Entscheidungsdatum
18.10.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
L516 2178540-1/22E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA Pakistan, vertreten durch BBU gem GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.10.2017, Zahl 1103107505/160124141, nach mündlicher Verhandlung am 12.05.2021 und am 19.07.2021 zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beschwerdeführer ist pakistanischer Staatsangehöriger und stellte am 25.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid den Antrag (I.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und (II.) gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Das BFA erteilte unter einem (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach (IV.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Bescheid wird zur Gänze angefochten.
Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache am 12.05.2021 und am 19.07.2021 eine mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer mit seiner Vertretung teilnahmen; in der Verhandlung am 12.05.2021 war auch ein Vertreter der belangten Behörde anwesend.
1. Sachverhaltsfeststellungen:
[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; EB=Erstbefragung; EV=Einvernahme; NS=Niederschrift; VS=Verhandlungsschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht; SN=schriftliche Stellungnahme; EG=Eingabe; S=Seite; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; ZMR=Zentrales Melderegister; IZR=Zentrales Fremdenregister; GVS= Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich; SD=Staatendokumentation des BFA; LIB=Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA]
1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen in Pakistan
Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch als erstes angeführten Namen sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. In Pakistan führt er den als zweites angeführten Namen. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Pakistan und gehört der Volksgruppe der Belutschen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an. Seine Identität steht fest. Er ist in Pakistan bei den pakistanischen staatlichen Behörden unter dem Namen XXXX und dem Geburtsdatum XXXX registriert. (NS EB 25.01.2016 S 1; NS EV 06.03.2017 S 3; OZ 5; VS 12.05.2021 S 5)
Der Beschwerdeführer stammt aus dem Ort XXXX in der Provinz Belutschistan. Er hat in Pakistan die Grundschule besucht und als Hilfsarbeiter, als Transportunternehmer mit eigenem Auto sowie zusammen mit seinem Vater gearbeitet, der ein Geldwechselbüro betrieb. Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat eine Tochter, er lebte gemeinsam mit seiner Familie, seinen Eltern und Geschwistern. Die Eltern des Beschwerdeführers leben nach wie vor in jenem Haus im Herkunftsort des Beschwerdeführers von wo der Beschwerdeführer ausgereist ist. Seine Frau und Tochter leben bei den Eltern der Frau, die Brüder leben bei den Eltern bzw im Iran bzw in Deutschland. Der Beschwerdeführer hat auch noch weitere Verwandte in Pakistan. Der Beschwerdeführer hat Kontakt mit seiner Mutter. (NS EB 25.01.2016 S 1; NS EV 06.03.2017 S 3, 4, 5; VS 12.05.2021 S 7, 8; VS 19.07.2021 S 10)
Der Beschwerdeführer verließ seinen Herkunftsort im November 2015 mit einem PKW und reiste zunächst in den Iran, wo er sich für etwa ein Jahr aufhielt bevor er über verschiedene Länder nach Österreich weiterreiste. (NS EV 06.03.2017 S 5)
1.2 Zu den Lebensverhältnissen in Österreich
Der Beschwerdeführer reiste im Jänner 2016 in Österreich ein, wo er sich seither ununterbrochen aufhält. Es handelt sich um gegenständlich um seinen ersten und einzigen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer hat von Beginn seines Verfahrens an, sämtlichen Ladungen Folge geleistet und an seinen Verfahren mitgewirkt, weshalb ihm die bisherige Verfahrensdauer nicht anzulasten ist.
Er bezieht seit mitte Juli 2020 keine Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde. Er lebt in einer Wohngemeinschaft mit einem Freund und wird von Freunden mit Essen und mit Wohngelegenheiten unterstützt. Der Beschwerdeführer beantragte die Aussstellung eines Gewerbescheines, die ihm jedoch nicht erteilt wurde. (GVS; VS 12.05.2021 S 7, 9; VS Beilage)
Der Beschwerdeführer hat einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 besucht, eine Deutschprüfung konnte er jedoch nicht positiv absolvieren. Er konnte die ihm in der mündlichen Verhandlung in deutscher Sprache gestellten Fragen sofort verstehen und darauf auf Deutsch, spontan und verständlich antworten, wobei der Beschwerdeführer keine vollständigen Sätze bilden konnte. (Teilnahmebescheinigungen OZ 11; VS 12.05.2021 S 6, 7)
Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Er hat keine Verwandten in Österreich und er führt hier auch keine Lebensgemeinschaft. Der Beschwerdeführer hat hier in Österreich Freunde mit denen er Deutsch lernt, Gartenarbeiten verrichtet, Feste feiert und Ausflüge macht. Der Beschwerdeführer hat an einer Flurreinigungsaktion seiner früheren Wohnsitzgemeinde teilgenommen sowie dort Remunerationstätigkeiten für den öffentlichen Raum durchgeführt.
Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten. (Strafregister der Republik Österreich)
1.3 Zum Gesundheitszustand
Der Beschwerdeführer leidet an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten. Es besteht im Falle des Beschwerdeführers keine reale Gefahr, dass ihm in Pakistan eine schwere, rapide und irreversible Gesundheitsverschlechterung droht, die mit intensivem Leiden oder mit einer signifikanten Verkürzung der Lebenserwartung verbunden ist. Zum Zeitpunkt der Verhandlung vom 19.07.2021 laborierte er an einer Nasennebenhöhlenentzündung und Kopfschmerzen. (VS 19.07.2021 S 3)
1.4 Der Beschwerdeführer brachte zur Beründung seines Antrages auf internationalen Schutz – zusammengefasst – vor:
Bei der Erstbefragung am 25.01.2016, die in der Sprache Urdu durchgeführt wurde, gab der Beschwerdeführer an, seine Region wolle unabhängig sei, weshalb es Krieg mit dem pakistanischen Miliär gebe. Er werde vom Militär verfogt und sein Leben sei nicht sicher (NS EB 25.01.2016 S 9)
Bei der Einvernahme vor dem BFA am 06.03.2017 führte der Beschwerdeführer in der Sprache Urdu zusammengefasst aus, er habe bei Protesten für die Freiheit Belutschistans und gegen das Verschwindenlassen von Personen teilgenommen. Deshalb habe er Angst vor dem Militär gehabt und sein Leben in Pakistan sei in Gefahr gewesen. Von der „FC-Militärpolizei“ (FC=Frontier Corps) sei er zu Hause gesucht worden, aber er sei zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause gewesen. Sein Cousin und dessen Familie sei bei einem Bombenanschlag ums Leben gekommen und die Leichen seien auf der Straße zurückgelassen worden. (NS EV 06.03.2017 S 6)
Mit der Beschwerde vom 22.11.2017 wurde ein Foto einer pakistanischen Anzeige vorgelegt (AS 379) und dargetan, dass der Beschwerdeführer in dieser Strafanzeige persönliche erwähnt werde. (Beschwerde S 4)
In der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 12.06.2021 führte der Beschwerdeführer in der Sprache Urdu zusammengefasst aus, er habe politische Probleme. 2016 sei eine Strafanzeige gegen ihn erhoben worden. 2004 hätten in Belutschistan Proteste begonnen. 2006 sei der Anführer getötet worden. Er habe auch protestiert. In einem Camp namens MAN sei plötzlich geschossen worden. Er sei gezwungen worden zu wählen, aber er habe nicht gewählt, da er Pakistan nicht akzeptiert habe. Die Baloch National Movement (BNM) und die Balochi Student Organisation (BSO) hätten gemeinsam protestiert. 2009 sei der Chairman Ghulam Mehmet und weitere Personen umgebracht worden. (VS 12.06.2021 S 6, 12)
In der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 19.07.2021 führte der Beschwerdeführer in der Sprache Urdu zusammengefasst aus, etwa im Juni 2021 sei das Militär in die Moscheen gekommen und habe alle im Ort bedroht. Auch hätten die Bewohner nicht in die Berge oder Wälder gehen dürfen. Ein paar Personen hätten den Ort verlassen, um einen Ausflug zu machen, sie seien festgenommen worden und keiner wisse, wo sich diese Personen nun befänden. Das Funksignal und die Stromversorgung zu seinem Herkunftsort seien lahmgelegt worden; Internet gebe es sowieso nicht. Er habe für die BNM und die BSO demonstriert und an Protesten teilgenommen, etwa in der Stadt Turbat oder in Dasht. Im Jahr 2014 sei ein FIR (=pakistanische Polizeianzeige) gegen ihn erstattet worden, weil er 2006 an den großen Protesten teilgenommen habe. Es sei 2006 sehr viel Schaden angerichtet worden, es handle sich aber um einen falschen FIR. Diese Anzeige sei von der pakistanischen Armee gemacht worden. Dann seien sie zum Beschwerdeführer nach Hause gekommen und hätten eine Razzia verübt. Er sei zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause gewesen und seine Familienmitglieder hätten ihn benachrichtigt und gesagt, er solle nicht nach Hause kommen. Es sei unglaublich, dass der FIR erst 2014 bezüglich Vorfälle aus 2006 gemacht worden sei. Nach 2009, als der Chairman getötet worden sei, seien die Proteste gedämpfter weitergegangen, da alle Angst gehabt hätten. Der letzte Protest an dem der Beschwerdeführer teilgenommen habe sei 2013 gewesen, danach habe er Wände plakatiert und Plakate bezüglich vermisster Personen aufgeklebt. Sie hätten auch die eigene Flagge vor Geschäften angebunden. Er sei kein Mitglied der BNM gewesen, sondern ein Aktivist, damit seine Daten nirgends aufgeschienen seien. Viele der Mitglieder seien entführt und unmenschlich behandelt worden. Im September 2014 sei die Razzia gewesen, 2015 sei er in den Iran gefahren, 2016 sei er nach Europa gekommen. Hier habe er mit dem Free Balochistan Movement (FBM) gearbeitet, demonstriert und protestiert. Mitglied sei er bei der FBM nicht gewesen. Im Jahr 2020 habe er die Mitgliedschaft bei der FMB gekündigt. Inzwischen sei er bei der BNM, worüber er auch ein Dokument vorgelegt habe. Für die Organisation „International Voice For Baloch Missing Persons“ habe er auch gearbeitet und Befehle angenommen. Er habe jemanden namens Faiz Baloch, der in London sei, kontaktiert und dieser habe gewusst, dass der Beschwerdeführer in Belutschistan ein Aktivist gewesen sei. In Österreich habe er für die Belutschen 2018 in Wien und 2019 in Innsbruck demonstriert. Er sei auch auf Twitter aktiv und reposte und retweete Texte der Parteien. Auf Twitter schreibe er auch über die politische Situation, über entführte Personen, vergewaltigte Frauen und Misshandlungen. Auch auf Facebook leite er texte weiter. Das mache er seit etwa 2017 oder 2018. (VS 19.07.2021 S 3, 4, 6, 7, 8, 9, 11)
1.5 Zur Glaubhaftigkeit der vorgebrachten Antragsgründe und Rückkehrbefürchtung
Glaubhaft ist, dass der Beschwerdeführer eine politisch oppositionelle Gesinnung aufweist und dazu in Pakistan an Protesten gegen die pakistanische Armee und Regierung teilgenommen hat und auch in Österreich exilpolitisch tätig ist, in dem er sich bei Demonstrationen für die Rechte von Belutschen einsetzt, die Aktivitäten des pakistanischen Militärs anprangert und im Internet in Sozialen Medien wie Twitter und Facebook Beiträge weiterleitet sowie selbst verfasst und auch Bilder von seinen Demonstrationsteilnahmen veröffentlicht. Auf den Twitter-Accounts der FREE BALOCH MOVEMENT (FBM) und der BALOCH FREEDOM FRONT sind Beiträge mit Fotos von den Demonstrationsteilnahmen in Österreich veröffentlicht, auf denen der Beschwerdeführer eindeutig identifizierbar ist und die auch ohne Anmeldung und ohne Account über Suchmaschinen, wie zB Google, einfach auffindbar und abrufbar sind.
1.6.1 Zur Lage in Pakistan
Politische Lage
Pakistan ist ein Bundesstaat mit den vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Khyber-Pakhtunkhwa sowie dem Hauptstadtterritorium Islamabad (AA 25.9.2020). Die vormaligen FATA (Federally Administered Tribal Areas / Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) sind nach einer Verfassungsänderung im Mai 2018 offiziell in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert worden (ET 25.5.2018). Daneben kontrolliert Pakistan die Gebiete Gilgit-Baltistan und Azad Jammu & Kashmir auf der pakistanisch verwalteten Seite Kaschmirs (AA 25.9.2020).
Pakistan ist gemäß seiner Verfassung eine parlamentarische Demokratie. Seit der Unabhängigkeit wurde die demokratische Entwicklung jedoch mehrfach von längeren Phasen der Militärherrschaft unterbrochen. Zuletzt kehrte Pakistan 2008 zur Demokratie zurück. Bei den Parlamentswahlen am 25.7.2018 gewann die bisherige Oppositionspartei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI). Seit August 2018 führt PTI-Chef Imran Khan als Premierminister eine Koalitionsregierung an (AA 29.9.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).
Sicherheitslage allgemein
Die Sicherheitslage in Pakistan ist landesweit unterschiedlich und wird von verschiedenen Faktoren wie politischer Gewalt, Gewalt von Aufständischen, ethnischen Konflikten und konfessioneller Gewalt beeinflusst. Die Sicherheitslage im Inneren wird auch von Auseinandersetzungen mit den Nachbarländern Indien und Afghanistan beeinflusst, die gelegentlich gewalttätig werden (EASO 10.2020).
Der Nationale Aktionsplan (NAP) wurde fast unmittelbar nach dem Anschlag auf die Army Public School (APS) im Dezember 2014 mit der Absicht eingeführt, einen sinnvollen Konsens zur Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus zu erreichen. Die 20 Aktionspunkte des NAP haben seither unterschiedliche Erfolge erzielt. Taktische Operationen in ganz Pakistan haben zu einem verbesserten allgemeinen Sicherheitsumfeld beigetragen, was sich in einem allmählichen Rückgang der Zahl gewalttätiger Vorfälle im ganzen Land seit dem Start des NAP zeigt. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass der NAP bei der Bekämpfung des gewalttätigen und gewaltfreien Extremismus im Land nur geringe Erfolge erzielt hat. Extremistische Literatur ist online und offline in Hülle und Fülle vorhanden und die Verherrlichung von Terroristen und ihren Taten geht weiter. Auch zur Unterstützung des politischen Versöhnungsprozesses in Belutschistan wurde bisher nichts Wesentliches unternommen (FES 12.2020; vgl. GIZ 9.2020).
Im Jahr 2020 verübten verschiedene militante, nationalistische/aufständische und gewalttätige sektiererische Gruppen in ganz Pakistan insgesamt 146 Terroranschläge. 220 Menschen kamen bei diesen Anschlägen ums Leben - ein Rückgang von 38% im Vergleich zu 2019. Eine Verteilung dieser Terroranschläge nach ihren Urhebern legt nahe, dass sogenannte religiös inspirierte militante Gruppen wie die Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP), ihre Splittergruppen Hizbul Ahrar und Jamaat-ul Ahrar, sowie andere militante Gruppen mit ähnlichen Zielen wie lokale Taliban-Gruppen, Lashkar-e-Islam und ISIS-nahe Gruppen die meisten Terroranschläge verübten. Anschläge nationalistisch aufständischer Gruppen der Belutschen und Sindhi verübten weitere Anschläge. In KP wurden dabei die meisten Terroranschläge in Pakistan verübt, mehrheitlich im Stammesgebiet Nord-Waziristan. Während die Mehrheit dieser Anschläge auf Sicherheitskräfte abzielte, waren auch Zivilisten, Stammesälteste, politische Führer/Mitarbeiter und Schiiten Ziele der Anschläge. Nach KP war die Provinz Belutschistan im Jahr 2020 am stärksten von Terrorismus durch verschiedene aufständische Gruppen der Belutschen wie die Baloch Liberation Army (BLA), die Balochistan Liberation Front (BLF), Lashkar-e-Balochistan, die Baloch Republican Army (BRA) und die United Baloch Army (UBA) usw. betroffen (PIPS 2021; vgl. USDOS 30.3.2021, AA 29.9.2020).
Das Militär und paramilitärische Organisationen führten mehrere Operationen zur Aufstandsbekämpfung und Terrorismusbekämpfung durch, um sichere Zufluchtsorte von Militanten zu beseitigen. Die 2017 begonnene Operation Radd-ul-Fasaad des Militärs wurde das ganze Jahr 2020 über fortgesetzt. Radd-ul-Fasaad ist eine landesweite Anti-Terror-Kampagne, die darauf abzielt, die Errungenschaften der Operation Zarb-e-Azb (2014-17) zu konsolidieren, welche gegen aus- und inländische Terroristen in den ehemaligen FATA vorging. Die Polizei dehnte ihre Präsenz in ehemals unregierte Gebiete aus, insbesondere in Belutschistan, wo Militäroperationen zur Normalität geworden waren (USDOS 30.3.2021).
Sicherheitslage - Punjab und Islamabad
Die Bevölkerung der Provinz Punjab beträgt laut Zensus 2017 110 Millionen. In der Provinzhauptstadt Lahore leben 11,1 Millionen Einwohner (PBS 2017d; vgl. EASO 10.2020). Die Bevölkerung des Hauptstadtterritoriums beträgt laut Zensus 2017 ca. zwei Millionen Menschen (PBS 2017d).
Beim einzigen 2019 aus Islamabad gemeldeten Terroranschlag wurden zwei Polizisten getötet und ein weiterer bei einem Angriff auf einen Sicherheitsposten verletzt (PIPS 2020).
Im südlichen Punjab sind militante Netzwerke und Extremisten präsent, Lashkar-e Taiba (LeT) und JeM haben dort ihre Hauptquartiere und unterhalten religiösen Einrichtungen. Die Abteilung für Terrorismusbekämpfung im Punjab (CTD) hat 2019 und im ersten Halbjahr 2020 ihre Operationen gegen Militante fortgesetzt. Es kam dabei zu Festnahmen und zur Tötung von (mutmaßlichen) Kämpfern der TTP, HuA, LeJ und ISKP. Vom 1. Jänner bis 31. Juli 2020 zählte PIPS neun Vorfälle im Punjab, fünf davon wurden als Terroranschläge erfasst (EASO 10.2020; vgl. PIPS 2020).
Belutschistan
Nach Khyber Pakhtunkhwa war die Provinz Belutschistan im Jahr 2020 am stärksten von Terroranschlägen betroffen. Verschiedene aufständische Gruppen aus Belutschistan als auch religiös inspirierte militante Gruppen wie die TTP, Hizbul Ahrar, ISIS-Mitglieder und einige ähnliche, unbekannte Militante waren Berichten zufolge an den meisten Anschlägen in Belutschistan beteiligt. Insgesamt ereigneten sich Terroranschläge in 14 Bezirken der Provinz (PIPS 2021). Die aktivsten gegen den pakistanischen Staat gerichteten Terrorgruppen sind die pakistanischen Taliban (TTP) sowie belutschische Separatisten. Beide verübten 2020 eine Serie von tödlichen Anschlägen auf Sicherheitskräfte. Teile von Belutschistan und dem pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet sind weiter nicht gänzlich unter staatlicher Kontrolle (AA 29.9.2020).
Die Provinz Belutschistan ist mit vielfältigen Problemen konfrontiert, wie z.B. religiös motivierter Gewalt, militanten islamistischen Angriffen und einem separatistischen Aufstand. Diese Konflikte werden durch die Beteiligung mehrerer ausländischer Staaten, wie China, Indien und Iran, die ein wirtschaftliches oder politisches Interesse an der Provinz haben, zusätzlich erschwert. Der Bau von Militärkasernen in Belutschistan und der Ausbau des Hafens Gwadar durch China wurden zum Anlass für Konflikte. Bewaffnete belutschische Gruppen konnten in den letzten zwei Jahren eine Reihe von gewaltsamen Angriffen auf chinesische Interessen in der Region verüben. Im Juni 2020 verschärften sich die Zusammenstöße zwischen dem pakistanischen Militär und den belutschischen Aufständischen aufgrund einer Zunahme von Anschlägen, die von belutschischen Gruppen verübt wurden. Die Armee führte eine Militäroperation - die Ground Zero Clearance Operation - durch, die darauf abzielte, die Stützpunkte militanter belutschischer Gruppen in den Grenzgebieten zum Iran zu zerstören (EASO 10.2020; vgl. GIZ 9.2020).
Angeheizt wird der Aufstand in Belutschistan immer wieder durch gewaltsames Verschwindenlassen und außergerichtliche Tötungen (EASO 10.2020; vgl. HRCP 4.2020). Einige ethnische und religiöse Gruppen erklären, dass die Behörden ihre Mitglieder aufgrund ihrer politischen Zugehörigkeit oder ihres Glaubens inhaftiert haben. Im Rahmen des Gesetzespakets Aghaz-e-Haqooq ("Beginn der Rechte") von 2009 für Belutschistan kündigte die Regierung eine allgemeine Amnestie für alle politischen Gefangenen, Führer und Aktivisten im Exil sowie für diejenigen an, die angeblich an "staatsfeindlichen" Aktivitäten beteiligt waren. Trotz der Amnestieangebote geht die illegale Inhaftierung von belutschischen Führern und das Verschwindenlassen von belutschischen Bürgern weiter. Die föderale Untersuchungskommission für erzwungenes Verschwindenlassen in Belutschistan erklärte, dass von 483 Fällen, die zwischen März 2011 und März 2020 gemeldet wurden, noch 164 Fälle anhängig sind. Menschenrechtsaktivisten hingegen sehen die Zahlen der Kommission als unzuverlässig und die Zahl der verbleibenden Fälle deutlich höher (USDOS 30.3.2021).
Sicherheitsbehörden
Die Sicherheitsbehörden Pakistans bestehen aus der Polizei, die dem Innenministerium untersteht, Geheimdiensten (AA 29.9.2020), dem Heer sowie militärischen und paramilitärischen Hilfstruppen wie dem Frontier Corps (FC) und den Rangers, die dem Innenministerium unterstehen. FC sind in Khyber Pakhtunkwa und Belutschistan und die Rangers in Punjab und Sindh stationiert. Sie unterstützen die örtlichen Strafverfolgungsbehörden u.a. bei der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung sowie bei der Grenzsicherung (EASO 10.2020).
Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung begehen Armee und Sicherheitskräfte v.a. in den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa regelmäßig menschenrechtsrelevante Verletzungen. Ein nach wie vor ungelöstes, tabuisiertes Problem sind in diesem Zusammenhang die sog. enforced disappearances, das „Verschwindenlassen“ von unliebsamen, v.a. armeekritischen Personen (AA 29.9.2020).
Rechtsschutz, Justizwesen
Das Gesetz garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 11.3.2020). Nach der Verfassung ist die politische Gewalt zwischen Legislative, Exekutive und Judikative aufgeteilt. In der Praxis wird diese Aufteilung in Pakistan jedoch nicht strikt eingehalten (BS 2020). Die pakistanische Verfassung und die gesamte pakistanische Rechtsordnung basieren weitgehend auf dem britischen Rechtssystem. Wenngleich gemäß Art. 227 der Verfassung alle Gesetze grundsätzlich im Einklang mit der Scharia stehen müssen, ist deren Einfluss auf die Gesetzgebung trotz Bestehens des Konsultativorgans Council of Islamic Ideology jedoch eher beschränkt, abgesehen von bestimmten Bereichen wie beispielsweise den Blasphemiegesetzen (ÖB 5.2020).
Der Supreme Court ist das pakistanische Höchstgericht und kann sich in Fällen von öffentlichem Interesse auch der Rechtsdurchsetzung bei Grundrechtsverletzungen, die gemäß Verfassung in die Zuständigkeit der High Courts fällt, annehmen. Die fünf High Courts fungieren u.a. als Berufungsinstanz gegen Beschlüsse und Urteile von Special Courts sowie als Aufsichts- und Kontrollorgane für alle ihnen unterstehenden Gerichte. Ferner bestehen Provinz- und Bezirksgerichte, Zivil- und Strafgerichte sowie spezialisierte Gerichte für Steuern, Banken und Zoll. Des Weiteren existiert gemäß Verfassung ein Federal Shariat Court, der zur Prüfung von Rechtsvorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Islam angerufen wird und diesbezüglich auch von sich aus tätig werden kann. Er fungiert zusätzlich zum Teil als Rechtsmittelinstanz in Delikten nach den Hudood Ordinances von 1979, die eine v.a. Frauen stark benachteiligende Islamisierung des Strafrechts brachten und durch den Protection of Women (Criminal Law Amendment) Act 2006 in Teilen etwas entschärft wurden. In Azad Jammu und Kaschmir (AJK) sowie in Gilgit-Baltistan gibt es eigene Justizsysteme (ÖB 5.2020).
Die oberen Gerichte und der Supreme Court werden allerdings als glaubwürdig eingestuft (USDOS 11.3.2020).
Im Zivil-, Straf- und Familienrecht gibt es öffentliche Verhandlungen, es gilt die Unschuldsvermutung, und es gibt die Möglichkeit einer Berufung. Angeklagte haben das Recht auf Anhörung und auf Konsultation eines Anwalts. Die Kosten für die rechtliche Vertretung vor den unteren Gerichten muss der Angeklagte übernehmen, in Berufungsgerichten kann auf öffentliche Kosten ein Anwalt zur Verfügung gestellt werden (USDOS 11.3.2020). Das National Accountability Bureau (Antikorruptionsbehörde) kann Verdächtige 15 Tage lang ohne Anklageerhebung festhalten (mit gerichtlicher Zustimmung verlängerbar) und ihnen vor der Anklageerhebung den Zugang zu einem Rechtsbeistand verweigern. Für Straftaten im Rahmen dieser Behörde kann keine Kaution hinterlegt werden, und nur dessen Vorsitzender ist befugt, über die Freilassung von Gefangenen zu entscheiden (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 2020).
Die Justiz verteidigt ihre nach Ende der Militärherrschaft zurückgewonnene Unabhängigkeit und bemüht sich, den Rechtsstaat in Pakistan zu stärken. Gleichzeitig steht sie weiterhin unter dem Einfluss der mächtigen pakistanischen Armee. Erhebliche Unzulänglichkeiten im Justizapparat und Schwächen bei der Durchsetzung des geltenden Rechts bestehen fort. Die Gerichte und das pakistanische Rechtssystem sind hochgradig ineffizient (AA 29.9.2020). Zudem ist die Justiz in der Praxis oft von externen Einflüssen beeinträchtigt: Korruption, Einschüchterung und Unsicherheit; einem großen Rückstau an Fällen und niedrigen Verurteilungsquoten bei schweren Straftaten; von Angst vor Repressionen durch extremistische Elemente bei Fällen von Terrorismus, Blasphemie oder öffentlichkeitswirksamen politischen Fällen (USDOS 11.3.2020; vgl. HRCP/FIDH 10.2019; HRW 14.3.2020). Viele Gerichte unterer Instanzen bleiben für Korruption und den Druck von wohlhabenden Personen und einflussreichen religiösen und politischen Akteuren anfällig. Es gibt Beispiele, wo Zeugen, Staatsanwälte oder ermittelnde Polizisten in High Profile Fällen von unbekannten Personen bedroht oder getötet wurden. Verzögerungen in zivilen und Kriminalfällen sind auf ein veraltetes Prozessrecht, unbesetzte Richterstellen, ein schlechtes Fallmanagement und eine schwache rechtliche Ausbildung zurückzuführen. Der Rückstand sowohl in den unteren als auch in den höheren Gerichten beeinträchtigt den Zugang zu Rechtsmitteln oder eine faire und effektive Anhörung (USDOS 11.3.2020). Zivile Streitigkeiten, insbesondere wegen Eigentum und Geld, sind ein häufiger Grund für Mordfälle in Pakistan. Die oftmals Jahrzehnte dauernden Verzögerungen bei Urteilen durch Zivilgerichte können zu außergerichtlicher Gewaltanwendung zwischen den Streitparteien führen (JPP 4.10.2018). De facto spielt in weiten Landesteilen das staatliche Recht für die meisten Pakistaner kaum eine Rolle. Rechtsstreitigkeiten werden nach Scharia-Recht oder nach lokalen Rechtsbräuchen gelöst. Im WJP Rule of Law Index belegt Pakistan Platz 120 von 128 untersuchten Staaten (AA 29.9.2020). Neben dem bisher dargestellten staatlichen Justizwesen bestehen also vor allem in ländlichen Gebieten Pakistans auch informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen. Hier drohen vor allem Frauen menschenunwürdige Bestrafungen (ÖB 5.2020).
Allgemeine Menschenrechtslage
Generell ist der Schutz der Menschenrechte in der pakistanischen Verfassung verankert und die pakistanische Regierung bekennt sich zu den Menschenrechten. Darunter fallen Grundrechte, Schutz der körperlichen Unversehrtheit und Selbstbestimmung, Schutz vor willkürlicher Verhaftung, des persönlichen Ansehens sowie das Recht auf Freiheit und Eigentum, Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, Verbot willkürlicher Verhaftungen und Tötungen ohne gesetzliche Grundlage (AA 29.9.2020).
Dennoch kommt es regelmäßig zu Verletzungen der verfassungsmäßig garantierten Menschenrechte wie z.B. die Schikanierung und Verfolgung von Menschenrechtsverteidigern, Anwälten und Journalisten, weil sie Regierungsbeamte und die Politik kritisierten. Die Behörden setzen drakonische Gesetze zur Terrorismusbekämpfung ein, um abweichende Meinungen zu unterdrücken, und gehen streng gegen zivilgesellschaftliche Gruppen und Organisationen vor, die sich kritisch zu Regierungsmaßnahmen oder -politik äußern. Frauen, religiöse Minderheiten und Transgender-Personen sind weiterhin Gewalt, Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt, wobei die Behörden es oft versäumen, angemessenen Schutz zu bieten oder die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Die Regierung versäumte es, die Strafverfolgungsbehörden für schwerwiegende Übergriffe zur Rechenschaft zu ziehen - selbst als neue Vorwürfe über Folter und außergerichtliche Tötungen aufkamen. Die pakistanischen Behörden gehen hart gegen Mitglieder und Anhänger von Oppositionsparteien vor. Mehrere Oppositionsführer - darunter ehemalige Staatsoberhäupter und Kabinettsminister - werden weiterhin wegen politisch motivierter Korruptionsvorwürfe strafrechtlich verfolgt (HRW 13.1.2021).
Folter im Gewahrsam der Sicherheitskräfte und in Gefängnissen gilt als weit verbreitet. Bei 27 verschiedenen Straftatbeständen kann die Todesstrafe verhängt werden [siehe Kapitel Todesstrafe]. Verschwindenlassen zählt zu den drängendsten und eklatantesten Menschenrechtsverletzungen in Pakistan – auch weil der Staat (v. a. Militär/Nachrichtendienste, insb. ISI) oftmals als Täter auftritt und seiner Schutzverantwortung nicht gerecht wird. Extralegale Tötungen kommen vor allem in Form von polizeilichen Auseinandersetzungen vor, d. h. bei Zusammenstößen zwischen mutmaßlichen Straftätern, Militanten oder Terroristen und der Polizei oder paramilitärischen Sicherheitskräften, die mit dem Tod des mutmaßlich Straffälligen enden. Willkürliche Festnahmen kommen insbesondere aufgrund der weit verbreiteten Korruption innerhalb der Polizei vor. Selbst bei offensichtlich unbegründeten Beschuldigungen kann eine lange Inhaftierung erfolgen, ohne dass es dabei zu einer Haftprüfung kommt. Als Beispiel hierfür dienen die Blasphemie-Fälle (AA 29.9.2020).
Der Einsatz von Verschwindenlassen zur Bestrafung von Dissens kommt immer verbreiteter zur Anwendung, wobei auch schon Menschen von Geheimdiensten am helllichten Tag aus städtischen Zentren entführt wurden. In den vergangenen Jahren gehörten zu den Opfern des gewaltsamen Verschwindenlassens Menschenrechtsverteidiger, politische Aktivisten, Studenten und Journalisten, die außerhalb ihrer Gemeinschaften kaum bekannt waren (AI 7.4.2021; vgl. HRCP 4.2020).
Terroristische Gewalt und Menschenrechtsverletzungen durch nichtstaatliche Akteure tragen ebenfalls zu Menschenrechtsproblemen bei - wenn auch in geringerem Maße als vor 2020. Nichtsdestotrotz tragen Gewalt, Missbrauch sowie soziale und religiöse Intoleranz durch militante Organisationen und andere nichtstaatliche Akteure, zu einer Kultur der Gesetzlosigkeit bei. Es mangelte an staatlicher Rechenschaftspflicht, und Übergriffe bleiben oft ungestraft, was eine Kultur der Straflosigkeit unter den Tätern - ob offiziell oder inoffiziell - fördert. Die Behörden bestrafen nur selten Regierungsbeamte für Menschenrechtsverletzungen (USDOS 30.3.2021).
Ein eigenständiges Ministerium für Menschenrechte wurde im Jahr 2015 neu eingerichtet. Die ständigen Ausschüsse des Senats und der Nationalversammlung für Recht, Justiz, Minderheiten und Menschenrechte führen Anhörungen zu einer Reihe von Menschenrechtsproblemen durch (USDOS 30.3.2021).
Die COVID-19-Pandemie stellt die wirtschaftliche und soziale Lage im Land vor neue Herausforderungen. In diesem Zusammenhang wird das Vorgehen gegen Beschäftigte im Gesundheitssektor genannt. Nach friedlichen Protesten wegen der Zustände in den Krankenhäusern wurden mehrere Dutzend Personen für mehrere Stunden vorübergehend festgenommen: allein am 6. April 2020 etwa mehr als 50 Menschen nach friedlichen Protesten in Quetta (Belutschistan). Auch war diese Personengruppe an ihrem Arbeitsplatz gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt. Des Weiteren wird die Verfolgung von religiösen Minderheiten nach den Blasphemiegesetzen genannt, sowie die von nichtstaatlichen Akteuren verübten, strafrechtlich häufig nicht verfolgten, gewaltsamen Übergriffe aus religiösen Motiven oder wegen des Geschlechts (BAMF 19.4.2021).
Meinungs- und Pressefreiheit
Das Gesetz sieht Meinungsfreiheit vor, auch für die Presse, aber es gibt verfassungsmäßige Einschränkungen. Darüber hinaus führen Drohungen, Schikanen, Entführungen, Gewalt und Tötungen dazu, dass Journalisten und Redakteure Selbstzensur üben (USDOS 30.3.2021; vgl. AA 29.9.2020). Ein Klima der Angst behindert weiterhin die Medienberichterstattung über Übergriffe sowohl der staatlichen Sicherheitskräfte als auch militanter Gruppen. Journalisten, die Drohungen und Angriffen ausgesetzt sind, haben zunehmend zur Selbstzensur gegriffen. Medien werden von den Behörden unter Druck gesetzt, Regierungsinstitutionen oder die Justiz nicht zu kritisieren. In mehreren Fällen im Jahr 2020 blockierten staatliche Aufsichtsbehörden Kabelbetreiber und Fernsehsender, die kritische Programme ausgestrahlt hatten (HRW 23.1.2021; vgl. RSF 20.4.2021). Die gesetzlichen Bestimmungen erlauben zwar den Bürgern, öffentlich Kritik an der Regierung zu üben, aber Gerichtsentscheidungen haben die Verfassung dahingehend ausgelegt, dass Kritik am Militär und an der Justiz verboten sei (USDOS 30.3.2021).
Der Einfluss des militärischen Establishments und des Nachrichtendienstes (ISI) hat zugenommen. Es hat viele Fälle von Zensur gegeben. Journalisten, die Themen aufgriffen, die vom Militär als tabu erachtet wurden, wurden vom Nachrichtendienst (ISI) organisierten Schikanierungskampagnen ausgesetzt (RSF 20.4.2021). Generell gibt es eine Vielzahl von Einzelinterventionen im Medienbereich und gegen einzelne unliebsame Journalisten. Unabhängige Berichterstattung aus Gebieten, in denen sich die pakistanische Armee oder Geheimdienste im Einsatz befinden, wird grundsätzlich stark reglementiert oder unterbunden. Dies gilt zuletzt besonders für die früheren Stammesgebiete FATA. Das Militär und Geheimdienste zwingen Journalisten zu Selbstzensur (AA 29.9.2020; vgl. ÖB 12.2020). Die Behörden haben die Kontrolle über Medien verschärft. Medienmitarbeiter berichten über zunehmende Nötigung und Zensur. Zwar wurde dies seitens der Regierung verneint, Journalisten, die kritische Beiträge veröffentlichen, sind jedoch Schikanen, Einschüchterungen, Zensur und sogar Verhaftungen ausgesetzt (AI 7.4.2021; vgl. USDOS 30.3.2021).
Internet und soziale Medien haben in den vergangenen Jahren weiteren Raum für eine kritische journalistische Debatte geschaffen, die jedoch zunehmend eingeschränkt wird. Im Rahmen des seit 2016 geltenden und sehr vage gefassten Prevention of Electronic Crimes Act 2016 ist die Pakistan Telecommunication Authority (PTA) befugt, jegliche Inhalte zu löschen, die im Sinne des Gesetzes als falsch erachtet werden. Dazu gehören u.a. Inhalte, die sich gegen den Islam, gegen die Integrität, Sicherheit und Verteidigung Pakistans richten bzw. bei Hassreden. Von diesen Befugnissen, insbesondere zur Blockade von Internetseiten, macht die pakistanische Regierung umfangreich Gebrauch. Ende Jänner 2020 beschloss die Regierung neue, restriktive Richtlinien zur Kontrolle sozialer Medien (AA 29.9.2020).
Angriffe auf Journalisten gehen primär von Extremisten aber auch regelmäßig von staatlichen Akteuren aus. Besonders seitens des Militärapparats wird (gelegentlich in Verbindung mit Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung) Druck auf Medien ausgeübt. Trotzdem werden pakistanische Medien in der tagespolitischen Berichterstattung unter den freiesten in Asien eingestuft (ÖB 12.2020).
Um im pakistanisch verwalteten Kaschmir zu publizieren, mussten die Medienbesitzer die Erlaubnis des Kaschmir-Rates und des Ministeriums für Kaschmir-Angelegenheiten einholen, und die Journalisten mussten sich weitgehend auf Informationen verlassen, die von der Regierung und dem Militär bereitgestellt wurden. Es gab Beschränkungen für die Übertragung von Inhalten indischer Medien (USDOS 30.3.2021).
Blasphemiegesetze schränken das Recht des Einzelnen auf freie Meinungsäußerung in Bezug auf Angelegenheiten der Religion und der religiösen Lehre ein. Nach dem Strafgesetzbuch beinhalten die Strafen für eine Verurteilung wegen Blasphemie die Todesstrafe für "Schändung des Propheten Mohammed", lebenslange Haft für "Schändung, Beschädigung oder Entweihung des Korans" und 10 Jahre Haft für "Beleidigung der religiösen Gefühle eines anderen". Die Gerichte setzen die Blasphemiegesetze auch durch, und obwohl die Behörden noch keine Person wegen Blasphemie hingerichtet haben, führen Anschuldigungen wegen Blasphemie oft zu Selbstjustiz und Lynchjustiz durch den Mob. Die Regierung schränkt einige sprachliche und symbolische Äußerungen auf der Grundlage der Bestimmungen über Hassreden und Terrorismus ein (USDOS 30.3.2021).
Belutschen
Die Belutschen sind die Ureinwohner von Belutschistan, das zwischen der pakistanischen Provinz Belutschistan und dem iranischen Belutschistan aufgeteilt ist. Die Mehrheit der Belutschen lebt in der Provinz Belutschistan in Pakistan. Belutschistan ist die größte aller Provinzen des heutigen Pakistans. Die sozioökonomischen Bedingungen der Belutschen sind miserabel, über 50% leben unterhalb der Armutsgrenze. Die Belutschen sind mehrheitlich Sunniten und folgen der Hanafi-Rechtsschule (MRGI aktualisiert 6.2018).
Etwa sieben belutschische Aufstandsgruppen sind in Belutschistan aktiv, wobei die Belutschische Befreiungsarmee (BLA) und die Belutschische Befreiungsfront (BLF) als die Hauptakteure von Aufständischen gelten (PIPS 2020). Die BLA kämpft für mehr Autonomie der Provinz Belutschistan und für die Eindämmung des chinesischen Einflusses in der Region; sie wurde 2006 von Pakistan und im Juli 2019 von den USA als terroristische Vereinigung eingestuft (BAMF 8.7.2019).
Menschenrechtsorganisationen berichten, dass einige Behörden belutschische Menschenrechtsaktivisten sowie belutschische Nationalisten willkürlich oder ohne Haftbefehl verschwinden lassen oder diese verhaften. Im Rahmen des Gesetzespakets Aghaz-e-Haqooq ("Beginn der Rechte") von 2009 für Belutschistan kündigte die Regierung eine allgemeine Amnestie für alle politischen Gefangenen, Führer und Aktivisten im Exil sowie für diejenigen an, die angeblich an "staatsfeindlichen" Aktivitäten beteiligt waren. Trotz dieser Amnestieangebote setzt sich die illegale Inhaftierung von belutschischen Führern und das Verschwindenlassen von belutschischen Bürgern (darunter Terrorverdächtige aber auch etwa Lehrer, Menschenrechtsaktivitsten und Politiker) fort. Die föderale Untersuchungskommission für erzwungenes Verschwindenlassen in Belutschistan gibt an, dass von 483 Fällen, die zwischen März 2011 und März 2020 gemeldet wurden, noch 164 Fälle anhängig seien. Menschenrechtsaktivisten erklären, dass die Zahlen der Kommission unzuverlässig sind und die Zahl der verbleibenden Fälle höher ist als berichtet. Eine Gruppe gibt an, dass von den mehr als 5.000 seit 2018 verschwundenen Personen nur 450 wieder gefunden wurden (USDOS 30.3.2021).
Die Klagen der Belutschen rühren von ihren wirtschaftlichen Entbehrungen her. Belutschistan verfügt über wirtschaftliche Ressourcen, die von den aufeinanderfolgenden Bundesregierungen ausgebeutet wurden, ohne dass der Beitrag Belutschistans zur nationalen Wirtschaft gebührend gewürdigt oder in Form von Geld oder finanziellen Maßnahmen entschädigt wurde (MRGI aktualisiert 6.2018).
Bewegungsfreiheit
Das Gesetz gewährleistet Bewegungsfreiheit im Land sowie uneingeschränkte internationale Reisen, Emigration und Repatriierung. Die Regierung schränkt den Zugang zu bestimmten Gebieten der ehemaligen FATA und Belutschistan aufgrund von Sicherheitsbedenken ein (USDOS 11.3.2020). Die starke Militärpräsenz in den Gebieten Azad Jammu and Kashmir (AJK) sowie Gilgit-Baltistan (GB) und die Gefahr von Beschuss und anderer Gewalt entlang der Grenzkontrolllinie schränken die Bewegungsfreiheit der Zivilbevölkerung im Land ein (FH 4.3.2020a). Es gibt einige rechtliche Beschränkungen für Reisen und die Möglichkeit, den Wohnsitz, die Beschäftigung oder die Hochschuleinrichtung zu wechseln. In einigen Teilen des Landes behindern die Behörden aus Sicherheitsgründen routinemäßig die interne Mobilität (FH 4.3.2020b).
Meldewesen
Pakistan verfügt über eine der weltweit umfangreichsten Bürger-Registrierungssysteme. Die zuständige Behörde ist die National Database & Registration Authority (NADRA) (PI 1.2019). Die Provinzen Belutschistan, Khyber Pakhtunkhwa, Punjab und Sindh sowie das Hauptstadtterritorium Islamabad haben ein System für die Registrierung der Bewohner. In den Provinzen Azad-Jammu und Kaschmir, Gilgit-Baltistan und den ehemaligen FATA konnten laut IRBC keine Infos über solche Registrierungssyteme gefunden werden. In allen vier Provinzen besteht jedoch eine Meldepflicht. Die Gesetze werden allerdings nur lückenhaft umgesetzt, aber Vergehen werden in allen Provinzen streng geahndet. Die zuständige Behörde zur Erhebung der Meldedaten ist die Polizei. Die Bezirksleiter der Polizei sind für die lückenlose Erfassung der Bewohner in ihren Bezirken verantwortlich (IRBC 23.1.2018).
Bei gemieteten Räumlichkeiten ist es die Pflicht des Mieters oder Vermieters oder auch des Immobilienhändlers, der Polizei zusammen mit dem Mietvertrag vollständige Angaben über den Mieter zu machen. In den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa müssen zusätzlich noch zwei Referenzpersonen genannt werden, die den Bewohner identifizieren können. Hotels sind verpflichtet, Informationen über ihre Gäste zu übermitteln sowie diese Informationen zu archivieren und für die Polizei jederzeit einsehbar zu halten (IRBC 23.1.2018).
Um als Wähler in einem Wahlkreis registriert zu werden, muss man mittels Digitaler Nationaler Identitätskarte (NIC) nachweisen, Bewohner dieses Wahlkreises zu sein (ECP o.D.). Auf der NIC ist neben der permanenten Adresse auch die derzeitige Wohnadresse der Person angeführt (VB 4.11.2018).
Dokumente
Pakistan verfügt über eines der weltweit umfangreichsten Bürger-Registrierungssysteme. Die zuständige Behörde ist die National Database & Registration Authority (NADRA) (PI 1.2019). NADRA ist für die Ausstellung unterschiedlicher Ausweisdokumente zuständig (NADRA o.D.). Über 96 % der Bürger Pakistans verfügen über biometrische Personalausweise (PI 1.2019). Die National Identity Card (NIC) wird für Staatsbürger über 18 Jahre ausgestellt und ist mit einer einzigartigen 13-stelligen Personennummer versehen (NADRA o.D.). Die 2012 eingeführte Smart National Identity Card (SNIC) hat auf einem Chip zahlreiche biometrische Merkmale gespeichert und soll bis 2020 die älteren Versionen der NIC vollständig ersetzen (PI 1.2019). Eine SNIC wird benötigt, um beispielsweise Führerschein oder Reisepass zu beantragen, ein Bankkonto zu eröffnen und eine SIM-Karte oder Breitbandinternet zu erhalten (PI 1.2019; vgl. NADRA o.D.).
Weitere durch NADRA ausgestellte Dokumente sind die Pakistan Origin Card (POC) für ausländische Staatsbürger, die früher pakistanische Staatsangehörige waren bzw. deren Eltern oder Großeltern pakistanische Staatsbürger sind oder waren; National Identity Card for Overseas Pakistanis (NICOP) für Pakistani im Ausland, Emigranten oder Personen mit Doppelstaatsbürgerschaft; Child Registration Certificates (CRC) für alle Personen unter 18 Jahren (NADRA o.D.).
Dokumentenfälschungen sind in Pakistan ein weit verbreitetes Phänomen, v.a. von manuell angefertigten Dokumenten. Um gefälschte Dokumente zu erlangen, werden meist Bestechungsgelder bezahlt und/oder politischer Einfluss bzw. Kontakte von Familie und Freunden genutzt. Manche Dokumente sind sogar online oder in Märkten erhältlich. Folgende Dokumente werden regelmäßig gefälscht: Zeugnisse, akademische Titel, Empfehlungsschreiben, Geburts-, Todes-, Heirats- und Scheidungsurkunden, finanzielle Belege/Bestätigungen bzw. Kontoauszüge, Besitzurkunden, polizeiliche Dokumente (u.a. First Information Reports / FIRs), Einreise- und Ausreisestempel in Reisepässen sowie ausländische Visa (ÖB 5.2020).
Angesichts weit verbreiteter Korruption und des unzureichenden Zustands des Zivilstandswesens ist es einfach, fiktive oder verfälschte Standesfälle (Geburt, Tod, Eheschließung) in ein echtes Personenstandsregister eintragen zu lassen und auf der Basis dieser Eintragung formal echte Urkunden ausgestellt zu bekommen. Merkmale auf modernen Personenstandsurkunden und Reisepässen zur Erhöhung der Fälschungssicherheit können bereits bei der Dateneingabe durch korruptionsanfällige Verwaltungsbeamte mühelos unterlaufen werden. Es ist in Pakistan problemlos möglich, ein (Schein-)Strafverfahren gegen sich selbst in Gang zu bringen, in dem die vorgelegten Unterlagen (z.B. „First Information Report“, FIR) dann formal echt sind. Ebenso ist es ohne große Anstrengungen möglich, Zeitungsartikel, in denen eine Verfolgungssituation geschildert wird, gegen Bezahlung oder dank Beziehungen veröffentlichen zu lassen (AA 29.9.2020).
Rückkehr
Die Rückführung von pakistanischen Staatsangehörigen ist nur mit gültigem pakistanischem Reisepass oder mit einem von einer pakistanischen Auslandsvertretung ausgestellten nationalen Ersatzdokument möglich, nicht aber mit europäischen Passersatzdokumenten (AA 29.9.2020). Freiwillige Rückkehrer mit gültigen Reisedokumenten werden von den Grenzbehörden wie alle anderen Pakistani, die aus dem Ausland einreisen, behandelt. Zwangsweise Rückgeführte werden von den Grenzbehörden befragt, um herauszufinden, ob die Person illegal aus Pakistan ausgereist ist bzw. ob strafrechtliche Vorwürfe vorliegen. Wenn keine Vorwürfe vorliegen, wird die Person normalerweise nach einigen Stunden entlassen (DFAT 20.2.2019).
Zurückgeführte haben bei ihrer Rückkehr nach Pakistan allein wegen der Stellung eines Asylantrags weder mit staatlichen Repressalien noch mit gesellschaftlicher Stigmatisierung zu rechnen. Eine über eine Befragung hinausgehende besondere Behandlung Zurückgeführter ist nicht festzustellen. Die pakistanischen Behörden erfragen lediglich, ob die Rückkehrer Pakistan auf legalem Weg verlassen haben (AA 29.9.2020). Unter gewissen Voraussetzungen verstoßen Pakistani nämlich mit ihrer Ausreise gegen die Emigration Ordinance (1979) oder gegen den Passport Act, 1974. Laut Auskunft der International Organization for Migration (IOM) werden Rückkehrende aber selbst bei Verstößen gegen die genannten Rechtsvorschriften im Regelfall nicht strafrechtlich verfolgt. Es sind vereinzelte Fälle an den Flughäfen Islamabad, Karatschi und Lahore bekannt, bei denen von den Betroffenen bei der Wiedereinreise Schmiergelder in geringer Höhe verlangt wurden. Rückkehrende, die nicht über genügend finanzielle Mittel verfügen, um Schmiergelder zu zahlen, werden oft inhaftiert (ÖB 5.2020). Nach anderen Angaben werden Personen, die illegal ausgereist sind, verhaftet und normalerweise nach einigen Tagen bei Bezahlung einer Strafe entlassen. Bei strafrechtlichen Vorwürfen oder wenn im Ausland eine Straftat begangen wurde, wird die Person verhaftet (DFAT 20.2.2019).
Bei oppositioneller Betätigung im Ausland, also etwa für eine andere Partei als die Regierungspartei, ist es bislang zu keinen bekannten Problemen bei der Rückkehr gekommen. Dasselbe gilt für im Ausland tätige Journalisten und Menschenrechtsaktivisten. Auch der International Organization for Migration (IOM) liegen keine diesbezüglichen Fälle vor (ÖB 5.2020).
Rückkehrer müssen vom Ort der Einreise nach Pakistan ihre Weiterreise selbst organisieren. Freiwillige Rückkehrer können berechtigt sein, Unterstützung von IOM oder lokalen NGOs erhalten. Zwangsweise Rückgeführte sind nicht berechtigt, Rückkehrhilfe zu beziehen (DFAT 20.2.2019).
[Beweisquelle: LIB Juni 2021 mwN]
Exilpolitische Aktivitäten
Dem Auswärtigen Amt liegen Hinweise vor, dass exilpolitische Tätigkeiten in Einzelfällen möglicherweise in Pakistan zu staatlichen Repressionen führen könnten. Es ist davon auszugehen, dass die pakistanische Regierung über umfassende nachrichtendienstliche Aufklärung – auch in westlichen Staaten – exilpolitische Betätigung, z. B. der belutschischen Diaspora bzw. der Paschtunenbewegung PTM sehr genau beobachtet.
[Beweisquelle: Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan, Stand Mai 2021, vom 28.09.2021]
2. Beweiswürdigung:
Die Sachverhaltsfeststellungen stützen sich auf den Verwaltungsverfahrensakt des BFA, den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes, die schriftlichen Eingaben des Beschwerdeführers im Laufe des Beschwerdeverfahrens und das Ergebnis der durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die konkreten Beweismittel sind bei den Sachverhaltsfeststellungen bzw in der Beweiswürdigung jeweils in Klammer angeführt.
Der Beschwerdeführer brachte in beiden Terminen der mündlichen Verhandlung fehlerhafte Protokollierungen der jeweils vorangegangenen Befragungen vor. Diesbezüglich wurde ihm vom Bundesverwaltungsgericht ausreichend Gelegenheit gegeben, die nach seiner Ansicht nach korrekten Angaben vorzubringen (VS 12.05.2021 S 10f; VS 19.07.2021 S 4-6).
2.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen in Pakistan (1.1)
Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, die er im Zuge des Verfahrens vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht machte, waren auf Grund seiner Orts- und Sprachkenntnisse nicht zu bezweifeln.
Die festgestellte Identität XXXX mit dem Geburtsdatum XXXX ergibt sich nach der vom BFA veranlassten Identifizierung durch die pakistanischen Behörden (OZ 5) und deckt sich mit den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung am 12.05.2021, wonach auf seinem pakistanischen Personalausweis (auch: „Shanakhti Card“) jener Name angeführt war. Davon zu unterscheiden ist der Name, den der Beschwerdeführer aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit selbst führen möchte und wie er sich selbst bezeichnet.
Seine Ausführungen zu seinen Wohnorten, seiner Schulbildung, seinen beruflichen Tätigkeiten, zu seinen Familienangehörigen in Pakistan und seinem einjährigen Aufenthalt im Iran waren im Verlauf des gesamten Verfahrens und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen kohärent, schlüssig und widerspruchsfrei, sodass auch dieses Vorbringen als glaubhaft erachtet werden konnte.
2.2 Zu seinen Lebensverhältnissen in Österreich (1.2)
Seine Angaben zu seiner Einreise und seinem Aufenthalt in Österreich, zu seiner aktuellen Lebenssituation, dem Nichtbezug von Leistungen aus der Grundversorgung sowie zu seinen sozialen Kontakten erwiesen sich als widerspruchsfrei, sie wurden durch die von ihm vorgelegten Bescheinigungen zum Nachweis seiner bereits gesetzten Integrationsschritte (Bestätigung über Remunerandentätigkeit und Flurreinigung, Teilnahmebestätigungen Deutschkurs) belegt und stehen auch im Einklang mit den vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszügen aus den behördlichen Datenregistern. Die strafrechtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus dem unverdächtigen Strafregisterauszug der Republik Österreich. Die mündlichen Deutschkenntnisse ergeben sich aus der Befragung in der mündlichen Verhandlung; er konnte die ihm in deutscher Sprache gestellten Fragen sofort verstehen und darauf auf Deutsch, spontan und verständlich, wenn auch ohne Bildung ganzer Sätze beantworten.
2.3 Zum Gesundheitszustand (1.3)
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand ergeben sich aus den diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung. (VS 19.07.2021 S 3)
2.4 Zur Begründung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz und zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit (oben 1.4 und 1.5)
2.4.1 Die Ausführungen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen beruhen auf seinen protokollierten Aussagen im Zuge der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 25.01.2016 und der Einvernahme vor dem BFA am 06.03.2017, auf dem Beschwerdevorbringen sowie seinen Ausführungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 12.05.2021 und 19.07.2021.
2.4.2 Nicht glaubhaft ist zunächst die vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung am 12.05.2021 implizit geäußerte Ansicht, dass bei der Einvernahme vor dem BFA am 06.03.2017 nicht alles vollständig oder fehlerhaft protokolliert worden sei. (VS 12.05.2021 S 10). So gab er zwar in der Verhandlung an, dass er den Dolmetscher beim BFA gleich am Anfang nicht habe haben wollen, doch bot er keine Erklärung dafür an, weshalb er den damaligen Dolmetscher hätte ablehnen wollen. Zudem ist der Niederschrift seiner Einvernahme vor dem BFA am 06.03.2017 zu entnehmen, dass er explizit keine Einwände gegen die anwesenden Personen äußerste und die entsprechende Frage verneinte und er am Ende seiner damaligen Befragung ausdrücklich erklärt hat, den Dolmetscher einwandfrei verstanden zu haben sowie, dass dieser alles rückübersetzt habe, was der Beschwerdeführer gesagt habe und der Beschwerdeführer auch an der Art der Einvernahme nichts zu beanstanden habe. (NS EV 06.03.2017 S 1, 8) Auch konnte er in der Verhandlung am 12.05.2021 keine konkreten inhaltlichen Mängel bezeichnen, nachdem er dazu aufgefordert worden war. (VS 12.05.2021 S 10)
Schließlich war auch in der mündlichen Verhandlung am 12.05.2021 festzustellen, dass es der Beschwerdeführer war, der mehrfach ermahnt werden musste, die dabei beigezogene Dolmetscherin aussprechen zu lassen und nicht zu unterbrechen, um auch eine vollständige und richtige Übersetzung zu gewährleisten, da er der Dolmetscherin während ihrer Übersetzungstätigkeit mehrfach ins Wort fiel.
Allerdings zeigt die Niederschrift seiner Einvernahme vor dem BFA am 06.03.2017 auch, dass damals tatsächlich keine nähere Befragung zu den vom Beschwerdeführer in jener Einvernahme vorgebrachten Ausreisegründen erfolgte: Nach der freien Schilderung des Beschwerdeführers dazu wurde er lediglich gefragt, ob er noch andere Gründe für das Verlassen seiner Heimat habe und ob er sämtliche Gründe genannt habe und was ihn bei einer Rückkehr erwarte. (NS EV 06.03.2017 S 6/7)
2.4.3. Allerdings kann ein asylerhebliches glaubhaftes Vorbringen auch trotz eines zum Teil oder neben einem zum Teil unglaubhaften Vorbringen bestehen (vgl bspw VwGH, 02.09.2015, Ra 2015/19/0091: hier zu einer glaubhaften Konversion in Österreich trotz unglaubhaftem Vorbringen zum ursprünglichen Ausreisegrund).
Die Feststellung, wonach das vom Beschwerdeführer erstattete Vorbringen zu seiner regimekritischen politischen Gesinnung und Betätigung in sozialen Medien und bei Demonstrationen in Österreich sowie seine Motivation dafür glaubhaft ist, war aus den folgenden Gründen zu treffen:
Aus den Länderfeststellungen (1.6.1) ergibt sich, dass die pakistanischen Behörden, insbesondere das pakistanische Militär, gegen jene Belutschen vorgeht, die sich für mehr Rechte und Freiheiten für die Minderheit der Belutschen einsetzen sowie, dass aktive Belutschen oft verschleppt werden und nicht mehr auffindbar sind, dass sie misshandelt und umgebracht werden. Zudem sind die sozioökonomischen Bedingungen der Belutschen miserabel, über 50% leben unterhalb der Armutsgrenze. Angeheizt wird der Aufstand in Belutschistan immer wieder durch gewaltsames Verschwindenlassen und außergerichtliche Tötungen. Einige ethnische und religiöse Gruppen erklären, dass die Behörden ihre Mitglieder aufgrund ihrer politischen Zugehörigkeit oder ihres Glaubens inhaftiert haben. Im Rahmen des Gesetzespakets Aghaz-e-Haqooq ("Beginn der Rechte") von 2009 für Belutschistan kündigte die Regierung eine allgemeine Amnestie für alle politischen Gefangenen, Führer und Aktivisten im Exil sowie für diejenigen an, die angeblich an "staatsfeindlichen" Aktivitäten beteiligt waren. Trotz der Amnestieangebote geht die illegale Inhaftierung von belutschischen Führern und das Verschwindenlassen von belutschischen Bürgern weiter. Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung begehen Armee und Sicherheitskräfte v.a. in den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa regelmäßig menschenrechtsrelevante Verletzungen. Ein nach wie vor ungelöstes, tabuisiertes Problem sind in diesem Zusammenhang die sog. enforced disappearances, das „Verschwindenlassen“ von unliebsamen, v.a. armeekritischen Personen.
Vor diesem Hintergrund ist es glaubhaft, dass der Beschwerdeführer als Angehöriger der Minderheit der Belutschen in Pakistan das gewaltsame Vorgehen der pakistanischen Regierung, der pakistanischen Sicherheitsbehörden und insbesondere des pakistanischen Militärs gegen die Belutschen, die für mehr Rechte und Freiheiten ihrer Volksgruppe eintreten, ablehnt, zumal er auch aus einem Gebiet – XXXX – in dem es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Aufständischen und dem pakistanischen Militär kommt und das Militär Operationen durchführt. (zB Dawn 28.04.2017, https://www.dawn.com/news/1329770) Sein Vorbringen dazu im Verfahren, wonach seine Region unabhängig sein wolle, es Krieg mit dem pakistanischen Militär gebe und er in Pakistan im Lauf der Jahre immer wieder an Protesten aufgrund der vermissten Personen teilgenommen habe, erweist sich im Kern im Wesentlichen widerspruchsfrei und auch durchgehend gleichbleibend. (NS EB 25.01.2016 S 5; NS EV 06.03.2017 S 6; VS 12.05.2021 S 12; VS 19.07.2021 S 6, 8) In der mündlichen Verhandlung am 12.05.2021 legte der Beschwerdeführer Fotos vor, die ihn in Österreich ab 2018 bei Teilnahmen an Veranstaltungen und Demonstrationen gegen die pakistanische Regierung und gegen das Vorgehen des pakistanischen Militärs gegen Belutschen, die sich für mehr Rechte und Freiheiten der Minderheit der Belutschen einsetzen, zeigen. Fotos davon wurden auf Facebook und Twitter veröffentlicht. Auf den Twitter-Accounts der FREE BALOCH MOVEMENT (FBM) und der BALOCH FREEDOM FRONT sind Beiträge mit Fotos von den Demonstrationsteilnahmen in Österreich veröffentlicht, auf denen der Beschwerdeführer eindeutig identifizierbar ist und die auch ohne Anmeldung und ohne Account über Suchmaschinen, wie zB Google, einfach auffindbar und abrufbar sind. Der Beschwerdeführer bekennt sich damit öffentlich zu seinen politischen oppositionellen Überzeugungen, zumal er ansonsten einen anonymen Weg gewählt hätte, um seine Kritik auszudrücken. Aufgrund der Betätigung in Österreich ab zumindest dem Jahr 2018 kann ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer nach Erhalt der Ladung zur Verhandlung nur aus Anlass und zum Zwecke der mündlichen Verhandlung die Demonstrationen besucht und die Fotos erstellt sowie veröffentlicht hätte. (VS 12.05.2021 Beilagen, VS 19.07.2021 S 11)
Das Bundesverwaltungsgericht gelangt daher vor diesem Hintergrund der hier getroffenen Ausführungen und auch aufgrund des persönlich erlangten Eindrucks in den beiden mündlichen Verhandlungen zu der Überzeugung, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers – im hier dargestellten Umfang – zu seiner regimekritischen politischen Gesinnung und Betätigung und zu seiner Motivation dazu glaubhaft ist.
2.5 Zur Lage in Pakistan (oben 1.6)
Die Feststellungen zur Lage in Pakistan ergeben sich aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Pakistan vom Juni 2021 sowie dem aktuellen Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Pakistan von September 2021. Die Staatendokumentation des BFA berücksichtigt im Länderinformationsblatt Berichte verschiedener staatlicher Spezialbehörden, etwa des Deutschen Auswärtigen Amtes und des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge oder des US Department of State, ebenso, wie auch Berichte von Nichtregierungsorganisationen, wie etwa von ACCORD, Amnesty international, Human Rights Watch oder der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Angesichts der Ausgewogenheit und Seriosität der genannten Quellen sowie der Schlüssigkeit der weitestgehend übereinstimmenden Aussagen darin, besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Spruchpunkt I
Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005
3.1. Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüc