TE OGH 2021/11/25 3Ob131/21t

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Veröffentlicht am 25.11.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt Wien, Wiener Wohnen, 1030 Wien, Rosa Fischer-Gasse 2, vertreten durch Ing. DDr. Hermann Wenusch, Rechtsanwalt in Rekawinkel, wider die beklagte Partei Z* GmbH, *, vertreten durch Beurle Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Linz, wegen 316.353,22 EUR sA, in eventu: 48.762,86 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 20. Mai 2021, GZ 33 R 4/21g-42, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 30. November 2020, GZ 22 Cg 13/19h-37, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie insgesamt wie folgt zu lauten haben:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 2.235,76 EUR samt 9,2 % Zinsen seit 1. Oktober 2018 binnen 14 Tagen zu zahlen.

Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 314.117,46 EUR sA, hilfsweise auf Zahlung von 48.762,86 EUR sA und auf Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle Mehrkosten aufgrund des Nichtzustandekommens des Vertrags zwischen den Streitteilen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 36.273,88 EUR (hierin enthalten 4.254,88 EUR USt und 10.744,60 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Die Klägerin schrieb am 15. März 2018 einen „Rahmenvertrag für Garagentore, Schranken- und Parkeranlagen in den Objekten der Stadt Wien – Wiener Wohnen – Wartungs- und Reparaturarbeiten von Toren, Schranken- und Parkeranlagen“ öffentlich aus, wobei sie die umfassten Leistungen ab 1. November 2018 abrufen können sollte, weil der Vorläufervertrag am 31. Oktober 2018 auslief. Es war eine vierjährige Vertragslaufzeit vorgesehen. Die Ausschreibung war in vier Lose unterteilt, die eine Aufteilung nach Bezirken vornahmen. In den der Ausschreibung zugrunde gelegten „Verfahrensbestimmungen für Rahmenverträge“ war geregelt, dass Bieter zwar für alle Lose Anbote legen, jedoch den Zuschlag für maximal zwei Lose erhalten können. Jenes Los, mit dem der Bieter am vordringlichsten beauftragt werden wollte, war mit der Zahl 1 zu reihen, alle weiteren mit den Zahlen 2 bis 4.

[2]       Punkt 6. „Sicherstellung“ der Verfahrensbestimmungen für Rahmenverträge lautet wie folgt:

Der mit Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung für den Zuschlag in Aussicht genommene Bieter verpflichtet sich, auf schriftliche Aufforderung des Auftraggebers innerhalb von längstens 14 Kalendertagen ein Sicherstellungsmittel nach dem Muster der Stadt Wien beim Auftraggeber zu hinterlegen. […]

Das Sicherstellungsmittel ist in der Höhe von 2 Prozent des zuzuschlagenden Gesamtpreises, mindestens aber auf EUR 16.500 pro Los auszustellen und muss auf die Dauer der Vertragslaufzeit plus Gewährleistungsfrist befristet sein. Die Hinterlegung des Sicherstellungsmittels ist Bedingung für die Zuschlagserteilung.

Bei nicht rechtzeitiger Hinterlegung des Sicherstellungsmittels kann die Zuschlagsentscheidung widerrufen werden und zugunsten des nächstgereihten Bieters ergehen.

[3]       In den Ausschreibungsunterlagen war ein – beim späteren Gebrauch auszufüllendes – „Muster eines Garantiebriefes als Sicherstellung“ enthalten, das wie folgt lautet:

Wir haben davon Kenntnis, dass in dem zwischen Ihnen und der Firma … anlässlich der Übertragung der nachstehenden Leistungen beim Vorhaben … abgeschlossenen Vertrag eine Sicherheitsleistung vereinbart wurde. Diese Sicherheitsleistung beträgt für die obbezeichneten Leistungen EUR …. Da uns die Firma … mitteilt, dass diese Sicherheitsleistung von der Stadt Wien vorzeitig ausbezahlt wird, wenn sie für ihre allfällige Verpflichtung, diese Sicherheitsleistung zurückzuzahlen, eine Sicherstellung durch die Beibringung einer Garantie eines im EWR ansässigen Kreditinstituts im Zusammenhang mit obgenannten Vorhaben leistet, verpflichten wir uns, falls die Stadt Wien gegen die Firma … aufrechenbare Forderungen einschließlich aller Abgabenforderungen, aus welchem Rechtsverhältnis auch immer, erheben sollte, den uns namhaft gemachten Betrag, höchstens jedoch …, ohne Prüfung des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses und unter Verzicht auf jede Einrede und Aufrechnung binnen drei Bankarbeitstagen nach Zustellung der Aufforderung auf die bekanntgegebene Kontoverbindung zu überweisen. Diese Garantie erlischt ohne Rücksicht endgültig erst durch die Rückstellung dieses Garantiebriefes an uns. Wir sind jedoch berechtigt ab … (Datum) unsere Garantie mit dreimonatiger Wirkung zu kündigen. [...]

[4]       Dieses Muster einer Bankgarantie wurde von der Klägerin seit 2006 verwendet; von einer Bank und einer Versicherungs-AG wurden immer wieder Garantien mit entsprechendem Inhalt zugunsten der Klägerin ausgestellt.

[5]       Unter den für die Ausschreibung bis zum Ende der Angebotsfrist am 3. Mai 2018 gelegten Angeboten war die Beklagte hinsichtlich aller vier Lose die billigste Bieterin. Mit Schreiben vom 6. September 2018 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass ihr (entsprechend ihrer Präferenzerklärung) der Zuschlag für die Lose 2 und 3 erteilt werden solle, weil sich ihr Angebot als das günstigste bzw als das mit dem niedrigsten Gesamtpreis erwiesen habe; dabei handle es sich um eine nicht verbindliche Absichtserklärung gemäß § 2 Z 49 BVergG 2006. Die Stillhaltefrist ende am 17. September 2018. Die Zuschlagserteilung erfolge gesondert.

[6]       Gleichzeitig wurde die Beklagte aufgefordert, die gemäß Ausschreibungsunterlagen bedungene Bankgarantie in Höhe von (mit Schreiben vom 7. September 2018 korrigiert:) 49.445,49 EUR binnen zehn Tagen im Original zu übermitteln. Die Kündigung der Sicherstellung sei frühestens mit dem auf den letzten Tag des besicherten Zeitraums folgenden Tag zulässig.

[7]       Die Beklagte versuchte daraufhin, von ihrer Hausbank eine Bankgarantie nach dem Muster der Klägerin zu erhalten. Dies scheiterte jedoch daran, dass die Bank von ihr dafür eine betragsgleiche Sicherstellung verlangte, die die Beklagte nicht erbringen konnte, weil sie hohe Investitionen getätigt hatte und die Besicherungen ausgeschöpft waren. Die Bank nannte ihr daraufhin Versicherungen, die eine gleichwertige Garantie ausstellen könnten. Diese Versicherungen erachteten auf Anfrage der Beklagten allerdings die Formulierung der Bankgarantie als zu weit. Der Beklagten gelang es nicht, eine Bankgarantie oder eine durch eine Versicherung ausgestellte Garantie beizustellen. Nachdem sie das der Klägerin am 10. Oktober 2018 mitgeteilt hatte, teilte diese ihr mit Schreiben vom 17. Oktober 2018 mit, dass ihr Angebot gemäß § 129 Abs 1 Z 7 und Abs 2 BVergG 2006 zwingend auszuscheiden sei, weil sie das geforderte Sicherungsmittel nicht nachgereicht habe und ihr Angebot damit unvollständig sei bzw die Anforderungen der Ausschreibung nicht erfülle.

[8]       Zuvor hatte die Klägerin die Forderung der Beklagten nach einer Beschränkung der Bankgarantie auf den Auftraggeber Stadt Wien – Wiener Wohnen und den Gegenstand der Ausschreibung abgelehnt.

[9]       Bei dieser Ausschreibung wurden keine Anträge zur Durchführung von Nachprüfungsverfahren gestellt oder Einsprüche erhoben. Die Klägerin schrieb nicht neuerlich aus, sondern erteilte am 7. Dezember 2018 zwei anderen Bietern, die jeweils das zweitbeste Angebot abgegeben hatten, den Zuschlag für je zwei Lose.

[10]     Bis 31. Dezember 2019 sind der Klägerin aufgrund der Zuschlagserteilung an diese beiden anderen (teureren) Unternehmen statt an die Beklagte Mehrkosten von insgesamt 48.762,86 EUR entstanden.

[11]     Durch die Nichtvorlage der Bankgarantie durch die Beklagte und die dadurch bedingte Zurücknahme der Zuschlagsentscheidung und neuerliche Zuschlagsentscheidung entstand der Klägerin ein zusätzlicher Kostenaufwand in Höhe von 2.235,76 EUR.

[12]     Die Klägerin begehrte zunächst den Betrag von 316.353,22 EUR sA, nämlich die mit 314.117,46 EUR bezifferten Mehrkosten aufgrund der alternativen Vergabe (für die gesamte vierjährige Vertragsdauer) und den zusätzlichen Verwaltungsaufwand in Höhe von 2.235,76 EUR. In der Folge stellte sie ein Eventualbegehren auf Zahlung (nur) der bisher bereits aufgelaufenen Mehrkosten in Höhe von 48.762,86 EUR sA (worin der Verwaltungsmehraufwand nicht enthalten ist) und auf Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Mehrkosten, die darauf zurückzuführen seien, dass der ausgeschriebene Leistungsvertrag nicht zwischen den Streitteilen abgeschlossen worden sei. Mit der Zuschlagsentscheidung werde das Angebot des Bestbieters angenommen, allerdings unter der auflösenden Bedingung, dass der Vertrag im Fall eines erfolgreichen Nachprüfungsantrags wieder wegfalle. Die Beklagte sei also bereits vertraglich verpflichtet gewesen, eine Bankgarantie beizubringen. Da sie dies nicht getan habe, habe sie den Vertrag gebrochen, weshalb die Klägerin nach Nachfristsetzung von diesem zurückgetreten sei. Die Beklagte schulde daher (auch) die Mehrkosten des „Deckungskaufs“, also die Differenz zum zweitbesten Bieter.

[13]     Die Beklagte wendete insbesondere ein, eine über den Zweck des BVergG 2006 hinausgehende Forderung nach Sicherstellung sei nichtig und gesetzwidrig. Selbst wenn man von einem pflichtwidrigen Verhalten der Beklagten ausginge, hätte sich für die Klägerin nichts geändert. Hätte die Beklagte nämlich das nach dem Standpunkt der Klägerin pflichtgemäße Verhalten gesetzt – die Prüfung vor Abgabe des Angebots, ob sie eine entsprechende Bankgarantie beibringen könne –, hätte sie mangels Möglichkeit der Beibringung der Bankgarantie kein Angebot abgegeben, sodass wiederum nur die Angebote der jeweils zweitbesten Bieter als Billigstbieter vorgelegen wären.

[14]     Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 50.998,62 EUR sA, während es das Mehrbegehren auf Zahlung von weiteren 265.354,60 EUR sA abwies. Weiters gab es dem Feststellungsbegehren statt. Im vorliegenden Fall sei noch das BVergG 2006 anzuwenden. Gemäß § 112 BVergG 2006 beginne nach der Angebotsöffnung die Zuschlagsfrist, während der der Bieter an sein Angebot gebunden sei. Die Mitteilung der Zuschlagsentscheidung stelle eine vom Auftraggeber abgegebene, nicht verbindliche Absichtserklärung dar, welcher Bieter zum Zuschlag kommen solle. Die Parteien hätten sich daher im Stadium vor Abschluss des Vertrags befunden, in dem beide Seiten Aufklärungs-, Schutz- und Sorgfaltspflichten träfen. Die Weigerung bzw das Unvermögen der Beklagten, die in den Ausschreibungsunterlagen geforderte – nach den Feststellungen als üblich zu wertende – Bankgarantie beizubringen, stelle einen schuldhaften Verstoß gegen vorvertragliche Pflichten dar. Ihr Einwand, die Forderung nach einer Bankgarantie laut Muster sei gesetz- oder sittenwidrig und daher nichtig, gehe ins Leere, weil die Beklagte die Ausschreibung nicht bekämpft habe. Bietern stehe nämlich im Vergabeverfahren als Rechtsschutz die Möglichkeit offen, gegen die Ausschreibungsunterlagen einen Nachprüfungsantrag einzubringen. Nach Ablauf der dafür vorgesehenen Frist werde die Ausschreibung gemäß § 321 BVergG 2006 bestandskräftig. Einwendungen gegen die in den Ausschreibungsunterlagen enthaltenen Dokumente seien daher präkludiert. Bei Verletzung eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses sei regelmäßig nur der Vertrauensschaden zu ersetzen. Das Erfüllungsinteresse sei allerdings bei schuldhafter Leistungsvereitelung während aufrechter Angebotsbindung zu ersetzen, dh wenn ohne die schuldhafte Pflichtverletzung der Vertrag mit dem pflichtwidrig handelnden Teil zustande gekommen wäre. Hätte die Beklagte nicht schuldhaft gegen die Verpflichtung zur Legung einer Bankgarantie verstoßen, hätte ihr als Billigstbieterin und aufgrund der angegebenen Lospräferenzen der Zuschlag für die Lose 2 und 3 erteilt werden müssen. Damit sei ihr Verhalten kausal für die zusätzlichen Verwaltungskosten und die bisher aufgelaufenen Mehrkosten aufgrund der teureren Deckungsgeschäfte. Die Klägerin habe auch ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung.

[15]           Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das gesamte Klagebegehren ab. Nach den die Klägerin bindenden Ausschreibungskriterien sei die Hinterlegung des in der Ausschreibung festgelegten Sicherstellungsmittels nach dem Muster der Stadt Wien ein Eignungs- und Zuschlagskriterium gewesen. Demnach sei die Klägerin mangels Beibringung der geforderten Bankgarantie verpflichtet gewesen, das Angebot der Beklagten auszuscheiden. Allerdings sei das in der Ausschreibung geforderte Sicherungsmittel nicht vom BVergG 2006 gedeckt gewesen, weil es auch die Sicherung für Abgabenforderungen oder für Forderungen „aus welchem Rechtsverhältnis auch immer“ vorsehe. Dies sei hier zu berücksichtigen, obwohl die Ausschreibung bestandsfest sei. Da die Höhe der Bankgarantie in der Ausschreibung nicht festgelegt gewesen sei, könne es der Beklagten nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie eine erst Monate nach der Anbotslegung von der Klägerin betragsmäßig konkretisierte und dem Vergaberecht widersprechende Sicherungsleistung aufgrund ihrer zu diesem Zeitpunkt bestehenden wirtschaftlichen Lage nicht erfüllen habe können. Dass die Beklagte den Eintritt der Bedingung wider Treu und Glauben vereitelt hätte, sei nach den Feststellungen nicht erwiesen. Der Klägerin stehe daher weder Schadenersatz aus der Nichterfüllung des Rahmenvertrags noch aufgrund des Ausscheidens der Beklagten aus dem Vergabeverfahren zu. Ob der Klägerin gegen einen Bieter, dem nie ein Zuschlag erteilt worden sei, überhaupt ein auf das Erfüllungsinteresse gerichteter Schadenersatzanspruch entstehen könne, müsse hier nicht beantwortet werden.

[16]           Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur erheblichen Rechtsfrage der Haftung eines für den Zuschlag in Aussicht genommenen Bieters gegenüber dem Auftraggeber fehle, wenn dieser Bieter die Ausschreibungskriterien nicht erfüllen könne.

Rechtliche Beurteilung

[17]           Die Revision der Klägerin ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und teilweise berechtigt.

[18]           1.1. Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, dass auf das hier zu beurteilende Vergabeverfahren noch das BVergG 2006 anwendbar ist, weil die Ausschreibung vor Inkrafttreten des BVergG 2018 erfolgte (§ 376 BVergG 2018).

[19]           1.2. Nach der Legaldefinition des § 2 Z 49 BVergG 2006 ist die Zuschlagsentscheidung „die an Bieter abgegebene, nicht verbindliche Absichtserklärung, welchem Bieter der Zuschlag erteilt werden soll“. Die Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung ist eine Wissenserklärung über die beabsichtigte Zuschlagserteilung, deren Rücknahme und Änderung bis zur Zuschlagserteilung zulässig ist, wenn der Auftraggeber während der Stillhaltefrist und vor Zuschlagserteilung erkennt, dass die Zuschlagsentscheidung – aus welchem Grund auch immer – nicht in Ordnung ist (Keschmann in Heid Schiefer Rechtsanwälte, Preslmayr Rechtsanwälte, Handbuch Vergaberecht4 Rz 1702 mwN).

[20]           1.3. Die Zuschlagserteilung (also der eigentliche Zuschlag) ist nach § 2 Z 50 BVergG 2006 „die an den Bieter abgegebene schriftliche Erklärung, sein Angebot anzunehmen“. Gemäß § 133 BVergG 2006 kommt während der Zuschlagsfrist das Vertragsverhältnis (erst) zu dem Zeitpunkt zustande, zu dem der Bieter die schriftliche Verständigung von der Annahme seines Angebots erhält.

[21]     1.4. Zwischen den Streitteilen ist daher entgegen der Ansicht der Klägerin kein (auch kein auflösend bedingter) Vertrag zustande gekommen.

[22]     2.1. Nach der Rechtsprechung sind die Grundsätze der Lehre von den vorvertraglichen Sorgfaltspflichten auch im Vergabeverfahren auf das Verhältnis zwischen Ausschreibendem und Bietern anzuwenden (RS0013934 [T2]). Dies folgt aus der Überlegung, dass sich aus der Selbstbindung des Ausschreibers im vorvertraglichen Schuldverhältnis eine Schadenersatzpflicht im Fall der Nichtberücksichtigung des Billigst-(Best-)Bieters ergeben kann (vgl 8 Ob 132/99s = RS0013934 [T5]). Insoweit richten sich die Vergabevorschriften zunächst an den Auftraggeber, dem geboten wird, Unternehmer, die an Vorarbeiten für eine Ausschreibung unmittelbar oder mittelbar beteiligt waren, von einer Teilnahme am Wettbewerb auszuschließen und dennoch abgegebene Angebote auszuscheiden. Damit dienen die Vergabevorschriften gerade dem Schutz der Bieter vor unlauterer Vorgangsweise (vgl RS0112490). Diese Rechtsprechung erging allerdings bisher in Schadenersatzprozessen übergangener Bieter gegen den Ausschreibenden und ist daher nicht ohne Weiteres auf den hier zu beurteilenden umgekehrten Fall anzuwenden.

[23]     2.2. Ganz allgemein treten mögliche Geschäftspartner schon mit der Kontaktaufnahme in ein beiderseitiges vorvertragliches Schuldverhältnis, das die Beteiligten insbesondere verpflichtet, einander über die Beschaffenheit der in Aussicht genommenen Leistungsgegenstände aufzuklären und Umstände mitzuteilen, die einem gültigen Vertragsabschluss entgegenstehen. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen macht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1295 ABGB schadenersatzpflichtig (vgl RS0014885).

[24]     2.3. Gemäß § 108 Abs 2 BVergG 2006 erklärt der Bieter mit der Abgabe seines Angebots, dass er die Bestimmungen der Ausschreibungsunterlagen kennt, dass er über die erforderlichen Befugnisse zur Ausführung des Auftrags verfügt, dass er die ausgeschriebene Leistung zu diesen Bestimmungen und den von ihm angegebenen Preisen erbringt und dass er sich bis zum Ablauf der Zuschlagsfrist an sein Angebot bindet. In Einklang damit bestimmt § 112 Abs 2 Satz 1 BVergG 2006, dass der Bieter während der Zuschlagsfrist an sein Angebot gebunden ist. Diese Bindung beinhaltet die Pflicht des Bieters, weder vom Angebot zurückzutreten noch davon abzuweichen. Eine Verletzung dieser Pflicht, zum Angebot zu stehen, führt daher zu einer schadenersatzrechtlichen (vorvertraglichen) Haftung des Bieters gegenüber dem Auftraggeber (vgl Gölles in Gölles, BVergG 2018 § 131 Rz 4).

[25]     3.1. Bei Schadenersatzverpflichtungen aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis (culpa in contrahendo) ist der Vertrauensschaden (negatives Vertragsinteresse) zu ersetzen. Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er stünde, wenn die Pflichtverletzung nicht begangen worden wäre (RS0016374 [T1]). Das positive Interesse ist nur dann zu ersetzen, wenn ohne die Pflichtverletzung der Vertrag zustande gekommen wäre (RS0016374 [T4]). So ist bei Verletzung vorvertraglicher Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit Ausschreibungen der öffentlichen Hand ausnahmsweise auch der Ersatz des Erfüllungsinteresses möglich, wenn ohne die Pflichtverletzung der Vertrag zustande gekommen wäre, dem Schadenersatz begehrenden Kläger also der Zuschlag hätte erteilt werden müssen (6 Ob 8/06d = RS0030354 [T8]).

[26]     3.2. Der Klägerin ist zwar dahin zuzustimmen, dass sie, hätte die Beklagte die geforderte Bankgarantie beigebracht, dieser den Zuschlag (für die Lose 2 und 3) erteilen hätte müssen. Allerdings hat die Beklagte vorgebracht, dass der Klägerin die nun von ihr zu tragenden (Mehr-)Kosten auch dann entstanden wären, wenn sich die Beklagte von vornherein gar nicht an der Ausschreibung beteiligt hätte. Der von ihr damit erhobene Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens ist berechtigt. Der von der Klägerin erhobene Vorwurf gegenüber der Beklagten besteht ja darin, dass sie an der Ausschreibung teilgenommen hat, obwohl sie, wie sich nach Mitteilung der Zuschlagsentscheidung herausstellte, nicht dazu in der Lage war, die nach den Ausschreibungsunterlagen erforderliche Bankgarantie zu legen, deren Höhe übrigens, wie sich aus dem unstrittigen Inhalt der Beilage ./4 ergibt und daher der Entscheidung zugrunde zu legen ist (vgl RS0121557 [T3]), entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts in den Ausschreibungsunterlagen zwar – naturgemäß – nicht betragsmäßig, wohl aber prozentuell determiniert war. Hätte die Beklagte aber – im Sinn des rechtmäßigen Alternativverhaltens – von vornherein kein Angebot gelegt, hätte die Klägerin (ceteris paribus) ebenfalls jenen beiden Unternehmen, die (erst) nach Ausscheidung der Angebote der Beklagten zu den Bestbietern hinsichtlich der einzelnen Lose wurde, den Zuschlag zu erteilen gehabt.

[27]     3.3. Schon aus diesem Grund hat das Berufungsgericht das Klagebegehren im Ergebnis zu Recht abgewiesen, soweit es sich auf das Erfüllungsinteresse bezieht; dies betrifft das (Haupt-)Begehren auf Zahlung mit Ausnahme des darin enthaltenen Vertrauensschadens (in Form des Verwaltungsmehraufwands von 2.235,76 EUR) und das (hilfsweise erhobene) Feststellungsbegehren.

[28]     3.4. Für den weiters geltend gemachten – im Sinn der obigen Ausführungen grundsätzlich ersatzfähigen – Vertrauensschaden war das Verhalten der Beklagten zweifelsohne kausal. Näher zu prüfen ist jedoch, ob die Beklagte auch rechtswidrig (und schuldhaft) gehandelt hat.

[29]           3.4.1. Die Beklagte hat sich in diesem Zusammenhang insbesondere darauf berufen, dass die von der Klägerin geforderte Bankgarantie überschießend gewesen sei, weil sie nicht bloß Ansprüche aus dem den Gegenstand der Ausschreibung bildenden Vertragsverhältnis umfasst habe.

[30]           3.4.2. Ob dies tatsächlich zutrifft, muss hier nicht weiter untersucht werden. Entscheidend ist nämlich, dass die Beklagte einerseits mit Teilnahme an der Ausschreibung (auch) diese Ausschreibungsbedingung akzeptiert hat (§ 108 Abs 2 BVergG 2006), und sie andererseits eine solche Bankgarantie von ihrer Hausbank grundsätzlich auch erlangen hätte können; gescheitert ist dies nämlich nicht etwa an der Formulierung der Bankgarantie, sondern ausschließlich daran, dass sie die von der Bank geforderte Sicherheit nicht erbringen konnte. Dass die von der Beklagten kontaktierten Versicherungen den Umfang der Garantie als zu weitgehend ansahen (wobei den Feststellungen nicht mit Sicherheit zu entnehmen ist, ob dies allein die Ursache dafür war, dass die Beklagte von den Versicherungen keine Garantie erlangen konnte), kann nichts daran ändern, dass die Beibringung der Bankgarantie letztlich an einem allein in der Sphäre der Beklagten liegenden Umstand (nämlich der Unmöglichkeit der Beibringung der geforderten Sicherheit, die im Übrigen wohl auch eine Versicherung von ihr gefordert hätte) gescheitert ist. Ausgehend davon hat die Beklagte, wie bereits das Erstgericht zutreffend erkannt hat, den Mehraufwand der Klägerin rechtswidrig und schuldhaft verursacht, sodass sie dafür einzustehen hat.

[31]           4. Die Urteile der Vorinstanzen sind daher dahin abzuändern, dass (nur) dem Begehren auf Ersatz des Vertrauensschadens stattzugeben ist. Die Beklagte hat weder die Höhe der begehrten Verzugszinsen noch den Beginn des Zinsenlaufs substanziiert bestritten.

[32]     5. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens auf § 43 Abs 2 iVm § 54 Abs 1a ZPO und hinsichtlich des Rechtsmittelverfahrens auf § 43 Abs 2 iVm § 50 ZPO. Die Klägerin ist nur mit einem ganz geringfügigen Teil ihres Begehrens durchgedrungen, sodass sie der Beklagten vollen Kostenersatz (auf Basis deren Obsiegens, somit auf einer Bemessungsgrundlage von 314.117,46 EUR) zu leisten hat.

Textnummer

E133669

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0030OB00131.21T.1125.000

Im RIS seit

02.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

02.02.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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