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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §9Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des F D, vertreten durch Rast & Musliu, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15. Juli 2021, W123 2215695-1/20E, betreffend Ausweisung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, (nunmehr) ein Staatsangehöriger der Republik Kosovo, beantragte nach seiner ersten Einreise in das Bundesgebiet am 30. August 2004 die Gewährung von Asyl. Diesen Antrag wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 2. Mai 2006 unter Zulässigerklärung der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Revisionswerbers nach Serbien-Montenegro, Provinz Kosovo, ab. Eine dagegen erhobene Berufung wurde letztlich als verspätet zurückgewiesen und die Behandlung einer gegen diese Entscheidung erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof abgelehnt (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0460).
2 Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 17. Juli 2009 wurde der im Bundesgebiet verbliebene Revisionswerber ausgewiesen. Seine dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis VwGH 24.9.2009, 2009/18/0348, als unbegründet abgewiesen.
3 Am 23. April 2016 heiratete der Revisionswerber in Österreich eine rumänische Staatsangehörige. Im Hinblick darauf wurde ihm eine bis zum 29. April 2021 gültige Aufenthaltskarte ausgestellt. Die Ehe wurde am 17. Jänner 2018 rechtskräftig geschieden.
4 Mit Bescheid vom 28. Jänner 2019 wies das gemäß § 55 Abs. 3 NAG von der Niederlassungsbehörde befasste Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Revisionswerber daraufhin gemäß § 66 Abs. 1 FPG aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.
5 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 28. Juli 2020 - ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab.
6 Mit Erkenntnis VwGH 11.3.2021, Ra 2020/21/0379, hob der Verwaltungsgerichtshof dieses Erkenntnis des BVwG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Der Verwaltungsgerichtshof wies zunächst darauf hin, dass der Revisionswerber nicht in Frage stellte, dass das ihm aufgrund der Ehe mit einer EWR-Bürgerin zugekommene Aufenthaltsrecht nach § 54 Abs. 1 NAG iVm § 52 Abs. 1 Z 1 NAG im Hinblick auf die Scheidung dieser Ehe nach einer Dauer von weniger als drei Jahren grundsätzlich nicht mehr bestehe und daher der Ausweisungstatbestand nach § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG verwirklicht wäre. Anschließend verneinte der Verwaltungsgerichtshof aber auch ausdrücklich das Vorliegen eines „Härtefalles“ iSd § 54 Abs. 5 Z 4 NAG, weil ein solcher aus dem (mit näheren Ausführungen) behaupteten alleinigen Verschulden seiner rumänischen Ehefrau an der Zerrüttung der Ehe nicht abzuleiten sei. Allerdings wäre das BVwG unter dem Blickwinkel der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG iVm § 66 Abs. 2 FPG zur Durchführung der beantragten Beschwerdeverhandlung verpflichtet gewesen. In ihrem Rahmen wären die Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers, in dieser Zeit ausgeübte Berufstätigkeiten und ein allfälliger aufrechter medizinischer Behandlungsbedarf nach der unbestrittenen Krebsbehandlung des Revisionswerbers zu ermitteln gewesen. Ebenso hätte sich das BVwG einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber und ein unmittelbares Bild von seinen aktuellen Deutschkenntnissen verschaffen müssen.
7 Im fortgesetzten Verfahren führte das BVwG am 24. Juni 2021, dem erteilten Auftrag entsprechend, eine mündliche Verhandlung durch, in der es den Revisionswerber insbesondere zu den eben genannten Themen befragte.
8 Unter Berücksichtigung der dabei erzielten Beweisergebnisse wies das BVwG mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 15. Juli 2021 die Beschwerde neuerlich als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
9 Das BVwG verwies dazu auf ab dem Jahr 2004 erfolgte Aufenthalte des unbescholtenen Revisionswerbers in Österreich, die allerdings durch Abwesenheiten, zunächst unter anderem in Ungarn - gemeinsam mit seiner damaligen ungarischen Ehefrau - zwischen Ende 2009 und Februar 2010 sowie danach zwischen 4. Dezember 2012 und 21. Juli 2015, unterbrochen worden seien. Als er in Österreich gelebt habe, sei der Revisionswerber, so lassen sich die Darstellungen des BVwG zusammenfassen, großteils berufstätig gewesen, wiederholt habe er allerdings auch Krankengeld, Arbeitslosenunterstützung, Notstandshilfe und Überbrückungshilfe bezogen.
10 Der Revisionswerber, dessen Cousine sich in Österreich aufhalte, habe keine Kinder, verfüge über Sozialkontakte und sei zuletzt wieder eine Beziehung eingegangen, wobei aber keine Wohngemeinschaft vorliege. Er habe keinen Deutschkurs besucht und spreche, wie sich in der Verhandlung gezeigt habe, nur wenig Deutsch. Im Kosovo lebten seine Eltern, mit denen er in Telefonkontakt stehe, weiters seine Geschwister mit ihren Familien.
11 Aus einem onkologisch unauffälligen Befund nach einer beim Revisionswerber am 31. Jänner 2018 vorgenommenen Tumorentfernung leitete das BVwG das Fehlen einer schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen aktuellen Erkrankung ab und verwies im Übrigen darauf, dass der Revisionswerber kein substantiiertes Vorbringen zum Erfordernis seiner weiteren medizinischen Behandlung in Österreich erstattet habe.
12 Im Rahmen seiner Interessenabwägung berücksichtigte das BVwG die dargestellten Gesichtspunkte, insbesondere die lange Aufenthaltsdauer, erachtete diese aber offenbar aufgrund der erwähnten, mehr als zweieinhalbjährigen Unterbrechung des Inlandsaufenthaltes als maßgeblich relativiert. Es verwies dazu nämlich auf rezente höchstgerichtliche Judikatur (VwGH 18.1.2021, Ra 2020/21/0528), wonach bei einer mehrjährigen Unterbrechung des Inlandsaufenthalts des Fremden nicht mehr von einer vergleichbaren Verdichtung der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen sei wie bei einem durchgehenden Aufenthalt von mehr als zehn Jahren. Unter weiterer Berücksichtigung im Einzelnen näher dargestellter Zeiten seines unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet, der geringen Deutschkenntnisse, der nicht durchgehenden Erwerbstätigkeit und des Fehlens eines in Österreich geführten Familienlebens gelangte das BVwG dann zum Ergebnis, dass das große öffentliche Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen das persönliche Interesse des Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet überwiege.
13 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig erweist.
14 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
15 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
16 Dazu argumentiert der Revisionswerber zunächst (neuerlich) mit dem Vorliegen eines „Härtefalles“ iSd § 54 Abs. 5 Z 4 NAG, woraus abzuleiten sei, dass sein Aufenthaltsrecht ungeachtet der Scheidung seiner mit einer rumänischen Staatsangehörigen geschlossenen Ehe erhalten geblieben sei.
17 Dabei übersieht der Revisionswerber allerdings, dass der Verwaltungsgerichtshof bereits im ersten Rechtsgang das Vorliegen eines derartigen „Härtefalles“ abschließend verneinte. An die in diesem Erkenntnis geäußerte Rechtsauffassung war, vom Fall einer wesentlichen Änderung der Sach- oder Rechtslage abgesehen, nicht nur das BVwG bei Erlassung des nunmehr bekämpften Erkenntnisses gemäß § 63 Abs. 1 VwGG gebunden, sondern das ist nunmehr auch der Verwaltungsgerichtshof im zweiten Rechtsgang (vgl. dazu etwa VwGH 15.10.2021, Ra 2021/05/0153, Rn. 9 bis 11, mwN).
18 Eine maßgebliche, diese Bindungswirkung durchbrechende Sachverhaltsänderung ist weder ersichtlich, noch wird eine solche in der Revision dargestellt.
19 Im Übrigen wendet sich der Revisionswerber nur mit ganz allgemein gehaltenen Ausführungen, vor allem unter Hinweis auf die „15-jährige“ Dauer seines Aufenthalts und die „im hohen Maß bestehende Integration“, gegen die Interessenabwägung des BVwG. Für die zuletzt genannte Behauptung bleibt die Revision, in der im Übrigen die maßgebliche Unterbrechung des Inlandsaufenthalts in der Dauer von mehr als zweieinhalb Jahren außer Acht gelassen wird, aber jede Konkretisierung schuldig.
20 In der Revision wird somit eine Unvertretbarkeit der nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Verwertung des persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber nach § 9 BFA-VG vorgenommenen Interessenabwägung nicht ausreichend dargetan (siehe zur Maßgeblichkeit des Vertretbarkeitskalküls für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B-VG aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 2.9.2021, Ra 2021/21/0089, Rn. 12, mwN) und insoweit daher keine fallbezogen relevante grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne der genannten Verfassungsbestimmung aufgezeigt.
21 Soweit die Revision schließlich auch nur mit allgemein gehaltenen Ausführungen Verfahrensfehler, insbesondere eine „antizipierende Beweiswürdigung“ und ein Übergehen von Beweisanträgen durch das BVwG, moniert, fehlt ebenfalls eine inhaltlich konkretisierende Darstellung, insbesondere einer möglichen Relevanz für den Ausgang des Verfahrens.
22 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 21. Dezember 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210275.L00Im RIS seit
29.01.2022Zuletzt aktualisiert am
24.02.2022