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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen von Afghanistan; mangelhafte Auseinandersetzung mit der sich äußerst rasch ändernden Situation betreffend die kriegerische Auseinandersetzung zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung und ihren Truppen; mangelhafte Prüfung der laufenden Entwicklung bei extremer Volatilität der Sicherheitslage auch in Orten der innerstaatlichen Fluchtalternative; mangelhafte Auseinandersetzung mit aktuellen LänderberichtenSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, welcher der Volksgruppe der Hazara angehört, sich zum schiitisch-muslimischen Glauben bekennt und aus der Provinz Baghlan stammt. Mit Erkenntnis vom 20. Mai 2015 erkannte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung, die seither regelmäßig verlängert wurde.
2. Mit Bescheid vom 14. Jänner 2020 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, entzog ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, erklärte die Abschiebung nach Afghanistan für zulässig und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Mit Erkenntnis vom 29. Juni 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Beschwerdeführers als unbegründet ab.
Hinsichtlich der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führte das Bundesverwaltungsgericht auf das Wesentliche zusammengefasst begründend aus, dass der Beschwerdeführer die grundsätzliche Fähigkeit besitze, sein wirtschaftliches Überleben in Mazar-e Sharif und Herat eigenständig zu sichern. Ein konkretes Gefährdungspotential sei im Falle einer Rückkehr in diese Städte nicht erkennbar. Die afghanische Regierung habe die Kontrolle über die genannten Städte und es bestehe trotz vereinzelter Anschlägen und Angriffen regierungsfeindlicher Gruppen keine derartige Gefahrenlage, die ein reales Risiko für eine Beeinträchtigung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit des Beschwerdeführers darstellte.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.
5. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte die Verwaltungsakten und das Bundesverwaltungsgericht die Gerichtsakten vor; beide sahen von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde entspricht hinsichtlich der Gründe für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in allen entscheidungswesentlichen Belangen dem Sachverhalt und der Beschwerde, welche dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 24. September 2021, E3047/2021, zugrunde lagen.
2. Der Verfassungsgerichtshof kann sich daher darauf beschränken, insbesondere auf Rz 19 ff. der Entscheidungsgründe seines zu E3047/2021 am 24. September 2021 gefällten Erkenntnisses hinzuweisen. Daraus ergibt sich auch für den vorliegenden Fall, dass das Bundesverwaltungsgericht im Zeitpunkt seiner Entscheidung jedenfalls das aktuellste, die jüngsten Entwicklungen – auf Grund derer der Verfassungsgerichtshof davon ausgeht, dass sich spätestens mit 12. Juni 2021 eine wesentliche Veränderung der Sachlage abgezeichnet hat – berücksichtigende Berichtsmaterial zur Sicherheitslage in Afghanistan heranziehen und würdigen hätte müssen. Da dies im vorliegenden Fall nicht geschehen ist, belastete das Bundesverwaltungsgericht die angefochtene Entscheidung mit Willkür, weswegen diese aufzuheben ist.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.
Schlagworte
Asylrecht, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E3025.2021Zuletzt aktualisiert am
02.02.2022