Entscheidungsdatum
01.06.2021Norm
AsylG 2005 §35Spruch
W161 2239525-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Monika LASSMANN nach Beschwerdevorentscheidung der Österreichischen Botschaft Teheran vom 03.01.2021, Zl. Teheran-OB/RECHT/0063/2020, aufgrund des Vorlageantrages der XXXX festgestellte Volljährigkeit alias XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Anja RIECKEN, Österreichisches Rotes Kreuz, über die Beschwerde gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft Teheran vom 20.10.2020, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG stattgegeben, der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Erlassung einer neuerlichen Entscheidung an die Behörde zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1.1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) ist Staatsangehörige von Afghanistan. Das österreichische Rote Kreuz, vertreten durch seine Mitarbeiterin Anja Riecken, stellte in ihrem Namen am 25.04.2019 bei der Österreichischen Botschaft Teheran (im Folgenden: „ÖB Teheran“) einen schriftlichen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 Abs. 1 AsylG. Dem Antrag wurde eine von der Mutter der BF unterfertigte Vollmacht angeschlossen. Begründend führte sie aus, sie sei die minderjährige Tochter der in Österreich aufhältigen und hier Asylberechtigten XXXX und wolle zu ihrer Mutter reisen.
Dem Antrag wurden folgende Dokumente beigefügt:
- Reisepass der BF, ausgestellt am 28.11.2019. Als Geburtsdatum der BF ist der XXXX eingetragen.
- Tazkira der BF, ausgestellt am 26.11.2019 samt englischer Übersetzung. Als Geburtsdatum der BF ist der XXXX eingetragen.
- Vernehmungsformular für die Identitätsverifizierung des afghanischen Zentralamtes für Einwohnerregistrierung samt deutscher Übersetzung.
- Unterschriebene Zustimmungserklärung zur Datenverarbeitung bezüglicher einer DNA-Analyse im Rahmen eines Einreiseverfahrens gemäß § 35 AsylG 2005 sowie Belehrung zur Möglichkeit einer DNA-Analyse, beide datiert mit 04.02.2020.
- Kopie des österreichischen Konventionspasses der Mutter.
- Kopie des ZMR-Auszuges und der E-Card der Mutter.
- Mietvertrag, ausgestellt für den in Österreich lebenden Bruder.
- Mindestsicherungsbescheid betreffend die in Österreich lebende Mutter und die beiden Brüder.
- Diverse Kontoauszüge betreffend den Bezug der Mutter von bedarfsorientierter Mindestsicherung.
1.2. Am 04.02.2020 erfolgte eine persönliche Vorsprache der BF im Beisein einer Bevollmächtigten bei der ÖB Teheran.
Bei der persönlichen Vorsprache gab die BF an, sie sei 17 Jahre alt. Seit ca. 4-5 Jahren lebe sie im Iran entweder bei ihrem Bruder XXXX oder ihrer Schwester XXXX . Zuvor habe sie im Iran mit ihrer Mutter, zwei Brüdern und einer Schwester gelebt. Ihr Bruder finanziere derzeit ihr Leben, sie gehe nicht arbeiten. Ihre Mutter habe den Herkunftsstaat verlassen, weil sie herzkrank gewesen sei und sich eine bessere Behandlung erhofft habe. Über eine Bedrohung der Mutter im Iran oder Afghanistan wisse sie nichts. Ihre Mutter lebe seit 5 Jahren in Österreich. Sie habe mit ihr telefonischen Kontakt. Auf der Flucht habe es mehrere Monate keinen Kontakt gegeben. Sie sei nicht verheiratet und habe 5 Geschwister. Zur Besorgung ihres Reisepasses bzw. ihrer Dokumente befragt, gab die BF an, sie sei mit einer afghanischen Familie aus der iranischen Nachbarschaft, als deren Tochter, nach XXXX gereist und sei von dort aus mit dem Bus nach XXXX gefahren. Ihre Mutter habe von Österreich aus mit Unterstützung einer Freundin die Abholung vom Busbahnhof in XXXX organisiert. Der Abholer sei mit den Behörden gut bekannt gewesen und habe die BF ohne Vorlage persönlicher Dokumente wie Geburtsurkunde, Geburtsbescheinigung etc. und nur nach mündlichen Angaben neue Dokumente beantragen können. Der Begleiter habe auch die Kosten für die Dokumente beglichen, wieviel dieser bezahlt habe, wisse die BF nicht. Abschließend gab die BF an, sie habe ihre Mutter seit ihrer Abreise nicht mehr gesehen, das Antragsformular habe ihr Bruder in Österreich ausgefüllt und geschickt.
Weiters wurde im Protokoll vermerkt, die BF sei von der Familie in Wien instruiert worden, das angegebene Geburtsdatum zu nennen, welches durch nichts belegt sei. Als Begründung habe die BF angegeben, dass ihr Geburtstag schon immer an diesem Tag gefeiert worden wäre. Unter Verweis auf den Zivilregisterauszug (Tazkira) ihres vor 12 Jahren verstorbenen Vaters und eines Cousins (Sohn des Bruders des Vaters) seien der BF dann der Reisepass und ein Zivilregisterauszug - ohne Nennung des Geburtsortes und des Geburtslandes - ausgestellt worden.
Die Mitarbeiterin der Botschaft hielt fest, dass die Identität der BF dadurch nicht zweifelsfrei feststellbar sei, zumal sie auch sehr viel erwachsener wirke, als in Jahren angegeben worden sei. Zudem wurde von der Botschaft angemerkt, dass sowohl die Mutter, als auch der Bruder der BF bei ihrer Erstbefragung in Österreich am 25.10.2015 als Alter der BF 15 Jahre angegeben hätten. Die vorgelegten afghanischen Dokumente könnten von der ÖB Teheran nicht auf ihre Echtheit/Richtigkeit überprüft werden, da kein Dokumentenberater für afghanische Papiere zur Verfügung stehe.
1.3. Mit E-Mail vom 06.02.2020 übermittelte die ÖB Teheran dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) den Antrag der BF sowie die vorgelegten Unterlagen.
1.4. Das BFA führte in der Stellungnahme gem. § 35 AsylG 2005 vom 12.06.2020 aus, dass die allgemeinen Voraussetzungen für eine positive Entscheidung im Familienverfahren nicht vorlägen, weil die Minderjährigkeit der BF massiv unglaubwürdig sei. Sie habe zwar einen afghanischen Reisepass vorgelegt, dieser sei ihr aber nur unter Vorlage der Tazkira des vor 12 Jahren verstorbenen Vaters und der Tazkira des Cousins väterlicherseits ausgestellt worden. Zudem sei sie mit einem Begleiter bei den Behörden gewesen, welcher dort bekannt sei und habe sie ohne Vorlage von persönlichen Dokumenten wie Geburtsurkunde, Geburtsbescheinigung etc. und nur nach mündlichen Angaben neue Dokumente erhalten. Die BF habe auch selbst zugegeben, von der Familie in Wien instruiert worden zu sein, das angegebene Geburtsdatum zu nennen. Dieses Geburtsdatum würde sich aber von den Angaben der in Österreich lebenden Mutter und des Bruders in ihrer Erstbefragung am 25.10.2015 unterscheiden, zumal dort beide angegeben hätten, dass die BF 15 Jahre alt sei. Auch vor dem BFA habe die Mutter am 11.04.2018 angegeben, dass die junge Tochter 17 Jahre alt sei. Die Botschaft habe auch vermerkt, die vorgelegten afghanischen Dokumente hätten nicht auf Echtheit/Richtigkeit geprüft werden können, da kein Dokumentenberater zur Verfügung gestanden sei. Aus diesen Gründen sei derzeit die Zuerkennung des Status iSd § 35 Abs. 4 AsylG 2005 nicht wahrscheinlich.
1.5. Mit Schreiben vom 22.09.2020 wurde der von der Bezugsperson bevollmächtigten Vertreterin des österreichischen Roten Kreuzes die Möglichkeit zur Stellungnahme (Parteiengehör) eingeräumt. Ihr wurde gleichzeitig mitgeteilt, dass das BFA nach Prüfung mitgeteilt habe, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten nicht wahrscheinlich sei. Zur diesbezüglichen Begründung wurde auf die Ausführungen des BFA in der Stellungnahme vom 12.06.2020 verwiesen. Daraus ergebe sich, dass der Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 26 FPG iVm § 35 Abs. 4 AsylG abzulehnen wäre. Es werde hiermit die Gelegenheit gegeben, innerhalb einer Frist von einer Woche ab Zustellung die angeführten Ablehnungsgründe durch ein unter Beweis zu stellendes Vorbringen zu zerstreuen.
1.6. Am 29.09.2020 brachte die Vertreterin des österreichischen Roten Kreuzes innerhalb offener Frist eine Stellungnahme bei der ÖB Teheran ein und führte darin aus, die ÖB Teheran habe am 22.09.2020 zwar eine Aufforderung zur Stellungnahme übermittelt und diese damit begründet, das BFA habe mitgeteilt, dass die Gewährung desselben Schutzes nicht wahrscheinlich sei, eine ausführliche und fundierte Begründung der negativen Wahrscheinlichkeitsprognose, respektive die Stellungnahme des BFA sei der BF jedoch nicht zugestellt worden. Schon dadurch verstoße die Behörde gegen den Grundsatz der Wahrung des Parteiengehörs. Zusammenfassend würden im Schreiben der Botschaft aber die Angaben zum Alter bzw. der Minderjährigkeit zum Zeitpunkt der Antragstellung sowie die Richtigkeit/Echtheit des afghanischen Reisepasses angezweifelt werden. Dazu sei auf das Erkenntnis des BVwG vom 28.02.2019, GZ W144 2210471, hinzuweisen, worin festgestellt worden sei, dass die Bezugsperson (Mutter) Analphabetin sei, über keine Schulbildung verfüge und darüber hinaus in einer schlechten psychischen Verfassung sei. Die Bezugsperson habe im Asylverfahren nach bestem Wissen und Gewissen ungefähre zeitliche Angaben zu den Gegebenheiten, insgesamt also auch ungefähre Altersangaben der Familienmitglieder gemacht. Ihre persönliche Situation sei demnach jedenfalls zu berücksichtigen. Die BF habe den Reisepass auf Grundlage der rechtlichen Vorgaben durch die afghanischen Behörden und das Gesetz beantragt. Entgegen der Ansicht der Behörde habe die BF insbesondere als Frau die Verpflichtung die Tazkiras männlicher Verwandter (etwa Vater, Bruder, Onkel, Cousin, etc.) vorzulegen. Weshalb dies von der ÖB Teheran und der Behörde in Frage gestellt werde, werde nicht näher begründet. Welche Relevanz die Bekanntheit der Begleitperson bei der afghanischen Behörde gehabt habe, bleibe von Seiten der Behörde offen. Weiters sei nicht erkennbar, was die Behörde damit sagen bzw. begründen wolle, wenn die BF von ihrer Familie angewiesen worden sei, dass angegebene Geburtsdatum zu nennen. Die BF selbst könne nur von Angaben ihrer Familie ausgehen. Der Reisepass sei gemäß den Bestimmungen in Afghanistan beantragt worden und sei daher ein Identitätsdokument. Der Vermerk, dass die vorgelegten afghanischen Dokumente nicht auf Echtheit/Richtigkeit hätten überprüft werden können, da kein Dokumentenberater zur Verfügung gestanden sei, sei keine ausreichende Begründung für eine abweisende Entscheidung. Dies, weil die Behörde einer amtlichen Ermittlungspflicht unterliege. Unklar sei einerseits, auf welche Dokumente sich die Behörde berufe, insbesondere da sie selbst nur den Reisepass ins Treffen führe, zum anderen, ob sich die Behörde nunmehr auf die Echtheit oder Richtigkeit beziehe. Ungeachtet dessen, stelle die bloße Vermutung keine Begründung dar. Die Minderjährigkeit zum Zeitpunkt der Antragstellung sei jedenfalls gegeben und entgegen der Ansicht der Behörde nicht widersprüchlich. Die BF sei als leibliche, minderjährige und ledige Tochter der Bezugsperson nach der Definition des § 35 Abs. 5 AsylG als Familiengehörige zu betrachten. Sollten weiterhin Zweifel an der Echtheit des Reisepasses bestehen, werde die Überprüfung durch einen Dokumentenberater beantragt. In eventu werde bei bestehendem Zweifel an der Minderjährigkeit der BF zum Antragszeitpunkt ein Altersgutachten beantragt. Die BF erkläre sich bereit, sowohl die Echtheit der Dokumente, als auch in eventu die Minderjährigkeit zum Antragszeitpunkt im Zuge der amtswegigen Ermittlungspflicht mit den entsprechenden Gutachten nachzuweisen. Abschließend wurde ersucht, dem gegenständlichen Antrag – allenfalls nach einem ergänzenden Ermittlungsverfahren – gemäß § 35 Abs. 3 AsylG stattzugeben.
1.7. Am 30.09.2020 übermittelte die ÖB Teheran die Stellungnahme dem BFA und bat um Mitteilung, ob an der negativen Wahrscheinlichkeitsprognose festgehalten werde oder nun doch ein Visum D ausgestellt werden könne.
1.8. Am 05.10.2020 teilte das BFA der ÖB Teheran per E-Mail mit, dass an der negativen Prognoseentscheidung festgehalten werde. Zudem sei dubios, dass die BF angeben habe, immer an diesem Tag Geburtstag gefeiert zu haben, da laut Amtswissen in Afghanistan keine Geburtstage zelebriert werden würden. Die beigefügte Stellungahme des BFA enthält die gleiche Begründung wie die Stellungnahme vom 12.06.2020.
1.9. Mit Bescheid vom 20.10.2020 verweigerte die ÖB Teheran die Erteilung des Einreisetitels gem. § 26 FPG idgF iVm § 35 AsylG 2005 idgF. In der Begründung wurden die gleichen Ausführungen wie in der Stellungnahme des BFA vom 12.06.2020 getätigt. Daraus ergebe sich, dass der Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels abzulehnen sei. Der BF sei Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden, davon habe die BF auch Gebrauch gemacht und habe sie beantragt, dem Antrag – allenfalls nach einem ergänzenden Ermittlungsverfahren – stattzugeben. Das BFA habe nach deren Prüfung dann mitgeteilt, durch das Vorbringen der BF habe nicht unter Beweis gestellt werden können, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten entgegen der seinerzeit erfolgten Mitteilung wahrscheinlich sei. Es sei daher aufgrund der Aktenlage spruchgemäß zu entscheiden gewesen und der Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels abzuweisen gewesen.
Dieser Bescheid wurde der Vertreterin des österreichischen Roten Kreuzes am 20.10.2020 zugestellt.
1.10. Gegen den Bescheid richtet sich die am 17.11.2020 von der Vertreterin des österreichischen Roten Kreuzes eingebrachte Beschwerde, in welcher zunächst der Verfahrensgang wiedergegeben wird und das bereits in der eingebrachten Stellungnahme angeführte Vorbringen wiederholt wird. In rechtlicher Hinsicht wird insbesondere ausgeführt, die Bezugsperson habe das Alter ihrer Tochter in ihrem eigenen Verfahren zur Zuerkennung von internationalen Schutz nicht korrekt angeben können, da sie keine Schulbildung habe und in schlechter psychischer Verfassung sei. Es seien keine individuell-konkreten Hinweise auf eine Fälschung der vorliegenden Urkunden hervorgekommen oder von den Behörden behauptet worden, sodass den diesbezüglichen Angaben der Behörde kein Begründungswert zukomme. Die BF sei bereit, ihre Minderjährigkeit zum Zeitpunkt der Antragstellung am 25.04.2019 durch Vornahme einer multifaktoriellen Altersdiagnose unter Beweis zu stellen. Es sei angesichts der Beweislage, nämlich den vorliegenden Dokumenten und den Angaben der BF vor der Botschaft – im Sinne der Judikatur (VwGH 01.03.2016, Ro 2015/18/0002) - jedenfalls hinreichend wahrscheinlich, dass die BF der Definition des § 35 Abs. 5 AsylG entspreche und als Familienangehörige zu betrachten sei. Aufgrund des bereits im Herkunftsstaat bestehenden Familienlebens und des Willens zur Fortsetzung desselben in Österreich sei ihr somit derselbe Schutz gem. § 34 AsylG zu gewähren. Weiters wurde angemerkt, die BF habe schon im Zuge der eingebrachten Stellungnahme dargelegt, dass die vorgelegten Urkunden gemäß den ortsüblichen Vorschriften beantragt und ausgestellt worden seien. Es sei daher nicht nachvollziehbar, weshalb die Echtheit seitens der Behörde in Zweifel gezogen worden sei. Es sei beantragt worden, die Urkunden einer kriminaltechnologischen Untersuchung zu unterziehen, um deren Echtheit zu überprüfen und sei in eventu beantragt worden, eine multifaktorielle Altersuntersuchung zu veranlassen, um das Alter der BF zum Zeitpunkt der Antragstellung festzustellen. Diesen Anträgen sei die Behörde jedoch nicht nachgekommen und habe die Behörde auch keine weiteren Erhebungen getätigt, welche der Ergänzung des Ermittlungsverfahrens dienlich gewesen wären. Die Behörde habe es weiters unterlassen, die Angaben und rechtlichen Ausführungen in der Stellungnahme vom 29.09.2020 in der Entscheidung erkennbar zu berücksichtigen. Schon im Rahmen des Parteiengehörs habe es die belangte Behörde verabsäumt der BF die Wahrscheinlichkeitsprognose des BFA zur Gänze zur Kenntnis zu bringen. Insbesondere sei die Rechtsgrundlage, auf der dies fuße, nicht angeführt worden. Es sei weder präzisiert worden, welche konkret eingereichten Unterlagen als unecht erachtet werden würden, noch auf welchen Zeitpunkt die Behörde sich bei der Beurteilung der Minderjährigkeit der BF bezogen habe. Der gegenständliche Bescheid sei deshalb mit formeller Rechtswidrigkeit belastet, was eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung des Verfahrens an die erste Instanz zur Ergänzung des Ermittlungsverfahrens erforderlich mache.
1.11. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 03.01.2021 wies die ÖB Teheran die Beschwerde gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG als unbegründet ab.
Begründend wurde ausgeführt, dass die Botschaft an die Wahrscheinlichkeitsprognose des BFA gebunden sei, jenseits und unabhängig von dieser Bindungswirkung aber die Ansicht des BFA, wonach sich im vorliegenden Fall gravierende Zweifel an der tatsächlichen Minderjährigkeit der BF ergeben hätten, geteilt werde. Die BF habe bei der Einvernahme im Rahmen der Antragstellung selbst angegeben, dass der Reisepass und die Tazkira ohne Vorlage persönlicher Dokumente wie Geburtsurkunde, Geburtsbescheinigung, etc., nur nach mündlichen Angaben neu beantragt worden seien. Sie sei von der Familie in Wien instruiert worden, das angegebene Geburtsdatum zu nennen, dieses sei durch nichts belegt. Wenn die BF behaupte, dass sie immer an diesem Tag Geburtstag gefeiert habe, werde auf die Anmerkung des BFA verwiesen, dass in Afghanistan üblicherweise keine Geburtstage gefeiert werden würden. Es hätten sowohl die Mutter, als auch der Bruder der BF bei der Befragung im Rahmen der Asylantragstellung am 25.10.2015 angegeben, dass die BF 15 Jahre alt sei und sei bei einer weiteren Befragung im Jahr 2018 angegeben worden, dass sie 17 Jahre alt sei. Somit sei die BF bei der Antragstellung im Jahr 2019 jedenfalls volljährig gewesen. Bei dem Reisepass und der Tazkira handle es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um von einer berechtigten Behörde ausgestellte, echte Dokumente mit unwahren Inhalt (Lugurkunden). In der Vergangenheit sei schon in ähnlich gelagerten Fällen so entschieden worden (W161 2120495-1 und W161 2120500-1). Im gegenständlichen Fall werde nicht bloß verallgemeinernd vorgebracht, dass in Afghanistan sämtliche Urkunden problemlos gegen Bezahlung oder aus Gefälligkeit gefertigt werden könnten, sondern habe die BF in der Befragung selbst angegeben, von ihrer Familie instruiert worden zu sein, das gegenständliche Geburtsdatum anzugeben. Unbestreitbar sei, dass der BF durch dieses Geburtsdatum eine günstigere rechtliche Position bei der Antragstellung nach § 35 AsylG zukomme. Soweit in der Beschwerde vorgebracht werde, dass eine altersdiagnostische Untersuchung gemäß § 13 Abs. 3 BFA-VG unterlassen worden sei, so sei dem entgegenzuhalten, dass aufgrund der Angaben der BF, ihrer Mutter und ihres Bruders jedenfalls von einer Volljährigkeit zum Antragszeitpunkt auszugehen sei und daher eine Untersuchung weder notwendig, noch zielführend sei, um eine Minderjährigkeit bei der Antragstellung nachzuweisen. Im Übrigen komme § 13 Abs. 3 BFA-VG in einem Verfahren wie dem vorliegenden gar nicht zur Anwendung, zumal sich die Anordnung des § 13 Abs. 3 BFA-VG nur auf ein Verfahren des BFA selbst und nicht auf ein solches einer Vertretungsbehörde beziehe. Die BF habe somit keinesfalls zweifelsfrei darlegen können, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung am 25.04.2019 von einer Minderjährigkeit auszugehen sei. Es bestehe somit keine Familienzugehörigkeit iSd § 35 Abs. 5 AsylG oder iSd Art. 8 EMRK und sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
1.12. Am 12.01.2021 wurde bei der ÖB Teheran ein Vorlageantrag gemäß § 15 VwGVG eingebracht. Begründend wurde auf die Stellungnahme vom 29.09.2020 sowie auf die Beschwerde vom 17.11.2020 verwiesen.
1.13. Mit Schreiben des Bundesministeriums für Inneres vom 12.02.2021 wurde dem Bundesverwaltungsgericht der Vorlageantrag samt Verwaltungsakten übermittelt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Am 25.04.2019 wurde für die BF von einer Vertreterin des österreichischen Roten Kreuzes, welche eine Vollmacht der Mutter der BF vorlegte, bei der ÖB Teheran ein schriftlicher Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 Abs. 1 AsylG gestellt. Am 04.02.2010 erfolgte eine persönliche Vorsprache der BF bei der ÖB Teheran im Beisein der angeblich bevollmächtigten XXXX (im Akt erliegt keine diesbezügliche Vollmacht). Als Bezugsperson wurde XXXX genannt, welche die Mutter der BF sei.
Der Bezugsperson – sowie zwei erwachsenen Brüdern der BF namens XXXX und XXXX - wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.02.2019 jeweils der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.
Das BFA teilte nach Prüfung des Sachverhaltes mit, dass die allgemeinen Voraussetzungen für eine positive Entscheidung im Familienverfahren nicht vorlägen, weil die Minderjährigkeit der BF massiv unglaubwürdig sei, weswegen die Zuerkennung des Status iSd § 35 Abs. 4 AsylG 2005 nicht wahrscheinlich sei. Diese Einschätzung wurde auch nach Einbringung einer Stellungnahme seitens der BF aufrechterhalten.
Mit Bescheid der ÖB Teheran vom 20.10.2020 wurde der Antrag der BF auf Erteilung des Einreisetitels gemäß § 26 FPG iVm § 35 AsylG abgewiesen.
Begründend wurde auf die Stellungnahme des BFA verwiesen, wonach die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten nicht wahrscheinlich sei, da bereits die allgemeinen Voraussetzungen für eine positive Entscheidung im Familienverfahren nicht vorliegen, weil die Minderjährigkeit der Antragstellerin massiv unglaubwürdig sei.
2. Beweiswürdigung:
Die festgestellten Tatsachen zur BF bzw. dem geführten Verfahren ergeben sich zweifelsfrei aus dem Akt der ÖB Teheran.
Die Feststellungen zum Asylverfahren der Bezugsperson bzw. den beiden volljährigen Brüdern in Österreich ergeben sich aus dem im Akt einliegenden Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.02.2019, GZen: W144 2210471-1/8E, W144 2185470-1/16E und W144 2185080-1/19E.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgebung der Beschwerde:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) idgF lauten:
Anträge auf Einreise bei Vertretungsbehörden
§ 35 (1) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei einer mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland (Vertretungsbehörde) stellen. Erfolgt die Antragstellung auf Erteilung eines Einreisetitels mehr als drei Monate nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sind die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 zu erfüllen.
(2) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 frühestens drei Jahre nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der Vertretungsbehörde stellen, sofern die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind. Diesfalls ist die Einreise zu gewähren, es sei denn, es wäre auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen oder in drei Monaten nicht mehr vorliegen werden. Darüber hinaus gilt Abs. 4.
(2a) Handelt es sich beim Antragsteller um den Elternteil eines unbegleiteten Minderjährigen, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, gelten die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 als erfüllt.
(3) Wird ein Antrag nach Abs. 1 oder Abs. 2 gestellt, hat die Vertretungsbehörde dafür Sorge zu tragen, dass der Fremde ein in einer ihm verständlichen Sprache gehaltenes Befragungsformular ausfüllt; Gestaltung und Text dieses Formulars hat der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten und nach Anhörung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (§ 63) so festzulegen, dass das Ausfüllen des Formulars der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts dient. Außerdem hat die Vertretungsbehörde auf die Vollständigkeit des Antrages im Hinblick auf den Nachweis der Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 hinzuwirken und den Inhalt der ihr vorgelegten Dokumente aktenkundig zu machen. Der Antrag auf Einreise ist unverzüglich dem Bundesamt zuzuleiten.
(4) Die Vertretungsbehörde hat dem Fremden aufgrund eines Antrags auf Erteilung eines Einreisetitels nach Abs. 1 oder 2 ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen (§ 26 FPG), wenn das Bundesamt mitgeteilt hat, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist. Eine derartige Mitteilung darf das Bundesamt nur erteilen, wenn
1. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§§ 7 und 9),
2. das zu befassende Bundesministerium für Inneres mitgeteilt hat, dass eine Einreise den öffentlichen Interessen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht widerspricht und
3. im Falle eines Antrages nach Abs. 1 letzter Satz oder Abs. 2 die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind, es sei denn, die Stattgebung des Antrages ist gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten.
Bis zum Einlangen dieser Mitteilung ist die Frist gemäß § 11 Abs. 5 FPG gehemmt. Die Vertretungsbehörde hat den Fremden über den weiteren Verfahrensablauf in Österreich gemäß § 17 Abs. 1 und 2 zu informieren.
(5) Nach dieser Bestimmung ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.
Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) idgF lauten:
Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten
§ 11 (1) In Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden haben Antragsteller unter Anleitung der Behörde die für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes erforderlichen Urkunden und Beweismittel selbst vorzulegen; in Verfahren zur Erteilung eines Visums D ist Art. 19 Visakodex sinngemäß anzuwenden. Der Antragsteller hat über Verlangen der Vertretungsbehörde vor dieser persönlich zu erscheinen, erforderlichenfalls in Begleitung eines Dolmetschers (§ 39a AVG). § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG gilt nur für in Österreich zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Personen. Die Vertretungsbehörde hat nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Eine Entscheidung, die dem Standpunkt des Antragstellers nicht vollinhaltlich Rechnung trägt, darf erst ergehen, wenn die Partei Gelegenheit zur Behebung von Formgebrechen und zu einer abschließenden Stellungnahme hatte.
(2) Partei in Verfahren vor der Vertretungsbehörde ist ausschließlich der Antragssteller.
(3) Die Ausfertigung bedarf der Bezeichnung der Behörde, des Datums der Entscheidung und der Unterschrift des Genehmigenden; an die Stelle der Unterschrift kann das Siegel der Republik Österreich gesetzt werden, sofern die Identität des Genehmigenden im Akt nachvollziehbar ist. Die Zustellung hat durch Übergabe in der Vertretungsbehörde oder, soweit die internationale Übung dies zulässt, auf postalischem oder elektronischem Wege zu erfolgen; ist dies nicht möglich, so ist die Zustellung durch Kundmachung an der Amtstafel der Vertretungsbehörde vorzunehmen.
…
Beschwerden gegen Bescheide österreichischer Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten
§ 11a (1) Der Beschwerdeführer hat der Beschwerde gegen einen Bescheid einer österreichischen Vertretungsbehörde sämtliche von ihm im Verfahren vor der belangten Vertretungsbehörde vorgelegten Unterlagen samt Übersetzung in die deutsche Sprache anzuschließen.
(2) Beschwerdeverfahren sind ohne mündliche Verhandlung durchzuführen. Es dürfen dabei keine neuen Tatsachen oder Beweise vorgebracht werden.
(3) Sämtliche Auslagen der belangten Vertretungsbehörde und des Bundesverwaltungsgerichtes für Dolmetscher und Übersetzer sowie für die Überprüfung von Verdolmetschungen und Übersetzungen sind Barauslagen im Sinn des § 76 AVG.
(4) Die Zustellung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hat über die Vertretungsbehörde zu erfolgen. § 11 Abs. 3 gilt.
§ 28 Abs. 1 bis 3 VwGVG lautet:
§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Die Regelung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes im Falle, dass die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 12.11.2014, Zl. Ra 2014/20/0029 (unter Verweis auf das Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063) zur Anwendung des § 28 Abs. 3 VwGVG ausgeführt:
„Der Verwaltungsgerichtshof hat sich dort mit dieser Frage auseinandergesetzt und dargelegt, dass ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch die Verwaltungsgerichte gesetzlich festgelegt ist. Die nach § 28 VwGVG von der meritorischen Entscheidungspflicht verbleibenden Ausnahmen sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem genannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden kann. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.“
Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof mehrfach ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, sofern in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes. Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 mwN sowie VfSlg. 14.421/1996 und 15.743/2000).
Die Behörde hat die Pflicht, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Die Behörde darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH vom 10.04.2013, Zl. 2011/08/0169 sowie dazu Walter/Thienel: „Verwaltungsverfahren Band I2“, E 84 zu § 39 AVG).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die österreichische Vertretungsbehörde im Ausland in Bezug auf die Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG 2005 an die Mitteilung des BFA über die Prognose einer Asylgewährung bzw. Gewährung subsidiären Schutzes gebunden, und zwar auch an eine negative Mitteilung, und kommt dieser diesbezüglich keine eigene Prüfungskompetenz zu (vgl. VwGH 16.12.2014, Ro 2014/22/0034; VwGH 01.03.2016, Ro 2015/18/0002).
Ungeachtet dieser für die Vertretungsbehörden bestehenden Bindungswirkung an die Prognoseentscheidung des BFA steht es dem Bundesverwaltungsgericht allerdings nunmehr - innerhalb des mit dem Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz - FNG, BGBl. I Nr. 87/2012, geschaffenen geschlossenen Rechtsschutzsystems - offen, auch die Einschätzung des BFA über die Wahrscheinlichkeit der Gewährung internationalen Schutzes an den Antragsteller auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (VwGH 01.03.2016, Ro 2015/18/0002). Auch wenn es sich bei der Mitteilung des BFA um keinen Bescheid handelt, der vom Antragsteller (selbständig) angefochten werden kann (VwGH 06. 10.2010, 2008/19/0527), setzt die Möglichkeit einer Überprüfung der Richtigkeit dieser Prognose durch das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls voraus, dass dieser Mitteilung des BFA in nachvollziehbarer Weise zu entnehmen ist, aus welchen Gründen das BFA die Zuerkennung des beantragten Schutzstatus für nicht wahrscheinlich hält.
Gegenständlich hat das BFA seine negative Wahrscheinlichkeitsprognose damit begründet, dass die BF zum Antragszeitpunkt bereits volljährig gewesen sei, damit nicht unter den Begriff der Familienangehörigen falle.
Obwohl die ÖB Teheran, der vom BFA geäußerten Rechtsansicht folgend, davon ausgeht, dass die Beschwerdeführerin volljährig sei, wird im Kopf der Beschwerdevorentscheidung das Geburtsdatum XXXX als jenes der Beschwerdeführerin angegeben. Unter Zugrundelegung dieses Geburtsdatums wäre die nunmehrige Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Antragstellung minderjährig gewesen.
Auch wird die Vertretung durch Anja RIECKEN als Vertreterin des österreichischen Roten Kreuzes im gesamten Verfahren nicht in Zweifel gezogen, obwohl im Akt lediglich eine Vollmacht erliegt, welche die Mutter von XXXX , welche gleichzeitig die Bezugsperson ist, unterfertigt hat.
Geht man, wie von der erstinstanzlichen Behörde angenommen von der Volljährigkeit der Antragstellerin bereits im Zeitpunkt der Antragstellung aus, so erliegt im Akt kein Dokument, wodurch diese jemand rechtswirksam eine Vertretungsvollmacht erteilt hätte.
Auch wurden ihr weder der Bescheid noch die Beschwerdevorentscheidung persönlich zugestellt, sondern erfolgte die Zustellung jeweils nur an die Vertreterin des österreichischen Roten Kreuzes. Unter Zugrundelegung der Rechtsansicht der erstinstanzlichen Behörde wären der Bescheid und die Beschwerdevorentscheidung jedoch der volljährigen Antragstellerin bzw. einer von ihr bevollmächtigten Person zuzustellen gewesen.
Durch diese Vorgehensweise der erstinstanzlichen Behörde liegt ein schwerer Formalfehler vor.
Aktuell kann vom erkennenden Gericht nicht festgestellt werden, ob der angefochtene Bescheid überhaupt ordnungsgemäß zugestellt wurde und ob eine rechtswirksame Beschwerde der XXXX vorliegt.
Das erkennende Gericht weist noch auf die Spezifika und die verfahrensrechtlichen Einschränkungen (siehe § 11a FPG) des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens hin, weshalb die Durchführung der notwendigen Ermittlungen nicht im Interesse der Effizienz, Raschheit und Kostenersparnis durch dieses selbst durchgeführt werden können.
Gemäß § 11a Abs. 2 FPG war dieser Beschluss ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu treffen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im vorliegenden Fall ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen wiedergegeben.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W161.2239525.1.00Im RIS seit
01.02.2022Zuletzt aktualisiert am
01.02.2022