Entscheidungsdatum
06.10.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W187 2189922-1/37E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch MMMMag. Dr. Konstantin HAAS, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX und XXXX zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 6.10.2022 erteilt.
IV. Die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
1. Der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein, wo er am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
2. Im Rahmen seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX wurde der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu zu seiner Identität, seiner Reiseroute und seinen Fluchtgründen einvernommen. Hier gab er an, ledig zu sein und keine Kinder zu haben. Der Beschwerdeführer sei am XXXX in Afghanistan in Jalalabad geboren, afghanischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und sunnitischer Moslem. Seine Familie lebe nach wie vor im Herkunftsstaat. Als Beweggrund für seine Ausreise gab er an, die Taliban hätten ihn für den Krieg rekrutieren wollen. Einmal hätten sie Drohbriefe vor das Haus geworfen, welche sein Cousin väterlicherseits gefunden und ihm übergeben habe. Im Brief sei gestanden, dass er mit den Taliban in den Krieg ziehen solle, ansonsten würden sie ihn umbringen. Der Beschwerdeführer habe den Brief seiner Mutter gegeben, welche ihn zu seinem Onkel gebracht habe. Der Onkel habe den Beschwerdeführer dann ins Ausland geschickt. Im Fall seiner Rückkehr in seine Heimat befürchte er, von den Taliban umgebracht zu werden.
3. Aufgrund von Zweifeln an der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Handwurzelröntgen zur Bestimmung des Knochenalters an, dem sich der Beschwerdeführer am XXXX unterzog. Laut Röntgenbefund waren sämtliche Epiphysenfugen an den Phalangen und den Metacarpalia geschlossen. Am Radius zeigte sich eine zarte Epiphysennarbe. Weiter holte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein rechtsmedizinisches Sachverständigengutachten zum Lebensalter des Beschwerdeführers ein, wonach das spätestmögliche Geburtsdatum des Beschwerdeführers der XXXX sei. Das vom Beschwerdeführer angegebene Geburtsdatum sei mit dem festgestellten höchstmöglichen Mindestalter nicht vereinbar.
4. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers fest und bestimmte das Geburtsdatum des Beschwerdeführers mit XXXX .
5. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu und einer Vertrauensperson niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Hier gab der Beschwerdeführer eingangs an, er sei gesund und benötige keine Medikamente. Sein Vater sei bereits verstorben, seine restliche Familie lebe nach wie vor im Heimatdorf in der Provinz Nangarhar. Zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen zusammengefasst aus, die Taliban hätten ihn rekrutieren wollen. Der Beschwerdeführer habe jedoch nicht in den Krieg ziehen wollen, woraufhin die Taliban gedroht hätten, ihn umzubringen. Es seien mehrere Jungen von den Taliban mitgenommen und für den Kampf gegen die Ungläubigen trainiert worden. Als er einen Drohbrief erhalten habe, habe seine Mutter Angst bekommen und den Beschwerdeführer zu seinem Onkel mütterlicherseits nach Jalalabad geschickt. Seine Mutter und sein Onkel hätten schließlich entschieden, den Beschwerdeführer nach Europa zu schicken. Im Fall seiner Rückkehr in die Heimat befürchte der Beschwerdeführer, von den Taliban umgebracht zu werden.
6. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom XXXX wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sodann sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde unter Spruchpunkt VI. gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.
7. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, mit Schreiben vom XXXX fristgerecht vollumfängliche Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, unrichtiger rechtlicher Beurteilung, Mangelhaftigkeit des Verfahrens aufgrund fehlerhafter bzw. unzureichender Ermittlungen und mangelhafter Beweiswürdigung.
8. Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Entscheidung vorgelegt. Unter einem verzichtete die belangte Behörde auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.
9. Mit Ladung vom XXXX beraumte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung für den XXXX an und übermittelte den Parteien einschlägige Länderinformationen zu Afghanistan.
10. Die belangte Behörde teilte mit Schreiben vom XXXX mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters an der mündlichen Beschwerdeverhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei. Ungeachtet dessen werde die Abweisung der Beschwerde beantragt und um Übersendung des Verhandlungsprotokolls ersucht.
11. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein seiner Rechtsvertreterin und einer Dolmetscherin vom erkennenden Richter zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und seinen Beschwerdegründen einvernommen wurde. Die belangte Behörde blieb der mündlichen Verhandlung fern.
Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:
„[…]
Richter: Verstehen Sie die Dolmetscherin gut?
Beschwerdeführer: Ja.
Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?
Beschwerdeführer: Danke, mir geht es gut.
Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?
Beschwerdeführer: Nein. Ich bin bis jetzt nicht krank geworden.
[…]
Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?
Beschwerdeführer: Ich habe die Wahrheit gesagt. Bei einer Frage, die ich eigentlich mit nein beantwortet habe, wurde diese Frage mit ja protokolliert. Ich weiß nicht, ob der Fehler beim Dolmetscher lag oder ob es falsch aufgenommen wurde. Ich wurde gefragt, ob ich in einer anderen Provinz leben kann. Ich habe diese Frage mit nein beantwortet.
Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?
Beschwerdeführer: Ich bin XXXX Jahre alt. Ich kenne mein genaues Geburtsdatum nicht. Ich bin XXXX Jahre alt, bin in Jalalabad, in Afghanistan, geboren.
Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?
Beschwerdeführer: Meine Muttersprache ist Paschtu. Ich spreche Dari und auch Deutsch.
Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.
Beschwerdeführer: Ich bin Paschtune, ledig und ich bin Sunnit.
Richter: Haben Sie Kinder?
Beschwerdeführer: Nein.
Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.
Beschwerdeführer: Ich wurde in XXXX geboren und bin dort aufgewachsen. Ich bin dann zu meinem Onkel mütterlicherseits, der in Jalalabad gelebt hat, gezogen.
Richter: Wie haben Sie in Afghanistan gewohnt?
Beschwerdeführer: In XXXX habe ich in unserem Haus gemeinsam mit meinem Onkel väterlicherseits gelebt.
Richter: Was haben Sie in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?
Beschwerdeführer: Ich habe 6 Jahre die Schule besucht. Dann habe ich 3 oder 4 Monate meinem Vater in seinem Geschäft geholfen.
Richter: Welche Schulbildung haben Sie erhalten?
Beschwerdeführer: Ich habe 6 Jahre die Schule besucht und die Schule nicht abgeschlossen.
Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?
Beschwerdeführer: Meine Familie lebt in XXXX . Mein Vater ist verstorben. Meine Mutter und meine beiden Brüder leben bei meinem Onkel väterlicherseits.
Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?
Beschwerdeführer: Ja. Ich rufe sie über Facebook an.
Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?
Beschwerdeführer: Meine 2 Tanten mütterlicherseits und mein Onkel väterlicherseits leben in XXXX . Mein Onkel mütterlicherseits lebt in Jalalabad.
Richter: Wollen Ihre Mutter und Geschwister auch nach Österreich kommen?
Beschwerdeführer: Das wäre ein Wunsch von mir. Meine Mutter ist mittlerweile schon alt. Ich habe 2 kleinere Brüder. Sie sind XXXX und XXXX Jahre alt. Wenn meiner Mutter etwas passieren sollte, weiß ich nicht, was aus meinen Brüdern wird.
Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?
Beschwerdeführer: Ich spiele Fußball, ich besuche einen Deutschkurs, ich stehe jeden Tag um 7 Uhr auf, spiele bis 10 Uhr Fußball, danach gehe ich in den Deutschkurs. Um 4 Uhr komme ich nach Hause. Dann mache ich mir etwas zum Essen. Ich gehe spazieren. Danach lerne ich etwas und lege mich dann wieder hin.
Richter: Haben Sie Verwandte in Österreich?
Beschwerdeführer: Nein.
Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?
Beschwerdeführer: Ich bin in einem Fußballverein. Der Name des Vereins fällt mir gerade nicht ein. Der Name ist etwas schwierig und fällt mir gerade nicht ein.
Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?
Beschwerdeführer: Nein.
Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!
Beschwerdeführer: Ich hatte Probleme mit den Taliban. Sie haben mich aufgefordert, dass ich zu ihnen komme und mich ihnen anschließe und mit ihnen in den Krieg ziehe. Sie sagten, wenn ich nicht mit ihnen gemeinsam kämpfen sollte, dann würden sie mich töten. Sie haben auch einen Brief hinterlegt. Diesen habe ich mit. Wenn ich mich ihnen nicht anschließe, werden sie mich töten. Sie haben mir den Brief hinterlegt. Sie haben diesen Brief in unser Haus geworfen. Mein Cousin väterlicherseits hatte diesen Brief vorgefunden. Er hat als erster diesen Brief gelesen. Dann hat meine Mutter davon erfahren. Sie war sehr beunruhigt und hat mich dann zum Onkel mütterlicherseits geschickt. Sie haben dann beschlossen, dass ich von dort weggehen muss. Das ist meine Geschichte. Ich habe von vielen Leuten gehört, jungen Burschen wurde immer erzählt, dass der Krieg etwas Gutes ist und wir alle in den Krieg ziehen müssen. Ich lebe schon seit einiger Zeit in Österreich. Bis jetzt habe ich in Österreich nicht einmal einer Fliege etwas Schlechtes zugefügt. Ich möchte hier ein ruhiges und friedliches Leben führen.
Die Rechtsvertreterin legt eine Fotografie des Drohbriefs vor.
Dolmetscherin: XXXX , Mullah XXXX . Islamisches Emirat Afghanistan. Militärfront der Taliban der östlichen Zone. An den Bewohner des Distriktes XXXX , XXXX , des Dorfes XXXX , XXXX Sohn des XXXX , wird benachrichtigt, dass er sich den Taliban des islamischen Emirates von Afghanistan den Taliban des Distriktes XXXX anschließt. Wenn er dieser Forderung nicht nachkommt, wird er eine harte Strafe bekommen, nämlich so wie der Tod seines Vaters. Provinz Nangarhar, Militärkommission der Taliban der östlichen Zone. XXXX Stempel: Islamischer Emirat Afghanistan, weiteres nicht leserlich, Unterschrift des Zuständigen der Militärfront.
Dieses Schreiben wird zum Akt genommen.
Richter: Sind Sie jemals persönlich bedroht oder angegriffen worden?
Beschwerdeführer: Angegriffen wurde ich nicht, aber ich weiß, dass viele Personen von ihnen mitgenommen wurden.
Richter: Wodurch sind Sie aktuell in Afghanistan bedroht?
Beschwerdeführer: Ich wurde aufgefordert, mit ihnen zu kämpfen. Ich wollte das aber nicht. Die Leute, die mutig waren, sind mit ihnen mitgegangen und haben mit ihnen gemeinsam gekämpft. Ich war es aber nicht. Ich wollte nicht mit diesen Leuten kämpfen. Ich wollte niemandem Schaden hinzufügen.
Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?
Beschwerdeführer: Ich bin aus Afghanistan nach Pakistan gegangen, danach in den Iran, dann war ich in der Türkei. Von der Türkei bin ich über Bulgarien nach Serbien und weiter nach Ungarn gekommen und von dort nach Österreich.
Richter: Wie haben Sie die Reise bezahlt?
Beschwerdeführer: Mein Onkel mütterlicherseits, der in Jalalabad lebt, hat alles bezahlt.
Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!
Beschwerdeführer: Ich habe hier die Sprache gelernt. Ich habe Leute hier kennengelernt. Ich möchte hier leben. Ich habe keine Probleme verursacht und habe auch keine Probleme mit der Polizei und möchte in Österreich mein Leben führen.
Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?
Beschwerdeführer: Bei einer Rückkehr werde ich dort getötet, ich kann dort nicht leben.
Rechtsvertreterin: Wie lange waren Sie beim Onkel in Jalalabad?
Beschwerdeführer: Ich habe in XXXX gelebt. Dann bin ich zu meinem Onkel mütterlicherseits nach Jalalabad gegangen. 2 oder 3 Nächte habe ich bei ihm verbracht. Dann haben meine Mutter und der Onkel mütterlicherseits beschlossen, dass ich von dort weggehen soll.
Rechtsvertreterin: Haben Sie in Österreich Freunde?
Beschwerdeführer: Ich habe keine Verwandte in Österreich, aber ich habe Freunde in Österreich.
Rechtsvertreterin: Waren Sie schon einmal in Herat, Kabul oder Mazar-e-Sharif?
Beschwerdeführer: Nein.
Rechtsvertreterin: Wie sind Sie zu dem Drohbrief gekommen?
Beschwerdeführer: Ich hatte schon früher in Österreich angegeben, dass ich meine Mutter nach dem Brief fragen werde. Ich habe sie dann gefragt und sie hat mir gesagt, dass sie ihn in einem Koffer aufbewahrt hat. Meine Mutter hat dann diesen Brief meinem Cousin väterlicherseits, der gemeinsam mit uns lebt, gegeben. Er hat es mir dann weitergeschickt. Meine Mutter konnte es selbst nicht, da sie Analphabetin ist.
[…]
Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?
Beschwerdeführer: Ja.“
Die Rechtsvertreterin legte im Rahmen der mündlichen Verhandlung eine Kursbestätigung Deutsch A1 Teil 2 vom XXXX vor.
12. Am XXXX langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers zu den Länderberichten ein.
13. Mit Schreiben vom XXXX übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den Parteien einen Auszug des Länderinformationsblatts der Staatendokumentation vom 29.6.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 4.6.2019, und gab ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme.
14. Der Beschwerdeführer äußerte sich dazu mit Schriftsatz vom XXXX und verwies auf ergänzende Länderberichte und Ausführungen zum Begriff der innerstaatlichen Fluchtalternative. Die Sicherheitslage in Afghanistan sei, insbesondere auch in Kabul (Stadt), Herat (Stadt) und Mazar-e Sharif nach wie vor prekär. Insgesamt stehe dem Beschwerdeführer keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.
15. Mit Erkenntnis vom XXXX wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm §§ 3 Abs 1, 8 Abs 1 und § 10 Abs 1 Z 3 und § 57 AsylG 2005, iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 und 55 FPG als unbegründet ab. Die Revision wurde gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zugelassen.
16. Mit Schriftsatz vom XXXX stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 32 Abs 2 VwGVG. Begründend führte er im Wesentlichen zusammengefasst aus, ein Freund habe ihn Ende XXXX zu einem Arzt gebracht. Wie dem beiliegenden fachärztlichen Befundbericht von XXXX , Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, vom XXXX zu entnehmen sei, seien beim Antragsteller diverse psychische Erkrankungen nach der internationalen WHO-Klassifikation ICD-10, nämlich eine schwergradige bzw komplexe posttraumatische Belastungsstörung (F43.1) und eine anhaltende Persönlichkeitsveränderung bei Extrembelastungen (F62), festgestellt worden. Eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis (F20.0) könne nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Der Antragsteller habe unverschuldet erst durch den beiliegenden Befundbericht vom XXXX von seinen Erkrankungen Kenntnis erlangt und diese in seinem Asylverfahren daher nicht vorbringen können. Bei den psychischen Erkrankungen des Antragsstellers handle es sich um neu hervorgekommene Tatsachen, die im Verfahren ohne Verschulden des Antragstellers nicht geltend gemacht werden hätten können und die Richtigkeit des angenommenen Sachverhaltes in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen würden. Beim vorgelegten fachärztlichen Befundbericht handle es sich zwar um ein neu entstandenes Beweismittel; dieses beziehe sich jedoch auf „alte“, also nicht ebenfalls erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstandene, Tatsachen. Bei den vorliegenden psychischen Erkrankungen handle es sich nämlich jeweils um länger dauernde Entwicklungen, welche nicht erst während der kurzen Zeit der Rechtskraft des verfahrensabschließenden Erkenntnisses entstanden sein konnten. Die vorliegende Diagnose bedeute nicht per se den Ausschluss der Selbsterhaltungsfähigkeit, jedoch sei vorab eine genaue Diagnose, die Erarbeitung eines Behandlungsplans und dessen Umsetzung erforderlich. Laut diagnostizierendem Facharzt sei ein verstärkt irrationales Handeln des Antragsstellers zu erwarten. Da die gegenständliche Entscheidung auf dem Vorliegen einer Selbsterhaltungsfähigkeit und einer unbeeinträchtigten Gesundheit des Antragstellers basiere, wäre bei Kenntnis der Erkrankungen in wesentlichen Punkten anders entscheiden worden; zumindest hätte eine günstigere Entscheidung ergehen können. Weiter würden die Feststellungen in der bekämpften Entscheidung von einer hohen Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Antragstellers ausgehen, wobei offen sei, inwieweit diese Unstimmigkeiten auf die Erkrankung des Antragstellers zurückzuführen seien.
17. Mit Beschluss vom XXXX , verfügte das Bundesverwaltungsgericht die Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens.
Begründend führet das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen zusammengefasst aus, dem Erkenntnis vom XXXX liege zugrunde, dass der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig sei. Durch einen fachärztlichen Befundbericht vom XXXX habe der Beschwerdeführer erfahren, dass er an mehreren psychischen Erkrankungen nach der internationalen WHO-Klassifikation ICD-10, nämlich an einer schwergradigen bzw komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1) und einer anhaltenden Persönlichkeitsveränderung bei Extrembelastungen (F62), leide. Eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis (F20.0) könne nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Dieses neu entstandene Beweismittel beziehe sich auf „alte“ – das heißt nicht erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstandene – Tatsachen; ein Verschulden des Beschwerdeführers an der unterlassenen Geltendmachung seiner Erkrankung im Verfahren liege nicht vor. Die vorliegenden Erkrankungen seien beim Beschwerdeführer je nach Schweregrad durchaus zumindest abstrakt geeignet, eine anders lautende Entscheidung – etwa die Gewährung von subsidiärem Schutz – herbeizuführen. Damit seien die Voraussetzungen nach § 32 Abs 1 Z 2 VwGVG erfüllt und das Verfahren wiederaufzunehmen.
18. Mit Schreiben vom XXXX informierte das Bundesverwaltungsgericht die Parteien über die beabsichtigte Einholung eines Sachverständigengutachtens des nichtamtlichen Sachverständigen XXXX aus dem Fachgebiet „Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin“ und gab ihnen Gelegenheit, Einwände gegen die Bestellung des genannten Sachverständigten und die beabsichtigte Fragestellung bis zum XXXX , beim Bundesverwaltungsgericht einlangend, bekannt zu geben.
19. Aufgrund von Problemen bei der Zustellung des Parteiengehörs vom XXXX an den Beschwerdeführer wurde dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom XXXX nochmals Gelegenheit gegeben, Einwände gegen die Bestellung des Sachverständigten und die beabsichtigte Fragestellung bekannt zu geben.
20. Mit Beschluss vom XXXX bestellte das Bundesverwaltungsgericht Herrn XXXX zum Sachverständigen für das Fachgebiet „Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin“ zur Abklärung, ob der Beschwerdeführer an einer psychischen Krankheit leidet und welche besonderen Bedürfnisse daraus folgen, und trug dem Sachverständigen die Beantwortung näher bezeichneter Fragen auf.
21. Mit Schreiben vom selben Tag verständigte das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführer über die Bestellung des Sachverständigen und die Anberaumung einer Begutachtung am XXXX in der Ordination des Sachverständigen.
22. Am XXXX langte das Gutachten des Sachverständigen XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein, in welchem dem Beschwerdeführer eine reaktive Depression diagnostiziert wird. Eine schwere psychiatrische Erkrankung sei nicht diagnostizierbar. Der vom Beschwerdeführer vorgelegte fachärztliche Befundbericht von XXXX , wonach der Beschwerdeführer an einer schwergradigen bzw komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1) sowie einer anhaltenden Persönlichkeitsveränderung bei Extrembelastungen (F20.0) leide und auch eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis nicht ausgeschlossen werden könne, könne als fix gestellte Diagnose nicht verifiziert werden. Der Beschwerdeführer leide am ehesten an einer depressiven Reaktion aufgrund seiner schwierigen Situation. Eine posttraumatische Belastungsstörung nach den international gültigen Kriterien halte der Sachverständige für ausgeschlossen. Der psychische Zustand des Beschwerdeführers sei nicht lebensbedrohlich. Es habe keine akute suizidale Einengung exploriert werden können. Ein Großteil der depressiven Reaktion gehe von der derzeit schwierigen Situation für den Beschwerdeführer aus. Solange diese Situation nicht geklärt sei, sei eine Behandlung wenig aussichtsreich. Der Beschwerdeführer nehme derzeit keine spezifische Medikation zu sich. Es gebe keine Hinweise dafür, dass der Beschwerdeführer Schwierigkeiten bei der Bewältigung seines täglichen Lebens habe. Der Beschwerdeführer könne seine Angelegenheiten des täglichen Lebens ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst besorgen und könne einer regelmäßigen Arbeit nachgehen. Er sei in der Lage, sich ohne fremde Hilfe selbständig Arbeit, Unterkunft, Verpflegung sowie medizinische Betreuung zu verschaffen und sich in einer fremden Umgebung zu orientieren. Eine Rückkehr in seinen Herkunftsstaat würde eine massive psychische Belastung für den Beschwerdeführer bedeuten. Es gebe keine Hinweise, dass der Beschwerdeführer in seiner Wiedergabefähigkeit, Wahrnehmungsfähigkeit und Erinnerungsfähigkeit eingeschränkt ist. Er sei voll orientiert und in der Lage, schlüssige und widerspruchsfreie Angaben zu tätigen.
23. Das Bundesverwaltungsgericht verständigte den Beschwerdeführer und die belangte Behörde mit Schreiben vom XXXX vom Ergebnis der Beweisaufnahme und gab den Parteien Gelegenheit, binnen einer Frist von 14 Tagen schriftlich Stellung zu nehmen.
24. Mit Ladung vom XXXX beraumte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung für den XXXX an und übermittelte den Parteien einschlägige Länderinformationen zu Afghanistan.
25. Die belangte Behörde teilte mit Schreiben vom XXXX mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters an der mündlichen Beschwerdeverhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei. Ungeachtet dessen werde die Abweisung der Beschwerde beantragt und um Übersendung des Verhandlungsprotokolls ersucht.
26. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu und einer Vertrauensperson vom erkennenden Richter zu den Ergebnissen der Beweisaufnahme, zu seinen vorgebrachten Erkrankungen und zu seinem Leben in Österreich befragt wurde. Die belangte Behörde blieb der mündlichen Verhandlung fern.
Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:
„[...]
Richter: Verstehen Sie die Dolmetscherin gut?
Beschwerdeführer: Ja.
Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?
Beschwerdeführer: Mir geht es gesundheitlich nicht so gut. Den Grund dafür kenne ich nicht.
Richter: Wo ist das gesundheitliche Problem, das Sie spüren?
Beschwerdeführer: Ich habe kaum Schlaf, wenn ich schlafe, spreche ich im Schlaf und ich bin sehr gestresst. Früher war ich nicht so, ich weiß nicht, warum ich so geworden bin. Ich war dann auch beim Arzt. Ich habe meiner Begleitperson auch davon erzählt und gesagt, dass ich lieber zum Arzt gehen möchte. Ich gehe zu einer Frau, sie spricht immer mit mir, wie es mir geht.
Richter: Was ist das für eine Frau?
Vertrauensperson: Sie ist eine Psychologin.
Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?
Beschwerdeführer: Zurzeit nehme ich keine Medikamente. Ich mag es nicht, Medikamente einzunehmen. Ich gehe nur zu dieser Psychologin.
Richter: Haben Sie sich bisher um eine Rechtsvertretung bemüht?
Beschwerdeführer: Ich hatte eine Vertreterin. Sie hat irgendwas im Verfahren gemacht. Es war dann alles ein Durcheinander und sie hat mir dann meine Unterlagen wieder zurückgegeben. Ich habe ein Schreiben bekommen. Ich habe nicht angerufen, weil es schon zu spät war. Es war wenige Tage vor meinem Termin zur heutigen Verhandlung.
[…]
Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Können Sie sich an Ihre Aussagen in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?
Beschwerdeführer: Ich kann mich daran erinnern. Ich habe die Wahrheit gesagt.
Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?
Beschwerdeführer: Ich kann Paschtu und Deutsch lesen und schreiben. Ich habe hier die Schule besucht. Ich kann ein wenig Englisch. Das war’s.
Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?
Beschwerdeführer: Meine Mutter und meine beiden Brüder leben zurzeit in XXXX . Sie leben in unserem eigenen Haus.
Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?
Beschwerdeführer: Ja.
Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?
Beschwerdeführer: Außer meiner Mutter habe ich sonst zu niemandem Kontakt.
Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?
Beschwerdeführer: Wegen Corona war es im letzten Jahr sehr schwierig einen Deutschkursplatz zu bekommen. Seit zwei Jahren bin ich auf der Suche nach einer Lehrstelle. Es wird mir aber immer gesagt, dass ich ohne Dokumente keinen Lehrplatz bekommen kann. Mit Schwierigkeiten habe ich es letztendlich geschafft eine Lehrstelle zu finden, die Bestätigung habe ich Ihnen schon vorgelegt.
Der Beschwerdeführer legt das Schreiben der XXXX vom XXXX ungeöffnet vor. Dieses wird in Kopie zum Akt genommen.
Beschwerdeführer: Ich war selbst dort, habe mir das angeschaut und es hat mir auch gefallen und ich bin auch gut darin zu backen.
Vertrauensperson: Ich habe selbst ein Unternehmen und ich habe bereits versucht, den Beschwerdeführer über eine Lehrstelle einzustellen. Ich habe vorerst vom AMS gar keinen Bescheid bekommen. Nach Beschwerde eines negativen Bescheids, weil andere Bewerber vorhanden waren.
Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?
Beschwerdeführer: Ich habe hier keine Verwandte, aber Freunde habe ich. Ich habe hier eine österreichische Wahlmutter gefunden. Sie ist sehbehindert. Ich helfe ihr, ich unterstütze sie im Haushalt, ich sauge für sie und gehe auch mit ihr spazieren.
Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?
Beschwerdeführer: Ich war früher in einem Volleyballteam, aber wegen Corona ist nun alles geschlossen. Fitnesscenter sind jetzt auch geschlossen, ich gehe aber jetzt laufen.
Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?
Beschwerdeführer: Nein.
Richter: Wie stellen Sie sich ihr weiteres Leben in Österreich vor?
Beschwerdeführer: Ich möchte mir ein Leben aufbauen, ich möchte eine Arbeit haben und eine eigene Wohnung. Ich möchte ein Leben hier führen.
Richter: Können Sie sich an die Untersuchung bei XXXX erinnern?
Beschwerdeführer: Ja, mir wurden Fragen gestellt und ich habe die Fragen beantwortet.
Richter: Wissen Sie, warum Sie diese Untersuchung gemacht haben?
Beschwerdeführer: Nein.
Richter: Es wurde ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt, weil ein praktischer Arzt bei Ihnen Probleme festgestellt hat. Er hat versucht diese Probleme über einen entsprechenden Facharzt für Psychiatrie und Neurologie klären zu lassen. Diese Untersuchung hat möglicherweise auch mit den Beschwerden zu tun, die Sie am Anfang der Verhandlung heute geschildert haben. Haben Sie das Gutachten des Sachverständigen gelesen?
Beschwerdeführer: Niemand geht freiwillig zum Arzt. Nachdem ich diese Beschwerden hatte, habe ich gesagt, dass es vielleicht besser wäre, zum Arzt zu gehen, um sich zu erkundigen. Das Gutachten wurde mir von der anwesenden Person vorgelesen. Es wurden Sachen geschrieben, wie zB warum ich mich vor seinem Hund nicht gefürchtet habe. In Europa sind die Hunde anders, als in Afghanistan. Die alte Dame, die ich unterstütze, hat auch einen Hund. Ich habe mich an den Hund gewöhnt und deshalb fürchte ich mich nicht mehr vor dem Hund.
Richter: Haben Sie das Gutachten des Sachverständigen verstanden?
Beschwerdeführer: Vieles habe ich nicht verstanden. Etwas habe ich davon verstanden.
Richter: Wollen Sie zu dem Gutachten des Sachverständigen Stellung nehmen und vielleicht auch darauf hinweisen, was Ihnen daran unklar ist?
Beschwerdeführer: Ich sollte schon wissen, was im Gutachten drinnen steht.
Die Dolmetscherin übersetzt das Gutachten von XXXX im Umfang von 13 Seiten.
Beschwerdeführer: Der Arzt hat einiges über mich geschrieben. Wenn man keine Beschwerden hat, dann geht man nicht einfach zu zum Arzt.
Richter: Wollen Sie zu dem Gutachten noch etwas mehr sagen?
Beschwerdeführer: Ich habe diese Beschwerden. Wenn ich diese Beschwerden nicht hätte, wäre ich nicht zum Arzt gegangen. Ich weiß nicht, was ich noch dazu sagen soll.
Richter: Ist das, was der Arzt über Ihren Gesundheitszustand schreibt, in Ihren Augen richtig?
Beschwerdeführer: Meiner Meinung nach stimmt einiges nicht, zB, dass ich eigenständig mir ein Leben aufbauen kann. Das finde ich nicht richtig. Ich weiß auch nicht, was ich noch dazu sagen soll.
Richter: Was finden Sie nicht richtig?
Beschwerdeführer: Auf der Reise habe ich viele Schwierigkeiten erlebt. Ich wurde von der bulgarischen Polizei geschlagen. Es war wirklich alles sehr schwer. Wenn ich lache, das ist nur äußerlich. Innerlich ist es mir nicht zu lachen zumute. Ich bin mittlerweile XXXX Jahre alt und ich kann mich nicht erinnern, dass ich einen glücklichen Tag erlebt habe. Mein Vater ist in Afghanistan verstorben. Das war auch alles sehr schwierig. Nach seinem Tod kam ein Durcheinander. Dann kamen die Probleme mit den Taliban. Sie wollten, dass ich in die Madrassa gehe. Ich selbst wollte das nicht machen. Deswegen war es dort sehr schwierig für mich. Ich habe es meinem Onkel mütterlicherseits erzählt und er schickte mich weg. Er sagte mir, dass das Leben dort für mich zunehmend schwieriger wird, und ich solle von hier weggehen.
Richter: Den Fluchtgrund haben wir schon mal besprochen. Ich frage Sie nochmals, was Ihrer Meinung nach, an dem Gutachten des XXXX nicht richtig ist. Denn darum geht es zu einem guten Teil in der heutigen Verhandlung, weil dieses Gutachten auch ein wichtiges Beweismittel in Ihrem Verfahren ist.
Beschwerdeführer: Ich weiß, dass es ein Gutachten vom Arzt geht, aber ich wollte kurz über mein Leben erzählen. Ich wollte nur sagen, dass ich bis jetzt nie glücklich in meinem Leben war.
Richter: Was konkret ist an diesem Gutachten nicht richtig?
Beschwerdeführer: Erstens stimmt es nicht, dass ich nicht krank bin, dass ich eigenständig mein Leben führen kann, dass ich ohne Hilfe leben kann. Zweitens, dass ich keine Angst vor seinem Hund gezeigt habe. Mehr fällt mir nicht ein. Ich sehe in mir diese Erkrankung, ich lüge nicht. Wenn man sich nicht krank fühlt, dann geht man nicht freiwillig zum Arzt.
Richter: Welche Erkrankung sehen Sie selbst an sich?
Beschwerdeführer: Ich habe keinen Schlaf, ich habe Albträume, ich habe komische Träume. Ich weiß selbst nicht, warum ich so etwas träume. Ich rede im Schlaf. Wenn ich aufwache, bin ich orientierungslos. Ich frage mich immer, wo ich gerade bin. Ich sehe diese Beschwerden in mir.
Richter: Wissen Sie, welchen Einfluss das Gutachten auf das weitere Asylverfahren haben kann?
Beschwerdeführer: Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Die Entscheidung liegt in Ihrer Hand.
Richter: Hat die Psychologin, mit der Sie immer wieder sprechen, einen Test mit Ihnen gemacht?
Beschwerdeführer: Sie fragt mich jedes Mal, wie es mir geht, wie es mir zurzeit geht, wie ich mich fühle und was ich fühle. Solche Fragen stellt sie mir. Die Psychologin hat keinen Test mit mir gemacht.
Vertrauensperson: Bei der Untersuchung bei XXXX war ich auch dabei. Die Untersuchung dauerte nur ca. 15 Minuten. Das mit dem Hund, dauerte anfangs sehr lange. Wir haben einen Hund, vor dem sich der Beschwerdeführer auch lange gefürchtet hat. Der Hund beim Doktor war ein Wuschelhund, dadurch ist es klar, dass der Beschwerdeführer eine Verbindung zum Hund hat. Wir wollten auch eine Testung machen, aber es sind sehr lange Wartezeiten. Die ältere Dame, die Leihmutter, die blind ist, half dem Beschwerdeführer sehr, er ist jeden Tag bei ihr. Sie ist für den Beschwerdeführer eine Bindungsperson. Ich glaube, dass, wenn Sie dem Beschwerdeführer Fragen stellen, dass er dann geistig schon wo anders ist. Das ist nicht nur hier, sondern in allen Stresssituationen. Tabletten nimmt der Beschwerdeführer hin und wieder. Da gebe ich ihm Schlaftabletten. Die Dame in der Apotheke sagte, sie sind natürlich. Wir schlafen beieinander und irgendwann ist es genug.
Beschwerdeführer: Ich hatte vergessen zu sagen, dass der Arzt gar nicht so lange mit mir gesprochen hat, es hat bestimmt nicht länger, als 15 Minuten gedauert. Ich habe vergessen, es vorhin zu sagen.
Der Beschwerdeführer bringt nichts mehr vor.
Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?
Beschwerdeführer: Ja.“
27. Mit E-Mail vom XXXX bat die Vertrauensperson des Beschwerdeführers das Bundesverwaltungsgericht mit weiteren Verfahrensschritten noch 14 Tage zuzuwarten. Die Angelegenheit sei nunmehr einer Rechtsanwaltskanzlei übergeben worden, welche demnächst einen Schriftsatz einbringen werde.
28. Am XXXX langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers, vertreten durch MMMMag. Dr. Konstantin HAAS, Rechtsanwalt, beim Bundesverwaltungsgericht ein, in der im Wesentlichen vorgebracht wird, das Gutachten des beigezogenen Sachverständigen XXXX sei nicht schlüssig. Das Untersuchungsgespräch habe lediglich 15 Minuten gedauert und im Vergleich zu einer angemessenen Auseinandersetzung zu stark verkürzten Betrachtungen geführt. Der Sachverständige verneine das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung damit, dass der Beschwerdeführer keine Angst vor dem in der Ordination anwesenden Therapiehund gezeigt habe, obwohl die Erkrankung laut fachärztlichem Befundbericht von XXXX durch den Einsatz von Hunden in europäischen Durchgangsländern entstanden sei. Der Beschwerdeführer sei jedoch nicht näher zu seiner Angst vor Hunden befragt worden. Tatsächlich lebe er nun schon lange mit einem Hund im selben Haushalt und möge diesen Hund sehr. Er fürchte sich lediglich vor hungrigen, traumatisierten und großen Hunden, wie er sie in Bulgarien oder Afghanistan kennen gelernt habe, die für Menschen gefährlich seien. Die Fragestellungen des Sachverständigen seien nicht detailliert genug gewesen, um damit die Fragen des Gerichtes beantworten zu können. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers wird ergänzend ausgeführt, der Beschwerdeführer sei zwar dem Islam zugehörig. Er lege den Koran jedoch nicht so aus, wie dies in Afghanistan der Fall sei. Im Koran stehe nämlich nicht, dass Leiden und Diskriminierung gerechtfertigt seien. In Österreich habe der Beschwerdeführer die Basis seiner ethischen Anschauungen und seiner Religion kennengelernt. Der Beschwerdeführer akzeptiere alle Geschlechter, Ethnien, Religionszugehörigkeiten und sexuellen Orientierungen gleichermaßen. Diese Einstellung sei zur politischen Anschauung des Beschwerdeführers geworden und in Afghanistan schlicht verboten. In Afghanistan sei eine Re-Integration des Beschwerdeführers nicht möglich, da er staatsrechtliche Unterschiede kritisiere und man ihn als Blasphemiker oder Apostat einstufen werde. Weiter beantragte der Beschwerdeführer die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung, bei der zur Wahrung der Unmittelbarkeit auf Deutsch einvernommen werden wolle.
29. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte der belangten Behörde die Stellungnahme des Beschwerdeführers vom XXXX mit Schreiben vom XXXX zur Kenntnis. In einem wurde der belangten Behörde Gelegenheit gegeben, innerhalb von 14 Tagen ab Zustellung schriftlich Stellung zu nehmen.
30. Mit Ladung vom XXXX beraumte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung für den XXXX an und übermittelte den Parteien einschlägige Länderinformationen zu Afghanistan.
31. Die belangte Behörde teilte mit Schreiben vom XXXX mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters an der mündlichen Beschwerdeverhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei. Ungeachtet dessen werde die Abweisung der Beschwerde beantragt und um Übersendung des Verhandlungsprotokolls ersucht.
32. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein seiner Rechtsvertreterin und einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu vom erkennenden Richter zu seinem Antrag auf internationalen Schutz, seinen Fluchtgründen und zu seinem Leben in Österreich einvernommen wurde. Weiter wurde der vom Beschwerdeführer stellig gemachte Zeuge, Herr XXXX , durch den erkennenden Richter befragt. Die belangte Behörde blieb der mündlichen Verhandlung fern.
Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:
„[...]
Richter: Verstehen Sie die Dolmetscherin gut?
Beschwerdeführer: Ja.
Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?
Beschwerdeführer: Ja, mir geht es gut.
Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?
Beschwerdeführer: Ja, ich stehe in ärztlicher Behandlung. Ich gehe regelmäßig zu einer Psychologin, sie heißt XXXX .
[…]
Richter: In der Stellungnahme vom XXXX haben Sie umfangreich zu dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen vom XXXX Stellung genommen. Wollen Sie darüber hinaus noch etwas dazu sagen?
Rechtsvertreterin: Es gibt keine hochqualifizierte Klärung darüber. Die Kosten waren sehr hoch, die Kosten haben Freunde übernommen. Er ist angemeldet bei XXXX . Ich habe leider kein schriftliches Beweisstück dafür bekommen. Man kann es aber nachreichen. Meine persönliche Wahrnehmung ist, dass er ist guten Händen ist, er ist viel mit seinem Lehrherrn unterwegs. Er ist schon sehr häufig mit dem Lehrherrn in Kontakt, hat dort probegearbeitet, hat dort geschlafen und er hat ein soziales Netz, wo alles gut scheint. Mittelfristig betrachtet, sollte eine Aufarbeitung erfolgen. Es ist aber ein bisschen außerhalb.
Richter: Hat sich Ihr gesundheitlicher Zustand seit der Verhandlung am XXXX geändert?
Beschwerdeführer: Es gibt einige Veränderungen in meinem Leben. Ich habe mittlerweile eine Lehrstelle gefunden und habe auch eine Freundin. Mit ihr unterhalte ich mich viel. Ich fühle mich jetzt viel besser. Es hat sich um vieles gebessert, ich hatte die letzten drei Monate kaum Alpträume. Letzte Nacht hatte ich wieder einen Alptraum.
Richter: In der Stellungnahme vom XXXX haben Sie zusammengefasst angegeben, dass Sie die Auslegung des Koran ablehnen, wie sie in Afghanistan üblich ist. Können Sie etwas mehr dazu angeben.
Beschwerdeführer: Viele sagen, dass im Koran steht, dass man eine Frau schlagen muss. Das stimmt so nicht. Ich selbst würde das nie übers Herz bringen, wenn ich sehe, dass eine Frau geschlagen wird, aber von viele wird gesagt, dass es im Koran so steht. Ich habe es nirgendwo gelesen, dass eine Frau geschlagen werden soll und dass ein Mensch getötet werden soll. Wir sind alle Menschen, wieso sollte der eine benachteiligt sein, als der andere.
Richter: Lehnen Sie den Koran oder die Auslegung des Koran wie in Afghanistan ab?
Beschwerdeführer: Ich lehne die Auslegung des Koran in Afghanistan ab. Es gibt Leute, die sagen, dass im Koran steht, dass ein Mensch den anderen umbringen muss. Das lehne ich ab.
Richter: Beten Sie regelmäßig?
Beschwerdeführer: Früher habe ich gebetet, jetzt nicht so viel.
Richter: Besuchen Sie in Österreich eine Moschee?
Beschwerdeführer: Ich war noch nie hier in Österreich in einer Moschee. Früher habe ich ab und zu mal zu Hause gebetet, jetzt bin ich zu faul dafür.
Richter: Fasten Sie entsprechend den Geboten des Koran?
Beschwerdeführer: Gefastet habe ich, ja. Früher habe ich in einem Heim gelebt. Ich hatte keine Arbeit und auch keine andere Beschäftigung, daher hatte ich die Möglichkeit zu fasten, aber, wenn man einer Arbeit und einer Beschäftigung nachgeht, dann kann man es nicht. Mit einer Beschäftigung wird es schwer sein zu fasten, aber, wenn man den ganzen Tag nichts zu tun hat, und in einem Heim lebt, dann kann man schon fasten.
Richter: Haben Sie in Österreich Kontakt zur islamischen Glaubensgemeinschaft, wenn ja, wie oft?
Beschwerdeführer: Nein. Ich habe gar keinen Kontakt.
Richter: Halten Sie sich an islamische Speisvorschriften?
Beschwerdeführer: Ja.
Richter: Trinken Sie Alkohol?
Beschwerdeführer: Nein.
Richter: Wie ist Ihr Verhältnis zu Tieren, insbesondere Hunden?
Beschwerdeführer: Ich muss gestehen, dass ich eigentlich Angst vor Hunden habe. Ich habe Ihnen das letzte Mal von meiner österreichischen Wahlmutter erzählt. Sie ist blind und hat auch einen Hund. Ich kümmere mich um meine Wahlmutter und ihr Hund kennt mich und ich habe mich an ihn gewöhnt.
Richter: Gibt es eine Auslegung des Islam, die Ihren Vorstellungen entspricht?
Beschwerdeführer: So etwas habe ich bis jetzt nicht erlebt. Das einzige, was man ständig hört ist, dass im Islam gesagt wird, dass man sich gegenseitig töten soll.
Richter: Könnten Sie Ihre Meinung über den Islam in Afghanistan frei äußern?
Beschwerdeführer: Nein, wenn man nur etwas Falsches über den Islam sagt, wird man sofort getötet.
Richter: Könnten Sie eine Auslegung des Islam, die Ihren Vorstellungen entspricht, in Afghanistan finden und danach leben?
Beschwerdeführer: Nein.
Richter: Wie stehen Sie zum afghanischen Staat?
Beschwerdeführer: In Afghanistan gibt es keine Regierung, es sind nur mehr die Taliban dort. Sie haben alles übernommen. Die Taliban haben alles übernommen, um Leute zu töten. Sie wollen Kleinkinder trainieren und sie bewaffnen. Das ist die Situation. Was soll ich noch dazu sagen?
Rechtsvertreterin: Wie gehen diese Länder mit den Tieren um? Was halten Sie davon? Wie empfinden Sie den Umgang mit den Tieren dort?
Beschwerdeführer: Ich bin der Meinung, wir sind alle Menschen, wieso sollten wir einem Hund keinen Respekt zeigen. Nur in Afghanistan ist alles etwas anders, dort werden Menschen und Hunde, alle getötet. Ich persönlich möchte nicht mal einer Henne gegenüber böse sein.
Rechtsvertreterin: Ist es für Sie ein Problem, wenn Sie Freunde und Bekannte mit anderer Religionszugehörigkeit oder gar keiner Religionszugehörigkeit haben? Ist es für Sie ein Problem, wenn Sie Freunde und Bekannte mit anderen sexuellen Orientierungen, Geschlechtern oder Herkunft haben?
Beschwerdeführer: Jeder Mensch lebt sein eigenes Leben. Die sexuelle Orientierung eines Menschen hängt auch von diesem Menschen selbst ab. Gott hat diese Person erschaffen und nicht ich. Jeder soll sein eigenes Leben führen. Jeder hat seine eigene Religion. Ich respektiere alle Religionen. Ich bin ein Moslem, so wird auch ein anderer seine eigene Religion haben dürfen.
Richter: Wie stellen Sie sich ihr weiteres Leben in Österreich vor?
Beschwerdeführer: Ich denke darüber nach, hier eine Lehre zu machen, diese auch abzuschließen. Ich möchte hier ein normales Leben führen. Ich möchte den Führerschein machen. Ich möchte so ein Leben führen, wie es die anderen hier auch führen.
Hr. XXXX geboren am XXXX , wird nach Wahrheitsbelehrung und Belehrung über die Entschlagungsrechte als Zeuge vernommen:
Richter: Was machen Sie beruflich und/oder selbstständig, dass Sie den Beschwerdeführer als Lehrling einstellen wollen?
Zeuge: Es ist ein Bäckereibewerbe. Wir machen Brot, Gepäck, Kuchen, Torten, alles Mögliche. Von A bis Z.
Richter: Was sind der Sitz der Firma?
Zeuge: XXXX . Die Firma ist mein eigener Betrieb. Die Geschäftsführerin ist seit kurzem meine Frau, weil ich in Pension bin, ich kümmere mich aber darum. Es ist eine GesmbH. Es ist die XXXX .
Er legt einen Bescheid des AMS vom XXXX über eine Beschäftigungsbewilligung des Beschwerdeführers für die gesamte Lehrzeit vor. Diese wird als Kopie zum Akt genommen.
Richter: Wollen Sie den Beschwerdeführer als Lehrling in Ihrem Betrieb beschäftigen?
Zeuge: Ja, ich habe ihn auch schon bei der Krankenkasse angemeldet, weil es ab morgen gilt. Es ist so, ich habe bereits zwei Lehrlinge gehabt aus Afghanistan, wobei ich sehr zufrieden war, der eine hat schon ausgelernt und ist jetzt Geselle, bei mir im Betrieb noch und das läuft sehr gut. Der zweite hat eine verlängerte Lehrzeit, er brauchte länger in der Berufsschule, er war Klassenbester unter lauter Österreichern.
Richter: Haben Sie schon eine berufliche und/oder persönliche Erfahrung mit dem Beschwerdeführer gemacht, bevor sie ihn zugesagt haben, ihn als Lehrling auszubilden?
Zeuge: Ja, da war er im Juni oder im Juli mal einen Tag da, er gefiel mir, ich suchte ihn an, dann haben wir im August die Bewilligung bekommen und jetzt hat er sich bei mir ein Zimmer eingerichtet, weil er nicht von XXXX bis zu uns fahren kann, das sind 30 km und die Verbindung ist schlecht, deshalb hat er bei mir ein Zimmer bekommen, welches er sich herrichtete. Wegen der Bewilligung waren wir zwei auch mehr beinandern, ich musste ihm dabei helfen. Bei uns gibt es Personalmangel. Wir haben 3,5 Prozent Arbeitslose, im Bezirk sind es ca. 700 und 1.000 offene Stellen.
Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?
Beschwerdeführer: Die Lage in Afghanistan ist schlecht. Ich habe seit ungefähr zwei Wochen mit meiner Mutter nicht gesprochen. Ich weiß nicht, wie es meiner Mutter geht. In Afghanistan herrscht Krieg, ich weiß nicht, was man in Afghanistan überhaupt noch machen kann.
Richter: Würden Sie in Afghanistan wegen Ihrer Einstellung verfolgt werden?
Beschwerdeführer: Bei einer Rückkehr nach Afghanistan wird man von mir wollen, dass ich mich in den Krieg stelle und kämpfe und ich bin mir zu 100 Prozent sicher, dass man mich bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht am Leben lassen wird. Man wird mich fragen, wo ich die Jahre war und wenn sie erfahren, dass ich aus Österreich abgeschoben worden bin, dann werden sie mir vorhalten, dass ich bestimmt ungläubig geworden bin. So ist es.
Zeuge: Ich habe mal mit ihm geredet, wegen seinem Glauben und wegen den Taliban. Er sagte zu mir, er ist schon Moslem, aber nicht so ein Moslem, den sie wollen, er sagte auch, die Taliban sind nur Terroristen. Es ist kein Islam, er hat sich gegen das, was ich ihm sagte, sehr gewehrt. Der Islam in Afghanistan gefällt dem Beschwerdeführer auch nicht, der ist zu hart.
Rechtsvertreterin: Denken Sie, Sie können sich für immer verstellen, und so tun, als wären Sie so, wie sie es von Ihnen wollen?
Beschwerdeführer: Ich könnte das mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Ich könnte niemals eine Waffe in die Hand nehmen und jemanden töten.
Der Beschwerdeführer bringt nichts mehr vor.
Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?
Beschwerdeführer: Ja.“
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und den Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den Beschwerdeführer, insbesondere durch Einsicht in die vorgelegten Dokumente und Integrationsunterlagen, sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die ins Verfahren eingeführten Länderberichte sowie aktuelle und allgemein zugängliche Medienberichte.
1. Feststellungen
1.1 Zur Person des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, ist im Entscheidungszeitpunkt volljährig und Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan. Er gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Paschtu, in der er über Lese- und Schreibkenntnisse verfügt. Neben seiner Muttersprache spricht der Beschwerdeführer Dari und bereits gut Deutsch. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.
Der Beschwerdeführer wurde in der afghanischen Provinz Nangahar im Distrikt XXXX im Dorf XXXX geboren und wuchs dort im afghanischen Familienverband im familieneigenen Haus mit seinen Eltern und seinen beiden jüngeren Brüdern auf. Neben diesem Haus besitzt die Familie des Beschwerdeführers mehrere Grundstücke. Der Vater des Beschwerdeführers besaß ein eigenes Lebensmittelgeschäft und sorgte für den Lebensunterhalt der Familie. Er verstarb an einer Krankheit, als der Beschwerdeführer noch ein Kind war. Nach dem Tod des Vaters wurde die Familie des Beschwerdeführers vom Onkel väterlicherseits unterstützt. Der Beschwerdeführer besuchte in seinem Heimatdorf sechs Jahre die Schule und half seinem Vater bis zu dessen Tod bei der Arbeit im eigenen Geschäft.
Der Beschwerdeführer lebte bis zu seiner Ausreise im XXXX bzw März XXXX im Heimatdorf. Lediglich die letzten Nächte vor seiner Ausreise Richtung Europa verbrachte er in Jalalabad bei seinem Onkel mütterlicherseits.
Die Mutter des Beschwerdeführers und seine beiden Brüder leben nach wie vor im Heimatdorf im familieneigenen Haus. Der Onkel väterlicherseits des Beschwerdeführers, dessen Ehegattin und drei Cousins leben ebenfalls im Heimatdorf. Weiter leben zwei Tanten mütterlicherseits des Beschwerdeführers im Heimatdistrikt. Ein Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers lebt in der Provinzhauptstadt Jalalabad. Es leben keine weiteren – allenfalls entfernten – Verwandten des Beschwerdeführers in Afghanistan. Der Beschwerdeführer steht in regelmäßigem Kontakt mit seiner Kernfamilie. Es sind im Verfahren keine Anhaltspunkte dafür hervorgekommen, dass die Angehörigen des Beschwerdeführers in der Lage bzw. willens wären, den Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr finanziell zu unterstützen. Der Beschwerdeführer verfügt über kein unterstützungsfähiges soziales Netzwerk in Afghanistan.
1.2 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich
Der Beschwerdeführer gelangte im XXXX in das österreichische Bundesgebiet und stellte am XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet. Seither hält er sich durchgehend im Bundesgebiet auf.
Der Beschwerdeführer lebt in Österreich gemeinsam mit einem Freund in einer Privatwohnung in XXXX . Seit seiner Einreise nahm der Beschwerdeführer an mehreren Deutsch- und Integrations- bzw Basisbildungskursen teil und besuchte im Schuljahr XXXX ein Gymnasium in XXXX . Der Beschwerdeführer legte bislang noch keine Prüfung zu seinen Deutschkenntnissen ab, spricht jedoch bereits gut Deutsch. Im XXXX war der Beschwerdeführer kurzzeitig ehrenamtlich tätig. Derzeit unterstützt der Beschwerdeführer in Österreich eine ältere sehbehinderte Dame, die er als seine Wahlmutter bezeichnet. Er kümmert sich um ihren Haushalt und geht regelmäßig mit ihr spazieren. Zuletzt bemühte sich der Beschwerdeführer sehr um die Erlangung einer Lehrstelle und erhielt im XXXX eine Zusage der XXXX , wo er einen Tag zur Probe arbeitete. Mit Bescheid vom XXXX erteilte das AMS der XXXX als Lehrberechtigter die Beschäftigungsbewilligung für den Beschwerdeführer als Lehrling für die berufliche Tätigkeit als Bäcker für die Zeit vom XXXX bis XXXX . Mit XXXX begann der Beschwerdeführer seine Lehre im Lehrberuf Bäcker bei der XXXX . Der Beschwerdeführer hat eine Freundin, verfügt in Österreich über einige soziale Kontakte – auch zu österreichischen Staatsbürgern – und ist bereits gut in die österreichische Gesellschaft integriert. Der Beschwerdeführer plant, in Österreich seine Lehre abzuschließen und den Führerschein zu machen. In seiner Freizeit treibt der Beschwerdeführer gerne Sport.
Es leben keine Verwandten oder sonstige wichtige Bezugspersonen des Beschwerdeführers in Österreich. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich, noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.
Der Beschwerdeführer leidet an einer reaktiven Depression, welche insbesondere mit Schlafstörungen einhergeht. Weiter besteht der Verdacht einer schwergradigen bzw komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1) und einer anhaltenden Persönlichkeitsveränderung bei Extrembelastungen (F62). Laut XXXX , Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin kann auch eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Zur endgültigen Abklärung, unter welchen psychischen Erkrankungen der Beschwerdeführer tatsächlich leidet, bedarf es jedoch einer psychologischen Testung. Derzeit nimmt der Beschwerdeführer regelmäßige Termine bei einer Sozialpädagogin wahr, die ihn ehrenamtlich unterstützt. Der Beschwerdeführer befindet sich zudem auf der Warteliste des Therapie-Zentrums XXXX der XXXX . Er nimmt aufgrund seiner psychischen Situation keine Medikamente ein. Der Beschwerdeführer ist in seiner Wiedergabefähig