Entscheidungsdatum
06.12.2021Norm
BAO §115 Abs1Text
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich fasst durch MMag. Kammerhofer als Einzelrichter zu der Beschwerde der A GmbH, vertreten durch B Rechtsanwälte, ***, ***, vom 11. Februar 2021 gegen den Berufungsbescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde *** vom 15. Juni 2021, Zl. ***, mit dem die Berufung gegen den Abgabenbescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 15. Oktober 2020, Zl. ***, betreffend Vorschreibung einer Kanalbenützungsgebühr für die Liegenschaft *** in *** als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt wurde, den
BESCHLUSS:
1. Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 278 Abs. 1 BAO aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Gemeindevorstand der Marktgemeinde *** zurückverwiesen.
2. Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
1. Sachverhalt:
1.1.
Die beschwerdeführende Partei ist Eigentümerin der Liegenschaft mit der topografischen Anschrift *** in ***.
1.2. Zum verwaltungsbehördlichen Verfahren:
Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 02.04.2004 wurde für die gegenständliche Liegenschaft eine jährliche Kanalbenützungsgebühr für die Benützung des öffentlichen Schmutzwasserkanals in der Höhe von € 11.350,37 festgesetzt. Dieser Berechnung wurde eine Berechnungsfläche von 5.044,61 m² (Gebäudebauteil I mit einer Fläche von 715,66 m² und Gebäudebauteil II mit einer Fläche von 4.328,95 m²) sowie ein Einheitssatz von 2,25 zugrunde gelegt. Dieser Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen.
Mit Schreiben vom 27.01.2020, GZ: ***, wurde von der beschwerdeführenden Partei durch ihre ausgewiesene Rechtsvertretung eine Veränderungsanzeige eingebracht. Weiters wurde beantragt, die Kanalbenützungsgebühr gemäß § 5b Abs. 1 NÖ Kanalgesetz 1977 um 80% zu reduzieren. Begründend wurde ausgeführt, dass die Mitarbeiterzahl im vermieteten Bereich von 35 auf 28 Personen reduziert worden sei. Auf den großen Flächen würden nur sehr wenige Mitarbeiter beschäftigt. Dadurch würden auf den flächenmäßig sehr großen Bereich in Relation zur Fläche verhältnismäßig nur geringe Abwassermengen produziert. Es wären derzeit bei der beschwerdeführenden Partei vor Ort 75 Personen beschäftigt, bei den Fremdfirmen im Bauteil I 13 Personen und im Bauteil II 28 Personen, somit eine Gesamtzahl von 116 Personen. Es würden sich somit unter der Annahme, dass ein EGW drei Beschäftigten entspricht, insgesamt 38,67 EGW. Bei einer zugrunde gelegten Berechnungsfläche von 5.044,61 m² würde 1 EGW 130,45 m² Berechnungsfläche entsprechen. Es liege somit ein offensichtliches Missverhältnis vor und bestehe ein Rechtsanspruch auf entsprechende Verminderung des Gebührenanteils. Das durchschnittliche Verhältnis zwischen EGW und Baufläche in der Marktgemeinde *** betrage 1 EGW zu 68,36 m². Daher würde man zu einer Abminderung von 82% kommen, die vom Gesetz jedoch mit 80% nach oben hin begrenzt ist.
Ergänzend wurde mit Schreiben vom 31.03.2020 vorgebracht, dass aufgrund der COVID-19-Situation und der durch die Österreichische Bundesregierung verhängten Maßnahmen eine Neuberechnung der EGW erforderlich geworden sei. Während der COVID-19-Phase würden derzeit 10 Personen im Büro in Kurzarbeit (durchschnittlich 30%) beschäftigt werden und 106 Beschäftigte befinden sich in Homeoffice.
10 Beschäftigte würden im Büro in Kurzarbeit verbleiben. 10:3 EGW davon 30% = 1 EGW. 106 Beschäftigte im Homeoffice = 0 EGW. Die Berechnungsfläche betrage nach wie vor 5.044,61 m². Um auf diese durchschnittliche Belastung zu gelangen wäre die Berechnungsfläche um 99% (68,38 : 5044,61 = 0,01 x 100 = 12) zu reduzieren. Da jedoch gemäß § 5b Abs. 1 NÖ Kanalgesetz die zu verminderte Benützungsgebühr höchstens um 80% zu vermindern wäre, sei die vorgeschriebene Kanalbenützungsgebühr um 80% zu reduzieren für den Zeitraum der COVID-19-Phase.
Mit Schreiben der Gemeinde vom 25.06.2020, GZ: ***, erging die Aufforderung, die Änderung der Zahl der Mitarbeiter in den erwähnten Referenzzeiträumen darzulegen und auch nachvollziehbar durch Unterlagen zu belegen.
Mit Schreiben vom 01.07.2020, GZ: ***, eingelangt am 07.07.2020 wurde mitgeteilt, dass der Mitarbeiterstand am 02.04.2004 150 Mitarbeiter betragen habe. Als Herkunftsquelle wurde der Evaluierungsordner Hauptgebäude 2004 (Unterlagen noch vorhanden) und die Nennung einer Auskunftsperson angeführt. Seit 15.01.2020 gebe es einen Mitarbeiterstand von 123. Die eingemieteten Unternehmen C GmbH, D GmbH und die Firma E würden das Mietverhältnis beenden. Mit 30.03.2020 fortlaufend wäre das Mietverhältnis mit den Unternehmen C GmbH, D GmbH und der Firma E beendet. Der Mitarbeiterstand betrage nunmehr 116. Seit 18.03.2020 seien fortlaufend 10 Mitarbeiter vor Ort beschäftigt. Ab 02.05.2020 werde der Mitarbeiterstand von 10 wieder auf 116 aufgebaut.
Mit Bescheid vom 15.10.2020, GZ: ***, entschied der Bürgermeister der Marktgemeinde *** über die Veränderungsanzeige und die Anträge auf Vermeidung von Härtefällen gemäß § 5b NÖ Kanalgesetz 1977 zur Kanalbenützungsgebühr vom 27.01.2020 ergänzt durch das Schreiben vom 02.04.2020 dahingehend, dass mit Spruchpunkt 1 der Antrag auf Reduzierung der Kanalbenützungsgebühr um 80% als unzulässig zurückgewiesen und in Spruchpunkt 2 der Antrag auf Erlassung eines geänderten Abgabenbescheides über die Kanalbenützungsgebühr aufgrund der Veränderungsanzeige abgewiesen wurde. Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass gemäß § 13 Abs. 1 NÖ Kanalgesetz 1977 Veränderungen, die nach Zustellung der Abgabenentscheidung eintreten, sodass die der seinerzeitigen Festsetzung der Kanalbenützungsgebühr zugrunde gelegten Voraussetzungen nicht mehr zutreffen, binnen zwei Wochen nach dem Eintritt der Veränderung bzw. nach dem Bekanntwerden derselben dem Bürgermeister schriftlich anzuzeigen sind (Veränderungsanzeige). Um die Festsetzung der Kanalbenützungsgebühr für die gegenständliche Liegenschaft neu vornehmen zu können, müsse eine Veränderung erfolgt sein. Das Vorliegen der Veränderung sei in einem Ermittlungsverfahren festzustellen. Dabei sei eine Mitwirkungspflicht des Abgabepflichtigen erforderlich. Im vorliegenden Fall werde die Änderung der Mitarbeiterzahl vorgebracht. Nachvollziehbare Unterlagen, die dieses Vorbringen belegen, seien jedoch nicht vorgelegt worden. Der Hinweis, dass in einem Evaluierungsordner aus dem Jahr 2004 ein Mitarbeiterstand von 150 ersichtlich sei sowie das Anführen von Mitarbeiterzahlen einzelner Unternehmen zu einem bestimmten Zeitpunkt ohne überprüfbare amtliche Belege, vermöge eine Änderung nicht dazulegen. Der Antrag auf Neufestsetzung der Kanalbenützungsgebühr für die gegenständliche Liegenschaft sei daher abzuweisen gewesen.
Gegen diesen Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 15.10.2020 erhob die beschwerdeführende Partei zunächst Berufung an den Gemeindevorstand der Marktgemeinde *** mit Schreiben vom 06.11.2020 durch ihre ausgewiesene Rechtsvertretung. Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass die beschwerdeführende Partei mit Eingabe vom 27.01.2020 bekannt gegeben habe, dass sich die Zahl der Beschäftigten am Dienstort im vermieteten Bereich von 35 auf 28 Personen reduziert habe. Als Beweis seien über Auftrag des Bürgermeisters vom 25.06.2020 am 01.07.2020 der Mitarbeiterstand und insbesondere die Auskunftsperson der beschwerdeführenden Partei angeführt worden. Die Auskunftsperson sei F, Leitung Gebäude und Fuhrpark, p.A. der beschwerdeführenden Partei.
Richtig sei, dass, wie von der Gemeinde aufgefordert, entsprechende unbedenkliche Unterlagen nicht vorgelegt werden könnten, da solche über personelle Kündigungen, noch dazu von Mietern, auch nicht vorgelegt werden könnten, dies sei aus datenschutzrechtlichen Gründen einfach nicht möglich. Die beschwerdeführende Partei könne möglicherweise Unterlagen über eigene Dienstnehmer vorlegen, nicht jedoch Unterlagen über die Dienstnehmer von Dritten, nämlich von Mietern.
Beim gegenständlichen Verfahren handelt es sich um ein Abgabenverfahren, welches nach der Bundesabgabenordnung zu führen sei.
Die beschwerdeführende Partei habe durch Nennung des Namens des Mitarbeiters, der über entsprechende Kenntnis verfüge, die Aufnahme eines Zeugenbeweises angeboten, welcher von der Behörde nicht aufgenommen worden sei. Das Verfahren nach der Bundesabgabenordnung sei nicht auf die Vorlage von Urkundenbeweisen beschränkt, sondern seien alle Beweismittel, insbesondere Zeugenbeweise, Parteieneinvernahmen, auch Ortsaugenscheine und Sachverständigenbeweise neben den Urkundenbeweisen zulässig. Es werde daher nochmals die Einvernahme der bekanntgegebenen Auskunftsperson als Zeuge beantragt. Desweitern werde Korrespondenz betreffend Mieter vorgelegt, nämlich Aufkündigung angemieteter Büros durch G, H/D GmbH, I/J GmbH und K Unternehmensberatung, vorgelegt. Die Kündigungen seien der beschwerdeführenden Partei bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung bekannt gewesen, da diese von den jeweiligen Geschäftsführern gegenüber der Auskunftsperson der beschwerdeführenden Partei angekündigt worden seien. Da Änderungen gemäß § 13 NÖ Kanalgesetz 2 Wochen nach Bekanntwerden derselben den Bürgermeister schriftlich seien, sei auch die gegenständliche Änderungsanzeige fristgerecht eingebracht worden.
Es sei auch dargetan worden, dass durch die geringe Anzahl der Mitarbeiter und den entsprechend geringen Gebrauch die Voraussetzungen des Härtefalls gemäß § 5b NÖ Kanalgesetz 1977 vorliegen würden, sohin die Kanalbenützungsgebühr für die gegenständliche Liegenschaft herabgesetzt werden müsse.
Es werde daher beantragt, der Gemeindevorstand möge in Stattgebung dieser Berufung den bekämpften Bescheid beheben, ein ergänzendes Beweisverfahren durchführen und die beantragten Beweise aufnehmen und in Stattgebung des Antrages der beschwerdeführenden Partei die Kanalbenützungsgebühr um 80% reduzieren.
Mit Berufungsentscheidung vom 15.06.2021, GZ: ***, wies der Gemeindevorstand der Marktgemeinde *** diese Berufung vom 06.11.2020 als unbegründet ab.
Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Stellung der Abgabenschuldnerin aus dem rechtskräftigen Bescheid vom 02.04.2004 ergebe.
Zur beantragten Reduktion der Kanalbenützungsgebühr um 80% gemäß § 5b Abs. 1 NÖ Kanalgesetz 1977 sei festzuhalten, dass sich aus der Systematik der §§ 5, 5b NÖ Kanalgesetz 1977 ergebe, dass ein allfälliges offensichtliches Missverhältnis im Sinne der zweitgenannten Bestimmung bereits bei der Abgabenvorschreibung zu berücksichtigen sei. Diese biete somit keine rechtliche Grundlage dafür, unter unveränderten Umständen eine bereits rechtskräftig vorgeschriebene Kanalbenützungsgebühr herabzusetzen. Erst wenn eine relevante Änderung eintrete, sei gemäß § 14 Abs. 11 lit. c NÖ Kanalgesetz 1977 ein neuer Abgabenbescheid zu erlassen. Aus diesem Grund sei der Antrag der beschwerdeführenden Partei, soweit er auf die nachträgliche Reduzierung der rechtskräftig vorgeschriebenen Kanalbenützungsgebühr abziele, mit Spruchpunkt 1 des angefochtenen Bescheides zurecht zurückgewiesen worden.
Auch die Abweisung des Antrages auf Erlassung eines geänderten Abgabenbescheides entspreche der Rechtslage. Die Erlassung eines neuen Abgabenbescheides aufgrund einer Veränderungsanzeige käme lediglich dann in Betracht, wenn die Voraussetzungen für die Abgabenfestsetzung nicht mehr dieselben wären, wie im Zeitpunkt der Erlassung des Abgabenbescheides vom 02.04.2004. Das eine Veränderung hinsichtlich der Berechnungsfläche oder des Einheitssatzes eingetreten wäre, sei von der beschwerdeführenden Partei zu keinem Zeitpunkt behauptet worden. Sie vertrete aber die Ansicht, dass aufgrund des Rückganges der Anzahl der am Standort beschäftigten Mitarbeitern nun die Voraussetzungen für die Anwendung der Härtefallklausel gemäß § 5b NÖ Kanalgesetz 1977 erfüllt seien und das die Abgabe daher neu festzusetzen sei. Dies treffe nach Ansicht der Berufungsbehörde nicht zu. Im ursprünglichen Antrag sei lediglich ein Rückgang der Beschäftigtenzahl der Mieter um 7 Personen geltend gemacht worden. Dies entspreche ausgehend von 116 Beschäftigten zum Zeitpunkt der Antragstellung eine Reduktion um ca. 5,7%. Eine derartige Veränderung liege im Rahmen der am Betriebsstandort üblichen Schwankungen. Sie bewirke keinesfalls, dass von einem neuen Stand ein offensichtliches Missverhältnis gesprochen werden könne. Die in späteren Eingaben ins Treffen geführte weitere Reduktion rechtfertige nicht die Erlassung eines neuen Abgabenbescheides aufgrund einer Veränderung der maßgeblichen Umstände. Wie der Wortlaut des § 5b Abs. 2 NÖ Kanalgesetz 1977 verdeutliche, sei bei der Prüfung eines offensichtlichen Missverhältnisses auf die widmungsgemäße Verwendung eines Gebäudes abzustellen. Wenngleich diese Bestimmung Härtefälle nicht abschließend regle, sie besage lediglich, wann jedenfalls ein offensichtliches Missverhältnis bestehe, könne hier die generelle Wertung entnommen werden, dass ein Härtefall nur im Hinblick auf einen Dauerzustand gegeben sein könne, der als widmungsgemäße Verwendung einzustufen sei, nicht aber dann, wenn die Nutzung eines Gebäudes aufgrund besonderer Umstände – wie etwa infolge der COVID-19-Maßnahmen – vorübergehend zurückgehe. Bei der Anwendung der Härtefallklausel komme es auf den Kostenaufwand an, der tatsächlich für die Schmutzwasserentsorgung entstehe, wobei darunter neben den Kosten aus der Benützung der Kanalanlage auch jene zu verstehen seien, die daraus resultieren, dass die Benützungsmöglichkeit gegeben sei. Die Kanalbenützungsgebühr sei mit dem tatsächlich durch die Benützung des betreffenden Gebäudes entstehenden Kostenaufwand gegenüber zu stellen.
Grundvoraussetzung für die genaue Festsetzung der Kanalbenützungsgebühr wäre bei sonst unveränderten Grundlagen die Feststellung eines Kostenaufwandes der zum Zeitpunkt der Erlassung eines Abgabenbescheides vom 02.04.2004 dauernd erheblich abweiche. Dies wäre etwa dann denkbar, wenn sich der Verwendungszweck des an den Schmutzwasserkanal angeschlossenen Gebäudes geändert hätte. Davon könne jedoch nach dem Vorbringen der beschwerdeführenden Partei keine Rede sein. Vielmehr mache sie lediglich geltend, dass die Nutzung des Gebäudes im Rahmen des bisherigen konsensgemäßen Verwendungszwecks vorübergehend für die Dauer der COVID-19-Maßnahmen weniger intensiv ausfalle. In diesem Sinne habe die beschwerdeführende Partei in ihrer Eingabe vom 02.04.2020 vorgebracht, dass die reduzierten EGWs von etwa 75% so lange gelten würden bis die Maßnahmen der Bundesregierung aufgehoben bzw. entsprechend gelockert werden.
1.3. Zum Beschwerdevorbringen:
Gegen diesen Berufungsbescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde *** vom 15.06.2021 richtet sich die durch die Rechtsvertretung der beschwerdeführenden Partei eingebrachte Beschwerde vom 30.06.2021.
Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass die beschwerdeführende Partei am 27.01.2020 eine Veränderungsanzeige im Sinne des § 13 NÖ Kanalgesetz eingebracht und unter Verweis auf § 5b NÖ Kanalgesetz 1977 die Herabsetzung der Kanalbenützungsgebühr um 80% beantragt habe. Ausgangspunkt für die Veränderungsanzeige sei eine Veränderung der Mitarbeiterzahl gewesen, die im vermieteten Bereich von 35 auf 28 Personen erfolgt sei, wobei die beschwerdeführende Partei selbst nur noch 75 Personen beschäftige und sohin insgesamt 116 Personen auf der Liegenschaft beschäftigt würden.
Für die Berechnung der auf der Liegenschaft anfallenden, äquivalenten Schmutzfracht für die Vollzeit-Beschäftigten seien jeweils 0,3 EW anzusetzen. Aus diesem Grund seien für 116 Personen 38,67 EGW abzuleiten. Aufgrund der gesamten Berechnungsfläche von 5.044,61 m² ergebe sich sohin, dass bei gegenständlichen Objekt auf 1 EGW 130,45 m² Berechnungsfläche entfallen. Dieses Verhältnis sei im Sinne des § 5b NÖ Kanalgesetz 1977 den sonst in der Gemeinde zu entrichteten Kanalbenützungsgebühren gegenüber zu stellen, was die beschwerdeführende Partei bereits in ihrem Antrag vorgenommen habe. In der Marktgemeinde *** entspreche 1 EGW 68,36 m² Berechnungsfläche.
Die belangte Behörde vermeine nunmehr, dass ein allfälliges offensichtliches Missverhältnis bereits bei Abgabenvorschreibung zu berücksichtigen sei und ein derartiges Missverhältnis keine rechtliche Grundlage dafür biete, bei unveränderten Umständen eine bereits rechtskräftig vorgeschriebene Kanalbenützungsgebühr herabzusetzen. Erst wenn eine relevante Änderung eintrete, sei ein neuer Abgabenbescheid zu erlassen. Ein neuer Abgabenbescheid sei jedoch aufgrund einer Veränderungsanzeige nur zu erlassen, wenn die Voraussetzungen für die Abgabenfestsetzung nicht mehr dieselben wären, wie zum Zeitpunkt der Erlassung des Abgabenbescheides. Eine Veränderung hinsichtlich der Berechnungsfläche oder des Einheitssatzes sei nicht behauptet worden, der Rückgang der Anzahl der am Standort beschäftigten Mitarbeiter sei keine Voraussetzung für die Anwendung der Härtefallklausel. Die belangte Behörde vermeine, dass Grundvoraussetzung für die Neufestsetzung der Kanalbenützungsgebühr die Feststellung eines Kostenaufwandes sei, der vom Zeitpunkt der Erlassung des Abgabenbescheides vom 02.04.2004 dauernd erheblich abweiche. Dies sei nur denkbar, wenn sich zum Beispiel der Verwendungszweck des Gebäudes geändert hätte.
Diese Rechtsansicht widerspreche der ständigen Rechtsprechung des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich. Dies habe zu LVwG-AV-699/001-2019, 700/001-2019 bereits entschieden, dass eine Änderung im Sinne des § 13 NÖ Kanalgesetz 1977, wie zum Beispiel Änderung der Zahl der Bewohner oder Arbeitnehmer, zu einer Neubemessung der Kanalbenützungsgebühr unter Anwendung des § 5b NÖ Kanalgesetz 1977 führen könne. Ob und wie lange diese Veränderungen anhalten müssen, sei gesetzlich nicht geregelt. Es sei bekannt, dass pandemiebedingte Änderungen bereits über ein Jahr anhalten und das damit eine wesentliche Änderung im Sinne des § 13 NÖ Kanalgesetz gegeben sei. Darüber hinaus betreffe die Verminderung der Zahl der Beschäftigten bei den Mietern, die nicht pandemiebedingt erfolgt sei, ebenfalls den Umfang der Abwasserlast, sodass diese bereits Grundlage für die Neufestsetzung der Kanalgebühren sei. Der Umstand, dass die Härtefallklausel gemäß § 5b NÖ Kanalgesetz im ursprünglichen Bescheid der Gemeinde rechtswidriger Weise nicht beachtet worden sei, könne nicht ausschlaggebend dafür sein, dass dieses Versäumnis der Behörde einer Neufestsetzung der Kanalgebühren bei geänderten Verhältnissen entgegenstehe.
Es werde beantragt, in Stattgebung dieser Beschwerde die bekämpfte Berufungsentscheidung dahingehend abzuändern, dass dem Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Herabsetzung der festgesetzten Kanalgebühren um 80% ab dem der Antragstellung folgenden Monatsersten, sohin dem 01.02.2020, stattgegeben werde.
1.4. Zum durchgeführten Ermittlungsverfahren:
Die Gemeinde legte dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit Schreiben vom 19.07.2021 den bezughabenden Abgabenakt vor und nahm das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich Einsicht in diesen.
1.5. Beweiswürdigung:
Der Sachverhalt ergibt sich aus dem belangten Behörde vorgelegten Abgabenakt.
2. Rechtslage:
2.1. Bundesabgabenordnung (BAO):
§ 1
(1) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten in Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben (mit Ausnahme der Verwaltungsabgaben des Bundes, der Länder und der Gemeinden) sowie der auf Grund unmittelbar wirksamer Rechtsvorschriften der Europäischen Union zu erhebenden öffentlichen Abgaben, in Angelegenheiten der Eingangs- und Ausgangsabgaben jedoch nur insoweit, als in den zollrechtlichen Vorschriften nicht anderes bestimmt ist, soweit diese Abgaben durch Abgabenbehörden des Bundes, der Länder oder der Gemeinden zu erheben sind.
§ 2a
Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten sinngemäß in Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, soweit sie im Verfahren vor der belangten Abgabenbehörde gelten. In solchen Verfahren ist das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) nicht anzuwenden.
§ 4
(1) Der Abgabenanspruch entsteht, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Abgabepflicht knüpft.
§ 115
(1) Die Abgabenbehörden haben die abgabepflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln die für die Abgabepflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich sind.
[…]
§ 278
(1) Ist die Bescheidbeschwerde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtes
a) weder als unzulässig oder nicht rechtzeitig eingebracht zurückzuweisen (§ 260) noch
b) als zurückgenommen (§ 85 Abs. 2, § 86a Abs. 1) oder als gegenstandlos (§ 256 Abs. 3, § 261) zu erklären,
so kann das Verwaltungsgericht mit Beschluss die Beschwerde durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Beschwerdevorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erledigen, wenn Ermittlungen (§ 115 Abs. 1) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können. Eine solche Aufhebung ist unzulässig, wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(2) Durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung dieses Bescheides befunden hat.
[…]
2.2. NÖ Kanalgesetz 1977:
§ 1
(1) Die Gemeinden werden gemäß § 8 Abs. 5 Finanzverfassungsgesetz 1948, BGBl. Nr. 45, ermächtigt, Kanalerrichtungsabgaben (Kanaleinmündungs-, Kanalergänzungs-, Kanalsonderabgabe) und Kanalbenützungsgebühren nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen zu erheben.
(2) Für die Erhebung der Kanalbenützungsgebühren aufgrund bundesgesetzlicher Ermächtigung (Finanzausgleichsgesetz) gelten die Bestimmungen des NÖ Kanalgesetzes 1977.
(3) Die Kanalerrichtungsabgaben und Kanalbenützungsgebühren sind in einer Kanalabgabenordnung (§ 6) näher auszuführen.
(4) Für verschiedene Kanalanlagen mit jeweils getrennten Entsorgungsbereichen in einer Gemeinde sind die Kanalerrichtungsabgaben und Kanalbenützungsgebühren verschieden hoch festzusetzen, wenn sich dies aufgrund eines unterschiedlichen Kostendeckungserfordernisses ergibt.
(5) Die Kanalerrichtungsabgaben und die Kanalbenützungsgebühren sind zweckgebundene Einnahmen, die ausschließlich für die Errichtung, für die Erhaltung und den Betrieb der Kanalanlage verwendet werden dürfen. Dies gilt nicht für die den einfachen Jahresaufwand übersteigenden Einnahmen aus den Kanalbenützungsgebühren.
§ 1a
Im Sinne dieses Gesetzes gelten als:
1. bebaute Fläche: Die bebaute Fläche ist diejenige Grundrissfläche, die von der lot-rechten Projektion oberirdischer baulicher Anlagen begrenzt wird. Unberücksichtigt bleiben: bauliche Anlagen, welche die Geländeoberfläche nicht oder nicht wesentlich überragen, nicht konstruktiv bedingte Außenwandvorsprünge, untergeordnete Bauteile.
2. Berechnungseinwohnergleichwerte: 50 v.H. der Summe des EGW-Spitzenwertes und EGW-Durchschnittswertes;
3. Einwohnergleichwerte (EGW): Maßzahl die die Verschmutzung betrieblicher Abwässer in Beziehung zur Verschmutzung häuslicher Abwässer ausdrückt;
4. EGW-Durchschnittswert: Jahressumme der eingebrachten Schmutzfrachten in EGW dividiert durch 365;
5. EGW-Spitzenwert: die höchste an einem Tag eingebrachte Schmutzfracht;
6. Geschossfläche: die sich aus den äußersten Begrenzungen jedes Geschosses ergebende Fläche;
[…]
10. spezifischer Jahresaufwand: Jahresaufwand für die Kläranlage sowie für jene Sammelkanäle, welche zur Ableitung der Abwässer von den Ortsnetzen zur Kläranlage dienen, dividiert durch die EGW, welche der Dimensionierung der Kläranlage zugrundegelegt wurden;
§ 5
(1) Für die Möglichkeit der Benützung der öffentlichen Kanalanlage ist eine jährliche Kanalbenützungsgebühr zu entrichten, wenn der Gemeinderat die Einhebung einer solchen Gebühr beschlossen hat.
(2) Die Kanalbenützungsgebühr errechnet sich aus dem Produkt der Berechnungsfläche und dem Einheitssatz zuzüglich eines schmutzfrachtbezogenen Gebührenanteiles. Dieser wird nur dann berücksichtigt, wenn die eingebrachte Schmutzfracht den Grenzwert von 100 Berechnungs-EGW überschreitet. Werden von einer Liegenschaft in das Kanalsystem Schmutzwässer und Niederschlagswässer eingeleitet, so gelangt in diesem Fall ein um 10 % erhöhter Einheitssatz zur Anwendung.
(3) Die Berechnungsfläche ergibt sich aus der Summe aller an die Kanalanlage angeschlossenen Geschoßflächen. Die Geschoßfläche angeschlossener Kellergeschoße und nicht angeschlossener Gebäudeteile wird nicht berücksichtigt. Angeschlossene Kellergeschoße werden jedoch dann berücksichtigt, wenn eine gewerbliche Nutzung vorliegt, ausgenommen Lagerräume, die mit einem Unternehmen im selben Gebäude in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Wird die Liegenschaft trotz bestehender Anschlußverpflichtung nicht an die Kanalanlage angeschlossen, so ist die Berechnungsfläche so zu ermitteln, als ob die Liegenschaft an die Kanalanlage angeschlossen wäre.
§ 5a
(1) Der Einheitssatz ist vom Gemeinderat in der Kanalabgabenordnung festzusetzen.
(2) Der Einheitssatz darf den auf einen Quadratmeter der Berechnungsfläche aller angeschlossenen Geschoßflächen entfallenden doppelten Jahresaufwand von dem der voraussichtliche Ertrag des schmutzfrachtbezogenen Gebührenanteiles abzuziehen ist, nicht übersteigen.
(3) Der Einheitssatz für ein Kanalsystem in das ausschließlich Niederschlagswässer eingeleitet werden dürfen, darf den auf einen Quadratmeter der Berechnungsfläche aller an dieses Kanalsystem angeschlossene Liegenschaften entfallenden doppelten Jahresaufwand nicht übersteigen.
§ 5b
(1) Ergibt sich bei der Berechnung der Kanalbenützungsgebühr ein offensichtliches Mißverhältnis, zwischen der berechneten Höhe und dem verursachten Kostenaufwand, so ist die Kanalbenützungsgebühr entsprechend der tatsächlichen Inanspruchnahme, unter Berücksichtigung der sonst in der Gemeinde zu entrichtenden Kanalbenützungsgebühren höchstens jedoch um 80 % zu vermindern.
(2) Ein offensichtliches Mißverhältnis im Sinne des Abs. 1 liegt jedenfalls vor, wenn die Schmutzfracht pro 300 m² Berechnungsfläche bei widmungsgemäßer Verwendung geringer als ein EGW ist.
(3) Eine Verminderung der Kanalbenützungsgebühr kommt nur dann in Betracht, wenn die Berechnungsfläche mehr als 700 m² beträgt.
§ 6
(1) In jeder Gemeinde, in der eine öffentliche Kanalanlage vorhanden ist, ist gleichzeitig mit dem Beschluß über die Einhebung von Kanalerrichtungsabgaben und Kanalbenützungsgebühren eine Kanalabgabenordnung zu beschließen.
(2) Die Kanalabgabenordnung hat nach Maßgabe des Einhebungsbeschlusses (§ 1) zu enthalten:
a) die Höhe des Einheitssatzes für die Berechnung der Kanaleinmündungsabgabe und der Ergänzungsabgabe und die der Berechnung des Einheitssatzes zugrunde gelegten Baukosten sowie die Gesamtlänge des Kanalnetzes, erforderlichenfalls getrennt für Schmutz-(Misch-)wasserkanäle und Regenwasserkanäle (§ 3 Abs. 3);
b) die Höhe der Einheitssätze für die Berechnung der Kanalbenützungsgebühr;
c) die Zahlungstermine für die Kanalbenützungsgebühren, soferne eine andere als die in diesem Gesetz subsidiär vorgesehene Regelung (§ 12 Abs. 2) festgelegt wird und die näheren Bestimmungen wie die Kanalbenützungsgebühren zu entrichten sind;
d) die näheren Bestimmungen über die Erhebung der für die Abgabenbemessung maßgeblichen Umstände.
§ 9
Die Kanalerrichtungsabgabe und Kanalbenützungsgebühr sind unabhängig von der tatsächlichen Benützung der öffentlichen Kanalanlage von jedem Liegenschaftseigentümer zu entrichten, für dessen Liegenschaft die Verpflichtung zum Anschluß besteht oder der Anschluß bewilligt wurde. […]
§ 12
[…]
(3) Die Abgabenschuld für die Kanalbenützungsgebühr und die Fäkalienabfuhrgebühr entsteht mit dem Monatsersten des Monats, in dem erstmalig die Benützung des Kanals möglich ist oder die Abfuhr der Fäkalien erfolgt. Wird eine Liegenschaft trotz bestehender Anschlußverpflichtung nicht an die Kanalanlage angeschlossen, so entsteht die Kanalbenützungsgebühr mit dem Monatsersten des Monats in dem der Anschluß an den Kanal möglich ist. Diese Gebühren sind, soferne der Gemeinderat in der Kanalabgabenordnung nichts anderes bestimmt, im vorhinein in vierteljährlichen Teilzahlungen, und zwar jeweils bis zum 15. Jänner, 15. April, 15. Juli und 15. Oktober, zu entrichten.
§ 14
(1) Den Abgabepflichtigen ist die Abgabenschuld mit Abgabenbescheid vorzuschreiben. Durch je einen besonderen Abgabenbescheid sind vorzuschreiben:
a) die Kanaleinmündungsabgaben, Ergänzungsabgaben und Sonderabgaben (§§ 2 und 4);
b) die Kanalbenützungsgebühren und die Fäkalienabfuhrgebühren (§§ 5 und 8);
c) Änderungen der im Abgabenbescheid nach lit.b festgesetzten Gebühren;
[…]
(2) Der Abgabenbescheid hat zu enthalten:
a) die Bezeichnung als Abgabenbescheid;
b) den Grund der Ausstellung;
c) bei der Fäkalienabfuhr die Zahl der jährlichen Einsammlungen;
d) die Bemessungsgrundlage und die Höhe der Abgabe;
e) den Fälligkeitstermin, im Falle des Abs. 1 lit.b und c die Fälligkeitstermine und die Höhe der jeweiligen Teilbeträge;
f) die Rechtsmittelbelehrung und
g) den Tag der Ausfertigung.
(3) Die in der Abgabenentscheidung festgesetzte Kanalbenützungsgebühr oder Fäkalienabfuhrgebühr ist so lange zu entrichten, solange nicht ein neuer Abgabenbescheid ergeht.
(4) Der Abgabenbescheid nach Abs. 1 lit. c ist insbesondere auf Grund einer im § 13 Abs. 1 genannten Veränderung, ferner bei Änderung der Einheitssätze, bei der Fäkalienabfuhr auch bei Änderung des Einsammlungsplanes zu erlassen.
2.3. Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG:
§ 25a
(1) Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
(2) Eine Revision ist nicht zulässig gegen:
1. Beschlüsse gemäß § 30a Abs. 1, 3, 8 und 9;
2. Beschlüsse gemäß § 30b Abs. 3;
3. Beschlüsse gemäß § 61 Abs. 2.
(3) Gegen verfahrensleitende Beschlüsse ist eine abgesonderte Revision nicht zulässig. Sie können erst in der Revision gegen das die Rechtssache erledigende Erkenntnis angefochten werden.
[…]
(5) Die Revision ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.
3. Erwägungen:
3.1.
Die Vorschreibung einer Abgabe setzt ganz allgemein die Verwirklichung eines Abgabentatbestandes voraus. Die Erfüllung des abgabenrechtlichen Tatbestandes ist Voraussetzung für die Vorschreibung einer Abgabe (vgl. VwGH 82/17/0085).
Gemäß § 4 Abs. 1 Bundesabgabenordnung entsteht der Abgabenanspruch, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Abgabepflicht knüpft.
Unter dem Tatbestand, an dessen Verwirklichung § 4 Bundesabgabenordnung das Entstehen der Abgabenschuld knüpft, ist die Gesamtheit der in den materiellen Rechtsnormen enthaltenen abstrakten Voraussetzungen zu verstehen, bei deren konkretem Vorliegen (Tatbestandsverwirklichung) bestimmte Rechtsfolgen (Abgabenschuld und Abgabenanspruch) eintreten sollen.
Der Abgabenbescheid ist dann lediglich feststellender Natur. Er bringt den Abgabenanspruch nicht zum Entstehen, sondern stellt den aus dem Gesetz erwachsenden Anspruch lediglich fest (vgl. VwGH 94/17/0419).
3.2.
Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 02.04.2004, EDV-Nr. ***, wurde für die Liegenschaft *** in *** bei einer Berechnungsfläche von 5.044,61 m² und einem Einheitssatz von € 2,25 eine jährliche Kanalbenützungsgebühr für die Benützung des öffentlichen Schmutzwasserkanals in Höhe von € 11.350,37 festgesetzt. Dieser Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen und entfaltet damit Bindungswirkungen sowohl für die Abgabenbehörde als auch für die Beschwerdeführerin.
Die Rechtskraft bewirkt bei unverändertem Sachverhalt (und unveränderter Rechtslage) das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache bis zu einer Änderung der Bemessungsgrundlagen.
Maßgebliche Wirkungen eines rechtskräftigen Bescheides sind dessen Unwiederholbarkeit und dessen Unabänderbarkeit. Parteien und Behörden haben den Bescheidinhalt als maßgeblich zu betrachten („res iudicata ius facit inter partes“).
Die Unwiederholbarkeitswirkung verbietet, dass über die mit dem Bescheid rechtskräftig erledigte Sache neuerlich entschieden wird (VwGH 2006/12/0066).
Einer neuerlichen Festsetzung der jährlichen Kanalbenützungsgebühr für dieselbe Liegenschaft stünde demnach bei Gleichbleiben der Verhältnisse das Rechtshindernis der entschiedenen Sache entgegen.
Die beschwerdeführende Partei bringt vor, dass sich die Zahl der der auf der Liegenschaft tätigen Arbeitnemerinnen und Arbeitnehmer reduziert habe. Es sei daher eine Änderung eingetreten, die eine Neufestsetzung der gegenständlichen Abgabe entsprechend den aktuellen Gegebenheiten rechtfertige und erfordere.
3.3.
Bei der Kanalbenützungsgebühr iSd § 5 NÖ Kanalgesetz 1977 handelt es sich um eine Gebühr für die Benützung von Gemeindeeinrichtungen und Gemeindeanlagen. Gebührentatbestand ist die Möglichkeit zur Benützung der öffentlichen Kanalanlagen. Dafür ist vom Liegenschaftseigentümer eine flächenbezogen berechnete Gebühr zu entrichten. Werden jedoch von einer Liegenschaft entweder besonders geringe Mengen an Abwässern (bei großem Flächenausmaß) oder besonders stark verschmutzte Abwässer eingeleitet, so ist die Gebühr entsprechend der tatsächlichen Inanspruchnahme des Kanals zu vermindern (Härteklausel, vgl. § 5b NÖ Kanalgesetz 1977) oder zu erhöhen (um einen schmutzfrachtbezogenen Anteil, vgl. § 5 Abs. 2 iVm § 5 Abs. 4 leg.cit.). Ziel der Regelung ist es, auch in jenen Fällen, in denen große Flächen zur Berechnung herangezogen werden, jedoch nur eine relativ geringe Inanspruchnahme erfolgt, jene Gebührenbelastung herbeizuführen, die üblicherweise in der Gemeinde vorliegt (vgl. VwGH 97/17/0460).
Gemäß § 14 Abs. 4 NÖ Kanalgesetz 1977 ist ein Abgabenbescheid über eine Änderung der Kanalbenützungsgebühren auf Grund einer Veränderung der Berechnungsflächen, ferner bei Änderung der Einheitssätze zu erlassen.
Aus § 14 Abs. 4 NÖ Kanalgesetz 1977 folgt, dass es der Abgabenbehörde verwehrt ist, ohne Änderung der dem zuletzt erlassenen, rechtskräftigen Bescheid (Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 02.04.2004, EDV-Nr. ***) zugrunde gelegten Verhältnissen neue Abgabenbescheide zu erlassen.
Gemäß § 13 NÖ Kanalgesetz 1977 hat der Abgabepflichtige, wenn nach Zustellung der Abgabenentscheidung derartige Veränderungen eintreten, dass die der seinerzeitigen Festsetzung der Kanalbenützungsgebühr zugrunde gelegten Voraussetzungen nicht mehr zutreffen, diese Veränderungen binnen zwei Wochen nach dem Eintritt der Veränderung bzw. nach dem Bekanntwerden derselben dem Bürgermeister schriftlich anzuzeigen (Veränderungsanzeige).
Bei Liegenschaften, die – wie im gegenständlichen Fall – eine Berechnungsfläche vom mehr als 700 m² aufweisen, ist (von Amts wegen) § 5b NÖ Kanalgesetz 1977 zu berücksichtigen. Da in so einem Fall nicht die Fläche, sondern die konkrete Nutzung maßgeblich ist, kann auch im Sinne des § 13 NÖ Kanalgesetz 1977 eine Änderung der Zahl der Arbeitnehmer zu einer Neubemessung der Kanalbenützungsgebühr führen.
Auf der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft gab es im Frühjahr 2020 Veränderungen in der Zahl der dort tätigen Unternehmen und damit auch der Zahl der Arbeitnehmer. Dies ergibt sich aus den im Akt befindlichen Schreiben, mit denen die Mietverträge für Büroräumlichkeiten gekündigt wurden sowie aus den von der beschwerdeführenden Partei vorgebrachten pandemiebedingten Maßnahmen (Kurzarbeit, Homeoffice), die sich auf das Ausmaß der Anwesenheit der Arbeitnehmer ausgewirkt haben.
Auf der gegenständlichen Liegenschaft hat es daher Änderungen gegeben, die sich auf das Ausmaß der Inanspruchnahme der Kanalanlage auswirken können und steht einer neuen Festsetzung nicht das Hindernis der entschiedenen Sache entgegen.
3.4.
Den Erläuterungen zur Novelle LGBl. 8230-2 zufolge lag dem als Vermeidung von Härtefällen bezeichneten § 5b NÖ Kanalgesetz 1977 die Überlegung des Gesetzgebers zugrunde, dass die im NÖ Kanalgesetz 1977 etablierte flächenbezogene Berechnungsmethode zu Härten führt, wenn ein flächenmäßig sehr großes Gebäude in Relation zur Fläche eine verhältnismäßig geringe Abwassermenge verursacht. Mit der Regelung zur Vermeidung von Härtefällen wollte der Gesetzgeber für diese Fälle ein Korrektiv zur Vermeidung von Härtefällen außerhalb eines Nachsichtsverfahrens (nach der BAO) schaffen (vgl. Ltg.-162/A-1/21-1985, 5). Zweck dieser Regelungen ist es demnach, eine verursachergerechte Berechnung der Kanalbenützungsgebühr zu ermöglichen, um dadurch allfällige Unsachlichkeiten, die sich aus der schematischen Anwendung der flächenbezogenen Gebührenberechnung ergeben könnten, hintanzuhalten. Dabei kommt es auf den tatsächlich für die Schmutzwasserentsorgung entstehenden Kostenaufwand an (vgl. VwGH 94/17/0373). Unter dem verursachten Kostenaufwand sind neben den Kosten aus der Benützung der Kanalanlage auch jene zu verstehen, die daraus resultieren, dass die Benützungsmöglichkeit gegeben ist. Auch durch die Benützungsmöglichkeit erwachsen beträchtliche Kosten, die umzulegen und zu entrichten sind. Als Maßstab für das Vorliegen eines Missverhältnisses und für das Ausmaß der Gebührenreduktion sind daher die tatsächliche Inanspruchnahme der Kanalanlage (Berechnungsfläche pro Einwohnergleichwert) und die durchschnittliche Inanspruchnahme in der Gemeinde (die durchschnittlich auf einen Einwohnergleichwert entfallende Berechnungsfläche) heranzuziehen. Was als offensichtliches Missverhältnis anzusehen ist, wird im Gesetz nicht abschließend geregelt, jedenfalls liegt ein offensichtliches Missverhältnis aber vor, wenn die Schmutzfracht pro 300 m² Berechnungsfläche bei widmungsgemäßer Verwendung der Gebäudes geringer als ein Einwohnergleichwert ist. Für das Vorliegen eines Missverhältnisses ist daher die Inanspruchnahme des Kanals maßgeblich.
Liegt ein offensichtliches Missverhältnis im Sinne des § 5b NÖ Kanalgesetz 1977 vor, dann besteht für den Liegenschaftseigentümer (als Abgabepflichtigen gemäß § 9 NÖ Kanalgesetz 1977) ein Rechtsanspruch auf eine entsprechende Verminderung der Kanalbenützungsgebühr schon bei der Vorschreibung.
Sofern auf einer Liegenschaft die Berechnungsfläche mehr als 700 m² beträgt, hat die Abgabenbehörde das Vorliegen eines offensichtlichen Missverhältnisses im Sinne des § 5b NÖ Kanalgesetz 1977 von Amts wegen zu prüfen. Gegenüberzustellen sind nach dieser Bestimmung die aus dem Produkt von Berechnungsfläche und Einheitssatz ermittelte Kanalbenützungsgebühr einerseits mit dem tatsächlich durch die Benützung des betreffenden Gebäudes entstehenden Kostenaufwand andererseits (vgl. VwGH 94/17/0373).
3.5.
Ob im konkreten Fall ein Härtefall im Sinne des § 5b NÖ Kanalgesetz 1977 vorliegt bzw. in welchem Ausmaß die Kanalbenützungsgebühr zu mindern wäre, kann vom Verwaltungsgericht nicht beurteilt werden. Da jedoch auf Grund des Ausmaßes der von den Abgabenbehörden ermittelten Berechnungsfläche von 5.044,61 m² im konkreten Fall eine Anwendbarkeit des § 5b NÖ Kanalgesetz 1977 nicht von vornherein auszuschließen ist, erweist sich das durchgeführte Ermittlungsverfahren der Abgabenbehörden der Gemeinde als mangelhaft, da im angefochtenen Bescheid keine Feststellungen zu der Frage, ob ein Härtefall vorliegt, vorhanden sind. Dazu wurde nur ansatzweise ermittelt, da die Abgabenbehörde davon ausging, dass keine wesentliche Änderung vorlag. Eine Änderung liegt aufgrund der aufgelösten Mietverträge, der reduzierten Beschäftigtenzahl und den Covid-Maßnahmen (Homeoffice, Kurzarbeit) jedoch vor. Ob diese eine Ausmaß erreichen, das zu einer Reduktion der gegenständlichen Abgabe zu führen hat, ist gesondert zu beurteilen und erfordert entsprechende Ermittlungen und Feststellungen.
Es wäre gemäß § 115 Abs. 1 BAO Aufgabe der Abgabenbehörden der mitbeteiligten Gemeinde gewesen, durch entsprechende Ermittlungen von Amts wegen festzustellen, ob ein offensichtliches Missverhältnis im Sinne des § 5b NÖ Kanalgesetz 1977 gegeben ist bzw. in welchem Ausmaß die Kanalbenützungsgebühr zu mindern wäre. Der in § 115 Abs. 1 BAO verankerte Amtswegigkeits- und Untersuchungsgrundsatz („Die Abgabenbehörden haben die abgabepflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln …“) legt den Abgabenbehörden die Verpflichtung zur Ermittlung des entscheidenden tatsächlichen Sachverhaltes auf (vgl. VwGH 83/14/0183 mwN, VwGH 2014/17/0003).
Die Rechtsnatur des § 5b NÖ Kanalgesetz 1977 begründet keine erhöhte Mitwirkungspflicht des Abgabepflichtigen, wie dies etwa bei antragsbedürftigen begünstigenden Verwaltungsakten (wie der Gewährung von Nachsicht oder Stundung oder im Haftungsverfahren) der Fall wäre. Im gegenständlichen Fall wurde eine Reduktion der Zahl der auf der Liegenschaft tätigen Arbeitnehmer gemeldet und auch Änderungen in der Anwesenheit der beschäftigten Arbeitnehmer (Homeoffice, Kurzarbeit) vorgebracht. Ein Abgabenpflichtiger hat einen Rechtsanspruch auf Verminderung der Kanalbenützungsgebühr, wenn die in § 5b Abs. 1 und 2 NÖ Kanalgesetz 1977 genannten Voraussetzungen zutreffen, ein darauf gerichteter Antrag ist nicht erforderlich (vgl. VwGH 94/17/0373).
§ 5b Abs. 1 und 2 NÖ Kanalgesetz 1977 zufolge sind der Gebührenanteil für die Schmutzwasserentsorgung dem tatsächlich aufgrund der Benutzung der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft für die Schmutzwasserentsorgung entstehenden Kostenaufwand gegenüberzustellen. Für die Gegenüberstellung sind grundsätzlich die jeweiligen Jahreswerte der genannten Ansätze maßgebend. Die Verminderung der Kanalbenützungsgebühr ist nur geboten, wenn die vorstehend angeführte Gegenüberstellung ein offensichtliches Missverhältnis offenbart. Das Missverhältnis muss zwischen dem Gebührenanteil für die Schmutzwasserentsorgung und den tatsächlich für die Schmutzwasserentsorgung entstehenden Kosten entstehen (vgl. VwGH 97/17/0460). Ein offensichtliches Missverhältnis iSd § 5b Abs. 1 NÖ Kanalgesetz 1977 liegt nach § 5b Abs. 2 NÖ Kanalgesetz 1977 jedenfalls dann vor, wenn die Schmutzfracht pro 300 m² Schmutzwasserberechnungsfläche bei widmungsgemäßer Verwendung geringer als ein Einwohnergleichwert ist. Was als offensichtliches Missverhältnis anzusehen ist, ist damit aber nicht abschließend geregelt. Nach der Rechtsprechung kann ein offensichtliches Missverhältnis vielmehr auch in anderen Fällen vorliegen.
Im angefochtenen Bescheid fehlen Feststellungen zu der Frage, ob ein Härtefall im Sinn des § 5b Abs. 1 NÖ Kanalgesetz 1977 vorliegt. Als Maßstab für das Vorliegen eines Missverhältnisses und das allfällige Ausmaß einer Gebührenreduktion sind die tatsächliche Inanspruchnahme der Kanalanlage durch die konkrete Liegenschaft einerseits und die sonst in der Gemeinde zu entrichtenden Gebühren andererseits heranzuziehen. Abgesehen davon, dass die Ermittlung der auf einer Liegenschaft anfallenden Schmutzfracht wohl zumindest dann die Einholung eines Sachverständigengutachtens erfordert, wenn deren Ausmaß strittig ist, hätte die belangte Behörde (zufolge § 115 Abs. 1 BAO von Amts wegen) den tatsächlich für die Schmutzwasserentsorgung entstehenden Kostenaufwand feststellen und diesen Kostenaufwand dem Gebührenanteil für die Schmutzwasserentsorgung gegenüberstellen müssen. Da solche Feststellungen im angefochtenen Bescheid unterblieben sind, hat die belangte Behörde diesen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.
Die belangte Behörde wäre im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vielmehr verpflichtet gewesen, das Verhältnis zwischen den tatsächlich für die Schmutzwasserentsorgung entstehenden Kosten und dem Gebührenanteil für die Schmutzwasserentsorgung zu ermitteln. Gegenüberzustellen wäre die Kanalbenützungsgebühr je Einwohnergleichwert in Ansehung der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft einerseits, mit den im Gemeindegebiet durchschnittlich (für die Entsorgung einer der gleichen Zahl von Einwohnergleichwerten entsprechenden Schmutzfracht) entstehenden Kosten andererseits (vgl. VwGH 2000/17/0029). Da eine solche Gegenüberstellung nicht erfolgt ist, wurde der entscheidungswesentliche Sachverhalt unzureichend ermittelt. Eine Beurteilung der verfahrensgegenständlichen Rechtsfrage, ob und in welchem Ausmaß ein Härtefall gemäß § 5b Abs.1 NÖ Kanalgesetz 1977 vorliegt, kommt mangels ausreichender Klarheit über den Sachverhalt gar nicht erst in Betracht. Dementsprechend wäre auch das Ermittlungsverfahren noch zu ergänzen.
Wenngleich das Verwaltungsgericht nach Art. 130 Abs. 4 B-VG bzw. § 279 BAO grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden hat, gilt dies bei Ergänzungsbedürftigkeit des Ermittlungsverfahrens nicht schlechthin. Vielmehr besteht in derartigen Fällen aufgrund der genannten Bestimmungen in Zusammenschau mit § 278 Abs. 1 BAO eine Verpflichtung des Verwaltungsgerichtes zu einer solchen Ergänzung und einer darauffolgenden Sachentscheidung nur dann, wenn dies im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist, also das Verfahren insgesamt schneller oder kostengünstiger zu einem Abschluss gebracht werden kann. Davon kann jedenfalls dann nicht ausgegangen werden, wenn die belangte Behörde wesentliche Sachverhaltsermittlungen unterlassen hat, sodass in derartigen Fällen eine Verpflichtung des Verwaltungsgerichtes zur Sachentscheidung nicht besteht und es sich auf eine Aufhebung und Zurückverweisung der Sache zurückziehen kann (vgl. u.a. VwGH Ra 2015/16/0037und VwGH Ra 2015/15/0063). Die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 sieht in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinden ein grundsätzlich zweigliedriges Administrativverfahren mit nachgeordneter Kontrolle durch das Verwaltungsgericht und schließlich die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts vor, wobei es den Verwaltungsbehörden zukommt, den gesamten für die Entscheidung relevanten Sachverhalt zu ermitteln. Dieses System würde aber völlig unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster oder zweiter Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor das Verwaltungsgericht käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen auf Gemeindeebene damit zur bloßen Formsache würde (vgl. u.a. VwGH 2002/20/0315 sowie VwGH 2013/21/0118). Es ist nämlich nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichtes, erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt zu ermitteln, käme es doch beim Unterbleiben eines Ermittlungsverfahrens durch die Abgabenbehörde zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor das Verwaltungsgericht. Die Aufgabe des Verwaltungsgerichtes liegt nicht darin, die Verwaltung zu führen, es übt vielmehr gegenüber der Verwaltung eine Kontrollfunktion aus. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes und nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichtes, statt seine umfassende Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt – wenn auch nur in Teilaspekten – zu ermitteln und einer Beurteilung zu unterziehen (vgl. z.B. sinngemäß VwGH 2002/20/0315, zu § 66 Abs. 2 AVG; sowie UFS vom 22. Oktober 2008, Zl. RV/0496-G/08, zu § 289 Abs. 1 BAO).
Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH Ro 2014/03/0063, zu § 28 Abs. 3 VwGVG).
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass bei Durchführung dieser Ermittlungen ein anderslautender Bescheid zu erlassen wäre. Da die Abgabenbehörde keine für die Beurteilung einer maßgeblichen Rechtsfrage relevanten Feststellungen getroffen und damit die notwendigen Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat, sieht sich das Verwaltungsgericht veranlasst, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen.
Im Hinblick auf die Nähe zur Sache wird die Abgabenbehörde die erforderlichen Ermittlungsschritte und damit die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes im Sinne des Gesetzes zumindest mit der gleichen Raschheit und mit nicht höheren Kosten als das Verwaltungsgericht bewerkstelligen können. Hinzu tritt der Umstand, dass sowohl die Gemeindebehörden einschließlich ihrer Sachverständigen als auch die Beschwerdeführer – im Gegensatz zum Verwaltungsgericht – mit den örtlichen Gegebenheiten und der Sache vertraut und in der Regel ständig vor Ort sind. Demnach lassen sich die erforderlichen Ermittlungsschritte (wie z.B. ein gemeinsam mit dem Beschwerdeführer durchgeführter Ortsaugenschein unter Beiziehung eines Sachverständigen) durch die Gemeindebehörden nicht nur schneller, sondern auch kostengünstiger durchführen, als dies im verwaltungsgerichtlichen Verfahren der Fall wäre.
Somit war der Beschwerde Folge zu geben, der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
3.6. Zur Nichtdurchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung:
Diese Entscheidung konnte gemäß § 274 Abs.1 BAO unter Entfall der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung getroffen werden. Aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ist ersichtlich, dass eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt.
3.7. Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß
Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Im Hinblick auf die obigen Ausführungen und die angeführte Judikatur liegen jedoch keine Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.
Schlagworte
Finanzrecht; Kanalbenützungsgebühr; Härteklausel; Verfahrensrecht; Zurückverweisung; Ermittlungspflicht;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.AV.1236.001.2021Zuletzt aktualisiert am
31.01.2022