Entscheidungsdatum
07.09.2021Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W164 2170366-1/18E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehöriger von Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwältin Mag. Hela Ayni-Rahmanzai, Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.08.2017, Zl. 1096390306/151853233, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben; XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 idgF der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, verheiratet, zugehörig zur Volksgruppe der Tadschiken und sunnitisch muslimischen Glaubens, stellte am 21.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Anlässlich seiner Erstbefragung am 24.11.2015 gab der BF zu seinen Fluchtgründen an, seine Familie habe ihr Haus an eine ausländische Firma vermietet. Der BF, der die Verträge unterzeichnet habe, sei deshalb von den Taliban telefonisch und persönlich mit dem Tod bedroht worden.
3. Am 28.07.2016 wurde der BF durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einvernommen. Der BF führte zu seinen Fluchtgründen befragt im Wesentlichen aus, dass seine Familie ihr Haus befristet an eine spanische zivile Hilfsorganisation vermietet habe. Der BF habe den Vertrag für seinen Vater abgeschlossen. Noch während der Mietdauer sei der BF angerufen und nach diesem Vertrag gefragt worden. Er habe Anzeige erstattet, aber man habe ihm mitgeteilt, dass die Polizei nicht genügend Ressourcen habe, um ihm helfen zu können. Nach Vertragsende sei der BF von zwei Unbekannten zusammengeschlagen worden. Von staatlicher Seite habe er keine Hilfe erhalten. Er sei nach einem Krankenhausaufenthalt zuhause geblieben und habe sich letztlich entschieden das Land zu verlassen. Hinter der Bedrohung seien die Taliban gestanden. Der BF legte eine Teilnahmebestätigung für einen Deutschkurs sowie eine Bestätigung über das Eigentum an der vermieteten Immobilie vor.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 23.08.2017 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Begründend führte die Behörde im Wesentlichen aus, das Fluchtvorbringen des BF sei vage, widersprüchlich, nicht plausibel und daher nicht glaubhaft gewesen. Eine Rückkehr nach Kabul sei möglich und zumutbar. Der BF verfüge über keine Familienangehörigen in Österreich und sei auch nicht besonders gut in Österreich intergiert. Es bestehe in Österreich kein schützenswertes Privat- oder Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstünde.
6. Dagegen erhob der BF am 06.09.2017 binnen offener Rechtsmittelfrist vollumfänglich Beschwerde und legte Dokumente zu seinem Fluchtvorbringen sowie weitere Bestätigungen über seine Integrationsbemühungen vor und führte im Wesentlichen aus, dass ihm in Afghanistan aufgrund der geschilderten Vermietung eine politische Gesinnung unterstellt werden würde, derentwegen er Verfolgung durch die Taliban zu befürchten habe. Das BFA habe von ihm im Verfahren vorgelegte Beweismittel zu seinen Fluchtgründen übergangen und eine fehlerhafte Beweiswürdigung vorgenommen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative würde dem BF nicht zur Verfügung stehen. In Anbetracht der schlechten Sicherheits- und Versorgungslage in seiner Heimatprovinz, XXXX bzw. Afghanistan insgesamt, wäre der BF im Falle der Rückkehr der Gefahr der Verletzung in seinen Rechten gemäß Art. 3 EMRK ausgesetzt. Der BF verfüge ferner in Österreich über ein geschütztes Privatleben, welches von der belangten Behörde mangelhaft gewürdigt worden sei.
7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 26.08.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF im Beisein seiner Rechtsvertretung und eines Dolmetschers für die Sprache Dari teilnahm. Das ebenfalls zur Verhandlung geladene BFA nahm nicht an der Verhandlung teil. Das Verhandlungsprotokoll und die im Beschwerdeverfahren vorgelegten wesentlichen Beweismittel wurden dem BFA zur Kenntnis gebracht. Der BF machte ergänzende Angaben zu seinem bisherigen Fluchtvorbringen und verwies auf die aktuelle Situation seiner Eltern und jüngsten Geschwister, die bis zuletzt noch in Afghanistan gewohnt hatten, sich aber angesichts der aktuellen Ereignisse dank der Verbindung seiner Mutter zu internationalen Hilfsorganisationen erfolgreich um einen Flug nach Spanien bemüht hätten. Der BF legte einen Schutzbrief der spanischen Botschaft vor, mit dem die Eltern und drei Geschwister des BF auf eine Liste für einen Flug nach Spanien gesetzt worden waren.
8. Mit 02.09.2021 legte der BF ergänzend Kopien von Zertifikaten zum Beweis dafür vor, dass seine Mutter in der öffentlichen Verwaltung ihrer Heimatprovinz beschäftigt war und laufend mit internationalen Hilfsorganisationen zusammengearbeitet hat.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der strafrechtlich unbescholtene BF führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und sunnitisch muslimischen Glaubens. Seine Muttersprache ist Dari. Der BF ist traditionell verheiratet und hat keine Kinder. Der BF ist XXXX XXXX , Provinz XXXX , geboren und aufgewachsen. In seiner frühen Kindheit lebte der BF etwa drei Jahre lang in Pakistan.
In XXXX XXXX besuchte der BF 10 Jahre lang die Schule und unterstützte seinen Vater, der einen Handyladen führte, bei seinen Geschäften. Der BF – er war eines von neun Kindern und (anders als seine älteren Brüder) ein geschickter Geschäftsmann – wurde von seinem Vater auch dazu bestimmt, sich um die Angelegenheiten des familieneigenen Hauses zu kümmern. Die Mutter des BF war in der Provinzverwaltung tätig und arbeitete in dieser Eigenschaft regelmäßig mit internationalen Hilfsorganisationen zusammen. MitarbeiterInnen von Hilfsorganisationen XXXX kannten sich. Auf diesem Weg hatte die Mutter des BF auch Frau XXXX kennen gelernt, die für die mit Spanien kooperierende NGO XXXX tätig war. Frau XXXX vermittelte der Familie das Angebot, einen befristeten Mietvertrag über das familieneigene Haus zu unterzeichnen. Es handelte sich um ein attraktives Geschäft. Der BF unterzeichnete mit dem Einverständnis seiner Familie einen auf sechs Monate befristeten Mietvertrag. Die Familie bezog selbst ein anderes Haus, das ihr gegen eine Geldsumme zum Pfand überlassen wurde. Die spanischen Bewohner des Hauses brachten eigene Sicherheitswachen mit. Eines Tages erhielt der BF einen Drohanruf. Er bezog seinen Vater ein, die Familie bezog Frau XXXX ein. Man entschied, die Sache bei der Polizei anzuzeigen und riet dem BF, sich in Zukunft vorsichtig zu verhalten. Der BF verließ in der nachfolgenden Zeit seine Heimatstadt nicht, sondern beschränkte sich auf Wege XXXX , die als sicher galten. Eines Abends wurde er dennoch am Heimweg überfallen und zusammengeschlagen. Die Familie ging abermals zur Polizei. Der BF hielt sich in der Folge vorwiegend daheim auf. Da es ihm damit nicht gut ging, ermöglichte ihm die Familie, seine Jugendliebe zu heiraten. Ein paar Monate nach der Hochzeit, im November 2015, riet der Vater des BF diesem, sich nach Europa schleppen zu lassen. Der BF folgte diesem Rat. Seine Familie blieb in der Heimatstadt. Die Mutter arbeitete weiter in ihrer Funktion und blieb mit anderen MitarbeiterInnen von internationalen Organisationen vernetzt.
Aktuell leben die Geschwister des BF (bis auf die drei jüngsten) in der Türkei. Die Eltern des BF haben sich angesichts der jüngsten Ereignisse in Afghanistan mit den drei jüngsten Geschwistern und gemeinsam mit anderen MitarbeiterInnen von internationalen Organisationen und deren Familien erfolgreich um einen Flug nach Spanien bemüht.
In Österreich hat der BF die Integrationsprüfung auf Sprachniveau B1 nach GER abgelegt. Der BF hat sich ehrenamtlich engagiert, ist einem Verein beigetreten und hat sich mittlerweile auch in Österreich einen soliden Freundeskreis aufgebaut.
Zur allgemeinen Lage in Afghanistan:
Quelle: Sonderkurzinformation der Staatendokumentation zur aktuellen Lage in Afghanistan vom 17.08.2021
Der afghanische Präsident Ashraf Ghani ist angesichts des Vormarsches der Taliban auf Kabul außer Landes geflohen. Laut al-Jazeera soll das Ziel Taschkent in Usbekistan sein. Inzwischen haben die Taliban die Kontrolle über den Präsidentenpalast in Kabul übernommen. Suhail Schahin, ein Unterhändler der Taliban bei den Gesprächen mit der afghanischen Regierung in Katar, versicherte den Menschen in Kabul eine friedliche Machtübernahme und keine Racheakte an irgendjemanden zu begehen (tagesschau.de 15.8.2021).
Am 15.08.21 haben die Taliban mit der größtenteils friedlichen Einnahme Kabuls und der Besetzung der Regierungsgebäude und aller Checkpoints in der Stadt den Krieg für beendet erklärt und das Islamische Emirat Afghanistan ausgerufen. Man wünsche sich friedliche Beziehungen mit der internationalen Gemeinschaft. Die erste Nacht unter der Herrschaft der Taliban im Land sei ruhig verlaufen. Chaotische Szenen hätten sich nur am Flughafen in Kabul abgespielt, von welchem sowohl diplomatisches Personal verschiedener westlicher Länder evakuiert wurde als auch viele Afghanen versuchten, außer Landes zu gelangen. Den Taliban war es zuvor gelungen, innerhalb kürzester Zeit fast alle Provinzen sowie alle strategisch wichtigen Provinzhauptstädte wie z.B. Kandahar, Herat, Mazar-e Sharif, Jalalabad und Kunduz einzunehmen. In einigen der Städte seien Gefängnisse gestürmt und Insassen befreit worden (BAMF 16.8.2021; vgl. bbc.com o.D., orf.at 16.8.2021).
Die Taliban zeigten sich am Sonntag gegenüber dem Ausland unerwartet diplomatisch. „Der Krieg im Land ist vorbei“, sagte Taliban-Sprecher Mohammed Naim am Sonntagabend dem Sender al-Jazeera. Bald werde klar sein, wie das Land künftig regiert werde. Rechte von Frauen und Minderheiten sowie die Meinungsfreiheit würden respektiert, wenn sie der Scharia entsprächen. Man werde sich nicht in Dinge anderer einmischen und Einmischung in eigene Angelegenheiten nicht zulassen (orf.at 16.8.2021a).
Schätzungen zufolge wurden seit Anfang 2021 über 550.000 Afghanen durch den Konflikt innerhalb des Landes vertrieben, darunter 126.000 neue Binnenvertriebene zwischen dem 7. Juli 2021 und dem 9. August 2021. Es gibt zwar noch keine genauen Zahlen über die Zahl der Afghanen, die aufgrund der Feindseligkeiten und Menschenrechtsverletzungen aus dem Land geflohen sind, es deuten aber Quellen darauf hin, dass Zehntausende von Afghanen in den letzten Wochen internationale Grenzen überquert haben (UNHCR 8.2021).
Der Iran richtete angesichts des Eroberungszugs der militant-islamistischen Taliban im Nachbarland Pufferzonen für Geflüchtete aus dem Krisenstaat ein. Die drei Pufferzonen an den Grenzübergängen im Nord- sowie Südosten des Landes sollen afghanischen Geflüchteten vorerst Schutz und Sicherheit bieten. Indes schloss Pakistan am Sonntag einen wichtigen Grenzübergang zu seinem Nachbarland. Innenminister Sheikh Rashid verkündete die Schließung des Grenzübergangs Torkham im Nordwesten Pakistans am Sonntag, ohne einen Termin für die Wiedereröffnung zu nennen. Tausende Menschen säßen auf beiden Seiten der Grenze fest (orf.at 16.8.2021b).
Mittlerweile baut die Türkei an der Grenze zum Iran weiter an einer Mauer. Damit will die Türkei die erwartete Ankunft von afghanischen Flüchtlingen verhindern (Die Presse 17.8.2021).
Medienberichten zufolge haben die Taliban in Afghanistan Checkpoints im Land errichtet und sie kontrollieren auch die internationalen Grenzübergänge (bisherige Ausnahme: Flughafen Kabul). Seit Besetzung der strategischen Stadt Jalalabad durch die Taliban, wurde eine Fluchtbewegung in den Osten (Richtung Pakistan) deutlich erschwert. Die Wahrscheinlichkeit, dass Afghanen aus dem westlichen Teil des Landes oder aus Kabul nach Pakistan gelangen ist gegenwärtig eher gering einzuschätzen. Es ist naheliegender, dass Fluchtrouten ins Ausland über den Iran verlaufen. Es ist jedoch auch denkbar, dass die mehrheitlich sunnitische Bevölkerung Afghanistans (statt einer Route über den schiitisch dominierten Iran) stattdessen die nördliche, alternative Route über Tadschikistan oder auch Turkmenistan wählt. Bereits vor zwei Monaten kam es laut EU-Kollegen zu einem Anstieg von Ankünften afghanischer Staatsbürger in die Türkei. Insofern ist davon auszugehen, dass eine erste Migrationsbewegung bereits stattgefunden hat. Pakistan gibt laut Medienberichten an, dass der Grenzzaun an der afghanisch-pakistanischen Grenze halte (laut offiziellen Angaben sind etwa 90 Prozent fertiggestellt) (VB 17.8.2021). Laut Treffen mit Frontex, kann zur Türkei derzeit noch keine Veränderung der Migrationsströme festgestellt werden. Es finden täglich nach Schätzungen ca. max. 500 Personen ihren Weg (geschleust) vom Iran in die Türkei. Dies ist aber keine außergewöhnlich hohe Zahl, sondern eher der Durchschnitt. Der Ausbau der Sicherung der Grenze zum Iran mit Mauer und Türmen schreitet immer weiter voran, und nach einstimmiger Meinung von Mig VB und anderen Experten kann die Türkei mit ihrem Militär (Hauptverantwortlich für die Grenzsicherung) und Organisationen (Jandarma, DCMM) jederzeit, je nach Bedarf die illegale Einreise von Flüchtlingen aus dem Iran kontrollieren. Die Türkei ist jedoch - was Afghanistan angeht - mit sehr hohem Interesse engagiert. Auch die Türkei möchte keine neunen massiven Flüchtlingsströme über den Iran in die Türkei (VB 17.8.2021a).
IOM muss aufgrund der aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Reintegration mit sofortiger Wirkung weltweit aussetzen. Die Aussetzung der freiwilligen Rückkehr erfolgt bis auf Widerruf (IOM 16.8.2021).
Während die radikalislamischen Taliban ihren Feldzug durch Afghanistan vorantreiben, gehören Frauen und Mädchen zu den am meisten gefährdeten Gruppen. Schon in der letzten Regierungszeit der Taliban (1996–2001) herrschten in Afghanistan extreme patriarchale Strukturen, Misshandlungen, Zwangsverheiratungen sowie strukturelle Gewalt und Hinrichtungen von Frauen. Die Angst vor einer Wiederkehr dieser Gräueltaten ist groß. Eifrig sorgten Kaufleute in Afghanistans Hauptstadt Kabul seit dem Wochenende bereits dafür, Plakate, die unverschleierte Frauen zeigten, aus ihren Schaufenstern zu entfernen oder zu übermalen – ein Sinnbild des Gehorsams und der Furcht vor dem Terror der Taliban (orf.at 17.8.2021). (Quellen dieser sonderinformation der Staatendokumentation: • BAMF (16.8.2021): Briefing Notes, per Email; • bbc.com (o.D.): Afghanistan: US takes control of Kabul airport to evacuate staff from countryhttps://www.bbc.com/news/world-asia-58227029, Zugriff 16.8.2021; • Die Presse (17.8.2021): Die Türkei schottet sich mit Mauer gegen Flüchtlinge ab, https://www.diepresse.com/6021855/die-turkei-schottet-sich-mit-mauer-gegen-fluchtlinge-ab, Zugriff 17.8.2021; • IOM (16.8.2021): Aussetzung der Freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan, per Email; • orf.at (16.8.2021): Krieg in Afghanistan ist vorbei, https://orf.at/stories/3225020/, Zugriff 16.8.2021; • orf.at (16.8.2021a): Verzweifelte Fluchtversuche aus Kabul, https://orf.at/stories/3225106/, Zugriff 17.8.2021; • orf.at (16.8.2021b): Nachbarländer in großer Unruhe, https://orf.at/stories/3225071/, Zugriff 17.8.2021).
Quelle: UNHCR-POSITION ZUR RÜCKKEHR NACH AFGHANISTAN August 2021:
Als Folge des Rückzugs der internationalen Truppen aus Afghanistan hat sich die Sicherheits- und Menschenrechtslage in großen Teilen des Landes rapide verschlechtert. Die Taliban haben in einer schnell wachsenden Anzahl an Provinzen die Kontrolle übernommen, wobei sich ihr Vormarsch im August 2021 nochmals beschleunigte, als sie 26 von 34 Provinzhauptstädten innerhalb von zehn Tagen einnahmen und schließlich den Präsidentenpalast in Kabul unter ihre Kontrolle brachten. Die stark zunehmende Gewalt hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, einschließlich Frauen und Kindern. UNHCR ist besorgt über die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung, einschließlich Frauen und Kindern, sowie an Afghan*innen, bei denen die Taliban davon ausgehen, dass sie mit der afghanischen Regierung oder den internationalen Streitkräften in Afghanistan oder mit internationalen Organisationen im Land in Verbindung stehen oder standen. Aufgrund des Konflikts sind seit Anfang 2021 Schätzungen zufolge über 550.000 Afghan*innen innerhalb des Landes neu vertrieben worden, davon 126.000 neue Binnenvertriebene allein zwischen 7. Juli und 9. August 2021. Während es bis dato noch keine genauen Zahlen gibt, wie viele Afghan*innen das Land aufgrund der Kampfhandlungen und Menschenrechtsverletzungen verlassen haben, haben Berichten zufolge zehntausende Afghan*innen in den letzten Wochen die Landesgrenzen überschritten.
Da die Situation in Afghanistan instabil und unsicher bleibt, fordert UNHCR alle Länder dazu auf, der aus Afghanistan fliehenden Zivilbevölkerung Zugang zu ihrem Staatsgebiet zu gewähren und die Einhaltung des Non-Refoulement-Grundsatzes durchgehend sicherzustellen. UNHCR weist auf die Notwendigkeit hin zu gewährleisten, dass das Recht, Asyl zu beantragen, nicht eingeschränkt wird, dass Grenzen offengehalten werden und dass Personen, die internationalen Schutzbedarf haben, nicht in Gebiete innerhalb ihres Herkunftslands zurückgedrängt werden, die möglicherweise gefährlich sind. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu berücksichtigen, dass Staaten auch gemäß Völkergewohnheitsrecht verpflichtet sind, die Grenzen für die vor dem Konflikt fliehende Zivilbevölkerung offen zu halten und Flüchtlinge nicht zwangsweise zurückzuführen. Der NonRefoulement-Grundsatz beinhaltet auch die Nicht-Zurückweisung an der Grenze.
Aufgrund der Unbeständigkeit der Situation in Afghanistan hält UNHCR es nicht für angemessen, afghanischen Staatsangehörigen und Personen mit vormaligem gewöhnlichen Aufenthalt in Afghanistan internationalen Schutz mit der Begründung einer internen Flucht- oder Neuansiedlungsperspektive zu verwehren
Quelle: Kurzinformation der Staatendokumentation Aktuelle Entwicklungen und Informationen in Afghanistan Stand: 20.8.202:
Die Spitzenpolitiker der Taliban sind aus Katar, wo viele von ihnen im Exil lebten, nach Afghanistan zurückgekehrt. Frauen werden Rechte gemäß der Scharia [islamisches Recht] genießen, so der Sprecher der Taliban. Nach Angaben des Weißen Hauses haben die Taliban versprochen, dass Zivilisten sicher zum Flughafen von Kabul reisen können. Berichten zufolge wurden Afghanen auf dem Weg dorthin von Taliban-Wachen verprügelt. Lokalen Berichten zufolge sind die Straßen von Kabul ruhig. Die Militanten sind in der ganzen Stadt unterwegs und besetzen Kontrollpunkte (bbc.com o.D.a) Die internationalen Evakuierungsmissionen von Ausländerinnen und Ausländern sowie Ortskräften aus Afghanistan gehen weiter, immer wieder gibt es dabei Probleme. Die Angaben darüber, wie viele Menschen bereits in Sicherheit gebracht werden konnten, gehen auseinander, die Rede ist von 2.000 bis 4.000, hauptsächlich ausländisches Botschaftspersonal. Es mehren sich aktuell Zweifel, dass auch der Großteil der Ortskräfte aus dem Land gebracht werden kann. Bei Protesten gegen die Taliban in Jalalabad wurden unterdessen laut Augenzeugen drei Menschen getötet (orf.at o.D.a). Jalalabad wurde kampflos von den Taliban eingenommen. Mit ihrer Einnahme sicherte sich die Gruppe wichtige Verbindungsstraßen zwischen Afghanistan und Pakistan. Am Mittwoch (18.8.2021) wurden jedoch Menschen in der Gegend dabei gefilmt, wie sie zur Unterstützung der alten afghanischen Flagge marschierten, bevor Berichten zufolge in der Nähe Schüsse abgefeuert wurden, um die Menschenmenge zu zerstreuen. Das von den Taliban neu ausgerufene Islamische Emirat Afghanistan hat bisher eine weiße Flagge mit einer schwarzen Schahada (Glaubensbekenntnis) verwendet. Die schwarz-rot-grüne Trikolore, die heute von den Demonstranten verwendet wurde, gilt als Symbol für die abgesetzte Regierung. Der Sprecher der Taliban erklärte, dass derzeit Gespräche über die künftige Nationalflagge geführt werden, wobei eine Entscheidung von der neuen Regierung getroffen werden soll (bbc.com o.D.b). Während auf dem Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul weiter der Ausnahmezustand herrscht, hat es bei einer Kundgebung in einer Provinzhauptstadt erneut Tote gegeben. In der Stadt Asadabad in der Provinz Kunar wurden nach Angaben eines Augenzeugen mehrere Teilnehmer einer Kundgebung zum afghanischen Nationalfeiertag getötet. Widerstand bildete sich auch im Panjshirtal, eine Hochburg der Tadschiken nordöstlich von Kabul. In der „Washington Post“ forderte ihr Anführer Ahmad Massoud, Chef der Nationalen Widerstandsfront Afghanistans, Waffen für den Kampf gegen die Taliban. Er wolle den Kampf für eine freiheitliche Gesellschaft fortsetzen (orf.at o.D.c). Einem Geheimdienstbericht für die UN zufolge verstärken die Taliban die Suche nach "Kollaborateuren". In mehreren Städten kam es zu weiteren Anti-Taliban-Protesten. Nach Angaben eines Taliban-Beamten wurden seit Sonntag mindestens 12 Menschen auf dem Flughafen von Kabul getötet. Westliche Länder evakuieren weiterhin Staatsangehörige und Afghanen, die für sie arbeiten. Der IWF erklärt, dass Afghanistan keinen Zugang mehr zu seinen Geldern haben wird (bbc.com o.D.d). Vor den Taliban in Afghanistan flüchtende Menschen sind in wachsender medizinischer Not. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtete, dass in Kliniken in Kabul und anderen afghanischen Städten immer mehr Fälle von Durchfallerkrankungen, Mangelernährung, Bluthochdruck und Corona-Symptomen aufträten. Dazu kämen vermehrt Schwangerschaftskomplikationen. Die WHO habe zwei mobile Gesundheitsteams bereitgestellt, aber der Einsatz müsse wegen der Sicherheitslage immer wieder unterbrochen werden (zdf.de 18.8.2021). Priorität für die VN hat derzeit, dass die UNAMA-Mission in Kabul bleibe. Derzeit befindet sich ein Teil des VN-Personals am Flughafen, um einen anderen Standort (unklar ob in AF) aufzusuchen und von dort die Tätigkeit fortzuführen. Oberste Priorität der VN sei es die Präsenz im Land sicherzustellen. Zwecks Sicherstellung der humanitären Hilfe werde auch mit den Taliban verhandelt (? Anerkennung). Ein Schlüsselelement dabei ist die VN-SRVerlängerung des UNAMA-Mandats am 17. September 2021 (VN 18.8.2021). Exkurs: Die Anführer der Taliban Mit der Eroberung Kabuls haben die Taliban 20 Jahre nach ihrem Sturz wieder die Macht in Afghanistan übernommen. Dass sie sich in ersten öffentlichen Statements gemäßigter zeigen, wird von internationalen Beobachtern mit viel Skepsis beurteilt. Grund dafür ist unter anderem auch, dass an der Spitze der Miliz vor allem jene Männer stehen, die in den vergangenen Jahrzehnten für Terrorangriffe und Gräueltaten im Namen des Islam verantwortlich gemacht werden. Geheimdienstkreisen zufolge führen die Taliban derzeit Gespräche, wie ihre Regierung aussehen wird, welchen Namen und Struktur sie haben soll und wer sie führen wird. Demzufolge könnte Abdul Ghani Baradar einen Posten ähnlich einem Ministerpräsidenten erhalten („Sadar-e Asam“) und allen Ministern vorstehen. Er trat in den vergangenen Jahren als Verhandler und Führungsfigur als einer der wenigen TalibanFührer auch nach außen auf. Wesentlich weniger international im Rampenlicht steht der eigentliche Taliban-Chef und „Anführer der Gläubigen“ (arabisch: amir al-mu’minin), Haibatullah Akhundzada. Er soll die endgültigen Entscheidungen über politische, religiöse und militärische Angelegenheiten der Taliban treffen. Der religiöse Hardliner gehört ebenfalls zur Gründergeneration der Miliz, während der ersten Taliban-Herrschaft fungierte er als oberster Richter des SchariaGerichts, das für unzählige Todesurteile verantwortlich gemacht wird. Der Oberste Rat der Taliban ernannte 2016 zugleich Mohammad Yaqoob und Sirajuddin Haqqani zu Akhundzadas Stellvertretern. Letzterer ist zugleich Anführer des für seinen Einsatz von Selbstmordattentätern bekannten Haqqani-Netzwerks, das von den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Es soll für einige der größten Anschläge der vergangenen Jahre in Kabul verantwortlich sein, mehrere ranghohe afghanische Regierungsbeamte ermordet und etliche westliche Bürger entführt haben. Vermutet wird, dass es die TalibanEinsätze im gebirgigen Osten des Landes steuert und großen Einfluss in den Führungsgremien der Taliban besitzt. Der etwa 45-jährige Haqqani wird von den USA mit einem siebenstelligen Kopfgeld gesucht. Zur alten Führungsriege gehört weiters Sher Mohammad Abbas Stanikzai. In der TalibanRegierung bis 2001 war er stellvertretender Außen- und Gesundheitsminister. 2015 wurde er unter Mansoor Akhtar Büroleiter der Taliban. Als Chefunterhändler führte er später die Taliban-Delegationen bei den Verhandlungen mit den USA und der afghanischen Regierung an. Ein weiterer offenkundig hochrangiger Taliban ist der bereits seit Jahren als Sprecher der Miliz bekannte Zabihullah Mujahid. In einer ersten Pressekonferenz nach der Machtübernahme schlug er, im Gegensatz zu seinen früheren Aussagen, versöhnliche Töne gegenüber der afghanischen Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft an (orf.at o.D.b; vgl. bbc.com o.D.c). Stärke der Taliban-Kampftruppen Obwohl in den vergangenen Jahren 100.000 ausländische Soldaten im Land waren, konnten die Taliban-Führer eine offenkundig von ausländischen Geheimdiensten unterschätzte Kampftruppe zusammenstellen. Laut BBC geht man derzeit von rund 60.000 Kämpfern aus, mit Unterstützern aus anderen Milizen sollen fast 200.000 Männer aufseiten der Taliban den Sturz der Regierung ermöglicht haben. Völlig unklar ist noch, wie viele Soldaten aus der Armee übergelaufen sind (orf.at o.D.b).
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, durch Einsichtnahme in die im gesamten Verfahren vorgelegten Dokumente, weiters durch Einsichtnahme in die aktuellen Quellen betreffend die allgemeine Lage in Afghanistan. Die strafrechtliche Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus dem Strafregister der Republik Österreich. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft, ethnischen und religiösen Zugehörigkeit und zum Alter des BF, ferner zu seinen Sprachkenntnissen, seiner Schulbildung und Berufserfahrung beruhen auf seinen plausiblen, im gesamten Verfahren im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben. Sein aktueller Wohnort ergibt sich aus dem zentralen Melderegister der Republik Österreich.
Der BF konnte im Rahmen der mündlichen Verhandlung die an ihn gestellten Fragen zum Hergang des in Afghanistan Erlebten konkret aus der jeweils eigenen Perspektive beantworten und zu Fragen spontan Stellung nehmen. Seine Aussagen anlässlich seiner Befragung durch das BFA und das BVwG ergeben nun in ihrer Gesamtheit ein klares und nachvollziehbares Bild. Soweit der BF die genaue zeitliche Abfolge der Ereignisse im Laufe des Verfahrens unterschiedlich angegeben hat ist davon auszugehen, dass er, was diese Details betrifft, Erinnerungslücken hat, was angesichts der mittlerweile verstrichenen Zeit lebensnahe erscheint. Im Kern konnte der BF aber den Hergang der Ereignisse, insbesondere den Umstand, dass die Familie des BF laufend mit internationalen Hilfsorganisationen in Verbindung stand und mit anderen MitarbeiterInnen internationaler Organisationen vernetzt war, plausibel darlegen, ebenso, dass er selbst als der Sohn, den sein Vater für die geschäftlichen Angelegenheiten der Familie bestimmt hatte, nach außen in Erscheinung zu treten hatte und eines Tages einen Mietvertrag mit einer Hilfsorganisation - ein gutes Geschäft - zu unterschreiben hatte, der schlussendlich auch den Behörden der Stadt bekannt gemacht werden musste.
Der vom BF anlässlich der mündlichen Verhandlung vorgelegte Schutzbrief des spanischen Außenministeriums vom XXXX steht im Einklang mit den aktuellen Medienberichten, denen zufolge die spanische Regierung bis 27.08.2021 Helfer aus Afghanistan großzügig und ohne strenge Formalitäten nach Spanien ausgeflogen hat (vgl. Fernsehbericht des ORF2, 29.08.2021, ZIB 2, Beitrag „Spanien setzt auf Willkommenskultur“). Auch der Umstand, dass dieser Schutzbrief keine Kontaktperson und keine Adresse nennt, sondern eine anonyme Telefonnummer, erscheint unter Berücksichtigung der aktuellen Medienberichte, die gezeigt haben, dass ausländische Helfer in der genannten Situation in Afghanistan anonym arbeiten mussten, unbedenklich (vgl. ORF2, 29.08.2021, ZIB 1, „Österreicher aus Afghanistan schleusen“).
Schließlich zeigen die vom BF nachträglich vorgelegten Zertifikate in unbedenklicher Weise, dass seine Mutter Mitarbeiterin der öffentlichen Provinzverwaltung war und als solche laufend mit internationalen Organisationen in Verbindung stand.
Insgesamt konnte der BF somit glaubhaft machen, dass er sowohl als Mitglied einer Familie, die mit der bisherigen afghanischen Regierung und der internationalen Gemeinschaft verbunden sind als auch aufgrund seiner geschäftlichen Tätigkeit in das Blickfeld regierungsfeindlicher Organisationen geraten war. Soweit dem BF im angefochtenen Bescheid entgegengehalten wurde, dass seine Ausreise aus Afghanistan erst geraume Zeit nach den von ihm geschilderten Angriffen erfolgte, so ließ der BF diesen Umstand auch im Zuge des Beschwerdeverfahrens soweit hier wesentlich unbestritten. Unter Berücksichtigung der aktuellen Lage in Afghanistan muss allerdings davon ausgegangen werden, dass der BF aktuell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit sowohl als Mitglied einer den internationalen Organisationen nahestehenden Familie als auch aufgrund dessen, dass er –möglicherweise in der länger zurückliegenden Vergangenheit von damals regierungsfeindlichen Gruppen, auf eine „schwarze Liste“ gesetzt wurde, nun, da ehemals regierungsfeindliche Gruppen nun Teil der aktuellen Regierungsmacht sind und, so muss angenommen werden, ungestörten Zugang zu allen relevanten Daten haben, also keine Gegenreaktion geschweige denn irgendwelche Sanktionen für menschenrechtswidriges Verhalten zu erwarten hätten, in ganz Afghanistan asylrelevanter Gefahr ausgesetzt wäre.
Die Feststellung über die aktuelle Gefährlichkeit der Situation in Afghanistan beruht auf den aktuellen allgemeinen Informationen zu Afghanistan, wie oben auszugsweise dargelegt. Soweit darin auf das unerwartet diplomatische Auftreten der Taliban verwiesen wird (Kurzinformation der Staatendokumentation 17.08.21), waren die Ausführungen des UNHCR in seinen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018, Punkt III/A/6; S74 miteinzubeziehen, denenzufolge bereits in der jüngeren Vergangenheit beobachtet wurde, dass Taliban in Gebieten, wo sie versuchen, die lokale Bevölkerung von sich zu überzeugen, eine mildere Haltung einnehmen, ihre strenge Auslegung islamischer Prinzipien, Normen und Werte jedoch durchsetzen, sobald sich die betreffenden Gebiete unter ihrer tatsächlichen Kontrolle befinden.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.
§ 3. AsylG 2005 in der anzuwendenden Fassung:
(1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder
2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.
(4) Einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kommt eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.
(4a) Im Rahmen der Staatendokumentation (§ 5 BFA-G) hat das Bundesamt zumindest einmal im Kalenderjahr eine Analyse zu erstellen, inwieweit es in jenen Herkunftsstaaten, denen im Hinblick auf die Anzahl der in den letzten fünf Kalenderjahren erfolgten Zuerkennungen des Status des Asylberechtigten eine besondere Bedeutung zukommt, zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen is
(4b) In einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 gilt Abs. 4 mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, richtet.
(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die "begründete Furcht vor Verfolgung".
Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn objektiver Weise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z. B. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen.
Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011).
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn die Asylentscheidung erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; VwGH 27.06.1995, 94/20/0836; VwGH 23.07.1999, 99/20/0208; VwGH 21.09.2000, 99/20/0373; VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; VwGH 12.09.2002, 99/20/0505 sowie VwGH 17.09.2003, 2001/20/0177) liegt eine dem Staat zuzurechnende Verfolgungshandlung nicht nur dann vor, wenn diese unmittelbar von staatlichen Organen aus Gründen der Konvention gesetzt wird, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären.
Die Voraussetzungen der GFK sind nur dann gegeben, wenn der Flüchtling im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet. (VwGH 8.10.1980, VwSlg. 10.255).
Verfolgungsgefahr muss nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem/der Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden. Vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der/die Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er/sie könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 9.3.1999, 98/01/0370; 22.10.2001 2000/01/0322).
Bezogen auf den vorliegenden Fall ergibt sich daraus:
Im vorliegenden Fall ist eine aktuelle asylrelevante Verfolgungsgefahr gegeben: Der BF ist Mitglied einer Familie, die mit der bisherigen afghanischen Regierung und mit der internationalen Gemeinschaft verbunden war bzw. ist und diese in Afghanistan unterstützt hat. Der BF ist in der Vergangenheit auch selbst mit seinem Namen als Vermieter des familieneigenen Hauses an eine internationale Hilfsorganisation nach außen in Erscheinung getreten. Aufgrund dieser Umstände hat der BF aktuell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im gesamten Staatsgebiet Afghanistans asylrelevante Verfolgung wegen der ihm zugeschriebenen politischen Überzeugung zu befürchten. Der BF hat vom Staat Afghanistan keinerlei Schutz vor dieser Verfolgung zu erwarten. Die vom BF dargelegte Furcht vor Verfolgung ist dem Staat Afghanistan zuzurechnen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative für den BF besteht nicht.
Es liegen auch keine der in § 6 Abs 1 AsylG genannten Ausschlussgründe vor.
Der Beschwerde ist daher stattzugeben, dem BF gem. § 3 Abs. 1 AsylG der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen und dies gem. § 3 Abs. 5 AsylG mit der Feststellung, dass der Beschwerdeführerin kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt, zu verbinden.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Asyl auf Zeit Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung begründete Furcht vor Verfolgung Bürgerkrieg Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative mündliche Verhandlung politische Gesinnung private Verfolgung Regimetreue staatlicher Schutz Taliban unterstellte politische Gesinnung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung Vermietung wohlbegründete FurchtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W164.2170366.1.00Im RIS seit
02.02.2022Zuletzt aktualisiert am
02.02.2022