TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/5 W174 2194024-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.10.2021
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Entscheidungsdatum

05.10.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W174 2194024-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Viktoria MUGLI-MASCHEK, als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.3.2018, Zl. 1085374201/151236552, nach einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine afghanische Staatsangehörige, reiste in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 31.8.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen ihrer Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 1.9.2015 gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen an, im Iran geboren, verheiratet und moslemischen Glaubens zu sein, der Volksgruppe der Hazara anzugehören und keine Ausbildung zu haben. Ihr Ehegatte lebe in Österreich.

Ausdrücklich gab sie an, sie wäre im Iran geboren und aufgewachsen und habe nie in Afghanistan gelebt.

Zu ihrem Fluchtgrund erklärte sie Folgendes: „Mein Vater ist Drogensüchtig und wollte seine Sucht damit finanzieren, indem er mich verkaufen wollte.“

Bei einer Rückkehr befürchte sie, dass ihr Vater sie verkaufe.

3. Am 7.2.2018 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt oder belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen, erklärte zunächst, gesund zu sein und keine Dokumente oder Beweismittel zu haben.

Geboren sei sie in einem näher genannten Dorf in der Provinz Daikundi. Ihre Angaben aus der Erstbefragung vorgehalten, wonach sie ihr ganzes Leben im Iran gewesen sei, antwortete die Beschwerdeführerin, „wir“ seien immer zwischen Afghanistan und dem Iran hin und her gependelt. Wenn die Lage in Afghanistan schlechter geworden sei, seien sie in den Iran geflüchtet. Im Herkunftsstaat sei sie nur in ihrem Geburtsort wohnhaft gewesen, mehr könne sie dazu nicht sagen, weil sie immer zu Hause gewesen sei und nicht habe rausgehen dürfen. Im Iran habe sie in Teheran gelebt.

Im Herkunftsstaat hätte die Beschwerdeführerin niemanden mehr, wo sich ihr Vater aufhalte, wisse sie nicht. Ihre Mutter sei in Österreich asylberechtigt. Vorgehalten, bei ihrer Erstbefragung habe sie bezüglich ihrer Mutter einen anderen Namen angegeben und behauptet, diese befände sich im Herkunftsland, erwiderte die Beschwerdeführerin, sie hätte bei der ersten Befragung Angst gehabt und nicht gewusst, was sie sagen solle. Die Beschwerdeführerin stehe zwar mit ihrer Mutter in Kontakt, aber glaube nicht, dass sie Bestätigungen bringen könne. Zudem gebe es noch zwei jüngere (minderjährige) Schwestern im Bundesgebiet, die ebenfalls asylberechtigt seien.

Die Eltern der Beschwerdeführerin hätten Geschwister, sie stehe jedoch nicht in Kontakt zu ihnen und wisse nicht, wo sie aufhältig seien. Aufgefordert, nähere Angaben zu ihren Familienangehörigen zu machen, erklärte die Beschwerdeführerin, sie wisse nichts. Sie glaube nicht, dass sie Cousinen oder Cousins habe, die Großeltern wären alle verstorben. Das Verhältnis zu ihrer Mutter und den Schwestern sei gut, sie telefonierten und besuchten sich gegenseitig.

Die Beschwerdeführerin sei verheiratet, ihr Gatte in Österreich subsidiär schutzberechtigt. Geheiratet hätten sie vor zweieinhalb Jahren in Griechenland vor ihrer Einreise nach Österreich und zwar traditionell, seien aber in Griechenland zu einer Behörde gegangen, die ein Schreiben ausgestellt habe. Zeugen seien ihre Familie und die Familie ihres Gatten gewesen. Kinder gebe es keine.

Weiters brachte die Beschwerdeführerin vor, sie sei Hazara und Schiitin, ihrer Muttersprache sei Dari, sie spreche auch noch Farsi.

Schule habe sie keine besucht, sei jedoch in Afghanistan und im Iran von einer Nachbarin acht Jahre lang zu Hause unterrichtet worden. Sie habe weder eine berufliche Ausbildung erhalten noch jemals gearbeitet. Ihr Lebensunterhalt sei von ihrer Mutter finanziert worden, die im Iran und Afghanistan als Schneiderin tätig gewesen sei und auch die Schleppung finanziert habe.

Als sie Afghanistan verlassen habe, sei die Beschwerdeführerin 13 oder 14 Jahre alt gewesen und im September 2015 illegal in Österreich eingereist. Zuvor hätten sie drei Jahre im Iran verbracht. Ausgereist sei die Beschwerdeführerin mit ihrer Mutter und ihren Schwestern.

Zu ihrem Fluchtgrund gab die Beschwerdeführerin an, ihr Vater sei ein Spieler und aggressiv gewesen, finanziell sei es ihm schlecht gegangen. Er wäre nie zu Hause gewesen, wenn er gekommen sei, habe er mit der Mutter gestritten und jedes Mal gesagt, er würde seine Töchter verkaufen. Sie hätten das nicht so ernst genommen, aber eines Tages habe der Mullah telefonisch angekündigt, dass er zu ihnen kommen werde. Als er sie aufgesucht habe, habe die Beschwerdeführerin erfahren, dass er da gewesen sei, um sie zu heiraten. Ihre Mutter habe das nicht gewollt, woraufhin der Mullah erklärt habe, er würde am nächsten Tag zu ihnen zurückkehren. Zu ihrem Vater habe er gesagt, dass er ihm Zeit gebe, noch einmal mit der Mutter zu sprechen. Am nächsten Tag seien sie in den Iran geflüchtet. Dies seien sämtliche Gründe für ihre Ausreise.

Vorgehalten, bei der Erstbefragung habe die Beschwerdeführerin gesagt, ihr Vater sei drogensüchtig und nun behaupte sie, er wäre spielsüchtig gewesen, antwortete sie, er sei ein Spieler und drogenabhängig gewesen. Sie habe nur einmal gehört, dass er Drogen nehme, mehr wisse sie nicht. Gesagt hätten ihr dies: „Die Frauen“. Aufgefordert, konkretere Angaben zu machen, antwortete die Beschwerdeführerin, sie habe schon alles gesagt.

Persönlich verfolgt oder bedroht worden sei sie nicht. Jenen Mann habe sie nicht gekannt, ihr Vater habe ihn gefunden, er sei alt gewesen. Zeitliche Angaben könne sie zu ihrem Vorbringen nicht machen.

Nachgefragt, ob sie sich an staatliche Stellen gewendet habe, verneinte die Beschwerdeführerin dies und begründete es damit, ihre Mutter habe selber Geld verdient.

Ausdrücklich bestätigte die Beschwerdeführerin, niemals verfolgt worden zu sein, auch nicht wegen ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit.

Im Falle ihrer Rückkehr gebe es keine Sicherheit und sie habe Angst vor ihrem Vater.

Seit ihrer Einreise sei die Beschwerdeführerin nie einer Beschäftigung nachgegangen, sie lebe in der Grundversorgung. Die Beschwerdeführerin sei weder in einem Verein noch in einer Organisation als Mitglied tätig und habe weder Freunde noch Bekannte in Österreich. Sie lerne zu Hause, mache Hausarbeit und räume auf. Vorgelegt wurden Teilnahmebestätigungen an Basisbildungskursen in der Volkshochschule.

In weiterer Folge wurden eine Heiratsurkunde, ausgestellt von der afghanischen Community in Griechenland, sowie Kopien der Pässe der Mutter und der beiden Schwestern der Beschwerdeführerin nachgereicht.

4. Mit gegenständlichem Bescheid des Bundesamtes wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurde der Beschwerdeführerin die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 26.3.2019 erteilt.

Begründend wurde zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen angeführt, dass die vorgebrachten Fluchtgründe nicht glaubhaft gewesen seien. Insgesamt seien die Schilderungen der Beschwerdeführerin nicht ausreichend substantiiert, kaum nachvollziehbar, weil nicht den allgemeinen Lebenserfahrungen entsprechend, und oft divergierend gewesen. Auch hätten ihre Erzählungen blass und ohne Emotionen vorgetragen gewirkt und es habe den Eindruck gemacht, dass es der Beschwerdeführerin nicht von hoher Bedeutung gewesen sei, ihr Fluchtvorbringen zu schildern, zumal sie selbst nach Aufforderung, diese zu konkretisieren, angegeben habe, sie habe bereits alles gesagt.

Der Vollständigkeit halber wurde erwähnt, dass die Beschwerdeführerin auch wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara sowie des schiitischen Glaubens keine Verfolgung zu befürchten und eine solche auch nicht behauptet habe.

5. Gegen Spruchpunkt I. wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, die belangte Behörde habe betreffend die westliche Orientierung der Beschwerdeführerin mangelhaft ermittelt und mangelhafte Länderfeststellungen zur Lage von Frauen und zur Situation von Hazara und Schiiten getroffen.

6. Am 31.8.2021 langten beim Bundesverwaltungsgericht diverse Integrationsunterlagen der Beschwerdeführerin ein: ÖIF Integrationsprüfung Sprachniveau B1 von Dezember 2019, VHS Kursbesuchsbestätigung Basisbildung B1 (300 Unterrichtseinheiten) vom Dezember 2019, Initiative Erwachsenenbildung Zertifikat Basisbildung B1 von Dezember 2019, ÖSD Zeugnis Integrationsprüfung A2 vom August 2019, VHS Teilnahmebestätigung Basisbildung B1 vom Mai 2019, VHS Kursbesuchsbestätigung A2 (300 Unterrichtseinheiten) vom April 2019, VHS Kursbesuchsbestätigung Basisbildung Grundkompetenzen drei (300 Unterrichtseinheiten) von Dezember 2018, ÖIF Teilnahmebestätigung Werte und Orientierungskurs vom Juli 2018, VHS Kursbesuchsbestätigung Basisbildung A2 (300 Unterrichtseinheiten) von Mai 2018, VHS Kursbesuchsbestätigung Basisbildung A1 (320 Unterrichtseinheiten) vom Dezember 2017.

Zu den übermittelten Länderberichten wurde ausgeführt, dass das Länderinformationsblatt vom 11.6.2021 größtenteils wegen der jüngsten Machtübernahme durch die Taliban als überholt einzustufen sei. Danach habe sich die Gefahr asylrelevanter Verfolgung von Personen, die den bekannten Risikoprofilen entsprächen, dramatisch erhöht. Auch die Gefahr von Gruppenverfolgung von Frauen oder Angehörigen der ethnischen Gruppe der Hazara habe sich massiv intensiviert. Die Beschwerdeführerin zähle sowohl zur Risikogruppe der westlich orientierten Frauen als auch zur Volksgruppenminderheit der Hazara und zur Religionsgruppe der Schiiten. Der Beschwerdeführerin wäre wegen ihrer Flucht vor Zwangsverheiratung und ihrer westlichen Orientierung in eventu jedoch bereits alleine aufgrund der Kumulierung ihrer Eigenschaften als afghanische Frau, welche aus Europa zurückkehrte, und als Angehörige der Volksgruppe der Hazara und der Religionsgruppe der Schiiten und der diesbezüglich maßgeblich wahrscheinlichen Verfolgung durch die radikalislamischen Taliban der Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen.

7. Am 2.9.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, zu der das Bundesamt als Verfahrenspartei entschuldigt nicht erschien.

Dabei erklärte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen (und teils auf Deutsch) zunächst, gesund, schiitische Hazara, in einem näher genannten Dorf im Distrikt Sehsang in der Provinz Daikundi geboren und verheiratet zu sein. Ihre Muttersprache sei Dari und sie habe eine 16 Monate alte Tochter.

In der Heimat habe sie durchgehend an der Adresse, an der sie geboren worden sei, gelebt. Im Alter von 13 oder 14 Jahren seien sie in den Iran gereist und von dort weiter nach Österreich. In der Erstbefragung habe sie deshalb angegeben, niemals in Afghanistan gelebt zu haben, weil sie Angst und Stress gehabt und nicht gewusst habe, was sie sagen solle. Ausgereist sei sie gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren Schwestern.

Im Iran sei sie nur einmal gewesen. Vorgehalten, bei der Behörde habe sie davon gesprochen, zwischen Afghanistan und dem Iran gependelt zu sein, erwiderte sie, sie habe damit gemeint, als sich die Situation in der Heimat verschlechtert habe, seien sie in den Iran gezogen. Gelebt hätten sie dort ca. fünf oder sechs Jahre bis zum Jahr 2015. Weiters vorgehalten, vor der Behörde habe sie davon gesprochen, sich drei Jahre im Iran aufgehalten zu haben und nun sechs Jahre, meinte sie, als sie später darüber nachgedacht habe, sei sie draufgekommen, dass sie ca. fünf oder sechs Jahre im Iran gelebt hätte.

Offizielle Schule habe die Beschwerdeführerin keine besucht, jedoch sowohl in Afghanistan als auch im Iran Unterricht von einer Nachbarin erhalten. Dass sie zunächst angegeben hätte, Analphabetin zu sein, erklärte sie damit, sie hätte Stress gehabt und nicht gewusst, was sie sagen solle.

Gearbeitet habe die Beschwerdeführerin in ihrem Leben noch nie und auch keine Ausbildung gemacht.

In der Heimat habe ihr Vater gearbeitet, allerdings die Familie nie versorgt, weshalb die Mutter ihr Leben finanziert habe.

Nachgefragt, wieso sich ihre Angaben betreffend die Namen und das Alter ihrer Familienmitglieder gegenüber früher unterscheiden, antwortete die Beschwerdeführerin, sie sei nicht gebildet und habe deren Alter nicht genau gewusst. In der Heiratsurkunde sei ihnen bezüglich des Namens ihrer Mutter auch ein Fehler unterlaufen.

Als sie sich in Griechenland befunden habe, hätten sie die Eltern ihres jetzigen Ehemannes kennengelernt und für ihn um die Hand der Beschwerdeführerin angehalten. Eine Woche nachdem ihr Mann aus Österreich nach Griechenland gekommen sei, hätten sie geheiratet.

In Afghanistan habe sich die Beschwerdeführerin meistens zu Hause aufgehalten und sei nicht hinausgegangen. Manchmal sei jemand gekommen, um sie zu unterrichten. Im Iran sei ihre Situation nicht gut gewesen, auch in Griechenland als Flüchtling nicht. Im Iran habe sie nicht so oft das Haus verlassen können, in Griechenland schon. Dort habe Sicherheit geherrscht und sie habe sich im Vergleich zu Afghanistan und dem Iran deshalb freier bewegen können.

Im Iran sei die Gesellschaft nicht so gut, deshalb habe sie selbst nicht hinausgehen wollen. Ihre Mutter sei nicht streng gewesen. In Afghanistan sei sie nicht sehr oft hinausgegangen, aber wenn, dann habe sie ein langes Gewand mit einem Schal getragen. Sie selbst sei dort nie einkaufen gegangen, dies habe ihrer Mutter erledigt. Die Beschwerdeführerin hätte es gekonnt, jedoch nicht gewollt.

Dass ihr Vater drogensüchtig gewesen wäre, habe sie von Nachbarinnen gehört. Nachgefragt, warum sie bei der Erstbefragung nicht davon gesprochen habe, dass ihr Vater ein Spieler gewesen sei, antwortete die Beschwerdeführerin, sie hätte es schon gesagt. Vorgehalten, sie habe nur angegeben, dass er drogensüchtig gewesen sei, meinte sie, sie hätte beides gesagt. Weiters nachgefragt, warum sie bei der Erstbefragung nicht davon gesprochen habe, dass sie an den Mullah hätte verheiratet werden sollen, erwiderte sie, sie hätte gesagt, dass ihr Vater in Begleitung eines Mullahs und eines anderen Mannes nach Hause gekommen wäre und sie mit diesem Mann hätte verheiraten werden sollen. Dass sie dies bei der Erstbefragung nicht erwähnt habe, erklärte sie damit, dass sie nicht gefragt worden sei.

Der Grund für ihre Ausreise sei gewesen, dass ihr Vater drogensüchtig und ein Spieler und deshalb ihre finanzielle Lage nicht gut gewesen wäre. Ihr Vater habe immer damit gedroht, dass er die „Mädchen“ verkaufen würde, die Mutter habe dies nicht ernst genommen. Als er eines Tages mit dem Mullah und einem anderen Mann aufgetaucht sei und die Beschwerdeführerin mit diesem Mann habe verheiraten wollen, habe die Mutter Angst bekommen und aus diesem Grund hätten sie entschlossen, in den Iran zu reisen. Ihr Vater sei damit nicht einverstanden gewesen, sie seien vor ihm geflüchtet.

Der Vater habe die Mutter immer wieder geschlagen und sei auch mit ihnen nicht gut umgegangen. Die finanzielle Lage sei schlecht gewesen und darüber hinaus seien die Hazara durch Taliban und den IS gefährdet.

Nachgefragt, ob die Beschwerdeführerin jemals persönlich wegen ihrer Rasse, Herkunft oder Religion bedroht, angegriffen oder gar verletzt worden sei, verneinte sie dies ausdrücklich.

Ihr Ehemann lebe schon seit ca. zwölf oder dreizehn Jahren in Österreich, habe hier gearbeitet und mache gerade die Hauptschule. Er habe einen sehr guten Charakter und sei nett zu ihr. Er mache nichts, ohne es mit ihr vorher zu besprechen. Beschimpft oder geschlagen habe er sie nicht. Wenn er das tue, würde sie vermutlich zur Polizei gehen.

Zu Hause trage die Beschwerdeführerin eine Hose und ein Leibchen. Wenn sie hinausgehe kleide sie sich so wie in der Verhandlung. Seitens der erkennenden Richterin wurde festgehalten, dass sie eine lange Hose, darüber ein gemustertes Kleid mit einer hellen Jacke und einen roten langen Schal, den sie um den Kopf gebunden hat, trägt und leicht geschminkt ist.

Über die Kleidung entscheide sie selbst. In Afghanistan habe sie lange Kleider tragen müssen, hier entscheide sie selbst, manchmal trage sie lange Sachen, manchmal kurze. In der Heimat habe sie gestört, dass sie nicht entscheiden durfte, sich so zu kleiden, wie sie es wolle.

Im Bundesgebiet habe sie vor der Geburt ihrer Tochter einen Deutschkurs besucht, den Haushalt gemacht, momentan sei sie zu Hause und passe auf ihr Kind auf. Manchmal gehe sie mit der Tochter hinaus. Die Einkäufe erledige manchmal sie, manchmal ihr Mann und sie gehe aus dem Haus, wenn sie frische Luft brauche. Manchmal auch alleine.

Zum Arzt gehe sie gewöhnlich gemeinsam mit ihrem Mann, manchmal gehe ihr Mann mit ihrer Tochter zum Arzt, manchmal die Beschwerdeführerin, manchmal gingen sie gemeinsam.

Die Beschwerdeführerin laufe fünfmal pro Woche, trage eine Kopfbedeckung wegen der Sonne, habe ein kurzes Gewand mit einer langen Hose und Sportschuhe. Bei der Kopfbedeckung handle sich um eine normale Kappe. Schwimmen gehe sie nicht, sie habe kein Interesse daran.

Kontakt habe sie hier mit ihrer Mutter, den beiden Schwestern und der Familie ihres Gatten. Kontakte zu Männern habe sie nicht, auch nicht zur österreichischen oder ausländischen Familien. Ihre Freunde oder Bekannte seien Afghanen. Die Familie lebe von der staatlichen Hilfe, gearbeitet habe die Beschwerdeführerin nie. Sie könne sich aber vorstellen zu arbeiten.

Sie und ihr Gatte hätten getrennte Konten und bekämen ihr Geld separat. Die Beschwerdeführerin verwalte jedoch das Geld ihrer Familie. Vorgehalten, dass sich die erkennende Richterin es schwierig vorstelle, wenn jeder ein eigenes Konto habe, antwortete die Beschwerdeführerin, sie versuchten, von beiden Konten Geld auszugeben. Manchmal verfüge sie allein über das Geld, das auf ihr Konto überwiesen werde.

Aufgefordert, den wichtigsten Unterschied ihres Lebens hier in Österreich zu dem in Afghanistan zu schildern, gab die Beschwerdeführerin an, dort habe sie nicht die Freiheit gehabt, darüber zu entscheiden, wie sie sich kleiden solle. Auch habe sie Angst gehabt und keine normale Schule besuchen können. Hier könne sie sich frei äußern, das sei dort nicht möglich gewesen.

Zu ihren Zukunftsplänen gab sie an, wenn ihre Tochter drei Jahre alt werde, wolle sie die Sprache lernen, weil sie in der Zeit zu Hause viele Dinge vergessen habe. Anschließend wolle sie eine Ausbildung machen und danach einer Tätigkeit nachgehen. Sie interessiere sich für Medizin und den Beruf als Friseurin, aber es werde sich dann herausstellen, bei welchem der beiden Berufe sie Erfolg haben werde. Sie habe Deutschkurse auf dem Niveau A1, A2 und B1 sowie eine Basisbildung gemacht. Aktuell besuche sie weder eine Schule noch sei sie aktives Mitglied in einem Verein.

Bezüglich ihrer Tochter wünsche sie sich, dass sie eine Ausbildung mache und sich frei für einen Beruf entscheiden könne. Sie selbst wolle in zehn Jahren ihre Sprache gestärkt und eine Ausbildung absolviert haben und berufstätig sein. Auf Nachfrage der Rechtsberaterin hin bestätigte sie, sie könne sich nicht vorstellen, eine Burka zu tragen und sie nehme die Antibabypille. Ihre Tochter solle sich, wenn sie älter sei, für einen Freund oder Ehemann mit einer anderen Religion entscheiden können.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan habe sie Angst vor ihrem Vater, weil sie nicht wisse, wo er sich aufhalte, aber es sei möglich, dass er sich in der Heimat befinde. Sie habe auch Angst vor den Taliban.

Seitens der erkennenden Richterin wurde eine Frist von 14 Tagen für eine allfällige Stellungnahme zu den Länderinformationen gewährt. Eine Stellungnahme wurde nicht abgegeben.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Auf Grundlage der Einsichtnahme in den Verwaltungs- und Gerichtsakt der Beschwerdeführerin, des persönlichen Eindrucks, den die erkennende Richterin im Rahmen der mündlichen Verhandlung gewinnen konnte, der vorgelegten Unterlagen sowie der Einsichtnahmen in das Zentrale Melderegister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1.    Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin ist afghanische Staatsangehörige und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Sie ist schiitischer Muslima, ihre Muttersprache ist Dari.

Sie hat in Griechenland einen afghanischen Staatsangehörigen geheiratet, ihr Gatte lebt im Bundesgebiet und hat hier – wie die Beschwerdeführerin selbst – subsidiären Schutz (GZ W222 1419128-1/12E). Die beiden haben eine nachgeborene Tochter im Kleinkindalter. In Österreich befinden sich zudem noch die Mutter und die beiden Schwestern der Beschwerdeführerin.

Die Beschwerdeführerin stammt ursprünglich aus dem Distrikt Sehsang in der Provinz Daikundi, reiste zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt zunächst in den Iran aus, wo sie in Teheran lebte, bevor sie weiter nach Europa zog.

Die Beschwerdeführerin wurde ca. acht Jahre zu Hause von Nachbarinnen unterrichtet, sie war nie berufstätig und hat keine Berufsausbildung. Ihre Mutter verdiente ihr Geld als Schneiderin.

Im Bundesgebiet besuchte die Beschwerdeführerin Deutsch- und Basisbildungskurse bis zum Niveau B1 sowie den Werte- und Orientierungskurs. Sie absolvierte die Integrationsprüfung B1. Ansonsten nahm sie an keinen Ausbildungen teil, war nie ehrenamtlich oder in Vereinen tätig und pflegt nur Kontakt zu ihren Angehörigen und der Familie ihres Gatten. Kontakt zu Österreichern pflegt sie nicht.

1.2.    Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht der Beschwerdeführerin keine Verfolgung durch ihren Vater und auch keine Zwangsehe.

Die Beschwerdeführerin konnte nicht glaubhaft machen, dass ihr Vater spiel- und/oder drogensüchtig gewesen ist und sie an den Mullah oder einen anderen Mann zwangsverheiraten wollte.

Die Beschwerdeführerin war in Afghanistan wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara und als Schiitin weder konkret noch individuell physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt.

Die Beschwerdeführerin konnte nicht glaubhaft machen, dass sie einen westlich orientierten, selbstständigen und selbstbestimmten Lebensstil führt, der zu solch einem Bestandteil ihrer Identität geworden ist, dass nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken.

1.3.    Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Stand 16.9.2021, die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, Stand 30.08.2018, die UNHCR-Position zur Rückkehr nach Afghanistan, Stand August 2021, die EASO Guidelines, die Analyse der Staatendokumentation zur Gesellschaftlichen Einstellung zu Frauen in Afghanistan, Stand 25.6.2020, die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Afghanistan vom 3.5.2019 über Kinderehen, Zwangsehen, das Statement des UNHCR vom August 2021 betreffend einer Rückkehr, das Emergency Update UNHCR vom 20.8.2021 und der Ausblick des UNHCR vom August 2021 betreffend die Situation von Juli bis Dezember 2021 stellen einen integrierten Bestandteil dieses Erkenntnisses dar und werden als Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat herangezogen.

2.       Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakt, den vorgelegten Unterlagen und Schriftsätzen sowie dem vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführten Ermittlungsverfahren, insbesondere der Einvernahme der Beschwerdeführerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung und dem persönlichen Gesamteindruck, den die erkennende Richterin dort gewinnen konnte.

2.1.    Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, der Muttersprache sowie ihrer familiären Situation in Österreich gründen sich auf ihre diesbezüglich stringenten und somit schlüssigen Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen zu zweifeln.

Festzuhalten ist jedoch, dass die Beschwerdeführerin im Rahmen der Erstbefragung zunächst ausdrücklich angab, sie wäre im Iran geboren und aufgewachsen und habe nie in Afghanistan gelebt, um später im weiteren Verfahren dazu im Widerspruch davon zu sprechen, sie sei in einem näher genannten Dorf in Daikundi geboren, wäre zwischen dem Iran und Afghanistan gependelt und vor ihrer Ausreise drei Jahre im Iran geblieben.

In der Verhandlung erklärte sie im Unterschied dazu wiederum, sie sei nur einmal aus Afghanistan in den Iran ausgereist und dort ca. fünf bis sechs Jahre geblieben. Diese Widersprüche konnte die Beschwerdeführerin auch auf Vorhalt nicht schlüssig ausräumen, denn zu Letzterem antwortete lediglich ausweichend, sie hätte nochmals nachgerechnet und bei der Erstbefragung habe sie das deshalb angegeben, niemals in Afghanistan gelebt zu haben, weil sie Angst und Stress gehabt und nicht gewusst hätte, was sie sagen solle. Auch ihre Angabe in der Erstbefragung, sie wäre Analphabetin – obwohl sie zu Hause acht Jahre Unterricht erhielt – versuchte die Beschwerdeführerin mit derselben nicht glaubhaften, vielmehr als Schutzbehauptung zu wertenden Aussage zu rechtfertigen.

Zudem nannte die Beschwerdeführerin im behördlichen Verfahren sowohl andere Namen und ein anderes Alter ihrer Familienangehörigen. Vorgehalten, bei der Erstbefragung habe sie bezüglich ihrer Mutter einen anderen Namen angegeben und behauptet, diese befände sich im Herkunftsland, benutzte die Beschwerdeführerin ausweichend ebenso das gleiche Argument, sie habe damals Angst gehabt und nicht gewusst, was sie sagen solle. Damit konnte die Beschwerdeführerin ihre unterschiedlichen Angaben zu diesen Themen jedoch nicht nachvollziehbar machen. Auch auf Vorhalt der erkennenden Richterin konnte sie diese Widersprüche wiederum nicht ausräumen. Auch, dass in ihrer Heiratsurkunde der Namen der Mutter der Beschwerdeführerin einen anderer sei, erklärte sie nur indem sie sich auf einen Fehler berief.

Insgesamt ist somit festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin zu ihrem Geburtsort, verschiedenen Daten ihrer Familienangehörigen und der Dauer ihres Aufenthaltes im Iran widersprüchliche, somit nicht nachvollziehbare und daher auch wahrheitswidrige Angaben machte.


2.2.          Zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin:

Das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin war insgesamt ausgesprochen unbestimmt und zudem widersprüchlich.

So erklärte sie zunächst vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes hierzu Folgendes: „Mein Vater ist Drogensüchtig und wollte seine Sucht damit finanzieren, indem er mich verkaufen wollte.“

Vor dem Bundesamt gab die Beschwerdeführerin dann im Widerspruch dazu an, ihr Vater sei ein Spieler gewesen. Ihre Angaben bei der Erstbefragung vorgehalten, antwortete sie, er sei ein Spieler und drogenabhängig gewesen und versuchte den Widerspruch noch damit zu relativieren, sie habe nur einmal gehört, dass er Drogen nehme, mehr wisse sie nicht. Gesagt hätten ihr dies: „Die Frauen“. Aufgefordert, konkretere Angaben zu machen, antwortete die Beschwerdeführerin dann, sie habe schon alles gesagt.

Insgesamt sind die Angaben zu ihrem Vater somit nicht nur widersprüchlich, sondern auch äußerst vage, zumal sie vor dem Bundesverwaltungsgericht zu diesem Punkt auch nur allgemein vorbrachte, dass ihr Vater drogensüchtig gewesen sei, hätte sie von Nachbarinnen gehört. Nachgefragt, warum sie bei der Erstbefragung nicht davon gesprochen habe, dass ihr Vater ein Spieler gewesen wäre, behauptete die Beschwerdeführerin dann vor der erkennenden Richterin, sie hätte es schon gesagt und versuchte sich, nochmals vorgehalten, sie habe nur angegeben, dass er drogensüchtig gewesen sei, damit zu rechtfertigen, sie hätte beides gesagt.

Aber auch stellt sich insbesondere der Kern der Fluchtgeschichte der Beschwerdeführerin als grob widersprüchlich dar.

Zunächst brachte die Beschwerdeführerin vor der Behörde vor, ihr Vater hätte jedes Mal beim Streit mit der Mutter gesagt, er würde seine Töchter verkaufen. Sie hätten das nicht so ernst genommen, aber eines Tages habe der Mullah telefonisch angekündigt, dass er zu ihnen kommen werde. Als er sie aufgesucht habe, habe die Beschwerdeführerin erfahren, dass er da gewesen sei, um sie zu heiraten. Ihre Mutter habe das nicht gewollt, woraufhin der Mullah erklärt habe, er würde am nächsten Tag zu ihnen zurückkehren. Zu ihrem Vater habe er gesagt, dass er ihm Zeit gebe, noch einmal mit der Mutter zu sprechen. Aus dieser Schilderung geht eindeutig hervor, dass die Beschwerdeführerin demnach den Mullah hätte heiraten sollen.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung gab sie, nachgefragt, warum sie bei der Erstbefragung nicht davon gesprochen habe, dass sie an den Mullah hätte verheiratet werden sollen, wiederum an, sie hätte gesagt, dass ihr Vater in Begleitung eines Mullahs und eines anderen Mannes nach Hause gekommen wäre und sie mit diesem Mann – und nicht dem Mullah – hätte verheiraten werden sollen.

Es ist absolut nicht plausibel, wenn die Beschwerdeführerin in diesem zentralen Punkt – ob sie den Mullah oder eine andere, vor der Behörde im erstinstanzlichen Verfahren noch nicht einmal erwähnte Person heiraten soll – einander grob widersprechende Angaben macht, obwohl diese drohende Zwangsverheiratung gleichzeitig das die Flucht auslösende Ereignis darstellen soll. Der Umstand als Frau mit jemanden gegen den eigenen Willen verheiratet werden zu sollen, deshalb mit der Mutter gemeinsam das Heimatland verlassen zu haben und dennoch keine klaren und unmissverständlichen Angaben zur konkreten Person dieses Mannes zu machen spricht vielmehr dafür, dass sich dieses Ereignis nicht so zugetragen hat, wie die Beschwerdeführerin behauptet.

In einer Gesamtschau ist es der Beschwerdeführerin wegen ihres – trotz konkreten Nachfragens – insgesamt durchgehend äußerst vagen und widersprüchlichen gebliebenen Vorbringens nicht gelungen, glaubhaft zu machen, in der Heimat von Zwangsverheiratung und Verfolgung durch ihren Vater bedroht zu werden.

Hervorzuheben ist weiters, dass die Beschwerdeführerin, nachgefragt, ob sie persönlich aus Gründen der Rasse oder Religion bedroht oder verfolgt worden sei, dies ausdrücklich verneinte und während des gesamten Verfahrens stetig dazu angab – abgesehen von ihrem Vater – kein einziges Mal in Afghanistan persönlich bedroht oder verfolgt worden zu sein, auch nicht wegen ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit.

Aber auch hinsichtlich der vorgebrachten westlichen Orientierung konnte die Beschwerdeführerin nicht überzeugend glaubhaft machen, dass sie ein solches westliches Verhalten oder eine derartige westliche Lebensführung angenommen hat, die in Afghanistan als Verletzung der sozialen Normen angesehen würde und zu solch einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, dass es für sie eine asylrelevante Verfolgung bedeuten würde, wenn sie dieses Verhalten im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan unterdrücken müsste.

Die Beschwerdeführerin gab auf Nachfrage der erkennenden Richterin zwar an, in zehn Jahren in Österreich ihre Sprache gestärkt haben und eine Ausbildung absolviert haben zu wollen, blieb hierzu ebenso vage, wie bei ihrem angeblichen Berufswunsch, indem sie konkret dazu in der mündlichen Verhandlung auf die Frage, ob sie schon konkrete Vorstellungen dazu habe, sagte: „Ich interessiere mich für Medizin und für den Beruf als Friseurin, aber es wird sich dann herausstellen, bei welchen der beiden Berufe ich Erfolg haben werde.“

Gleichfalls blieb bis zuletzt nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführerin eine berufliche Selbstständigkeit tatsächlich ein Bedürfnis ist, wenn sie erst nachdem ihre Tochter drei Jahre alt sein wird, beabsichtigt ihre Sprachkenntnisse wieder zu stärken, erst dann eine Ausbildung zu machen und anschließend einer Tätigkeit nachgehen zu wollen. In diesem Zusammenhang ist weiters darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin, deren Tochter erst 2020 geboren wurde, zwar seit 2015 Deutschkurse bis B1 und den Werte- und Orientierungskurs besuchte, jedoch darüber hinaus bisher keinen einzigen Versuch unternahm, eine Ausbildung tatsächlich in Angriff zu nehmen. Auch war sie niemals ehrenamtlich tätig, sie war schon gar nicht erwerbstätig und setzte auch sonst keine maßgeblichen anderen Schritte in Richtung Selbstständigkeit oder Berufsleben, sodass ihre diesbezüglichen Ambitionen als nicht glaubhaft erscheinen.

Zudem pflegt die Beschwerdeführerin keinen Kontakt zu Österreichern – schon gar nicht zu Männern – sondern hat nur afghanische Freundschaften und trifft sich mit ihrer Familie und der ihres Mannes. Sie ist kein Mitglied in einem Verein, nimmt nicht an sonstigen Aktivitäten mit anderen Personen Teil und betreibt – außer Laufen – keinen Sport. Die meiste Zeit verbringt sie zu Hause, wo sie sich, wie sie auch schon vor der Behörde angab, der Hausarbeit widmete und nunmehr auch ihrer Mutterschaft und die Betreuung ihres Kindes wahrnimmt.

In der Heimat war sie laut eigenen Angaben schon nie einkaufen gegangen, weil sie kein Interesse daran gehabt habe. Dies habe ihre Mutter erledigt, die auch als Schneiderin ihr Geld verdient hatte. Im Bundesgebiet geht die Beschwerdeführerin zwar manchmal alleine einkaufen, oft erledigt dies aber auch ihr Mann oder beide gemeinsam. Ähnlich stellt sich die Situation bei den Arztbesuchen dar, die Beschwerdeführerin diese nach ihren Angaben in Begleitung ihres Mannes absolviert. Auch wenn die Beschwerdeführerin ihre Tochter, wie sie auch sagte, manchmal selbst zum Arzt bringt, konnte sie damit im Ergebnis nicht ausreichend vermitteln, dass ihr die diesbezügliche Selbstständigkeit ein besonderes Anliegen wäre.

Die erkennende Richterin verkennt zwar nicht, dass laut Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes das Tragen eines Kopftuches für sich noch nicht gegen eine westliche Orientierung spricht, denn im konkreten Fall bestärkte auch das äußere Erscheinungsbild in der mündlichen Verhandlung, wo sich die Beschwerdeführerin nach wie mit eher traditioneller Kleidung zeigte, lediglich den bereits schon damit unterstrichenen an traditionellen afghanischen Werten und an der afghanischen Kultur orientierten Gesamteindruck, den die Beschwerdeführerin insgesamt in der mündlichen Verhandlung vermittelte, indem sie angab, nur mit langer und nicht auch etwa bei heißer Witterung mit kurzen Hosen ihren Sport, das Laufen zu betreiben. Unter diesen Umständen reicht weder die pauschale Erklärung der Beschwerdeführerin, in der Heimat habe sie gestört, dass sie nicht über ihre Kleidung habe entscheiden können ebenso wenig für die Annahme einer inneren westlichen Orientierung aus, wie der nur allgemein vorgebrachte Hinweis auf die hiesige Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung.

Außerdem wirkten einige Antworten Beschwerdeführerin nicht spontan sondern einstudiert und sie konnte – zumal sie zugab selbst hier auch traditionelle Kleidung zu tragen – zum Bespiel nicht glaubhaft vermitteln, dass sie im Falle einer Rückkehr nicht bereit oder tatsächlich aufgrund ihrer inneren Einstellung nicht in der Lage wäre, eine Burka zu tragen. Diese Angaben machte die Beschwerdeführerin erst auf Nachhaken der rechtlichen Vertretung, obwohl sie zuvor bei der ausführlichen Befragung durch die erkennende Richterin schon oft dazu Gelegenheit gehabt hätte.

Dasselbe gilt betreffend die von der rechtlichen Vertretung angesprochene Familienplanung. Zum einen bedeutet die aktuelle Einnahme der Antibabypille nicht automatisch, dass die Beschwerdeführerin auch in Hinkunft keine Kinder mehr haben will und zum anderen gab die Beschwerdeführerin zu diesem Thema wenig überzeugend zu Protokoll:

„RV: Betreiben Sie aktiv Familienplanung?

BF: Können Sie das näher beschreiben?

RV: Ich habe Sie in der Vorbereitung befragt, ob Sie Medikamente nehmen und Sie haben mir dann etwas erzählt, können Sie das bitte wiederholen?

BF: Ich nehme die Antibabypille.

RV: Das ist, was man unter Familienplanung bezeichnet, dass Sie entscheiden, ob Sie ein Kind bekommen oder nicht?

BF: Ja, sicher.“

Widersprüchlich ist weiters, dass die Beschwerdeführerin zuerst angab, sie verwalte das Geld der Familie und erst auf Vorhalt, wie dies bei getrennten Konten möglich wäre, ausweichend dazu antwortete, „wir“ versuchten, von beiden Konten Geld auszugeben, beispielsweise würde die Miete vom Konto des Mannes bezahlt und andere Ausgaben würden vom Konto der Beschwerdeführerin gedeckt und manchmal verfüge die Beschwerdeführerin alleine über das Geld, das auf ihrem Konto überwiesen werde. Damit ist nicht glaubhaft, dass die Beschwerdeführerin alleine, ohne Unterstützung ihres Mannes die Finanzen der Familie verwaltet.

Der Vollständigkeit halber ist ergänzend in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin in Griechenland traditionell geheiratet hat, nachdem die Familie ihres Mannes – also ebenso entsprechend den afghanischen Gebräuchen und der afghanischen Kultur – um die Hand der Beschwerdeführerin angehalten hatte und sie ihren Ehemann im Zeitpunkt der Heirat erst eine Woche gekannt hatte.

Auch ist zu bemerken, dass sich die Beschwerdeführerin aktuell nachdem sie sich bereist durchgehend seit 2015 im Bundesgebiet, also seit nunmehr mehr als 5 Jahren aufhält, sich ihres Status als subsidiär Schutzberechtigter nicht bewusst ist, indem sie wiederholt in der mündlichen Verhandlung davon sprach, ein Visum zu haben.

In einer Gesamtschau konnte die Beschwerdeführerin somit nicht glaubhaft machen, den westlichen Lebensstil tatsächlich derart verinnerlicht zu haben, dass sie davon nicht mehr abrücken würde bzw. könnte.

Eine aktuelle Gruppenverfolgung der Hazara bzw. der Schiiten in Afghanistan lässt sich weder aus bisherigen noch aus aktuellen Länderinformationen oder Medienberichten bzw. der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ableiten. So hat der Verwaltungsgerichthof in den letzten Jahren keine Gruppenverfolgung der Hazara irgendwo in Afghanistan angenommen (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048). Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich durch die Machtübernahme durch die Taliban daran etwas geändert hat.

2.3.    Zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche bieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der herangezogenen Länderinformationen zu zweifeln. Die den Feststellungen zugrundeliegenden Länderberichte sind in Bezug auf die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan aktuell. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich durch Einsichtnahme in die jeweils verfügbaren Quellen (u.a. laufende Aktualisierung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation) davon versichert, dass zwischen dem Stichtag der herangezogenen Berichte und dem Entscheidungszeitpunkt keine wesentliche Veränderung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan eingetreten ist. Die in der angefochtenen Entscheidung und in der Beschwerde zitierten Länderberichte sind durch die aktuellen, in den Feststellungen zitierten Länderinformationen überholt.


3.          Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und verfahrensrechtliche Grundlagen:

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, liegt gegenständlich die Zuständigkeit der nach der geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichts zuständigen Einzelrichterin vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte ist mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts durch das Verwaltungsgerichtsverfahrens (VwGVG) geregelt. Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG idgF bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zweck des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG idgF sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß §§ 16 Abs 6 und 18 Abs 7 BFA-VG idgF sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

3.2. Zu Spruchpunkt A.)

3.2.1. Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten

3.2.1.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:

„Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1.         dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder
2.         der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

…“

3.2.1.2. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt also dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "begründete Furcht vor Verfolgung" (VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthalts zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011 ua).

Nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr kann relevant sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Eine Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zahl 98/01/0370; 22.10.2002, Zahl 2000/01/0322).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256). Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. hiezu VwGH 21.01.1999, 98/18/0394; 19.10.2000, 98/20/0233, mwH).

Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation kann nach ständiger Judikatur nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden (vgl. VwGH vom 17.06.1993, Zl. 92/01/1081; VwGH vom 14.03.1995, Zl. 94/20/0798).

Nach der Rechtsprechung des VwGH können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden (vgl. etwa VwGH vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017-0018, mwN). Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Verfolgung vom Heimatstaat ausgeht. Auch eine private Verfolgung kann insoweit maßgeblich sein, als der Heimatstaat nicht gewillt oder in der Lage ist, Schutz vor solcher Verfolgung zu gewähren. Es sind daher konkrete Feststellungen zur Lebensweise der Asylwerberin im Entscheidungszeitpunkt zu treffen und ist ihr diesbezügliches Vorbringen einer Prüfung zu unterziehen (VwGH 22.03.2017, Ra 2016/18/0388).

3.2.1.3. Die Beschwerdeführerin ist in Afghanistan nicht von Zwangsverheiratung durch ihren Vater oder von Verfolgung durch diesen bedroht.

3.2.1.4. Wie oben festgestellt, hat sich die Beschwerdeführerin keine westliche Lebensführung angeeignet, die zu einem solch wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, dass von ihr nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen.

Der Beschwerdeführerin droht in der Heimat somit auch keine Verfolgung als westlich orientierte Frau.

3.2.1.5. Eine konkrete individuelle Verfolgung wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara und/oder ihrer schiitischen Religion wurde von der Beschwerdeführerin verneint.

Eine unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ihrer Volksgruppe im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffs von erheblicher Intensität kann das Bundesverwaltungsgericht nicht feststellen. Den vorliegenden Länderberichten ist zu entnehmen, dass sich die Situation für die während der erstmaligen Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara in der Zwischenzeit deutlich verbessert hat, wenngleich die gesellschaftlichen Spannungen fortbestehen und in lokal unterschiedlicher Intensität gelegentlich wiederaufleben. So sind Hazara noch immer von Diskriminierungen in Form von illegaler Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Gewalt und Inhaftierung betroffen. Im Lichte der derzeitigen Sicherheitslage in Afghanistan ist auch festzuhalten, dass vereinzelte Angriffe, Entführungen oder Tötungen von Zivilpersonen sowie Terroranschläge in Afghanistan grundsätzlich jederzeit und überall möglich sind und diese alle Bevölkerungsgruppen treffen können. Die in Afghanistan immer wieder bestehende Diskriminierung der schiitischen Hazara und die beobachtete Zunahme von Übergriffen gegen Hazara erreichen aber nicht ein Ausmaß, das die Annahme rechtfertigen würde, dass in Afghanistan lebende schiitische Hazara wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen und religiösen Minderheit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätten. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geht davon aus, dass die Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara - unbeschadet der schlechten Situation für diese Minderheit - nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde (EGMR 05.07.2016, 29.094/09, A.M./Niederlande). Auch der Verwaltungsgerichtshof nahm in den letzten Jahren keine Gruppenverfolgung der Hazara irgendwo in Afghanistan an (VwGH 28.03.2019, Ra 2018/14/0428; 28.01.2020, Ra 2019/20/0404). Eine maßgeblich andere Lage der Situation der Hazara nach der Übernahme der Macht durch die Taliban wird aus den tagesaktuellen Berichten zur dortigen Lage ebenfalls nicht ersichtlich. Wenngleich vereinzelt (auch) Hazara von Übergriffen der Taliban betroffen waren und sind, erreichen diese derzeit nicht ein Ausmaß, dass angenommen werden könnte, jeder der dort lebenden Hazara – ca. 9 bis 10% der Bevölkerung von ca. 32 bis 36 Millionen Afghanen sind Hazaras – hätte derzeit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung zu befürchten. Da eine Gruppenverfolgung in Hinblick auf die Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit von Hazara und Schiiten in Afghanistan nicht gegeben ist und die Beschwerdeführerin diesbezüglich auch keine individuelle Bedrohung nachvollziehbar und demnach nicht glaubhaft dargetan hat, lässt sich aus diesem Vorbringen – entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin auch nicht kumulativ – eine asylrelevante Verfolgung ableiten.

3.2.1.6. Im Ergebnis droht der Beschwerdeführerin daher aus den von ihr ins Treffen geführten Gründen im Herkunftsstaat keine asylrelevante Verfolgung.

Die Beschwerde ist als unbegründet abzuweisen.

3.3. Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG im vorliegenden Fall nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Zudem ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen oder es steht in vielen Punkten die Tatfrage im Vordergrund.

Schlagworte

Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Bürgerkrieg Fluchtgründe Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Gruppenverfolgung mündliche Verhandlung staatlicher Schutz Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung westliche Orientierung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W174.2194024.1.00

Im RIS seit

02.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

02.02.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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