Entscheidungsdatum
22.11.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W266 2200351-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Stephan WAGNER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten, Außenstelle Klagenfurt vom 08.06.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.07.2021 zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I wird als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II wird Folge gegeben und XXXX , geb. XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX , geb. XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr zuerkannt.
IV. Die Spruchpunkte III. bis VI. werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Beschwerdeführer (BF) stellte am 25.09.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am selben Tag fand die niederschriftliche Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt, in der der BF angab der Volksgruppe der Paschtunen anzugehören und sunnitischer Moslem zu sein. Geboren und aufgewachsen sei er in XXXX , wo er auch zehn Jahre lang die Grundschule besucht habe. Als Fluchtgrund gab der BF an, dass sein Vater für die afghanischen Behörden gearbeitet habe, weshalb dieser von den Taliban getötet worden sei. Daraufhin sei der BF von den Taliban aufgefordert worden, in den Dschihad zu ziehen, was dieser abgelehnt hätte und dann geflüchtet sei.
Am 06.04.2018 fand die niederschriftliche Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) statt. Der BF gab an Paschtu als Muttersprache zu haben und in der Provinz Nangahar, im Distrikt Khugyani, im Dorf XXXX geboren zu sein. Zu seinen Familienverhältnissen gab er an, dass sein Vater vor ein paar Jahren bereits verstorben sei und seine Mutter gemeinsam mit seinen kleineren Schwestern und seinem kleinen Bruder in Jalalabad in einem eigenen Haus wohnen würden. Er gab an, dass er die Familie einmal im Monat anrufe und dass die Familie von einem Onkel mütterlicherseits unterstützt werden würde.
Befragt zu den Fluchtgründen gab der BF folgendes an: Der Vater des BF habe für den Geheimdienst gearbeitet und sei mehrfach von den Taliban bedroht worden. Diese Bedrohungen habe der Vater des BF nicht ernst genommen und sei eines Tages am Weg nach Hause von den Taliban entführt worden. Die Mutter des BF habe dies der Polizei berichtet und die Taliban angezeigt, woraufhin ein Brief der Taliban gekommen sei, welche forderten, dass die Mutter die Anzeige zurückziehe, da sie ansonsten ihren Sohn, also den BF, entführen würden. Auch der BF sei dann aber von den Taliban entführt worden, woraufhin er zu einer ihm unbekannten Stelle gebracht wurde, wo er gemeinsam mit drei anderen Jugendlichen für 4-5 Monate den Umgang mit der Waffe gelernt habe. Bei einer Verlegung der Jugendlichen und des BF seien die Taliban von der pakistanischen Armee angegriffen worden, woraufhin der BF flüchten konnte und zurück nach Afghanistan gekommen sei. Der BF gab an, dass dann die Leiche des Vaters gefunden, er auch einen Brief von den Taliban erhalten habe, wo ihm mit der Ermordung gedroht worden sei und er von der Polizei beschuldigt worden sei, dass er die Taliban unterstützt habe. Danach sei der BF aus Afghanistan geflüchtet.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG (Spruchpunkt II.) ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von 2 Wochen für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt VI.).
Dagegen erhob der BF fristgerecht Beschwerde.
Die Beschwerde samt dem dazugehörigen Verwaltungsakt langte am 09.07.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Mit Schriftsatz vom 11.03.2019 übermittelte der BF Integrationsunterlagen.
Am 26.07.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu und des Rechtsvertreters des BF durch, in der der BF eingehend zu seinen persönlichen Verhältnissen, seinen Fluchtgründen und seinem Leben in Österreich befragt wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Auf Grundlage des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, insbesondere der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einvernahme des BF durch die belangte Behörde, der Beschwerde gegen den nunmehr angefochtenen Bescheid, der im Verfahren vorgelegten Dokumente und der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt steht folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt fest:
Zur Person des BF:
Der BF führt den im Spruch genannten Namen und das dort genannte Geburtsdatum. Seine Identität steht nicht fest. Er ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und ist sunnitischer Moslem.
Der BF ist in der Provinz Nangarhar, im Distrikt Khugyani, im Dorf XXXX geboren und aufgewachsen. Der BF lebte bis zu seiner Ausreise durchgehend in Afghanistan. Der BF ging für 10 Jahre in eine Grundschule und kann Paschtu lesen und schreiben. Die Provinz Nangarhar war zum Zeitpunkt der Ausreise des BF, also 2016, eine der volatilen Provinzen Afghanistans, in welcher regierungsfeindliche Gruppen, wie die Taliban, bereits damals stark waren und einen Einfluss auf die Bevölkerung hatten, auch wenn sie das Gebiet nicht unter ihrer Kontrolle hatten. Diesbezüglich gab der BF auch selber an, dass in seiner Heimat die Polizei grundsätzlich aktiv war.
Der BF ist ledig und hat keine Kinder. Der BF hat keine Verwandten in Österreich. Die Familie des BF lebt nach wie vor in Afghanistan, in der Provinz Nangarhar, im Distrikt Khugyani, im Dorf XXXX , einem Nachbarort von XXXX . Der BF hat jedoch seit über einem Jahr keinen Kontakt zu Mitgliedern seiner Familie.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig.
Zu den Fluchtgründen und zu einer Rückkehr des BF:
Der Vater des BF wurde nicht von den Taliban umgebracht und der BF ist auch nicht von den Taliban entführt worden. Auch hatte der BF keine Probleme mit der afghanischen Polizei.
Der BF wurde persönlich nicht von den Taliban oder sonstigen Dritten bedroht.
Auch bei einer Rückkehr besteht keine Gefahr der Verfolgung durch die Taliban oder andere Gruppierungen.
Der BF war in Afghanistan nicht Mitglied einer politischen Partei oder hat sich anderweitig politisch betätigt. Auch war der BF in Afghanistan zu keinem Zeitpunkt inhaftiert. Der BF hatte weiters in Afghanistan niemals Probleme mit Behörden oder sonstigen staatlichen Stellen.
Der BF wird weder aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung noch aus anderen Gründen in asylrelevanter Intensität verfolgt.
Auch wäre der BF, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan, aufgrund der Tatsache, dass er sich einige Jahre in Europa aufgehalten hat, keiner psychischen und/oder physischen Gewalt oder anderen erheblichen Eingriffen ausgesetzt.
Beim BF konnte keine westliche Gesinnung bzw. ein unislamisches Verhalten festgestellt werden, durch welche er bei einer Rückkehr verfolgt werden würde.
Im August 2021 kam es zur Machtübernahme der Taliban in Afghanistan. Verbunden damit sind unvorhersehbare Dynamiken, die alle Lebensbereiche der afghanischen Bürger betreffen. So kam es zu einer landesweiten deutlichen Verschlechterung der Versorgungslage. In Folge der Machtübernahme der Taliban wurden internationale Gelder eingefroren, wodurch es zu einem Bargeldmangel und dem Stopp von Hilfsprojekten kam. Hierdurch droht Afghanistan eine Finanzkrise, die die Wirtschaft zum Kollabieren bringen könnte. Aus der daraus entstandenen Inflation stiegen die Lebensmittelpreise für Grundnahrungsmittel seit der Machtübernahme der Taliban, während der durchschnittliche Haushalt über weniger Geld verfügt, wodurch es für immer mehr Menschen nicht mehr möglich sein wird, ihre existenziellen Grundbedürfnisse zu erfüllen. Mehr als der Hälfte der Bevölkerung Afghanistans droht für den kommenden Winter Lebensmittelunsicherheit und Hunger. Nur 5% der Bevölkerung haben jeden Tag ausreichend zu Essen. Weiters ist die Lebensmittelsituation nun zum ersten Mal auch in Städten ähnlich problematisch wie in ländlicheren Gegenden. Das World Food Programm fordert bis zum Ende von 2021 200 Millionen US$ um die drohende Hungerskrise bewältigen zu können. Zusätzlich kalkuliert das World Food Programm, dass es ab 2022 für jeden Monat einen Bedarf von 220 Millionen US§ hat. Mit dem Abzug der internationalen Truppen und der Machtübernahme der Taliban war auch ein rasanter Anstieg der Arbeitslosigkeit verbunden, da unter anderem der größte Arbeitgeber im Land, die Afghanische Nationalarmee, aufgelöst wurde. Dies ist insofern eklatant, als die Arbeitsmarktsituation schon bereits vor der Machtübernahme der Taliban eine besonders angespannte war.
Folglich droht in Afghanistan also eine humanitäre Krise, ausgelöst durch nationale Instabilität, Lebensmittelmangel, hoher Arbeitslosigkeit, einer Wirtschaftskrise und Inflation. Der BF ist ein junger männlicher Paschtune. Auch wenn er zu einer Bevölkerungsgruppe gehört, die sich traditionell gesehen gegenseitig unterstützt, so ist zu bedenken, dass der BF keine spezielle Schul- oder Arbeitsausbildung erfahren hat. Weiters hat der BF auch keinen Kontakt mehr zu seiner Familie und kann dementsprechend nicht mit deren Unterstützung rechnen.
Aufgrund seiner individuellen Situation und der nach der Machtübernahme der Taliban massiv schlechteren Wirtschafts-, Versorgungs- und Arbeitsmarktsituation, die sich, ausgehend von der aktuellen Berichtssituation in absehbarer Zeit nicht wesentlich verbessern wird, würde der BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine ausweglose Situation geraten, in der er nicht in der Lage wäre, seine grundlegenden existenziellen Bedürfnisse zu erfüllen.
Zum Leben des BF in Österreich:
Der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige BF reiste spätestens am 26.09.2017 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Er hält sich somit seit etwas mehr als vier Jahren in Österreich auf. Er hat Deutschkurse besucht und Zertifikate für das Niveau A2 erreicht. Der BF schloss verschiedene Integrations- und Bildungskurse für Flüchtlinge ab. Der BF lebt in XXXX , Kärnten.
Der BF geht aktuell keiner erwerbsmäßigen Beschäftigung nach, möchte aber auf einer Baustelle arbeiten. Der BF ging in Österreich keinen ehrenamtlichen Tätigkeiten nach. Der BF hat Freunde, welcher er in einer Unterkunft für Flüchtlinge kennenlernte. Der BF hat keine österreichischen Freunde.
Der BF lebte bis März 2020 von der Grundversorgung. Er bekommt Unterstützung von einem Freund und lebt bei diesem.
Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Der BF ist nicht Mitglied in einem Verein, einer politischen Partei oder einer anderen Organisation.
Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Sicherheitslage - Letzte Änderung: 16.09.2021
Jüngste Entwicklungen - Machtübernahme der Taliban
Mit April bzw. Mai 2021 nahmen die Kampfhandlungen zwischen Taliban und Regierungstruppen stark zu, aber auch schon zuvor galt die Sicherheitslage in Afghanistan als volatil. Laut Berichten war der Juni 2021 der bis dahin tödlichste Monat mit den meisten militärischen und zivilen Opfern seit 20 Jahren in. Gemäß einer Quelle veränderte sich die Lage seit der Einnahme der ersten Provinzhauptstadt durch die Taliban - Zaranj in Nimruz - am 6.8.2021 in „halsbrecherischer Geschwindigkeit“, innerhalb von zehn Tagen eroberten sie 33 der 34 afghanischen Provinzhauptstädte. Auch eroberten die Taliban mehrere Grenzübergänge und Kontrollpunkte, was der finanziell eingeschränkten Regierung dringend benötigte Zolleinnahmen entzog. Am 15.8.2021 floh Präsident Ashraf Ghani ins Ausland und die Taliban zogen kampflos in Kabul ein. Zuvor waren schon Jalalabad im Osten an der Grenze zu Pakistan gefallen, ebenso wie die nordafghanische Metropole Mazar-e Scharif. Ein Bericht führt den Vormarsch der Taliban in erster Linie auf die Schwächung der Moral und des Zusammenhalts der Sicherheitskräfte und der politischen Führung der Regierung zurück. Die Kapitulation so vieler Distrikte und städtischer Zentren ist nicht unbedingt ein Zeichen für die Unterstützung der Taliban durch die Bevölkerung, sondern unterstreicht vielmehr die tiefe Entfremdung vieler lokaler Gemeinschaften von einer stark zentralisierten Regierung, die häufig von den Prioritäten ihrer ausländischen Geber beeinflusst wird, auch wurde die weit verbreitete Korruption, beispielsweise unter den Sicherheitskräften, als ein Problem genannt (LIB).
Im Panjshir-Tal, rund 55 km von Kabul entfernt, formierte sich nach der Machtübernahme der Taliban in Kabul Mitte August 2021 Widerstand in Form der National Resistance Front (NRF), welche von Amrullah Saleh, dem ehemaligen Vizepräsidenten Afghanistans und Chef des National Directorate of Security [Anm.: NDS, afghan. Geheimdienst], sowie Ahmad Massoud, dem Sohn des verstorbenen Anführers der Nordallianz gegen die Taliban in den 1990ern, angeführt wird. Ihr schlossen sich Mitglieder der inzwischen aufgelösten Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) an, um im Panjshir-Tal und umliegenden Distrikten in Parwan und Baghlan Widerstand gegen die Taliban zu leisten. Sowohl die Taliban, als auch die NRF betonten zu Beginn, ihre Differenzen mittels Dialog überwinden zu wollen. Nachdem die US-Streitkräfte ihren Truppenabzug aus Afghanistan am 30.8.2021 abgeschlossen hatten, griffen die Taliban das Pansjhir-Tal jedoch an. Es kam zu schweren Kämpfen und nach sieben Tagen nahmen die Taliban das Tal nach eigenen Angaben ein, während die NRF am 6.9.2021 bestritt, dass dies geschehen sei. Mit Stand 6.9.2021 war der Aufenthaltsort von Saleh und Massoud unklar, jedoch verkündete Massoud, in Sicherheit zu sein sowie nach Absprachen mit anderen Politikern eine Parallelregierung zu der von ihm als illegitim bezeichneten Talibanregierung bilden zu wollen (LIB).
Weitere Kampfhandlungen gab es im August 2021 beispielsweise im Distrikt Behsud in der Provinz Maidan Wardak und in Khedir in Daikundi, wo es zu Scharmützeln kam, als die Taliban versuchten, lokale oder ehemalige Regierungskräfte zu entwaffnen. Seit der Beendigung der Kämpfe zwischen den Taliban und den afghanischen Streitkräften ist die Zahl der zivilen Opfer deutlich zurückgegangen (LIB).
Internationaler Flughafen Hamid Karzai [Internationaler Flughafen Kabul]
Mit der Machtübernahme der Taliban Mitte August 2021 wurden internationale Flüge eingestellt. Gemäß Ankündigung vom 11.9.2021 plant eine pakistanische Fluggesellschaft, wieder Linienflüge nach Kabul aufzunehmen (GN 11.9.2021).
Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in „Internationaler Flughafen Hamid Karzai“ umbenannt. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Ein neues internationales Terminal wurde hinzugefügt und das alte Terminal wird nun für nationale Flüge benutzt (LIB).
Die Taliban haben Katar um technische Hilfe bei der Wiederaufnahme des Flughafenbetriebs auf dem Hamid-Karzai-Flughafen gebeten, der bei der überstürzten Evakuierung von mehr als 120.000 Menschen nach dem Abzug der amerikanischen Truppen am 30. August schwer beschädigt worden war. Vertreter aus Katar erklärten Anfang September, der Flughafen von Kabul sei zu 90 % wieder betriebsbereit (LIB).
Nationale (Kam Air, Ariana Afghan Airlines) und internationale Fluggesellschaften (z.B. Air India, Air Arabia, Fly Dubai…) boten [vor der Machtübernahme der Taliban] internationale Flüge von der Türkei, China, Indien, Aserbaidschan, Usbekistan, Pakistan, Saudi-Arabien, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Kabul an. Innerstaatlich gingen Flüge von und nach Kabul (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen von Kandahar, Bost (Helmand, nahe Lashkargah), Tarinkot, Faizabad, Zaranj, Kunduz, Farah, Herat und Mazar-e Sharif (LIB).
Nach der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021
Nachdem die Taliban die Kontrolle über Afghanistan übernommen haben, sind Tausende von Menschen über die Grenze von Chaman ins benachbarte Pakistan oder über den Grenzübergang Islam Kala in den Iran geflohen. Der Grenzübergang Torkham - neben Chaman der wichtigste Grenzübergang zwischen Afghanistan und Pakistan - war zeitweilig geschlossen, wurde Mitte September 2021 nach Angaben eines pakistanischen Behördenvertreters für Fußgänger jedoch wieder geöffnet. Ein ehemaliger US-Militärvertreter erklärte Anfang September 2021, Überlandverbindungen seien riskant, aber zurzeit die einzige Möglichkeit zur Flucht. Laut US-Militärkreisen haben die Taliban weitere Kontrollpunkte auf den Hauptstraßen nach Usbekistan und Tadschikistan errichtet. Die Islamisten verbieten zudem Frauen, ohne männliche Begleitung zu reisen (LIB)
Paschtunen - Letzte Änderung: 15.09.2021
Ethnische Paschtunen sind mit ca. 40% der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; als Verkehrssprache sprechen viele auch Dari. Sie sind sunnitische Muslime. Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben (LIB).
Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Paschtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (LIB).
Die Taliban sind eine vorwiegend paschtunische Bewegung, werden aber nicht als nationalistische Bewegung gesehen. Die Taliban rekrutieren auch aus anderen ethnischen Gruppen. Die Unterstützung der Taliban durch paschtunische Stämme ist oftmals in der Marginalisierung einzelner Stämme durch die Regierung und im Konkurrenzverhalten oder der Rivalität zwischen unterschiedlichen Stämmen begründet (LIB).
Grundversorgung und Wirtschaft - Letzte Änderung: 14.09.2021
Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2020 lediglich Platz 169 von 189 des Human Development Index. Die afghanische Wirtschaft ist stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Jedoch konnte die vormalige afghanische Regierung seit der Fiskalkrise des Jahres 2014 ihre Einnahmen deutlich steigern (LIB).
Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90% der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft, wobei der landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hatte (Industrie: 24,1%, tertiärer Sektor: 53,1%; WB 7.2019). Rund 45% aller Beschäftigen arbeiten im Agrarsektor, 20% sind im Dienstleistungsbereich tätig (LIB).
Afghanistan erlebte von 2007 bis 2012 ein beispielloses Wirtschaftswachstum. Während die Gewinne dieses Wachstums stark konzentriert waren, kam es in diesem Zeitraum zu Fortschritten in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Seit 2014 verzeichnet die afghanische Wirtschaft ein langsames Wachstum (im Zeitraum 2014-2017 durchschnittlich 2,3%, 2003-2013: 9%) was mit dem Rückzug der internationalen Sicherheitskräfte, der damit einhergehenden Kürzung der internationalen Zuschüsse und einer sich verschlechternden Sicherheitslage in Verbindung gebracht wird. Im Jahr 2018 betrug die Wachstumsrate 1,8%. Das langsame Wachstum wird auf zwei Faktoren zurückgeführt: einerseits hatte die schwere Dürre im Jahr 2018 negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, andererseits verringerte sich das Vertrauen der Unternehmer und Investoren. Das Wirtschaftswachstum konnte sich zuletzt aufgrund der besseren Witterungsbedingungen für die Landwirtschaft erholen und lag 2019 laut Weltbank-Schätzungen bei 2,9% (LIB).
Nach der Machtübernahme der Taliban bleiben die Banken geschlossen, so haben die Vereinigten Staaten der Taliban-Regierung den Zugang zu praktisch allen Reserven der afghanischen Zentralbank in Höhe von 9 Mrd. $ (7,66 Mrd. €) verwehrt, die größtenteils in den USA gehalten werden. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) hat Afghanistan nach der Eroberung Kabuls durch die Taliban den Zugang zu seinen Mitteln verwehrt (LIB).
Da keine neuen Dollarlieferungen zur Stützung der Währung ankommen, ist die afghanische Währung auf ein Rekordtief gefallen (LIB).
Dürre und Überschwemmungen
Starke Regenfälle haben im Mai 2021 mehrere Provinzen Afghanistans, insbesondere Herat, heimgesucht und Sturzfluten und Überschwemmungen verursacht, die zu Todesopfern und Schäden führten. Die am stärksten betroffenen Provinzen sind Herat, Ghor, Maidan Wardak, Baghlan, Samangan, Khost, Bamyan, Daikundi und Badakhshan. Medienberichten zufolge sind in der Provinz Herat bis zu 37 Menschen ums Leben gekommen, Hunderte wurden vertrieben und mehr als 150 Häuser wurden zerstört. 405 Familien wurden landesweit aus ihren Häusern vertrieben (LIB).
Armut und Lebensmittelunsicherheit - Letzte Änderung: 14.09.2021
Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die COVID-19-Pandemie stetig weiter verschärft. Es wird erwartet, dass 2021 bis zu 18,4 Millionen Menschen (2020: 14 Mio Menschen) auf humanitäre Hilfe angewiesen sein werden (LIB).
Da keine neuen Dollarlieferungen eintreffen, um die Währung zu stützen, ist die afghanische Währung auf ein Rekordtief gefallen und hat die Preise in die Höhe getrieben. Die Preise für Grundnahrungsmittel wie Mehl, Öl und Reis sind innerhalb weniger Tage um bis zu 10-20 % gestiegen (LIB).
Wohnungsmarkt und Lebenserhaltungskosten - Letzte Änderung: 14.09.2021
Vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 lag die Miete für eine Wohnung im Stadtzentrum von Kabul durchschnittlich zwischen 200 USD und 350 USD im Monat. Für einen angemessenen Lebensstandard musste zudem mit durchschnittlichen Lebenshaltungskosten von bis zu 350 USD pro Monat (Stand 2020) gerechnet werden. Auch in Mazar-e Sharif standen zahlreiche Wohnungen zur Miete zur Verfügung. Die Höhe des Mietpreises für eine drei-Zimmer-Wohnung in Mazar-e Sharif schwankte unter anderem je nach Lage zwischen 100 USD und 300 USD monatlich. Einer anderen Quelle zufolge lagen die Kosten für eine einfache Wohnung in Afghanistan ohne Heizung oder Komfort, aber mit Zugang zu fließenden Wasser, sporadisch verfügbarer Elektrizität, einer einfachen Toilette und einer Möglichkeit zum Kochen zwischen 80 USD und 100 USD im Monat. Es existieren auch andere Unterbringungsmöglichkeiten wie Hotels und Teehäuser, die etwa von Tagelöhnern zur Übernachtung genutzt werden. Auch eine Person, welche in Afghanistan über keine Familie oder Netzwerk verfügt, sollte in der Lage sein, dort Wohnraum zu finden - vorausgesetzt die Person verfügt über die notwendigen finanziellen Mittel. Private Immobilienunternehmen in den Städten informieren über Mietpreise für Häuser und Wohnungen (LIB).
Wohnungszuschüsse für sozial Benachteiligte oder Mittellose existieren in Afghanistan nicht. Allgemein lässt sich sagen, dass die COVID-19-Pandemie keine besonderen Auswirkungen auf die Miet- und Kaufpreise in Kabul hatte. Die Mieten sind nicht gestiegen und aufgrund der momentanen wirtschaftlichen Unsicherheit sind die Kaufpreise von Häusern eher gesunken (LIB).
Betriebs- und Nebenkosten wie Wasser und Strom kosteten vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 in der Regel nicht mehr als 40 USD pro Monat. Abhängig vom Verbrauch konnten die Kosten allerdings höher liegen. Die Kosten in der Innenstadt Kabuls waren höher. In ländlichen Gebieten konnte man mit mind. 50% weniger Kosten für die Miete und den Lebensunterhalt rechnen (LIB).
Arbeitsmarkt - Letzte Änderung: 16.09.2021
Vor der Machtübernahme durch die Taliban war der Arbeitsmarkt durch eine niedrige Erwerbsquote, hohe Arbeitslosigkeit sowie Unterbeschäftigung und prekäre Arbeitsverhältnisse charakterisiert. 80% der afghanischen Arbeitskräfte befanden sich in „prekären Beschäftigungsverhältnissen“, mit hoher Arbeitsplatzunsicherheit und schlechten Arbeitsbedingungen. Schätzungsweise 16% der prekär Beschäftigten waren Tagelöhner, von denen sich eine unbestimmte Zahl an belebten Straßenkreuzungen der Stadt versammelt und nach Arbeit sucht, die, wenn sie gefunden wird, ihren Familien nur ein Leben von der Hand in den Mund ermöglicht (LIB).
Nach Angaben der Weltbank ist die Arbeitslosenquote innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung in den letzten Jahren zwar gesunken, bleibt aber auf hohem Niveau und dürfte wegen der COVID19-Pandemie wieder steigen ebenso wie die Anzahl der prekär Beschäftigten (LIB).
Schätzungen zufolge sind rund 67% der Bevölkerung unter 25 Jahren alt. Am Arbeitsmarkt müssen jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neuankömmlinge in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Somit treten jedes Jahr sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftigungsmöglichkeiten bislang aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können (LIB).
Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Es gibt einen großen Anteil an Selbstständigen und mithelfenden Familienangehörigen, was auf das hohe Maß an Informalität des Arbeitsmarktes hinweist, welches mit der Bedeutung des Agrarsektors in der Wirtschaft einhergeht. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne Netzwerke ist die Arbeitssuche schwierig. Bei Ausschreibung einer Stelle in einem Unternehmen gibt es in der Regel eine sehr hohe Anzahl an Bewerbungen und durch persönliche Kontakte und Empfehlungen wird mitunter Einfluss und Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt. Eine im Jahr 2012 von der ILO durchgeführte Studie über die Beschäftigungsverhältnisse in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten als formelle Qualifikationen. Analysen der norwegischen COI-Einheit Landinfo zufolge gibt es keine Hinweise, dass sich die Situation seit 2012 geändert hätte (LIB).
Neben einer mangelnden Arbeitsplatzqualität ist auch die große Anzahl an Personen im wirtschaftlich abhängigen Alter (insbes. Kinder) ein wesentlicher Armutsfaktor: Die Notwendigkeit, das Einkommen von Erwerbstätigen mit einer großen Anzahl von Haushaltsmitgliedern zu teilen, führt oft dazu, dass die Armutsgrenze unterschritten wird, selbst wenn Arbeitsplätze eine angemessene Bezahlung bieten würden. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind (LIB).
Ungelernte Arbeiter erwirtschaften ihr Einkommen als Tagelöhner, Straßenverkäufer oder durch das Betreiben kleiner Geschäfte. Der Durchschnittslohn für einen ungelernten Arbeiter ist unterschiedlich, für einen Tagelöhner beträgt er etwa 5 USD pro Tag. Während der COVID-19-Pandemie ist die Situation für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftszweige durch die Sperr- und Restriktionsmaßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ beeinflusst wurden. Kleine und große Unternehmen boten in der Regel direkte Arbeitsmöglichkeiten für Tagelöhner (LIB).
Medizinische Versorgung - Letzte Änderung: 16.09.2021
In einem Bericht aus dem Jahr 2018 kommt die Weltbank zu dem Schluss, dass sich die Gesundheitsversorgung in Afghanistan im Zeitraum 2004-2010 deutlich verbessert hat, während sich die Verbesserungen im Zeitraum 2011-2016 langsamer fortsetzten. Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit gab es deutliche Verbesserungen. Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Behandlung durch Mangel an gut ausgebildetem medizinischem Personal und Medikamenten, Missmanagement und maroder Infrastruktur begrenzt und korruptionsanfällig (LIB).
Der Konflikt, COVID-19 und unzureichende Investitionen in die Infrastruktur treiben den Gesundheitsbedarf an und verhindern, dass die betroffenen Menschen rechtzeitig sichere, ausreichend ausgestattete Gesundheitseinrichtungen und -dienste erhalten. Gleichzeitig haben der aktive Konflikt und gezielte Angriffe der Konfliktparteien auf Gesundheitseinrichtungen und -personal zur periodischen, verlängerten oder dauerhaften Schließung wichtiger Gesundheitseinrichtungen geführt, wovon in den ersten zehn Monaten des Jahres 2020 bis zu 1,2 Millionen Menschen in mindestens 17 Provinzen betroffen waren (LIB).
Die Lebenserwartung ist in Afghanistan von 50 Jahren im Jahr 1990 auf 64 Jahre im Jahr 2018 gestiegen (LIB).
Bis zur Machtübernahme der Taliban im August 2021 wurden 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan nicht direkt vom Staat erbracht, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die unter Vertrag genommen werden (LIB).
Eine Quelle spricht von 641 Krankenhäusern bzw. Gesundheitseinrichtungen in Afghanistan, wobei 181 davon öffentliche und 460 private Krankenhäuser sind. Die genaue Anzahl der Gesundheitseinrichtungen in den einzelnen Provinzen ist nicht bekannt. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghaninnen und Afghanen schwierig, überhaupt eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2017, die den Zustand der öffentlichen Gesundheitseinrichtungen untersuchte, wiesen viele Gesundheitszentren im ganzen Land immer noch große Mängel auf, darunter bauliche und wartungsbedingte Probleme, schlechte Hygiene- und Sanitärbedingungen, wobei ein Viertel der Einrichtungen nicht über Toiletten verfügte, vier von zehn Gesundheitseinrichtungen kein Trinkwassersystem hatten und eine von fünf Einrichtungen keinen Strom hatte. Es gab nicht genügend Krankenwagen und viele Gesundheitseinrichtungen berichteten über einen Mangel an medizinischer Ausrüstung und Material (LIB).
Insbesondere die COVID-19-Pandemie offenbarte die Unterfinanzierung und Unterentwicklung des öffentlichen Gesundheitssystems, das akute Defizite in der Prävention (Schutzausrüstung), Diagnose (Tests) und medizinischen Versorgung der Kranken aufweist. Die Verfügbarkeit und Qualität der Basisversorgung ist durch den Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenten (insbesondere Hebammen), den Mangel an Medikamenten, schlechtes Management und schlechte Infrastruktur eingeschränkt. Darüber hinaus herrscht in der Bevölkerung ein starkes Misstrauen gegenüber der staatlich finanzierten medizinischen Versorgung. Die Qualität der Kliniken ist sehr unterschiedlich. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen (LIB).
Neben dem öffentlichen Gesundheitssystem gibt es auch einen weitverbreiteten, aber teuren privaten Sektor. Trotz dieser höheren Kosten wird berichtet, dass über 60% der Afghanen private Gesundheitszentren als Hauptansprechpartner für Gesundheitsdienstleistungen nutzen. Vor allem Afghanen, die außerhalb der großen Städte leben, bevorzugen die private Gesundheitsversorgung wegen ihrer wahrgenommenen Qualität und Sicherheit, auch wenn die dort erhaltene Versorgung möglicherweise nicht von besserer Qualität ist als in öffentlichen Einrichtungen (LIB).
COVID-19
Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt. Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium durchgeführten Umfrage hatten mit Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan seit März 2020 Anzeichen und Symptome von COVID-19 gehabt. Bis zum 17.3.2021 wurden der WHO 56.016 bestätigte Fälle von COVID-19 mit 2.460 Todesfällen gemeldet (LIB), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein vielfaches höher eingeschätzt wird. Bis zum 10.3.2021 wurden insgesamt 34.743 Impfstoffdosen verabreicht. Die Zahl der täglich neu bestätigten COVID-19-Fälle in Afghanistan ist in den Wochen nach dem Eid al-Fitr-Fest Mitte Mai 2021 stark angestiegen und übertrifft die Spitzenwerte, die zu Beginn des Ausbruchs im Land verzeichnet wurden. Die gestiegene Zahl der Fälle belastet das Gesundheitssystem weiter. Gesundheitseinrichtungen berichten von Engpässen bei medizinischem Material, Sauerstoff und Betten für Patienten mit COVID-19 und anderen Krankheiten (LIB).
Einige der Regional- und Provinzkrankenhäuser in den Großstädten wurden im Hinblick auf COVID-19 mit Test- und Quarantäneeinrichtungen ausgestattet. Menschen mit Anzeichen von COVID-19 werden getestet und die schwer Erkrankten im Krankenhaus in Behandlung genommen. Die Kapazität solcher Krankenhäuser ist jedoch aufgrund fehlender Ausrüstung begrenzt. In den anderen Provinzen schicken die Gesundheitszentren, die nicht über entsprechende Einrichtungen verfügen, die Testproben in die Hauptstadt und geben die Ergebnisse nach sechs bis zehn Tagen bekannt. Im Großteil der Krankenhäuser werden nur grundlegende Anweisungen und Maßnahmen empfohlen, es gibt keine zwingenden Vorschriften, und selbst die Infizierten erfahren nur grundlegende und normale Behandlung (LIB).
Nach der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021
Angesichts der jüngsten Entwicklungen hat die Weltbank alle Hilfen für Afghanistan eingefroren. Mehr 2.500 Gesundheitseinrichtungen und die Gehälter von mehr als 2.000 Beschäftigten im Gesundheitswesen, die im Rahmen des von der Weltbank kofinanzierten Sehatmandi-Projekts unterstützt werden, werden davon betroffen sein. Derzeit sind mehr als 3.800 Gesundheitseinrichtungen, die im Rahmen des Projekts unterstützt wurden, ganz oder teilweise nicht funktionsfähig. Die NGOs, die das Projekt durchführen, haben jedoch die Umsetzung reduziert, was zur sofortigen Aussetzung einiger Dienste in den Gesundheitseinrichtungen, einschließlich Überweisungen und ambulanter Essensversorgung führte. Einige wenige Gesundheitseinrichtungen, die im Rahmen des Projekts unterstützt wurden, verfügen über genügend medizinische Vorräte um die Versorgung für einige Monate aufrechtzuerhalten. In Ermangelung einer ausreichenden Finanzierung könnte die Kürzung der Hilfe Hunderttausende Afghanen ohne medizinische Versorgung zurücklassen und unverhältnismäßig viele Frauen betreffen. Angesichts der Blockade des Flughafens Kabul rufen WHO und UNICEF zur Unterstützung bei der Lieferung wichtiger medizinischer Güter nach Afghanistan auf (LIB).
Rückkehr - Letzte Änderung: 16.09.2021
IOM (Internationale Organisation für Migration) verzeichnete im Jahr 2020 die bisher größte Rückkehr von undokumentierten afghanischen Migranten. Von den mehr als 865.700 Afghanen, die im Jahr 2020 nach Afghanistan zurückkehrten, kamen etwa 859.000 aus dem Iran und schätzungsweise 6.700 aus Pakistan (LIB).
Im Jahr 2021 wurden bis August 759.046 undokumentierte Rückkehrer verzeichnet (LIB).
Die Wiedervereinigung mit der Familie wird meist zu Beginn von Rückkehrern als positiv empfunden und ist von großer Wichtigkeit im Hinblick auf eine erfolgreiche Reintegration. Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich, da es ohne familiäre Netzwerke sehr schwer sein kann, sich selbst zu erhalten. Eine Person ohne familiäres Netzwerk ist jedoch die Ausnahme und der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk. Einige wenige Personen verfügen über keine Familienmitglieder in Afghanistan, da diese entweder in den Iran, nach Pakistan oder weiter nach Europa migrierten. Der Reintegrationsprozess der Rückkehrer ist oft durch einen schlechten psychosozialen Zustand charakterisiert. Viele Rückkehrer sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Rückkehrerinnen sind von diesen Problemen im Besonderen betroffen. Aufgrund der Sicherheitslage ist es Rückkehrern nicht immer möglich, in ihre Heimatorte zurückzukehren (LIB).
Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kollegen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Haben die Rückkehrer lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren (LIB).
„Erfolglosen“ Rückkehrern aus Europa haftet oft das Stigma des „Versagens“ an. Wirtschaftlich befinden sich viele der Rückkehrer in einer schlechteren Situation als vor ihrer Flucht nach Europa, was durch die aktuelle Situation im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie noch verschlimmert wird. Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Dem deutschen Auswärtigen Amt sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden und auch IOM Kabul sind keine solchen Vorkommnisse bekannt. Andere Quellen geben jedoch an, dass es zu tätlichen Angriffen auf Rückkehrer gekommen sein soll, wobei dies auch im Zusammenhang mit einem fehlenden Netzwerk vor Ort gesehen wird. UNHCR berichtet von Fällen zwangsrückgeführter Personen aus Europa, die von religiösen Extremisten bezichtigt werden, verwestlicht zu sein; viele werden der Spionage verdächtigt. Auch glaubt man, Rückkehrer aus Europa wären reich und sie würden die Gastgebergemeinschaft ausnutzen. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB).
Viele afghanische Rückkehrer werden de facto IDPs, weil die Konfliktsituation sowie das Fehlen an gemeinschaftlichen Netzwerken sie daran hindert, in ihre Heimatorte zurückzukehren. Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbst gebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB).
IOM hat aufgrund der aktuellen Lage vor Ort die Option der Unterstützung der Freiwilligen Rückkehr und Reintegration seit 16.8.2021 für Afghanistan bis auf Weiteres weltweit ausgesetzt. Es können somit derzeit keine freiwilligen Rückkehrer aus Österreich nach Afghanistan im Rahmen des Projektes RESTART III unterstützt werden. Zu Tätigkeiten vor Ort im Rahmen anderer Projekte (RADA, etc.) kann derzeit noch keine Rückmeldung gegeben werden (LIB).
2. Beweiswürdigung:
Zu den Feststellungen zur Person des BF und dessen Leben in Österreich:
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, dessen Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit, zur Herkunft und zum Gesundheitszustandes des BF ergeben sich aus dem diesbezüglich glaubhaften Vorbringen des BF im Rahmen der Erstbefragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Dass der BF strafgerichtlich unbescholten ist und mittlerweile nicht mehr Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch nimmt, ergibt sich aus der Einsichtnahme ins österreichische Strafregister und des Speicherauszugs aus dem Betreuungsinformationssystem.
Die Feststellungen zur Integration und zum Leben des BF in Österreich ergeben sich aus den vorgelegten Unterlagen und den diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Dass festgestellt wurde, dass der BF keine österreichischen Freunde hat, begründet sich dadurch, dass der BF diesbezüglich nur angab, österreichische Schulfreunde zu haben, die er auch grüßt, doch weiß er nicht einmal deren Namen bzw. unternimmt er auch mit diesen auch nichts, so wie es für eine Freundschaft üblich wäre.
Zu den Feststellungen zu den Fluchtgründen und zu einer Rückkehr des BF:
Vorweg ist folgendes festzuhalten: Der erkennende Richter verkennt nicht, dass der BF zum Zeitpunkt der vorgebrachten Fluchtgründe und der Antragstellung noch minderjährig, nämlich circa. 16 Jahre alt, war. Es war daher ein anderer Maßstab bzgl. der Glaubhaftigkeit der Aussagen des BF heranzuziehen, als es bei Beschwerdeführern der Fall ist, welche zum Zeitpunkt der Fluchtgründe und der Antragstellung bereits erwachsen waren.
Wenn der BF angab, dass sein Vater von den Taliban umgebracht und er selbst von diesen entführt worden sei, dann ist dazu auszuführen, dass dieses Vorbringen aus mehreren Gründen nicht glaubhaft ist. Auch wenn man berücksichtigt, dass der BF zum Zeitpunkt der vorgebrachten Ereignisse und der Ausreise minderjährig war, so sind viele Details der Erzählung doch unglaubhaft. Dies begründet sich wie folgt:
Der BF gab an, sein Vater habe für den Geheimdienst gearbeitet und habe mehrere Drohbriefe von den Taliban erhalten. Obwohl der BF bereits vor dem BFA angab, dass er versuchen würde, diese Drohbriefe innerhalb von 4 Wochen von seiner in Afghanistan lebenden Mutter geschickt zu bekommen, reichte er die Drohbriefe bis heute nicht nach. Hierzu ist aber auszuführen, dass der BF auch schon beim BFA angab, nicht genau über den Verbleib der Drohbriefe Bescheid zu wissen. Dass der BF auch nichts konkretes über die Arbeit seines Vaters wusste erweckt zusätzlich den Anschein, dass sein Vater nicht für den Geheimdienst gearbeitet habe. Selbst in Anbetracht der nachvollziehbaren Verschwiegenheit eines Geheimdienstmitarbeiters erscheint das Wissen des BF um dessen Arbeit sehr gering. Weiters ist es nicht nachvollziehbar, warum der Vater als Mitglied des Geheimdienstes insgesamt drei Drohbriefe erhalten würde, bevor die Taliban ihn ergreifen, da es doch gerade in der Provinz Nangarhar, wo die Taliban traditionell sehr stark waren und sind, viel wahrscheinlicher ist, dass ein als für den Geheimdienst arbeitender Mann, nach dessen Aufdeckung sofort von den Taliban ermordet bzw. entführt werden würde. Laut Berichten bedeutet das Erhalten eines Drohbriefes eine ernste Gefahr für dessen Ziel und in der Folge oft auch den Tod. Dass die Taliban also bei einem so wichtigen Ziel wie einem für den Geheimdienst arbeitenden Mann nicht nur überhaupt einen Drohbrief, sondern insgesamt sogar drei schickten, bevor sie handelten, wirkt daher unplausibel. Durch das Senden vieler Drohbriefe ohne Konsequenzen hätten sich die Taliban selbst unglaubhaft gemacht.
Wenn der BF angab, dass seine Familie, nach Anzeige der Taliban bei der Polizei, einen Drohbrief erhalten habe, damit die Anzeige zurückgezogen werden würde, so ist dies insofern nicht nachvollziehbar, als dass die Taliban sich in der Regel nicht darum kümmern, ob gegen sie eine Anzeige bei der Polizei vorliegt oder nicht. Ebenso wird die Polizei an ihrem Verhalten wohl nichts ändern, aufgrund der Tatsache, dass eine Anzeige einer Privatperson vorliegt. Auch, dass die Taliban die Leiche des Vaters nach der Entführung und der Ermordung zurückgebracht hätten, sodass der BF die Leiche fand, erscheint nicht plausibel, da dieses Handeln ein unnötiges Risiko für die Taliban darstelle, da es laut Aussage des BF ja eine örtliche Polizei gegeben hat, welche wohl darauf reagieren hätte müssen, falls sie die Taliban beim Transportieren einer Leiche entdeckt hätten.
Auch zur Entführung des BF durch die Taliban konnte der BF nur wenige Details angeben, wodurch beim erkennenden Richter der Eindruck entstand, dass der BF die von ihm vorgebrachte Geschichte nicht tatsächlich erlebte. Gerade die Beschreibung davon, was der BF in den 4-5 Monaten in Gefangenschaft bzw. Ausbildung der Taliban gelernt hat, war so kurz, dass es unplausibel erscheint, dass der BF wirklich unter den Taliban lebte. So gab der BF in einer freien Erzählung vor dem Bundesverwaltungsgericht bzgl. der Ausbildung durch die Taliban an: „Dort, wo ich war, musste ich den Koran lernen und habe ich Religionsunterricht bekommen.“ Vom erkennenden Richter noch einmal nachgefragt gab er dann wieder an: „Wir haben Unterricht bekommen über den Jihad. Jeden Tag haben wir Unterricht bekommen (und) über den Jihad gesprochen. Wir waren in einem Zimmer. Das war’s.“ Als der BF dann vom Beschwerdeführervertreter gefragt wurde, wofür er in diesen 4-5 Monaten ausgebildet wurde, gab er an, dass er über den Dschihad lernte und ihm gezeigt wurde, wie man mit einer Waffe umgeht. Bei der Nachfrage welche Waffe das war, gab er an: „Pistolen, Handgranaten und solche Sachen.“ Diese lapidaren Angaben zu insgesamt 4-5 Monate Ausbildung durch die Taliban lassen es äußerst unwahrscheinlich wirken, dass der BF tatsächlich unter den Taliban und in deren Ausbildung lebte.
Weiters war die Erzählung des BF, wie er aus der Gefangenschaft der Taliban flüchten konnte nicht nachvollziehbar. Dies gründet abermals auf der sehr kurzen und detaillosen Erzählung des BF. So wurde der BF vom erkennenden Richter gebeten, dass er die Situation, in der er den Taliban entkommen ist, so genau und detailreich wie möglich schildern solle, woraufhin die gesamte Antwort des BF lautete: „Wie schon gesagt, sie (die Taliban) wurden von der pakistanischen Polizei angegriffen. Wir haben uns hinter einem Stein versteckt. In der Früh haben wir den Mann getroffen, er hat uns gesagt, wohin wir müssen, wir haben gesagt, dass wir nach Afghanistan wollen. Wir haben gesagt: „Können Sie uns sagen, in welcher Richtung wir gehen müssen?“, er hat gesagt, dass hinter dem Berg Afghanistan liegt.“ Dadurch, dass der BF, diese Antwort so kurz hält und äußerst oberflächlich blieb, obwohl er konkret gefragt wurde, so detailreich wie möglich zu sein, wird beim erkennenden Richter der Eindruck vermittelt, dass der BF diese Geschichte nicht tatsächlich erlebt hat.
Da die Entführung und damit der Aufenthalt des BF in Pakistan als unglaubhaft anzusehen war, war auch festzustellen, dass der BF bis zu seiner Ausreise in Afghanistan lebte. In diesem Zusammenhang ist nochmals darzulegen, dass der BF im Zeitpunkt dieser Ereignisse noch jugendlich war und sohin, wie gesagt ein anderer Maßstab im Hinblick auf seine Angaben anzulegen ist. Jedoch war der BF immerhin schon 16 Jahre alt und erscheint im Hinblick darauf das Vorbringen des BF, selbst unter der Berücksichtigung seines Alters, als sehr vage und oberflächlich.
Ein weiteres unglaubhaftes Detail an der Fluchtgeschichte des BF ist, dass er nach seiner Rückkehr von den Taliban Probleme mit der Polizei gehabt habe. Er gab an, er sei insgesamt drei Mal von der Polizei verhört und schlussendlich auch überwacht worden. Dies widerspricht sich aber mit seiner Angabe vor dem BFA, wonach die Polizei ihn aufgrund der Ermordung seines Vaters nicht weiter stören wollte. Weiters wirkt es unplausibel, dass ihn die Polizei sogar nach dreifacher und ergebnisloser Einvernahme weiterhin dauerhaft überwacht haben soll. Zuletzt ist noch zu erwähnen, dass der BF nach seiner Rückkehr in sein Heimatdorf noch zwei Monate dort lebte, bevor er aus Afghanistan floh. In dieser Zeit sei dann auch sein Vater ermordet worden und habe er einen weiteren Drohbrief der Taliban erhalten. Dass die Taliban, die auch wussten, wo der BF wohnt (in der mündlichen Verhandlung hat der BF angegeben: „Sie haben den Drohbrief in unser Haus hineingeworfen.“) nach dessen Flucht und der Ermordung seines Vaters sich die Mühe eines weiteren Drohbriefes machen sollten ist gänzlich unplausibel, insbesondere da die Taliban nichts mehr vom BF wollten.
Wenn in der Beschwerde vorgebracht wird, dass dem BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines mehrjährigen Aufenthaltes westliche Gesinnung und unislamisches Verhalten vorgeworfen werden würde, so ist entgegenzuhalten, dass den Länderberichten zu entnehmen ist, dass es zwar durchaus zu diskriminierenden Handlungen gegen Rückkehrer kommt, diese aber nicht in einer Weise vollzogen werden, wodurch eine ernsthafte Gefahr für das Leben und die Unversehrtheit des BF zu befürchten wäre. Weiters konnte der erkennende Richter in der mündlichen Beschwerdehandlung und aufgrund der Aktenlage keine Anzeichen von westlicher Gesinnung oder unislamischen Verhaltens beim BF erkennen. Die Unterschiede in der Lebensführung des BF in Österreich und jenem Leben, dass der BF in Afghanistan führen müsste sind nicht dergestalt, dass es dem BF nicht zugemutet werden könnte nach Afghanistan zurückzukehren. Für den erkennenden Richter waren beim BF keine Anzeichen bemerkbar, dass der BF seine Lebensführung, welche er in Österreich pflegte, derart verinnerlicht hätte, dass ein Ablegen der selben nicht zumutbar wäre. Bezüglich dem Vorbringen, dass dem BF in Afghanistan unislamischen Verhaltens vorgeworfen werden würde, so ist entgegenzuhalten, dass der BF noch vor dem BFA angab, zu beten und zu fasten. Somit liefe er auch nicht in Gefahr aufgrund fehlender Religionsausübung in den Fokus der Taliban oder anderer Gruppierungen zu geraten.
Insgesamt waren die Fluchtgründe des BF daher nicht als glaubhaft anzusehen.
Zu den Feststelllungen zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Da es in Afghanistan seit der Machtübernahme durch die Taliban zu großen Änderungen in fast allen Lebensbereichen kam, konnten die sich im Verwaltungsakt befindlichen bzw. die im Rahmen der Beschwerde und der Stellungnahme zu den vom Bundesverwaltungsgericht eingebrachten, oder vom BF vorgelegten Länderberichten zum Großteil nicht mehr als aktuell bzw. zutreffend angesehen werden.
Daher stützen sich die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat hauptsächlich auf die folgenden Quellen:
? Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der aktualisierten Version 5 vom 16.09.2021 (LIB)
? Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung von 19.12.2016 (LIB)
? Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung von 21.12.2017 (LIB)
? The Danisch Immigration Service, Country of Origin Information, Afghanistan “Recent developments in the security situation, impact on civilians and targeted individuals, September 2021 (Danish Immigration Service)
? WFP Afghanistan Situation Report, 3 November 2021
? UK Home Office Country Policy and Information Note Afghanistan: Security and humanitarian situation Afghanistan Country Policy Oktober 2021
? ACAPS Global Risk Analysis Oktober 2021
? Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 4. März 2016 zu
Afghanistan: Drohbriefe der Taliban
3. Rechtliche Beurteilung:
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zu A)
Spruchpunkt I. des Bescheides – Asyl gemäß §3 AsylG
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Begründete Furcht liegt vor, wenn diese objektiv nachvollziehbar ist und sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation ebenfalls aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 9.3.1999, 98/01/0370). Eine wohlbegründete Furcht liegt zudem nur dann vor, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH vom 30.8.2007, 2006/19/0400). Relevant ist eine Verfolgungsgefahr auch nur dann, wenn diese aktuell ist (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
Unter Verfolgung ist ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.6.1998, 96/20/0287). Eine Verfolgungshandlung ist nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt wurde, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären (vgl. VwGH 28.3.1995, 95/19/0041; 26.2.2002, 99/20/0509 mwN; 17.9.2003, 2001/20/0177). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen, infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt, nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH vom 22.3.2000, 99/01/0256 mwN).
Daraus folgt für den gegenständlichen Fall:
Dem BF ist es nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen. Wie in der Beweiswürdigung bereits erörtert wurde, war das Vorbringen bzgl. der Ermordung des Vaters und der Entführung des BF durch die Taliban nicht als glaubhaft anzusehen. Es konnte auch keine asylrelevante westliche Orientierung oder eine Ablehnung des Islams beim BF festgestellt werden.
Weiters bleibt im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu prüfen, ob er im Herkunftsland aufgrund generalisierender Merkmale, etwa wegen seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der Rückkehrer aus Europa, unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden „Gruppenverfolgung“ ausgesetzt wäre.
Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere