TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/27 L516 2196580-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.10.2021
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Entscheidungsdatum

27.10.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch


L516 2196580-1/27E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA Pakistan, vertreten durch Kerstin BOLZ, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.04.2018, Zahl 1075276605-150741941, nach mündlicher Verhandlung am 01.06.2021 zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer ist pakistanischer Staatsangehöriger und stellte am 25.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das BFA wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid den Antrag (1.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und (2.) gemäß § 8 Abs 1 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Das BFA erteilte unter einem („2.I.“.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ (3.) gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG und stellte (4.) gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach (5.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Bescheid wird zur Gänze angefochten.

Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache am 01.06.2021 eine mündliche Verhandlung durch. An der Verhandlung nahmen der Beschwerdeführer und seine Vertreterin teil; die belangte Behörde erschien nicht.

1. Sachverhaltsfeststellungen:
[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; NS=Niederschrift; VS=Verhandlungsschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht; S=Seite; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; ZMR=Zentrales Melderegister; IZR=Zentrales Fremdenregister; GVS= Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich; SD=Staatendokumentation des BFA; LIB=Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA]

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und zu seinen Lebensverhältnissen in Pakistan

Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Pakistan, gehört der Volksgruppe der Hazara, dem Stamm der Fuladi (auch: Fouladi, Poladha; siehe https://en.wikipedia.org/wiki/Poladha_(Hazara_tribe)) sowie der schiitischen Glaubensgemeinschaft an. Seine Identität steht fest. Sein Name lautet: XXXX , sein Geburtsdatum XXXX . (NS EB 26.06.2015 S 1; NS EV 28.10.2015 S 3; VS 01.06.2021 Beilage Kopie pakistanischee National Identity Card (NIC))

Der Beschwerdeführer wurde in Quetta in der Provinz Belutschistan geboren. Er hat in Pakistan zehn Jahre die Schule besucht. Er hat im Textilgeschäft seines Vaters gearbeitet; der Vater musste das Geschäft jedoch aus Sicherheitsgründen verkaufen; der Beschwerdeführer hat auch als Elektriker gearbeitet und Kabel in Wohnungen verlegt. Der Beschwerdeführer lebte bis zu seiner Ausreise in Quetta, in dem von Hazara bewohnten Stadtteil XXXX . Seine Eltern und sein ungefähr sechzehnjähriger Bruder leben nach wie vor am Heimatort des Beschwerdeführers. Andere Verwandte hat der Beschwerdeführer nicht. Der Beschwerdeführer steht in Kontakt mit seiner Mutter und seinem Bruder. (NS 28.10.2015 S 5; VS 01.06.2021 S 7)

Der Beschwerdeführer hat nach dem zweiten Bombenanschlag im Jahr 2014, bei dem er verletzt und im Krankenhaus behandelt worden war, versucht, Pakistan zu verlassen und nach Australien zu flüchten, was ihm jedoch nicht gelang; die anschließende Flucht über den Iran und weitere Länder nach Österreich gelang erst nach mehrmaligem Versuch. (VS 01.06.2021 S 10)

1.2 Zu seiner Lebenssituation in Österreich

Der Beschwerdeführer hält sich seit Juni 2015 und damit seit über sechs Jahren und vieer Monaten rechtmäßig als Asylwerber in Österreich auf. Gegenständlich handelt es sich um den einzigen Antrag auf internationalen Schutz. Er hat von Beginn seines Verfahrens an sämtlichen Ladungen Folge geleistet und an seinen Verfahren mitgewirkt, weshalb ihm die bisherige Verfahrensdauer im Asylverfahren nicht anzulasten ist.

Der Beschwerdeführer ist gegenwärtig noch auf Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde in Österreich angewiesen; er hat jedoch in Pakistan bereits als Elektriker gearbeitet und auch Erfahrung im Baubereich, und ist arbeitsfähig und –willig. (NS 28.10.2015 S 3; VS 01.06.2021 S 7)

Er hat mehrere Deutschkurse besucht und kann sich sehr gut in der deutschen Sprache verständigen; er verstand die ihm in der mündlichen Verhandlung ohne Dolmetscher in deutscher Sprache gestellten Fragen sofort und antwortete auf diese spontan, rasch, flüssig und sehr verständlich in einer freien, zusammenhängenden Erzählung auf Deutsch. Er verstand auch darüber hinaus im gesamten Verlauf der mündlichen Verhandlung die deutschsprachige Konversation, das Bundesverwaltungsgericht führte die Verhandlung aus Gründen der Vorsicht dennoch in der Muttersprache des Beschwerdeführers unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Farsi durch. (01.06.2021 S 5)

Der Beschwerdeführer hat mittlerweile seinen Lebensmittelpunkt, seine Freunde, seine Bekannte und sein soziales Netz in Österreich, was die sehr persönlich gehaltenen Unterstützungsschreiben von österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern unterschiedlichen Alters bezeugen. (IZR; GVS; Unterstützungsschreiben OZ 19, 23)

Er ist schließlich strafrechtlich unbescholten. (Strafregister der Republik Österreich)

1.3 Zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer ist körperlich gesund; in seinem Körper befinden sich jedoch nach wie vor Splitter infolge zweier Bombenexplosionen in Pakistan, bei denen der Beschwerdeführer verletzt worden war. Beim Beschwerdeführer wurde auch eine Posttraumatische Belastungsstörung infolge der vom Beschwerdeführer in Pakistan unmittelbar durchlebten Ereignisse, bei denen auch ein Freund gestorben ist und zwei weitere Freunde Gliedmaßen verloren haben, diagnostiziert und eine Traumatherapie für erforderlich erachtet. (Befund 15.09.2015 (AS 45); psychotherpeutischer Bericht 28.01.2016 (AS 79); ärztlicher Entlassungsbrief nach Fremdkörperentfernung 10.02.2019 (OZ 13); VS 01.06.2021 S 5; psychiatrischer Befund 01.09.2021 (OZ 26))

1.4 Zur Begründung des Antrages auf internationalen Schutz und einer Rückkehrbefürchtung

Der Beschwerdeführer ist Angehöriger der schiitisch-gläubigen Volksgruppe der Hazara und stammt aus der Enklave XXXX , in Quetta. Der Beschwerdeführer wurde sowohl im Jahr 2013 in seiner Enklave als auch im Jahr 2014 auf der Rückreise von einer Pilgerfahrt nach Quetta außerhalb von Quetta Opfer von Bombenattentaten, die von sunnitischen religiös-fundamentalistischen Terroristen zielgerichtet gegen Angehörige der Hazara verübt wurden. Der Beschwerdeführer selbst erlitt dabei Verletzungen unter anderem durch Splitter, die auch noch in Österreich mehrmals operativ entfernt werden mussten und sich zum Teil noch immer im Körper des Beschwerdeführers befinden. Der Beschwerdeführer leidet aufgrund der von ihm in Pakistan erlebten Gewalterfahrung an einer posttraumatischen Belastungsstörung und fürchtet sich vor einer Rückkehr nach Pakistan, dort jeden Moment erneut Opfer eines gewaltsamen Übergriffs allein aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, die äußerlich leicht zu erkennen ist, zu werden. (NS EB 26.06.2015 S 6; NS EV 28.10.2015 S 7, 8; VS 01.06.2021 S 8 ff)

1.5 Zur Lage in Pakistan

BFA Länderinformation der Staatendokumentation Pakistan, Jänner 2021 [BFA LIB Pakistan, 2021]

Politische Lage

Pakistan ist ein Bundesstaat mit den vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa sowie dem Hauptstadtterritorium Islamabad (AA 26.3.2021). Die vormaligen FATA (Federally Administered Tribal Areas / Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) sind nach einer Verfassungsänderung im Mai 2018 offiziell in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert worden (ET 25.5.2018). Daneben kontrolliert Pakistan die Gebiete Gilgit-Baltistan und Azad Jammu & Kashmir auf der pakistanisch verwalteten Seite des Kaschmir (AA 26.3.2021).

Pakistan ist eine föderale parlamentarische Republik. Bei den Parlamentswahlen 2018 gewann die Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf die meisten Sitze in der Nationalversammlung, und der Parteivorsitzende, Imran Khan, wurde Premierminister. Während unabhängige Beobachter technische Verbesserungen bei der Verwaltung des Wahlprozesses durch die pakistanische Wahlkommission feststellten, äußerten Beobachter, zivilgesellschaftliche Organisationen und politische Parteien Bedenken hinsichtlich der Einmischung von Militär und Geheimdiensten im Vorfeld der Wahlen, die zu ungleichen Wahlbedingungen führten. Einige politische Parteien behaupteten auch erhebliche Unregelmäßigkeiten am Wahltag (USDOS 30.3.2021; vgl. HRW 28.7.2018). Zudem wurde die Wahl überschattet von einer Reihe gewalttätiger Zwischenfälle in verschiedenen Provinzen; von Strafverfahren, die gegen Mitglieder der Regierungspartei eingeleitet worden waren; und vom Vorwurf des Premierministers, das Militär habe sich eingemischt (EASO 10.2019).

Neben den geopolitischen und geostrategischen Faktoren ist das Ungleichgewicht der Regierungsinstitutionen innerhalb des pakistanischen Staates Ursache für die kontinuierliche Regierungskrise und die strukturelle Gewalt im Land. Das pakistanische Militär spielt eine überaus wichtige und dominante Rolle in der Nuklearmacht Pakistan. Es ist disproportional groß (es vereinnahmt ein Viertel des gesamten Haushalts) und deshalb übermächtig, während die zivilen Institutionen, wie z.B. die Bürokratie, die Justiz, die Polizei und die politischen Parteien, permanent unterfinanziert sind. Die Interventionen des Militärs in Politik und Wirtschaft hat diese Organisation im Laufe der Geschichte immer stärker gemacht (GIZ 9.2020).

Seit 12. April 2021 brachen nach Verhaftung des Anführers der fundamentalistischen Partei Tehreek-e-Labbaik Pakistan (TLP), mehrtägige und landesweite Proteste aus. Tausende Unterstützer der für die Förderung der Blasphemiegesetzgebung im Land bekannten TLP demonstrierten in den größeren Städten gegen die Position des französischen Präsidenten Macron in Reaktion auf die Enthauptung eines Lehrers in der Nähe von Paris im November 2020. Vielerorts kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen mit Sicherheitskräften. Am 16. April 2021 sperrte die pakistanische Internetregulierungsbehörde (Pakistan Telecommunication Authority, PTA) den Zugriff auf sämtliche soziale Netzwerke für mehrere Stunden zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, um über das Internet verbreitete neuerliche Aufrufe und Propaganda der TLP zu unterbinden. Am 18. April kam es zu weiteren Ausschreitungen in Lahore (Punjab), wo TLP-Anhänger auch ein Polizeirevier stürmten und ein halbes Dutzend Sicherheitskräfte als Geiseln nahmen (BAMF 19.4.2021).

Schließlich hat die Regierung die TLP, die als eine sunnitische politisch-religiöse Hardliner-Gruppe gilt und für ihre gewalttätige Unterstützung der drakonischen Blasphemiegesetze des Landes bekannt ist, verboten. Das Verbot kam drei Tage nachdem TLP-Anhänger aufgrund der Verhaftung von Anführer Saad Hussain Rizvi in ganz Pakistan auf die Straße gegangen waren (UCA News 16.4.2021; vgl. DW 15.4.2021).

[Beweisquelle: BFA LIB Pakistan, Juni 2021]

Sicherheitslage allgemein

Die Sicherheitslage in Pakistan ist landesweit unterschiedlich und wird von verschiedenen Faktoren wie politischer Gewalt, Gewalt von Aufständischen, ethnischen Konflikten und konfessioneller Gewalt beeinflusst. Die Sicherheitslage im Inneren wird auch von Auseinandersetzungen mit den Nachbarländern Indien und Afghanistan beeinflusst, die gelegentlich gewalttätig werden (EASO 10.2020). Die Anzahl terroristischer Anschläge mit Todesopfern in Pakistan ist seit 2009 deutlich rückläufig (AA 14.5.2021; vgl. USDOS 24.6.2020). Kontinuierliche Einsatz- und Überwachungskampagnen der Sicherheitskräfte gegen militante Gruppen und polizeiliche Antiterrorabteilungen sowie einige Antiextremismusmaßnahmen im Rahmen des Nationalen Aktionsplans, haben dazu beigetragen (USDOS 24.6.2020). Trotzdem bleibt die Zahl terroristischer Anschläge auch weiterhin auf einem erhöhten Niveau. Schwerpunkte sind die Provinzen Khyber Pakhtunkhwa (KP) und Belutschistan (inkl. Quetta). Es besteht weiterhin landesweit – auch in den Großstädten Islamabad, Lahore, Karachi, Multan und Rawalpindi – eine Gefahr für terroristische Anschläge seitens der Pakistanischen Taliban sowie religiös motivierter oder separatistischer Gruppen - insbesondere durch Sprengstoffanschläge und Selbstmordattentate. Die Anschläge richten sich vor allem gegen Streitkräfte, Sicherheitsdienste, Polizei, Märkte, Einrichtungen der Infrastruktur, gegen religiöse Stätten (Moscheen, Schreine, Kirchen) sowie gegen ethnische Minderheiten (AA 14.5.2021).

Der Nationale Aktionsplan (NAP) wurde fast unmittelbar nach dem Anschlag auf die Army Public School (APS) im Dezember 2014 mit der Absicht eingeführt, einen sinnvollen Konsens zur Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus zu erreichen. Die 20 Aktionspunkte des NAP haben seither unterschiedliche Erfolge erzielt. Taktische Operationen in ganz Pakistan haben zu einem verbesserten allgemeinen Sicherheitsumfeld beigetragen, was sich in einem allmählichen Rückgang der Zahl gewalttätiger Vorfälle im ganzen Land seit dem Start des NAP zeigt. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass der NAP bei der Bekämpfung des gewalttätigen und gewaltfreien Extremismus im Land nur geringe Erfolge erzielt hat. Extremistische Literatur ist online und offline in Hülle und Fülle vorhanden und die Verherrlichung von Terroristen und ihren Taten geht weiter. Auch zur Unterstützung des politischen Versöhnungsprozesses in Belutschistan wurde bisher nichts Wesentliches unternommen (FES 12.2020; vgl. GIZ 9.2020).

Im Jahr 2020 verübten verschiedene militante, nationalistische/aufständische und gewalttätige sektiererische Gruppen in ganz Pakistan insgesamt 146 Terroranschläge. 220 Menschen kamen bei diesen Anschlägen ums Leben - ein Rückgang von 38% im Vergleich zu 2019. Eine Verteilung dieser Terroranschläge nach ihren Urhebern legt nahe, dass sogenannte religiös inspirierte militante Gruppen wie die Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP), ihre Splittergruppen Hizbul Ahrar und Jamaat-ul Ahrar, sowie andere militante Gruppen mit ähnlichen Zielen wie lokale Taliban-Gruppen, Lashkar-e-Islam und ISIS-nahe Gruppen die meisten Terroranschläge verübten. Anschläge nationalistisch aufständischer Gruppen der Belutschen und Sindhi verübten weitere Anschläge. In KP wurden dabei die meisten Terroranschläge in Pakistan verübt, mehrheitlich im Stammesgebiet Nord-Waziristan. Während die Mehrheit dieser Anschläge auf Sicherheitskräfte abzielte, waren auch Zivilisten, Stammesälteste, politische Führer/Mitarbeiter und Schiiten Ziele der Anschläge. Nach KP war die Provinz Belutschistan im Jahr 2020 am stärksten von Terrorismus durch verschiedene aufständische Gruppen der Belutschen wie die Baloch Liberation Army (BLA), die Balochistan Liberation Front (BLF), Lashkar-e-Balochistan, die Baloch Republican Army (BRA) und die United Baloch Army (UBA) usw. betroffen (PIPS 2021; vgl. USDOS 30.3.2021, AA 29.9.2020).

Pakistan dient weiterhin als sicherer Hafen für bestimmte regional ausgerichtete terroristische Gruppen. Es erlaubt Gruppen, die gegen Afghanistan gerichtet sind, einschließlich der afghanischen Taliban und des mit ihnen verbundenen Haqqani-Netzwerks, sowie Gruppen, die gegen Indien gerichtet sind, einschließlich LeT (Lashkar-e Taiba) und der mit ihr verbundenen Frontorganisationen und JeM (Jaish-e Mohammad), von seinem Territorium aus zu operieren (USDOS 24.6.2020; vgl. CEP o.D.).

Das Militär und paramilitärische Organisationen führten mehrere Operationen zur Aufstandsbekämpfung und Terrorismusbekämpfung durch, um sichere Zufluchtsorte von Militanten zu beseitigen. Die 2017 begonnene Operation Radd-ul-Fasaad des Militärs wurde das ganze Jahr 2020 über fortgesetzt. Radd-ul-Fasaad ist eine landesweite Anti-Terror-Kampagne, die darauf abzielt, die Errungenschaften der Operation Zarb-e-Azb (2014-17) zu konsolidieren, welche gegen aus- und inländische Terroristen in den ehemaligen FATA vorging. Die Polizei dehnte ihre Präsenz in ehemals unregierte Gebiete aus, insbesondere in Belutschistan, wo Militäroperationen zur Normalität geworden waren (USDOS 30.3.2021).

Der im März 2017 begonnene Bau eines befestigten Zaunes entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze sei nach pakistanischen Regierungsangaben fast fertiggestellt und soll planmäßig im April 2021 abgeschlossen sein (BAMF 1.3.2021).

[Beweisquelle: BFA LIB Pakistan, Juni 2021]

Islamic State Khorasan Province (ISKP):

Die ersten Berichte über den ISKP (auch ISIS, ISIL, IS oder Daesh genannt) in Pakistan gehen auf Anfang 2015 zurück. Der ISKP sah eine weltweite Expansion des Kalifats vor und bezeichnete die Region Afghanistan, Pakistan, Iran und die zentralasiatischen Republiken als Wilayat Khorasan (ISKP - Islamischer Staat Provinz Khorasan). Im Mai 2019 kündigte der islamische Staat die Gründung des "Wilayat Pakistan" (Islamischer Staat - Provinz Pakistan, ISPP) an, nachdem er mehrere Angriffe in der Provinz Belutschistan für sich beansprucht hatte. Der ISKP hatte es geschafft, seinen Einfluss zu vergrößern, indem er taktische Bündnisse mit ähnlichen lokalen militanten Gruppen eingegangen war. Einem Bericht vom Januar 2020 zufolge ist der ISKP hauptsächlich in der Provinz Belutschistan präsent. Laut dem jährlichen Sicherheitslagebericht von PIPS 2019 haben die Sicherheitsbehörden mehrere Operationen in Belutschistan gegen den ISKP durchgeführt. Der ISKP ist für einige der tödlichsten Anschläge in Pakistan in den vergangenen zwei Jahren verantwortlich, darunter ein Anschlag auf eine Wahlkundgebung in Mastung, bei dem im Juli 2018 mehr als 130 Menschen getötet und 300 verletzt wurden (EASO 10.2020; vgl. CEP o.D., PIPS 2021).

[Beweisquelle: BFA LIB Pakistan, Juni 2021]

Lashkar-e Jhangvi (LeJ):

Lashkar-e-Jhangvi (LeJ) ist eine Deobandi-Terroristengruppe. Die Gewalt von LeJ richtet sich größtenteils gegen Schiiten; die Organisation vertritt auch radikale Standpunkte gegenüber Christen, Ahmadis und sufistischen Muslimen. Laut PIPS war LeJ im Jahr 2019 für acht terroristische Angriffe in Pakistan verantwortlich, verglichen mit sieben solcher Angriffe im Jahr 2018. Fünf dieser Angriffe fanden in Karachi und drei in Belutschistan statt. In seinem jährlichen Sicherheitsbericht für 2019 erwähnte PIPS, dass mehrere Berichte darauf hindeuten, dass sich LeJ wieder auf Karachi konzentriert (EASO 10.2020; vgl. CEP o.D., PIPS 2021).

[Beweisquelle: BFA LIB Pakistan, Juni 2021]

Sicherheitslage - Punjab und Islamabad

Insgesamt fanden im Jahr 2020 in Punjab sieben (7) Terroranschläge statt, die fünf Todesopfer und 59 Verletzte forderten. Mit Ausnahme eines Anschlags, der von der aufständischen Gruppe der Belutschen (BLA) in Tehsil Sadiqabad im Bezirk Rahim Yar Khan im Süden des Punjab verübt wurde, konzentrierten sich alle anderen Anschläge auf Rawalpindi und wurden von den pakistanischen Taliban, einschließlich der TTP und ihrer Abspaltungen Jamaat-ul Ahrar und Hizb-ul Ahrar, die sich im August 2020 wieder der TTP anschlossen, verübt. Während fünf dieser Anschläge im Punjab offenbar Zivilisten zum Ziel hatten, richtete sich ein Anschlag gegen die Polizei und ein weiterer gegen eine Gaspipeline (PIPS 2021).

[Beweisquelle: BFA LIB Pakistan, Juni 2021]

Sicherheitslage Sindh

Die Provinz Sindh liegt im Südosten Pakistans. Gemäß Zahlen der letzten Volkszählung von 2017 beträgt die Bevölkerung von Sindh 47,9 Millionen. Die Provinzhauptstadt Karatschi ist die größte Stadt Pakistans mit etwa 15 bis 20 Millionen Einwohnern. Aufgrund des wirtschaftlichen Potenzials der Stadt zieht Karatschi Migration aus allen wichtigen ethnischen und sprachlichen Gruppen Pakistans an. Die Bevölkerung besteht aus Muhajir und Paschtunen, Punjabi, Sindhi und Belutschen (EASO 10.2020).

In der Provinz Sindh gab es 18 Terroranschläge. Elf dieser Anschläge wurden von nationalistischen Aufständischen verübt, darunter zehn Anschläge der nationalistischen Sindhi-Gruppen Sindhudesh Revolution Army (SDRA) und Sindhudesh Liberation Army (SDLA), und ein Anschlag wurde von einer aufständischen Gruppe der Belutschen, BLA, auf die Börse von Karatschi verübt. Die Hälfte der aus Sindh gemeldeten Angriffe richtete sich gegen Sicherheits- und Ordnungskräfte (darunter ein Angriff, der sektiererisch motiviert war), weitere vier zielten auf Zivilisten, und zwei Angriffe trafen Mitglieder der sunnitischen Gemeinschaft (PIPS 2021).

Grundsätzlich besteht auch weiterhin landesweit – auch in Großstädten wie Karatschi – eine Gefahr für terroristische Anschläge seitens der Pakistanischen Taliban sowie religiös motivierter oder separatistischer Gruppen, insbesondere durch Sprengstoffanschläge und Selbstmordattentate. Die Terroranschläge richten sich vor allem gegen Streitkräfte, Sicherheitsdienste, Polizei, Märkte, Einrichtungen der Infrastruktur, gegen religiöse Stätten (Moscheen, Schreine, Kirchen) sowie gegen ethnische Minderheiten. Gewaltkriminalität (Raub, Mord) wird im gesamten Land beobachtet, insbesondere auch in Karatschi. Kleinkriminalität wie Taschendiebstähle und andere Straßenkriminalität kommen in Karatschi vor (AA 14.5.2021).

[Beweisquelle: BFA LIB Pakistan, Juni 2021]

Belutschistan

Nach Khyber Pakhtunkhwa war die Provinz Belutschistan im Jahr 2020 am stärksten von Terroranschlägen betroffen. Verschiedene aufständische Gruppen aus Belutschistan als auch religiös inspirierte militante Gruppen wie die TTP, Hizbul Ahrar, ISIS-Mitglieder und einige ähnliche, unbekannte Militante waren Berichten zufolge an den meisten Anschlägen in Belutschistan beteiligt. Insgesamt ereigneten sich Terroranschläge in 14 Bezirken der Provinz (PIPS 2021). Die aktivsten gegen den pakistanischen Staat gerichteten Terrorgruppen sind die pakistanischen Taliban (TTP) sowie belutschische Separatisten. Beide verübten 2020 eine Serie von tödlichen Anschlägen auf Sicherheitskräfte. Teile von Belutschistan und dem pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet sind weiter nicht gänzlich unter staatlicher Kontrolle (AA 29.9.2020).

Die Provinz Belutschistan ist mit vielfältigen Problemen konfrontiert, wie z.B. religiös motivierter Gewalt, militanten islamistischen Angriffen und einem separatistischen Aufstand. Diese Konflikte werden durch die Beteiligung mehrerer ausländischer Staaten, wie China, Indien und Iran, die ein wirtschaftliches oder politisches Interesse an der Provinz haben, zusätzlich erschwert. Der Bau von Militärkasernen in Belutschistan und der Ausbau des Hafens Gwadar durch China wurden zum Anlass für Konflikte. Bewaffnete belutschische Gruppen konnten in den letzten zwei Jahren eine Reihe von gewaltsamen Angriffen auf chinesische Interessen in der Region verüben. Im Juni 2020 verschärften sich die Zusammenstöße zwischen dem pakistanischen Militär und den belutschischen Aufständischen aufgrund einer Zunahme von Anschlägen, die von belutschischen Gruppen verübt wurden. Die Armee führte eine Militäroperation - die Ground Zero Clearance Operation - durch, die darauf abzielte, die Stützpunkte militanter belutschischer Gruppen in den Grenzgebieten zum Iran zu zerstören (EASO 10.2020; vgl. GIZ 9.2020).

Angeheizt wird der Aufstand in Belutschistan immer wieder durch gewaltsames Verschwindenlassen und außergerichtliche Tötungen (EASO 10.2020; vgl. HRCP 4.2020). Einige ethnische und religiöse Gruppen erklären, dass die Behörden ihre Mitglieder aufgrund ihrer politischen Zugehörigkeit oder ihres Glaubens inhaftiert haben. Im Rahmen des Gesetzespakets Aghaz-e-Haqooq ("Beginn der Rechte") von 2009 für Belutschistan kündigte die Regierung eine allgemeine Amnestie für alle politischen Gefangenen, Führer und Aktivisten im Exil sowie für diejenigen an, die angeblich an "staatsfeindlichen" Aktivitäten beteiligt waren. Trotz der Amnestieangebote geht die illegale Inhaftierung von belutschischen Führern und das Verschwindenlassen von belutschischen Bürgern weiter. Die föderale Untersuchungskommission für erzwungenes Verschwindenlassen in Belutschistan erklärte, dass von 483 Fällen, die zwischen März 2011 und März 2020 gemeldet wurden, noch 164 Fälle anhängig sind. Menschenrechtsaktivisten hingegen sehen die Zahlen der Kommission als unzuverlässig und die Zahl der verbleibenden Fälle deutlich höher (USDOS 30.3.2021).
[Beweisquelle: BFA LIB Pakistan, Juni 2021]

Sicherheitsbehörden

Die Sicherheitsbehörden Pakistans bestehen aus der Polizei, die dem Innenministerium untersteht, Geheimdiensten (AA 29.9.2020), dem Heer sowie militärischen und paramilitärischen Hilfstruppen wie dem Frontier Corps (FC) und den Rangers, die dem Innenministerium unterstehen. FC sind in Khyber Pakhtunkwa und Belutschistan und die Rangers in Punjab und Sindh stationiert. Sie unterstützen die örtlichen Strafverfolgungsbehörden u.a. bei der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung sowie bei der Grenzsicherung (EASO 10.2020).

Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung begehen Armee und Sicherheitskräfte v.a. in den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa regelmäßig menschenrechtsrelevante Verletzungen. Ein nach wie vor ungelöstes, tabuisiertes Problem sind in diesem Zusammenhang die sog. enforced disappearances, das „Verschwindenlassen“ von unliebsamen, v.a. armeekritischen Personen (AA 29.9.2020).

In der Öffentlichkeit genießt die vor allem in den unteren Rängen schlecht ausgebildete, gering bezahlte und oft unzureichend ausgestattete Polizei kein hohes Ansehen. So sind u.a. die Fähigkeiten und der Wille der Polizei im Bereich der Ermittlung und Beweiserhebung gering. Staatsanwaltschaft und Polizei gelingt es häufig nicht, belastende Beweise in gerichtsverwertbarer Form vorzulegen (AA 29.9.2020). Zum geringen Ansehen der Polizei tragen Korruptionsanfälligkeit, unrechtmäßige Übergriffe und Verhaftungen sowie Misshandlungen von in Polizeigewahrsam Genommenen ebenso bei (AA 29.9.2020; vgl. HRCP 4.2020).

Straflosigkeit ist bei den Sicherheitskräften ein erhebliches Problem. Die Regierung bietet nur begrenzt Schulungen an, um die Achtung der Menschenrechte durch die Sicherheitskräfte zu erhöhen (USDOS 30.3.2021).

Insgesamt sind die Polizeikapazitäten in Pakistan begrenzt, was auf fehlende Ressourcen, schlechte Ausbildung, unzureichende und veraltete Ausrüstung und konkurrierenden Druck von Vorgesetzten, politischen Akteuren, Sicherheitskräften und der Justiz zurückzuführen ist. In der öffentlichen Wahrnehmung ist ein hohes Maß an Korruption bei der Polizei weit verbreitet [siehe Kapitel Korruption], insgesamt ist das Ansehen der Polizei in der Öffentlichkeit gering. Inländische und internationale Beobachter sehen das Militär als eine der fähigsten Organisationen in Pakistan. Es verfügt über erhebliche Macht und dominiert die Außen- und Sicherheitspolitik. Militärangehörige werden gut bezahlt, und eine Karriere beim Militär ist hoch angesehen, nicht nur wegen der Vorteile, sondern auch wegen des hohen gesellschaftlichen Ansehens und der Verbindungen, die Militärangehörige genießen (DFAT 20.2.2019).

[Beweisquelle: BFA LIB Pakistan, Juni 2021]

Muslime

Die beiden Hauptzweige des Islams, das Schiitentum und das Sunnitentum, teilen sich in Pakistan in mehrere Untergruppen auf. Bei den Sunniten sind dies die Barelvis [auch Ahle Sunnat wal Jama'at] mit ungefähr 60 % Anteil; die Deobandis mit ungefähr 35 % und mit ca. 5 % die Ahl-e Hadith (Salafi). Religiöse Intoleranz und Gewalt findet auch zwischen den muslimischen Denominationen und innerhalb der sunnitischen Konfession statt, z. B. zwischen der Barelvi-Sekte, die erheblichen Sufi-Einfluss aufweist und der Deobandi-Sekte, die islamistisch geprägt ist (BFA 10.2014; vgl. ACCORD 3.2021).

Die schiitische Bevölkerung Pakistans wird auf 20 bis 50 Millionen Menschen geschätzt. Die Mehrheit der Schiiten in Pakistan gehört den Zwölfer-Schiiten an, andere Subsekten sind Nizari-Ismailiten, Daudi Bohras und Sulemani Bohras. Die Schiiten sind im ganzen Land verteilt und stellen in der semi-autonomen Region Gilgit-Baltistan die Bevölkerungsmehrheit. Viele urbane Zentren in Pakistan beheimaten große Schia-Gemeinden. Manche Schiiten leben in Enklaven in den Großstädten, sind aber ansonsten gut integriert (UKHO 6.2020). Mitglieder der schiitischen Bevölkerungsgruppen, insbesondere der ethnischen Hazara, werden durch die mit den Sicherheitsmaßnahmen einhergehenden Einschränkungen, die wegen der auf sie verübten Übergriffe getroffen worden sind, erheblich in ihrem Alltagsleben eingeschränkt. In Quetta, der Hauptstadt der Provinz Belutschistan, leben Hazara in „Hazara Town“ genannten Enklaven. Aufgrund der Sicherheitsvorkehrungen und der damit einhergehenden faktischen Abgeschiedenheit herrschen dort prekäre Verhältnisse, die zusätzlich von ökonomischer Ausbeutung gekennzeichnet sind (BAMF 5.2020). Abgesehen von den Hazara unterscheiden sich Schiiten weder körperlich noch sprachlich von den Sunniten. Schiitische Muslime dürfen ihren Glauben frei ausüben. Es gibt keine Berichte über systematische staatliche Diskriminierung gegen Schiiten. Schiiten sind in der Regierung und im öffentlichen Dienst gut vertreten (UKHO 6.2020). Die öffentliche Wahrnehmung von Schiiten in Pakistan ist tendenziell besser als in manchen Ländern des Mittleren Ostens und des Maghreb mit mehrheitlich sunnitischer Bevölkerung. Allerdings werden Schiiten von einem nicht unerheblichen Bevölkerungsanteil - tendenziell Deobandis - und radikal-islamistischen sunnitischen Gruppierungen als Glaubensabtrünnige bzw. Ungläubige angesehen (BAMF 5.2020).

Obwohl der Terrorismus in den letzten Jahren zurückgegangen ist, bleibt Pakistan eine Basis für extremistische Gruppen wie die pakistanischen Taliban und Lashkar-e-Jhangvi. Diese Gruppen haben neben Nicht-Muslimen oft auch schiitische und sufische Muslime im Visier (USCIRF 4.2020). Religiös/konfessionell motivierte bzw. intrakonfessionelle Gewalt führen weiterhin zu zahlreichen Todesfällen. Die meisten Opfer finden sich unter schiitischen und sunnitischen Muslimen, die von radikalen sunnitischen oder anderen islamistischen Terrororganisationen attackiert werden. Zu vielen Anschlägen auf Schiiten bekennt sich die radikal-sunnitische, anti-schiitische Terrororganisation Lashkar-e-Jhangvi (AA 29.9.2020; vgl. UKHO 6.2020).

Es gibt zwar keine Berichte über eine systematische Diskriminierung schiitischer Muslime durch den Staat, aber es gibt Berichte über willkürliche Verhaftungen während der Muharram (islamische religiöse Feier) im Zusammenhang mit Verstößen gegen die öffentliche Ordnung (UKHO 6.2020). Einige Bundes- und Provinzbehörden schränken rund um das schiitische Muharram-Fest die Bewegungsfreiheit von Klerikern, die dafür bekannt sind, konfessionelle Gewalt zu propagieren, ein (USDOS 10.6.2020; vgl. HRCP 3.2019). Rund um schiitische Prozessionen in größeren Städten in den Provinzen Punjab, Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan kommen zusätzliche Sicherheitskräfte zum Einsatz - darunter etwa auch für schiitische Hazara-Gemeinschaften in Quetta (USDOS 10.6.2020).

[Beweisquelle: BFA LIB Pakistan, Juni 2021]

Ethnische Minderheiten

Pakistan hat eine pluralistische Gesellschaft mit unzähligen religiösen und ethno-linguistischen Identitäten. Die pakistanischen Minderheiten lassen sich im Wesentlichen in die Kategorien "ethnisch und sprachlich" sowie "religiös" einteilen. Der Begriff "Minderheit" wird in der Verfassung der Islamischen Republik Pakistan von 1973 an mehreren Stellen verwendet, es gibt jedoch keine Definition dieses Begriffs. Aufeinanderfolgende Bundesregierungen haben die Position vertreten, dass Minderheiten innerhalb Pakistans notwendigerweise religiös sind und dass es keine ethnischen oder sprachlichen Minderheiten oder indigene Völker gibt. Zu den ethnischen Minderheiten, die auch offiziell anerkannt sind, gehören Sindhis (14,1%), Paschtunen oder Pakhtuns (15,42%, Volkszählung 2006), Mohajirs (7,57%), Belutschen (3,57%). Zu den religiösen Minderheiten gehören Christen (1,59%, Volkszählung 1998), Ahmadis (0,22%, Volkszählung 1998), Hindus (1,6%, Volkszählung 1998), Schiiten, Isma'ilis, Bohras, Parsen und Sikhs. Zu den am stärksten marginalisierten Gruppen gehören die Hazaras, eine ethnische Gruppe mongolisch-türkischer Herkunft, die eine persische Sprache spricht (MRGI 6.2019).

Vier große und zahlreiche kleine und kleinste ethnische Gruppen finden sich in Pakistan. Zu den großen gehören die Punjabis, Sindhis, Baluchis und Paschtunen. Soziale Beziehungen und Gruppierungen sind in Pakistan stark vertikal, also hierarchisch orientiert. Typisch für das hierarchische Prinzip in südasiatischen Gesellschaften ist auch das Kastensystem, das zwar abgeschafft wurde, aber immer noch in der Gesellschaft vorzufinden ist. Besonders bei den Paschtunen in Khyber Pakhtunkhwa und den Baluchen in Baluchistan, aber auch in den Provinzen Sindh und Punjab, finden sich noch Stammesstrukturen, die zu hierarchischen Verhältnissen führen können (GIZ 9.2020).

[Beweisquelle: BFA LIB Pakistan, Juni 2021]

Hazara

Die Hazara sind eine ethnische Gruppe eurasischer Herkunft und überwiegend schiitische Muslime. Sie unterscheiden sich äußerlich von den meisten anderen Pakistanis (EASO 8.2015). Die meisten praktizieren den schiitischen Islam, aber einige wenige sind Sunniten. Die Hazaras unterscheiden sich von anderen Schiiten in Pakistan durch ihre Sprache und ihre Gesichtszüge. Die meisten Hazaras leben in Afghanistan, aber auch in Pakistan gibt es eine große Hazara-Bevölkerung (MRGI 6.2019). Quellen schätzen die Zahl der Hazara in Pakistan auf 600.000 bis eine Million Menschen, die sich hauptsächlich in Quetta (Hauptstadt von Belutschistan) und Karatschi konzentrieren. Viele Hazara sind aufgrund der dort gegen sie gerichteten Gewalt von Quetta in andere pakistanische Städte gezogen, allen voran nach Karatschi. Innerhalb Quettas leben Hazara vor allem in zwei Enklaven (UKHO 11.2019).

Hazara sehen sich aufgrund ihrer Religion einem Risiko von Angriffen durch Aufständische ausgesetzt. Ihre eindeutige Identität erhöht dieses Risiko. Sicherheitsmaßnahmen in und um die Hazara-Enklaven in Quetta verringern das Risiko eines Angriffs, obwohl Bewegungen außerhalb dieser Gebiete, selbst unter Bewachung, dieses Risiko erhöhen. Insgesamt ist jedoch die Zahl der Sicherheitsvorfälle und der Opfer in den Hazara-Enklaven im Vergleich zu der in Pakistan lebenden Bevölkerung gering. Hazara, die außerhalb von Quetta und Belutschistan leben, neigen dazu, unter der Allgemeinbevölkerung zu leben, um das Risiko einer ethnischer Zuordnung und von Angriffen zu verringern (UKHO 11.2019; vgl. MRGI 6.2019).

Trotzdem sind Hazara aufgrund der Bedrohungslage weitgehend auf zwei von Hazara bewohnte Enklaven in Quetta beschränkt. Dies beschränkt erheblich ihre Möglichkeiten, sich frei zu bewegen, Arbeit zu finden oder eine höhere Bildung zu erlangen. Hazara berichten, dass die erhöhten Sicherheitsmaßnahmen ihre Wohngebiete in Ghettos verwandelt haben, was wiederum zu wirtschaftlicher Ausbeutung geführt hat. Hazara geben an, dass Regierungsbehörden sie bei der Ausstellung von Personalausweisen und Pässen diskriminieren. Die Behörden sorgten für mehr Sicherheit bei schiitischen religiösen Prozessionen, beschränkten die öffentlichen Gottesdienste jedoch auf die Hazara-Enklaven (USDOS 30.3.2021; vgl. HRCP 4.2020).

Es sind einige höher gebildete Hazara beim Staat angestellt. Einige führen Geschäfte außerhalb der Enklaven. Innerhalb ihrer Enklaven haben sie Zugang zu Ausbildungsstätten und medizinischer Versorgung. Von staatlicher Seite gibt es keine diskriminierenden Gesetze, Richtlinien oder Vorgehen gegen die Hazara aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihrer Religion (UKHO 11.2019).

[Beweisquelle: BFA LIB Pakistan, Juni 2021]

IDPs

In seinem "2020 Global Report on Internal Displacement" gab das International Displacement Monitoring Centre (IDMC) an, dass sich die Gesamtzahl der konflikt- und gewaltbedingten Binnenvertriebenen in Pakistan zum 31. Dezember 2019 auf 106.000 beläuft. Daneben kommt es immer wieder zu innergemeinschaftlichen Konflikten, die ebenfalls Ursache von Vertreibungen sein können. Bis zum 9. Juli 2020 galten noch 16.780 Familien als vertrieben. Die meisten davon sind aus dem Stammesgebiet Nord-Waziristan gefolgt vom Stammesgebiet Khyber (EASO 10.2020).

Seit 2008 kam es aufgrund von militanten Aktivitäten und Militäroperationen in Khyber Pakhtunkhwa und den ehemaligen FATA zu großen Bevölkerungsverschiebungen. Die Rückkehr wurde unter verbesserten Sicherheitsbedingungen fortgesetzt. Die Regierung und UN-Organisationen wie der UNHCR, UNICEF und das Welternährungsprogramm arbeiten zusammen, um den vom Konflikt Betroffenen zu helfen und jene zu schützen, die im Allgemeinen bei Gastfamilien, in gemieteten Unterkünften oder - in geringerem Umfang - in Lagern leben (USDOS 30.3.2021; vgl. ÖB 12.2020).

Rund ein Drittel der registrierten IDPs hatte Schätzungen von UNOCHA zufolge Anfang 2016 keinen Zugang zu Trinkwasser, zwei Dritteln fehlte es an ausreichender Nahrung; weitere Problembereiche betrafen die oft unzureichende Unterbringung, die mangelnden Bildungs- (69 % der minderjährigen IDPs gehen nicht zur Schule) und Gesundheitseinrichtungen sowie generell die ungenügende Infrastruktur (Stromversorgung, sanitäre Einrichtungen, etc.). Aktuelle Zahlen dazu liegen nicht vor, aufgrund der großen Zahl an Rückkehrern kann aber von einer Verbesserung der humanitären Lage ausgegangen werden (ÖB 12.2020).

Es gibt keine Berichte über unfreiwillige Rückkehrer. Berichten zufolge wollen viele Binnenvertriebene in ihre Heimat zurückkehren, trotz des Mangels an lokaler Infrastruktur, Unterkünften und verfügbaren Dienstleistungen sowie der strengen Kontrolle, die die Sicherheitskräfte durch umfangreiche Kontrollpunkte über die Bewegungen der Rückkehrer ausüben. Andere IDP-Familien zögern ihre Rückkehr hinaus oder entscheiden sich dafür, dass einige Familienmitglieder in den besiedelten Gebieten von Khyber Pakhtunkhwa bleiben, wo ein regulärer Zugang zu medizinischer Versorgung, Bildung und anderen sozialen Diensten möglich ist. Für Binnenvertriebene, die nicht zurückkehren wollen oder können, koordiniert die Regierung die Unterstützung mit den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen (USDOS 30.3.2021). Die geordnete Rückführung der IDPs in die betroffenen Regionen der Stammesgebiete, die Beseitigung der Schäden an Infrastruktur und privatem Eigentum ebenso wie der Wiederaufbau in den Bereichen zivile Sicherheitsorgane, Wirtschaft, Verwaltung und Justiz stellen Regierung, Behörden und Militär vor große Herausforderungen (AA 29.9.2020).

[Beweisquelle: BFA LIB Pakistan, Juni 2021]

Medizinische Versorgung

Der Gesundheitssektor des Landes ist gleichermaßen durch ein Stadt-Land-Gefälle in der Gesundheitsversorgung und ein Ungleichgewicht bei den Arbeitskräften im Gesundheitswesen gekennzeichnet, mit einem Mangel an medizinischen Fachkräften, Krankenschwestern, Sanitätern und qualifiziertem Gesundheitspersonal, insbesondere in den Randgebieten (TSOP 2020). Generell wurde ein mehrstufiges System öffentlicher Gesundheitseinrichtungen eingerichtet. Dieses soll eine grundlegende Gesundheitsversorgung zu minimalen Kosten auf ambulanter Basis bieten. Die Gesundheitsversorgung liegt in erster Linie in der Verantwortung der Provinzregierungen. Generell sollen die Leistungen in den Notfallzentren der Krankenhäuser kostenlos sein. Die Bundesregierung betreibt außerdem ein kostenloses Impfprogramm im ganzen Land und stellt ein Netzwerk von Lady Health Workers (LHWs) zur Verfügung. Diese Fachkräfte für die medizinische Grundversorgung arbeiten auf Gemeindeebene und bieten Beratung und grundlegende Dienstleistungen in den Bereichen medizinische Grundversorgung, Familienplanung und Krankheitsprävention an. Während die offizielle Politik zur Gesundheitsversorgung in Pakistan bekräftigt, dass alle diese Leistungen verfügbar sein müssen, sind die öffentlichen Gesundheitseinrichtungen in der Praxis eher schlecht ausgestattet. Die Personalausstattung - insbesondere die Anwesenheit von Ärzten - ist in vielen Einrichtungen unsicher. Eine dringende Herausforderung ist der schlechte Zustand von Ausrüstung und Test- bzw. Analysemöglichkeiten (ILO 2019).

Insgesamt basiert das System der Gesundheitsversorgung in Pakistan auf zwei Hauptsäulen, zu denen öffentliche und private Gesundheitseinrichtungen gehören - wobei in den privaten, anders als in den öffentlichen, entsprechende Kosten für die Behandlung anfallen. Die von der Regierung neu ins Leben gerufene "Sehat Insaaf Card"-Initiative bietet der allgemeinen Bevölkerung aus dem unteren sozioökonomischen Sektor die Möglichkeit, ihre privaten Krankenhauskosten von der Regierung übernehmen zu lassen. Die "Sehat Insaaf Card" ist für jeden erhältlich, der unterhalb der Armutsgrenze lebt (d.h. mit einem Einkommen von weniger als 2 US-Dollar (1,68 Euro) pro Tag) und ist ein Jahr gültig. Die Karte deckt die kostenlose Behandlung von fast allen wichtigen Krankheiten ab und bietet auch eine individuelle Finanzhilfe für Personen mit schweren Krankheiten/Behinderungen, Witwen und Invaliden mit unterhaltsberechtigten Kindern, Waisen, Studenten mit nachgewiesenen und beständigen akademischen Leistungen und mittellose Personen. COVID-19-Tests in ausgewiesenen Testeinrichtungen des öffentlichen Sektors werden kostenlos angeboten, in privaten Testeinrichtungen sind sie jedoch kostenpflichtig (IOM 30.3.2021).

Trotz gegebener Verbesserungen (HRCP 3.2019) führt der Großteil der öffentlichen Gesundheitseinrichtungen keine zufriedenstellende Behandlung durch. Etwa 73% der Bevölkerung sind ohne staatliche Krankenversicherung; 57% in den Städten und 83% am Land (ILO 2017). Die Menschen tendieren dazu, private Einrichtungen aufzusuchen (Kurji et al 2016; vgl. HRCP 3.2019). Zugänglichkeit und Leistbarkeit für Gesundheitsdienste sind insbesondere für die ländliche Bevölkerung problematisch, da es einen ernsten Mangel an qualifiziertem Gesundheitspersonal und unzureichende Finanzierung der primären Versorgungsebene gibt (IJARP 10.2017).

Als Reaktion auf die schlechte Qualität der Dienstleistungen in den öffentlichen Gesundheitseinrichtungen hat die Regierung Systeme der Sozialversicherung eingeführt, um die Bereitstellung der grundlegenden Gesundheitsversorgung zu unterstützen. Das jüngste Beispiel ist das Prime Minister's National Health Programme (PM-NHP), das 2018 in 23 Bezirken in Betrieb genommen wurde und auf 40 Bezirke ausgeweitet werden soll. Das Programm, das zwei Arten von Versicherungsschutz bietet, wird von der pakistanischen Provinzregierung und der Bundesregierung gemeinsam finanziert. Bis heute hat das Programm 1,5 Millionen Familien eingeschrieben. Das PM-NHP deckt Familien ab, die unter eine bestimmte Armutsgrenze im Haushaltsregister fallen. Letzteres wird von der wichtigsten Sozialschutzinitiative der Regierung, dem Benazir Income Support Programme, geführt. Die Programme zur Armutsbekämpfung - wie die Zakat-Initiative und Pakistan Bait-ul-Maal - bieten auch Unterstützung für die grundlegende Gesundheitsversorgung. Sie tun dies in Form von Mitteln, die den Krankenhäusern zur Verfügung gestellt werden; die Krankenhäuser entscheiden dann ihrerseits, welche Patienten für die Versorgung in Frage kommen (ILO 2019).

In staatlichen Krankenhäusern, die i.d.R. europäische Standards nicht erreichen, kann man sich bei Bedürftigkeit kostenlos behandeln lassen. Da Bedürftigkeit offiziell nicht definiert ist, reicht die Erklärung aus, dass die Behandlung nicht bezahlt werden kann. Allerdings trifft dies auf schwierige Operationen, z.B. Organtransplantationen, nicht zu. Hier können zum Teil gemeinnützige Stiftungen die Kosten übernehmen. Die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten ist sichergestellt (AA 29.9.2020). In Punjab wurde im Februar 2019 mit der Verteilung von Krankenversicherungskarten in 36 Bezirken der Provinz begonnen. Die Krankenversicherung umfasst die Behandlung von acht Krankheiten (z.B. Kardiologie, Neurologie usw.) bis zu einem Grenzwert von 720.000 PKR (ca. 3.800 Euro). Die Krankenversicherung gilt sowohl für die öffentlichen als auch privaten Krankenhäuser (HRCP 4.2020).

Es gibt staatliche Sozialleistungen für Angestellte in Betrieben mit mehr als fünf Mitarbeitern und bis zu einem Gehalt von 18.000 PKR (ca. 96 Euro) pro Monat (22.000 PKR/ca. 116 Euro in Punjab) sowie für von ihnen abhängige Personen. Ausgenommen von den Sozialleistungen sind Mitarbeiter in Familienbetrieben und Selbständige. Für Mitarbeiter im öffentlichen Dienst und der Eisenbahn sowie Mitglieder der Armee, der Polizei und der örtlichen Verwaltung gibt es eigene Systeme. Begünstigte erhalten allgemeinmedizinische Leistungen, Medikamente, Krankenhausbehandlungen und Krankentransporte. Während der Krankheit werden 75% des Gehalts weiterbezahlt (100% bei Tuberkulose und Krebs; in den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa generell 50% Gehaltsfortzahlung). Die Begünstigung setzt sich bei Beendigung des Dienstverhältnisses für sechs Monate oder für die Dauer der Krankheit (je nachdem, welcher Zeitpunkt früher eintritt) fort (SSA 3.2019). Das staatliche Wohlfahrts-Programm Bait-ul-Mal vergibt Unterstützungsleistungen und fördert die Beschaffung von Heilbehelfen (PBM o.D.). Die nichtstaatliche Entwicklungshilfeorganisation Aga Khan Development Network betreibt landesweit 450 Kliniken, fünf Krankenhäuser sowie ein Universitätskrankenhaus in Karatschi und fördert zahlreiche Projekte auf lokaler Ebene, um den Zugang zur Grundversorgung zu verbessern (AKDN o.D.).

In Pakistan sind etwa 400 qualifizierte Psychiater tätig. Die meisten Psychiater gibt es in Städten, obwohl im ganzen Land auch Stellen für Bezirkspsychiater geschaffen wurden. Der Mental Health Atlas 2017 der WHO berichtet, dass es nur vier große psychiatrische Krankenhäuser im Land gibt, mit 344 stationären Einrichtungen und 654 psychiatrischen Einheiten in allgemeinen Krankenhäusern (TSOP 2020). Der Mangel an Psychiatern in peripheren Regionen sowie die Kosten der Behandlung sind für durchschnittliche Menschen unleistbar (Dawn 13.5.2019; vgl. Dawn 15.7.2019).

Die Telefonseelsorge Talk2Me ist kostenlos und rund um die Uhr erreichbar und führt 75-90 psychologische Beratungen pro Woche durch (Dawn 13.5.2019). Die Menschen sind aber eher zurückhaltend, wenn es darum geht, zu offenbaren, dass sie eine psychische Krankheit haben. Denn psychische Gesundheitsprobleme sind ein Tabuthema, über das man nicht spricht. Dies wirkt sich ungünstig auf die Qualität der Versorgung von Menschen aus, die an psychischen Krankheiten leiden. Scham aufgrund von psychischen Problemen sowie Vorurteile gegenüber Patienten und Familien halten Menschen davon ab, psychologische Hilfe und psychiatrische Versorgung in Anspruch zu nehmen (TSOP 2020). Zudem genießt die psychische Gesundheit keine hohe Priorität. Außerdem ist durchaus üblich, sich bei körperlichen oder psychischen Erkrankungen an spirituelle oder traditionelle Heiler zu wenden, da die Menschen psychische Erkrankungen in der Regel als Folge übernatürlicher Einflüsse wahrnehmen. So genannte Glaubensheiler sind eine wichtige Quelle für die Versorgung von Menschen mit psychischen Problemen in Pakistan, insbesondere für Frauen und Menschen mit geringer Bildung (TSOP 2020).

Die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten ist sichergestellt, wobei diese für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich sind. In den modernen Krankenhäusern in den Großstädten kann - unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit - eine Behandlungsmöglichkeit für die meisten in Rede stehenden Krankheiten festgestellt werden. Auch die meisten Medikamente, wie z.B. Insulin, können in den Apotheken in ausreichender Menge und Qualität erworben werden (AA 29.9.2020).

[Beweisquelle: BFA LIB Pakistan, Juni 2021]

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz gewährleistet Bewegungsfreiheit im Land sowie uneingeschränkte internationale Reisen, Emigration und Repatriierung. Die Regierung schränkt den Zugang zu bestimmten Gebieten der ehemaligen FATA und Belutschistan aufgrund von Sicherheitsbedenken ein. In einigen Teilen des Landes behindern die Behörden aus Sicherheitsgründen routinemäßig die interne Mobilität (USDOS 30.3.2021).

Es gibt einige gesetzliche Beschränkungen für Reisen und die Möglichkeit, den Wohnsitz, den Arbeitsplatz oder die Hochschuleinrichtung zu wechseln. Die Behörden behindern in einigen Teilen des Landes aus Sicherheitsbedenken routinemäßig Reisen bzw. interne Bewegungen. Das Hauptinstrument zur Einschränkung von Auslandsreisen ist die Exit Control List (ECL), die namentlich genannte Personen von der Nutzung der offiziellen Ausreisepunkte des Landes ausschließt. Sie soll sowohl jene umfassen, die eine Sicherheitsbedrohung darstellen, als auch jene, gegen die ein Gerichtsverfahren läuft. Regelmäßig wird die ECL allerdings als Mittel zur Kontrolle Andersdenkender eingesetzt (FH 3.3.2021).

[Beweisquelle: BFA LIB Pakistan, Juni 2021]

Meldewesen

Pakistan verfügt über eines der weltweit umfangreichsten Bürger-Registrierungssysteme. Die zuständige Behörde ist die National Database & Registration Authority (NADRA) (PI 1.2019). Die Provinzen Belutschistan, Khyber Pakhtunkhwa, Punjab und Sindh sowie das Hauptstadtterritorium Islamabad haben ein System für die Registrierung der Bewohner. In den Provinzen Azad-Jammu und Kaschmir, Gilgit-Baltistan und den ehemaligen FATA konnten laut IRBC keine Infos über solche Registrierungssyteme gefunden werden. In allen vier Provinzen besteht jedoch eine Meldepflicht. Die Gesetze werden allerdings nur lückenhaft umgesetzt, aber Vergehen werden in allen Provinzen streng geahndet. Die zuständige Behörde zur Erhebung der Meldedaten ist die Polizei. Die Bezirksleiter der Polizei sind für die lückenlose Erfassung der Bewohner in ihren Bezirken verantwortlich (IRB 23.1.2018).

Bei gemieteten Räumlichkeiten ist es die Pflicht des Mieters oder Vermieters oder auch des Immobilienhändlers, der Polizei zusammen mit dem Mietvertrag vollständige Angaben über den Mieter zu machen. In den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa müssen zusätzlich noch zwei Referenzpersonen genannt werden, die den Bewohner identifizieren können. Hotels sind verpflichtet, Informationen über ihre Gäste zu übermitteln sowie diese Informationen zu archivieren und für die Polizei jederzeit einsehbar zu halten (IRB 23.1.2018).

[Beweisquelle: BFA LIB Pakistan, Juni 2021]

Rückkehr

Die Rückführung von pakistanischen Staatsangehörigen ist nur mit gültigem pakistanischem Reisepass oder mit einem von einer pakistanischen Auslandsvertretung ausgestellten nationalen Ersatzdokument möglich, nicht aber mit europäischen Passersatzdokumenten (AA 29.9.2020). Für pakistanische Staatsangehörige gibt es keine Einreisebeschränkungen, wenn sie freiwillig zurückkehren wollen (IOM 30.3.2021). Freiwillige Rückkehrer mit gültigen Reisedokumenten werden von den Grenzbehörden wie alle anderen Pakistani, die aus dem Ausland einreisen, behandelt. Zwangsweise Rückgeführte werden von den Grenzbehörden befragt, um herauszufinden, ob die Person illegal aus Pakistan ausgereist ist bzw. ob strafrechtliche Vorwürfe vorliegen. Wenn keine Vorwürfe vorliegen, wird die Person normalerweise nach einigen Stunden entlassen (DFAT 20.2.2019).

Zurückgeführte haben bei ihrer Rückkehr nach Pakistan allein wegen der Stellung eines Asylantrags weder mit staatlichen Repressalien noch mit gesellschaftlicher Stigmatisierung zu rechnen. Eine über eine Befragung hinausgehende besondere Behandlung Zurückgeführter ist nicht festzustellen. Die pakistanischen Behörden erfragen lediglich, ob die Rückkehrer Pakistan auf legalem Weg verlassen haben (AA 29.9.2020). Unter gewissen Voraussetzungen verstoßen Pakistani nämlich mit ihrer Ausreise gegen die Emigration Ordinance (1979) oder gegen den Passport Act, 1974. Laut Auskunft der International Organization for Migration (IOM) werden Rückkehrende aber selbst bei Verstößen gegen die genannten Rechtsvorschriften im Regelfall nicht strafrechtlich verfolgt. Es sind vereinzelte Fälle an den Flughäfen Islamabad, Karatschi und Lahore bekannt, bei denen von den Betroffenen bei der Wiedereinreise Schmiergelder in geringer Höhe verlangt wurden. Rückkehrende, die nicht über genügend finanzielle Mittel verfügen, um Schmiergelder zu zahlen, werden oft inhaftiert (ÖB 12.2020). Nach anderen Angaben werden Personen, die illegal ausgereist sind, verhaftet und normalerweise nach einigen Tagen bei Bezahlung einer Strafe entlassen. Bei strafrechtlichen Vorwürfen oder wenn im Ausland eine Straftat begangen wurde, wird die Person verhaftet (DFAT 20.2.2019).

Personen, die nach Pakistan zurückkehren, erhalten keinerlei staatliche Wiedereingliederungshilfen oder sonstige Sozialleistungen. EU-Projekte, wie z.B. das European Return and Reintegration Network (ERRIN), sollen hier Unterstützung leisten (AA 29.9.2020). Derzeit gibt es keine von IOM Österreich durchgeführten Reintegrationsprojekte in Pakistan. Allerdings können freiwillige Rückkehrer aus Österreich nach Pakistan durch das ERRIN-Projekt unterstützt werden. Dieses wird von einer NGO in Pakistan durchgeführt und bietet freiwillig und zwangsweise rückgeführten Personen Wiedereingliederungshilfe an, abhängig von ihrer Berechtigung, die von dem jeweiligen europäischen Land festgelegt wird. Einige Organisationen helfen bei der Gründung von Kleinunternehmen, indem sie finanzielle Unterstützung für Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, in Form von Krediten oder Mikrokrediten unterstützen, z. B. die KASHF-Stiftung oder die Jinnah Welfare Society (IOM 30.3.2021).

[Beweisquelle: BFA LIB Pakistan, Juni 2021]

DFAT Country Information Report Pakistan, 20.02.2019

Hazara

3.41    Hazaras geben an, dass innerhalb der Enklaven für einen Zugang zu Dienstleistungen, einschließlich mobiler SIM-Karten und Internet-Verbindungen, keine formalen Dokumente benötigt werden, wie z.B. ein Reisepass oder CNIC. Jedoch sind Reisen in oder zwischen den Enklaven mit Dokumentenkontrollen verbunden, die dazu dienen können, den Zugang zu Dienstleistungen zu sperren. Während die meisten Hazaras in Pakistan formale Identitätsdokumente wie CNICs erhalten können, behaupten Hazaras, dass die Beamten der Nationalen Datenbank und Registrierungsbehörde (NADRA) zeitweise Verzögerungen für Hazaras, die um offizielle Unterlagen beantragt haben, verursacht haben. Hazaras erlitten tödliche Angriffe außerhalb des NADRA-Büros in Quetta, das sich außerhalb der Enklaven befindet, während sie versuchten, Pässe und CNICs zu erhalten. Infolgedessen fühlen sich viele Hazaras nicht sicher dabei, die Enklave zu verlassen, um eine Dokumentation zu beantragen.

3.43    Trotz des Risikos Unterlagen zu erhalten verlassen Hazaras, die es sich leisten können, Quetta. Hazaras berichten, dass es außerhalb von Belutschistan sicherer ist, getrennt in der allgemeinen Gemeinschaft zu leben, als in der Nähe anderer Hazaras, wo sie leicht erkannt und ein Ziel werden können. Hazaras bevorzugte Optionen für interne Verlagerungen ihres Wohnsitzes sind der Reihe nach Lahore, Karachi und Islamabad. Hazaras berichten, dass die wenigen Hazara-Enklaven in Karatschi, wie Mungo Pir, unsicher sind und nur aus der Notwendigkeit entstanden sind, dass ärmere Hazaras Ressourcen bündeln mussten.

3.45    DFAT ist sich der Berichte bewusst, dass NADRA-Beamte sich geweigert haben, CNICs von Hazaras zu ändern, die versuchen, innerhalb Pakistans umzuziehen, wodurch sie daran gehindert werden, einen Pass zu beantragen, der am Wohnort erhältlich sein muss. Hazaras, die einen hochrangigen Anwalt haben, können solche offiziellen Barrieren überwinden. Die Weigerung der Nadra, eine CNIC-Adresse zu ändern, kann auch den Zugang zur Bildung einschränken, da die Schuleinschreibung auch einen Wohnsitz vor Ort erfordert.

3.47    Nach Einschätzung von DFAT sind Hazaras wegen ihrer religiösen Überzeugungen einem hohen Risiko von Gewalt von sektiererischen Militanten ausgesetzt ist. Hazaras stehen aufgrund ihres ausgeprägten Aussehens und ihrer Absonderung einem höheren Risiko gegenüber als andere Schiiten. Bedeutende Sicherheitsmaßnahmen der Hazara-Gemeinschaften mindern teilweise das Risiko von Gewalt in den Hazara-Enklaven, aber Hazaras, die aus den Enklaven herausziehen, innerhalb und außerhalb von Balochistan, sind mit einem hohen Risiko von gesellschaftlicher Diskriminierung und Gewalt konfrontiert. Aufgrund dieses Risikos kommt DFAT zu der Einschätzung, dass Hazaras ohne Identitätsdokumente, die in Balochistan leben, wahrscheinlich Schwierigkeiten haben, außerhalb von Quetta-basierten Enklaven zu reisen, um Zugang zu amtlichen Dokumenten oder staatlichen Gesundheits- und Bildungsdiensten zu erhalten.

3.48    Während nach Einschätzung von DFAT Hazaras in der Regel innerhalb der Enklaven von Quetta keine amtlichen Dokumente benötigen, um Zugang zu regierungsunabhängigen Gesundheits- und Bildungsdienstleistungen der Hazaras zu erhalten, merkt DFAT an, dass diese Einrichtungen von Hazaras als Basisversorgung beschrieben werden und es deshalb erforderlich ist, die Enklaven zu verlassen, um Zugang zu staatlichen Gesundheitseinrichtungen, Notaufnahmen und Bildungsdienstleistungen zu erhalten.

(Beweisquelle: DFAT Country Information Report Pakistan, 20.02.2019; Absätze 3.41, 3.43., 3.45, 3.47, 3.48; 5.52, 5.55)

BFA Länderinformation der Staatendokumentation Pakistan, August 2019 [BFA LIB Pakistan, 2019]

Hazara-Gemeinde

Die Hazara sind eine ethnische Gruppe eurasischer Herkunft und überwiegend schiitische Muslime. Sie unterschieden sich äußerlich von den meisten anderen Pakistanis (EASO 8.2015). Quellen schätzen die Hazara in Pakistan auf 500.000 bis eine Million, die sich hauptsächlich auf Quetta [Hauptstadt von Belutschistan] und Karatschi konzentrieren. Viele Hazara sind von Quetta aufgrund der dort gegen sie gerichteten Gewalt in andere pakistanische Städte gezogen, allen voran Karatschi. Innerhalb Quettas leben Hazara vor allem in zwei Enklaven (UKHO 9.11.2016).

Die schiitische Gemeinschaft, insbesondere die schiitischen Hazara, sind das Hauptziel der religiös motivierten Gewalt in Belutschistan. Die Gruppe Lashkar-e-Jhangvi steht hauptsächlich hinter dieser Gewalt (USIP 27.6.2016). Gemäß Aussagen der Hazara-Gemeinschaft, Mitgliedern der Zivilgesellschaft, Politikern und Regierungsvertretern sind viele Faktoren für die Bedrohung verantwortlich, da andere schiitische Gemeinschaften in Belutschistan friedlich leben können (NCHR 2.2018).

Die schiitische Hazara-Gemeinde in Belutschistan – aufgrund ihrer zentralasiatischen Abstammung leicht zu identifizieren – war nach 2015 deutlich weniger von Gewalt betroffen (AA 21.8.2018; vgl. NCHR 2.2018). Gemäß Angaben des Provinzinnenministeriums von Belutschistan wurden im Zeitraum 1.1.2012 bis 31.12.2017 in Quetta bei terroristischen Anschlägen 509 Mitglieder der Hazara-Gemeinschaft getötet und 627 verletzt (NCHR 2.2018). Im Jahr 2017 gab es in Quetta sechs Angriffe auf Hazara, bei denen 13 Menschen starben (PIPS 7.1.2018; vgl. USDOS 20.4.2018) und einen Angriff auf Hazara mit vier Toten in Mastung (PIPS 7.1.2018).

Anfang 2018 kam es zu einer Serie von Mordanschlägen militanter Gruppen gegen Hazaras in Belutschistan (AA 21.8.2018). Im Zeitraum März-April 2018 wurden in Quetta bei sechs konfessionell motivierten Anschlägen acht Personen, darunter sieben Hazara, getötet (PIPS 7.1.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Alle Anschläge wurden von Lashkar-e-Jhangvi durchgeführt. Bei einem weiteren sicherheitsrelevanten Vorfall in Quetta war Sicherheitspersonal, das zum Schutz von Hazara abgestellt worden war, betroffen (PIPS 7.1.2019). Die Hazaras protestierten gegen die Anschläge und beklagten mangelnde Sicherheitsmaßnahmen des pakista

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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