TE Vfgh Erkenntnis 2021/11/30 E3746/2021

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Veröffentlicht am 30.11.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigter betreffend einen Staatsangehörigen des Iraks; mangelhafte Auseinandersetzung mit der sich aus den Länderberichten ergebenen Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz und mangelnde Auseinandersetzung mit dem Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer vierzehntägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird stattgegeben.

III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt und Beschwerde

1. Der Beschwerdeführer ist ein aus Kirkuk stammender Staatsangehöriger des Irak, gehört der arabischen Volksgruppe an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Nach Einreise in das Bundesgebiet stellte er am 12. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid vom 16. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig ist, und setzte eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise.

3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 19. August 2021 als unbegründet ab. Das Bundesverwaltungsgericht verneinte eine asylrelevante Verfolgung, da der Beschwerdeführer eine solche nicht glaubhaft machen habe können. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erachtete das Bundesverwaltungsgericht für nicht gegeben, zumal auf Grund des festgestellten Sachverhaltes eine Rückkehr des Beschwerdeführers in den Irak keine reale Gefahr einer Verletzung von Art3 EMRK bedeute.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof sowie die Gewährung von Verfahrenshilfe beantragt wird.

II. Erwägungen

A. Soweit sich die – zulässige – Beschwerde gegen die Abweisung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und des Ausspruches der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer vierzehntägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, ist sie begründet:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr der Verletzung von Art2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 der Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Neben der politischen Lage bzw Sicherheitslage im Herkunftsland können das Vorhandensein einer Unterkunft und die Möglichkeit einer Versorgung im Zielstaat unter dem Gesichtspunkt des Art3 EMRK relevant sein (vgl VfSlg 19.602/2011 mwN).

2.2. Das Bundesverwaltungsgericht geht in seiner Entscheidung davon aus, dass in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers, Kirkuk, nicht mehr von der Ausübung "pseudostaatlicher Gewalt durch den IS" ausgegangen werden könne und die Provinz unter der Kontrolle der irakischen Sicherheitskräfte stehe, wenngleich Sicherheitslücken bestünden. Es werde nicht übersehen, dass der IS in Kirkuk mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen scheine und wiederholt Anschläge verübt habe, er sei jedoch vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt und operiere nicht offen. Insgesamt sei es im zweiten Quartal 2020 zu einem Anstieg der Anschlagszahlen gekommen, nicht jedoch in Städten. Insgesamt sei die Anzahl ziviler Opfer gesunken, es sei daher von einer deutlichen Verbesserung der Sicherheitslage im Gouvernement Kirkuk auszugehen. Insgesamt könne die Gefährdungslage in Kirkuk nicht als dermaßen prekär eingeschätzt werden, dass praktisch jeder der Gefahr einer Verletzung der durch Art2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt sei.

2.3. Zur Sicherheitslage in Kirkuk werden in der angefochtenen Entscheidung auszugsweise das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak (Gesamtaktualisierung am 17. März 2020), der Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 22. Jänner 2021 und der EASO-Bericht zur Sicherheitslage von Oktober 2020 wiedergegeben. Diesen ist mit Blick auf Kirkuk auf das Wesentliche zusammengefasst zu entnehmen, der IS unterhalte ein Netz von Zellen, die sich ua auf das Gouvernement Kirkuk konzentrierten. Er stelle weiterhin eine Bedrohung für Sicherheitskräfte und Zivilisten dar. Insbesondere baue er auch in Kirkuk mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder auf. Im Süden Kirkuks habe er de facto die Kontrolle über einige Gebiete übernommen, es komme regelmäßig zu Angriffen. Zwar sei die Anzahl an Anschlägen in den Jahren 2018 bis Anfang 2020 zurückgegangen, doch sei es dem IS auch gelungen, Anschläge gegen Zivilpersonen in Kirkuk-Stadt zu verüben.

2.4. Vor dem Hintergrund dieser in das Verfahren eingeführten Länderinformationen kann dem Bundesverwaltungsgericht nicht gefolgt werden, wenn es den Herkunftsort Kirkuk für eine Rückkehr des Beschwerdeführers als hinreichend sicher erachtet (vgl VfGH 22.9.2021, E1070/2021 mwN).

2.5. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung somit die Gefährdungslage für den Beschwerdeführer aktenwidrig beurteilt und sich in der Folge auch nicht mit dem allfälligen Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative auseinandergesetzt. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes erweist sich im Hinblick auf die Beurteilung einer dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr drohenden Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art2 und 3 EMRK schon aus diesem Grund als verfassungswidrig. Soweit sich die Entscheidung auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und – daran anknüpfend – auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie auf die erlassene Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer vierzehntägigen Frist für die freiwillige Ausreise bezieht, ist sie somit mit Willkür belastet und insoweit aufzuheben.

B. Im Übrigen, soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

2. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

3. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde – soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer vierzehntägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG; zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

Schlagworte

Asylrecht, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E3746.2021

Zuletzt aktualisiert am

02.02.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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