TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/30 L510 2248596-1

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Veröffentlicht am 30.11.2021
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Entscheidungsdatum

30.11.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs4

Spruch


L510 2248596-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. INDERLIETH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Türkei, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.10.2021, Zl: XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der Bescheid des BFA behoben.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrenshergang

1. Die beschwerdeführende Partei (bP) ist türkischer Staatsbürger und reiste am 23.10.2021 illegal in Österreich ein. Die bP wurde am 23.10.2021 von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes festgenommen und sie stellte am 23.10.2021 um 09:30 Uhr einen Antrag auf internationalen Schutz (Anhalteprotokoll I vom 24.10.2021).

Im Zuge ihrer Erstbefragung am 24.10.2021 aufgrund der Antragstellung auf internationalen Schutz legte sie unter Beiziehung eines Dolmetschers für die türkische Sprache dar, dass sie kein Asyl in Österreich wolle. Ihr Reiseziel sei Deutschland gewesen, weil sie dort viele Freunde habe. In Österreich habe sie niemanden. Ihre Eltern, ihre zwei Brüder und ihre drei Schwestern würden alle in der Türkei leben. Die Türkei habe sie aus finanziellen Gründen verlassen. Sie habe in Deutschland arbeiten wollen. Im Falle einer Rückkehr in die Türkei befürchte sie nichts, sie wolle zurück in die Türkei.

Im Zuge einer niederschriftlichen Einvernahme unter Beiziehung eines Dolmetschers für die türkische Sprache am 24.10.2021 wiederholte die bP im Wesentlichen ihre Angaben und führte weiter aus, dass sie in Deutschland habe Geld verdienen wollen. Sie habe nur Euro 20, --. Sie sei gesund und benötige keine Medikamente. Sie wolle in die Türkei zurückkehren.

2. Mit Bescheid vom 24.10.2021 wurde über die bP die Schubhaft verhängt.

3. Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid des BFA wurde der bP ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 1 Z 1 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs 9 FPG wurde festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 Z 6 FPG wurde gegen sie ein auf die Dauer von 1 Jahr befristetes Einreiseverbot erlassen. Gem. § 55 Abs 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt IV). Einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 18 Abs 2 Ziffer 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Dieser Bescheid wurde der bP am 25.10.2021 durch persönliche Übernahme zugestellt. Weiter unterzeichnete die bP einen ausschließlich auf Deutsch verfassten Rechtsmittelverzicht, ohne dass ein Dolmetscher beigezogen worden wäre.

4. Gegen den Bescheid wurde mit 22.11.2021 Beschwerde eingebracht. Im Wesentlichen wurde dargelegt, dass gegenständlich nicht von einem illegalen Aufenthalt ausgegangen werden könne, da die bP in Österreich einen Asylantrag gestellt habe.

5. Mit Schreiben des BFA vom 29.11.2021 wurde dem BVwG auf Ersuchen mitgeteilt, dass die bP mitgeteilt hatte, dass sie in die Türkei zurückkehren wolle. Um diese Rückkehr so rasch als möglich durchführen zu können, wurde davon ausgegangen, dass die bP einen Rechtsmittelbverzicht abgebe um die Schubhaft so kurz als möglich zu halten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

Die Identität der bP steht fest. Sie führt den im Spruch genannten Namen und das im Spruch angeführte Geburtsdatum. Die bP ist türkischer Staatsbürger, volljährig und gesund. Die Angaben zum Verfahrensgang werden als Feststellungen dem Verfahren zu Grunde gelegt.

2. Beweiswürdigung

Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsverfahrensaktes. Die Feststellungen wurden im Verfahren nicht bestritten.

3. Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 BFA-VG idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Zur Vorfrage des Rechtsmittelverzichtes:

§ 7 Abs 2 VwGVG normiert, dass eine Beschwerde nicht mehr zulässig ist, wenn die Partei nach Zustellung oder Verkündung des Bescheides ausdrücklich auf die Beschwerde verzichtet hat.

Eine Zurückziehung der Beschwerde durch den Beschwerdeführer ist in jeder Lage des Verfahrens ab Einbringung der Beschwerde bis zur Erlassung der Entscheidung möglich (Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, § 7 VwGVG, K 6).

Die Annahme, eine Partei ziehe die von ihr erhobene Beschwerde zurück, ist nur dann zulässig, wenn die entsprechende Erklärung keinen Zweifel daran offen lässt.

Maßgebend ist daher das Vorliegen einer in dieser Richtung eindeutigen Erklärung (vgl. z.B. VwGH v. 22.11.2005, Zl. 2005/05/0320, uvm. zur insofern auf die Rechtslage nach dem VwGVG übertragbaren Judikatur zum AVG).

Gemäß § 39a Abs 1 AVG ist einer Partei oder einer zu vernehmende Person die der deutschen Sprache nicht hinreichend kundig, stumm, gehörlos oder hochgradig hörbehindert ist, erforderlichenfalls der der Behörde beigegebene oder zur Verfügung stehende Dolmetscher (Amtsdolmetscher) beizuziehen.

Gegenständlich steht fest, dass die bP der deutschen Sprache bzw. Schreibweise nicht hinreichend kundig ist. Dies wurde durch das BFA sowohl in der Erstbefragung als auch in der Einvernahme vermerkt. Tatsächlich wurde auch jeweils ein Dolmetsch bei den Einvernahmen beigezogen. Der Rechtsmittelverzicht wurde der bP jedoch ohne die Beiziehung eines Dolmetschers zur Unterzeichnung vorgelegt. Auch auf andere Weise wurden der bP der Inhalt bzw. die Folgen des Rechtsmittelverzichts nicht hinreichend dargelegt bzw. erklärt. Durch die Unterzeichnung des Rechtsmittelverzichts auf diese Weise, ist nicht von einer eindeutigen Erklärung der bP auszugehen, wie dies von der Judikatur des VwGH gefordert wird. Mangels eindeutiger Erklärung in diese Richtung war daher die Beschwerde gegen den Bescheid des BFA zulässig und erwuchs dieser nicht in Rechtskraft.

Zur Überlegung einer etwaigen Zurückziehung der Beschwerde und eines somit vorliegenden rechtswidrigen Aufenthaltes:

Fest steht, dass die bP am 23.10.2021 um 09:30 Uhr einen Antrag auf internationalen Schutz stellte, wie sich aus dem Anhalteprotokoll I vom 24.10.2021 ergibt. Selbst wenn die bP danach im Zuge ihrer Erstbefragung aufgrund des Antrages auf internationalen Schutz und auch in der späteren Niederschrift darlegt, dass sie in Österreich gar kein Asyl wolle, kann dies nicht als Zurückziehung der Beschwerde gewertet werden. Gemäß § 25 Abs 2 AsylG ist im Verfahren vor dem Bundesamt das Zurückziehen eines Antrages auf internationalen Schutz nicht möglich, es sei denn, der Asylwerber ist in Österreich rechtmäßig niedergelassen (§ 2 Abs 2 NAG). Da die bP in Österreich nicht rechtmäßig niedergelassen ist, war somit eine Zurückziehung ihres Antrages auf internationalen Schutz nicht möglich. Selbst das Argument, dass nur in einem Verfahren vor dem BFA, das erst nach Einbringung des Antrags auf internationalen Schutz mit dem Zulassungsverfahren beginne, die Zurückziehung des Antrags nicht "möglich" und damit wirkungslos sei, greift zu kurz. In der Stammfassung des FrPolG 2005 wurde ganz generell auf das Zurückziehen eines Antrags auf internationalen Schutz "im Verfahren erster Instanz" abgestellt und durch die danach gewählten Formulierungen "im Verfahren vor dem Bundesasylamt" bzw. "im Verfahren vor dem Bundesamt" war offensichtlich keine inhaltliche Änderung beabsichtigt. Es bestehen dafür, dass dadurch eine Differenzierung zwischen nur gestellten und bereits eingebrachten Anträgen auf internationalen Schutz getroffen werden sollte, überhaupt keine Anhaltspunkte. Das gilt auch für die Vorgängerregelung im AsylG 1997 (vgl. VfGH 15.10.2004, G 273/03; VwGH 8.6.2006,2004/01/0289; VwGH 26.6.2007, 2007/01/0513,0514; VwGH 29.3.2001, 2000/20/0473, 2001/20/0089; VwGH 30.3.2006, 2003/20/0345; VwGH 26.4.2001, 2000/20/0022), wobei nicht erkennbar ist, der Gesetzgeber habe im AsylG 2005 dann eine davon abweichende Regelung treffen wollen (vgl. ErläutRV zum Fremdenrechtspaket 2005 (952 BlgNR 22. GP 48)). Dagegen spricht überdies auch, dass der schon mit § 23 Abs. 3 AsylG 1997 verfolgte und auch mit § 25 Abs. 2 AsylG 2005 beabsichtigte Zweck der Verhinderung von Missbrauch auch für einen erst gestellten Antrag auf internationalen Schutz gilt. Das trifft auch für das weitere Motiv zu, trotz einer Antragszurückziehung über die Gewährung von internationalem Schutz abzusprechen, um den Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention zu entsprechen (VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0340). Es ist gegenständlich somit seit dem 23.10.2021 ein Asylverfahren anhängig.

Zur Behebung des Bescheides:

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung (allenfalls auch samt darauf aufbauendem Einreiseverbot) ist nicht zulässig, bevor über einen anhängigen Antrag auf internationalen Schutz abgesprochen wurde; und zwar auch dann, wenn ein Rückkehrentscheidungsverfahren - unabhängig vom Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz - bereits anhängig ist. Zugleich mit der Rückkehrentscheidung ist nämlich die Feststellung nach § 52 Abs 9 FrPolG 2005 zu treffen, dass (nunmehr: ob) die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist; dies würde aber - jedenfalls in Bezug auf den Herkunftsstaat - bedeuten, das Ergebnis des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz, in dem diese Frage erst zu klären ist, in unzulässiger Weise vorwegzunehmen. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vor der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ist daher grundsätzlich nicht zulässig. Diese Überlegungen sind auch vor dem Hintergrund der geltenden Rechtslage aufrechtzuerhalten (VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0146 mit Verweis auf VwGH 4.8.2016, Ra 2016/21/0162; VwGH 15.3.2018, Ra 2017/21/0138; VwGH 25.9.2018, Ra 2018/21/0107).

Es ist somit nicht Aufgabe des BFA bzw. des BVwG, im Verfahren zur Erlassung einer fremdenpolizeilichen Maßnahme letztlich ein Verfahren durchzuführen, das der Sache nach einem Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz gleichkommt.

Nur ein Antrag auf internationalen Schutz kann bei Zutreffen der Verfolgungs- bzw. Gefährdungsbehauptungen zur Gewährung von Asyl oder von subsidiärem Schutz führen und entsprechende (umfassende) Aufenthaltsberechtigungen verschaffen, nicht jedoch das gegenständliche Beschwerdeverfahren.

Die bP hat gegenständlich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und wurde bereits erstbefragt. Ihr Aufenthalt im Bundesgebiet ist somit zulässig. Es waren somit Spruchpunkt I. und in Anlehnung an die obige Judikatur die Rückkehrentscheidung und daran anknüpfend auch die darauf aufbauenden Spruchpunkte zu beheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Anhängigkeit Antragszurückziehung Asylverfahren Einreiseverbot aufgehoben ersatzlose Behebung Rechtslage Rechtsmittelverzicht Rechtswidrigkeit Rückkehrentscheidung behoben Übersetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L510.2248596.1.00

Im RIS seit

01.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

01.02.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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