TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/22 W266 2150017-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.11.2021
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Entscheidungsdatum

22.11.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28

Spruch


W266 2150017-1/54E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Stephan WAGNER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt vom 14.02.2017, Zl. XXXX , wegen §§ 3, 8, 10 und 57 AsylG 2005 sowie §§ 46, 52 und 55 FPG 2005 nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II wird Folge gegeben und XXXX , geb. XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX , geb. XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr zuerkannt.

IV. Die Spruchpunkte III. und IV. werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) stellte am 17.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 19.09.2015 fand die asylrechtliche Erstbefragung des BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Der BF gab, befragt zu seinen Fluchtgründen, an, dass die Familie aufgrund von Problemen des Vaters mit den Taliban nach Pakistan geflüchtet sei. Da er aber Schiite sei, und diese in Pakistan getötet werden würden, habe er Pakistan verlassen. Nach Afghanistan könne er nicht zurück, da er Angst vor den Taliban habe. Weiters habe er in seinem Heimatdort vier Jahre lang eine Grundschule besucht, wobei er nicht lernfähig gewesen sei und sich nicht für die Schule interessiert hätte.

Am 08.02.2017 fand die niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich (BFA) statt, in welcher der BF im Wesentlichen angab, afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Moslem zu sein. Geboren und aufgewachsen sei er in der Provinz Ghazni, im Distrikt Jaghuri, im Dorf XXXX .

Befragt zu seinen Familienverhältnissen gab der BF vor dem BFA an, dass seine Familie, bestehend aus seinen Eltern, zwei Brüdern und einer Schwester, in Pakistan lebt. Weiters habe er vor drei Jahren geheiratet. Die Gattin sei 19 Jahre alt und stamme aus Pakistan. Der BF gab an, er habe mehrere Onkel, wobei zwei davon in seinem Heimatdorf und einer in Kabul leben würden. Er gab an, sein Vater habe vor zehn Jahren ein Grundstück in Herat gekauft, welches aber nicht genützt werden würde.

Zu den Fluchtgründen gab der BF an, dass sein Vater Mitglied der Partei „Hezb-e Wahdat“ gewesen sei und daher Probleme mit den Taliban gehabt hätte. Er gab an, dass er sich bei einer Rückkehr vor den Taliban fürchte, da er Hazara sei und diese von den Taliban verfolgt werden würden.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG (Spruchpunkt II) ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt IV).

Dagegen erhob der BF fristgerecht Beschwerde.

Die Beschwerde samt dem dazugehörigen Verwaltungsakt langte am 14.03.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 15.06.2018, am 05.12.2019, am 15.12.2020 und am 07.07.2021 öffentliche mündliche Verhandlungen in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und der Rechtsvertreter des BF durch, und holte ein psychiatrisches sowie ein psychologisches Gutachten ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, insbesondere der mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einvernahme des BF durch die belangte Behörde, der Beschwerde gegen den nunmehr angefochtenen Bescheid, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, den eingeholten Gutachten und der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt steht folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt fest:

Zur Person des BF:

Der BF führt den im Spruch angeführten Namen und das dort genannte Geburtsdatum. Er ist Staatsangehöriger Afghanistans, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islams. Seine Identität steht nicht fest.

Der BF ist in Afghanistan, in der Provinz Ghazni, Distrikt Jaghuri, im Dorf XXXX geboren und aufgewachsen. Mit circa 9 Jahren reiste die Familie des BF aus Afghanistan aus, worauf der BF 9 Jahre im Iran und ein Jahr in Pakistan lebte. Der BF spricht Dari und hat vier Jahre lang eine Schule besucht und kann nur geringfügig in seiner Muttersprache lesen und schreiben. Der BF hat in Afghanistan als Landarbeiter, in Pakistan als Bäcker, in Österreich als Reinigungskraft gearbeitet und war im Iran in einem Hühnerschlachthaus tätig.

Der BF ist ledig und hat keine Kinder. Seine Kernfamilie, bestehend aus seinen Eltern und seiner Schwester lebt in Pakistan. Es kann nicht festgestellt werden, wie viele Brüder des BF am Leben sind. Der BF hat auch sonst keine Verwandten mehr in Afghanistan, zumindest keine zu denen er noch Kontakt hat. Finanzielle Unterstützung durch Verwandte kann der BF ebenfalls nicht erwarten.

Der BF ist körperlich gesund und grundsätzlich arbeitsfähig. Der BF litt zumindest bis vor einem Jahr unter einer Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion. Hierfür nahm er Medikamente und war in ärztlicher Behandlung, wodurch sich sein Zustand verbesserte. Aktuell nimmt er keine Medikamente mehr. Weiters wurde beim BF ein IQ von 69 festgestellt, was einer leichten Intelligenzminderung entspricht (IQ 50-69). Der BF kann, solange er psychisch stabil ist, ohne fremde Unterstützung leben. Sollte es aber zu einer besonderen Belastung des BF kommen, benötigt er Unterstützung von Dritten.

Zu den Fluchtgründen und zu einer Rückkehr des BF:

Vorweggenommen wird, dass der BF auch Fluchtgründe vorbrachte, welche sich auf Pakistan beziehen. Da diese aber keine grenzüberschreitende Relevanz haben, begründen diese vorgebrachten Fluchtgründe keine asylrelevante Verfolgung im Heimatstaat Afghanistan.

Der BF wurde persönlich nicht von den Taliban bedroht. Auch hatte der Vater des BF keine konkreten Probleme mit den Taliban.

Auch bei einer Rückkehr besteht keine Gefahr einer Verfolgung durch die Taliban oder anderer Gruppierungen.

Der BF war in Afghanistan nicht Mitglied einer politischen Partei oder hat sich anderweitig politisch betätigt. Auch war der BF in Afghanistan zu keinem Zeitpunkt inhaftiert. Der BF hatte weiters in Afghanistan niemals Probleme mit Behörden oder sonstigen staatlichen Stellen.

Der BF wird weder aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung in asylrelevanter Intensität verfolgt.

Auch wäre der BF, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan, aufgrund der Tatsache, dass er sich einige Jahre in Europa aufgehalten hat, keiner psychischen und/oder physischen Gewalt oder anderen erheblichen Eingriffen ausgesetzt.

Im August 2021 kam es zur Machtübernahme der Taliban in Afghanistan. Verbunden damit sind unvorhersehbare Dynamiken, die alle Lebensbereiche der afghanischen Bürger betreffen. So kam es zu einer landesweiten deutlichen Verschlechterung der Versorgungslage. In Folge der Machtübernahme der Taliban wurden internationale Gelder eingefroren, wodurch es zu einem Bargeldmangel und dem Stopp von Hilfsprojekten kam. Hierdurch droht Afghanistan eine Finanzkrise, die die Wirtschaft zum Kollabieren bringen könnte. Aus der daraus entstandenen Inflation stiegen die Lebensmittelpreise für Grundnahrungsmittel seit der Machtübernahme der Taliban, während der durchschnittliche Haushalt über weniger Geld verfügt, wodurch es für immer mehr Menschen nicht mehr möglich sein wird, ihre existenziellen Grundbedürfnisse zu erfüllen. Mehr als der Hälfte der Bevölkerung Afghanistans droht für den kommenden Winter Lebensmittelunsicherheit und Hunger. Nur 5% der Bevölkerung haben jeden Tag ausreichend zu Essen. Weiters ist die Lebensmittelsituation nun zum ersten Mal auch in Städten ähnlich problematisch wie in ländlicheren Gegenden. Das World Food Programm fordert bis zum Ende von 2021 200 Millionen US$ um die drohende Hungerskrise bewältigen zu können. Zusätzlich kalkuliert das World Food Programm, dass es ab 2022 für jeden Monat einen Bedarf von 220 Millionen US$ hat. Mit dem Abzug der internationalen Truppen und der Machtübernahme der Taliban war auch ein rasanter Anstieg der Arbeitslosigkeit verbunden, da unter anderem der größte Arbeitgeber im Land, die Afghanische Nationalarmee, aufgelöst wurde. Dies ist insofern eklatant, als die Arbeitsmarktsituation schon bereits vor der Machtübernahme der Taliban eine besonders angespannte war.

Folglich droht in Afghanistan also eine humanitäre Krise, ausgelöst durch nationale Instabilität, Lebensmittelmangel, hoher Arbeitslosigkeit, einer Wirtschaftskrise und Inflation.

Der BF ist nicht mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut. Der BF hat nur eine geringfügige Schul- und Arbeitsausbildung erfahren, kann in seiner Muttersprache kaum lesen und schreiben und hat in seinem Leben bisher lediglich Hilfsarbeiten erledigt. Körperlich ist der BF zwar arbeitsfähig, er ist durch seine leichte Intelligenzminderung bei der Auswahl an möglichen Arbeiten jedoch signifikant eingeschränkt. Aufgrund seiner individuellen Situation und der nach der Machtübernahme der Taliban massiv schlechteren Wirtschafts-, Versorgungs- und Arbeitsmarktsituation, die sich, ausgehend von der aktuellen Berichtssituation in absehbarer Zeit nicht wesentlich verbessern wird, würde der BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine ausweglose Situation geraten, in der er nicht in der Lage wäre, seine grundlegenden existenziellen Bedürfnisse zu erfüllen.

Zum Leben des BF in Österreich:

Der BF reiste spätestens am 17.09.2015 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Er hält sich somit seit etwas mehr als sechs Jahren in Österreich auf. Er hat Deutschkurse besucht, hierfür jedoch nie eine Prüfung abgelegt bzw. ein Zertifikat erhalten. Der BF geht keiner erwerbsmäßigen Beschäftigung nach.

Der BF lebt in XXXX , Niederösterreich.

Der BF hat in Österreich keine Familienangehörigen, hat aktuell auch keine Lebensgefährtin oder Freundin. Der BF hat zumindest zwei Freunde in Österreich. Mit diesen spielt er Fußball, trifft sich mit ihnen im Park oder sie besuchen ihn in seinem Heim. Weiters geht der BF gerne mehrere Stunden spazieren und verrichtet Reinigungsarbeiten in seiner Unterkunft.

Der BF ist in Österreich nicht Mitglied in einem Verein, einer politischen Partei oder einer anderen Organisation.

Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Sicherheitslage - Letzte Änderung: 16.09.2021

Jüngste Entwicklungen - Machtübernahme der Taliban

Mit April bzw. Mai 2021 nahmen die Kampfhandlungen zwischen Taliban und Regierungstruppen stark zu, aber auch schon zuvor galt die Sicherheitslage in Afghanistan als volatil. Laut Berichten war der Juni 2021 der bis dahin tödlichste Monat mit den meisten militärischen und zivilen Opfern seit 20 Jahren in. Gemäß einer Quelle veränderte sich die Lage seit der Einnahme der ersten Provinzhauptstadt durch die Taliban - Zaranj in Nimruz - am 6.8.2021 in „halsbrecherischer Geschwindigkeit“, innerhalb von zehn Tagen eroberten sie 33 der 34 afghanischen Provinzhauptstädte. Auch eroberten die Taliban mehrere Grenzübergänge und Kontrollpunkte, was der finanziell eingeschränkten Regierung dringend benötigte Zolleinnahmen entzog. Am 15.8.2021 floh Präsident Ashraf Ghani ins Ausland und die Taliban zogen kampflos in Kabul ein. Zuvor waren schon Jalalabad im Osten an der Grenze zu Pakistan gefallen, ebenso wie die nordafghanische Metropole Mazar-e Scharif. Ein Bericht führt den Vormarsch der Taliban in erster Linie auf die Schwächung der Moral und des Zusammenhalts der Sicherheitskräfte und der politischen Führung der Regierung zurück. Die Kapitulation so vieler Distrikte und städtischer Zentren ist nicht unbedingt ein Zeichen für die Unterstützung der Taliban durch die Bevölkerung, sondern unterstreicht vielmehr die tiefe Entfremdung vieler lokaler Gemeinschaften von einer stark zentralisierten Regierung, die häufig von den Prioritäten ihrer ausländischen Geber beeinflusst wird, auch wurde die weit verbreitete Korruption, beispielsweise unter den Sicherheitskräften, als ein Problem genannt (LIB).

Im Panjshir-Tal, rund 55 km von Kabul entfernt, formierte sich nach der Machtübernahme der Taliban in Kabul Mitte August 2021 Widerstand in Form der National Resistance Front (NRF), welche von Amrullah Saleh, dem ehemaligen Vizepräsidenten Afghanistans und Chef des National Directorate of Security [Anm.: NDS, afghan. Geheimdienst], sowie Ahmad Massoud, dem Sohn des verstorbenen Anführers der Nordallianz gegen die Taliban in den 1990ern, angeführt wird. Ihr schlossen sich Mitglieder der inzwischen aufgelösten Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) an, um im Panjshir-Tal und umliegenden Distrikten in Parwan und Baghlan Widerstand gegen die Taliban zu leisten. Sowohl die Taliban, als auch die NRF betonten zu Beginn, ihre Differenzen mittels Dialog überwinden zu wollen. Nachdem die US-Streitkräfte ihren Truppenabzug aus Afghanistan am 30.8.2021 abgeschlossen hatten, griffen die Taliban das Pansjhir-Tal jedoch an. Es kam zu schweren Kämpfen und nach sieben Tagen nahmen die Taliban das Tal nach eigenen Angaben ein, während die NRF am 6.9.2021 bestritt, dass dies geschehen sei. Mit Stand 6.9.2021 war der Aufenthaltsort von Saleh und Massoud unklar, jedoch verkündete Massoud, in Sicherheit zu sein sowie nach Absprachen mit anderen Politikern eine Parallelregierung zu der von ihm als illegitim bezeichneten Talibanregierung bilden zu wollen (LIB).

Weitere Kampfhandlungen gab es im August 2021 beispielsweise im Distrikt Behsud in der Provinz Maidan Wardak und in Khedir in Daikundi, wo es zu Scharmützeln kam, als die Taliban versuchten, lokale oder ehemalige Regierungskräfte zu entwaffnen. Seit der Beendigung der Kämpfe zwischen den Taliban und den afghanischen Streitkräften ist die Zahl der zivilen Opfer deutlich zurückgegangen (LIB).

Internationaler Flughafen Hamid Karzai [Internationaler Flughafen Kabul]

Mit der Machtübernahme der Taliban Mitte August 2021 wurden internationale Flüge eingestellt. Gemäß Ankündigung vom 11.9.2021 plant eine pakistanische Fluggesellschaft, wieder Linienflüge nach Kabul aufzunehmen (GN 11.9.2021).

Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in „Internationaler Flughafen Hamid Karzai“ umbenannt. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Ein neues internationales Terminal wurde hinzugefügt und das alte Terminal wird nun für nationale Flüge benutzt (LIB).

Die Taliban haben Katar um technische Hilfe bei der Wiederaufnahme des Flughafenbetriebs auf dem Hamid-Karzai-Flughafen gebeten, der bei der überstürzten Evakuierung von mehr als 120.000 Menschen nach dem Abzug der amerikanischen Truppen am 30. August schwer beschädigt worden war. Vertreter aus Katar erklärten Anfang September, der Flughafen von Kabul sei zu 90 % wieder betriebsbereit (LIB).

Nationale (Kam Air, Ariana Afghan Airlines) und internationale Fluggesellschaften (z.B. Air India, Air Arabia, Fly Dubai…) boten [vor der Machtübernahme der Taliban] internationale Flüge von der Türkei, China, Indien, Aserbaidschan, Usbekistan, Pakistan, Saudi-Arabien, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Kabul an. Innerstaatlich gingen Flüge von und nach Kabul (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen von Kandahar, Bost (Helmand, nahe Lashkargah), Tarinkot, Faizabad, Zaranj, Kunduz, Farah, Herat und Mazar-e Sharif (LIB).

Nach der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021

Nachdem die Taliban die Kontrolle über Afghanistan übernommen haben, sind Tausende von Menschen über die Grenze von Chaman ins benachbarte Pakistan oder über den Grenzübergang Islam Kala in den Iran geflohen. Der Grenzübergang Torkham - neben Chaman der wichtigste Grenzübergang zwischen Afghanistan und Pakistan - war zeitweilig geschlossen, wurde Mitte September 2021 nach Angaben eines pakistanischen Behördenvertreters für Fußgänger jedoch wieder geöffnet. Ein ehemaliger US-Militärvertreter erklärte Anfang September 2021, Überlandverbindungen seien riskant, aber zurzeit die einzige Möglichkeit zur Flucht. Laut US-Militärkreisen haben die Taliban weitere Kontrollpunkte auf den Hauptstraßen nach Usbekistan und Tadschikistan errichtet. Die Islamisten verbieten zudem Frauen, ohne männliche Begleitung zu reisen (LIB)

Hazara - Letzte Änderung: 16.09.2021

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt; der Hazarajat [zentrales Hochland] umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz (Maidan) Wardak sowie Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (LIB).

Viele Hazara leben unter anderem in Stadtvierteln im Westen der Stadt Kabul, insbesondere in Kart-e Se, Dasht-e Barchi sowie in den Stadtteilen Kart-e Chahar, Deh Buri , Afshar und Kart-e Mamurin (LIB).

Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild. Ethnische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer-Schiiten, auch bekannt als Jafari Schiiten. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazarajat lebt, ist ismailitisch. Ismailitische Muslime, die vor allem, aber nicht ausschließlich, Hazara sind, leben hauptsächlich in Kabul sowie den zentralen und nördlichen Provinzen Afghanistans (LIB).

Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft [1996-2001] besonders verfolgt waren, hat sich [bis zur erneuten Machtübernahme durch die Taliban im August 2021] grundsätzlich verbessert. Sie wurden jedoch weiterhin am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, fanden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung (LIB).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan. Sollte der dem Haushalt vorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin bis der älteste Sohn volljährig ist. Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen (LIB).

Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht (LIB).

Während des gesamten Jahres 2020 und auch 2021 setzte der ISKP seine Angriffe auf schiitische Gemeinschaften, vorwiegend Hazara, fort. Am 6.3.2021 griffen Bewaffnete eine Zeremonie in Kabul an, an der hauptsächlich schiitische Hazara teilnahmen, und töteten 32 Personen. Am 24.10.2021 tötete ein Selbstmordattentäter in einem Bildungszentrum in einem Hazara-Viertel von Kabul 40 Personen und verwundete 72 weitere. Der ISKP bekannte sich dazu. Viele der Opfer waren zwischen 15 und 26 Jahre alt. Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen wie im Mai 2021, als eine Autobombe vor einer Mädchenschule in Dasht-e Barchi explodierte, wobei 58 Personen, darunter Schülerinnen, getötet und mehr als 100 verletzt wurden. Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten in Syrien durchgeführt (LIB).

In Randgebieten des Hazarajat kommt es immer wieder zu Spannungen und teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und sesshaften Landwirten, oftmals Hazara (LIB).

Im Juli 2021 berichtete AI (Amnesty International) über die Tötung von neun Angehörigen der Hazara in der Provinz Ghazni. AI nimmt an, dass diese Tötungen nur einen winzigen Bruchteil der gesamten Todesopfer durch die Taliban darstellen, da die Gruppe in vielen Gebieten, die sie kürzlich erobert hat, die Mobilfunkverbindung gekappt hat und kontrolliert, welche Fotos und Videos aus diesen Regionen verbreitet werden (LIB).

Ethnische Minderheiten wie Hazara, die schiitische Muslime sind, wurden laut SER noch nicht Opfer von Massakern, und letztere durften in Woche 33 einen religiösen Feiertag, Ashura, feiern. Zukunftsprognose: Sie werden zweifellos in Zukunft diskriminiert und möglicherweise auch Gewalt ausgesetzt sein, und es ist nicht bekannt, inwieweit sie ihre Religion künftig ungehindert ausüben dürfen, da die Taliban die Hazaras als Ungläubige betrachten. Ihre Verwundbarkeit wird dadurch erhöht, dass diese vermehrt auch für Westmächte gearbeitet haben (Danish Immigration Service)

Grundversorgung und Wirtschaft - Letzte Änderung: 14.09.2021

Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2020 lediglich Platz 169 von 189 des Human Development Index. Die afghanische Wirtschaft ist stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Jedoch konnte die vormalige afghanische Regierung seit der Fiskalkrise des Jahres 2014 ihre Einnahmen deutlich steigern (LIB).

Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90% der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft, wobei der landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hatte (Industrie: 24,1%, tertiärer Sektor: 53,1%; WB 7.2019). Rund 45% aller Beschäftigen arbeiten im Agrarsektor, 20% sind im Dienstleistungsbereich tätig (LIB).

Afghanistan erlebte von 2007 bis 2012 ein beispielloses Wirtschaftswachstum. Während die Gewinne dieses Wachstums stark konzentriert waren, kam es in diesem Zeitraum zu Fortschritten in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Seit 2014 verzeichnet die afghanische Wirtschaft ein langsames Wachstum (im Zeitraum 2014-2017 durchschnittlich 2,3%, 2003-2013: 9%) was mit dem Rückzug der internationalen Sicherheitskräfte, der damit einhergehenden Kürzung der internationalen Zuschüsse und einer sich verschlechternden Sicherheitslage in Verbindung gebracht wird. Im Jahr 2018 betrug die Wachstumsrate 1,8%. Das langsame Wachstum wird auf zwei Faktoren zurückgeführt: einerseits hatte die schwere Dürre im Jahr 2018 negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, andererseits verringerte sich das Vertrauen der Unternehmer und Investoren. Das Wirtschaftswachstum konnte sich zuletzt aufgrund der besseren Witterungsbedingungen für die Landwirtschaft erholen und lag 2019 laut Weltbank-Schätzungen bei 2,9% (LIB).

Nach der Machtübernahme der Taliban bleiben die Banken geschlossen, so haben die Vereinigten Staaten der Taliban-Regierung den Zugang zu praktisch allen Reserven der afghanischen Zentralbank in Höhe von 9 Mrd. $ (7,66 Mrd. €) verwehrt, die größtenteils in den USA gehalten werden. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) hat Afghanistan nach der Eroberung Kabuls durch die Taliban den Zugang zu seinen Mitteln verwehrt (LIB).

Da keine neuen Dollarlieferungen zur Stützung der Währung ankommen, ist die afghanische Währung auf ein Rekordtief gefallen (LIB).

Dürre und Überschwemmungen

Starke Regenfälle haben im Mai 2021 mehrere Provinzen Afghanistans, insbesondere Herat, heimgesucht und Sturzfluten und Überschwemmungen verursacht, die zu Todesopfern und Schäden führten. Die am stärksten betroffenen Provinzen sind Herat, Ghor, Maidan Wardak, Baghlan, Samangan, Khost, Bamyan, Daikundi und Badakhshan. Medienberichten zufolge sind in der Provinz Herat bis zu 37 Menschen ums Leben gekommen, Hunderte wurden vertrieben und mehr als 150 Häuser wurden zerstört. 405 Familien wurden landesweit aus ihren Häusern vertrieben (LIB).

Armut und Lebensmittelunsicherheit - Letzte Änderung: 14.09.2021

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die COVID-19-Pandemie stetig weiter verschärft. Es wird erwartet, dass 2021 bis zu 18,4 Millionen Menschen (2020: 14 Mio Menschen) auf humanitäre Hilfe angewiesen sein werden (LIB).

Da keine neuen Dollarlieferungen eintreffen, um die Währung zu stützen, ist die afghanische Währung auf ein Rekordtief gefallen und hat die Preise in die Höhe getrieben. Die Preise für Grundnahrungsmittel wie Mehl, Öl und Reis sind innerhalb weniger Tage um bis zu 10-20 % gestiegen (LIB).

Wohnungsmarkt und Lebenserhaltungskosten - Letzte Änderung: 14.09.2021

Vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 lag die Miete für eine Wohnung im Stadtzentrum von Kabul durchschnittlich zwischen 200 USD und 350 USD im Monat. Für einen angemessenen Lebensstandard musste zudem mit durchschnittlichen Lebenshaltungskosten von bis zu 350 USD pro Monat (Stand 2020) gerechnet werden. Auch in Mazar-e Sharif standen zahlreiche Wohnungen zur Miete zur Verfügung. Die Höhe des Mietpreises für eine drei-Zimmer-Wohnung in Mazar-e Sharif schwankte unter anderem je nach Lage zwischen 100 USD und 300 USD monatlich. Einer anderen Quelle zufolge lagen die Kosten für eine einfache Wohnung in Afghanistan ohne Heizung oder Komfort, aber mit Zugang zu fließenden Wasser, sporadisch verfügbarer Elektrizität, einer einfachen Toilette und einer Möglichkeit zum Kochen zwischen 80 USD und 100 USD im Monat. Es existieren auch andere Unterbringungsmöglichkeiten wie Hotels und Teehäuser, die etwa von Tagelöhnern zur Übernachtung genutzt werden. Auch eine Person, welche in Afghanistan über keine Familie oder Netzwerk verfügt, sollte in der Lage sein, dort Wohnraum zu finden - vorausgesetzt die Person verfügt über die notwendigen finanziellen Mittel. Private Immobilienunternehmen in den Städten informieren über Mietpreise für Häuser und Wohnungen (LIB).

Wohnungszuschüsse für sozial Benachteiligte oder Mittellose existieren in Afghanistan nicht. Allgemein lässt sich sagen, dass die COVID-19-Pandemie keine besonderen Auswirkungen auf die Miet- und Kaufpreise in Kabul hatte. Die Mieten sind nicht gestiegen und aufgrund der momentanen wirtschaftlichen Unsicherheit sind die Kaufpreise von Häusern eher gesunken (LIB).

Betriebs- und Nebenkosten wie Wasser und Strom kosteten vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 in der Regel nicht mehr als 40 USD pro Monat. Abhängig vom Verbrauch konnten die Kosten allerdings höher liegen. Die Kosten in der Innenstadt Kabuls waren höher. In ländlichen Gebieten konnte man mit mind. 50% weniger Kosten für die Miete und den Lebensunterhalt rechnen (LIB).

Arbeitsmarkt - Letzte Änderung: 16.09.2021

Vor der Machtübernahme durch die Taliban war der Arbeitsmarkt durch eine niedrige Erwerbsquote, hohe Arbeitslosigkeit sowie Unterbeschäftigung und prekäre Arbeitsverhältnisse charakterisiert. 80% der afghanischen Arbeitskräfte befanden sich in „prekären Beschäftigungsverhältnissen“, mit hoher Arbeitsplatzunsicherheit und schlechten Arbeitsbedingungen. Schätzungsweise 16% der prekär Beschäftigten waren Tagelöhner, von denen sich eine unbestimmte Zahl an belebten Straßenkreuzungen der Stadt versammelt und nach Arbeit sucht, die, wenn sie gefunden wird, ihren Familien nur ein Leben von der Hand in den Mund ermöglicht (LIB).

Nach Angaben der Weltbank ist die Arbeitslosenquote innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung in den letzten Jahren zwar gesunken, bleibt aber auf hohem Niveau und dürfte wegen der COVID19-Pandemie wieder steigen ebenso wie die Anzahl der prekär Beschäftigten (LIB).

Schätzungen zufolge sind rund 67% der Bevölkerung unter 25 Jahren alt. Am Arbeitsmarkt müssen jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neuankömmlinge in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Somit treten jedes Jahr sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftigungsmöglichkeiten bislang aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können (LIB).

Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Es gibt einen großen Anteil an Selbstständigen und mithelfenden Familienangehörigen, was auf das hohe Maß an Informalität des Arbeitsmarktes hinweist, welches mit der Bedeutung des Agrarsektors in der Wirtschaft einhergeht. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne Netzwerke ist die Arbeitssuche schwierig. Bei Ausschreibung einer Stelle in einem Unternehmen gibt es in der Regel eine sehr hohe Anzahl an Bewerbungen und durch persönliche Kontakte und Empfehlungen wird mitunter Einfluss und Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt. Eine im Jahr 2012 von der ILO durchgeführte Studie über die Beschäftigungsverhältnisse in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten als formelle Qualifikationen. Analysen der norwegischen COI-Einheit Landinfo zufolge gibt es keine Hinweise, dass sich die Situation seit 2012 geändert hätte (LIB).

Neben einer mangelnden Arbeitsplatzqualität ist auch die große Anzahl an Personen im wirtschaftlich abhängigen Alter (insbes. Kinder) ein wesentlicher Armutsfaktor: Die Notwendigkeit, das Einkommen von Erwerbstätigen mit einer großen Anzahl von Haushaltsmitgliedern zu teilen, führt oft dazu, dass die Armutsgrenze unterschritten wird, selbst wenn Arbeitsplätze eine angemessene Bezahlung bieten würden. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind (LIB).

Ungelernte Arbeiter erwirtschaften ihr Einkommen als Tagelöhner, Straßenverkäufer oder durch das Betreiben kleiner Geschäfte. Der Durchschnittslohn für einen ungelernten Arbeiter ist unterschiedlich, für einen Tagelöhner beträgt er etwa 5 USD pro Tag. Während der COVID-19-Pandemie ist die Situation für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftszweige durch die Sperr- und Restriktionsmaßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ beeinflusst wurden. Kleine und große Unternehmen boten in der Regel direkte Arbeitsmöglichkeiten für Tagelöhner (LIB).

Medizinische Versorgung - Letzte Änderung: 16.09.2021

In einem Bericht aus dem Jahr 2018 kommt die Weltbank zu dem Schluss, dass sich die Gesundheitsversorgung in Afghanistan im Zeitraum 2004-2010 deutlich verbessert hat, während sich die Verbesserungen im Zeitraum 2011-2016 langsamer fortsetzten. Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit gab es deutliche Verbesserungen. Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Behandlung durch Mangel an gut ausgebildetem medizinischem Personal und Medikamenten, Missmanagement und maroder Infrastruktur begrenzt und korruptionsanfällig (LIB).

Der Konflikt, COVID-19 und unzureichende Investitionen in die Infrastruktur treiben den Gesundheitsbedarf an und verhindern, dass die betroffenen Menschen rechtzeitig sichere, ausreichend ausgestattete Gesundheitseinrichtungen und -dienste erhalten. Gleichzeitig haben der aktive Konflikt und gezielte Angriffe der Konfliktparteien auf Gesundheitseinrichtungen und -personal zur periodischen, verlängerten oder dauerhaften Schließung wichtiger Gesundheitseinrichtungen geführt, wovon in den ersten zehn Monaten des Jahres 2020 bis zu 1,2 Millionen Menschen in mindestens 17 Provinzen betroffen waren (LIB).

Die Lebenserwartung ist in Afghanistan von 50 Jahren im Jahr 1990 auf 64 Jahre im Jahr 2018 gestiegen (LIB).

Bis zur Machtübernahme der Taliban im August 2021 wurden 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan nicht direkt vom Staat erbracht, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die unter Vertrag genommen werden (LIB).

Eine Quelle spricht von 641 Krankenhäusern bzw. Gesundheitseinrichtungen in Afghanistan, wobei 181 davon öffentliche und 460 private Krankenhäuser sind. Die genaue Anzahl der Gesundheitseinrichtungen in den einzelnen Provinzen ist nicht bekannt. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghaninnen und Afghanen schwierig, überhaupt eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2017, die den Zustand der öffentlichen Gesundheitseinrichtungen untersuchte, wiesen viele Gesundheitszentren im ganzen Land immer noch große Mängel auf, darunter bauliche und wartungsbedingte Probleme, schlechte Hygiene- und Sanitärbedingungen, wobei ein Viertel der Einrichtungen nicht über Toiletten verfügte, vier von zehn Gesundheitseinrichtungen kein Trinkwassersystem hatten und eine von fünf Einrichtungen keinen Strom hatte. Es gab nicht genügend Krankenwagen und viele Gesundheitseinrichtungen berichteten über einen Mangel an medizinischer Ausrüstung und Material (LIB).

Insbesondere die COVID-19-Pandemie offenbarte die Unterfinanzierung und Unterentwicklung des öffentlichen Gesundheitssystems, das akute Defizite in der Prävention (Schutzausrüstung), Diagnose (Tests) und medizinischen Versorgung der Kranken aufweist. Die Verfügbarkeit und Qualität der Basisversorgung ist durch den Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenten (insbesondere Hebammen), den Mangel an Medikamenten, schlechtes Management und schlechte Infrastruktur eingeschränkt. Darüber hinaus herrscht in der Bevölkerung ein starkes Misstrauen gegenüber der staatlich finanzierten medizinischen Versorgung. Die Qualität der Kliniken ist sehr unterschiedlich. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen (LIB).

Neben dem öffentlichen Gesundheitssystem gibt es auch einen weitverbreiteten, aber teuren privaten Sektor. Trotz dieser höheren Kosten wird berichtet, dass über 60% der Afghanen private Gesundheitszentren als Hauptansprechpartner für Gesundheitsdienstleistungen nutzen. Vor allem Afghanen, die außerhalb der großen Städte leben, bevorzugen die private Gesundheitsversorgung wegen ihrer wahrgenommenen Qualität und Sicherheit, auch wenn die dort erhaltene Versorgung möglicherweise nicht von besserer Qualität ist als in öffentlichen Einrichtungen (LIB).

Psychische Erkrankungen - Letzte Änderung: 14.09.2021

Viele Menschen innerhalb der afghanischen Bevölkerung leiden unter verschiedenen psychischen Erkrankungen als Folge des andauernden Konflikts, Naturkatastrophen, endemischer Armut und der COVID-19-Pandemie (LIB).

In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen oder psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden - genauso wie Kranke und Alte - gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gesellschaftliche Unterstützung sicherstellen. Die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - findet, abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs, nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt. Es gibt keine formelle Aus- oder Weiterbildung zur Behandlung psychischer Erkrankungen. Neben Problemen beim Zugang zu Behandlungen bei psychischen Erkrankungen, bzw. dem Mangel an spezialisierter Gesundheitsversorgung, sind falsche Vorstellungen der Bevölkerung über psychische Erkrankungen ein wesentliches Problem. Psychische Erkrankungen sind in Afghanistan hoch stigmatisiert. Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam; so existiert z.B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik (LIB).

Der Zugang zu psychischer Gesundheitsversorgung oder psychosozialer Unterstützung bleibt für viele unerreichbar, insbesondere in ländlichen Gebieten. Obwohl psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützungsdienste (Mental Health and Psychosocial Support Services, MHPSS) in das nationale Basic Package of Health Services (BPHS) und Essential Package of Hospital Services (EPHS) integriert wurden, stehen landesweit nur 320 Krankenhausbetten im öffentlichen und privaten Sektor für Menschen mit psychischen Problemen zur Verfügung (UNOCHA 19.12.2020; vgl. WHO o.D.).

Patienten werden bei stationärer Behandlung in psychiatrischen Krankenhäusern in Afghanistan nur in Begleitung eines Verwandten aufgenommen. Der Verwandte muss sich um den Patienten kümmern und für diesen beispielsweise Medikamente und Nahrungsmittel kaufen. Zudem muss der Angehörige den Patienten gegebenenfalls vor anderen Patienten beschützen, oder im umgekehrten Fall bei aggressivem Verhalten des Verwandten die übrigen Patienten schützen. Die Begleitung durch ein Familienmitglied ist in allen psychiatrischen Einrichtungen Afghanistans aufgrund der allgemeinen Ressourcenknappheit bei der Pflege der Patienten notwendig. Aus diesem Grund werden Personen ohne einen Angehörigen selbst in Notfällen in psychiatrischen Krankenhäusern nicht stationär aufgenommen (LIB).

COVID-19

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt. Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium durchgeführten Umfrage hatten mit Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan seit März 2020 Anzeichen und Symptome von COVID-19 gehabt. Bis zum 17.3.2021 wurden der WHO 56.016 bestätigte Fälle von COVID-19 mit 2.460 Todesfällen gemeldet (LIB), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein vielfaches höher eingeschätzt wird. Bis zum 10.3.2021 wurden insgesamt 34.743 Impfstoffdosen verabreicht. Die Zahl der täglich neu bestätigten COVID-19-Fälle in Afghanistan ist in den Wochen nach dem Eid al-Fitr-Fest Mitte Mai 2021 stark angestiegen und übertrifft die Spitzenwerte, die zu Beginn des Ausbruchs im Land verzeichnet wurden. Die gestiegene Zahl der Fälle belastet das Gesundheitssystem weiter. Gesundheitseinrichtungen berichten von Engpässen bei medizinischem Material, Sauerstoff und Betten für Patienten mit COVID-19 und anderen Krankheiten (LIB).

Einige der Regional- und Provinzkrankenhäuser in den Großstädten wurden im Hinblick auf COVID-19 mit Test- und Quarantäneeinrichtungen ausgestattet. Menschen mit Anzeichen von COVID-19 werden getestet und die schwer Erkrankten im Krankenhaus in Behandlung genommen. Die Kapazität solcher Krankenhäuser ist jedoch aufgrund fehlender Ausrüstung begrenzt. In den anderen Provinzen schicken die Gesundheitszentren, die nicht über entsprechende Einrichtungen verfügen, die Testproben in die Hauptstadt und geben die Ergebnisse nach sechs bis zehn Tagen bekannt. Im Großteil der Krankenhäuser werden nur grundlegende Anweisungen und Maßnahmen empfohlen, es gibt keine zwingenden Vorschriften, und selbst die Infizierten erfahren nur grundlegende und normale Behandlung (LIB).

Nach der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021

Angesichts der jüngsten Entwicklungen hat die Weltbank alle Hilfen für Afghanistan eingefroren. Mehr 2.500 Gesundheitseinrichtungen und die Gehälter von mehr als 2.000 Beschäftigten im Gesundheitswesen, die im Rahmen des von der Weltbank kofinanzierten Sehatmandi-Projekts unterstützt werden, werden davon betroffen sein. Derzeit sind mehr als 3.800 Gesundheitseinrichtungen, die im Rahmen des Projekts unterstützt wurden, ganz oder teilweise nicht funktionsfähig. Die NGOs, die das Projekt durchführen, haben jedoch die Umsetzung reduziert, was zur sofortigen Aussetzung einiger Dienste in den Gesundheitseinrichtungen, einschließlich Überweisungen und ambulanter Essensversorgung führte. Einige wenige Gesundheitseinrichtungen, die im Rahmen des Projekts unterstützt wurden, verfügen über genügend medizinische Vorräte um die Versorgung für einige Monate aufrechtzuerhalten. In Ermangelung einer ausreichenden Finanzierung könnte die Kürzung der Hilfe Hunderttausende Afghanen ohne medizinische Versorgung zurücklassen und unverhältnismäßig viele Frauen betreffen. Angesichts der Blockade des Flughafens Kabul rufen WHO und UNICEF zur Unterstützung bei der Lieferung wichtiger medizinischer Güter nach Afghanistan auf (LIB).

Rückkehr - Letzte Änderung: 16.09.2021

IOM (Internationale Organisation für Migration) verzeichnete im Jahr 2020 die bisher größte Rückkehr von undokumentierten afghanischen Migranten. Von den mehr als 865.700 Afghanen, die im Jahr 2020 nach Afghanistan zurückkehrten, kamen etwa 859.000 aus dem Iran und schätzungsweise 6.700 aus Pakistan (LIB).

Im Jahr 2021 wurden bis August 759.046 undokumentierte Rückkehrer verzeichnet (LIB).

Die Wiedervereinigung mit der Familie wird meist zu Beginn von Rückkehrern als positiv empfunden und ist von großer Wichtigkeit im Hinblick auf eine erfolgreiche Reintegration. Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich, da es ohne familiäre Netzwerke sehr schwer sein kann, sich selbst zu erhalten. Eine Person ohne familiäres Netzwerk ist jedoch die Ausnahme und der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk. Einige wenige Personen verfügen über keine Familienmitglieder in Afghanistan, da diese entweder in den Iran, nach Pakistan oder weiter nach Europa migrierten. Der Reintegrationsprozess der Rückkehrer ist oft durch einen schlechten psychosozialen Zustand charakterisiert. Viele Rückkehrer sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Rückkehrerinnen sind von diesen Problemen im Besonderen betroffen. Aufgrund der Sicherheitslage ist es Rückkehrern nicht immer möglich, in ihre Heimatorte zurückzukehren (LIB).

Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kollegen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Haben die Rückkehrer lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren (LIB).

„Erfolglosen“ Rückkehrern aus Europa haftet oft das Stigma des „Versagens“ an. Wirtschaftlich befinden sich viele der Rückkehrer in einer schlechteren Situation als vor ihrer Flucht nach Europa, was durch die aktuelle Situation im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie noch verschlimmert wird. Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Dem deutschen Auswärtigen Amt sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden und auch IOM Kabul sind keine solchen Vorkommnisse bekannt. Andere Quellen geben jedoch an, dass es zu tätlichen Angriffen auf Rückkehrer gekommen sein soll, wobei dies auch im Zusammenhang mit einem fehlenden Netzwerk vor Ort gesehen wird. UNHCR berichtet von Fällen zwangsrückgeführter Personen aus Europa, die von religiösen Extremisten bezichtigt werden, verwestlicht zu sein; viele werden der Spionage verdächtigt. Auch glaubt man, Rückkehrer aus Europa wären reich und sie würden die Gastgebergemeinschaft ausnutzen. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB).

Viele afghanische Rückkehrer werden de facto IDPs, weil die Konfliktsituation sowie das Fehlen an gemeinschaftlichen Netzwerken sie daran hindert, in ihre Heimatorte zurückzukehren. Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbst gebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB).

IOM hat aufgrund der aktuellen Lage vor Ort die Option der Unterstützung der Freiwilligen Rückkehr und Reintegration seit 16.8.2021 für Afghanistan bis auf Weiteres weltweit ausgesetzt. Es können somit derzeit keine freiwilligen Rückkehrer aus Österreich nach Afghanistan im Rahmen des Projektes RESTART III unterstützt werden. Zu Tätigkeiten vor Ort im Rahmen anderer Projekte (RADA, etc.) kann derzeit noch keine Rückmeldung gegeben werden (LIB).

2. Beweiswürdigung:

Zu den Feststellungen zur Person des BF:

Die Feststellungen zur Person des BF ergeben sich aus dessen bisherigen Angaben im Verfahren. Die Nichtfeststellbarkeit der Identität des BF gründet sich auf das Fehlen von unbedenklichen Identitätsdokumente.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des BF, dessen Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit, dessen Schulbildung und Arbeitserfahrung gründen sich auf dessen diesbezüglich glaubhaften Angaben. Der erkennende Richter hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des BF zu zweifeln.

Der BF gab vor dem BFA an, dass er in Pakistan heiratete. Dies revidierte er jedoch, indem er bei der mündlichen Verhandlung am 07.07.2021 angab, noch nie verheiratet gewesen zu sein. Weiters gab er vor einem der behandelnden Ärzte an, dass er gesehen habe, wie sein Bruder gestorben sei. Auch diese Aussage revidierte der BF bei der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2020 und gab an, dass er dies nie gesagt habe. Im Zuge des psychologischen Gutachtens vom 07.04.2021 gab er dazu wiederum an, dass sein Bruder in Pakistan an einer Krankheit innerhalb kurzer Zeit verstorben sei. Aufgrund der widersprüchlichen Angaben konnte nicht festgestellt werden, wie viele Brüder des BF nun am Leben sind.

Der BF machte widersprüchliche Angaben, wie lange er im Iran bzw. in Pakistan lebte. So gab er in der Erstbefragung an, dass er 8 Jahre in Pakistan und 2 Jahre im Iran lebte. In der mündlichen Verhandlung vom 07.07.2021 gab er an, 9 Jahre im Iran und 1 Jahr in Pakistan gelebt zu haben. Da der BF bei Gesprächen vielfach iranische Ausdrücke verwendete, ergab sich der Eindruck, dass der längere Aufenthalt im Iran und nicht in Pakistan gewesen ist, wodurch der Aussage über seine Aufenthalte im Ausland vom 07.07.2021 gefolgt wird.

Die Feststellungen zum physischen und psychischen Gesundheitszustandes des BF ergeben sich aus dessen Angaben, den Gutachten vom 10.12.2018 und vom 07.04.2021 und dem persönlichen Eindruck des Richters in den mündlichen Verhandlungen.

Wenn der Rechtsvertreter des BF die Einvernahmefähigkeit des BF bezweifelt, so ist entgegenzuhalten, dass der erkennende Richter während den mündlichen Verhandlung und in Übereinstimmung mit den eingeholten Gutachten den Eindruck gewinnen konnte, dass der BF sehr wohl die ihm gestellten Fragen inhaltlich und kontextuell erfassen konnte. Auch wenn der Dolmetscher angab, dass vieles vom BF gesagte unverständlich sei, bzw. er sich oft wiederhole, so war doch eindeutig zu erkennen, dass der BF zumindest zum Großteil Antworten gab, die zur gestellten Frage passen und somit ein insgesamt stimmiges Gesamtbild vermittelten. Der erkennende Richter hat jedoch den Eindruck gewonnen, dass der BF sich der Tragweite von gewissen Fragen und seinen Antworten nicht bewusst war, bzw. er diese teilweise zu sehr auf die leichte Schulter nahm, wodurch es notwendig war, bei Antworten auf gewisse Fragen einen Maßstab anzusetzen, der an die Vielschichtigkeit der Frage angepasst ist.

Wenn der BF gefragt wurde, ob er bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine finanzielle Unterstützung durch Verwandte erwarten könnte, so gab der BF an, dass „es … nicht um das finanzielle [geht], es geht um die Sicherheit.“ Auch wenn der BF wiederholt nach einer Unterstützung durch Verwandte gefragt wurde, so verweist er nur weiter darauf, dass er nicht nach Afghanistan könne, da es dort unsicher sei. Daraus ergibt sich der persönliche Eindruck beim erkennenden Richter, dass der BF grundsätzlich nicht darüber Bescheid weiß, ob er wirklich eine finanzielle Unterstützung erhalten würde, bzw. er sich auch nicht vollkommen bewusst ist, warum diese Frage für seine Rückkehr von Relevanz sei. Auch wenn daher die Antworten des BF dahin gedeutet werden könnten, dass finanzielle Unterstützung kein Problem wäre und er diese sohin auch sicher erhielte, so muss nach dem oben gesagten davon ausgegangen werden, dass der BF auch diese Frage bzw. deren Konsequenzen nicht ernst genug nahm bzw. nehmen konnte. Es ist daher unter Zugrundelegung des persönlichen Eindrucks des BF und eines Gesamtbildes davon auszugehen, dass der BF nicht mit finanzieller Unterstützung rechnen kann.

Wenn der BF gefragt wurde, ob er noch Verwandte in Afghanistan habe, so machte er auch hiezu widersprüchliche Angaben, wodurch nicht festgestellt werden konnte, wie die genaue familiäre Situation des BF ist. Einerseits gab er in der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2020 an, dass er einen Onkel väterlicherseits und einen mütterlicherseits in Afghanistan habe, sowie auch einen Cousin. Direkt darauf gab er an, dass es doch vier Onkeln väterlicherseits und drei Onkeln mütterlicherseits seien. In der mündlichen Verhandlung vom 07.07.2021 gab er wiederum an, dass lediglich ein Onkel in Afghanistan, dafür aber auch mehrere Tanten in Afghanistan seien. Vom Cousin gab er nichts an. Aufgrund der Widersprüche und unter Berücksichtigung der psychischen Situation des BF sowie auch dem persönlichen Eindruck des Richters, wonach der BF diese Fragen nur lapidar beantwortete und sich wohl der Ernsthaftigkeit der Frage nicht bewusst war, konnte nicht festgestellt werden, dass der BF Verwandte in Afghanistan hat.

Wenn in älteren ärztlichen Gutachten noch festgehalten wird, dass der BF unter psychischen Krankheiten wie Persönlichkeitsstörung, Panikattacken, Anpassungsstörung oder Depression litt, so ist festzuhalten, dass der BF mittlerweile von sich selber angibt, dass er früher nicht gesund gewesen sei, es ihm mittlerweile aber gut gehe. Weiters wurde im Gutachten vom 07.04.2021 festgehalten, dass keine Anzeichen von den erwähnten psychischen Krankheiten beim BF bemerkbar gewesen seien. Festgehalten wird im Gutachten jedoch, dass eine Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion bis vor einem Jahr vor Gutachtenserstellung vorgelegen habe, welche aber nun abgeklungen sei.

Zu den Feststellungen zu den Fluchtgründen und zu einer Rückkehr des BF:

Der BF hat verschiedene Fluchtgründe vorgebracht, welche nicht weiter beachtlich waren, weil er diese auch selbst wieder zurückzog. Er gab an, dass er diese nur deshalb vorbrachte, weil es ihm früher nicht gut gegangen sei. So brachte er in einer der mündlichen Verhandlungen unter anderem vor, dass er einmal in Pakistan entführt, vergewaltigt und für sechs Monate gefangen gehalten worden sei. In späteren mündlichen Verhandlungen zog er das aber wieder zurück. Weiters gab er an, dass sein Vater aufgrund der Mitgliedschaft in der „Hezb-e Wahdat“-Partei von den Taliban verfolgt worden sei, bzw. er selber in der „Jonbesh“-Partei gewesen sei. Beides revidierte der BF in späteren Verhandlungen.

Wenn der BF vorbringt, dass er aufgrund der generellen Unsicherheit, bzw. der Unsicherheit der Wege nicht nach Afghanistan zurückkönne, so ist festzuhalten, dass der dies nicht weiter konkretisieren konnte, wodurch eine konkrete und individuelle Verfolgung des BF abgeleitet werden könne. Aus dem Gutachten vom 07.04.2021 ergibt sich, dass der BF, bzw. Menschen mit einem niedrigen IQ wie er ihn hat, grundsätzlich arbeitsfähig sind und auch „Angelegenheiten weitgehend selbstständig ohne Unterstützung“ erledigen können. Wie den Angaben des BF zu entnehmen ist, hat er auch bereits verschiedene Hilfsarbeiten in seinem Leben erledigt. Dem Gutachten ist jedoch hinzuzufügen, dass dieses sich auf Personen in Deutschland bezieht und daher keine absolut gleiche Situation wie in Afghanistan angenommen werden kann. In Österreich konnte der BF zwar auch ein grundsätzlich selbstständiges Leben führen, wurde aber vielfach von Hilfsorganisationen bzw. Rechtsvertretern unterstützt. Weiters wird im Gutachten erwähnt, dass bei einer erhöhten Belastung, es zu einer Verschlechterung der Situation des BF kommen kann, solange er nicht von außen unterstützt wird. Es ergibt beim BF also eine deutliche Notwendigkeit eines Unterstützungsnetzwerkes, sollte dieser nach Afghanistan zurückkehren.

Bei der Arbeitsfähigkeit des BF ist weiters zu berücksichtigen, dass für diesen aufgrund seines niedrigen IQs und seiner bisherigen Arbeitserfahrung wohl nur Hilfsarbeiten in Frage kommen können. Wie den Länderberichten zu entnehmen ist die Arbeitsmarktsituation in Afghanistan aber insbesondere durch die COVID-19 Pandemie und seit der Machtübernahme der Taliban eine besonders angespannte, wodurch gerade Hilfsarbeiten besonders begehrt sind, was es für den BF erschwert, selber eine solche Tätigkeit zu finden. Weiters ist es, wie den Länderberichten und auch aktuellen Medienberichten zu entnehmen ist, seit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 zu einer weiteren Verschlechterung der Versorgungslage in Afghanistan gekommen, wodurch insbesondere Lebensmittel noch rarer geworden sind, als es bereits vor der Machtübernahme der Taliban der Fall war.

All diese Faktoren erschweren die Rückkehr für den BF, als Person, die nicht mit den afghanischen Traditionen vertraut ist, kaum Arbeitserfahrung hat, unter einer leichten Intelligenzminderung leidet und eine Tendenz zu Anpassungsstörungen hat, maßgeblich und verdeutlichen weiter die Notwendigkeit eines Unterstützungsnetzwerks, welche für den BF aber nicht als gesichert festgestellt werden konnte.

Zu den Feststellungen zur Situation im Heimatstaat:

Die Feststellungen zur aktuellen Situation in Afghanistan beruhen auf den im Verwaltungsakt befindlichen bzw. den im Rahmen der Beschwerde und der Stellungnahme zu den vom Bundesverwaltungsgericht eingebrachten, oder vom BF vorgelegten Länderberichten. Aus Sicht des erkennenden Gerichts ist den gegenständlichen Länderberichten eine im Wesentlichen gleichlautende Schilderung der aktuellen Situation in Afghanistan zu entnehmen.

Insbesondere stützen sich die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat auf die folgenden Quellen:

?        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan mit Stand vom 16.06.2021, Version 4

?        EASO Country Guidance: Afghanistan December 2020

?        EASO Country of Origin Information Report Afghanistan Key socio-economic indicators Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City April 2019

?        UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender, 30.8.2018

Da es seit der Machtübernahme der Taliban zu großen Änderungen in fast allen Lebensbereichen kam, sind Teile dieser Länderberichte als nicht mehr aktuell bzw. zutreffend anzusehen. Weiterhin relevant sind jedoch z.B. die von EASO und UNHCR aufgestellten Kriterien bzgl. Zumutbarkeit einer Rückkehr und zu Subsidiärem Schutz.

Zusätzlich stützen sich die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat daher auf folgende aktuelle Quellen:

?        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der aktualisierten Version 5 vom 16.09.2021 (LIB)

?        The Danisch Immigration Service, Country of Origin Information, Afghanistan “Recent developments in the security situation, impact on civilians and targeted individuals, September 2021 (Danish Immigration Service)

?        WFP Afghanistan Situation Report, 3 November 2021

?        UK Home Office Country Policy and Information Note Afghanistan: Security and humanitarian situation Afghanistan Country Policy Oktober 2021

?        ACAPS Global Risk Analysis Oktober 2021

3. Rechtliche Beurteilung:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG,

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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