TE OGH 2021/11/23 4Ob113/21b

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Veröffentlicht am 23.11.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Hon.-Prof. PD Dr. Rassi als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Dr. Nowotny, MMag. Matzka sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers B* S*, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Kleinszig/Dr. Puswald Partnerschaft in St. Veit an der Glan, gegen die Beklagte Ing. A* S*, vertreten durch Mag. Max Verdino und andere Rechtsanwälte in St. Veit an der Glan, wegen Feststellung und Unterlassung (Streitwert 7.000 EUR), über die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 17. März 2021, GZ 2 R 233/20x-18, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts St. Veit an der Glan vom 6. November 2020, GZ 3 C 580/19x-14, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger dessen mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]            Die Beklagte ist die Mutter des Klägers. Mit Übergabsvertrag aus dem Jahr 2005 übertrug sie ihm das Eigentum an einer Liegenschaft samt (schwer verschuldetem) landwirtschaftlichem Betrieb und ließ sich die verbücherte Reallast des Ausgedinges einräumen. Zu diesem gehört ein auf Lebensdauer eingeräumtes persönliches Wohnungsgebrauchsrecht für das auf der Liegenschaft befindliche Gartenhaus. Weiters ist sie berechtigt, einen eigenen Garten für Erholungszwecke und zum Anbau von Gemüse anzulegen und einzuzäunen, wobei festgehalten wurde, dass das Ausmaß des Gartens einvernehmlich zwischen den Vertragsparteien ausverhandelt werden soll. In der Folge kam es zu einem intensiven Familienstreit. Die Beklagte gebärdete sich weiterhin als Eigentümerin, brach Streitereien vom Zaun (auch mit den Nachbarn) und schränkte den Kläger und dessen Familie in ihrer Lebensführung ein, indem sie sich häufig sehr nahe an das Wohnhaus begab und dort bei den Fenstern hineinblickte (und teilweise fotografierte), was vor allem die Kinder des Klägers als äußerst unangenehm empfanden; sie liefen weg und hatten Furcht vor der Großmutter. Zu Reibereien kam es insbesondere auch deshalb, weil die Beklagte ständig aus dem Wasserreservoir-Behälter der beiden bäuerlichen Liegenschaften des Klägers und seiner Nachbarn in ein Biotop Wasser einließ und dann der Wasserdruck im Haus nicht groß genug war, um etwa im oberen Stock des Hauses der Nachbarn die Wasserversorgung zu gewährleisten; auch konnte im Haus des Klägers die Waschmaschine nicht mehr betrieben werden. Der Aufforderung auf Unterlassung der Wasserzuleitung leistete die Beklagte keine Folge. Das Biotop befindet sich direkt vor dem Wohnbereich des Hauses des Klägers. Wenn sich die Beklagte dort aufhält, ist dies geeignet, ständig psychischen Druck auf die Familienmitglieder des Klägers auszuüben. Die dominante Beklagte machte der jungen Familie des Klägers das Leben schwer. Sie tauchte ständig auf, mischte sich in viele Angelegenheiten ein, artikulierte auffällig und laut und versetzte die Familie in zwanghafte Situationen, in denen sich die Kinder fürchteten.

[2]            Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Beklagte im Rahmen ihres Ausgedinges die Nutzung der Gartenfläche auf dem Grundstück des Klägers nur bis zu einer näher bezeichneten Grenze ausüben dürfe. Weiters habe sie es zu unterlassen, das auf dem Grundstück befindliche Biotop zu nutzen und dieses mit Wasser zu befüllen. Ein zuvor vom Kläger im Außerstreitverfahren eingebrachter Antrag auf gerichtliche Benützungsregelung war rechtskräftig zurückgewiesen worden, der im gegenständlichen Verfahren von der Beklagten erhobene Einwand der Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs wurde in 1. und 2. Instanz verworfen.

[3]            Die Beklagte wendete ein, der von ihr angelegte Garten sei vom Kläger zunächst nicht beanstandet worden. Es liege eine schlüssige Vereinbarung über die Nutzung des Gartens einschließlich des Biotops durch die Beklagte vor.

[4]       Das Erstgericht gab der Klage statt. Es bestehe keine konkludente Vereinbarung über die Benützung der von der Beklagten in Anspruch genommenen Fläche einschließlich des Biotops. Im Hinblick auf die unheilbare Zerrüttung der Beziehung der Streitteile und darauf, dass die Beklagte keine Gelegenheit auslasse, den Kläger und seine Familie zu tyrannisieren, zu beschimpfen und ihnen das Leben zu verleiden, sei es erforderlich, dass der Beklagten eine Liegenschaftsfläche (zur ausschließlichen Nutzung als eigener Garten für Erholungszwecke und zum Anbau von Gemüse) so zugewiesen werde, dass die örtlichen Lebensbereiche der Streitteile möglichst getrennt werden. Eine derartige Trennung und damit eine Entspannung wäre aber nicht zu erzielen, wenn der Beklagten die Nutzung des Biotops, das sich direkt vor dem Wohnzimmer des Klägers befinde, zugesprochen würde. Die der Beklagten im Sinne des Klagebegehrens zuzuweisende Fläche von 1.200 m2 sei großzügig bemessen und völlig ausreichend für einen eigenen Garten und zum Anbau von Gemüse.

[5]       Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Entscheidungsgegenstand hinsichtlich jedes der beiden erhobenen Begehren 5.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei, da keine Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob im Fall eines dem Grunde nach bestehenden exklusiven Nutzungsrechts, über dessen Ausmaß keine konkrete Einigung erfolgt sei, die Grundsätze des § 835 ABGB analog heranzuziehen seien.

[6]            Die Beklagte beantragt mit ihrer – vom Kläger beantworteten – Revision, die Klage abzuweisen; in eventu stellte sie einen Aufhebungsantrag. Das Erstgericht habe das Verfahren auf die Benützungsregelung eingeschränkt, dann aber doch auch über den Unterlassungsanspruch entschieden, dies begründe Nichtigkeit. Im Übrigen liege ein Verfahrensmangel vor, weil das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen habe, dass die Berufung keine dem Gesetz gemäß ausgeführte Rechtsrüge enthalte. Schließlich wird unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht, weil das Ausmaß des Nutzungsrechts mittels Vertragsauslegung zu ermitteln gewesen wäre.

Rechtliche Beurteilung

[7]            Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Präjudizialität nicht zulässig.

[8]       1.1. Die geltend gemachte Nichtigkeit ist schon nach dem Vorbringen der Revisionswerberin selbst nicht erfüllt. Sie moniert, ihr sei durch die Vorgangsweise des Erstgerichts das rechtliche Gehör entzogen worden. Das ist nicht der Fall, weil der angezogene Nichtigkeitsgrund nur dann verwirklicht wäre, wenn die Partei überhaupt keine Möglichkeit gehabt hätte, ihren Standpunkt vorzubringen (vgl RS0006048; RS0005915).

[9]       1.2. Im Übrigen liegt keine Einschränkung des Verfahrens auf das Feststellungsbegehren vor, denn bei verständiger Auslegung der Protokollierung der entsprechenden Erörterung durch den Erstrichter ergibt sich keine „Einschränkung“ im Sinne der Ausklammerung des Unterlassungsbegehrens, sondern ganz offensichtlich bloß eine Einschränkung bzw Fokussierung des Verfahrens über das Feststellungsbegehren auf die Benützungsverhältnisse unter Ausklammerung anderer Punkte, wie etwa die Gültigkeit des Übervergabevertrags.

[10]     1.3. Sofern das Vorbringen der Beklagten als Geltendmachung einer Überraschungsentscheidung zu verstehen sein soll, würde es sich dabei um einen im Berufungsverfahren nicht geltend gemachten Verfahrensmangel handeln, der in dritter Instanz nicht mehr aufzugreifen ist (vgl RS0043111).

[11]           2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die in zweiter Instanz erhobene Rechtsrüge sei insofern nicht gesetzmäßig ausgeführt, als sie sich vom festgestellten Sachverhalt entfernt und im Rahmen der Rechtsrüge beweiswürdigende Überlegungen anstelle, ist nicht zu beanstanden. Mit ihrem Vorbringen zum Verfahrensmangel strebt die Revisionswerberin im Kern die Abänderung der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zu ihren Gunsten an. Ihre Ausführungen sind daher als in dritter Instanz unzulässige Beweisrüge (vgl RS0042903) zu werten.

[12]     3.1. In ihrer Rechtsrüge – die auf weite Strecken wiederum mit einem (nicht festgestellten) Alternativsachverhalt operiert – bemängelt die Revisionswerberin mangelnde Feststellungen zur Absicht der Parteien bei Vertragsabschluss. Daraus hätte sich nämlich ergeben, dass der Beklagten das Recht eingeräumt werden sollte, das Biotop und die angrenzenden Flächen zu nutzen.

[13]     3.2. Dem ist entgegenzuhalten, dass bereits in einem Vorprozess (AZ 3 C 547/17s des Erstgerichts) rechtskräftig entschieden wurde, dass der (hier) Beklagten kein Benützungsrecht an den begehrten Flächen zusteht.

[14]           4.1. Die von der Revisionswerberin vermissten Feststellungen im Zusammenhang mit der Errichtung des Übergabevertrags sind hier auch deswegen nicht (mehr) rechtserheblich, weil dem Kläger aufgrund des nachfolgenden Verhaltens der Beklagten jedenfalls ein Recht auf Einschränkung des eingeräumten Ausgedinges zusteht.

[15]     4.2. Die Rechtsprechung bejaht im Wege der Analogie eine außerordentliche Aufkündigung von beschränkt dinglichen Rechten, etwa einem dinglichen Wohnrecht, aus sehr schwerwiegenden Gründen, gleichsam als äußerstes Notventil (4 Ob 99/16m; RS0011875 [T4, T7]; RS0018813; RS0011519; 1 Ob 210/15m Pkt 6). Umso mehr berechtigen derartige schwerwiegende Gründe zur bloßen Einschränkung dieser Rechte.

[16]           4.3. Das festgestellte Verhalten der Beklagten ist als schwerwiegender Grund im genannten Sinn zu qualifizieren, zumal es den Kläger und seine Familie in der Lebensführung unzumutbar beeinträchtigt. Der Kläger ist daher zur Einschränkung bzw Teilkündigung des Ausgedinges der Beklagten berechtigt. Die Erklärungen des Klägers sind inhaltlich darauf gerichtet, die Beklagte von den bisherigen Rechten (zumindest teilweise) dauerhaft auszuschließen. Das ist nach der Natur des geltend gemachten Anspruchs (vgl RS0045644) als außerordentliche Teilkündigung des Ausgedinges zu werten.

[17]           4.4. Mangels konkreter Festlegung der Nutzungsgrenzen im Übergabsvertrag kam der Beklagten zunächst grundsätzlich ein unbeschränktes Nutzungsrecht am Garten zu (vgl RS0013197). Das Feststellungsbegehren des Klägers richtet sich im Ergebnis auf die Feststellung der zuvor implizit ausgesprochenen Teilkündigung des Ausgedinges, nämlich des Verbots auf Ausübung des Benützungsrechts im Hinblick auf bestimmte (seinem Wohnhaus nahe gelegenen und für die Bewirtschaftung des landwirtschaftlichen Betriebs erforderlichen) Liegenschaftsteile. Die von ihm begehrte und von den Vorinstanzen gewährte Feststellung von konkreten Benützungsgrenzen belassen der Beklagten immer noch eine Fläche von 1.200 m², sodass ihr jedenfalls ein angemessenes Ausmaß an „eigenem Garten für Erholungszwecke und zum Anbau von Gemüse“ verbleibt.

[18]     4.5. Das Feststellungsbegehren des Klägers besteht daher schon aus dem Grund seiner (implizit ausgesprochenen) berechtigten außerordentlichen Teilkündigung des Ausgedinges zu Recht. Auf die Frage der analogen Heranziehung des § 835 ABGB auf den konkreten Fall kommt es daher nicht an (siehe dazu jedoch jüngst 4 Ob 206/20b [Rz 21]).

[19]     5. Die für das Unterlassungsbegehren erforderliche Wiederholungsgefahr ist aufgrund des Beharrens der Beklagten auf ihrem Prozessstandpunkt des (bereits rechtskräftig verneinten) Rechts auf Benützung des Biotops zu bejahen (vgl RS0031772 [T1]).

[20]           Das Berufungsgericht hat daher vertretbar beide Klagsansprüche bejaht. Die Revision der Beklagten ist somit als unzulässig zurückzuweisen.

[21]     6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Textnummer

E133662

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00113.21B.1123.000

Im RIS seit

02.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

02.02.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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