TE Bvwg Erkenntnis 2021/12/23 W124 2247645-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.12.2021
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Entscheidungsdatum

23.12.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55

Spruch


W124 2247645-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Felseisen als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , StA. Indien, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 10 Abs. 2, 57 AsylG 2005, §§ 9, 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG sowie §§ 46, 52 Abs. 1 Z 1 und Abs. 9, 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1, 55 Abs. 4 FPG als unbegründet abgewiesen, mit der Maßgabe, dass Spruchpunkt IV. zu lauten hat:

„Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wird gegen Sie ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.“

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1.       Mit Verständigung des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX , AZ XXXX wurde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) gemäß § 105 Abs. 2 FPG, § 37 Abs. 3 NAG und § 30 Abs. 5 BFA-VG mitgeteilt, dass gegen den Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) wegen §§ 28a Abs. 1 2. Fall, 28a Abs. 1 3. Fall, 28a Abs. 4 Z 3 SMG die Untersuchungshaft verhängt worden sei.

2.       Am selben Tag erging ein Festnahmeauftrag gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 BFA-VG des BFA, da sich der BF nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Er sei nach Entlassung aus der Untersuchungs- bzw. Strafhaft festzunehmen.

3.       Mit Verständigung vom Ergebnis einer Beweisaufnahme des BFA vom XXXX wurde der BF aufgefordert, binnen zehn Tagen Stellung zu seinen persönlichen Verhältnissen und seinem Aufenthalt im Bundesgebiet zu beziehen.

4.       Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX , AZ XXXX , wurde der BF wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach §§ 28a Abs. 1 2. und 3. Fall, Abs. 4 Z 3 SMG, § 15 StGB nach dem Strafsatz des § 28a Abs. 4 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Der BF habe im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich morphin- und codeinhaltige Mohnkapseln (beinhaltend zumindest 1% Morphin und 0,1% Codein), in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) mehrfach übersteigenden Menge durch Paketversand aus Österreich aus- und nach Italien eingeführt bzw. aus Österreich aus- und nach Italien einzuführen versucht.

5.       Mit Verständigung vom Strafantritt eines Fremden der Justizanstalt XXXX vom XXXX wurde dem BFA mitgeteilt, dass der BF in Strafhaft übernommen wurde. Als Termine für seine bedingte Entlassung seien der XXXX bzw. der XXXX errechnet worden. Mit Verständigung der voraussichtlichen Entlassung eines Fremden vom selben Tag wurde mitgeteilt, dass der BF voraussichtlich am XXXX aus der Strafhaft entlassen werde.

6.       Mit Schreiben vom XXXX wurde dem BFA mitgeteilt, dass der Vollzug der gegen den BF verhängten Freiheitsstrafe nach Strafvollzugsortsänderung nunmehr in der Justizanstalt Hirtenberg fortgesetzt werde.

7.       Am XXXX erfolgte ein Abschlussbericht der Landespolizeidirektion Niederösterreich, der BF habe gemeinsam mit einem anderen Beschuldigten einen Insassen der Justizanstalt Hirtenberg gefährlich gedroht, indem er zu diesem gesagt habe, es würde etwas passieren, da dieser ihnen das gemeinsame Mobiltelefon weggenommen und an einen Justizwachebeamten abgegeben habe.

8.       Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom XXXX wurde der BF dazu aufgefordert, binnen sieben Tagen zu seinen persönlichen Verhältnissen und zu seinem Aufenthalt im Bundesgebiet Stellung zu beziehen.

9.       Der BF gab im Rahmen dieses Parteiengehörs am XXXX eine Stellungnahme ab, in der er vorbrachte, er sei ledig, gesund und habe Verwandte in Indien sowie eine Schwester in Italien. Er habe einen bis zum XXXX gültigen italienischen Aufenthaltstitel gehabt und sei in Italien in der Landwirtschaft tätig gewesen. Der BF sei zu kriminellen Zwecken ins Bundesgebiet eingereist und besitze finanzielle Mittel in Höhe von EUR 700,-. Er sei in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen und verfüge im Bundesgebiet über keine sozialen Kontakte. In seinem Herkunftsstaat könne er keiner Beschäftigung nachgehen, weil er dort Probleme habe und wolle er nach Italien zurückkehren.

10.      Mit im Spruch angeführten Bescheid des BFA vom XXXX , Zahl XXXX wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG, wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Indien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Unter Spruchpunkt IV. wurde gegen den BF gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 4 FPG nicht gewährt (Spruchpunkt V.) und wurde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen den Bescheid gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt VI.).

Das BFA stellte im Wesentlichen fest, dass der BF, geboren am XXXX , indischer Staatsangehöriger sei und seine Identität feststehe, da er sich mit einem indischen Reisepass mit der Nummer XXXX ausgewiesen habe. Sein italienischer Aufenthaltstitel mit der Nummer XXXX sei bis zum XXXX gültig gewesen. Der BF habe keine Beschäftigung, verfüge über kein Einkommen und sei gesund sowie im arbeitsfähigen Alter. Er sei ledig, habe keine Sorgepflichten und weder familiäre noch soziale Bindungen zu Österreich. Sein Lebensmittelpunkt befinde sich nicht im Bundesgebiet und habe keine Integrationsbereitschaft festgestellt werden können.

Der BF sei zu einem unbekannten Zeitpunkt nach Österreich eingereist und sei, abgesehen von den Zeiten, in denen er sich im Strafvollzug befunden habe, nicht im Bundesgebiet gemeldet gewesen. Er sei weder einer legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen, noch verfüge er über einen österreichischen Aufenthaltstitel. Er habe weder ein Einkommen noch finanzielle Mittel, weshalb er sich nicht selbst erhalten könne. Der Aufenthalt des BF im Bundesgebiet sei durch seine strafgerichtliche Verurteilung illegal geworden.

Da ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG nicht zu erteilen gewesen sei, sei die Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung nach § 10 Abs. 2 AsylG zu verbinden. Der BF sei ledig, habe keine Sorgepflichten und im Bundesgebiet keine Verwandten, weshalb eine Rückkehrentscheidung keinen unzulässigen Eingriff in sein Familienleben iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK darstelle. Es habe auch nicht festgestellt werden können, dass er im Bundesgebiet über soziale oder berufliche Bindungen verfüge oder nachhaltige Integrationsschritte gesetzt habe. Der BF besitze einen italienischen Aufenthaltstitel, der bereits am XXXX abgelaufen sei und lebe seine Schwester in Italien, nach Österreich sei er jedoch ausschließlich aus kriminellen Zwecken eingereist. Trotz der am XXXX ergangenen schriftlichen Aufforderung, Stellung zum Ergebnis einer Beweisaufnahme zu beziehen, habe der BF keine Stellungnahme abgegeben und sei daher von einer fehlenden Bereitschaft an der Mitwirkung am Verfahren auszugehen. Aufgrund des erst vor kurzem gesetzten strafrechtlichen Fehlverhaltens des BF könne ihm eine positive Zukunftsprognose nicht attestiert werden, und müsse von einer aktuellen, gegenwärtigen Gefahr gesprochen werden. Aufgrund dieser Interessensabwägung sei die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG zulässig. Da mit einer Abschiebung des BF nach Indien keine Verletzung der Art. 2 oder 3 EMRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe oder für den BF als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre, sei auch diese zulässig.

Es sei ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot zu erlassen gewesen, weil der BF mit den von ihm gesetzten Straftaten seinen Unwillen gezeigt habe, sich an österreichische Gesetze zu halten und gehe von ihm eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit aus. Die Befristung von zehn Jahren sei angesichts seiner Verurteilung in Zusammenschau mit seiner nicht vorhandenen Bindung an Österreich verhältnismäßig und zwingend geboten. Aufgrund des vom BF gesetzten Fehlverhaltens und der Tatsache, dass ein Rückfall aufgrund seiner finanziellen Situation nicht ausgeschlossen werden könne, sei seine sofortige Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit iSd § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG erforderlich. Demnach sei gemäß § 55 Abs. 4 FPG auch keine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren gewesen.

11.      Gegen diesen am XXXX zugestellten Bescheid erhob der BF im Wege seiner Vertretung am XXXX vollinhaltlich Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der BF führte in seiner Beschwerdeschrift im Wesentlichen aus, er sei im XXXX aus Italien in das österreichische Bundesgebiet eingereist und sei vom Landesgericht für Strafsachen XXXX mit Urteil vom XXXX zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Das BFA habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt, weil keine Einvernahme des BF stattgefunden habe, obwohl dies zur Verschaffung eines persönlichen Eindrucks unumgänglich gewesen wäre. Hätte das BFA ein ordnungsgemäßes und umfassendes Ermittlungsverfahren geführt, wäre es zu dem Schluss gelangt, dass vom BF keine gegenwärtige Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgehe und sowohl die Rückkehrentscheidung als auch das Einreiseverbot in unverhältnismäßiger Weise in das Privat- und Familienleben des BF in der Europäischen Union eingreife und jedenfalls zu hoch bemessen sei. Der BF habe nämlich eine Schwester, die in Italien lebe und mit der er vor seiner Inhaftierung regelmäßigen Kontakt gehabt habe. Ein unbefristetes Einreiseverbot für den ganzen Schengenraum erschwere die Aufrechterhaltung dieses Kontakts enorm. Der BF hätte dazu näher befragt werden müssen und sei festzuhalten, dass dieser entgegen der Feststellungen der belangten Behörde sehr wohl eine schriftliche Stellungnahme eingebracht habe. Die bezüglich der Rückkehrentscheidung iSd § 9 Abs. 1 BFA-VG vom BFA vorgenommene Interessenabwägung sei als mangelhaft zu qualifizieren.

Hinsichtlich der Erlassung eines Einreiseverbots sei festzuhalten, dass dies in Verbindung mit einer Rückkehrentscheidung nicht mehr zwingend gesetzlich vorgeschrieben sei, sondern vielmehr erlassen werden könne. Es sei bei der im Einzelfall zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamt(fehl)verhalten des BF in Betracht zu ziehen. Bei der Beurteilung komme es nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung, sondern auf das zugrundeliegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an. Die belangte Behörde habe jedoch keine Gefährdungsprognose erstellen können, weil sie sich vor Erlassung des Bescheids weder einen persönlichen Eindruck vom BF verschafft noch Informationen zur Hand gehabt habe, die eine entsprechende Prognose erlaubt hätten. Auch das Privat- und Familienleben sei entgegen den Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie unzureichend berücksichtigt worden, zumal diesbezüglich auch die private und familiäre Situation in anderen Mitgliedstaaten in den Blick zu nehmen sei. Das auf die Dauer von zehn Jahren befristete Einreiseverbot sei in Hinblick auf die Tatsache, dass der BF eine Schwester in Italien habe, zu der er eine enge Beziehung pflege und mit der er vor seiner Inhaftierung zusammengelebt und die Kosten für seinen Lebensunterhalt geteilt habe, unverhältnismäßig bzw. unzulässig.

Selbst bei der Annahme, die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot seien zulässig, sei Letzteres jedenfalls zu hoch bemessen. Die Dauer von zehn Jahren erscheine nicht gerechtfertigt und stelle ein willkürliches Vorgehen der belangten Behörde dar, zumal aus der Bescheidbegründung nicht hervorgehe, wie das BFA zu einer derartigen Bemessung gekommen sei.

Da der BF keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, und eine strafrechtliche Verurteilung alleine nicht die Annahme rechtfertige, die sofortige Ausreise sei gemäß Art. 7 Abs. 4 der Rückführungs-RL aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit notwendig, sei die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG unzulässig. Demnach hätte dem BF auch eine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt werden müssen.

Der BF beantragte zur Klärung des maßgeblichen Sachverhalts, insbesondere der Gefährlichkeitsprognose, die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung. Da das Ermittlungsverfahren der belangten Behörde als mangelhaft zu qualifizieren sei, der BF der Beweiswürdigung des BFA substantiiert entgegengetreten sei, und sich das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG), insbesondere in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände, einen persönlichen Eindruck des BF zu verschaffen habe, sei eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen.

12.      Das BFA legte dem BVwG am XXXX die Beschwerde samt der bezughabenden Verwaltungsakte vor.

13.      Mit Parteiengehör vom XXXX wurden dem BF die aktuellen Länderinformationen zu Indien mit der Möglichkeit zur Stellungnahme binnen zehn Tagen zugestellt.

14.      Mit Stellungnahme vom XXXX gab der BF bekannt, dass er aus politischen und persönlichen Gründen nicht nach Indien zurückkehren könne.

15.      Mit Stellungnahme vom XXXX brachte der BF vor, dass die Bauern in Indien aus dem Anlass der Liberalisierung von Agrarprodukten seit XXXX gegen die Regierung protestieren würden, da sie Angst vor sinkenden Preisen hätten. Der BF würde bei einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Notlage geraten, da die Bauern nicht mit den großen Agrarkonzernen konkurrieren könnten, die Landwirtschaft jedoch für den BF und seine Familie die größte Einkommensressource darstelle. In den vom BVwG zugestellten Länderinformationen seien die Massenproteste sowie die Landwirtschaftslage nicht erwähnt worden.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen

1.1.    Zur Person des BF

Der BF, ein indischer Staatsangehöriger, wurde am XXXX in XXXX , XXXX , Indien, geboren, spricht Hindi und besuchte im Herkunftsstaat zwölf Jahre die Grundschule sowie ein Jahr ein College. Seine Identität steht fest. Er ist ledig, hat keine Sorgepflichten und war zuletzt in Italien in der Landwirtschaft tätig.

Der BF ist gesund, leidet an keinen schwerwiegenden Erkrankungen und ist arbeitsfähig. Er ist also in der Lage, im Herkunftsstaat den notwendigen Unterhalt zu sichern. In Hinblick auf die derzeit bestehende Covid-19 – Pandemie ist festzuhalten, dass der BF XXXX Jahre alt ist und weder an einer schwerwiegenden noch an einer lebensbedrohlichen Erkrankung leidet, womit er nicht unter die Risikogruppe der älteren Personen oder Personen mit (relevanten) Vorerkrankungen fällt.

1.2.    Zum strafrechtlichen Fehlverhalten des BF

Der BF wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX , AZ XXXX , wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach §§ 28a Abs. 1 2. und 3. Fall, Abs. 4 Z 3 SMG, § 15 StGB nach dem Strafsatz des § 28a Abs. 4 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Der Urteilsausfertigung ist zu entnehmen, dass der BF im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich morphin- und codeinhaltige Mohnkapseln (beinhaltend zumindest 1% Morphin und 0,1% Codein), in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) mehrfach übersteigenden Menge durch Paketversand aus Österreich aus- und nach Italien eingeführt bzw. aus Österreich aus- und nach Italien einzuführen versucht hat. Der BF reiste im XXXX im Auftrag unbekannt gebliebener Dritter, für die er bereits zuvor in Italien tätig war, nach Wien, um dort eine größere Menge an Mohnkapseln, enthaltend die Wirkstoffe Morphin und Codein, anzukaufen und nach Italien zu verbringen. Hierzu kam er in der Wohnung des Mittäters, der auf Anweisung des BF agierte, unter. Der BF und sein Mittäter kauften die Mohnkapseln, verpackten diese in Plastikfoliensäcke und sodann in mitgebrachte Kartons in unterschiedlichen Gewichtungen und gaben die Pakete in unterschiedlichen Paketshops und Postfilialen an die zuvor von den Auftraggebern bekanntgegebenen Adressen auf. Insgesamt führten die Beiden im Zeitraum von Anfang XXXX bis Anfang XXXX mindestens 210 Kilogramm morphin- und codeinhaltige Mohnkapseln (beinhaltend zumindest 1% Morphin und 0,1% Codein) in zumindest 35 Sendungen aus Österreich aus und nach Italien ein. Im Zeitraum von XXXX versuchten der BF und sein Mittäter zu verschiedenen Zeitpunkten insgesamt rund 91,5 Kilogramm morphin- und codeinhaltige Mohnkapseln (beinhaltend zumindest 1% Morphin und 0,1% Codein) aus Österreich aus- und nach Italien einzuführen. Der BF erhielt für seine Tätigkeit von seinem Auftraggeber aus Italien monatlich etwa EUR 500,-, sohin zwischen XXXX insgesamt EUR 1.500,- als Gehalt.

Bei der Strafbemessung wurde als mildernd der bisher ordentliche Lebenswandel, das teils überschießende Geständnis, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, die teilweise Sicherstellung von Suchtgift und das junge Alter (knapp über 21 Jahre), als erschwerend das vielfache Überschreiten der Grenzmenge gewertet. Die Verhängung einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren und sechs Monaten erschien als schuld- und tatangemessen.

Obwohl als erster Termin für eine allfällige bedingte Entlassung der XXXX berechnet wurde, befindet sich der BF zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung noch in Strafhaft und wird er voraussichtlich am XXXX entlassen.

1.3.    Zum Privat- und Familienleben des BF und zu seinem Aufenthalt in Österreich

Der BF reiste im XXXX zu kriminellen Zwecken in das Bundesgebiet ein. Er verfügt über keinen österreichischen Aufenthaltstitel und hatte einen bis zum XXXX gültigen italienischen Aufenthaltstitel, der zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung bereits abgelaufen ist. Da nicht festgestellt werden konnte, dass der BF derzeit in einem anderen EU-Mitgliedsstaat einen Aufenthaltstitel oder eine Arbeitserlaubnis hat, befindet er sich seit XXXX bzw. spätestens seit seiner strafgerichtlichen Verurteilung am XXXX unrechtmäßig im Bundesgebiet.

Der BF hat keine im Bundesgebiet lebenden Verwandten oder sonstige Familienangehörige, und sind im Verfahren weder enge sozialen Bindungen noch das Setzen jeglicher Integrationsschritte hervorgekommen. Hingegen hat er im Herkunftsstaat nach wie vor familiäre Anknüpfungspunkte. Er ging in Österreich bisher keiner legalen Erwerbstätigkeit nach und hat keine Möglichkeit, sich im Bundesgebiet auf legale Weise finanzielle Mittel zu beschaffen. Der BF hat eine in Italien aufhältige Schwester, zu der er bis zu seiner Einreise nach Österreich nahen Kontakt pflegte. Es besteht zwischen diesen kein Abhängigkeitsverhältnis und lebte der BF jedenfalls ab XXXX nicht mehr mit seiner Schwester in einem gemeinsamen Haushalt. Bis auf die Zeit seiner Inhaftierung in der Justizanstalt XXXX , in der er sich nach wie vor befindet, weist der BF im Zentralen Melderegister keine weiteren Wohnsitzmeldungen auf.

1.4.    Zur Rückkehrmöglichkeit in den Herkunftsstaat

Im Hinblick auf die in Punkt II.1.4. angeführten Länderinformationen zu Indien konnte nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien in seinem Recht auf Leben gefährdet wird, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wird oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.

Der XXXX -jährige BF ist in XXXX , Indien, geboren und hat dort eine zwölfjährige Schulbildung sowie eine einjährige Ausbildung an einem College absolviert. Er spricht Hindi, ist gesund, ledig und arbeitsfähig. Weiters leben nach wie vor Verwandte des BF im Herkunftsstaat. Im Fall der Rückkehr nach Indien ist er in der Lage, für seinen Lebensunterhalt eigenständig aufzukommen und besteht nicht die Gefahr, dass er in eine existenzielle Notlage geraten wird.

Der gesunde BF gehört als XXXX -jähriger Mann überdies keiner Risikogruppe an, bei der im Falle einer Ansteckung mit COVID-19 ein schwererer Krankheitsverlauf zu befürchten ist.

1.5.    Zur Lage im Herkunftsstaat

Auszüge aus dem Länderinformationsblatt Indien vom 31.05.2021 mit letzter Kurzinformation vom 31.05.2021:

1.4.1.  Länderspezifische Anmerkungen

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten (ÖB 9.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Menschen mit Beeinträchtigungen sind von coronabedingten Maßnahme wie Abriegelungen und sozialen Distanzierungen besonders betroffen. Der Zugang zu medizinischer Versorgung und lebenswichtigen Gütern und der Ausübung sozialer Distanzierung, insbesondere für diejenigen, die persönliche Unterstützung für Aufgaben des täglichen Lebens erhalten (HRW 13.1.2021). Während der ersten Wochen der COVID-19 Pandemie, wurden Muslime für die Verbreitung des Coronavirus, auch von Vertretern der Regierungsparteien verantwortlich gemacht (FH 3.3.2021; vgl. HRW 13.1.2021).

Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit COVID registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).

Die Lage in Indien, dass mit Bezug auf das Infektionsgeschehen (neben den USA und Brasilien) zu den am schwersten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Ländern weltweit zählt, hat sich sich gegenüber dem Sommer 2020 mit damals fast 100.000 Neuinfektionen pro Tag inzwischen etwas entspannt. Es erkranken offiziellen Angaben zufolge nach wie vor etwa 40.000 Menschen täglich am Virus. In den Ballungszentren kann die medizinische Versorgung weitestgehend aufrecht erhalten werden (GTAI 3.12.2020). Indiens Wirtschaft wurde durch die COVID-19-Pandemie stark beeinträchtigt (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Das Land rutschte im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2020-21 erstmals in eine wirtschaftliche Rezession (PRC 18.3.2021). Es wird allgemein erwartet, dass das Land ab 2021 zu einem nachhaltigen Wachstum zurückkehren wird (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Nach dem zweimonatigen harten Lockdown im Frühjahr 2020 hat die indische Regierung das öffentliche Leben im Rahmen ihrer Unlock-Strategie schrittweise wieder hochgefahren. Die Bundesstaaten und Unionsterritorien haben dabei weitreichendere Entscheidungsbefugnisse, welche Lockerungen sie umsetzen und welche nicht. Mit den bestehenden Einschränkungen sollen vor allem Superspreader-Events wie religiöse Großveranstaltungen und Hochzeiten eingedämmt werden. Massentests, Kontaktnachverfolgung, Isolierung von Infizierten und die Abschottung von Gebieten mit hohen Fallzahlen (Containment Zones) sollen helfen, das Virus zurückzudrängen (GTAI 3.12.2020; vgl. WKO 13.1.2021). Es kann daher vereinzelt und regional sowie zeitlich begrenzt zu erneuten Lockdowns kommen. Eine Skizzierung in „Red Zone“, „Orange Zone“ und „Green Zone“ wird von der Regierung des Bundesstaates/Unionsterritoriums in Absprache mit dem Gesundheitsministerium und der nationalen Regierung entschieden (WKO 13.1.2021).

Gegen regierungskritische Äußerungen, auch im Zusammenhang mit Maßnahmen der Regierung im Umgang mit der COVID-19 Pandemie wurden mittels aus der Kolonialzeit stammenden Gesetzen zur Staatsverhetzung und dem im Jahr 2000 erlassenen IT-Gesetz vorgegangen (FH 3.3.2021). Medienvertreter sehen sich Drohungen, Verhaftungen, Strafverfahren oder körperlichen Angriffen durch Mobs oder der Polizei wegen der Berichterstattung über die Pandemie ausgesetzt (HRW 13.1.2021). Mehrere von der Regierung zur Eindämmung einer Verbreitung der Pandemie getroffenen Maßnahmen wurden von Menschenrechtsanwälten als invasiv angesehen (FH 3.3.2021).

Im ersten Quartal 2021 wird Indien mit einem Anstieg der Fallzahlen vor einer zweiten COVID-19 Welle erfasst (TOI 21.3.2021; vgl. TFE 20.3.2021) und verzeichnete im Zeitraum ab April/Mai 2021 die höchsten Zahlen an täglichen Todesfällen wegen des Coronavirus seit Beginn der Pandemie (BAMF 3.5.2021). Kritik äußert sich aus dem Umstand heraus, dass Indien, ob seiner Pharmaindustrie, als "Apotheke der Welt" durch die Lieferung von Covid-19-Impfstoffen an viele Länder der Welt genießt (FE 20.3.2021; vgl. TOI 21.3.2021), gleichzeitig jedoch bei der Durchimpfung der eigenen Bevölkerung landesweit lediglich einen Wert von rund zwei Prozent erreicht (HO 28.4.2021).

Auch der Umstand, dass im Zuge der Regionalwahlen in einigen Bundesstaaten große Kundgebungen mit zum Teil Zehntausender Besucher abgehalten wurden, wie auch die Durchführung des hinuistischen Festes Kumbh-Mela in Haridwar im nördlichen Bundesstaat Uttarakhand, an dem im Zeitraum von Jänner 2021 bis zum 27. April knapp 25 Millionen Hindus vor Ort teilgenommen haben, attestieren der indischen regierung eine "praktizierte Sorglosigkeit". Die Aussage der BJP bei einer Wahlveranstaltung im Bundestaat Assam in der verkündet wurde, "Wahlveranstaltungen und religiöse Zusammenkünfte tragen nicht zur Verbreitung von Covid-19 bei", wird kritisiert (BAMF 3.5.2021; vgl. HO 28.4.2021).

Seit Mai 2021 sind alle Erwachsenen impfberechtigt, davor nur über 45-Jährige. In mehreren Bundesstaaten des Landes ist der Impfstoff ausgegangen, Hilfsgüter aus mehreren Ländern wie Beatmungsgeräte, Anlagen zur Sauerstofferzeugung, Medikamente und Impfstoff werden Indien von der internationalen Staatengemeionschaft zur Verfügung gestellt. Medienberichten zufolge will Indien die eigene Impfstoffproduktion bis Juni 2021 erhöhen, von der staalichen indischen Eisenbahngesellschaft gab bekannt, 4.000 Waggons mit einer Kapazität von 64.000 Betten als provisorische Stationen für Corona-Patienten bereitzustellen (BAMF 3.5.2021).

Alle Experten davon aus, dass kurzfristig die Fallzahlen wie auch die Zahlen der Toten weiter ansteigen werden, da das staatliche Gesundheitssystem in vielen Landesteilen schon jetzt an seine Grenzen gestoßen ist. Eine mittelfristige Prognose ist noch unklar. Eine Hoffnung stellt, bedingt durch den bereits erfolgten sehr breiten Ansteckung der Bevölkerung das Erreichen einer Herdenimmunität dar (HO 25.4.2021).

Quellen:

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.5.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw18-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 7.5.2021

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.10.2020): https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw42-2020.pdf;jsessionid=91E533F0FC7A0F35C0751A9F00F3D711.internet572?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 12.10.2020

?        DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 18.1.2021

?        FE – Financial Express (20.3.2021): Coronavirus Lockdown 2021 News Highlights: Only partial relaxation from lockdown in Nagpur from Monday, https://www.financialexpress.com/lifestyle/health/coronavirus-lockdown-2021-live-news-coronavirus-india-latest-march-20-updates-narendra-modi-covid-lockdown-night-curfew-maharashtra-mumbai-pune-nagpur-uttar-pradesh-delhi-bengaluru-hyderabad-punjab-gu/2216571/, Zugriff 22.3.2021

?        FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html, Zugriff 22.3.2021

?        GTAI – German Trade & Invest [Deutschland] (3.12.2020): Indien sieht erste Anzeichen einer Konjunkturbelebung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/indien/indien-sieht-erste-anzeichen-einer-konjunkturbelebung-234424, Zugriff 18.1.2021

?        HO – Heise Online (25.4.2021): Telepolis: Corona in Indien: Sorglosigkeit, Mutanten und himmelschreiende Ungleichheit, https://www.heise.de/tp/features/Corona-in-Indien-Sorglosigkeit-Mutanten-und-himmelschreiende-Ungleichheit-6030218.html, Zugriff 7.5.2021

?        HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043608.html, Zugriff 18.1.2021

?        ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

?        PRC – Pew Research Center (18.3.2021): In the pandemic, India’s middle class shrinks and poverty spreads while China sees smaller changes, https://www.pewresearch.org/fact-tank/2021/03/18/in-the-pandemic-indias-middle-class-shrinks-and-poverty-spreads-while-china-sees-smaller-changes/, Zugriff 22.3.2021

?        TOI – Times of India (21.3.2021): Government failed to control Covid spread, must vaccinate all within months: Congress,
http://timesofindia.indiatimes.com/articleshow/81618736.cms?utm_source=contentofinterest&utm_medium=text&utm_campaign=cppst, Zugriff 22.3.2021

?        WKO – Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (13.1.2021): Coronavirus: Situation in Indien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-indien.html, Zugriff 18.1.2021

1.4.2.  Politische Lage

Letzte Änderung: 21.05.2021

Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA 27.4.2021; vgl. AA 23.9.2020). Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik (BICC 1.2021).

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 30.3.2021). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Ebene der Bundesstaaten (AA 23.9.2020). Im Einklang mit der Verfassung haben die 28 Bundesstaaten und acht Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 30.3.2021).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister der Regierungschef ist (USDOS 30.3.2021). Der Präsident nimmt weitgehend repräsentative Aufgaben wahr. Die politische Macht liegt hingegen beim Premierminister und seiner Regierung, die dem Parlament verantwortlich ist. Präsident ist seit 25. Juli 2017 Ram Nath Kovind, der der Kaste der Dalits (Unberührbaren) entstammt (GIZ 1.2021a).

Der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist nach britischem Muster durchgesetzt (AA 23.9.2020). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit ist verfassungsmäßig garantiert, der Instanzenzug ist dreistufig (AA 23.9.2020). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 1.2021a).

Die Verfassung garantiert Rede- und Meinungsfreiheit (USDOS 30.3.2021). Unabhängigen Medien drücken eine große Bandbreite von Meinungen und Ansichten ohne Einschränkungen aus (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021). Allerdings haben die Angriffe auf die Pressefreiheit unter der Regierung Modi zugenommen (FH 3.3.2021).

Im April/Mai 2019 wählten etwa 900 Mio. Wahlberechtigte ein neues Unterhaus. Im System des einfachen Mehrheitswahlrechts konnte die Bharatiya Janata Party (BJP) unter der Führung des amtierenden Premierministers Narendra Modi ihr Wahlergebnis von 2014 nochmals verbessern (AA 23.9.2020).

Als deutlicher Sieger mit 352 von 542 Sitzen stellt das Parteienbündnis "National Democratic Alliance (NDA)", mit der BJP als stärkster Partei (303 Sitze) erneut die Regierung. Der BJP-Spitzenkandidat und amtierende Premierminister Narendra Modi wurde im Amt bestätigt. Die United Progressive Alliance rund um die Congress Party (52 Sitze) erhielt insgesamt 92 Sitze (ÖB 9.2020; vgl. AA 19.7.2019). Die Wahlen verliefen, abgesehen von vereinzelten gewalttätigen Zusammenstößen v. a. im Bundesstaat Westbengal, korrekt und frei. Im Wahlbezirk Vellore (East) im Bundesstaat Tamil Nadu wurden die Wahlen wegen des dringenden Verdachts des Stimmenkaufs ausgesetzt und werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt (AA 19.7.2019). Mit der BJP-Regierung unter Narendra Modi haben die hindu-nationalistischen Töne deutlich zugenommen. Die zahlreichen hindunationalen Organisationen, allen voran das Freiwilligenkorps RSS [Rashtriya Swayamsevak Sangh], fühlen sich nun gestärkt und versuchen verstärkt, die Innenpolitik aktiv in ihrem Sinn zu bestimmen (GIZ 1.2021a). Mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts treibt die regierende BJP ihre hindunationalistische Agenda weiter voran. Die Reform wurde notwendig, um die Defizite des Bürgerregisters des Bundesstaats Assam zu beheben und den Weg für ein landesweites Staatsbürgerregister zu ebnen. Kritiker werfen der Regierung vor, dass die Vorhaben vor allem Muslime und Musliminnen diskriminieren, einer großen Zahl von Personen den Anspruch auf die Staatsbürgerschaft entziehen könnten und Grundwerte der Verfassung untergraben (SWP 2.1.2020; vgl. TG 26.2.2020). Kritiker der Regierung machten die aufwiegelnde Rhetorik und die Minderheitenpolitik der regierenden Hindunationalisten, den Innenminister und die Bharatiya Janata Party (BJP) für die Gewalt verantwortlich, bei welcher Ende Februar 2020 mehr als 30 Personen getötet wurden. Hunderte wurden verletzt (FAZ 26.2.2020; vgl. DW 27.2.2020).

Bei der Wahl zum Regionalparlament der Hauptstadtregion New Delhi musste die Partei des Regierungschefs Narendra Modi gegenüber der regierenden Antikorruptionspartei Aam Aadmi (AAP) eine schwere Niederlage einstecken. Diese gewann die Regionalwahl erneut mit 62 von 70 Wahlbezirken. Die AAP unter Führung von Arvind Kejriwal, punktete bei den Wählern mit Themen wie Subventionen für Wasser und Strom, Verbesserung der Infrastruktur für medizinische Dienstleistungen sowie die Sicherheit von Frauen, während die BJP für das umstrittene Staatsbürgerschaftsgesetz warb (KBS 12.2.2020). Modis Partei hat in den vergangenen zwei Jahren bereits bei verschiedenen Regionalwahlen in den Bundesstaaten Maharashtra und Jharkhand heftige Rückschläge hinnehmen müssen (quanatra.de 14.2.2020; vgl. KBS 12.2.2020).

Bei Regionalwahlen in vier indischen Bundesstaaten und einem Unionsterritorium hat die konservative Regierungspartei BJP von Premierminister Modi offenbar keine Zugewinne erzielt. In Westbengalen liegt die BJP deutlich hinter der Regionalpartei All India Trinamool Congress (TMC) von Chefministerin Mamata Banerjee. Auch in Assam, Tamil Nadu, Kerala und Puducherry fanden Wahlen statt. Nur in Assam konnte die BJP an der Macht festhalten, aber auch dort erzielte sie – wie in den anderen Bundesstaaten – keine Zugewinne. Der Wahlkampf fand inmitten der Corona-Pandemie zum Teil mit riesigen Wahlkundgebungen statt. Viele Experten sehen darin die Ursache für den dramatischen Anstieg der Infektionszahlen im Land. Modi hatte sich im Wahlkampf besonders in Westbengalen engagiert, das an der Grenze zu Bangladesch liegt und eine starke muslimische Minderheit hat. Die BJP versprach, hunderttausende Muslime auszuweisen, die vor Jahrzehnten aus Bangladesch nach Indien geflohen sind (DS 3.5.2021).

Trotz der Annäherung an die USA und der zunehmenden Spannungen mit China betont Indien weiterhin seine strategische Autonomie. Diese beinhaltet auch den Anspruch auf eine eigenständige Rolle im Kontext der geopolitischen Spannungen zwischen China und den USA im Indo-Pazifik. So haben Indien und China in den letzten Jahren auch immer wieder kooperiert, zum Beispiel in der Shanghaier Orga-nisation für Zusammenarbeit. Innerhalb der Quad hat sich Indien für ein inklusives Verständnis des Indo-Pazifiks ausgesprochen, das im Unterschied zu den Vorstellungen der USA bislang immer die Einbeziehung Chinas beinhaltete (SWP 7.2020). Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat ist weiterhin ein strategisches Ziel Indiens (GIZ 1.2021a).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 15.10.2020

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_19.07.2019.pdf, Zugriff 15.10.2020

?        AA – Auswärtiges Amt (11.2.2021): Indien: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/politisches-portrait/206048, Zugriff 6.5.2021

?        BICC – Bonn International Centre for Conversion (1.2021): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.pdf, Zugriff 23.3.2021

?        CIA - Central Intelligence Agency (27.4.2021): The World Factbook – India, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/india/#people-and-society, Zugriff 6.5.2021

?        DS Der Standard (3.5.2021): Indien: Regionalwahl-Schlappe für Modi inmitten steigender Corona-Zahlen, https://www.derstandard.at/story/2000126330932/indienregionalwahl-schlappe-fuer-modi-inmitten-steigender-corona-faelle, Zugriff 6.5.2021

?        DW – Deutsche Welle (27.2.2020): Sierens China: Schwieriges Dreiecksverhältnis, https://www.dw.com/de/sierens-china-schwieriges-dreiecksverh%C3%A4ltnis/a-52556817, Zugriff 28.2.2020

?        FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.2.2020): Immer mehr Tote nach Unruhen in Delhi, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/indien-tote-bei-gewalt-zwischen-hindus-und-muslimen-in-delhi-16652177.html, Zugriff 28.2.2020

?        FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html, Zugriff 6.5.2021

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (1.2021a): Indien, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/, Zugriff 11.5.2021

?        KBS – Korean Broadcasting System (12.2.2020): Niederlage für Indiens Regierungschef Modi bei Wahl in Neu Delhi, http://world.kbs.co.kr/service/contents_view.htmlang=g&board_seq=379626, Zugriff 14.2.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

?        Quantara.de (14.2.2020): Herbe Niederlage für Indiens Regierungschef Modi bei Wahl in Neu Delhi, https://de.qantara.de/content/herbe-niederlage-fuer-indiens-regierungschef-modi-bei-wahl-in-neu-delhi, Zugriff 20.2.2020

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (7.2020): Indisch-chinesische Konfrontation im Himalaya. Eine Belastungsprobe für Indiens strategische Autonomie, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2020A63_IndienChina.pdf, Zugriff 11.5.2021

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2019): Indiens Ringen um die Staatsbürgerschaft, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2020A02_wgnArora_WEB.pdf, Zugriff 18.2.2020

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2019): Keine Ruhe in Kaschmir. Die Auflösung des Bundesstaats und die Folgen für Indien, https://www.swp-berlin.org/10.18449/2019A45/, Zugriff 16.1.2020

?        TG – The Guardian (26.2.2020): Anti-Muslim violence in Delhi serves Modi well, https://www.theguardian.com/commentisfree/2020/feb/26/violence-delhi-modi-project-bjp-citizenship-law, Zugriff 28.2.2020

?        USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html, Zugriff am 6.5.2021

1.4.3.  Sicherheitslage

Letzte Änderung: 28.05.2021

Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik. Das Land ist ein wichtiger Handelspartner der EU und der Vereinigten Staaten (BICC 1.2021).

Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung (GIZ 1.2021a). Aufstände gibt es auch in den nordöstlichen Bundesstaaten Assam, Manipur, Nagaland sowie in Teilen Tripuras. In der Vergangenheit konnte eine Zunahme von Terroranschlägen in Indien, besonders in den großen Stadtzentren, verzeichnet werden. Mit Ausnahme der verheerenden Anschläge auf ein Hotel in Mumbai im November 2008, wird Indien bis heute zwar von vermehrten, jedoch kleineren Anschlägen heimgesucht (BICC 1.2021). Aber auch in den restlichen Landesteilen gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (bpb 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 1.2021).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021) und der von separatistischen Gruppen bedrohte Nordosten Indiens (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021, AA 23.9.2020). Der Punjab blieb im vergangenen Jahren von Terroranschlägen und Unruhen verschont (im Punjab wurden 2020 insgesamt 18 Vorfälle im Zusammenhang mit Terrorismus registriert (SATP 3.5.2021a). Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).

Gewalttätige Operationen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.7.2020, FH 3.3.2021). Rebellen heben illegale Steuern ein, beschlagnahmen Lebensmittel und Unterkünfte und beteiligen sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen. Zehntausende Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 3.3.2021).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2017 insgesamt 812 Todesopfer durch terroristische Gewalt. Im Jahr 2018 wurden 940 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2019 kamen 621 Menschen durch Terrorakte. 2020 belief sich die Opferzahl terroristischer Gewalt landesweit auf insgesamt 591 Tote. 2021 wurden bis zum 3. Mai insgesamt 164 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 3.5.2021b).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 23.9.2020).

Bauernproteste, die sich gegen die von der indischen Regierung verabschiedeten Gesetze zur Liberalisierung des Agrarsektors richten, dauern seit Monaten an. Widerstand hat sich vor allem bei Sikhs im Punjab – dem Brotkorb Indiens - formiert. Inzwischen protestieren aber auch Bauern in anderen Teilen des Landes. Als im Januar 2021 die Proteste in New Delhi gewalttätig wurden, antwortete die Regierung mit harten Maßnahmen. Da bei den Protesten viele Sikhs beteiligt sind und u.a. eine Sikh-Flagge im Roten Fort in Delhi gehisst wurde, unterstellt die indische Regierung eine Beteiligung der Khalistan-Bewegung an den Protesten (BAMF 22.3.2021).

Indien und Pakistan

Indien und Pakistan teilen sprachliche, kulturelle, geografische und wirtschaftliche Verbindungen, doch sind die Beziehungen der beiden Staaten aufgrund einer Reihe historischer und politischer Ereignisse in ihrer Komplexität verstrickt und werden durch die gewaltsame Teilung Britisch-Indiens im Jahr 1947, dem Jammu & Kashmir-Konflikt und die zahlreichen militärischen Konflikte zwischen den beiden Nationen bestimmt (EFSAS o.D.).

Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (Piazolo 2008). Die äußerst angespannte Lage zwischen Indien und Pakistan hat sich in der Vergangenheit immer wieder in Grenzgefechten entladen, welche oft zu einem größeren Krieg zu eskalieren drohten. Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BICC 1.2021; vgl. BBC 23.1.2018, DFAT 10.12.2020). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen indischen und pakistanischen Streitkräften entlang der sogenannten "Line of Control (LoC)" haben sich in letzter Zeit verschärft und Opfer auf militärischer wie auch auf ziviler Seite gefordert. Seit Anfang 2020 wurden im von Indien verwalteten Kaschmir 14 Personen durch Artilleriebeschuss durch pakistanische Streitkräfte über die Grenz- und Kontrolllinie hinweg getötet und fünf Personen verletzt (FIDH 23.6.2020; vgl. KO 25.6.2020).

Indien wirft Pakistan dabei unter anderem vor, in Indien aktive terroristische Organisationen zu unterstützen. Pakistan hingegen fordert eine Volksabstimmung über die Zukunft der Region, da der Verlust des größtenteils muslimisch geprägten Gebiets als Bedrohung der islamischen Identität Pakistans wahrgenommen wird (BICC 1.2021). Es kommt immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir (BICC 1.2021). So drang die indische Luftwaffe am 26.2.2019 als Vergeltung für einen am 14. Februar 2019 verübten Selbstmordanschlag erstmals seit dem Krieg im Jahr 1971 in den pakistanischen Luftraum ein, um ein Trainingslager der islamistischen Gruppierung Jaish-e-Mohammad in der Region Balakot, Provinz Khyber Pakhtunkhwa, zu bombardieren (SZ 26.2.2019; vgl. FAZ 26.2.2019, WP 26.2.2019).

Modi nutzte den Konflikt mit Pakistan zur politischen Mobilisierung im Wahlkampf 2019. Dadurch wurde die pakistanfeindliche Stimmung in Indien so stark angeheizt, dass eine erneute Annäherung Indiens an Pakistan immer schwieriger wird. Seit der Veränderung des Status von Jammu und Kaschmir haben die Verletzungen des Waffenstillstands am Grenzverlauf zwischen Indien und Pakistan ("Line of Control") deutlich zugenommen (bpb 29.4.2021).

In einer Vereinbarung zwischen Indien und Pakistan mit dem Ziel "einen gegenseitig vorteilhaften und nachhaltigen Frieden zu erreichen", heißt es, dass nach längeren Verhandlungen die zuletzt bestehende Vereinbarung von 2003 über eine Waffenruhe "in Wort und Geist" ab dem 25. Februar 2021 umsetzen ist (Gov. o. I. 25.2.2021; vgl. SZ 26.2.2021).

Indien und China

Indien und China teilt eine 4.056 km lange Grenze (DFAT 10.12.2020). Der chinesisch-indische Grenzverlauf im Himalaya ist weiterhin umstritten (FAZ 27.2.2020). Nach wie vor gibt es zwischen Indien und China eine Reihe ungelöster territorialer Streitigkeiten, die 1962 zu einem kurzen Krieg zwischen den beiden Nachbarstaaten und zu mehreren Unruhen führten, darunter 2013, 2017 und 2020. Zusammenstöße zwischen Grenzpatrouillen an der 1996 vereinbarten "Line of Actual Control" (LAC), der De-facto-Grenze zwischen der von Indien verwalteten Region des Ladakh Union Territory und der von China verwalteten Region Aksai Chin sind häufig (DFAT 10.12.2020; vgl. FIDH 23.6.2020) und forderten am 15.6.2020 mindestens 20 Tote auf indischer Seite und eine unbekannte Anzahl von Opfern auf chinesischer Seite (FIDH 23.6.2020; vgl. BBC 3.7.2020, BAMF 8.6.2020). Dies waren die ersten Todesopfer an der LAC seit 1975. Von beiden Seiten wurden eine Reihe von Gesprächen auf politischer, diplomatischer und militärischer Ebene geführt. Die Situation bleibt jedoch festgefahren (DFAT 10.12.2020). Viele indische Experten sehen in der Entscheidung der Modi-Regierung vom August 2019, den Bundesstaat Jammu und Kaschmir aufzulösen, einen Auslöser für die gegenwärtige Krise (SWP 7.2020; vgl. Wagner C. 2020). Die chinesischen Gebietsübertretungen können somit als Reaktion auf die indische Politik in Kaschmir in der letzten Zeit gesehen werden (SWP 7.2020). Weitere Eskalationen drohen auch durch Gebietsverletzungen an anderen Stellen der mehr Grenze (FAZ 27.2.2020; vgl. SWP 7.2020). Sowohl Indien als auch China haben Ambitionen, ihren Einflussbereich in Asien auszuweiten (BICC 1.2021).

Zwar hat der amerikanisch-chinesische Handelskrieg die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Indien und China gestärkt und neue Möglichkeiten für indische Unternehmen auf dem chinesischen Markt geschaffen, dennoch fühlt sich Indien von Peking geopolitisch herausgefordert, da China innerhalb seiner „Neuen Seidenstraße“ Allianzen mit Indiens Nachbarländern Pakistan, Bangladesch, Nepal und Sri Lanka geschmiedet hat. Besonders der Wirtschaftskorridor mit dem Erzfeind Pakistan ist den Indern ein Dorn im Auge (FAZ 27.2.2020).

Indien und Bangladesch

Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze. Indien kontrolliert die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs und war historisch maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs während seines Unabhängigkeitskrieges beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert (GIZ 1.2021a). In Nordost-Indien leben etwa 100.000 illegal eingewanderte Personen aus Bangladesch. Diese Einwanderer werden als ein erhöhtes Konfliktpotential wahrgenommen (BICC 1.2021). Auch bestehen kleinere Konflikte zwischen den beiden Ländern (BICC 1.2021).

Indien und Nepal

Die Beziehungen zwischen Indiens zu Nepal haben sich im Laufe des vergangenen Jahres [2020] verschlechtert (HRW 13.1.2021), nachdem das nepalesische Parlament im Juni 2020 eine Aufnahme dreier umstrittener Grenzgebiete in das nepalesische geographische Kartenwerk abgesegnet hat. Die kratographische Erfassung der umstrittenen Gebiete ist eine Reaktion auf den Bau einer Straße durch eines der umstrittenen Gebiete durch Indien, von welchem in einer im November 2019 überarbeitete Karte als zu Indien gehörig ausgewiesen wurde (HRW 13.1.2021). Nepal ist für Indien von besonderer sicherheitspolitischer Bedeutung (GIZ 1.2021a). Indien unterstützt die nepalesische Regierung mit Waffen und Gerät in ihrem Kampf gegen die maoistischen Guerilla (BICC 1.2021).

Indien und Sri Lanka

Die beiden Staaten pflegen ein eher ambivalentes Verhältnis (GIZ 1.2021a). Indien belieferte in der Vergangenheit Waffen die LTTE ("Tamil Tigers") in Sri Lanka (BICC 1.2021). Die tamilische Bevölkerungsgruppe in Indien umfasst ca. 65 Millionen Menschen, woraus sich ein gewisser Einfluss auf die indische Außenpolitik ergibt (GIZ 1.2021a). Indiensetzt sich für einen Prozess der Versöhnung der ehemaligen Gegnerschaften des Bürgerkrieges in Sri Lanka ein (HRW 13.1.2021).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 15.10.2020

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (22.3.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw12-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 11.5.2021

?        BBC – British Broadcasting Corporation (3.7.2020): Locals remain anxious amid India-China border stand-off, https://www.bbc.com/news/world-asia-india-53020382, Zugriff 22.7.2020

?        BBC – British Broadcasting Corporation (23.1.2018): India country profile – Overview, http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384, Zugriff 29.1.2019

?        BICC – Bonn Internat

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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