Entscheidungsdatum
23.12.2021Norm
AlVG §10Spruch
W141 2249691-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard HÖLLERER als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Rebecca FIGL-GATTINGER und
Josef HERMANN als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX ,
geb. XXXX , VN XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice
Korneuburg vom 13.12.2021, betreffend den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und Abs. 2 iVm § 13 Abs. 2 und Abs. 5 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) idgF als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Bescheid vom 03.12.2021 wurde vom Arbeitsmarktservice Korneuburg (in der Folge belangte Behörde genannt) der Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe im Zeitraum von 09.11.2021 bis 03.01.2022 ausgesprochen. Als Begründung wurde das verschuldete Nichtzustandekommen einer Beschäftigung als Bekleidungsverkäuferin durch die Beschwerdeführerin angeführt. Gründe für eine Nachsicht konnten nicht berücksichtigt werden.
2. Mit Schreiben der Beschwerdeführerin via eAMS vom 08.12.2021 langte die Beschwerde gegen den Bescheid vom 03.12.2021 bei der belangten Behörde ein. Im Wesentlichen führte die Beschwerdeführerin darin aus, dass sie kein Verschulden am Nichtzustandekommen des Arbeitsverhältnisses habe, da sie auf ihren E-Mail Account nicht mehr zugreifen und keine Nachrichten erhalten könne, da der Betreiber ihre E-Mail-Adresse gesperrt habe. Außerdem habe sie der belangten Behörde bereits mitgeteilt, dass sie für die übermittelte Stelle bzw. diese Branche aufgrund persönlicher gesundheitlicher Einschränkungen nicht geeignet sei. Sie sehe weiters ein mangelndes Interesse von ihrem Betreuer, da dieser die genannten Punkte nicht berücksichtige und auch sonst wenig Interesse zeige.
3. Mit Bescheid vom 13.12.2021 schließt die belangte Behörde die aufschiebende Wirkung gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG idgF aufgrund der rechtzeitig eingebrachten Beschwerde aus und stellt die Leistung im Zeitraum vom 09.11.2021 bis 03.01.2022 ein.
Begründend führte die belangte Behörde – nach Wiedergabe der gesetzlichen Bestimmungen – aus, dass die Entscheidung über Zuerkennung bzw. Aberkennung der aufschiebenden Wirkung das Ergebnis einer im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung sei. Dazu wird festgestellt, dass die Beschwerdeführerin bereits seit 02.10.2019 eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung beziehe, sohin Langzeitarbeitslosigkeit vorliegt, und bei ihr bereits die zweite Sanktion gemäß § 10 AlVG seit der zuletzt erworbenen Anwartschaft bzw. innerhalb von 12 Monaten verhängt wurde, was die Einbringlichkeit der Forderung bei vorläufiger Anweisung der Leistung als gefährdet erscheinen lässt.
Eine aufschiebende Wirkung würde daher den aus generalpräventiven Gründen im öffentlichen Interesse gelegenen Normzweck unterlaufen. Insgesamt dient dieses Vorgehen dem gerechtfertigten Ziel der Verhinderung der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Aus diesem Grund überwiegt in diesem Fall das öffentliche Interesse gegenüber dem mit der Beschwerde verfolgten Einzelinteresse. Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde ist daher entsprechend der Interessensabwägung auszuschließen.
4. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde am 20.12.2021 und führte im Wesentlichen begründend aus, dass bei ihr keine Langzeitarbeitslosigkeit vorliege, wie es im Bescheid vom 13.12.2021 begründet wurde. Sie habe im vorigen Jahr von 27.11.2020 bis 25.01.2021 ein Arbeitsverhältnis gehabt. Beweiswürdigend wurde ein Dienstzeugnis von der alten Arbeitsstelle mitgeschickt.
5. Aufgrund des als Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung zu wertenden Antrages auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wurde die gegenständliche Beschwerde gemäß § 13 Abs. 5 VwGVG unter Anschluss der Akten des Verfahrens am 21.12.2021 ho. einlangend dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Es liegt eine Erklärung vor, dass die belangte Behörde von ihrem Recht, eine Beschwerdevorentscheidung zu erlassen, nicht absehe.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (entscheidungswesentlicher Sachverhalt):
Die belangte Behörde und das BVwG haben die notwendigen Ermittlungen des maßgeblichen Sachverhaltes ausreichend durchgeführt. Auf dieser Grundlage werden folgende Feststellungen getroffen und der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.
Die Beschwerdeführerin steht mit Unterbrechungen seit 16.06.2006 in Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Sie übte in den letzten Jahren geringfügige Dienstverhältnisse aus oder dauerten diese ein Monat bis maximal knapp 4 Jahren.
Mit Bescheid vom 03.12.2021 wurde die Notstandshilfe für den Zeitraum 09.11.2021 bis 03.01.2022 aberkannt. Dies deshalb, da die Beschwerdeführerin die von der belangten Behörde zugewiesene, zumutbare Beschäftigung als Bekleidungsverkäuferin durch Verschulden der Beschwerdeführerin nicht zustande kam. Gründe für eine Nachsicht liegen nicht vor bzw. konnten nicht berücksichtigt werden.
Die Beschwerdeführerin brachte nunmehr am 08.12.2021 Beschwerde hinsichtlich des Ausschlusses der Notstandshilfe von 09.11.2021 bis 03.01.2022 ein. Im Wesentlichen führte die Beschwerdeführerin darin aus, dass sie kein Verschulden am Nichtzustandekommen des Arbeitsverhältnisses habe, da sie auf ihren E-Mail Account nicht mehr zugreifen und keine Nachrichten erhalten könne, da der Betreiber ihre E-Mail-Adresse gesperrt habe. Sie habe weiters auch die E-Mail-Adresse nicht mehr. Außerdem habe sie der belangten Behörde bereits mitgeteilt, dass sie für die übermittelte Stelle bzw. diese Branche in einem Bekleidungsgeschäft aufgrund einer Allergie auf bestimmte Stoffe, sowie einer bereits im Kinderalter festgestellten Blindheit auf einem Auge nicht geeignet sei. Sie sehe weiters ein mangelndes Interesse von ihrem Betreuer, da dieser die genannten Punkte nicht berücksichtige und auch sonst wenig Interesse zeige bzw. Hilfestellung gäbe.
Aufgrund dieser Beschwerde vom 03.12.2021 erließ die belangte Behörde am 13.12.2021 einen Bescheid, indem die aufschiebende Wirkung aufgrund der rechtzeitig eingebrachten Beschwerde vom 08.12.2021 ausgeschlossen wird. Begründet wurde der Ausschluss damit, dass die zugewiesene, zumutbare Beschäftigung durch Verschulden der Beschwerdeführerin nicht zustande gekommen sei. Weiters wurde ausgeführt, dass die Entscheidung über Zuerkennung bzw. Aberkennung der aufschiebenden Wirkung das Ergebnis einer im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung sei. Dazu wird festgestellt, dass die Beschwerdeführerin bereits seit 02.10.2019 eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung beziehe, sohin Langzeitarbeitslosigkeit vorliegt, und bei ihr bereits die zweite Sanktion gemäß § 10 AlVG seit der zuletzt erworbenen Anwartschaft bzw. innerhalb von 12 Monaten verhängt wurde, was die Einbringlichkeit der Forderung bei vorläufiger Anweisung der Leistung als gefährdet erscheinen lässt.
Eine aufschiebende Wirkung würde daher den aus generalpräventiven Gründen im öffentlichen Interesse gelegenen Normzweck unterlaufen. Insgesamt dient dieses Vorgehen dem gerechtfertigten Ziel der Verhinderung der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Aus diesem Grund überwiegt in diesem Fall das öffentliche Interesse gegenüber dem mit der Beschwerde verfolgten Einzelinteresse. Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde ist daher entsprechend der Interessensabwägung auszuschließen.
Gegen den Bescheid vom 13.12.2021 erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht am 20.12.2021 Beschwerde. In dieser führte sie im Wesentlichen aus, dass sie nicht langzeitarbeitslos sei, da sie eine Beschäftigung im letzten Jahr hatte. Beweiswürdigend wurde ein Dienstzeugnis der Arbeitsstätte beigefügt.
Aufgrund der Beschwerde vom 20.12.2021 gegen den Bescheid vom 13.12.2021 wurde der Verwaltungsakt gemäß § 13 Abs. 5 VwGVG dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt. Dieser langte am 21.12.2021 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
2. Beweiswürdigung:
Der unter I. angeführte Verfahrensgang und der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt und dem vorgelegten Verfahrensakt der belangten Behörde.
Mit den beiden Erkenntnissen vom 07.09.2017 (Ra 2017/08/0081 sowie Ra 2017/08/0065) hat der Verwaltungsgerichtshof festgestellt, dass auch über Beschwerden gegen Bescheide der regionalen Geschäftsstelle des AMS, mit denen die aufschiebende Wirkung ausgeschlossen wurde, gemäß § 56 Abs. 2 AlVG durch einen Senat zu entscheiden ist (Entscheidungsgründe siehe auch § 43 Abs. 2 VwGG).
Laut vorgelegten Verfahrensakt liegt bei der Beschwerdeführerin seit vielen Jahren Langzeitarbeitslosigkeit in Verbindung mit einigen vorliegenden Sperrfristen vor.
3. Rechtliche Beurteilung:
Anzuwendendes Recht:
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit. § 56 Abs. 2 AlVG normiert die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Die entsprechende Anordnung einer Senatszuständigkeit enthält § 56 Abs. 2 AlVG, wonach das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle durch einen Senat entscheidet, dem zwei fachkundige Laienrichter angehören, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und einer aus dem Kreis der Arbeitnehmer.
Gemäß § 7 BVwGG bestehen die Senate aus einem Mitglied als Vorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern als Beisitzern. Ist in Materiengesetzen die Mitwirkung fachkundiger Laienrichter an der Rechtsprechung vorgesehen, sind diese anstelle der Mitglieder nach Maßgabe der Geschäftsverteilung als Beisitzer heranzuziehen.
In der gegenständlichen Rechtssache obliegt somit die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Senat.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.).
Gemäß § 9 Abs. 2 Z 1 VwGVG ist belangte Behörde in den Fällen des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG jene Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat – vorliegend sohin das AMS.
Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 27 VwGVG legt den Prüfungsumfang fest und beschränkt diesen insoweit, als das Verwaltungsgericht (bei Bescheidbeschwerden) prinzipiell (Ausnahme: Unzuständigkeit der Behörde) an das Beschwerdevorbringen gebunden ist (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren [2013], Anm. 1 zu § 27 VwGVG). Konkret normiert die zitierte Bestimmung: „Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.“
Die zentrale Regelung zur Frage der Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte bildet
§ 28 VwGVG. Die vorliegend relevanten Abs. 1 und 2 dieser Bestimmung lauten wie folgt:
„§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im
Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist“.
Gegenständlich steht der maßgebliche Sachverhalt im Sinne von § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG fest (vgl. zuvor Punkt II.1.). Das Bundesverwaltungsgericht hat folglich in der Sache selbst zu entscheiden.
Zu A)
1. Zur Entscheidung in der Sache:
Gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG kann die Behörde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde ausschließen, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides oder die Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung wegen periculum in mora dringend geboten ist.
Nach § 13 Abs. 5 VwGVG hat die Behörde die Beschwerde gegen einen Bescheid gemäß Abs. 2 - sofern sie nicht als verspätet oder unzulässig zurückzuweisen ist - dem Verwaltungsgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens unverzüglich vorzulegen.
Das Verwaltungsgericht hat über eine Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung unverzüglich, also ohne unnötigen Aufschub und ohne schuldhaftes Zögern zu entscheiden (VwGH 10.10.2014, Ro 2014/02/0020).
Das Verwaltungsgericht hat über eine Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung ohne weiteres Verfahren, also ohne Setzung der sonst üblichen Verfahrensschritte (wie Gewährung von Parteiengehör oder Durchführung einer Verhandlung) zu entscheiden (VwGH 01.09.2014, Ra 2014/03/0028).
Im Rahmen der vorzunehmenden Interessensabwägung sind die Interessen der Beschwerdeführerin am Erfolg ihres Rechtsmittels gegen die berührten öffentlichen Interessen und allfällige Interessen anderer Parteien abzuwägen. Es ist als erster Schritt zu prüfen, ob ein Überwiegen der berührten öffentlichen oder der Interessen anderer Parteien gegenüber den Interessen der Beschwerdeführerin vorliegt.
Überwiegen die berührten öffentlichen Interessen oder die Interessen anderer Parteien, so muss in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob der vorzeitige Vollzug wegen periculum in mora dringend geboten ist.
Was die Voraussetzungen für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nach
§ 13 Abs. 2 VwGVG anbelangt, entsprechen diese großteils jenen, die § 64 Abs. 2 AVG normiert (vgl. Lehhofer, Die aufschiebende Wirkung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, ÖJZ 2014, S. 5 ff.). Auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage weisen darauf hin, dass
§ 13 VwGVG weitgehend der Bestimmung des § 64 AVG nachgebildet wurde (RV 2009 BlgNR 24. GP). Wie auch dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 01.09.2014, Zl. 2014/03/0028, zu entnehmen ist, kann somit ohne weiteres auf die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zurückgegriffen werden, um die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung an Hand der dort aufgestellten Kriterien zu überprüfen.
Dementsprechend genügt es für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Berufung nicht, dass ein Interesse einer Partei oder des öffentlichen Wohles an der vorzeitigen Vollstreckung des Bescheides besteht, sondern es muss darüber hinaus noch die Umsetzung des Bescheides in die Wirklichkeit wegen periculum in mora dringend geboten sein (Hengstschläger/Leeb, AVG, zu § 64 Rz 31).
Die Annahme, dass periculum in mora vorliegt, bedingt eine sachverhaltsbezogene fachliche Beurteilung durch die Behörde (Eder/Martschin/Schmid, Verwaltungsgerichte, K10 f. zu § 13 VwGVG mH auf die Erkenntnisse des VwGH vom 24.05.2002, Zl. 2002/18/0001, und vom 22.03.1988, Zl. 87/07/0108). Die Gefahr muss konkret bestehen (Hengstschläger/Leeb, AVG zu § 64 Rz 31).
Periculum in mora bedeutet, dass den berührten öffentlichen Interessen oder den Interessen einer anderen Partei (als der Beschwerdeführerin) ein derart gravierender Nachteil droht, dass die vorzeitige Vollstreckung des Bescheides dringend geboten ist (VwGH 24.5.2002, 2002/17/0001) (vgl. auch Eder/Martschin/Schmid Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, Verlag NVW, 2. überarbeitete Auflage 2017; K1, K12, K18, K19, E10, zu § 13 VwGVG).
Schließlich hat auch der Verwaltungsgerichtshof bereits im obzit. Beschluss vom 01.09.2014, Zl. Ra 2014/03/0028, im Zusammenhang mit einer Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG klargestellt, dass die Entscheidung über Zuerkennung bzw. Aberkennung der aufschiebenden Wirkung jedenfalls das Ergebnis einer im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung ist.
Die vorliegende Beschwerde ist als rechtzeitig und zulässig zu beurteilen.
Prüfung relevanter Interessen:
Nach ständiger Judikatur des Verfassungsgerichtshofes müssen gemäß dem rechtstaatlichen Prinzip alle Akte staatlicher Organe im Gesetz und mittelbar in der Verfassung begründet sein. Unter dem Aspekt des rechtsstaatlichen Prinzips geht es nicht an, den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit allen Folgen einer potenziell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung so lange zu belasten, bis sein Rechtschutzgesuch endgültig erledigt ist. Dem Grundsatz der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfes kommt der Vorrang zu. Deren Einschränkung ist nur aus sachlich gebotenen triftigen Gründen zulässig.
In diesem Gesamtzusammenhang ist nicht jegliches öffentliches Interesse relevant. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Gesetze etwa genügt nicht. Es muss sich um besonderes öffentliches Interesse handeln, aus dem wegen der besonderen triftigen Gründe des konkreten Falls die vorzeitige Vollstreckung der angefochtenen Entscheidung sachlich geboten ist (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG, Verlag Manz, RZ 29 zu § 64 AVG, welcher der hier zu beurteilenden Bestimmung insoweit gleichgelagert ist).
In seinem Erkenntnis vom 02.12.2014, G 74/2014 hat der Verfassungsgerichtshof § 56 Abs. 3 AlVG idf BGBl I Nr 71/2013 (der einen grundsätzlichen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung und die Möglichkeit einer Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das Verwaltungsgericht nach Prüfung der Erfolgsaussichten der Beschwerde sowie einer Prognose über die Einbringlichkeit allfälliger Rückforderungen vorgesehen hatte) als verfassungswidrig aufgehoben. Im Rahmen der Begründung hat der Verfassungsgerichtshof ausgeführt, die genannte Bestimmung habe erkennen lassen, dass der Gesetzgeber das Interesse der Versichertengemeinschaft und die Einbringlichkeit von (vermeintlich) zu Unrecht gewährten Leistungen an den einzelnen Versicherten - ohne Zuwarten auf eine rechtskräftige Entscheidung im Fall der Bekämpfung eines Bescheides - besonders stark gewichtet hat. Der Verfassungsgerichtshof selbst hat diese Gesichtspunkte für sich genommen, als erheblich beurteilt (hat jedoch insbesondere kritisiert, dass es die genannte Bestimmung nicht zugelassen habe, die Interessen der Versichertengemeinschaft mit den Interessen anderer Verfahrensparteien abzuwägen) (vgl. Eder/Martschin/Schmid Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, Verlag NVW, 2. überarbeitete Auflage 2017; E11 zu § 13 VwGVG).
§ 13 Abs 2 VwGVG fordert eine Interessensabwägung im eben genannten Sinn.
Allgemein ist festzuhalten, dass das Arbeitslosenversicherungsrecht bezweckt, arbeitslos gewordene Versicherte durch Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern und in die Lage zu versetzen, den Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. § 10 AlVG sanktioniert durch befristeten Leistungsausschluss diejenigen Personen, die erforderliche Anstrengungen zur Beendigung der Arbeitslosigkeit schuldhaft unterlassen oder vereiteln.
Die Entscheidung über Zuerkennung bzw Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ist das Ergebnis einer im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung. Dazu wird festgestellt, dass die Beschwerdeführerin bereits seit 02.10.2019 eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung bezieht, sohin Langzeitarbeitslosigkeit vorliegt, und bei ihr bereits die zweite Sanktion gemäß § 10 AlVG seit der zuletzt erworbenen Anwartschaft bzw. innerhalb von 12 Monaten verhängt wurde, was die Einbringlichkeit der Forderung bei vorläufiger Anweisung der Leistung als gefährdet erscheinen lässt.
Die belangte Behörde begründete den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung daher nachvollziehbar damit, dass dies aus generalpräventiven Gründen im öffentlichen Interesse gelegenen Normzweck unterlaufe. Insgesamt dient dieses Vorgehen dem gerechtfertigten Ziel der Verhinderung der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Leistungen der Arbeitslosenversicherung.
Aus diesem Grund überwiegt in diesem Fall das öffentliche Interesse gegenüber dem mit der Beschwerde verfolgten Einzelinteresse. Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde ist daher entsprechend der Interessensabwägung auszuschließen.
Wie bereits angeführt, reicht es für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung jedoch nicht aus, wenn ein Interesse einer Partei oder des öffentlichen Wohles an der vorzeitigen Vollstreckung besteht. Vielmehr muss darüber hinaus noch die Umsetzung des Bescheides in der Wirklichkeit wegen periculum in mora dringend geboten sein.
Prüfung von periculum in mora:
Während der vom Verfassungsgerichtshof in Prüfung gezogene § 56 Abs 3 AlVG idf BGBl I Nr 71/2013 das Erfordernis von periculum in mora nicht thematisiert hatte, fordert § 13 Abs 2 VwGVG ausdrücklich und zusätzlich zum Bestehen eines relevanten Interesses im oben dargelegten Sinn das Bestehen von periculum in mora:
Zufolge § 13 Abs 2 VwGVG genügt es für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels nicht, dass ein relevantes Interesse einer Partei oder des öffentlichen Wohles an der vorzeitigen Umsetzung der angefochtenen Entscheidung besteht. Das genannte Interesse muss wegen periculum in mora dringend geboten sein: Bei Aufschub der Vollstreckung der angefochtenen Entscheidung muss ein erheblicher Nachteil für die Partei oder ein gravierender Nachteil für das öffentliche Wohl drohen. Die Gefahr des gravierenden Nachteils muss für den Fall des Zuwartens konkret bestehen. Ein konkretes Beispiel der höchstgerichtlichen Anerkennung von periculum in mora: Entzug der Lenkerberechtigung mangels Verkehrszuverlässigkeit (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG, Verlag Manz, RZ 31 zu § 64 AVG, welcher der hier zu beurteilenden Bestimmung insoweit gleichgelagert ist).
Die Annahme von periculum in mora impliziert also die Annahme, dass ein konkreter erheblicher und nicht wieder gut zu machender Schaden drohen würde und dass die Vermeidung dieser Gefahr rasches Handeln erfordern würde.
Die belangte Behörde hat das Interesse der Versichertengemeinschaft an einer Maßnahme zur Generalprävention mit dem Ziel der Verhinderung missbräuchlicher Inanspruchnahme von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung ins Treffen geführt. Begründend wurde von der belangten Behörde angeführt, dass die Beschwerdeführerin bereits seit Jahren Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beziehe. Der Umstand der Langzeitarbeitslosigkeit in Verbindung mit Arbeitsunwilligkeit lasse eine Gewährung der aufschiebenden Wirkung nicht zu. Daher würde das öffentliche Interesse gegenüber dem mit der Beschwerde verfolgten Einzelinteresse überwiegen.
Im gegenständlichen Kontext ist zu berücksichtigen, dass das Verwaltungsgericht gemäß § 13 Abs. 5 letzter Satz VwGVG – was die Frage der Zulässigkeit des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung anbelangt – „ohne weiteres Verfahren“ unverzüglich zu entscheiden hat (vgl. dazu Dünser, Beschwerde und Vorverfahren bei der Behörde, ZUV 2013, 12 ff.). Das bedeutet, dass das Verwaltungsgericht (gleichsam einem Eilverfahren) ohne Setzung der sonstigen üblichen Verfahrensschritte über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erkennen kann (vgl. Eder/Martschin/Schmid, K17 zu § 13 VwGVG). „Unverzüglich“ und „ohne weiteres Verfahren“ bedeutet wohl, ohne jede Möglichkeit, ergänzende Sachverhaltsfeststellungen zu treffen (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Anm. 8 zu § 13).
Insofern verbietet sich im vorliegenden Fall auch die Durchführung ergänzender Ermittlungen, inwieweit im vorliegenden Fall tatsächlich eine konkrete periculum in mora zur Abwehr eines drohenden Nachteils besteht.
Nach Maßgabe des vorliegenden Sachverhaltes vermag das Bundesverwaltungsgericht jedoch davon auszugehen, dass der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides wegen periculum in mora dringend geboten ist, zumal sich hierfür auch aus dem übermittelten Verwaltungsakt Anhaltspunkte ergeben.
Aus dem vorliegenden Sachverhalt ist abzuleiten, dass im konkreten Fall (und nur dieser konkrete Fall bildet den Gegenstand der hier zu treffenden Entscheidung) aus dem Eintritt der aufschiebenden Wirkung eine konkrete Gefahr für die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit ausgehen würde. Periculum in mora iSd § 13 Abs 2 VwGVG ist im vorliegenden Fall daher gegeben. Der vorliegende Fall rechtfertigt eine Einschränkung des rechtsstaatlich gebotenen Grundsatzes der faktischen Effizienz eines erhobenen Rechtsmittels.
Ergebnis:
Aufgrund des Bestehens von periculum in mora war im vorliegenden Fall jedenfalls (also selbst ohne Annahme einer stärkeren Gewichtung des öffentlichen Interesses gegenüber dem privaten Interesse der Beschwerdeführerin) der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung auszusprechen. Eine weitere Auseinandersetzung mit der von § 13 Abs. 2 VwGVG geforderten Interessenabwägung kann somit entfallen.
Die Beschwerde ist daher als unbegründet abzuweisen.
Keine Vorwegnahme der Entscheidung über die Hauptsache:
Das Bundesverwaltungsgericht weist ausdrücklich darauf hin, dass mit dem gegenständlichen Erkenntnis eine Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweg genommen wird und die Entscheidung über den bekämpften Bescheid vom 03.12.2021 zu einem späteren Zeitpunkt gesondert erfolgt.
Die vorliegende Entscheidung beschränkt sich auf die Frage der aufschiebenden Wirkung.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A) wiedergegeben.
Da der Verwaltungsgerichtshof in seinem eingangs angeführten Erkenntnis Ra 2017/08/0081 vom 07.09.2017 nicht auf die weiteren Revisionsvorbringen ergangene ist, liegt kein Hinweis auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Es ist somit spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
aufschiebende Wirkung - Entfall Generalprävention Interessenabwägung öffentliche InteressenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W141.2249691.1.00Im RIS seit
28.01.2022Zuletzt aktualisiert am
28.01.2022