TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/2 W247 2181310-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.06.2021
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Entscheidungsdatum

02.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W247 2181322-1/27E

W247 2181319-1/19E

W247 2181306-1/21E

W247 2181310-1/19E

W247 2181308-1/19E

W247 2181313-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HOFER über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. am XXXX , 3.) XXXX , geb. am XXXX , 4.) XXXX , geb. am XXXX , 5.) XXXX , geb. am XXXX , 6.) XXXX , geb. am XXXX , 8.) mj. XXXX , geb. am XXXX , gesetzlich vertreten durch den Vater XXXX alle StA. Kasachstan alias StA. Russische Föderation und vertreten durch den XXXX , die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.11.2017, 1.) Zl. XXXX , 3.) Zl. XXXX , 4.) Zl. XXXX , 5.) Zl. XXXX , 6.) Zl. XXXX , 8.) Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.03.2021 und am 12.03.2021, zu Recht:

A)

Die angefochtenen Bescheide werden gemäß § 28 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 5 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, idgF., ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Die beschwerdeführenden Parteien (BF1, BF3-BF6, BF8) sind kasachische Staatsangehörige und dem muslimischen Glauben zugehörig. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) ist mit der Zweitbeschwerdeführerin (BF2) verheiratet und sie sind die Eltern der Dritt- bis Achtbeschwerdeführer (BF3-BF8). Der BF1 ist der gesetzliche Vertreter des minderjährigen Siebtbeschwerdeführers (BF7) und der minderjährigen Achtbeschwerdeführerin (BF8). Die BF2 und der minderjährige BF7 sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, ihre Beschwerdeverfahren sind ebenfalls hg. zu XXXX und XXXX anhängig.

I. Verfahrensgang:

1. Die BF1-BF8 reisten zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im September 2013 nach Belgien, wo sie - unter der Vorgabe Staatsangehörige der Russischen Föderation zu sein - am 26.09.2013 Anträge auf internationalen Schutz stellten. Mit Erkenntnissen des belgischen Generalkommissariats für Flüchtlinge und Staatenlose vom 31.01.2014, GZen XXXX und XXXX wurden die Anträge der BF1-BF8 auf internationalen Schutz abgewiesen. Festgestellt wird darin unter anderem, dass die BF1-BF8 Staatsangehörige der Russischen Föderation und tschetschenischer Abstammung seien. Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Fluchtvorbringen der beschwerdeführenden Parteien kein Glauben zu schenken sei, zumal zwischen den Ausführungen des BF1 und seinen Familienmitgliedern hinsichtlich des Überfalls im August 2012, wonach bewaffnete Maskierte in ihre Wohnstätte eingedrungen und den BF1 geschlagen, sowie bedroht hätten, deutliche Unstimmigkeiten festgestellt worden seien. Die BF1-BF8 stellten in Belgien am 25.06.2014 und am 01.04.2015 weitere Anträge auf internationalen Schutz, wobei hinsichtlich dieser eine Weigerung der Inbetrachtnahme eines mehrfachen Asylantrages (Zurückweisung) erging.

2. Die BF1-BF8 reisten spätestens am 08.09.2015, unrechtmäßig und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 08.09.2015, die BF6-BF8 durch ihren gesetzlichen Vertreter, die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.

3.1. Am 09.09.2015, wurde der BF1 vor der Landespolizeidirektion (LPD) XXXX im Beisein eines dem BF1 einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache RUSSISCH erstbefragt. Dabei brachte er zusammenfassend vor, dass er in XXXX Kasachstan, geboren und Staatsangehöriger der Russischen Föderation sei. Er spreche gut Tschetschenisch, Russisch, sowie Kasachisch und habe die Grundschule von 1973 bis 1983 in Kasachstan besucht. Der BF1 habe eine weitere Tochter, XXXX , die sich seit 2005 vermutlich in Österreich befinde. Seine letzte Wohnadresse im Herkunftsstaat sei in XXXX , ul. XXXX , gewesen. Den Entschluss zur Ausreise habe er im Jahr 2012 gefasst, wobei er mit seiner Familie am 22.09.2013 mit einem Kleinbus von Tschetschenien über die Ukraine und Polen nach Belgien gereist sei, wo der BF1 und seine Familie ebenfalls Asylanträge gestellt hätten. In Belgien sei eine negative Entscheidung und eine Aufforderung zur Ausreise ausgestellt worden. In Belgien hätten sie sich von 26.09.2013 bis 08.09.2015 aufgehalten.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der BF1 an, nach dem Zerfall der Sowjetunion 1992 politisch aktiv gewesen zu sein und sich für die Gerechtigkeit, sowie Unabhängigkeit in Tschetschenien eingesetzt zu haben. Er habe sich im Jahr 1994 dem Widerstand angeschlossen und sich 2006 bei der Präsidentenwahl ( XXXX ) engagiert, wobei er in der Wahlkommission tätig gewesen sei. Der BF1 habe nach Kasachstan fliehen müssen und habe im Jahr 2012, als er nach Tschetschenien zurückgekehrt sei, Probleme mit der gegnerischen Partei gekommen. Diese hätten gedroht den BF1 zu ermorden, weshalb er sich und seine Familie über ein Jahr in Tschetschenien versteckt gehalten habe. Um weiteren Drohungen zu entgehen, habe der BF1 beschlossen zu fliehen. Bei einer Rückkehr fürchte er um sein Leben.

3.2. Am 09.09.2015, wurde die BF3 vor der Landespolizeidirektion (LPD) XXXX im Beisein eines der BF3 einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache RUSSISCH erstbefragt. Im Rahmen dessen machte sie geltend, Staatsangehörige der Russischen Föderation zu sein, gut Tschetschenisch und Russisch, sowie mittelmäßig Englisch und Französisch zu sprechen. Sie habe 11 Jahre lang die Grundschule und 3 Jahre die Modedesignschule in Kasachstan besucht und Tschetschenien am 22.09.2013 mit einem Kleinbus verlassen. Einen Reisepass habe sie nie besessen. Zu ihrer bisherigen Wohnadresse, ihrer Reiseroute und ihrem bisherigen Asylverfahren in Belgien machte sie dieselben Angaben wie der BF1. Zu ihren Fluchtgründen befragt, führte die BF3 aus, ihre Eltern hätten beschlossen ihre Heimat zu verlassen, weil ihr Vater in Tschetschenien verfolgt worden sei. Bei einer Rückkehr habe die BF3 Angst um ihr Leben.

3.3. Am 09.09.2015, wurde die BF4 vor der Landespolizeidirektion (LPD) XXXX im Beisein eines der BF4 einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache RUSSISCH erstbefragt. Im Rahmen dessen führte sie im Wesentlichen aus, Staatsangehörige der Russischen Föderation zu sein, gut Tschetschenisch und Russisch, sowie schlecht Englisch und Französisch zu sprechen. Sie habe 9 Jahre in Kasachstan die Grundschule besucht, sowie von 2007 bis 2010 das Med. College ebendort besucht und Tschetschenien am 22.09.2013 mit einem Kleinbus verlassen. Einen Reisepass habe sie nie besessen. Zu ihrer bisherigen Wohnadresse, ihrer Reiseroute und ihrem bisherigen Asylverfahren in Belgien machte die BF4 dieselben Angaben wie der BF1. Zu ihren Fluchtgründen befragt, führte die BF4 aus, ihre Eltern hätten beschlossen ihre Heimat zu verlassen, weil ihr Vater in Tschetschenien verfolgt worden sei. Bei einer Rückkehr habe die BF4 Angst um ihr Leben.

3.4. Am 09.09.2015, wurde die BF5 vor der Landespolizeidirektion (LPD) XXXX im Beisein eines der BF5 einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache RUSSISCH erstbefragt. Dabei führte sie zusammenfassend aus, dass sie Staatsangehörige der Russischen Föderation sei, gut Tschetschenisch und Russisch, sowie gut Französisch und Englisch spreche. Sie habe in Kasachstan 9 Jahre die Grundschule besucht und ein Jahr lang Sprachunterricht in Belgien genommen. Tschetschenien habe sie am 22.09.2013 mit einem Kleinbus verlassen und habe sie nie einen Reisepass besessen. Zu ihrer bisherigen Wohnadresse, ihrer Reiseroute und ihrem bisherigen Asylverfahren in Belgien machte die BF5 dieselben Angaben wie der BF1. Zu ihren Fluchtgründen befragt, führte die BF5 ebenfalls aus, dass ihre Eltern beschlossen hätten ihre Heimat zu verlassen, weil ihr Vater in Tschetschenien verfolgt worden sei. Bei einer Rückkehr habe die BF4 Angst um ihr Leben.

3.5. Am 09.09.2015, wurde die BF6 vor der Landespolizeidirektion (LPD) XXXX im Beisein eines der BF6 einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache RUSSISCH erstbefragt. Dabei führte sie im Wesentlichen aus, Staatsangehörige der Russischen Föderation zu sein, gut Tschetschenisch und Russisch, sowie gut Französisch zu sprechen. In Kasachstan habe sie 4 Jahre die Grundschule besucht, danach habe sie 2 Jahre die Grundschule in Belgien besucht. Die Ausreise aus dem Herkunftsstaat hätten ihre Eltern beschlossen, einen Reisepass habe die BF6 nicht, lediglich eine Geburtsurkunde. Zu ihrem Reiseweg und der Ausreise wisse sie nichts Genaueres. Zu ihrem Fluchtgrund befragt, gab die BF6 an, ihre Eltern hätten die Flucht nach Belgien beschlossen. Zu ihren Rückkehrbefürchtungen könne sie keine Angaben machen.

3.6. Die BF8 wurde aufgrund ihres kindlichen Alters nicht polizeilich erstbefragt.

3.7. EURODAC Treffer im Zuge der polizeilichen Erstbefragungen der BF1-BF6 ergaben ebenfalls, dass die BF1-BF8 am 26.09.2013, am 25.06.2014 und am 01.04.2015 Asylanträge in Belgien stellten.

4. Am 14.09.2015 wurde mit Belgien ein Konsultationsverfahren eingeleitet und stimmte Belgien der Übernahme der BF1-BF8 nach Art. 18.1.d. der EU Verordnung Nr. 604/2013 des europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III) zu, weshalb den BF1-BF8 mit Verfahrensanordnung vom 17.09.2015 mitgeteilt wurde, dass beabsichtigt werde ihre Anträge auf internationalen Schutz zurückzuweisen.

5. Im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 09.10.2015, im Beisein eines dem BF1 einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache RUSSISCH, wurden der BF1 und seine damals mj. Tochter, die BF6, einvernommen, wobei der BF1 im Wesentlichen angab, dass seine Frau seit Jahren psychische Probleme habe, deswegen schon in Belgien beim Psychiater gewesen zu sein und seit 7 oder 8 Monaten keine Medikamente mehr zu nehmen. Sie sei am Tag der Einvernahme beim Psychiater und könne an der Einvernahme nicht teilnehmen. Der BF1 selbst habe Probleme mit der Wirbelsäule, weshalb er auch schon in Belgien behandelt worden sei. Im Herkunftsstaat sei er noch nicht beim Arzt gewesen. Seinen Kindern gehe es gesundheitlich gut. Der BF1 gab auf Nachfrage an, dass seine Ehefrau und seine Kinder keine eigenen Fluchtgründe hätten, sondern sich auf seine Fluchtgründe beziehen würden. Er habe bis dato die Wahrheit gesagt und habe einen Ersatzpass für einen russischen Inlandsreisepass vorlegen können, weil man ihnen den russischen Inlandsreisepass weggenommen habe. Im Zuge dessen legte der BF1 einen Reisepass der „tschetschenischen Republik XXXX “ vor, der beweisen solle, dass er Staatsangehöriger Tschetscheniens sei. Der Ersatzreisepass sei 2012 ausgestellt worden, über ein Jahr sei der BF1 auf dem Fluchtweg gewesen und sei im August 2012 ihr Haus überfallen worden, wobei eine Tasche mit allen Dokumenten mitgenommen worden sei. Deshalb habe er sich in Inguschetien versteckt und habe es keine Möglichkeit gegeben einen neuen Pass ausstellen zu lassen. Es sei richtig, dass der BF1, wie bei der Erstbefragung angegeben, XXXX , geb. am XXXX , heiße und Staatsangehöriger der Russischen Föderation sei. Auf Vorhalt, dass im vorgelegten Pass von „ XXXX “ XXXX stehe, gab der BF1 an, dass das sein Stammname sei. Sein Vater habe IDIG geheißen, auf Russisch komme „OV“ hinzu. Die Dolmetscherin merkte dazu an, dass der Pass ausgestellt worden sei, als Tschetschenien unabhängig gewesen sei, nämlich 1986-1999, in dieser Zeit habe die Regierung ganz legal Pässe ausgestellt. BF7 und BF8 seien ebenfalls Staatsangehörige der Russischen Föderation. Eine weitere Tochter des BF1, XXXX , lebe seit 2005 in Österreich, Kontakt zu ihr bestehe keiner. Nach Belgien könne der BF1 mit seiner Familie nicht zurück, weil ihr Asylverfahren in Belgien negativ ausgegangen sei und sie von dort nach Tschetschenien ausgewiesen würden. Leute, die für den Sicherheitsdienst in Tschetschenien arbeiten würden, hätten den BF1 in Belgien gefunden und würden ihn dazu bringen wollen, freiwillig zurückzukehren. Er habe diese Leute als Landsleute kennengelernt und sie hätten angeboten, ihm in Belgien zu helfen, sowie dem BF1 eine Telefonnummer gegeben. Er hätte dann wegen seines negativen Asylverfahrens angerufen und gedacht, dass sie anständige Leute seien. Zwischen März 2012 und August 2015 hätten ca. 20 Treffen stattgefunden. Beim letzten Treffen sei dem BF1 vorgeschlagen worden Kontakt mit dem tschetschenischen Sicherheitsdienst aufzunehmen, damit der B1 zurückkehren könne und einen Job bekomme. Er müsse dann den Dienst bei der tschetschenischen Armee antreten oder bei den Behörden einen Job annehmen, dann würde ihm verziehen. Seine Frau, die BF2, habe Bedrohungen über Viber bekommen und der BF1 sei nach dem letzten Gespräch, als er gewusst habe, worum es ginge, mit seiner Familie untergetaucht. Nachdem habe dieser Mann dem BF1 eine Nachricht auf WhatsApp hinterlassen, wonach er ihn überall finden werde.

6.1. Nachdem die Überstellungsfrist der BF1-BF8 nach Belgien abgelaufen ist, wurden deren Verfahren im Bundesgebiet zugelassen und diese vor dem BFA erneut niederschriftlich einvernommen. Der BF1 brachte bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 08.06.2017 im Wesentlichen vor, dass er nicht in regelmäßiger ärztlicher Behandlung sei und keine Medikamente nehme. Alle seine Kinder seien gesund, lediglich seine Frau sei krank. Der BF1 führte aus, er sei in XXXX , in Kasachstan, geboren und habe dort bis zum Jahr 1992 gelebt. Dann sei er mit seiner Frau, zwei Kindern, seiner Mutter, sowie seiner Schwester nach Tschetschenien übersiedelt, wo er bis zum Jahr 2000 gelebt habe. Im Jahr 2000 sei er mit seiner Frau, seinen Kindern und seiner Mutter nach Kasachstan gereist, wo sie wiederum bis 2012 gelebt hätten. Im Anschluss seien sie zurück nach Tschetschenien gegangen, wo sie ein Jahr verblieben und von dort aus, im Jahr 2013, nach Belgien gereist seien. Die Mutter des BF1 sei bereits im Jahr 2011 von Kasachstan nach Tschetschenien zurückgekehrt. Der BF1 sei glaublich am 22.11.2013 aus Tschetschenien ausgereist um am 26.11.2013 in Belgien angekommen. Die ersten fünf Tage nach der Ausreise aus Kasachstan hätten sie an einer gemeinsamen Adresse, zunächst zwei Tage bei der Schwester des BF1, dann einen Tag in XXXX und im Anschluss zwei Tage bei ihnen zu Hause in XXXX , in XXXX , ul. XXXX gelebt. Danach hätten sie über ein Jahr lang im Untergrund verbracht (Anm.: im Jahr 2012). Im Untergrund sei der BF1 in Inguschetien gewesen, seine Frau sei mit den Kindern in XXXX verblieben. 2012 seien sie legal mit der Bahn und dem Bus von Kasachstan nach Tschetschenien gereist. Einen Auslandsreisepass habe der BF1 nie gehabt, für die Ausreise habe der Inlandsreisepass genügt, welcher ihm bei einem Überfall, vom 10. auf den 11.08.2012, auf sein Haus von Sondereinsatzkräften XXXX , abgenommen worden sei. Der BF1 habe noch zwei Schwestern in Tschetschenien und ein Freund habe ihm bei der Ausreise geholfen. Befragt dazu, wie der BF1 in Besitz eines tschetschenischen Passes gekommen sei, gab er an, dass er sich an XXXX gewandt habe, der ihm eine Bestätigung geschickt hätte, wonach sein Leben aufgrund seiner früheren politischen Betätigung in Gefahr sei und habe dieser seine tschetschenische Staatsangehörigkeit bestätigt. XXXX sei Vorsitzender der Regierung und des Ministerkabinetts im Exil in London, er genieße große Autorität unter der tschetschenischen Bevölkerung. Er habe diesen Pass auch in Belgien vorgezeigt, jedoch erst, als sein Asylverfahren negativ entschieden worden sei. In Kasachstan habe der BF1 auf Baustellen gearbeitet. Auf Frage, welchen Aufenthaltsstatus der BF1 in Kasachstan gehabt habe, vermeinte er den Status eines Gastes immer für 3 Monate gehabt zu haben, welcher wiederholt verlängert worden sei. Der BF1 habe jedoch nicht offiziell arbeiten dürfen. Als Staatsangehöriger der Russischen Föderation habe er Holz importieren dürfen, er sei dort (Anm.: in Kasachstan) geboren und aufgewachsen, es sei nicht genau auf ihn geschaut worden.

XXXX , eine weitere Tochter des BF1, halte sich nicht bei ihnen auf, weil sie ihr Haus in Kasachstan 2006 verlassen habe. Sie habe ein eigenes Leben führen und nicht mehr unter der Kontrolle ihrer Eltern stehen wollen. XXXX sei lange Zeit für sie nicht erreichbar gewesen, die Familie hätte nicht gewusst, wo sie sei und habe die Tochter des BF1 irgendwann einen Mann kennengelernt, mit dem sie nach Österreich geflüchtet sei. Das hätten sie jedoch erst später erfahren. Seine Tochter habe ebenfalls eine Tochter, die österreichische Staatsbürgerin sei, lebe mit dem Kindsvater nicht zusammen, weil sich herausgestellt habe, dass er aus dem kriminellen Milieu stamme und habe er das Kind verstoßen. Der BF1 habe erst in Österreich erfahren, dass sich seine Tochter XXXX ebenfalls hier aufhalte und hätten sie nun wieder Kontakt. Der BF1 und seine Familie befänden sich in Grundversorgung.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte der BF1 zusammenfassend aus, dass seine Eltern 1944 von Tschetschenien nach Kasachstan deportiert worden seien und der BF1 mit seiner Familie 1992 wegen des Zerfalls der Sowjetunion nach Tschetschenien gefahren sei, sowie ein Haus gekauft hätte, in welchem es auch zu dem Überfall gekommen sei. Tschetschenien sei bereits ein unabhängiger Staat gewesen und der BF1 sei damals zum ersten Mal nach Tschetschenien gekommen, wobei er sich erfolgreich integriert habe. Er sei Sympathisant der unabhängigen Republik gewesen und habe Waffen in die Hand nehmen müssen, um die Sicherheit seiner Familie zu verteidigen. Es seien Kundgebungen gegen den Krieg abgehalten worden, wobei der BF1 bei der Organisation geholfen habe. 2013 sei der BF1 aufgrund seiner politischen Ansichten geflohen, diese werde er nie aufgeben und wisse er viel über Personen, die in den Behörden XXXX arbeiten. Als der Überfall auf sein Haus stattgefunden habe, habe die Mutter des BF1 einen Gehirnschlag erlitten, woran sie gestorben sei. Außer seiner politischen Tätigkeit gründe die Verfolgungsgefahr auch darauf, dass der BF1 viel über die Leute wisse, die auch seine Mutter auf dem Gewissen hätten. Der BF1 habe an offiziellen Kampfhandlungen des ersten Tschetschenienkrieges teilgenommen und sei zweimal verwundet worden. In der Nacht seien sie beschossen worden und überall seien Menschen getötet worden. In Tschetschenien sei der BF1 nicht festgenommen worden, sonst wäre er gleich erschossen worden. Am zweiten Tschetschenienkrieg habe der BF1 nicht teilgenommen, er sei, sobald es möglich gewesen wäre, nach Inguschetien gegangen. 5-6 Monate habe er dort gelebt, danach seien sie nach Kasachstan gereist. Der BF1 habe nicht an den oppositionellen Kundgebungen gegen XXXX teilgenommen, sondern habe sich gegen die Organisatoren gewandt. Er habe mit Teilnehmern debattiert, dass sie gerade angelogen würden, die Organisatoren seien Kriminelle gewesen, die von Russland finanziert worden seien. Nach dem ersten Tschetschenienkrieg habe der BF1 sein Haus wieder in Ordnung gebracht, dann sei XXXX Präsident geworden, nachdem XXXX getötet worden sei. Der BF1 sei Wahlbeobachter gewesen, Mitglied in einer Partei sei der BF1 nicht gewesen.

Befragt dazu, warum der BF1 Kasachstan verlassen habe, gab er an, dass seine Mutter schon alt gewesen sei, weshalb sie bereits im Jahr 2011 nach Tschetschenien zurückgekehrt sei und einstweilen das Haus in Ordnung bringen habe wollen. Sie habe gesehen, dass es zum Verkauf stehe, weshalb sie angerufen habe und der BF1 nach Tschetschenien gefahren, sowie um sein Haus gekämpft habe. Er habe auch verschiedene Schreiben in Vorlage gebracht, welche seine Mutter an Behörden und die Staatsanwaltschaft geschrieben habe. Fünf Tage später habe der Überfall stattgefunden, bei welchem der BF1 zusammen- und fast totgeschlagen worden sei. Er habe Verletzungen am Rücken und eine gebrochene Nase gehabt. Der BF1 sei drei Monate lang behandelt worden, jedoch nicht im Spital, sondern im Untergrund bei einem Freund, bei dem sich der BF1 versteckt habe. Der BF1 habe ein Schreiben von XXXX , in welchem dieser glaublich schreibe, dass der BF1 überfallen worden sei. Auch der Vorsitzende des Parlaments schreibe, dass das Leben des BF1 bedroht sei. Überall in Tschetschenien, Kasachstan und Russland wisse man, dass der BF1 zur Ausreise gezwungen worden sei. Nachgefragt, wer den vorgelegten Haftbefehl gegen den BF1 erlassen haben soll, führte er aus, es sei ein Mitarbeiter einer Behörde gewesen, der BF1 wisse nicht, wer dort arbeite. Der Haftbefehl sei der Schwester des BF1 zugestellt worden, sie habe ihn dem BF1 nach Belgien geschickt. Die Schwester des BF sei einmal nach Inguschetien gefahren, dort habe sie das Foto des BF1 mit Kriminellen gesehen, welches sie ihm über WhatsApp geschickt habe. Auf einem anderen vom BF1 vorgelegten Foto, sei er mit einem ukrainischen Parlamentsabgeordneten und dem Sohn von XXXX zu sehen. Auf einem weiteren sei er mit XXXX und einem Journalisten von XXXX abgelichtet, dieses sei in Brüssel aufgenommen worden. Die anderen beiden Fotos seien aus dem Jahr 1995, wobei das eine Foto aus dem Keller stamme, indem sie sich versteckt gehalten hätten.

Unterlagen über die Verletzungen, die der BF1 aufgrund des Überfalls erlitten habe, gebe es keine. Befragt, wie bereits nach 5 Tagen bekannt sein konnte, dass der BF1 und seine Familie zurück in Tschetschenien seien, gab er an, dass sie ein Papier der Staatsanwaltschaft gehabt hätten, befugt zu sein, in ihr Haus zurückzukehren. Es sei jedoch eine Frau dort gewesen, die vermeinte, dass sie kein Recht dazu hätten. Diese Frau sei jedoch nach einer Stunde verschwunden. Der BF1 habe ihr mitgeteilt, sie würden das gerichtlich klären lassen, er vermute, sie habe gemeldet, dass sie zurück seien. Es seien zwei Häuser dort gewesen, wobei der BF1 der fremden Frau gesagt habe, sie könne in einem Haus bis zur gerichtlichen Entscheidung wohnen, sie sei jedoch nach einer Stunde verschwunden. Sie seien ein Jahr dortgeblieben, weil sie keine andere Möglichkeit gehabt hätten. Die Frau und die Kinder des BF1 hätten sich nicht auf der Straße gezeigt. Befragt dazu, warum an der Person des BF1 noch 20 Jahre nach dem Tschetschenienkrieg ein Interesse bestehen solle, führte der BF1 aus, dass Leute, die mit der Amtsführung XXXX nicht einverstanden wären, vernichtet würden. Der BF1 hätte Informationen, weshalb er eine Gefahr für die Leute XXXX darstellen würde. Die habe er, weil er die Berichte in Massenmedien verfolge. Die Leute, welche den Überfall verübt hätten, hätten nicht gewusst, wen sie zusammenschlagen würden. Seine Mutter und seine Ehefrau hätten sich in einem anderen Raum befunden und habe es noch keine Einrichtung gegeben. Die Mutter und die Ehefrau des BF1 seien geschlagen worden, dann sei der BF1 gepackt und geschlagen worden. Er sei ins Freie gezerrt worden, wobei ihm seine Mutter helfen habe wollen, welche sodann zurückgestoßen worden sei. Der Frau des BF1 sei die Nase gebrochen worden und sei der BF1 gefragt worden, woher er komme, warum seine Mutter an die Staatsanwaltschaft schreibe und sei ihm gesagt worden, dass sie das Sagen hätten. Sie hätten dem BF1 seinen Pass gezeigt und gefragt, warum er XXXX heiße, sie würden ihn nämlich nur unter dem Namen XXXX kennen. Sie hätten ihn gefragt, wo XXXX sei und habe der BF1 geantwortet, er sei der Cousin von XXXX , sowie, dass sie seinen Aufenthaltsort selbst herausfinden müssten. Er sei noch einige Male geschlagen worden, dann seien die Angreifer weg gewesen. Die ersten drei Monate sei sehr intensiv nach ihnen gesucht worden, nämlich bei Freunden, bei Verwandten und allen Checkpoints. Der Freund, bei welchem sich der BF1 versteckt habe, sei ein pensionierter Polizist. Wie viele Personen bei dem Überfall dabei gewesen seien, wisse der BF1 nur von seiner Frau, es seien 7 oder 8 Personen gewesen. Mit dem Konvolut an vorgelegten Schriftstücken wolle der BF1 beweisen, dass das Haus verkauft werde und nicht mehr in seinem Eigentum sei.

Übergriffe gegen seine Kinder habe es bis dato nicht gegeben. In der Russischen Föderation würde der BF1 den Tod erwarten. Nachweise für seine russische Staatsangehörigkeit seien die Dokumente, welche der BF1 am heutigen Tag vorgelegt habe. Befragt dazu, warum seine Tochter XXXX als einzige die kasachische Staatsangehörige sei, gab der BF1 an, dass sie dort geboren sei und die kasachische Staatsbürgerschaft angenommen habe. Wahrscheinlich habe sie keine andere Möglichkeit gesehen. Im Jahr 2005 habe sie nicht nach Tschetschenien fahren können. Nach dem Zerfall der Sowjetunion habe der BF1 seine russische Staatsangehörigkeit behalten und keine andere angenommen. Er hätte genauso die kasachische Staatsbürgerschaft annehmen können.

6.2. Im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 22.06.2017, im Beisein eines der BF3 einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache RUSSISCH, führte die BF3 im Wesentlichen aus, gesund zu sein, in Kasachstan geboren zu sein und dort bis zum Jahr 1992 gelebt zu haben. Sie sei danach mit ihren Eltern nach Tschetschenien übersiedelt, wo sie bis zum Jahr 2000 gelebt habe, wobei sie im Anschluss wieder nach Kasachstan zurückgekehrt seien. Im August 2012 seien sie erneut nach Tschetschenien gegangen und im September 2013 nach Belgien gereist. Auf Vorhalt, dass sie BF3 beim Ausfüllen des Datenblattes angegeben habe in XXXX geboren zu sein, wobei sie nun ausgeführt habe in Kasachstan geboren zu sein, vermeinte sie, dass in XXXX ihr Haus gewesen sei, wo sie auch gemeldet gewesen seien, weshalb automatisch dieser Ort als ihr Geburtsort im vorgelegten Personalausweis niedergeschrieben worden sei. Sie habe zuvor auch einen Inlandsreisepass gehabt, welcher jedoch von XXXX Leuten in der Nacht vom 10. auf den 11.08.2012 weggenommen worden sei. Dabei seien alle Inlandsreisepässe ihrer Familienmitglieder weggenommen worden. Sie seien ein ganzes Jahr in XXXX zu Hause gewesen und hätten sich vor den XXXX Leuten versteckt. Nachgefragt, warum im vorgelegten Personalausweis der BF3 eine andere Adresse stehe als in den Personalausweisen ihrer Geschwister, gab sie an, bei Verwandten gemeldet gewesen zu sein. Nach ihrer Rückkehr nach Tschetschenien habe die BF3 zunächst zwei Tage bei einer Tante gelebt, danach seien sie nach XXXX gefahren, wobei ihre Eltern und ihre Großmutter am 08.08.2012 nach XXXX gefahren wären. In der Nacht von 10. auf den 11.08.2012 seien die BF2 und die Großmutter nach XXXX zurückgekehrt, wobei der Überfall stattgefunden habe. Ihr Vater sei dann glaublich von Verwandten nach Inguschetien gebracht worden.

Die BF3 wisse nicht, wo ihre Geburtsurkunde sei. Auf Frage, warum die Geburtsurkunden ihrer mj. Geschwister in Tschetschenien im Jahr 2010 ausgestellt worden seien, führte die BF3 aus, das habe ihre Mutter mit ihrer Tante gemacht. Ihre Eltern seien in Tschetschenien gemeldet gewesen und man brauche nicht extra dorthin zu fahren, um solche Dokumente ausstellen zu lassen. Einen Auslandsreisepass habe die BF3 nie besessen. Befragt zu ihrem Aufenthaltsstatus in Kasachstan, gab die BF3 an, dass sie keinen Flüchtlingsstatus erhalten, sondern ein Gästevisum immer für die Dauer von drei Monaten gehabt hätten, das wiederholt verlängert worden sei.

Befragt zu ihren Fluchtgründen, gab die BF3 an, dass ihr Vater fast umgebracht worden und auch ihre Mutter geschlagen worden sei, sowie ihre Großmutter einen Gehirnschlag erlitten und gestorben sei. Die BF3 und ihre Geschwister hätten sich in der Nacht des Überfalls vom 10. auf den 11.08.2012 nicht bei ihren Eltern aufgehalten, weil diese das Haus vorbereitet hätten, damit sie dort leben könnten. Die BF3 habe Angst nach Tschetschenien zu fahren und vor Treffen mit Tschetschenen. Weitere Gründe für das Verlassen der Russischen Föderation gäbe es keine.

6.3. Im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 26.06.2017, im Beisein eines der BF4 einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache RUSSISCH, führte die BF4 im Wesentlichen aus, gesund zu sein, in XXXX geboren zu sein und dort bis zum Jahr 2000 gelebt zu haben. Danach sei sie mit ihren Eltern und Schwestern nach Kasachstan übersiedelt, wo sie bis zum Jahr 2012 gelebt hätten. Anschließend seien sie wieder nach Tschetschenien zurückgekehrt und von dort am 22.09.2013 nach Belgien ausgereist. Außer dem vorgelegten Personalausweis habe sie noch einen russischen Inlandsreisepass gehabt, der ihr von XXXX Leuten in der Nacht von den 10. auf den 11.08.2012 abgenommen worden sei. Befragt dazu, warum der BF4 ein russischer Inlandsreisepass ausgestellt worden sei, habe sie sich doch im Alter von 16 Jahren in Kasachstan aufgehalten, gab die BF4 an, sie sei in Tschetschenien geboren und dort immer noch gemeldet gewesen, weshalb sie als tschetschenische Bürgerin gegolten habe. Diesen Personalausweis hätten sie sich 2013 besorgt, damit sie irgendwelche Identitätsnachweise hätten. Ihre Schwester XXXX habe die kasachische Staatsbürgerschaft, weil sie die Familie 2006 verlassen habe. Wahrscheinlich habe sie diese aus der BF4 nicht bekannten Gründen gebraucht. Nach ihrer Rückkehr aus Kasachstan, hätten sie in Tschetschenien in XXXX bei XXXX der Schwägerin ihrer Großmutter, gelebt. Am 13.08.2013 sei ihre Großmutter nach einem Gehirnschlag gestorben. Warum im Personalausweis der BF4 eine andere Adresse als bei ihren Geschwistern stehe, verstehe sie selbst nicht. Ihre Tante habe die Personalausweise so ausgefolgt bekommen. Als ihnen die Inlandsreisepässe von XXXX Leuten abgenommen worden seien, sei die BF4 nicht dabei gewesen, ihre Eltern hätten zuerst das Haus in Ordnung bringen wollen. Im Jahr 2012 bis 2013 habe sich ihr Vater in Inguschetien aufgehalten.

Befragt wo sich die Geburtsurkunde der BF4 befinde, gab diese an, dass sich alle Dokumente, die sie gehabt hätten, in der Tasche ihrer Mutter befunden hätten. Nachgefragt, warum die Geburtsurkunden ihrer mj. Geschwister nicht abgenommen worden seien, fragte die BF4, ob es diese noch gäbe. Die BF4 vermeinte, sie habe nicht gewusst, dass es diese Geburtsurkunden noch gäbe. Warum diese 2010 ausgestellt worden seien, wisse sie nicht genau. Es sei darüber gesprochen worden, dass ihre Mutter irgendwelche Papiere nach Tschetschenien schicke und die Geburtsurkunden ausstellen habe lassen. Einen Auslandsreisepass habe die BF4 nie besessen. Während ihrer Fahrt durch die Russische Föderation habe sie sich mit ihrem Personalausweis ausgewiesen. In Kasachstan hätten sie eine Gästekarte gehabt, die jeweils für 3 Monate gültig gewesen sei.

Zu ihren Fluchtgründen befragt, führte die BF4 aus, dass für sie in Tschetschenien Lebensgefahr bestanden habe. Ihr Vater sei Anhänger von XXXX gewesen und wolle XXXX alle ausrotten, die für XXXX und XXXX gearbeitet hätten. Deshalb sei auch jener Überfall auf ihren Vater verübt worden. Weitere Gründe gäbe es keine.

6.4. Im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 22.06.2017, im Beisein eines der BF5 einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache RUSSISCH, gab die BF5 zusammenfassend an, gesund zu sein und in XXXX geboren zu sein. Glaublich habe die BF5 bis zum Jahr 2000 in Tschetschenien gelebt, danach sei sie mit ihren Eltern und Geschwistern nach Kasachstan gereist, wo sie bis August 2012 verblieben sei. Im Anschluss seien sie nach Tschetschenien zurückgekehrt und zu ihrer Tante gefahren, ein paar Tage später seien sie zur Schwägerin ihrer Großmutter nach XXXX gefahren. Dort habe sie sich von 07.08.2012 bis 10.10.2013 aufgehalten. Ihre Eltern und ihre Großmutter seien nach XXXX gefahren, wo auf sie ein Überfall von XXXX Leuten verübt worden sei. Die Angreifer seien maskiert gewesen und ihr Vater sei schwer zusammengeschlagen worden. Ihre Großmutter sei in Ohnmacht gefallen und glaublich sei auch ihre Mutter geschlagen worden. Details wisse sie keine, sie habe von dem Vorfall erst in Belgien erfahren. Der Überfall habe vom 10. auf den 11.08.2012 stattgefunden. Befragt dazu, warum aus ihrem Personalausweis eine andere Adresse hervorgehe, führte die BF5 aus, dass es sich dabei vielleicht um eine Meldeadresse handle. Warum diese Adresse angeführt sei, wisse sie nicht, das müsse man ihre Mutter fragen. Geburtsurkunde habe die BF5 keine und einen Auslandsreisepass habe sie nie besessen. Ihren Inlandsreisepass hätten XXXX Leute bei jenem Überfall abgenommen, sie sei jedoch nicht dabei gewesen. Die BF5 sei nicht im September 2013 ausgereist, sie hätte Tabletten genommen und ihren Eltern nichts gesagt. Sie habe ihre Eltern erst in Belgien getroffen.

Zu ihren Fluchtgründen befragt, führte die BF5 aus, sie habe ihr Heimatland verlassen, weil es einen Überfall auf ihren Vater gegeben habe. Er sei Anhänger von XXXX und habe seine eigenen politischen Überzeugungen. Es habe Gefahr für ihr Leben bestanden, weshalb sie ihre Heimat verlassen hätten. Weitere Gründe gäbe es keine.

6.5. Im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 08.06.2017, im Beisein eines der BF6 einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache RUSSISCH und ihrem Vater als gesetzlichen Vertreter, gab die BF6 im Wesentlichen an, gesund zu sein und in Kasachstan geboren zu sein, wo sie bis zum Jahr 2010 gelebt habe. In Tschetschenien habe sie ein Jahr gelebt, dann seien sie nach Belgien gereist. Wo ihr Inlandsreisepass sei, wisse die BF6 nicht und einen Auslandsreisepass habe sie nie besessen. Warum aus ihrer Geburtsurkunde hervorgehe, dass sie in XXXX geboren sei, wisse die BF6 nicht. Tschetschenien habe die BF6 2012 in einem LKW verlassen. Zu ihren Fluchtgründen befragt, führte sie aus, es habe irgendwelche politischen Probleme gegeben, niemand hätte ihr jedoch dazu etwas erklärt. Die BF6 habe auch keine Fragen gestellt, weil es sie offensichtlich nichts angehe. Weitere Gründe gäbe es keine.

6.6. Die BF8 wurde aufgrund ihres kindlichen Alters nicht niederschriftlich einvernommen.

7. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 16.10.2017, wurde mitgeteilt, dass die vorgelegten Geburtsurkunden der BF6-BF8, im Zuge einer urkundentechnischen Untersuchung als Totalfälschung qualifiziert wurden.

8. Folgende identitätsbezeugende Dokumente wurden erstinstanzlich für die BF1, BF3-BF6 und die BF8 vorgelegt:

?        Kasachischer Führerschein des BF1, ausgestellt am 11.04.2012;

?        Reisepass der „tschetschenischen Republik XXXX “ des BF1, ausgestellt am 15.06.2015;

?        Personalausweise des BF1 und der BF3-BF5, jeweils ausgestellt am 20.06.2013;

?        Geburtsurkunden der BF6 und der BF8, ausgestellt am 21.03.2010 (Totalfälschungen);

Nach den Untersuchungsberichten des Bundeskriminalamtes vom 02.08.2017 liege kein Informations- oder Vergleichsmaterial hinsichtlich der vorgelegten Personalausweise des BF1 und der BF3-BF5 vor, weshalb keine Beurteilung des Formulardruckes möglich sei.

9.1. Mit den angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.11.2017, wurden die Anträge des BF1, der BF3-BF6 und der BF8 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde dem BF1, den BF3-BF6 und der BF8 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen diese eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

9.2. In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zu den Personen des BF1, der BF3-BF6 und der BF8, wobei ihre russische Staatsangehörigkeit festgestellt wurde, zur Lage in ihrem Herkunftsstaat Russische Föderation und führte aus, dass die Ausführungen zu den Fluchtgründen keine Asylrelevanz hätten. Es hätte keine Verfolgung im Konventionssinn glaubhaft gemacht werden können. Auch habe nicht festgestellt werden können, dass dem BF1, der BF3-BF6 und der BF8 im Falle der Rückkehr eine asylrelevante Verfolgung drohen würde. Beweiswürdigend wurde im Wesentlichen festgehalten, dass die Identität und Staatsangehörigkeit der beschwerdeführenden Parteien aufgrund der Eintragungen in ihren befristeten Identitätsdokumenten feststehen würden. Die vorgebrachten Fluchtgründe seien wegen zahlreicher Ungereimtheiten bzw. Widersprüchlichkeiten nicht glaubhaft. Beispielsweise seien der Familie im Juni 2013 die vorgelegten befristeten Personaldokumente ausgestellt worden, was gegen das Vorliegen einer individuellen, konkreten Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat spräche. Hätte sich der BF1 nach dem Überfall tatsächlich versteckt gehalten, sei nicht ersichtlich, warum er sich dafür Dokumente hätte besorgen sollen.

9.3. Die belangte Behörde kam zu dem Schluss, dass die beschwerdeführenden Parteien keine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat geltend gemacht hätten. Es ergebe sich auch keine Gefährdungslage nach § 8 AsylG und erscheine eine Rückkehr in die Russische Föderation zumutbar.

9.4. Demnach – so die belangte Behörde – könne der vom BF1 behauptete Fluchtgrund nicht zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft und in weiterer Folge zur Gewährung des Asylstatus des BF1, der BF3-BF6 und der BF8 führen. Aus ihren Vorbringen sei nichts ersichtlich, das im Falle ihrer Rückkehr eine existenzbedrohende Notlage oder sonst extreme Gefährdungslage erkennen lassen würde. Es seien im Verfahren keine Ansatzpunkte einer besonderen Integration des BF1, der BF3-BF6 und der BF8 in Österreich hervorgekommen, zumal diese sich erst seit kurzer Zeit in Österreich befinden würden.

10. Mit Verfahrensanordnung vom 20.11.2017 wurde dem BF1, der BF3-BF6 und der BF8 gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

11. Mit Schriftsatz vom 10.12.2017 brachte der rechtsfreundliche Vertreter des BF1, der BF3-BF6 und der BF8 für diese fristgerecht die verfahrensgegenständliche, gleichlautende Beschwerde, bezogen auf den BF1, gegen die gegenständlichen Bescheide des BFA, zugestellt am 21.11.2017, wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften in vollem Umfang ein, wobei beschwerdeseitig zusammenfassend zunächst erneut der Sachverhalt dargestellt und ausgeführt wurde, dass der BF1 Staatsangehöriger der Russischen Föderation sei. Geltend gemacht würden mit der Beschwerde Feststellungs- und Begründungsmängel, das Ignorieren des Parteienvorbringens, die Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung und das Verkennen der Sachlage. Im Anschluss wurde beschwerdeseitig zu einzelnen Punkten der Beweiswürdigung in den angefochtenen Bescheiden Stellung genommen und wurde in der Beschwerde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge 1.) eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchführen, 2.) den Beschwerdeführern die Flüchtlingseigenschaft zuerkennen, 3.) in eventu, den Beschwerdeführern den Status von subsidiär Schutzberechtigen zuerkennen, 4.) in eventu, die Angelegenheit zur Sanierung der Verfahrensmängel an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückverweisen.

12. Die Beschwerdevorlagen vom 21.12.2017 und die Verwaltungsakte langten beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 02.01.2018 ein.

13. Mit Schriftsatz vom 01.09.2020 übermittelte der rechtsfreundliche Vertreter ein weiteres Schreiben hinsichtlich des BF1 in russischer Sprache.

14. Mit Ladung vom 19.02.2021 übermittelte das BVwG den beschwerdeführenden Parteien die Beweismittelliste zur Lage in der Russischen Föderation und das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, letzte Änderung 04.09.2020, mit der Information, dass es beabsichtige seiner Entscheidung diese Feststellungen zu Grunde zu legen. Der Beschwerdeseite wurde Gelegenheit eingeräumt, dazu binnen 10 Tagen einlangend schriftlich Stellung zu nehmen, wovon die Beschwerdeseite mit Schreiben vom 03.03.2021 Gebrauch machte, in welchem die Situation der Beschwerdeführer und die beschwerdeseitig behauptete Gefährdung der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation unter Bezugnahme auf einzelne Stellen des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation für die Russische Föderation ausgeführt wurden und eine zeugenschaftliche Einvernahme des Präsidenten der Vereinigung „ XXXX “ beantragt wurde.

15. Am 10.03.2021 und am 12.03.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt.

16. Mit Schriftsatz vom 19.03.2021 und Eingabe vom 25.03.2021 wurden beschwerdeseitig medizinische Unterlagen, sowie Unterlagen zur Integration vorgelegt und Links zu Videos im Internet bekanntgegeben, welche den BF1 und seine Familie bei exilpolitischen Tätigkeiten, insbesondere Protestkundgebungen zeigen würdeb, wobei vom erkennenden Gericht hinsichtlich zweier Videos die Übersetzung zweier kurzer Ausschnitte veranlasst wurde. Diese Unterlagen wurden der belangten Behörde im Rahmen eines Parteiengehörs zur Stellungnahme vorgelegt.

17. Mit Stellungnahme der belangten Behörde vom 26.03.2021 wurde ergänzend vorgebracht, dass im Verfahren vor den österreichischen Behörden keine neuen oder relevant geänderten Tatsachen hervorgekommen seien und angesichts der geänderten Rechtslage seit Erlassung der erstinstanzlichen Bescheide (vgl. VwGH Ra 2018/21/0025-7;EuGH 25.06.2020, C-36/20, VL), wonach ein Asylantrag, welcher bei einer anderen Behörde, sohin auch bei einer anderen Behörde in einem anderen Mitgliedstaat, gestellt wurde, als im Inland gestellt zu betrachten und eine Zurückweisung wegen entschiedener Sache zulässig sei.

Darüber hinaus habe sich aus den Angaben der Tochter des BF1 und der BF2, XXXX , in ihrem Asylverfahren ergeben, dass diese im Jahr 2007 aus Tschetschenien ausgereist sei, wo die Familie zu jener Zeit gelebt habe. So hätte die Familie zu jener Zeit gerade nicht in Kasachstan gelebt und seien ihnen zu einer Zeit, in welcher sie in Kasachstan gelebt hätten, Dokumente in der Russischen Föderation ausgestellt worden. Insbesondere die Geburtsorte würden nicht der dargelegten Chronik entsprechen und spreche der vorgelegte, kasachische Führerschein des BF1, ausgestellt am 11.04.2012, grundsätzlich gegen jegliche Verfolgungsakte in Kasachstan. Völlig offen sei, ob die B1-BF8 nicht, wie XXXX , kasachische Staatsangehörige seien. Offenbar seien die Eltern des BF nach Kasachstan verbannt worden und sei nicht unplausibel, dass die beschwerdeführenden Parteien versucht hätten, die russische Staatsangehörigkeit zu erlangen, zumal Nachkommen der damals Vertriebenen nach dem russischen Staatsbürgerschaftsgesetz darauf einen Rechtsanspruch hätten. Sollten die vorgelegten vorläufigen Personalausweise der beschwerdeführenden Parteien als echt befunden werden, sei darauf zu verweisen, dass solche Ausweise laut Homepage des russischen Innenministeriums ausschließlich für die Dauer des Verfahrens auf Ausstellung eines russischen Reisepasses bis zur Entscheidung darüber vorgesehen seien. Die begründete Furcht vor Verfolgung müsse sich auf jenes Land beziehen, dessen Staatsangehörigkeit der Asylwerber besitze. Furcht vor Verfolgung in einem Land, welches nicht das Heimatland sei, könne nämlich durch Schutz des Heimatlandes abgewendet werden. Feststehe, dass die BF2 jedenfalls einen russischen Pass erlangt habe, dies schließe eine Doppelstaatsbürgerschaft jedoch nicht aus.

Die belangte Behörde führt in weiterer Folge aus, warum sie das Fluchtvorbringen der beschwerdeführenden Parteien für nicht glaubhaft erachte und nimmt zu deren Integration im Bundesgebiet Stellung.

18. Mit Stellungnahme der belangten Behörde vom 05.05.2021 wurde eine Anfragebeantwortung der österreichischen Botschaft Nursultan (Kasachstan) vorgelegt, der zu entnehmen ist, dass der BF1, die BF3-BF6 und die BF8 kasachische Staatsangehörige sind. Der BF1 sei demnach im Besitz eines kasachischen Reisepasses mit der Nr. XXXX , ausgestellt am 28.03.2013, gültig bis 07.03.2023. Der BF1 habe XXXX am 02.07.2013 mit dem Flugzeug Richtung Frankfurt am Main verlassen. Die BF3-BF6, sowie die BF8 seien ebenfalls im Besitz kasachischer Reisepässe: mit der Nummer XXXX , ausgestellt am 28.08.2007 (BF3), mit der Nummer XXXX , ausgestellt am 27.08.2013 (BF4), mit der Nummer XXXX , ausgestellt am 25.06.2013, gültig bis 24.06.2021 (BF5), mit der Nummer XXXX , ausgestellt am 07.06.2013, gültig bis 26.06.2023 (BF6), mit der Nummer XXXX , ausgestellt am 07.06.2013, gültig bis 06.06.2023 (BF8). BF1, BF3, BF4 sind darüber hinaus im Besitz kasachischer Personalausweise.

Daran anknüpfend wurde behördenseitig dargetan, dass sich daraus ergebe, dass der Herkunftsstaat des BF1 Kasachstan sei und dieser am 02.03.2013 legal vom XXXX nach Frankfurt gereist sei. Sohin sei das Vorbringen zu seinen in der Russischen Föderation erlittenen Repressionen erwiesenermaßen unmöglich. Ein auf Kasachstan bezogenes geeignetes Vorbringen sei nicht erstattet worden, die legale Ausreisemöglichkeit und die Innehabung und die Ausstellung kasachischer Reisedokumente unmittelbar vor der Ausreise, sowie Schul- und Berufsausbildungen würden beweisen, dass die beschwerdeführenden Parteien als ethnische Tschetschenen in Kasachstan niemals asylrelevante Schwierigkeiten gehabt hätten und auch im Falle einer Rückkehr solche nicht haben würden. Anzumerken sei, dass durch die nachhaltigen Falschangeben strafrechtliche Sachverhalte verwirklicht worden seien, weshalb seitens des BFA an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden eine Sachverhaltsmitteilung übermittelt worden sei. Selbst wenn die BF2 und der BF7 keine Staatsangehörige Kasachstan seien, sei bei Annahme eines tatsächlichen Familienverhältnisses in Verbindung mit ihren eigenen Aussagen über ihren langjährigen Aufenthalt in Kasachstan davon auszugehen, dass diese alternativ auch dorthin zurückkehren und sich problemlos dort niederlassen könnten. Dem BF1 stünde es auch frei, seine exilpolitischen Tätigkeiten in Kasachstan auszuüben.

19. Mit Schriftsatz vom 07.05.2021, gewährte das BVwG der Beschwerdeseite zu diesem Beweisergebnis Parteiengehör binnen 10 Tagen hg. einlagend.

20. Mit Schriftsatz der beschwerdeführenden Parteien vom 18.05.2021, hg. eingelangt am 19.05.2021, wurde beschwerdeseitig ausgeführt, dass die Behauptung der BF1 habe Kasachstan am 02.03.2013 legal mit dem Flugzeug von XXXX aus verlassen, falsch sei. Diesen behaupteten Flug gäbe es nicht. Unrichtig sei außerdem, dass der geschilderte Vorfall in Tschetschenien im August 2012 erwiesenermaßen unmöglich sei bzw. es sich um Falschangaben handle. Die beschwerdeführenden Parteien hätten die in Tschetschenien befindliche Liegenschaft im August 2012 tatsächlich aufgesucht, um das Haus wieder bewohnbar zu machen, weil sie den Wunsch gehabt hätten in ihre ursprüngliche Heimat Tschetschenien zurückzukehren. Die Umstände und der Ablauf der Ereignisse des geschilderten Überfalls seien Tatsachen, die sich so ereigenet hätten, wie von den beschwerdeführenden Parteien geschildert.

Von dem Vorwurf, dass sie verschwiegen hätten nach den Vorfällen nach Kasachstan zurückgekehrt zu sein, von wo aus sie ihre Flucht angetreten hätten, könnten sich die BF1-BF8 jedoch nicht befreien. So hätten die beschwerdeführenden Parteien auch verschwiegen, dass sie während ihrer Aufenthaltszeit im kasachischen Exil Staatsangehörige Kasachstan geworden seien. Der BF1 sei als Bürger der UdSSR in der kasachischen Teilrepublik geboren worden und habe den Militärdienst für die Sowjetunion abgeleistet. Nach dem Zerfall der Sowjetunion sei er im neuen GUS-Staat Kasachstan zunächst bis zum Jahr 2003 oder 2004 staatenlos gewesen. Der BF1 habe dann die kasachische Staatsangehörigkeit annehmen müssen, um nicht diskriminiert zu werden bzw. existenzfähig zu sein. Die Herkunft des BF1 sei tschetschenisch und nicht kasachisch, weil er der Sohn von Tschetschenen sei, welche von Stalin in einer Strafaktion von Tschetschenien nach Kasachstan deportiert worden seien. Fast eine halbe Million Tschetschenen seien in Viehwaggons nach Kasachstan ausgesiedelt worden und seien Zehntausende während des Transports an Unterernährung und Krankheiten verstorben. Viele noch lebende Tschetschenen könnten sich an die Deportation erinnern oder seien im kasachischen Exil geboren. Das Gedenken an die Deportation sei daher ein zentraler Aspekt der tschetschenischen Identität von heute. Diese tschetschenische Identität könnten die beschwerdeführenden Parteien niemals aufgeben und sei ihre Sehnsucht nach einer Rückkehr in ihre Heimat bleibend. Von einer kasachischen Herkunft ihrerseits könne keine Rede sein. Der BF1 sei 1992 wieder in seine Heimat Tschetschenien zurückgekehrt und habe, als begeisterter Anhänger der „unabhängigen Republik XXXX “, aktiv am politischen Leben teilgenommen. Der BF1 habe im ersten Tschetschenienkrieg mitgekämpft und nicht nur seine Familie, sondern auch die „Republik XXXX “. Nach dem Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges im Jahr 2000 sei der BF1 wieder nach Kasachstan zurückgekehrt, jedoch mit dem Wunsch erneut nach Tschetschenien zurückzukehren, weshalb er sein Haus in Tschetschenien im Jahr 2012 für seine Familie habe bewohnbar machen wollen und der fluchtauslösende Vorfall im August 2012 geschehen sei. Danach sei der BF1 tatsächlich abgeholt und versteckt worden. Alle Familienmitglieder hätten nach dem Angriff aus ihrer tschetschnischen Heimat flüchten und nach Kasachstan zurückkehren müssen.

In Tschetschenien hätten sie keine Möglichkeit gehabt an Reisedokumente zu kommen und seien ihre Reisedokumente, mit Ausnahme der BF3, deren Reisepass im Jahr 2007 ausgestellt worden sei, im Jahr 2013 in Kasachstan ausgestellt worden. Die Vorbereitungszeit der Ausreise für die BF1-BF8 sei sehr kurz gewesen und habe der Reiseantritt aus Sicherheitsgründen in Tranchen stattgefunden, wobei zunächst der BF1 mit dem BF7 ausgereist sei und die BF2 mit den Töchtern nach Belgien nachgekommen sei.

Der Ansicht des Bundesamtes, wonach kein auf Kasachstan bezogenes Vorbringen erstattet worden sei, die beschwerdeführenden Parteien daher in Kasachstan niemals asylrelevante Schwierigkeiten gehabt hätten und diese daher auch bei einer Rückkehr nicht haben würden, müsse entgegengehalten werden, dass das Fehlen eines solchen Vorbringens nicht zwingend bedeute, dass den beschwerdeführenden Parteien in Kasachstan keine asylrelevante Verfolgung drohe. Diese Mutmaßung des BFA sei oberflächlich und greife viel zu kurz. Es bedürfe der Verknüpfung des historischen Hintergrundes mit den persönlichen Lebensumständen der beschwerdeführenden Parteien, wobei solche Überlegungen der belangten Behörde gänzlich fehlen würden. Der BF1 sei eine Person mit einschlägigem politischem Hintergrund und habe ihn der lebensbedrohliche Überfall im August 2012 von seinem Plan abgehalten, mit seiner Familie nach Tschetschenien zurückzukehren, weshalb diese erneut nach Kasachstan fliehen hätten müssen. An einem erneuten Verlassen Kasachstans seien die beschwerdeführenden Parteien nicht interessiert gewesen, weil sie sich Stabilität erhofft hätten und ein normales Leben als Anhörige der russischen Minderheit hätten führen wollen. Die Kinder hätten aufwändige Ausbildungen absolivert, die BF2 habe unterrichtet und der BF1 sei als Geschäftsmann tätig gewesen. Jedoch seien die beschwerdeführenden Parteien auch in Kasachstan nicht sicher vor Verfolgung durch die Sicherheitskräfte XXXX bzw. des russischen Geheimdienstes gewesen, sondern seien sie aufgespürt und terrorisiert worden. Der BF1 und die BF2 hätten berichtet, dass sie nach ihrer fluchtartigen Rückkehr nach Kasachstan in großer Angst gelebt und sich deswegen unter Polizeischutz stellen hätten müssen. Möglich sei das nur durch Bezahlung beträchtlicher Geldsummen, bis zum Einsteigen in das Flugzeug, gewesen. Dass die beschwerdeführenden Parteien in Kasachstan keiner asylrelevanten Verfolgung unterliegen würden, seien präjudizielle Vermutungen, ohne Erhebungen und Erwägungen des Einzelfalls zu tätigen.

Dem BFA sei vielmehr vorzuhalten, dass es verpflichtet gewesen wäre, alle den Feststellungen des konkreten Sachverhaltes dienlichen Erhebungen im erstinstanzlichen Verfahren durchzuführen und nicht erst im Beschwerdeverfahren. Offensichtlich würden nun Erhebungen nachgeholt, welche erstinstanzlich vernachlässigt worden seien. Hätte das BFA diese Verpflichtung hinreichend erfüllt, wären diese wesentlichen Tatsachen, wie die Staatsangehörigkeit der beschwerdeführenden Parteien, nicht erst im Beschwerdeverfahren hervorgekommen. Der maßgebliche Sachverhalt sei im erstinstanzlichen Verfahren nicht festgestellt worden, weshalb nun die Beschwerdeinstanz vor der Aufgabe stehe, grundlegende Tatsachenfeststellungen abzuwägen, welche bereits von der Erstinstanz hätten geklärt werden müssen. Wenn sich das Asylverfahren einem ein-instanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähere, würde die Einräumung des Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert. Dem Prinzip der zwei-instanzlichen Verfahrensführung stünde es kontraproduktiv entgegen, wenn das BVwG über Erhebungsergebnisse entscheide, über welche die Erstinstanz bereits im anzufechtenden Bescheid hätte entscheiden müssen, weshalb die Angelegenheit in einem solchen Fall zur neuerlichen Entscheidung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Erstinstanz zurückzuverweisen wäre.

Der Ansicht des BFA, wonach die beschwerdeführenden Parteien allfällige exilpolitische Tätigkeiten in Kasachstan gefahrlos ausüben könnten, sei vor dem Hintergrund der relevanten Berichtslage nicht möglich. Dazu zitiert die Beschwerdeseite eine Anfragebeantwortung zur Lage von XXXX -GegnerInnen aus April 2016 und führt im Wesentlichen aus, dass Präsident XXXX seine Fühler nach Österreich ausstrecke und Tschetschenen öffentlich im Staatsfehrnsehen demütigen würde, sowie diese und ihre Angehörigen bedrohe. Ebenso wird eine Anfragebeantwortung zur Lage von Personen, die sich zur „Republik XXXX “ bekennen aus September 2016, zitiert. Dabei wird ausgeführt, dass sich eine Generation von AktivistInnen trotz des Drucks der Regierung XXXX in Europa dazu bereit sei, sich an öffentlichen Protesten zu beteiligen, was bedeute, dass die Idee von XXXX wiederbelebt worden sei und es neue Auseinandersetzungen zwischen Grosny und den Tschetschenen in Euruopa gäbe. Vor diesem Hintergrund könne nicht davon ausgegangen werden, dass die beschwerdeführenden Parteien in Kasachstan, ein Land, welches ebenso für mangelnde Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechtsverletzungen und Korruption bekannt sei, gegen den Nachbarn Russische Föderation tätig sein könnten, ohne ihr Leben zu gefährden, zumal der russische FSB weit ins Ausland greife und dort operiere. Das gelte nicht nur für Europa, sondern vielmehr in einem Nachbarland, in welchem gezwungenermaßen eine Vielzahl an vormals Zwangsdeportierten und daher naturgemäß zu Kritik und Widerstand neigende Landsleute leben würden. Der BF1 trete nicht erst jetzt als Gegner XXXX und XXXX , sowie Aktivist der Exilbewegung auf, sondern sei er schon seit Jahrzehnten aktiv, wobei seine intensiven, nachweislichen Kontakte zum Anführer der Bewegung, dem in Großbritannien lebenden XXXX , bemerkenswert seien.

Soweit die Erstinstanz nun vermeine, dass es der Ehefrau des BF1, einer russischen Staatsangehörigen, wie auch dem BF7, einem ebenfalls russischen Staatsangehörigen, möglich sei mit ihm in Kasachstan zu leben, müsse darauf hingewiesen werden, dass sich Drohungen gleichermaßen gegen Familienmitglieder richten würden.

Beschwerdeseitig werde beantragt 1.) hinsichtlich der Gefährdungslage von Gegnern XXXX und XXXX , sowie Aktivisten der Exilbewegung der Republik XXXX in Kasachstan ein länderkundliches Gutachten bzw. eine Anfragebeantwortung einzuholen; 2.) Akteneinsicht bezüglich des Konvolutes an Unterlagen, welche der gegenständlichen Stellungnahme des BFA zugrunde liegen sollen, zu gewähren und der Beschwerdeseite diesbezüglich eine Stellungnahmemöglichkeit einzuräumen; 3.) themenrelevante, aktuelle Länderfeststellungen zu übermitteln, sowie der Einräumung einer Stellungnahme dazu; 4.) eine Frist von 4 Wochen zur Vorlage konkreter ergänzender Beweismittel einzuräumen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. als Verfahrensgang dargelegten Ausführungen werden als Feststellungen der vorliegenden Entscheidung zugrunde gelegt.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

3.2. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.3. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Materiengesetzen (BFA-VG, AsylG 2005, FPG) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

3.4. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden gemäß § 28 Abs 5 VwGVG verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

Bei einer Aufhebung gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG handelt es sich um eine materielle Erledigung der Rechtssache durch (ersatzlose) Behebung des angefochtenen Bescheides in Form eines Erkenntnisses. Diese Form der negativen Sachentscheidung ist von der Formalerledigung des Verfahrens durch Aufhebung und Zurückverweisung mit Beschluss nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz und Abs. 4 VwGVG zu unterscheiden.

Zum Spruchteil A

3.5. Zur ersatzlosen Behebung der angefochtenen Bescheide:

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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