Entscheidungsdatum
01.12.2021Norm
StVO 1960 §9 Abs7Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch MMag. Dr. Michaela Lütte-Mersch als Einzelrichterin über die Beschwerde der A, ***, in ***, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 18. Juni 2021, Zl. ***, betreffend Bestrafung nach der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht:
1. Der Beschwerde wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.
2. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision nicht zulässig.
Rechtsgrundlagen:
§ 50 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG
§ 45 Abs. 1 Z 3 Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG
§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG
Entscheidungsgründe:
1. Feststellungen und wesentlicher Verfahrensgang:
1.1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Baden (in der Folge: belangte Behörde) vom 18. Juni 2021, Zl. ***, wurde A (in der Folge: Beschwerdeführerin) – nach Erhebung eines Einspruchs gegen eine denselben Strafvorwurf betreffende Strafverfügung – die folgende Verwaltungsübertretung zur Last gelegt, über Sie die folgende Verwaltungsstrafe verhängt und ein Kostenbeitrag zum verwaltungsbehördlichen Strafverfahren vorgeschrieben:
„Sie haben als Fahrzeuglenkerin folgende Verwaltungsübertretung begangen:
Zeit: 20.11.2020, 15:10 Uhr
Ort: Gemeindegebiet ***, *** - Parkplatz ***
Fahrzeug: ***, Lastkraftwagen
Tatbeschreibung:
Sie haben das Fahrzeug nicht entsprechend der Bodenmarkierung zum Halten aufgestellt.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift verletzt:
§ 9 Abs.7 StVO 1960, § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960
Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über Sie folgende Strafe verhängt:
Geldstrafe von falls diese uneinbringlich ist, Gemäß
Ersatzfreiheitsstrafe von
€ 40,00 18 Stunden § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960
Vorgeschriebener Kostenbeitrag gemäß § 64 Abs.2
Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG), das sind 10% der
Strafe, mindestens jedoch 10 Euro € 10,00
Gesamtbetrag: € 50,00“
In der Begründung des Straferkenntnisses werden zunächst die im verwaltungsbehördlichen Strafverfahren erstatteten Stellungnahmen der Beschwerdeführerin sowie eine „rechtliche Beurteilung zur Parkplatzsituation bzw. der Abweichung von der Verordnung“ der Stadtgemeinde *** wörtlich wiedergegeben. Als festgestellter Sachverhalt ist ausgeführt, dass das Fahrzeug zum angelasteten Tatzeitpunkt am angelasteten Ort nicht entsprechend der Bodenmarkierung zum Halten aufgestellt gewesen sei. Dadurch sei der objektive Tatbestand gemäß § 99 Abs. 3 lit. a iVm § 9 Abs. 7 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) erfüllt. Die verhängte Geldstrafe erweise sich als angemessen und die Kostenentscheidung gründe auf der angeführten Gesetzesstelle.
1.2. Im verwaltungsbehördlichen Verfahren wurde der Beschwerdeführerin die Anzeige der Stadtgemeinde *** vom 12. Dezember 2020 an die belangte Behörde per E-Mail übermittelt, in der wörtlich Folgendes ausgeführt ist: „Das Fahrzeug war jedoch nach Beendigung des Marktes immer noch entgegen der Bodenmarkierungen abgestellt, wodurch mindestens 3 Parkflächen benutzt wurden“.
1.3. Gegen das Straferkenntnis der belangten Behörde vom 18. Juni 2021 (wie auch gegen das Straferkenntnis der belangten Behörde vom 18. Juni 2021, Zl. ***, das dieselbe vorgeworfene Verwaltungsübertretung der Beschwerdeführerin an einem anderen Tattag betrifft) erhob die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 16. Juli 2021 Beschwerde.
In dieser werden Zweifel an den Wahrnehmungen des amtshandelnden Polizeiorgans erhoben. Zudem wird vorgebracht, dass ein Ankuppeln eines Anhängers kein „Halten“ sondern eine durch wichtige Umstände erzwungene Fahrtunterbrechung sei, da es bei anderer Beurteilung keine legale Möglichkeit gebe, einen – aus welchen Gründen auch immer – dort abgestellten Anhänger wegzubringen. Auch würden die auf dem Parkplatz angebrachten Bodenmarkierungen von der zugrundeliegenden Verordnung abweichen. Im Straferkenntnis sei nur auf einen Punkt ihres diesbezüglichen Vorbringens im verwaltungsbehördlichen Verfahren eingegangen worden, nämlich das Fehlen des Querstrichs in der südlichsten Parkspur; es sei jedoch so, dass kein einziger Parkplatz der Verordnung entsprechen würde, sei es, dass die Maße nicht übereinstimmen, sei es, dass Querstriche fehlen würden.
Beantragt wurden die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens und „allenfalls eine mündliche Verhandlung“.
2. Beweiswürdigung:
Diese Feststellungen – einschließlich des dargelegten Verfahrensgangs – ergeben sich eindeutig aus den Inhalten des vorgelegten Verwaltungsstrafaktes der belangten Behörde und erweisen sich auch zwischen den Parteien nicht als strittig.
3. Rechtslage:
3.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) lauten:
„§ 9. Verhalten bei Bodenmarkierungen
[…]
(7) Wird die Aufstellung der Fahrzeuge zum Halten oder Parken durch Bodenmarkierungen geregelt, so haben die Lenker die Fahrzeuge dieser Regelung entsprechend aufzustellen. Hiebei sind nach Maßgabe des zur Verfügung stehenden Platzes mehrere einspurige Fahrzeuge in eine für mehrspurige Fahrzeuge bestimmte Fläche aufzustellen.
[…]“
„§ 99. Strafbestimmungen
[…]
(3) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe bis zu 726 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, zu bestrafen,
a) wer als Lenker eines Fahrzeuges, als Fußgänger, als Reiter oder als Treiber oder Führer von Vieh gegen die Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen verstößt und das Verhalten nicht nach den Abs. 1, 1a, 1b, 2, 2a, 2b, 2c, 2d, 2e oder 4 zu bestrafen ist,
[…]“
3.2. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG) lauten:
„§ 31. (1) Die Verfolgung einer Person ist unzulässig, wenn gegen sie binnen einer Frist von einem Jahr keine Verfolgungshandlung (§ 32 Abs. 2) vorgenommen worden ist. Diese Frist ist von dem Zeitpunkt zu berechnen, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat; ist der zum Tatbestand gehörende Erfolg erst später eingetreten, so läuft die Frist erst von diesem Zeitpunkt.
[…]
„§ 32. (1) Beschuldigter ist die im Verdacht einer Verwaltungsübertretung stehende Person von dem Zeitpunkt der ersten von der Behörde gegen sie gerichteten Verfolgungshandlung bis zum Abschluß der Strafsache. Der Beschuldigte ist Partei im Sinne des AVG.
(2) Verfolgungshandlung ist jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung (Ladung, Vorführungsbefehl, Vernehmung, Ersuchen um Vernehmung, Beratung, Strafverfügung u. dgl.), und zwar auch dann, wenn die Behörde zu dieser Amtshandlung nicht zuständig war, die Amtshandlung ihr Ziel nicht erreicht oder der Beschuldigte davon keine Kenntnis erlangt hat.“
„§ 44a. Der Spruch hat, wenn er nicht auf Einstellung lautet, zu enthalten:
1. die als erwiesen angenommene Tat;
2. die Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist;
3. die verhängte Strafe und die angewendete Gesetzesbestimmung;
4. den etwaigen Ausspruch über privatrechtliche Ansprüche;
5. im Fall eines Straferkenntnisses die Entscheidung über die Kosten.“
„§ 45. (1) Die Behörde hat von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn
1. die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Verwaltungsübertretung bildet;
2. der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen;
3. Umstände vorliegen, die die Verfolgung ausschließen;
4. die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering sind;
5. die Strafverfolgung nicht möglich ist;
6. die Strafverfolgung einen Aufwand verursachen würde, der gemessen an der Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und der Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat unverhältnismäßig wäre.
Anstatt die Einstellung zu verfügen, kann die Behörde dem Beschuldigten im Fall der Z 4 unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid eine Ermahnung erteilen, wenn dies geboten erscheint, um ihn von der Begehung strafbarer Handlungen gleicher Art abzuhalten.“
4. Erwägungen:
4.1. Die Beschwerde ist begründet.
4.2. Gemäß § 9 Abs. 7 StVO haben die Lenker, wenn die Aufstellung der Fahrzeuge zum Halten oder Parken durch Bodenmarkierungen geregelt wird, die Fahrzeuge dieser Regelung entsprechend aufzustellen.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erstreckt sich die normative Wirkung der Bodenmarkierungen – bzw. der ihre Anbringung regelnden Verordnung – in örtlicher Hinsicht nur auf den Bereich, der von den Bodenmarkierungen (zumindest teilweise) umschlossen ist. Der Lenker, der sein Fahrzeug von der so geschaffenen Ordnung abweichend aufstellt, handelt der Bodenmarkierung und damit dem § 9 Abs. 7 StVO zuwider. (vgl. VwGH 08.06.1993, 92/02/0263, in Abkehr zur Vorjudikatur).
4.3. Im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses wird der Beschwerdeführerin zur Last gelegt, sie habe das Fahrzeug „nicht entsprechend der Bodenmarkierung zum Halten aufgestellt“.
4.4. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es beim Erfordernis einer genauen Tatumschreibung im Sinne des § 44a Z 1 VStG darauf an, dass die Zuordnung des Tatverhaltens zur Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale möglich wird und dass die Identität der Tat unverwechselbar feststeht. Wesentlich ist dabei, den Beschuldigten in die Lage zu versetzen, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen, und ihn rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden. Diese Rechtsschutzüberlegungen sind auch bei der Prüfung der Frage anzustellen, ob innerhalb der Verjährungsfrist des § 31 Abs. 1 VStG eine taugliche Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 VStG vorliegt oder nicht. Das bedeutet, dass die dem Beschuldigten vorgeworfene Tat unverwechselbar konkretisiert sein muss, damit dieser in die Lage versetzt wird, auf den Vorwurf zu reagieren und damit sein Rechtsschutzinteresse zu wahren (vgl. zB VwGH 05.09.2013, 2013/09/0065, VwGH 24.10.2016, Ra 2016/02/0189).
4.5. Diesen Anforderungen wird der Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses nicht gerecht. Dieser erschöpft sich (wie auch schon der Spruch der zuvor erlassenen Strafverfügung) in der bloßen Wiedergabe des Gesetzeswortlautes gemäß § 9 Abs. 7 StVO, ohne – den Anforderungen des § 44a Z 1 VStG entsprechend – die als erwiesen angenommene Tat konkret zu beschreiben (vgl. auch VwGH 01.07.2010, 2008/09/0149). Insbesondere ist der Spruchfassung, wonach die Beschwerdeführerin das Kraftfahrzeug zu bestimmter Zeit an bestimmtem Tatort „nicht entsprechend der Bodenmarkierung zum Halten aufgestellt hat“, nicht zu entnehmen, welche Ordnung durch die Bodenmarkierung geschaffen wurde und auf welche Weise die Beschwerdeführerin das Fahrzeug – abweichend von der gemäß der Bodenmarkierung gebotenen Aufstellung – zum Halten aufgestellt hat, also welcher konkrete Sachverhalt im Sinne des § 44a Z 1 VStG zur Last gelegt wird.
4.6. Eine Verbesserung der Tatbeschreibung durch das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich kommt nicht in Betracht, weil nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Tatanlastung durch die Rechtsmittelinstanz nur dann richtig gestellt werden darf, wenn das dem Beschuldigten durch eine modifizierte Tatumschreibung der Rechtsmittelinstanz zur Last gelegte Verhalten bereits in konkretisierter Form Gegenstand des Strafverfahrens erster Instanz gewesen ist (vgl. VwGH 03.09.1999, 98/05/0139, mwN) bzw. innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist rechtzeitig eine alle einer Bestrafung zu Grunde liegenden Sachverhaltselemente enthaltende Verfolgungshandlung (wozu auch die Tathandlung gehört) durch die Behörde gesetzt wurde (vgl. zB VwGH 16.09.2020, Ra 2020/09/0036, mwN).
Dies ist vorliegend nicht der Fall, denn ist eine die Anforderungen des § 44a Z 1 VStG erfüllende Beschreibung der als erwiesen angenommene Tat weder – wie dargelegt – dem Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses (oder der zuvor erlassenen Strafverfügung) noch einer anderen Verfolgungshandlung durch die belangte Behörde, wie etwa der Begründung des Straferkenntnisses, zu entnehmen. Auch stellt die in der Anzeige (welche der Beschwerdeführerin im Zuge des verwaltungsbehördlichen Verfahrens übermittelte wurde) enthaltene Formulierung „wodurch mindestens 3 Parkflächen benutzt wurden“ keine hinreichende Beschreibung der Tathandlung einer Verwaltungsübertretung gemäß § 9 Abs. 7 StVO dar, weil auch daraus nicht hervorgeht, wie die Aufstellung des Fahrzeugs gemäß der Bodenmarkierung hätte erfolgen müssen und wie die Beschwerdeführerin das Fahrzeug abweichend von dieser durch die Bodenmarkierung geschaffenen Ordnung konkret aufgestellt hat.
4.7. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
5. Zum Entfall der öffentlichen mündlichen Verhandlung:
Die Verhandlung konnte gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG entfallen, da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben ist.
6. Zur Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist nicht zulässig, da die gegenständliche Entscheidung nicht von der zitierten und einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, und sich auf den eindeutigen und klaren Wortlaut der angewendeten Bestimmungen stützen kann (aus der ständigen Rechtsprechung zur Unzulässigkeit der Revisionen derartigen Fällen vgl. zB VwGH 29.07.2015, Ra 2015/07/0095).
Schlagworte
Verkehrsrecht; Straßenverkehr; Verwaltungsstrafe; Bescheidspruch; Tatumschreibung; Konkretisierung;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.S.1670.001.2021Zuletzt aktualisiert am
31.01.2022