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82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerordnungLeitsatz
Keine Verletzung im Gleichheitsrecht sowie im Recht auf Ausübung der Erwerbsfreiheit durch die – auf Grund der kurzen Tragedauer keinen intensiven Eingriff darstellende – Verpflichtung zum Tragen einer FFP2-Maske in Gondeln, Kabinen oder abdeckbaren Sesseln von Seil- und Zahnradbahnen und deren geschlossenen Zugangsbereichen durch eine COVID 19-NotmaßnahmenV; hinreichende Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen im Verordnungsakt; FFP2-Maskenpflicht im Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers und Teil eines mehrere Maßnahmen umfassenden Schutzkonzepts; Sachlichkeit der FFP2-Maskenpflicht für Seilbahnen auch im Hinblick auf die Pflicht, in anderen Massenbeförderungsmitteln lediglich eine Mund-Nasen-Schutzmaske zu tragenRechtssatz
Abweisung von Individualanträgen eines Seilbahnunternehmens und eines Seilbahnkundens auf Aufhebung einer Wortfolge des §4 Abs3 Z1 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK), mit der besondere Schutzmaßnahmen zur Verhinderung einer Notsituation auf Grund von COVID-19 getroffen werden (2. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung - 2. COVID-19-NotMV, BGBl II 598/2020). Die behauptete Rechtswidrigkeit liegt ausschließlich in der angefochtenen Wortfolge. Im Falle der Aufhebung dieser Wortfolge würden die für Massenbeförderungsmittel iSd §3 der Verordnung vorgesehenen Auflagen sinngemäß für die Benützung von Seil- und Zahnradbahnen gelten. Der Anfechtungsumfang erweist sich daher nicht als zu eng gewählt. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, sind die (Haupt-)Anträge auf Aufhebung der Wortfolge ", wobei in geschlossenen oder abdeckbaren Fahrbetriebsmitteln (Gondeln, Kabinen, abdeckbaren Sesseln) und in geschlossenen Zugangsbereichen von Seil- und Zahnradbahnen ab dem vollendeten 14. Lebensjahr eine Atemschutzmaske der Schutzklasse FFP2 (FFP2-Maske) oder eine äquivalente bzw einem höheren Standard entsprechende Maske zu tragen ist" in §4 Abs3 Z1 2. COVID-19-NotMV, BGBl II 598/2020, zulässig.
Hinreichende Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen:
Der Verordnungsgeber hat im Verordnungsakt dargelegt, dass er die angefochtene Maßnahme im Einklang mit den im COVID-19-MG normierten Verfahrensregelungen erlassen sowie die im Gesetz vorgegebenen Kriterien für die Bewertung der epidemiologischen Situation angewendet hat. Er hat zudem hinreichend dargetan, auf welchen Grundlagen die Entscheidung über die Erlassung der in §4 Abs3 Z1 2. COVID-19-NotMV angeordneten Auflagen für die zulässige Benützung von Seil- und Zahnradbahnen getroffen wurde.
Keine Verletzung im Gleichheitsrecht durch die Verpflichtung zum Tragen einer FFP2-Maske:
§3 2. COVID-19-NotMV enthält Regelungen für die Benützung von Massenbeförderungsmitteln und die dazu gehörigen Bereiche (U-Bahn-Stationen, Bahnsteige, Haltestellen, Bahnhöfe und Flughäfen zuzüglich deren Verbindungsbauwerke). Demgemäß ist in diesen Verkehrsmitteln und Bereichen - sofern möglich - gegenüber Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten und eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende und eng anliegende mechanische Schutzvorrichtung (Mund-Nasen-Schutzmaske) zu tragen. Im Hinblick auf Seil- und Zahnradbahnen bestimmt §4 Abs3 Z1 2. COVID-19-NotMV, dass für deren Benützung die Vorgaben des §3 sinngemäß gelten, wobei in geschlossenen oder abdeckbaren Fahrbetriebsmitteln (Gondeln, Kabinen, abdeckbaren Sesseln) und in geschlossenen Zugangsbereichen von Seil- und Zahnradbahnen ab dem vollendeten 14. Lebensjahr eine Atemschutzmaske der Schutzklasse FFP2 ohne Ausatemventil oder eine äquivalente bzw einem höheren Standard entsprechende Maske (im Folgenden auch: FFP2-Maske) zu tragen ist. §4 Abs3 Z2 und Abs4 der Verordnung sehen weitere Schutzmaßnahmen für die Benützung von Seil- und Zahnradbahnen vor.
Angesichts der im Spätherbst 2020 stark steigenden Zahlen an Neuinfektionen mit COVID-19 erließ der BMSGPK sukzessive verschärfende Maßnahmen nach dem COVID-19-MG. Ab 03.11.2020 wurden unter anderem eine ganztägige Ausgangsbeschränkung sowie weitreichende Betretungsverbote (etwa für Sportstätten, Betriebsstätten der Gastgewerbe oder Beherbergungsbetriebe) angeordnet. Im Zuge dessen wurde auch die Benützung von Seil- und Zahnradbahnen eingeschränkt. Diese durften nur noch zu sehr begrenzten Zwecken benützt werden (zur Sportausübung durch Spitzensportler sowie zu den Zwecken, die im Wesentlichen den zulässigen Ausgangsgründen nach der jeweiligen Verordnung - mit Ausnahme der Erholung im Freien - entsprachen: Abwendung einer unmittelbaren Gefahr, Deckung notwendiger Grundbedürfnisse etc.). Für deren Benützung galten sinngemäß die für Massenbeförderungsmittel vorgesehenen Maßnahmen (Mindestabstand von mindestens einem Meter zu haushaltsfremden Personen, Tragen einer Mund-Nasen-Schutzmaske).
Die 3. COVID-19-SchuMaV - und daran anknüpfend die 2. COVID-19-NotMV - brachten für Seil- und Zahnradbahnen mehrere Neuerungen: Einerseits entfiel die Beschränkung im Hinblick auf die Benützungszwecke, sodass es ab dem 24.12.2020 einem weiten, nicht auf Spitzensportler beschränkten Personenkreis möglich war, Seil- und Zahnradbahnen - (auch) zu Freizeit- und Erholungszwecken - zu benützen. Andererseits wurden aber zusätzliche Schutzmaßnahmen angeordnet (Beschränkung der Personenzahl in geschlossenen oder abdeckbaren Fahrbetriebsmitteln, Ausarbeitung und Umsetzung eines COVID-19-Präventionskonzepts). Weiters mussten Personen ab 14 Jahren eine FFP2-Maske - allerdings nur in geschlossenen oder abdeckbaren Fahrbetriebsmitteln und geschlossenen Zugangsbereichen - tragen.
Die angefochtene Verpflichtung zum Tragen einer FFP2-Maske in geschlossenen oder abdeckbaren Fahrbetriebsmitteln und in geschlossenen Zugangsbereichen von Seil- und Zahnradbahnen, die eine in der Regel kurze Tragedauer betrifft, stellt einen relativ geringen Grundrechtseingriff dar. Sie war Teil eines mehrere Maßnahmen umfassenden Schutzkonzepts, das dazu dienen sollte, das Ansteckungsrisiko mit COVID-19 bei der Personenbeförderung in diesen Verkehrsmitteln zu reduzieren. Wenn der BMSGPK vor dem Hintergrund der in den Verordnungsakten dokumentierten epidemiologischen Situation zugleich mit dem Wegfall der Zweckbindung für die Benützung von Seil- und Zahnradbahnen - und damit der Öffnung der Schigebiete - die Anordnung dieser Schutzmaßnahmen für erforderlich erachtete, ist dies nicht als unsachlich zu erkennen.
Dem Verordnungsgeber ist es im Rahmen des ihm gesetzlich übertragenen Entscheidungsspielraumes nicht verwehrt, für unterschiedliche Situationen bzw Orte differenzierte Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 vorzusehen (vgl auch §3 Abs1 Z3 COVID-19-MG, der zur Regelung des Benutzens von Verkehrsmitteln "oder nur bestimmten Verkehrsmitteln" ermächtigt). Darüber hinaus hat der VfGH bereits ausgesprochen, dass der Einschätzungs- und Prognosespielraum des Verordnungsgebers insoweit auch eine zeitliche Dimension dahingehend erfasst, dass ein schrittweises, nicht vollständig abschätzbare Auswirkungen beobachtendes und entsprechend wiederum durch neue Maßnahmen reagierendes Vorgehen gesetzlich vorgesehen und auch gefordert ist. Der Verordnungsgeber kann daher auch schrittweise Lockerungen oder Verschärfungen im Lichte der epidemiologischen Entwicklungen vorsehen, wobei diese Entwicklungsschritte auch von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und, jedenfalls für entsprechend angemessen kurze Zeitperioden, auch gewisse Ungleichbehandlungen in Kauf nehmen können, um die tatsächliche Entwicklung beobachten zu können.
Dem BMSGPK ist daher nicht entgegenzutreten, wenn er in der 2. COVID-19-NotMV zugleich mit der Öffnung von - überwiegend zu Freizeit- und Erholungszwecken genutzten - Seil- und Zahnradbahnen für einen weiten Personenkreis auch das Tragen einer FFP2-Maske anordnete, während im Übrigen für Massenbeförderungsmittel wie zB Straßenbahnen oder beim Betreten öffentlicher Orte in geschlossenen Räumen das Tragen einer Mund-Nasen-Schutzmaske vorgeschrieben war. Der Verordnungsgeber hat nachvollziehbar dargelegt, dass die epidemiologischen Verhältnisse im Zusammenhang mit der Benützung von geschlossenen Seil- und Zahnradbahnen insbesondere auf Grund des durch die Sportausübung zu erwartenden erhöhten Aerosolausstoßes der zu befördernden Personen und der beengten räumlichen Gegebenheiten als ungünstig einzustufen sind. Soweit die antragstellenden Parteien die Gleichheitswidrigkeit der angefochtenen Maßnahme (allein) darin sehen, dass das Infektionsrisiko in geschlossenen oder abdeckbaren Fahrbetriebsmitteln und geschlossenen Zugangsbereichen von Seil- und Zahnradbahnen nicht höher sei als in sonstigen Verkehrsmitteln oder in geschlossenen Räumen von öffentlichen Orten, verkennen sie zudem, dass die Frage der Übertragbarkeit des Virus zwar ein wichtiges, aber nicht das einzige Kriterium für die Entscheidung des Verordnungsgebers bei der Anordnung von Maßnahmen iSd COVID-19-MG darstellt.
Der BMSGPK hat auch mit dem schrittweisen Vorgehen, die Verpflichtung zum Tragen einer mit einem höheren Schutzstandard versehenen Atemschutzmaske zunächst nur für einzelne Bereiche vorzusehen und diese "Verschärfung" - unter Berücksichtigung des Infektionsgeschehens und aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse - in der Folge auf weitere Bereiche auszudehnen, seinen Entscheidungsspielraum nicht überschritten. Mit Inkrafttreten der 3. COVID-19-NotMV am 25.01.2021 hat der Verordnungsgeber die Verpflichtung zum Tragen einer FFP2-Maske vor dem Hintergrund der weiteren epidemiologischen Entwicklung im Übrigen auf zahlreiche Bereiche, insbesondere auch auf Massenbeförderungsmittel, ausgeweitet.
Keine Verletzung der Erwerbsfreiheit durch die Verpflichtung zum Tragen einer FFP2-Maske:
Die angefochtene Verpflichtung zum Tragen einer FFP2-Maske in §4 Abs3 Z1 2. COVID-19-NotMV hat ihre gesetzliche Grundlage in §3 Abs1 Z3 und Abs2 COVID-19-MG. §1 Abs5 Z3 COVID-19-MG steht der Anordnung zum Tragen einer mit einer spezifischen Schutzklasse ausgestatteten Mund-Nasen-Schutzmaske jedenfalls nicht entgegen. Der mit dieser Maßnahme verfolgte Zweck, die Verbreitung von COVID-19 zu verhindern und damit die Gesundheit der Menschen sowie die Gesundheitsinfrastruktur zu schützen, stellt ein gewichtiges öffentliches Interesse dar.
Dem BMSGPK ist nicht entgegenzutreten, wenn er vor dem Hintergrund der dokumentierten epidemiologischen Situation und der in den vorgelegten Verordnungsakten enthaltenen Entscheidungsgrundlagen diese - nicht sehr eingriffsintensive - Maßnahme im Zeitpunkt der Verordnungserlassung für geeignet und erforderlich hielt, um die Verbreitung mit COVID-19 zu verhindern. Dem Vorbringen, FFP2-Masken würden bei Nässeeinwirkung ihren Schutz verlieren, ist zu entgegnen, dass sich die angefochtene Verpflichtung zum Tragen einer FFP2-Maske auf geschlossene bzw abdeckbare Fahrbetriebsmittel und Bereiche von Seil- und Zahnradbahnen beschränkt.
Entscheidungstexte
Schlagworte
COVID (Corona), Bindung (des Verordnungsgebers), Determinierungsgebot, Verordnungserlassung, Legalitätsprinzip, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Individualantrag, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung, Erwerbsausübungsfreiheit, Rechtspolitik, GrundlagenforschungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:V617.2020Zuletzt aktualisiert am
31.01.2022