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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §21 Abs7Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des E Z, vertreten durch Mag. Bernhard Graf, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Rheinstraße 243, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27. März 2020, I403 2229834-1/2E, betreffend Ausweisung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein kosovarischer Staatsangehöriger, verfügte bei seiner Einreise nach Österreich im November 2015 über einen slowenischen Aufenthaltstitel. Wegen der noch im selben Monat geschlossenen Ehe mit einer italienischen Staatsangehörigen, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit in Österreich Gebrauch gemacht hatte, wurde ihm im Jänner 2016 eine Aufenthaltskarte als Angehöriger dieser EWR-Bürgerin ausgestellt. Die Ehe, der keine Kinder entstammen, wurde schließlich mit Beschluss des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 27. März 2017 im Einvernehmen rechtskräftig geschieden.
2 Mit Bescheid vom 10. Februar 2020 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG eine Ausweisung und erteilte ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat.
3 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 27. März 2020 als unbegründet ab und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 In seiner Begründung stellte das BVwG die Scheidung der Ehe, derentwegen dem Revisionswerber eine Aufenthaltskarte gemäß § 54 Abs. 1 NAG ausgestellt worden war, fest und legte ferner das Beschwerdevorbringen seinen Feststellungen zugrunde, wonach der Revisionswerber seit Jänner 2016 unselbständig erwerbstätig sei und „entsprechend enge familiäre und soziale Bindungen bzw. Beziehungen“ zu seinem Bruder, seinen namentlich näher genannten Onkeln und Tanten, Cousins und Cousinen sowie zu seinen Freunden, die alle in Österreich aufenthaltsberechtigt seien, bestehen würden.
5 Im Rahmen seiner Interessenabwägung verneinte das BVwG das Vorliegen eines Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK, da der Revisionswerber über die üblichen Familienbande hinausgehende Bindungen zu seinem Bruder und seinen weiteren Verwandten nicht behauptet habe und auch kein gemeinsamer Wohnsitz bestehe. Es sei ihm daher zumutbar, den Kontakt zu seinen Verwandten in Österreich über Besuche und diverse Kommunikationsmittel aufrechtzuerhalten. Bei einer relativ kurzen Aufenthaltsdauer, wie dies vorliegend der Fall sei, würde nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes lediglich eine außergewöhnliche Integration zur Unzulässigkeit einer „Rückkehrentscheidung“ unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK führen. Derart außergewöhnliche Umstände seien jedoch auch unter Berücksichtigung der Integrationsbemühungen des Revisionswerbers nicht gegeben, zumal er die Scheidung seiner Ehe - entgegen der Pflicht zur unverzüglichen Bekanntgabe gemäß § 54 Abs. 6 NAG - erst im Dezember 2019 der zuständigen Behörde mitgeteilt habe und er daher Integrationsschritte in den letzten drei Jahren im Bewusstsein eines unsicheren Aufenthaltsstatus gesetzt habe, weil er sich in diesem Zeitraum nicht mehr auf sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht habe berufen können. Das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung überwiege somit das persönliche Interesse des Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet.
6 Eine Verhandlung habe unterbleiben können, weil sich der Sachverhalt aus der Aktenlage ergebe und das Beschwerdevorbringen den Feststellungen „vollinhaltlich“ zugrunde gelegt worden sei. Aufgrund der erst viereinhalbjährigen Aufenthaltsdauer, der nur schwachen familiären Anknüpfungspunkte und der nicht besonders ausgeprägten Integration liege ein eindeutiger Fall vor, in dem die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber kein günstigeres Ergebnis erwarten lasse. Dies gelte auch für die beantragte Einvernahme seiner Verwandten, mit denen kein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK bestehe, weil dies unter Erwachsenen lediglich bei einer besonderen Abhängigkeit in Betracht komme, die hier jedoch nicht vorgebracht worden sei.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig erweist.
8 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
10 In dieser Hinsicht wendet sich die Revision gegen die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG und bemängelt, dass die „Wohngemeinschaft“ bzw. der „gemeinsame Wohnsitz“ des Revisionswerbers mit seinem in Österreich lebenden Bruder nicht berücksichtigt und somit die Interessenabwägung auf der Grundlage mangelhafter Tatsachenfeststellungen vorgenommen worden sei.
11 Dem ist zu entgegnen, dass das BVwG hinsichtlich der Lebensumstände des Revisionswerbers in Österreich das diesbezügliche Beschwerdevorbringen den Feststellungen zugrunde legte, der Revisionswerber aber nicht vorgebracht hatte, sich mit seinem Bruder in einer „Wohngemeinschaft“ bzw. an einem „gemeinsamen Wohnsitz“ - im Sinne eines maßgeblichen Zusammenlebens in einem gemeinsamen Haushalt - zu befinden. Insoweit handelt es sich daher um eine gemäß § 41 VwGG unzulässige und daher unbeachtliche Neuerung. Somit geht auch die in diesem Zusammenhang erhobene Rüge des Revisionswerbers, das BVwG habe die Adressen seiner Verwandten in den Feststellungen „zu Zwecken der Anonymisierung“ gelöscht und dadurch die „Wohngemeinschaft“ mit seinem Bruder unberücksichtigt gelassen, ins Leere. Im Übrigen erweisen sich die in der Beschwerdeschrift enthaltenen Adressen des Revisionswerbers und seines Bruders in Bezug auf die benützten Wohnungen als nicht ident, sodass nicht gesagt werden kann, nach den Angaben in der Beschwerde hätte die Annahme eines gemeinsamen Haushaltes auf der Hand gelegen. Davon abgesehen würde der bloße Hinweis auf das Bestehen einer „Wohngemeinschaft“ allein noch nicht die Richtigkeit der Annahme des BVwG in Zweifel ziehen, die Beziehung des Revisionswerbers zu seinem Bruder gehe über die üblichen familiären Bindungen unter Erwachsenen nicht hinaus. Eine über dieses Maß hinausreichende besondere Beziehungsintensität legte der Revisionswerber weder im Hinblick auf das Verhältnis zu seinem Bruder noch auf jenes zu den weiteren Verwandten dar (siehe im Übrigen zur untergeordneten Bedeutung der Unterscheidung zwischen „Privatleben“ und „Familienleben“ im Sinne der Z 2 und Z 3 des § 9 Abs. 2 BFA-VG sowie zur Maßgeblichkeit der tatsächlich bestehenden Verhältnisse bei der vorzunehmenden Gesamtabwägung VwGH 30.4.2021, Ra 2021/21/0112, Rn. 8, mwN).
12 Des Weiteren macht die Revision geltend, dass das BVwG zu Unrecht von der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen habe.
13 Entgegen diesem Vorbringen war es aber nicht unvertretbar, dass das BVwG im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG von einem aus der Aktenlage geklärten Sachverhalt ausgegangen ist. Da der Revisionswerber nicht in Frage stellte, dass das ihm aufgrund der Ehe mit einer EWR-Bürgerin zugekommene Aufenthaltsrecht nach § 54 Abs. 1 NAG iVm § 52 Abs. 1 Z 1 NAG im Hinblick auf die Scheidung dieser Ehe nach einer Dauer von weniger als drei Jahren grundsätzlich nicht mehr besteht und daher der Ausweisungstatbestand nach § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG verwirklicht ist, stellte sich der Fall angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und dem vom BVwG ohnehin zugrunde gelegten Vorbringen des Revisionswerbers zu seinen Lebensverhältnissen im Bundesgebiet in seiner Beschwerde als so eindeutig dar, dass es auch nicht der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bedurfte (vgl. etwa VwGH 17.5.2021, Ra 2021/21/0147, Rn. 8, mwN). Auch die Abstandnahme von der beantragten Einvernahme näher genannter Verwandter des Revisionswerbers ist in Anbetracht des Umstandes, dass mit deren zeugenschaftlicher Befragung lediglich das vom BVwG ohnedies den Feststellungen zugrunde gelegte Vorbringen bewiesen werden sollte, nicht zu beanstanden.
14 Bei der weiteren, lediglich pauschalen Behauptung in der Revision, das BVwG habe die in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet, unterbleibt jede Konkretisierung, sodass darauf nicht einzugehen ist.
15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 21. Dezember 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210161.L00Im RIS seit
29.01.2022Zuletzt aktualisiert am
10.02.2022