TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/23 W280 2244452-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.11.2021
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Entscheidungsdatum

23.11.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §53 Abs2 Z8
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W280 2244452-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Wolfgang Bont über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX 1989, Staatsangehörigkeit Russische Föderation, vertreten durch Dr. Eva Wendl-Söldner LL.M., Rechtsanwältin in 6020 Innsbruck, Blasius-Hueber-Straße 12/9, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol vom XXXX 06.2021, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 4.11.2021 zu Recht:

A)

I.       Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis III. wird als unbegründet abgewiesen.

II.      Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. wird mit der Maßgabe stattgegeben, als die Dauer des Einreiseverbotes auf 10 Jahre herabgesetzt wird.

III.    Der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. wird mit der Maßgabe stattgegeben, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Enthaftung beträgt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer reiste zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Jahr 2008 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am XXXX 12.2008 erstmalig einen Asylantrag, welcher letztlich rechtskräftig abgewiesen wurde.

Im Oktober 2012 wurde von der für den Beschwerdeführer (BF) zuständigen Landespolizeidirektion (LPD) dessen Ausweisung auf Dauer für unzulässig erklärt und diesem, aufgrund seines damaligen schützenswerten Privat- und Familienlebens, ein Aufenthaltstitel („Rot-Weiß-Rot-plus“) erteilt, der ihm – nach zweimaliger Verlängerung – zuletzt XXXX 10.2018 verlängert wurde.

Nachdem im Jänner 2018 über den BF wegen des Verdachts der Begehung strafbarer Handlungen die Untersuchungshaft verhängt wurde, leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA oder belangte Behörde) Anfang März 2018 ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen ihn ein.

In weiterer Folge wurde er durch ein österreichisches Strafgericht im März 2019 wegen des Vergehens des Raufhandels, der Verbrechen des schweren Raubes, des Verbrechens der Erpressung und des Vergehens der kriminellen Vereinigung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 6 ½ Jahren verurteilt. Der gegen das Urteil erhobenen Berufung gegen den Ausspruch der Strafe gab das zuständige Rechtsmittelgericht im Dezember 2020 statt und setzte die ursprünglich festgesetzte Freiheitsstrafe auf 6 Jahre herab.

Anfang 2021 stellte der BF den Antrag auf Verbüßung der Strafhaft im elektronisch überwachten Hausarrest, welchem im April 2021 Folge gegeben wurde.

Der BF wurde sodann Anfang März 2021 in einer Justizanstalt durch ein Organ des BFA einvernommen. Am XXXX 06.2021 wurde folglich dem BF bescheidmäßig ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt I.) und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt II.). Es wurde festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.), sowie gegen ihn ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde dem BF nicht gewährt (Spruchpunkt V.) und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.).

Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde und begründete diese unter anderem mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Er stellte des Weiteren den Antrag, der gegenständlichen Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Nach Übermittlung einer Stellungnahme zur eingebrachten Beschwerde wurde diese samt den zugehörigen Verfahrensakten dem BVwG am XXXX 07.2021 mit dem Antrag, das BVwG möge die Beschwerde als unbegründet abweisen, übermittelt.

Mit Teilerkenntnis vom 19.07.2021, GZ: W280 244452-1/3Z, erkannte das BVwG der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu und sprach des Weiteren aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Am 04.11.2021 fand vor dem BVwG eine mündliche Verhandlung statt, an der der BF, seine gewillkürte Rechtsvertretung und ein Vertreter der belangten Behörde teilnahm.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Der am XXXX 1989 geborene BF, dessen Identität feststeht, ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der Volksgruppe der Tschetschenen an und ist Moslem.

Der BF reiste zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Jahr 2008 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am XXXX 12.2008 einen Asylantrag der mit Bescheid des Bundesasylamtes am XXXX 09.2009, Zl. XXXX , negativ beschieden wurde. Eine dagegen erhobene Berufung wurde am XXXX 08.2012 vom Asylgerichtshof abgewiesen und erwuchs die Entscheidung des Bundesasylamtes sodann am XXXX 08.2012 in Rechtskraft.

Der BF ist seit XXXX 03.2009 durchgehend behördlich gemeldet.

2. Er ist seit XXXX 06.2012 mit Frau XXXX , die ebenfalls tschetschenischer Abstammung ist, verheiratet und hat mit diesen im Entscheidungszeitpunkt drei Töchter im Alter von neun, acht und sieben sowie einen Sohn im Alter von drei Jahren. Die Ehefrau und die Kinder besitzen allesamt die österreichische Staatsbürgerschaft.

Der BF lebt mit seiner Familie – unterbrochen von der Zeit seiner Inhaftierung - in einem gemeinsamen Haushalt in der Gemeinde XXXX .

Des Weiteren hat der BF zwei ebenfalls in XXXX lebende Brüder, wovon der eine mit seiner Frau und den fünf Kindern in XXXX , der andere mit dessen Frau und vier Kindern in XXXX wohnen. Die Brüder und deren Familien besuchen den BF und dessen Familie regelmäßig am Wochenende.

3. Am XXXX 10.2012 wurde dem BF erstmalig ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-plus“ erteilt. Dieser Titel wurde dem BF – nach entsprechenden Anträgen – zuletzt bis zum XXXX 10.2018 verlängert. Am XXXX 10.2021 hat der BF einen neuen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung bei der für ihn zuständigen Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde gestellt über den noch nicht entschieden wurde. Der BF hält sich sohin derzeit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

4. Er hat in Österreich weder die Schule besucht, noch eine Berufsausbildung oder – abseits von Sprachkursen – keine weiterführenden Kurse oder Ausbildungen absolviert.

Der BF hat gute Kenntnisse der deutschen Sprache und verfügt über Sprachzertifikate auf der Stufe „A 2“ und „B 1“. Einen Wertekurs im Sinne der Integrationsvereinbarung hat dieser nicht besucht.

Mit seiner Frau spricht der BF Tschetschenisch, die Kinder unterhalten sich untereinander in deutscher Sprache. Neben der tschetschenischen und der deutschen Sprache spricht der BF Russisch.

5. Am XXXX 03.2019 wurde der BF durch das Landesgericht XXXX zu XXXX wegen des Vergehens des Raufhandels, der Verbrechen des schweren Raubes, des Verbrechens der Erpressung und des Vergehens der kriminellen Vereinigung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 6 ½ Jahren verurteilt.

Der BF wurde für schuldig befunden

-        a) an einem datumsmäßig bestimmten Zeitpunkt in XXXX zusammen mit zwei Mittätern im einverständlichen Zusammenwirken an einem Angriff mehrere tätlich teilgenommen zu haben, wobei der Angriff eine Körperverletzung von drei Personen verursacht hat, wobei ein Opfer eine Schädelprellung, eine HWS-Distorsion sowie eine Rissquetschwunde an der Oberlippe und eine Rissquetschwunde oberhalb des linken Auges erlitt. Das zweite Opfer eine Schädelprellung, eine Prellung des Oberkieferköpfchens, eine HWS-Distorsion, eine Schulterprellung sowie eine Prellung der Lendenwirbelsäule erlitt und das dritte Opfer eine Schädelprellung, eine Fraktur des 3.4. Zahnes sowie eine Zerrung der Halswirbelsäule zur Folge hatte.

Des Weiteren wurde der BF für schuldig befunden in mehreren Orten in XXXX als Mitglied einer aus zumindest vier Personen bestehenden kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung anderer Mitglieder dieser Vereinigung durch nachangeführte Handlungen, sohin mit Gewalt bzw. / und Drohung von gegenwärtiger Gewallt für Leib und Leben sowie unter Verwendung von Waffen namentlich bestimmten Personen fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz abgenötigt bzw. abzunötigen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern und zwar:

-        b) an einem datumsmäßig bestimmten Tag im Dezember 2017 eine namentlich bestimmte Person durch strategische Positionierung der beteiligten Personen im Lokal und die Äußerung des XXXX , ab sofort beginne der Tschetschenenkrieg, verbunden mit der Forderung, diesem die Kellnergeldtasche samt Bargeld sowie die Schlüssel zum Wettlokal und zu den Spielautomaten auszuhändigen, wobei dieser in der Folge das in den Spielautomaten enthaltene in Höhe von ca. EUR 3. XXXX entnahm;

-        c) an einem datumsmäßig bestimmten Tag im Dezember 2017 einen namentlich bestimmten Angestellten eines Wettbüros, indem diesem zwei Schläge ins Gesicht versetzt wurden und sie diesem gegenüber die Äußerungen tätigten: „Mach die Kassa auf und gib uns das ganze Geld, sonst zerstören wir hier alles und machen alles kaputt, dich auch“, wobei der BF oder ein anderes Mitglied dieser Vereinigung deutlich sichtbar eine Faustfeuerwaffe im Gürtel trug, Bargeld in der Höhe von rund EUR 3. XXXX raubten;

-        d) an einem datumsmäßig bestimmten Tag im Dezember 2017 sich durch das Verhalten des Genötigten unrechtmäßig zu bereichern, S.K. durch die an seinen Mitarbeiter XXXX gerichtete und zur Weiterleitung bestimmte Mitteilung, ein Mitangeklagter werde an einem bestimmten Tag im Dezember 2017 wiederkommen und die unter o.a. Pkt. a) angeführten Schlüssel nicht zurückgeben, solange er nicht EUR 5. XXXX erhalte, und die durch einen anderes Mitglied dieser Vereinigung gegenüber XXXX getätigte Äußerung, er wolle nicht dass ihm etwas passiere, somit durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Vermögen und Körper, zu einer Handlung, nämlich der Übergabe von EUR 5. XXXX zu nötigen versucht, die S.K. im genannten Betrag am Vermögen geschädigt hätte;

-        e) an einem datumsmäßig bestimmten Tag in XXXX ein namentlich bestimmtes Mitglied der kriminellen Vereinigung durch die sinngemäße Aufforderung „die Sache mit XXXX am nächsten Tag zu erledigen“ sohin die unter Punkt B) I.3. des gegenständlichen Urteils dargestellte Tat, wonach fünf Mitglieder dieser Vereinigung sowie zwei noch unbekannte Täter am darauffolgenden Tag XXXX dessen PKW der Marke Mercedes mit dem amtlichen Kennzeichen XXXX , dessen Geldtasche und sein Handy der Marke LG unerhobenen Wertes raubten, indem diese dem Opfer mehrere Faustschläge und Fußtritte versetzten;

-        f) ab Anfang 2017 mit drei bekannten und weiteren, noch nicht bekannten, Mittätern an einem unbekannten Ort durch die Vereinbarung, künftig gemeinsam bewaffnete Raubüberfälle auf Wettlokale zu verüben sowie Betreiber von Wettlokalen im Raum XXXX unter Drohung mit dem Tode sowie durch Gewalt zur Bezahlung von Schutzgeld zu erpressen, eine kriminelle Vereinigung gegründet zu haben;

6. Bei der Strafzumessung wertet das Strafgericht beim BF das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen und zweier Vergehen sowie das Handeln teilweise in Form der Bestimmungstäterschaft als erschwerend. Mildernd wurde die bisherige Unbescholtenheit, das teilweise Geständnis und der Umstand, dass die Taten teilweise beim Versuch geblieben sind berücksichtigt.

7. Die verhängte Freiheitsstrafe wurde mit Urteil des Oberlandesgerichtes XXXX vom XXXX 12.2020, XXXX ; XXXX , auf 6 (sechs) Jahre herabgesetzt. Des Weiteren führte das Oberlandesgericht in seinen Entscheidungsgründen aus, dass der Berufung insofern zuzustimmen sei, als sich das teilweise Handeln als Bestimmungstäter fallaktuell nicht erschwerend auswirke, weil der Beschwerdeführer zu diesem Punkt des Schuldspruches ausschließlich wegen der Bestimmung eines anderen zur Tat schuldig erkannt worden sei und die zusätzliche Leistung eines sonstigen Tatbeitrages, der infolge seiner Subsidiarität in der Bestimmungstäterschaft aufgehe, weder aus den Feststellungen noch dem Akteninhalt ersichtlich sei.

Der BF wurde während der Verbüßung seiner Haft in verschiedenen Justizanstalten von seiner Frau sowie seinen Brüdern regelmäßig besucht.

8. Festgestellt wird, dass dem BF über dessen Antrag vom XXXX 01.2021 mit mündlich verkündetem Bescheid vom XXXX 04.2021 der Vollzug der noch zu verbüßenden Freiheitsstrafe in der Form des elektronisch überwachten Hausarrests bewilligt wurde. Unter anderem wurde dem BF als Bedingung hierfür das Nachgehen einer Beschäftigung bei einer bestimmten Firma als Paketfahrer, sowie die Teilnahme an einer Antigewalt-Therapie und die Erbringung entsprechender Nachweise hierüber auferlegt.

9. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet stellt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.

10. Seit dem Zeitpunkt der Zuerkennung eines Aufenthaltstitels RWR plus im Oktober 2012 bis zum Tag der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG, ging der BF in nachfolgend angeführten Zeiten einer Beschäftigung nach:

-         XXXX 12.2012- XXXX 12.2012 und XXXX 01.2013- XXXX 01.2013 (11 Tage) bei der Fa. XXXX

-         XXXX 12.2012- XXXX 02.2013 (35 Tage) als geringfügig Beschäftigter bei der XXXX

-         XXXX 04.2013- XXXX 06.2013 (47 Tage) bei der XXXX

-         XXXX 06.2013- XXXX 02.2016, XXXX 08.2016- XXXX 01.2017 und XXXX 11.2017- XXXX 01.2018 (1211 Tage) bei der XXXX

-        seit XXXX 04.2021 bis zum Tag der Verhandlung vor dem BVwG (193 Tage) bei XXXX .

Für 418 Tage bezog der BF Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe.

11. Die Ehefrau des BF hat kein eigenes Einkommen. Der Lebensunterhalt der Familie wird derzeit vom BF finanziert.

Für die Kindererziehung bzw. Kinderbetreuung kommen sowohl der BF als auch seine Ehefrau auf.

Der Beschwerdeführer verfügt im Bundesgebiet, abseits seiner eigenen Familie und den Familien seiner Brüder, über keine sozialen Kontakte. Er weist kein ehrenamtliches Engagement auf und ist dieser auch kein aktives Mitglied in einem Verein, einer sozial-, kulturell oder sportlich orientierten Organisation oder einer Glaubensgemeinschaft.

12. Der BF der in seinem Herkunftsstaat 11 Jahre die Schule besucht hat, reiste im Alter von 18 Jahren aus Tschetschenien aus. Er wohnte damals zusammen mit seinen Eltern und seinen drei Brüdern sowie der Frau des ältesten Bruders im elterlichen Haus im Dorf XXXX , nunmehr XXXX (phonetisch). In diesem Haus wohnt derzeit sein 63-jähriger Vater und seine 60-jährige Mutter mit dem jüngeren Bruder des BF.

Des Weiteren verfügt der BF über zahlreiche dort lebende Verwandte, darunter zwei Onkel väterlicherseits, eine Großmutter sowie Geschwister seiner Mutter und mehrere Cousins.

Der BF hat nach wie vor sehr starke Bindungen in seinen Herkunftsstaat auf. Er hat regelmäßigen, wöchentlichen telefonischen Kontakt zu seinen Eltern. Der BF besitzt einen russischen Auslandsreisepass und reiste seit 2008 mehrmals nach Tschetschenien.

13. Der Beschwerdeführer leidet an keinen schweren oder gar lebensbedrohenden Krankheiten und ist arbeitsfähig.

Es bestehen anlassbezogen keine Anhaltspunkte, die einer Rückführung in den Herkunftsstaat entgegenstehen. Die Grundversorgung im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers ist gesichert und der Bezug von Sozialleistungen ist möglich.

14. Zur Lage in der Russischen Föderation/Tschetschenien:

Auszug Länderinformation der BFA-Staatendokumentation zur Russischen Föderation aus dem COI-CMS, Version 4:

COVID-19-Situation

Letzte Änderung: 17.11.2021

Russland ist von COVID-19 landesweit sehr stark betroffen. Aktuelle und detaillierte Zahlen bietet unter anderem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) (AA 27.10.2021) (https://covid19.who.int/region/euro/country/ru). Die Regionalbehörden in der Russischen Föderation sind für Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 zuständig, beispielsweise in Bezug auf Mobilitätseinschränkungen, medizinische Versorgung und soziale Maßnahmen (RAD 15.2.2021; vgl. CWRR 9.11.2021).

Einen strengen Lockdown gab es landesweit im ersten Halbjahr 2020 (ÖB Moskau 6.2021). Von 30.10. bis 7.11.2021 verordnete Präsident Putin einen weiteren Lockdown bzw. eine arbeitsfreie Woche als kurzfristige Maßnahme zur Eindämmung des Coronavirus. In vielen Regionen waren die Einschränkungen teilweise bereits vorher in Kraft getreten (WKO 8.11.2021; vgl. HB 29.10.2021). Es herrscht eine soziale Distanzierungspflicht für öffentliche Plätze und öffentliche Verkehrsmittel. Der verpflichtende Mindestabstand zwischen Personen beträgt 1,5 Meter (WKO 8.11.2021; vgl. AA 27.10.2021). In allen öffentlich zugänglichen Räumen und Verkehrsmitteln ist ein Mund-Nasen-Schutz zu tragen (AA 27.10.2021; vgl. WKO 8.11.2021). Bei Verstößen gegen die Hygienevorschriften können hohe Geldstrafen verhängt werden (AA 27.10.2021). Die medizinische COVID-Versorgung erfolgt für die Bevölkerung kostenlos (CWRR o.D.a).

Sport-, Kultur-, Unterhaltungs-, Werbeveranstaltungen und Messen sind erlaubt, wenn die Teilnehmeranzahl 50% der gesamten Raumkapazität nicht übersteigt. Veranstaltungen mit mehr als 500 Teilnehmern sind nur mit QR-Codes (welche den österreichischen 3-G-Regeln entsprechen) möglich. Am Arbeitsplatz sind Hygienevorschriften (u.a. Temperaturmessungen, Mundschutz, Desinfektionsmittel, Mindestabstand etc.) einzuhalten (WKO 8.11.2021).

Zu den Impfstoffen, welche in der Russischen Föderation entwickelt wurden und dort eingesetzt werden, zählen: Gam-COVID-Vac (Sputnik V), EpiVacCorona, Sputnik Light, EpiVacCorona-N, CoviVac und Ad5-nCoV (CWRR o.D.b). Aufgrund stark steigender COVID-19-Erkrankungen im Sommer und Herbst 2021 haben mehrere Regionen Russlands Unternehmen im Dienstleistungsbereich verpflichtet, Angestellte gegen COVID-19 zu impfen (WKO 8.11.2021). In Russland herrscht eine Impfskepsis unter der Bevölkerung (RFE/RL 6.10.2021; vgl. LM 14.8.2021). Rund 30% der Bürger sind vollständig geimpft (Ria.ru 6.10.2021; vgl. DS 30.9.2021, RFE/RL 6.10.2021). COVID-Impfungen sind für russische Staatsbürger kostenlos (ÖB Moskau 6.2021). Der Ministerpräsident Michail Mischustin unterzeichnete am 8.9.2021 ein Dekret, wonach für jede Impfung gegen das Coronavirus an die impfenden Ärzte eine Prämie von mindestens 200 Rubel (ca. 2,50 Euro) ausbezahlt werden soll (Russland-Analysen 20.9.2021).

Für die Einreise nach Russland wird grundsätzlich ein COVID-19-Testergebnis (PCR) benötigt. Russische Staatsbürger müssen bei den Grenzkontrollen keinen COVID-Test vorlegen, dieser muss jedoch spätestens drei Tage nach der Einreise nachgeholt werden. Russische Staatsbürger, welche nach der Einreise ein positives Testergebnis erhalten, müssen sich in Quarantäne begeben. Russische Staatsbürger, welche mit einem in Russland zugelassenen Impfstoff geimpft sind, und genesene russische Staatsbürger dürfen ohne PCR-Test und Quarantäne nach Russland einreisen. Direktflüge zwischen Österreich und Russland werden mehrmals wöchentlich von Austrian Airlines und Aeroflot angeboten. Auch mit anderen Ländern bestehen reguläre Flugverbindungen (WKO 8.11.2021). Russische Inlandsflüge wurden während der ganzen Dauer der Pandemie aufrechterhalten (WKO 8.11.2021; vgl. AA 27.10.2021).

Staatliche Unterstützungsmaßnahmen für die russische Wirtschaft sind unterschiedlich und an viele Bedingungen gebunden. Die meisten Hilfsprogramme sind Ende 2020 ausgelaufen. Zu den ersten staatlichen Hilfsmaßnahmen zählten Kredit-, Miet- und Steuerstundungen (ausgenommen Mehrwertsteuer), Reduktion der Sozialabgaben sowie Kreditgarantien und zinslose Kredite. Später kamen Steuererleichterungen sowie direkte Zuschüsse hinzu (WKO 8.11.2021). Die Regierung bietet Exporteuren Hilfe an, eröffnete die Möglichkeit eines Konkursmoratoriums, bot zinslose Kredite für Gehaltsauszahlungen an, etc. (CWRR o.D.c). Viele der Maßnahmen waren nur für kleine und mittlere Unternehmen oder bestimmte Branchen zugänglich und hatten einen zweckgebundenen Charakter (beispielsweise gebunden an Gehaltszahlungen oder Arbeitsplatzerhalt) (WKO 8.11.2021). Unterstützung gab es für „systemrelevante“ Unternehmen, außerdem finanzielle Unterstützung der regionalen Budgets. Laut einem Bericht der Menschenrechts-Ombudsperson haben 4,5 Millionen kleine und mittlere Unternehmen während der Pandemie aufgehört zu existieren. Soziale Unterstützungsleistungen hatten v.a. Familien mit Kindern zum Ziel. Zusätzliche Bonuszahlungen gab es für medizinisches Personal (ÖB Moskau 6.2021). Die Wirtschaft ist wieder stark gewachsen (WIIW o.D.). Von Jänner bis August 2021 stieg die Industrieproduktion um +4,5%, was auf die Rohstoffproduktion (+2,1%) und mehr noch auf die verarbeitende Industrie (+5,3%) zurückzuführen ist (WKO 10.2021). Es kam zu einer beträchtlichen Beschleunigung der Inflation (WIIW o.D.). Im März 2020 fielen die Ölpreise aufgrund des Ölpreiskampfes zwischen Russland und Saudi-Arabien sowie der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie mit einem starken Nachfragerückgang auf die Weltwirtschaft erneut auf ein historisches Tief und führten zu einer Abwertung des Rubels von 25%. Ein starker Ölpreisanstieg von über 50% sorgte 2021 für eine Stärkung des Rubels, welcher derzeit knapp unter 85 Rubel je Euro gehandelt wird (WKO 10.2021).

Moskau:

In Moskau herrscht Maskenpflicht (plus Handschuhpflicht im Moskauer Gebiet). Im öffentlichen Verkehr gelten Maskenpflicht und Distanzregelungen. Konzert-, Sport-, Unterhaltungsveranstaltungen u.Ä. mit mehr als 500 Personen sind nur mit QR-Codes erlaubt (CWRR 9.11.2021). Mindestens 30% aller Arbeitskräfte sowie ältere Arbeitnehmer und chronisch Kranke haben Fernarbeit zu leisten. Ausgenommen sind vollständig Geimpfte und Genesene (Mos.ru 21.10.2021; vgl. CWRR 9.11.2021). Strafen werden auferlegt wegen Verletzungen der Maskenpflicht, Nichteinhaltung von Distanzregelungen sowie Quarantäne-Verstößen (Mos.ru o.D.b). Zwei Drittel der für COVID-Patienten zur Verfügung stehenden Krankenhausbetten sind aktuell belegt (RFE/RL 6.10.2021). Bis 1.1.2022 müssen mindestens 80% der Mitarbeiter in Dienstleistungsunternehmen in Moskau geimpft sein (Mos.ru 21.10.2021). 39,5% der Moskauer sind geimpft (Ria.ru 6.10.2021). Impfungen erfolgen kostenlos (Mos.ru o.D.a). Im Moskauer Gebiet herrscht in u.a. folgenden Bereichen eine Impfpflicht: Staatsdienst, Dienstleistungen an der Bevölkerung, Bildung, Gesundheitswesen, Tourismus und Gastgewerbe sowie Kultur und Sport (CWRR 9.11.2021).

St. Petersburg:

In St. Petersburg ist das Tragen von Masken und Handschuhen obligatorisch. Im öffentlichen Verkehr gelten Maskenpflicht und Distanzregelungen. Massenveranstaltungen sind verboten (CWRR 9.11.2021; vgl. Gov.spb 30.8.2021). Für Gastronomiebetriebe gelten beschränkte Öffnungszeiten. Theateraufführungen und Konzerte dürfen stattfinden, wenn maximal 75% der Plätze belegt sind. 30% der Staatsbediensteten und ältere Personen haben Fernarbeit zu verrichten. Es herrscht eine Impfpflicht für Mitarbeiter in Bereichen, welche für das Gesellschaftsleben wesentlich sind (CWRR 9.11.2021). 1.983.695 Personen sind vollständig geimpft [ca. 37% der Petersburger; Anm. der Staatendokumentation]. 9.488 Betten sind für COVID-Patienten insgesamt verfügbar, wovon 34,43% derzeit unbelegt sind (Gov.spb 12.11.2021).

Tschetschenien:

In Tschetschenien herrscht Masken- und Handschuhpflicht. Im öffentlichen Verkehr sind Masken zu tragen (CWRR 9.11.2021). Es gilt eine Impfpflicht für Staatsbedienstete, Mitarbeiter in den Bereichen Handel, Massenmedien, Gastronomie, Nahrungsmittelindustrie, Bildung, Tourismus usw. (Ria.ru 27.7.2021). Ungeimpften Personen wird seitens öffentlich Bediensteter mit Entlassung gedroht, mit Verweigerung medizinischer Hilfe etc. Für das Erledigen von Einkäufen (z.B. in Apotheken) oder für den Besuch von Kaffeehäusern ist ein Impfzertifikat erforderlich (CK 5.7.2021). Tschetschenien hat mit 65,64% eine der höchsten Impfquoten Russlands. 71,3% der über 60-Jährigen sind geimpft (Chechnya.gov 20.9.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Insgesamt sind in Tschetschenien 755 an COVID erkrankte Personen registriert (davon 346 Personen in stationärer Behandlung und 409 Personen in ambulanter Behandlung). Seit Anfang der Pandemie verstarben 568 Personen (Chechnya.gov 20.9.2021).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (27.10.2021): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise (COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederationsicherheit/201536, Zugriff 12.11.2021

?        Chechnya.gov – ????? ????????? ?????????? [Oberhaupt der Tschetschenischen Republik] [Russische Föderation] (20.9.2021): ?. ??????? ?????? ????????? ?? ?????? ? ?????????????? ????????? [R. Kadyrow hielt Sitzung zur Bekämpfung der Coronavirus-Infektion ab], http://chechnya.gov.ru/novosti/r-kadyrov-provel-soveshhanie-po-borbe-s-koronavirusnoj-infektsiej/, Zugriff 12.11.2021

?        CK – Caucasian Knot (5.7.2021): Week in the Caucasus: review of main events of June 28-July 4, 2021, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/56028, Zugriff 12.11.2021

?        CWRR – COVID-19-Webseite der russischen Regierung [Russische Föderation] (9.11.2021): ???????? ? ?OVID-19 ? ???????? [COVID-19-Situation in den Regionen], https://???????????????.??/information/, Zugriff 10.11.2021

?        CWRR – COVID-19-Webseite der russischen Regierung [Russische Föderation] (o.D.a): ????? ?????????? ??????? [FAQ], https://???????????????.??/faq/, Zugriff 5.10.2021

?        CWRR – COVID-19-Webseite der russischen Regierung [Russische Föderation] (o.D.b): ??? ? ?????????? ?????? COVID-19 [Alles über die COVID-19-Impfung], https://???????.???????????????.??/#faq27, Zugriff 5.10.2021

?        CWRR – COVID-19-Webseite der russischen Regierung [Russische Föderation] (o.D.c): ???? ????????? ??????? [Unternehmensunterstützungsmaßnahmen], https://???????????????.??/what-to-do/business/, Zugriff 5.10.2021

?        DS – Der Standard (30.9.2021): Höchstwert von 867 Corona-Toten in 24 Stunden in Russland, https://www.derstandard.at/jetzt/livebericht/2000130049914/redcontent/1000244645?responsive=false, Zugriff 12.11.2021

?        E-dag.ru – Moj Dagestan [Mein Dagestan] / Offizielle Website Dagestans [Russische Föderation] (12.11.2021): ?????????? ? ?????????? ?????????? ????????? ?????????? ???????? ?????? COVID-19 [Information über COVID-19-Impfung der Bevölkerung der Republik Dagestan], https://mydagestan.e-dag.ru/vaccination-against-covid-19/, Zugriff 12.11.2021

?        Gov.spb – ????????????? ?????-?????????? [St. Petersburger Verwaltung] [Russische Föderation] (12.11.2021): ?????????????????? ???????? 12.11.2021 [Epidemiologische Situation 12.11.2021], https://www.gov.spb.ru/covid-19/, Zugriff 12.11.2021

?        Gov.spb – ????????????? ?????-?????????? [St. Petersburger Verwaltung] [Russische Föderation] (30.8.2021): ???? ???????? [Kontrollmaßnahmen], https://www.gov.spb.ru/covid-19/mery-kontrolya/, Zugriff 12.11.2021

?        HB – Handelsblatt (29.10.2021): Russland entgleitet die Kontrolle in der Coronakrise, https://www.handelsblatt.com/politik/international/pandemie-russland-entgleitet-die-kontrolle-in-der-coronakrise/27751164.html?ticket=ST-6229042-SkvjqKAObFUJcXv02wlz-cas01.example.org, Zugriff 15.11.2021

?        KM – Kommersant (21.7.2021): ? ????????? ????? ???????????? ?????????? ?? COVID-19 ??? ????????? ????????? ??????? [In Dagestan wurde COVID-19-Impfpflicht für einzelne Bürgergruppen eingeführt], https://www.kommersant.ru/doc/4909903, Zugriff 12.11.2021

?        LM – Le Monde (14.8.2021): Covid-19 dans le monde : nombre inégalé de morts en Russie, nouveau tour de vis à Sydney [Covid-19 weltweit: Unübertroffene Anzahl von Todesfällen in Russland, neue Einschränkungen in Sydney], https://www.lemonde.fr/planete/article/2021/08/14/covid-19-dans-le-monde-nombre-inegale-de-morts-en-russie-nouveau-tour-de-vis-a-sydney_6091433_3244.html, Zugriff 12.11.2021

?        Mos.ru – Offizielle Webseite des Moskauer Bürgermeisters [Russische Föderation] (21.10.2021): ???? ?????? ? ????????????? ? ?????? [Anti-Coronavirus-Maßnahmen in Moskau], https://www.mos.ru/city/projects/measures/, Zugriff 12.11.2021

?        Mos.ru – Offizielle Webseite des Moskauer Bürgermeisters [Russische Föderation] (o.D.a): ????????? ? ????????? ?????????? [Erst- und Zweitimpfung], https://www.mos.ru/city/projects/covid-19/privivka/, Zugriff 8.10.2021

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?        ÖB Moskau – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, http://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 12.11.2021

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?        Russland-Analysen (Nr. 406) (20.9.2021): Covid-19-Chronik (2.8.-12.9.2021), https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/406/RusslandAnalysen406.pdf, Zugriff 12.11.2021

?        WIIW – Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (o.D.): Russia – Overview, https://wiiw.ac.at/russia-overview-ce-10.html, Zugriff 12.11.2021

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?        WKO – Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (10.2021): Wirtschaftsbericht Russische Föderation, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/russische-foederation-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 12.11.2021

Politische Lage

Letzte Änderung: 15.11.2021

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 1.2021c; vgl. CIA 5.2.2021). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau (GIZ 1.2021a; vgl. EASO 3.2017). Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 1.2021a; vgl. EASO 3.2017, AA 21.10.2020c). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 1.2021a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.3.2020). Die Wahlbeteiligung lag der russischen Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.com 19.3.2018; vgl. FH 3.3.2021). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018). Wahlbetrug ist weit verbreitet, was insbesondere im Nordkaukasus deutlich wird (BTI 2020). Präsident Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden (GIZ 1.2021a). Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin, für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren (GIZ 1.2021a; vgl. FH 3.3.2021), dies gilt aber nicht für weitere Präsidenten (FH 3.3.2021). Die Volksabstimmung über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem sie aufgrund der Corona-Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der sogenannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 1.2021a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).

Der Föderationsrat ist als 'obere Parlamentskammer' das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten (GIZ 1.2021a): Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt (GIZ 1.2021a; vgl. AA 1.10.2021c). Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 1.2021a).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, welche die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern und die Partei der Volksfreiheit (PARNAS), eine demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 1.2021a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteienstärke gliedert sich nach den Wahlen von September 2021 wie folgt: Einiges Russland (324 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (57 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (21 Sitze), Gerechtes Russland (27 Sitze) und die neu gegründete Partei Neue Leute (13 Sitze). Alle in der Duma vertretenen Parteien gelten als dem Kreml nahestehend (BAMF 27.9.2021). Diese sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik (SWP 11.2018). Während Präsident Putin und die Zentrale Wahlkommission von einer 'freien und fairen' Abstimmung sprachen, bezeichnete die unabhängige Wahlrechtsorganisation Golos die Wahl mit Blick auf Berichte über massive Unregelmäßigkeiten als 'eine der schmutzigsten' in der Geschichte des Landes. Aufgrund der Wahlfälschungsvorwürfe kam es zu Demonstrationen und Festnahmen (BAMF 27.9.2021).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international nicht anerkannt annektierten Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 1.2021a; vgl. AA 21.10.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 1.2021a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ('exekutive Machtvertikale') deutlich (GIZ 1.2021a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung meist ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten Parteien waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer 'smarten Abstimmung' aufgerufen. Die Bürger sollten irgendjemand wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

Der Rat der Europäischen Union hat am 12.7.2021 beschlossen, die auf bestimmte Wirtschaftssektoren der Russischen Föderation abzielenden und wegen Destabilisierung der Ukraine verhängten Sanktionen um weitere sechs Monate bis zum 31.1.2022 zu verlängern (Rat der EU 12.7.2021).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (1.10.2021c): Russische Föderation – Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710, Zugriff 1.10.2021

?        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (27.9.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw39-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 28.9.2021

?        BTI - Bertelsmann Transformation Index (2020): BTI 2020 Country Report, Russia, https://bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RUS.pdf, Zugriff 17.2.2021

?        CIA – Central Intelligence Agency [USA] (5.2.2020): The World Factbook, Central Asia: Russia, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/russia/, Zugriff 16.2.2021

?        EASO – European Asylum Support Office [EU] (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 10.3.2020

?        FH – Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html, Zugriff 16.2.2021

?        FH – Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html, Zugriff 5.3.2021

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 16.2.2021

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 16.2.2021

?        Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-bei-Kundgebung-in-Moskau, Zugriff 10.3.2020

?        MDR - Mitteldeutscher Rundfunk (16.7.2020): Mehr als 140 Demonstranten in Moskau festgenommen, https://www.mdr.de/nachrichten/politik/ausland/festnahme-moskau-putin-kritiker-bei-protest-100.html, Zugriff 21.7.2020

?        ORF – Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-2019-55603/, Zugriff 10.3.2020

?        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 10.3.2020

?        Presse.com (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 10.3.2020

?        Rat der EU (12.7.2021): Russland: EU verlängert Wirtschaftssanktionen wegen Destabilisierung der Ukraine um sechs Monate, https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2021/07/12/russia-eu-prolongs-economic-sanctions-over-the-destabilisation-of-ukraine-by-six-months/, Zugriff 28.9.2021

?        Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 10.3.2020

?        Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 10.3.2020

?        Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 10.3.2020

Tschetschenien

Letzte Änderung: 15.11.2021

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramsan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat ein Teil von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, beim anderen Teil handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 6.2021).

In Tschetschenien gilt Ramsan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021, FH 3.3.2021). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Ramsan Kadyrow bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 6.2021). Bei der Dumawahl im September 2021 gewann die Partei Einiges Russland in Tschetschenien 89,2% der Stimmen. Zeitgleich fand in Tschetschenien auch die Wahl des Republikoberhauptes statt. Amtsinhaber Ramsan Kadyrow gewann diese Wahl nach vorläufigem Ergebnis mit 99,7% der abgegebenen Stimmen (CK 20.9.2021). In Tschetschenien regiert Kadyrow unangefochten autoritär. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen von Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 3.3.2021; vgl. AA 2.2.2021). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, welche ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 3.3.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2021).

Während der mittlerweile über zehn Jahre andauernden Herrschaft des amtierenden Republikoberhauptes Ramsan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny als Staatsikone auszustellen und sich als 'Fußsoldat Putins' zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute 'föderale Machtvertikale' dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum 'inneren Ausland' Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf, Zugriff 23.2.2021

?        CK - Caucasian Knot (20.9.2021): Edinaya Rossiya Party wins parliamentary elections in Chechnya, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/56796/, Zugriff 28.9.2021

?        FH – Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html, Zugriff 5.3.2021

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022681.html, Zugriff 3.3.2020

?        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (29.6.2019): Die Nordkaukasus-Republik Inguschetien ist innerlich zerrissen, https://www.nzz.ch/international/nordkaukasus-inguschetien-nach-protesten-innerlich-zerrissen-ld.1492435?reduced=true, Zugriff 11.3.2020

?        ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 10.3.2020

?        ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx, Zugriff 29.9.2021

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 10.3.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 26.05.2021

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 7.4.2021a; vgl. GIZ 1.2021d, EDA 7.4.2021). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 7.4.2021a; vgl. EDA 7.4.2021). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 7.4.2021).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern (SWP 4.2017). Seitdem war der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken sollte (SWP 4.2017; vgl. Deutschlandfunk 29.9.2020). Der Einsatz in Syrien ist der größte und längste Auslandseinsatz des russischen Militärs seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Zunächst sollten nur die Luftstreitkräfte die syrische Armee unterstützen. Bodentruppen wurden erst später und in geringerem Maße mobilisiert - in Form von Spezialeinheiten und schließlich am Ende des Feldzugs als Militärpolizei. Es gab auch Berichte über den Einsatz privater paramilitärischer Strukturen (DW 29.9.2020). Hier ist vor allem die 'Gruppe Wagner' zu nennen. Es handelt sich hierbei um einen privaten russischen Sicherheitsdienstleister, der nicht nur in Syrien, sondern auch in der Ukraine und in Afrika im Einsatz ist. Mithilfe solcher privaten Sicherheitsdienstleister lässt sich die Zahl von Verlusten des regulären russischen Militärs gering halten (BPB 8.2.2021), und der teure Einsatz sorgt dadurch in der russischen Bevölkerung kaum für Unmut (DW 29.9.2020).

In den letzten Jahren rückte eine weitere Tätergruppe in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpften, wurde auf einige Tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017). Erst im Oktober 2020 wurden bei Spezialoperationen zentralasiatische Dschihadisten in Südrussland getötet und weitere in Moskau und St. Petersburg festgenommen (SN 15.10.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.4.2021a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederationsicherheit/201536#content_0 , Zugriff 7.4.2021

?        BPB - Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (8.2.2021): Analyse: Söldner im Dienst autoritärer Staaten: Russland und China im Vergleich, https://www.bpb.de/internationales/europa/russland/analysen/327198/soeldner-im-dienst-autoritaerer-staaten, Zugriff 8.4.2021

?        Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 7.4.2021

?        Deutschlandfunk (29.9.2020): An Russland kommt im Nahen Osten niemand mehr vorbei, https://www.deutschlandfunk.de/fuenf-jahre-russischer-militaereinsatz-in-syrien-an.724.de.html?dram:article_id=484951, Zugriff 8.4.2021

?        DW - Deutsche Welle (29.9.2020): Russland im Syrien-Krieg: Gekommen, um zu bleiben, https://www.dw.com/de/russland-im-syrien-krieg-gekommen-um-zu-bleiben/a-55096554, Zugriff 8.4.2021

?        EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (7.4.2021): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html#par_textimage, Zugriff 7.4.2021

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (2.2020d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 7.4.2021

?        SN - Salzburger Nachrichten (15.10.2020): Terrorzelle in Russland ausgeschaltet, https://www.sn.at/politik/weltpolitik/terrorzelle-in-russland-ausgeschaltet-94250941, Zugriff 8.4.2021

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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