Entscheidungsdatum
16.06.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W147 2226928-1/29E
TEILERKENNTNIS
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Kanhäuser als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, gegen Spruchpunkt VI. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 8. November 2019, Zl. IFA: 377942109-171114893, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird Folge gegeben und Spruchpunkt VI. ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin reiste im Jahr 2006 illegal und unter Verwendung einer falschen slowakischen Identität ( XXXX ) in das Bundesgebiet ein.
Am XXXX wurde ihre Tochter XXXX geboren. Am XXXX wurde die Tochter XXXX geboren. Am 19.04.2016 wurden der Beschwerdeführerin ihre Kinder von den zuständigen Behörden weggenommen und lebten ab diesem Zeitpunkt ohne die Beschwerdeführerin in einem Mutter-Kind-Heim. Am 28.04.2016 gaben die Beschwerdeführerin und der Vater der Kinder vor der Marktgemeinde XXXX eine Erklärung der gemeinsamen Obsorge gemäß § 177 Abs. 2 ABGB ab. Seit dem 08.09.2016 halten sich die Kinder der Beschwerdeführerin bei einer Pflegefamilie auf. Mit Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX wurde die alleinige Obsorge für die minderjährigen Töchter der Beschwerdeführerin der Bezirkshauptmannschaft XXXX übertragen.
2. Am 29. September 2017 brachte die Beschwerdeführerin den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz ein und wurden am selben Tag niederschriftlich von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Rahmen der Erstbefragung einvernommen. Dabei gab sie im Wesentlichen an, sie leide an keinen Beschwerden oder Krankheiten, könne der Erstbefragung ohne Probleme folgen, ihre Kinder seien bei ihr unbekannten Pflegeeltern und in ihrem Herkunftsstaat aufhältig seien ihre Mutter und ihre Schwester.
Die Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat, der Russischen Föderation, sei im Jahre 1997 erfolgt. Als Grund für die Ausreise gab die Beschwerdeführerin dezidiert befragt an, sie habe die Russische Föderation verlassen, weil sie in der Slowakei gutes Geld verdienen konnte. Sie habe aber nicht gewusst, dass der Mann, bei dem sie arbeiten konnte, sie zur Prostitution zwingen würde. Er habe ihre Reisedokumente und ihr verdientes Geld genommen. Deshalb sei sie in weiterer Folge nach Österreich geflüchtet. In Österreich befinde sie sich seit dem Jahre 2006, sei mit einer falschen Identität eingereist und habe sich hier ein Leben aufgebaut. Nun möchte sie in Österreich unter ihrer wahren Identität leben und bleiben, da ihre Kinder in Österreich geboren seien. Ihr Reisepass, mit dem sie die Russische Föderation legal verlassen habe, befinde sich in Ungarn. Die Geburtsurkunde legte sie der belangten Behörde in Kopie vor.
Befragt nach Befürchtungen im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation führte die Beschwerdeführerin aus, ihre Mutter lebe in Russland in einer sehr kleinen Wohnung mit vielen anderen Leuten. Sie könne dort nicht auch noch mit ihren Kindern wohnen. Sie würden schon sehr lange in Österreich wohnen, und ihr Leben hier nicht aufgeben.
Am Ende der Erstbefragung ergänzte die Beschwerdeführer ihre Angaben und brachte vor, sie habe die letzten 22 Jahre mit einer falschen Identität gelebt. Jetzt möchte sie mit ihrer ursprünglichen Identität ein besseres Leben führen. Wenn sie Asyl bekomme, könne sie ihre Kinder wieder von der Pflegefamilie zurückholen. Sie wolle arbeiten und ein normales Leben führen.
3. Am 9. November 2017 fand vor der belangten Behörde eine niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin statt, zu Beginn derer die Beschwerdeführerin angab, ihre Muttersprache sei Russisch, sie spreche auch Deutsch, Slowakisch und Serbokroatisch. Gesundheitlich gehe es ihr jetzt besser. Sie habe Migräne und Augenprobleme (minus 17 Dioptrien), außerdem Eisenmangel und Probleme mit der Schilddrüse. Ihre Geburtsurkunde sei im Original bei der Mutter in Russland, der Polizei habe sie eine Kopie mit Übersetzung gegeben.
Über Vorhalt ihrer Angaben im Zuge der Erstbefragung führte die Beschwerdeführerin aus, sie könne sich erinnern. Ihre Angaben seien vollständig, sie habe damals alles gesagt und habe selbst nicht dazu anzuführen. Sie habe die Wahrheit gesagt, andere Gründe gebe es nicht.
Sie sei in XXXX /Russland geboren und habe dort bis zu ihrem 21. Lebensjahr gelebt. Sie habe elf Jahre lang die Schule besucht, dann elf Monate in einer Kolchose und danach drei Jahre in einer Tischlerei gearbeitet. 1997 sei ihr Vater verstorben und sei sie mit ihrer Mutter und ihrer jüngeren Schwester alleine geblieben. Ein Mann habe ihr dann im gleichen Jahr angeboten, in der Slowakei in einer Bar zu arbeiten. Gemeinsam mit einem anderen Mädchen sie sie von diesem Mann in ein Bordell in die Slowakei gebracht worden und seien ihnen von ihm dort die Dokumente abgenommen worden. Nach zwei Wochen sei die Kriminalpolizei gekommen und hätten sie mitgenommen Sie seien von der Polizei bis zur ukrainischen Grenzen gebracht worden und seien ihnen die Reisepässe ausgehändigt worden. Aber dieser Mann, der sie in die Slowakei gebracht habe, habe jemanden geschickt und sie wieder abgeholt. Sie sei nach Ungarn gebracht worden und habe dort zwei Monate verbracht. Dann sei sie wieder in die Slowakei gebracht worden und habe dort in einem anderen Bordell arbeiten müssen. Das Geld habe ihr der Mann weggenommen. Im Jahre 1998 sie sie dann mit dem anderen Mädchen geflüchtet und hätten sei sich zwei Monate versteckt. Sie hätten versucht, gefälschte Unterlagen zu organisieren, um nach Hause zurück zu kehren. So hätten sie auch ihre Fotos in fremde Pässe geklebt. Ihre Freundin habe nach Hause fahren wollen, sei aber an der Grenze festgenommen worden. Sie habe es nicht mehr riskiert und eine andere Möglichkeit gefunden. Eine Frau habe ihr gegen Bezahlung einen offiziellen Pass mit einem anderen Namen besorgt. Sie sei dann für drei Tage nach Russland und dann mit ihrem Freund wieder zurückgekehrt. Vor fünf Jahren habe sie zum ersten Mal nach 17 Jahren ihre Mutter wiedergesehen. In der Slowakei sei es für sie nicht leicht gewesen: Sie habe nicht arbeiten dürfen und sei von ihrem Freund finanziell unterstützt worden. Dieser habe allerdings auch eine andere Familie gehabt, sei dann von der Finanzpolizei angezeigt und inhaftiert worden. Die Beschwerdeführer habe sich von einer anderen Person einen neuen Pass besorgt. Diese Person habe ihr geraten, dass sie die Slowakei verlassen müsse. 2006 sei sie nach Österreich gekommen. Hier habe sie ihren Mann kennengelernt und zwei Kinder bekommen. 2007 habe sie ihren letzten slowakischen Pass erhalten; sie hätte diesen auch wieder verlängern können, aber sie habe ein schlechtes Gewissen bekommen und dies nicht mehr wollen. Anfänglich habe sei in Österreich auch als Prostituierte gearbeitet. Nach elf Monaten, im Februar 2007, habe sie ihren Mann kennengelernt und im Mai sei sie schwanger gewesen. Sie habe dann aufgehört als Prostituierte zu arbeiten und sich ein normales Leben aufgebaut. Später habe sie als Putzfrau gearbeitet und die A2 Deutsch-Prüfung abgelegt.
Zuletzt sei sie vor fünf Jahren in Russland gewesen. Ihre Mutter und ihre Schwester sowie deren Familie würden in einer 48 m2 Wohnung leben. Zuletzt habe sie vor einem Monat mit ihrer Schwester telefoniert. In Österreich habe sie ihre beiden Kinder, die ihr vor ca. zwei Jahren weggenommen worden seien; den Grund hiefür verstehe sie nicht. Momentan sehe sie ihre Kinder ein Mal im Monat für drei Stunden unter Aufsicht der zuständigen Behörde. Ihr Lebensgefährte, der Vater ihrer Kinder habe einen negativen Asylbescheid bekommen und sei nun wahrscheinlich in der Tschechischen Republik.
Eine freiwillige Rückkehr in die Russische Föderation lehne die Beschwerdeführerin ab.
4. Am XXXX wurde die Beschwerdeführer vom Bezirksgericht XXXX , AZ XXXX , wegen des Vergehens der Fälschung eines Beweismittels zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von einem Monat, bedingt nachgesehen unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit, verurteilt.
5. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , XXXX , wurde die Beschwerdeführerin wegen des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1 fünfter Fall und Abs. 2, 15 StGB zu einer Zusatzfreiheitsstrafe im Ausmaß von acht Monaten, bedingt nachgesehen unter Setzung einer dreijährigen Probezeit, verurteilt.
6. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom XXXX , GZ XXXX , wurde die Beschwerdeführerin wegen Verstößen gegen das Tierschutzgesetz mit einer Geldstrafe in der Höhe von EUR 200,-- belegt.
7. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 17.01.2019, GZ 791617206/181242384, wurde der Asylantrag des Vaters der Kinder der Beschwerdeführerin abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung erlassen. Einer Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt. Diese Entscheidung erwuchs aufgrund eines Rechtsmittelverzichts mit 18.01.2019 in Rechtskraft. Am 22.01.2019 wurde der Vater der Kinder der Beschwerdeführerin in den Kosovo abgeschoben.
8. Am 12. Februar 2019 wurde die gesetzliche Vertretung der Kinder der Beschwerdeführerin zu deren Anträgen auf internationalen Schutz einvernommen.
9. Am 21. Februar 2019 und am 8. Mai 2019 wurde die Beschwerdeführerin ergänzend einvernommen.
10. Am XXXX verstarb der Vater der Kinder der Beschwerdeführerin.
11. Mit 23.07.2019 wurde den Töchtern der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung Plus“ gemäß § 55 AsylG gewährt.
12. Mit nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG, bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.) Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.), sondern gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VII.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen die Beschwerdeführerin ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.).
In der Entscheidungsbegründung wurde seitens der belangten Behörde im Wesentlichen ausgeführt, dass die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Gründe für die Asylantragstellung im Bundesgebiet keinerlei Asylrelevanz entfalten würden. Sie habe ihren Herkunftsstaat ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen verlassen und sei anschließend von 1997 bis 1998 in der Slowakischen Republik zur Prostitution gezwungen worden. Eine Gefährdung hinsichtlich asylrelevanter Umstände habe nicht erkannt werden können, sodass auch im Falle einer Rückkehr eine diesbezügliche Gefährdung nicht als gegeben anzusehen gewesen sei.
Aufgrund der vorhandenen familiären Anknüpfungspunkte, aufgrund der Feststellungen zur gewährleisteten Grundversorgung in der Russischen Föderation und des Umstandes, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine selbsterhaltungsfähige Person handle, welche in der Russischen Föderation über Verwandte, die zur Lebensführung beitragen, sei davon auszugehen, dass sie im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland nicht in eine die Existenz bedrohende Notlage gelangen würde.
Zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin wurde ausgeführt, sie seit 2006 in Österreich, wobei sie bei der Einreise und im kommenden Jahrzehnt eine falsche Identität verwendet habe. Sie habe in Österreich zwei minderjährige Kinder, die über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG verfügen. Die Obsorge für die Kinder sei der Beschwerdeführerin am 09.09.2016 vom örtlich zuständigen Bezirksgericht entzogen worden. Ab dem 19.04.2016 seien die Kinder ohne die Beschwerdeführerin in einem Mutter-Kind-Heim, seit dem 08.09.2016 bei einer Pflegefamilie untergebracht. Alle drei Wochen gebe es für drei Stunden einen begleiteten Kontakt. Ein Ende der Maßnahme sei nicht geplant. Die Kinder der Beschwerdeführerin seien in die Pflegefamilie integriert und sei die Fortsetzung der Unterkunftnahme bei der Pflegefamilie im Interesse des Kindeswohls. Über die Kinder Hinaus verfüge die Beschwerdeführerin über keine Angehörigen im Bundesgebiet. Der Vater der Kinder der Beschwerdeführerin sei zuletzt am 22.01.2019 in den Kosovo abgeschoben und worden und am XXXX verstorben.
Die Beschwerdeführerin beherrsche die deutsche Sprache auf alltagstauglichem Niveau, sei in keinen Vereinen oder ehrenamtlich aktiv und verfüge über keinen Freundeskreis. Sie verbringe ihre Freizeit zu Hause und gehe keinen wie auch immer gearteten sozialen Aktivitäten nach. Im Zeitraum von 01.03.2008 bis 07.11.2019 sei die Beschwerdeführer lediglich von 05.01.2013 bis 25.03.2013 (geringfügig beschäftigte Arbeiterin), 25.03.2013 bis 31.03.2013 (Arbeiterin), 01.04.2013 bis 21.04.2013 (geringfügig beschäftigte Arbeiterin), 27.12.2015 bis 27.03.2016 (Arbeiterin), 23.01.2017 bis 31.01.2017 (Arbeiterin) und 11.02.2017 bis 12.03.2017 (Arbeiterin) einer bezahlten Erwerbstätigkeit, somit lediglich rund siebeneinhalb Monate, nachgegangen.
Die Beschwerdeführerin sei mehrmals von Gerichten verurteilt worden und von der Bezirkshauptmannschaft XXXX wegen eines Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz bestraft worden.
Zur Erlassung eines Einreiseverbotes wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin nicht nur die oben zitierten Verurteilungen aufweist, sondern auch mehrere Anzeigen gegen die Beschwerdeführerin vorliegen. Sie habe sich sohin bewusst über die österreichische Rechtsordnung hinweggesetzt, wobei zu berücksichtigen sei, dass die Beschwerdeführerin mehr als zehn Jahre unter Verwendung einer falschen Identität im Bundesgebiet gelebt und so einerseits die Behörden getäuscht und sich andererseits aufgrund eines erschlichenen Titels unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten und auch Transferleistungen bezogen habe. Weiters verfüge die Beschwerdeführerin (der Vollständigkeit halber angeführt) nicht über die notwendigen Mittel für die Bestreitung ihres Unterhalts, was jedoch angesichts des dargelegten erheblichen Fehlverhaltens nicht ins Gewicht fällt und daher bei der Bemessung des Einreiseverbots keine Berücksichtigung gefunden habe.
Für das Bundesamt stehe fest, dass die Fortsetzung des Aufenthalts der Beschwerdeführerin eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstelle, welcher nur mit der Verhängung eines Einreiseverbots beigekommen werden könne.
13. Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin durch persönliche Übernahme am 11. November 2019 zugestellt.
14. Mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2019 erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde gegen den genannten Bescheid, machte Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend und beantragte die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.
15. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 23. Dezember 2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
16. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Dezember 2019, W147 2226928-1/3E, wurde die Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis VII. gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 iVm §§ 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100 jeweils in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, § 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 144/2013, und §§ 46, 52 und 55 Abs. 1a Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG, BGBl. I Nr. 100 jeweils in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VIII. des angefochtenen Bescheides wurde gemäß § 53 FPG stattgegeben und der Spruchpunkt VIII. des angefochtenen Bescheides aufgehoben.
17. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX , XXXX , wurde die Beschwerdeführerin wegen des Vergehens der versuchten Körperverletzung gemäß §§ 15 iVm 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Der Verurteilung lag zu Grunde, dass die Beschwerdeführerin am XXXX in XXXX ihr Kind durch einen Faustschlag auf die (eingegipste) Hand am Körper zu verletzen versucht hat.
18. Infolge einer gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes erhobenen Revision wurde diese, soweit sie sich gegen die Nichtgewährung von internationalem Schutz und die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen richtet, zurückgewiesen. In Einem erkannte der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 11. März 2021, Ra 2020/18/0060-12, dass das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts in seinem übrigen Anfechtungsumfang (soweit die Beschwerde in Bezug auf die Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in die Russische Föderation, die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde sowie die fehlende Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wurde) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben wird.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Die obigen Darlegungen im Verfahrensgang werden zu Feststellungen erhoben.
Der Verfahrensgang und damit die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt.
Die gesetzlichen Bestimmungen im BFA-VG zu Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde lauten wie folgt:
Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde
§ 18. (1) Einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz kann das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn
1. der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat (§ 19) stammt,
2. schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt,
3. der Asylwerber das Bundesamt durch falsche Angaben oder Dokumente oder durch Verschweigen wichtiger Informationen oder durch Zurückhalten von Dokumenten über seine Identität oder seine Staatsangehörigkeit zu täuschen versucht hat,
4. der Asylwerber Verfolgungsgründe nicht vorgebracht hat,
5. das Vorbringen des Asylwerbers zu seiner Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht,
6. gegen den Asylwerber vor Stellung des Antrags auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, eine durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen worden ist, oder
7. der Asylwerber sich weigert, trotz Verpflichtung seine Fingerabdrücke abnehmen zu lassen.
Hat das Bundesamt die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt, so ist Abs. 2 auf diese Fälle nicht anwendbar. Hat das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkannt, gilt dies als Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen eine mit der abweisenden Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz verbundenen Rückkehrentscheidung.
(2) Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist vom Bundesamt abzuerkennen, wenn
1. die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist,
2. der Drittstaatsangehörige einem Einreiseverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt ist oder
3. Fluchtgefahr besteht.
(3) Bei EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn deren sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.
(4) Der Beschwerde gegen eine Ausweisung gemäß § 66 FPG darf die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt werden.
(5) Das Bundesverwaltungsgericht hat der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen. § 38 VwGG gilt.
(6) Ein Ablauf der Frist nach Abs. 5 steht der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen.
(7) Die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG sind in den Fällen der Abs. 1 bis 6 nicht anwendbar.“
Der VwGH hat zu § 18 Abs. 5 BFA-VG in der Fassung vor dem FrÄG 2017 in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass dieser das BVwG dazu verpflichtet, über eine Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung bzw. gegen einen derartigen trennbaren Spruchteil eines Bescheides des BFA binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde mit
(Teil-)Erkenntnis zu entscheiden und zwar sowohl über die Zuerkennung als auch die Nichtzuerkennung der aufschiebenden Wirkung (VwGH 13.09.2016, Fr 2016/01/0014; 19.06.2017, Fr 2017/19/0023; 30.06.2917, Fr 2017/18/0026; 20.09.2017, Ra 2017/19/0284; 19.10.2017, Ra 2017/18/0278; 29.11.2017, Ro 2017/18/0002; 13.12.2017, Ro 2017/19/0003).
Das Bundesverwaltungsgericht deutet § 18 Abs. 5 BFA-VG in der Fassung des FrÄG 2017 so, dass es bei Vorliegen einer Beschwerde in der Hauptsache auch von einer Beschwerde gegen den Spruchpunkt über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung auszugehen hat und dass es (im Sinne der vorzitierten Judikatur des VwGH) diese – sowohl im Fall der Bestätigung dieser Aberkennung als auch im Fall einer Abänderung iSd. Zuerkennung aufschiebender Wirkung – innerhalb der einwöchigen Entscheidungsfrist mit Erkenntnis zu erledigen hat (vgl. dazu näher BVwG 10.04.2018, W230 2190973-1, mwN).
Einer Auslegung, wonach nur mehr die Zuerkennung aufschiebender Wirkung innerhalb einer Woche erfolgen müsste, eine förmliche Bestätigung der Aberkennung hingegen durch formlosen Aktenvermerk ersetzt werden dürfte (und allenfalls erst mit Fristsetzungsantrag herbeigeführt werden müsste) kann hier nicht gefolgt werden (anderer Auffassung: Eberhard/Ranacher/Weinhandl, ZfV 2018, 99; Urban in Filzwieser/Taucher [Hrsg.], Asyl- und Fremdenrecht - Jahrbuch 2018, 138 ff.).
Gegen eine solche Auslegung spräche gegen die in Art. 47 GRC grundgelegte Waffengleichheit zwischen der Behörde und dem Beschwerdeführer (dazu mwN bereits BVwG 26.11.2014, I402 2014142-1 sowie die ausdrückliche Betonung der Waffengleichheit [égalité des armes] in Rn 61 des zu einschlägigen Fragen der Asylverfahrensrichtlinie ergangenen Urteils des EuGH vom 19.06.2018, Rs. C-181/16, Gnandi). Es besteht keine Waffengleichheit, wenn im Kontext des Streits um die aufschiebende Wirkung – also bei für beide Seiten herrschender Gefahr im Verzug – eine Partei im Unterliegensfall sofort eine Entscheidung erhält, die sie mit Revision beim VwGH anfechten kann, während die andere Partei im Unterliegensfall erst einen Fristsetzungsantrag einlegen müsste, um allenfalls eine Entscheidung zu erlangen, die sie mit Revision anfechten könnte (siehe auch BVwG vom 21.08.2018 W230 2203544-1/5E).
Die Entscheidung über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ist nicht als Entscheidung in der Sache selbst zu werten; vielmehr handelt es sich dabei um eine der Sachentscheidung vorgelagerte (einstweilige) Verfügung, die nicht geeignet ist, den Ausgang des Verfahrens vorwegzunehmen. Es ist in diesem Zusammenhang daher lediglich darauf abzustellen, ob es - im Sinne einer Grobprüfung - von vornherein ausgeschlossen erscheint, dass die Angaben der beschwerdeführenden Parteien als „vertretbare Behauptungen“ zu qualifizieren sind, die in den Schutzbereich der hier relevanten Bestimmungen der EMRK reichen.
Im vorliegenden Fall ist ausdrücklich zu betonen, dass eine Entscheidung mittels Teilerkenntnis auch nach Ablauf dieser Frist vorzunehmen ist (in diesem Sinne auch VwGH vom 19.06.2017, Fr 2017/190023-0024).
Die Beschwerdeführerin macht – zumindest implizit – ein reales Risiko einer Verletzung der zu berücksichtigenden Konventionsbestimmungen sowohl des Art. 3 als auch des Art. 8 EMRK geltend, bei einer Grobprüfung dieses Vorbringens kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich dabei um „vertretbare Behauptungen“ handelt.
Darüber hinaus hat die Beschwerdeführerin in der Beschwerde den Sachverhalt (und die Beweiswürdigung) nicht bloß unsubstantiiert bestritten, sondern diesbezüglich ein konkretes und substantiiertes Vorbringen erstattet und die Abhaltung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung unter persönlicher Befragung der Beschwerdeführerin beantragt. Auch die Einvernahme von Zeugen ist im konkreten Fall notwendig.
Der VwGH führt hinsichtlich der Verhandlungspflicht nach § 21 Abs. 7 BVA-VG in ständiger Judikatur dazu wie folgt aus:
Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes eben außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 8. September 2015, Ra 2014/01/022, mwN und viele andere mehr).
Vor dem Hintergrund dieser Judikatur und des Beschwerdevorbringens erscheint im vorliegenden Fall eine mündliche Beschwerdeverhandlung erforderlich.
Der Beschwerde war daher Folge zu geben und der Spruchpunkt VI. ersatzlos zu beheben. Durch die Behebung des angefochtenen Spruchpunkt VI. kommt der Beschwerde somit ex lege aufschiebende Wirkung zu. Somit war es nicht mehr erforderlich, ausdrücklich der Beschwerde eine aufschiebende Wirkung zuzuerkennen oder ausdrücklich über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zu entscheiden, zumal ein solcher Antrag gar nicht zulässig ist (VwGH vom 13.12.2017, Ra 2017/19/003).
Eine mündliche Verhandlung entfiel, weil über eine Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ohne weiteres Verfahren zu entscheiden ist (VwGH 09.06.2015, Ra 2015/08/0049).
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende, oben mehrfach genannte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
aufschiebende Wirkung Behebung der Entscheidung mangelnder Anknüpfungspunkt VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W147.2226928.1.00Im RIS seit
01.02.2022Zuletzt aktualisiert am
01.02.2022