beschreibt, ist bescheiden und anekdotisch. Christliche Afghanen, die sich in der Öffentlichkeit oder über digitale Medien zu ihrem Glauben bekennen, sind ausnahmslos Afghanen, die außerhalb des Landes leben. Es gibt keine Anzeichen für christliche Traditionen, christliche Präsenz oder Kirchengebäude jeglicher Art in Afghanistan. Es gibt derzeit eine einzige offizielle Kirche im Land; die katholische Kirche in der diplomatischen Enklave in Kabul. Nach Angaben von Landinfo sind weder diese Kirche noch die evangelische Kirche für Ausländer in Kabul, die Community Christian Church of Kabul (CCK), für Afghanen zugänglich. Christliche Afghanen müssen ihren Glauben allein oder in kleinen Gemeinschaften in Privathäusern in so genannten Hauskirchen praktizieren (LIB, Apostasie, Blasphemie, Konversion).
Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie; jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertierten, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren. Landinfo argumentiert, dass die größte Bedrohung für einen afghanischen Konvertiten das Risiko ist, dass seine Großfamilie von der Konversion erfährt. Wenn das der Fall ist, wird diese versuchen, ihn oder sie davon zu überzeugen, zum Islam zurückzukehren. Dieser Druck kommt oft von den engsten Familienmitgliedern wie Eltern und Geschwistern, kann aber auch Onkel, Großeltern und männliche Cousins betreffen. Ein Konvertit wird in jeder Hinsicht stigmatisiert: als Repräsentant seiner Familie, Ehepartner, Eltern/Erzieher, politischer Bündnispartner und Geschäftspartner. Weigert sich der Konvertit, zum Islam zurückzukehren, riskiert er, von seiner Familie ausgeschlossen zu werden und im Extremfall Gewalt und Drohungen ausgesetzt zu sein. Einige Konvertiten haben angeblich Todesdrohungen von ihren eigenen Familienmitgliedern erhalten (LIB, Apostasie, Blasphemie, Konversion).

Die afghanische Regierung scheint kein Interesse daran zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen - weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben. Es gibt keine Informationen, die darauf hindeuten, dass sich die Behörden oder der Geheimdienst in besonderem Maße auf die Hauskirchen konzentrieren. Es wurden keine Berichte gefunden, die darauf hindeuten, dass Razzien, Durchsuchungen oder Beschlagnahmungen stattfinden, noch dass Mitglieder dieser Gemeinden zur Befragung vorgeladen oder verhaftet wurden. Es gibt jedoch anekdotische, nicht verifizierte Informationen, dass einige Konvertiten befragt und für mehrere Tage in Gewahrsam genommen wurden. Auch kann es einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIB, Apostasie, Blasphemie, Konversion).

Apostaten haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Apostaten durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (LIB, Apostasie, Blasphemie, Konversion).

Allein der Verdacht, jemand könnte zum Christentum konvertiert sein, kann der Organisation Open Doors zufolge dazu führen, dass diese Person bedroht oder angegriffen wird. Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden. Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren. Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (LIB, Apostasie, Blasphemie, Konversion).

Die dominierende Rolle des Islam schränkt den Zugang zu Informationen über andere Religionen für die in Afghanistan lebenden Afghanen ein. Die Wahrscheinlichkeit, dass Afghanen in Afghanistan das Christentum kennen lernen, ist relativ gering. Normalerweise sind es Afghanen, die im Ausland leben, unter anderem in Pakistan oder im Iran, die mit dem Christentum in Kontakt kommen. In den letzten Jahren jedoch, seit dem Sturz des Taliban-Regimes, ist die internationale Präsenz in Afghanistan beträchtlich und einige Menschen kommen möglicherweise durch ausländische christliche Entwicklungshelfer oder anderes internationales Personal mit dem Christentum in Kontakt. Verschiedene digitale Plattformen haben ebenfalls dazu beigetragen, dass mehr Menschen mit dem Christentum bekannt gemacht werden. Die Bibel wurde sowohl in Dari als auch in Paschtu übersetzt. Es konnten keine Informationen gefunden werden, die darauf hindeuten, dass die Bibel in Afghanistan zum Verkauf steht oder anderweitig auf legalem Wege erhältlich ist. Sie ist jedoch in Pakistan und im Iran erhältlich. Mehrere Ausgaben der Bibel wurden von iranischen Verlagen veröffentlicht und sind, wenn auch in begrenztem Umfang, in gewöhnlichen Buchläden im Iran erhältlich. Mit der zunehmenden Nutzung digitaler Plattformen und sozialer Medien sind Informationen über verschiedene Religionen, einschließlich des Christentums, besser verfügbar als in der Vergangenheit. Die Bibel kann sowohl in Dari als auch in Paschtu kostenlos aus dem Internet heruntergeladen werden, ebenso wie anderes christliches Material (LIB, Apostasie, Blasphemie, Konversion).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt, in die oben genannten Quellen zur Lage im Herkunftsstaat und durch Einvernahme des Beschwerdeführers sowie des Zeugen XXXX im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 20.05.2021.

Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Fluchtgründen

Mangels vorgelegter unbedenklicher Urkunden konnte die Identität des Beschwerdeführers nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Die diesbezüglichen Feststellungen beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers und dienen ausschließlich seiner Identifizierung im Asylverfahren. Ein von der belangten Behörde eingeholtes medizinisches Sachverständigengutachten zur Altersfeststellung ergab das im Spruch angeführte spätestmögliche Geburtsdatum des Beschwerdeführers.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- und ehemaligen Religionszugehörigkeit, zur Muttersprache und zur Herkunft des Beschwerdeführers basieren auf den in diesem Zusammenhang im gesamten Verfahren konsistenten, nachvollziehbaren und damit glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers.

Einreise, Antragstellung und Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ergeben sich aus der Aktenlage und sind unbestritten.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

Der Beschwerdeführer gab zwar noch in der Einvernahme vor der belangten Behörde 16.05.2017 an, er sei muslimischen Glaubens schiitischer Prägung, doch konnte er im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 20.05.2021 nachvollziehbar und ausführlich seinen Weg zum Glaubenswechsel schildern, welcher im Jahr 2016 mit den ersten Besuchen einer christlichen Freikirche XXXX mit einem Freund begann, zu regelmäßigen Besuchen von Bibelstunden und Gottesdiensten in den Jahren 2016 und 2017 führte und schließlich in der Taufe in einer christlichen Freikirche im Mai 2018 mündete. Seitdem nimmt der Beschwerdeführer nach wie vor regelmäßig an Gottesdiensten teil.

Zu seiner Taufe legte der Beschwerdeführer eine Bestätigung vor und demonstrierte im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ein solides Grundwissen zum christlichen Glauben und konnte diesen auch dem Islam gegenüberstellen. Dass der Beschwerdeführer getauft ist, gab auch der im Rahmen der mündlichen Verhandlung befragte Zeuge an zu wissen, wobei er aufgrund des auf die gemeinsame Sportausübung beschränkten Kontakts nicht mehr zur Religiosität des Beschwerdeführers sagen konnte. Er beschrieb den Beschwerdeführer jedoch als hilfsbereiten Menschen, der sich für den Verein viel ehrenamtlich engagiere. Der Beschwerdeführer selbst bezeichnete seine (große) Hilfsbereitschaft als Ausdruck seines Christseins.

Der Beschwerdeführer hinterließ bei seinen Schilderungen zu seinem Verhältnis zu seinem Glauben und der Bedeutung seiner Missionierungstätigkeit einen überzeugenden persönlichen Eindruck, der auf eine tiefgreifende, ernsthafte und identitätsprägende Hinwendung zum Christentum schließen lässt. Er schilderte die erlebte Taufe und seine Erfahrungen beim Missionieren detailreich und lebensnah. Zu seinem sichtbar tätowierten Kreuz gab der Beschwerdeführer an, er habe sich dieses 2019 als Zeichen seines Glaubens tätowieren lassen. Der Beschwerdeführer schilderte weiters nachvollziehbar seinen offenen Umgang mit der eigenen Glaubensüberzeugung, auch gegenüber Muslimen. Er habe auch seiner Mutter von seiner Konversion berichtet, woraufhin diese ihn verstoßen und den Kontakt beendet habe. Vor dem Hintergrund der glaubhaften Angaben zur Bedeutung seines Glaubens war auch nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer nicht bereit wäre, seinen Glauben und seine als Pflicht empfundene Missionierungstätigkeit im Falle einer Rückkehr ohne Weiteres aufzugeben und diesen Bestandteil seiner Identität zu verleugnen.

Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche bieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der herangezogenen Länderinformationen zu zweifeln. Die den Feststellungen zugrundeliegenden Länderberichte sind in Bezug auf die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan aktuell.

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich durch Einsichtnahme in die jeweils verfügbaren Quellen (u.a. laufende Aktualisierung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation) davon versichert, dass zwischen dem Stichtag der herangezogenen Berichte und dem Entscheidungszeitpunkt keine wesentliche Veränderung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan eingetreten ist.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 20.05.2021 wurde dem Beschwerdeführer die Gelegenheit der Stellungnahme zu den Länderinformationen eingeräumt. Sein Rechtsvertreter verwies hierzu auf die Ausführungen in der Beschwerde.

Die herangezogene aktualisierte Version des Länderinformationsblattes hat sich gegenüber der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 20.05.2021 aktuellen Vorgängerversion, soweit es für die Beurteilung des gegenständlichen Falles relevant ist, inhaltlich nicht entscheidungsmaßgeblich geändert.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Es muss objektiv nachvollziehbar sein, dass der Beschwerdeführer im Lichte seiner speziellen Situation und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Herkunftsstaat Furcht vor besagter Verfolgung hat.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 idgF kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die "begründete Furcht vor Verfolgung". Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn objektiver Weise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr. Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Weiters muss sie sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen. Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen stellen im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr dar, wobei hiefür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist. Anträge auf internationalen Schutz sind gemäß § 3 Abs. 3 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn den Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11 AsylG) offen steht (Z.1) oder der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat (Z. 2).

Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG z.B. VwGH 15.3.2001, 99/20/0036; 15.3.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist – wie der Verwaltungsgerichtshof zur GFK judiziert, deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben – nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, 29.03.2001, 2000/-20/0539).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 27.06.1995, 94/20/0836; 23.07.1999, 99/20/0208; 21.09.2000, 99/20/0373; 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 12.09.2002, 99/20/0505; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Abgesehen davon, dass einer derartigen nicht vom Staat sondern von Privatpersonen ausgehenden Bedrohung nur dann Asylrelevanz zuzubilligen wäre, wenn solche Übergriffe von staatlichen Stellen geduldet würden (VwGH vom 11.06.1997, 95/01/0617; 10.03.1993, 92/01/1090) bzw. wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt wäre, diese Verfolgung hintanzuhalten, hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, dass die Asylgewährung für den Fall einer solchen Bedrohung nur dann in Betracht kommt, wenn diese von Privatpersonen ausgehende Verfolgung auf Konventionsgründe zurückzuführen ist (vgl. VwGH vom 30.06.2005, 2002/20/0205; VwGH vom 23.11.2006, 2005/20/0551-6, VwGH-Beschluss vom 29.06.2006, 2002/20/0167-7).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht – unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) – kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 [1996] 73; weiters VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 20.09.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256; VwGH 13.11.2008, Zl. 2006/01/0191).

Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht gemäß § 3 AsylG 1991 setzt positiv getroffene Feststellungen von Seiten der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 11.06.1997, Zl. 95/01/0627). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt im Asylverfahren das Vorbringen des Asylwerbers die zentrale Entscheidungsgrundlage dar. Dabei genügen aber nicht bloße Behauptungen, sondern bedarf es, um eine Anerkennung als Flüchtling zu erwirken, hierfür einer entsprechenden Glaubhaftmachung durch den Asylwerber (vgl. VwGH 04.11.1992, Zl. 92/01/0560). So erscheint es im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht unschlüssig, wenn den ersten Angaben, die ein Asylwerber nach seiner Ankunft in Österreich macht, gegenüber späteren Steigerungen erhöhte Bedeutung beigemessen wird (vgl. VwGH 08.07.1993, Zl. 92/01/1000; VwGH 30.11.1992, Zl. 92/01/0832; VwGH 20.05.1992, Zl. 92/01/0407; VwGH 19.09.1990, Zl. 90/01/0133). Der Umstand, dass ein Asylwerber bei der Erstbefragung gravierende Angriffe gegen seine Person unerwähnt gelassen hat spricht gegen seine Glaubwürdigkeit (VwGH 16.09.1992, Zl. 92/01/0181). Auch unbestrittenen Divergenzen zwischen den Angaben eines Asylwerbers bei seiner niederschriftlichen Vernehmung und dem Inhalt seines schriftlichen Asylantrages sind bei schlüssigen Argumenten der Behörde, gegen die in der Beschwerde nichts Entscheidendes vorgebracht wird, geeignet, dem Vorbringen des Asylwerbers die Glaubwürdigkeit zu versagen (Vgl. VwGH 21.06.1994, Zl. 94/20/0140). Eine Falschangabe zu einem für die Entscheidung nicht unmittelbar relevanten Thema (vgl. VwGH 30.09.2004, Zl. 2001/20/0006, zum Abstreiten eines früheren Einreiseversuchs) bzw. Widersprüche in nicht maßgeblichen Detailaspekten (vgl. VwGH vom 23.01.1997, Zl. 95/20/0303 zu Widersprüchen bei einer mehr als vier Jahre nach der Flucht erfolgten Einvernahme hinsichtlich der Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers in seinem Heimatdorf nach seiner Haftentlassung) können für sich allein nicht ausreichen, um daraus nach Art einer Beweisregel über die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers die Tatsachenwidrigkeit aller Angaben über die aktuellen Fluchtgründe abzuleiten (vgl. dazu auch VwGH 26.11.2003, Zl. 2001/20/0457).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es im Fall der Konversion darauf an, ob die betreffende Person im Fall einer Rückkehr in das Heimatland in der Lage ist, die von ihr gewählte Religion frei auszuüben. Bei einer im Ausland erfolgten Konversion ist darauf abzustellen, ob es sich um eine bloße „Scheinkonversion“ oder um eine Konversion aus innerem Entschluss handelt. In letzterem Fall ist weiters darauf abzustellen, ob die betreffende Person bei "weiterer Ausübung ihres behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden" (VwGH 24.10.2001, 99/20/0550).

Nach dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 05.09.2012 in den verbundenen Rechtssachen C-71/11 und C-99/11, Bundesrepublik Deutschland gegen Y und Z, ist Artikel 2 Buchstabe c der Richtlinie 2004/83 dahin auszulegen, dass eine begründete Furcht des Antragstellers vor Verfolgung vorliegt, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Antragstellers vernünftigerweise anzunehmen ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen. Bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling können die Behörden dem Antragsteller nicht zumuten, auf diese religiösen Betätigungen zu verzichten (vgl. VfGH 12.06.2013, U 2087/2012).

In ähnlicher Weise hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Beachtung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Glaubens- und Gewissensfreiheit im Asylverfahren eine besonders sorgfältige Auseinandersetzung im konkreten Fall mit der Frage erfordert, ob ein Religionswechsel aus innerer Überzeugung oder lediglich zum Schein erfolgt ist. Sobald auf Grund äußerer Tatsachen ein Wechsel der Religion aus innerer Überzeugung nicht unwahrscheinlich ist, ist es erforderlich, sich auf Grund einer ausführlichen Beurteilung der Persönlichkeit und aller Umstände der persönlichen Glaubwürdigkeit sowie darauf aufbauend einer ins einzelne gehenden Beweiswürdigung und allenfalls der Einvernahme von Personen, die Auskunft über den Glaubenswechsel und die diesem zugrunde liegenden Überzeugungen geben können, einen detaillierten Eindruck darüber verschaffen, inwieweit der Religionswechsel auf einer persönlichen Glaubensentscheidung beruht (VfGH 22.09.2014, U 2193/2013).

Wie den Feststellungen und der zugehörigen Beweiswürdigung zu entnehmen ist, ist der Beschwerdeführer aus innerer Überzeugung Christ und liegt eine Scheinkonversion nicht vor. Der Beschwerdeführer hat glaubwürdige und überzeugende persönliche Gründe für seinen durch die Konversion geschaffenen subjektiven Nachfluchtgrund geltend gemacht. Er hat seine nachhaltige Überzeugung vom Christentum dargetan und keinen Grund zur Annahme geboten, er würde im Falle einer Ansiedlung in Afghanistan wieder zum Islam übertreten. Der Beschwerdeführer lebt seinen Glauben in Österreich öffentlich, insbesondere durch die regelmäßige Teilnahme an den Gottesdiensten seiner Gemeinschaft und seine missionierende Tätigkeit.

Aus den Länderfeststellungen ergibt sich, dass christliche Konvertiten in Afghanistan mit sozialer Ausgrenzung und Gewalt (insbesondere) durch Familien- und Gemeinschaftsangehörige sowie regierungsfeindliche Gruppierungen und allenfalls auch mit strafrechtlicher Verfolgung bis hin zur Todesstrafe zu rechnen haben, wenn ihr Abfall vom Islam und ihre Hinwendung zum Christentum bekannt wird. Damit ist im vorliegenden Fall jedenfalls zu rechnen, weil sich der Beschwerdeführer aus freier persönlicher Überzeugung, von Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit zum Christentum bekennt und aufgrund dieser innerlich durchaus identitätsprägenden Konversion sowie der als Pflicht empfundenen Missionierungstätigkeit nicht in der Lage sein wird, dies dauerhaft zu verbergen.

Diese Verfolgung, die der Beschwerdeführer zu befürchten hat, wurzelt in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe, nämlich in seiner Religion.

Sie ist auch nicht etwa auf einen bestimmten Landesteil beschränkt, da dem Beschwerdeführer die Entdeckung als konvertierter Christ überall droht. Eine inländische Fluchtalternative kommt daher für den Beschwerdeführer nicht in Betracht.

Nach den Feststellungen zu Afghanistan kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer ausreichender staatlicher Schutz zuteilwürde, weil die Verfolgung auch von staatlichen Stellen ausgehen kann und die Behörden daher selbst bei Handlungen von Dritten jedenfalls nicht als schutzwillig anzusehen sind.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Religion außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren.

Angesichts dieses Ergebnisses kann dahin gestellt bleiben, ob dem Beschwerdeführer auch Verfolgung aus anderen in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegten Gründen droht.

Da auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe hervorgekommen ist, war dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am 25.08.2015 und somit vor dem 15.11.2015 gestellt wurde; die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 in der Fassung des BGBl. I Nr. 24/2016 sind daher gemäß § 75 Abs. 24 leg.cit. im vorliegenden Fall nicht anzuwenden.

Zu III.: Aufgrund der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und der damit verbundenen Flüchtlingseigenschaft und Aufenthaltsberechtigung betreffend den Beschwerdeführer liegen die Voraussetzungen für den Abspruch über den subsidiären Schutz sowie die Anordnung einer Rückkehrentscheidung, Abschiebung und Ausreiseverpflichtung zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr vor, weshalb die Spruchpunkte II, III. und IV. des angefochtenen Bescheides ersatzlos zu beheben waren (vgl. dazu auch VfGH 13.09.2013, U 370/2012; VwGH 04.08.2016, Ra 2016/21/0162).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Apostasie Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Christentum ersatzlose Teilbehebung Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative Kassation Konversion mündliche Verhandlung Nachfluchtgründe Religionsausübung Religionsfreiheit religiöse Gründe Rückkehrentscheidung behoben Spruchpunktbehebung staatlicher Schutz Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W133.2170215.1.00

Im RIS seit

02.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

02.02.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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