TE Bvwg Erkenntnis 2021/12/28 W132 2244953-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.12.2021
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Entscheidungsdatum

28.12.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W132 2244953-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula GREBENICEK als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Regina BAUMGARTL als Beisitzerinnen, über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , bevollmächtigt vertreten durch XXXX gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40, § 41 und § 45 Bundesbehindertengesetz (BBG), zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

Dem Antrag vom 19.11.2020 wird stattgegeben. Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses liegen auf Grund des in Höhe von 70 (siebzig) von Hundert (vH) festgestellten Grades der Behinderung vor.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:
1.         Am 19.11.2020 hat der Beschwerdeführer beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) unter Vorlage eines Befundkonvolutes einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gestellt.
1.1.         Zur Überprüfung des Antrages wurde von der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 05.02.2021, mit dem Ergebnis eingeholt, dass der Grad der Behinderung in Höhe von 30 vH bewertet wurde.
1.2.         Im Rahmen des gemäß § 45 Abs. 3 AVG erteilten Parteiengehörs wurden vom Beschwerdeführer Einwendungen erhoben und weitere medizinische Beweismittel in Vorlage gebracht.
1.3.         Zur Überprüfung der Einwendungen wurde von der belangten Behörde vom bereits befassten Sachverständigen, Dr. XXXX , basierend auf der Aktenlage, eine mit 15.03.2021 datierte medizinischen Stellungnahme mit dem Ergebnis eingeholt, dass die erhobenen Einwendungen und vorgelegten Beweismittel nicht geeignet seien, eine geänderte Beurteilung zu begründen.
1.4.         Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40, § 41 und § 45 BBG abgewiesen und einen Grad der Behinderung in Höhe von 30 vH festgestellt.
2.         Gegen diesen Bescheid wurde von der bevollmächtigten Vertretung des Beschwerdeführers fristgerecht Beschwerde erhoben. Unter Vorlage von Beweismitteln wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der Beschwerdeführer an Impingementsyndrom der Schultern beidseits bei Tendopathie der RM, Gonalgie beidseits, Kreuzschmerzen beidseits, Polyneuropathie in den unteren und oberen Extremitäten beidseits, Diabetes mellitus Typ II, Adipositas, multiplen Gelenksbeschwerden (Schulter- und Hüftgelenke beidseits), Gesichtsschmerz links, Osteoarthritis, ischiämischer Herzerkrankung, instabiler Angina Pectoris und Nod. Haem leide. Daraus würden erhebliche Funktionseinschränkungen resultieren und es sei dem Beschwerdeführer nicht möglich eine Wegstrecke von 10 m zurückzulegen. Er sei zur Fortbewegung auf die Benützung eines Rollstuhles angewiesen. Auf Grund der Polyneuropathie und der orthopädischen Gesundheitsschädigungen leide der Beschwerdeführer an ständigen Schmerzen. Der Diabetes habe sich verschlechtert. Die Gesundheitsschädigungen – insbesondere die Polyneuropathie – seien mit einem höheren Grad der Behinderung zu bewerten. Auch liege eine negative wechselseitige Leidensbeeinflussung zwischen den Gesundheitsschädigungen vor und sei daher ein Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 50 vH gerechtfertigt.
2.1.         In der Folge hat die belangte Behörde zur Überprüfung der Beschwerde ein Sachverständigengutachten vom bereits befassten Sachverständigen Dr. XXXX , basierend auf der Aktenlage, datiert mit 17.05.2021 mit dem Ergebnis eingeholt, dass der Grad der Behinderung in Höhe von 50 vH bewertet wurde.
2.2.         Mit Schreiben vom 21.05.2021 wurden von der bevollmächtigten Vertretung weitere medizinische Beweismittel in Vorlage gebracht.
2.3.         Zur Überprüfung der Beweismittel hat die belangte Behörde vom bereits befassten Sachverständigen Dr. XXXX , ein Sachverständigengutachten basierend auf der Aktenlage, datiert mit 15.06.2021 mit dem Ergebnis eingeholt, dass der Grad der Behinderung weiterhin in Höhe von 50 vH bewertet wurde.
2.4.         Mit Schreiben vom 16.06.2021 wurden von der bevollmächtigten Vertretung weitere medizinische Beweismittel in Vorlage gebracht.
2.5.         Zur Überprüfung der Beweismittel hat die belangte Behörde ein Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Fachärztin für Augenheilkunde, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 25.06.2021, und ein zusammenfassendes Gutachten von Dr. XXXX , datiert mit 06.07.2021, mit dem Ergebnis eingeholt, dass der Grad der Behinderung weiterhin in Höhe von 50 vH bewertet wurde.
2.6.         Am 29.06.2021 wurden von der bevollmächtigten Vertretung weitere medizinische Beweismittel in Vorlage gebracht.
2.7.         Zur Überprüfung der Beweismittel hat die belangte Behörde neuerlich ein auf der Aktenlage basierendes Sachverständigengutachten incl. Zusammenfassung von Dr. XXXX , datiert mit 29.07.2021 und 01.08.2021, mit dem Ergebnis eingeholt, dass der Grad der Behinderung in Höhe von 70 vH bewertet wurde.
3.         Mit dem – im Bundesverwaltungsgericht am 03.08.2021 eingelangten – Schreiben vom 02.08.2021 hat die belangte Behörde den Verwaltungsakt und die Beschwerde vorgelegt.
3.1.         Im Rahmen des vom Bundesverwaltungsgericht gemäß § 17 VwGVG iVm § 45 Abs. 3 AVG mit Hinweis auf die Neuerungsbeschränkung am 19.10.2021 gemäß § 46 BBG erteilten Parteiengehörs haben weder die belangte Behörde noch der Beschwerdeführer Einwendungen erhoben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Da sich der Beschwerdeführer mit dem im angefochtenen Bescheid festgestellten Grad der Behinderung nicht einverstanden erklärt hat, war dieser zu überprüfen.

1.       Feststellungen:
1.1.         Der Beschwerdeführer erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz im Inland.
1.2.         Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 70 vH.
1.2.1. Beurteilung der Funktionseinschränkungen:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Degenerative Abbauerscheinungen im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates bei Adipositas per magna

Wahl dieser Position mit dem oberen Rahmensatz, da Mehrgelenksbeteiligung sowohl an beiden unteren als auch an beiden oberen Extremitäten.

02.02.02

40

02

Diabetische Polyneuropathie

Oberer Rahmensatz, da sensomotorische Symptomatik mit deutlicher Gangstörung.

04.06.01

40 vH

03

Permanentes Vorhofflimmern bei koronarer Herzkrankheit

Heranziehung dieser Position, da Notwendigkeit einer medikamentösen Blutverdünnungsbehandlung. Unterer Rahmensatz, da ohne signifikante Herabsetzung der Pumpunktion.

05.02.01

30 vH

04

Diabetes mellitus

Heranziehung dieser Position mit einer Stufe über dem unteren Rahmensatz, da unter oraler antidiabetischer Medikation befriedigende Stoffwechselsituation.

09.02.01

20 vH

05

Kurzsichtigkeit und Astigmatismus beidseits, Sehverminderung rechts auf 0,9 normales Sehvermögen li

11.02.01
Tab. K1/Z1

0 vH

Gesamtgrad der Behinderung

70 vH

Leiden 2 erhöht das führende Leiden 1 um zwei Stufen, da infolge der massiven Adipositas mit der Polyneuropathie ein sehr ungünstiges Zusammenwirken vorliegt. Leiden 3 und 4 erhöhen gemeinsam um eine weitere Stufe, da diese zusammen eine relevante Zusatzbehinderung darstellen. Leiden 5 erhöht nicht weiter. Das Impingementsyndrom ist in Position 1 beinhaltet.

2.       Beweiswürdigung:
Zu 1.1.)         Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt.
Zu 1.2.)         Die Feststellungen zu Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen gründen sich – in freier Beweiswürdigung – in nachstehend ausgeführtem Umfang auf die eingeholten und vorgelegten Beweismittel:

Die von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten Dris. XXXX und Dris. XXXX , sowie dessen Ergänzungen sind vollständig, schlüssig, nachvollziehbar und frei von Widersprüchen. Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen persönlicher Untersuchungen des Beschwerdeführers erhobenen klinischen Befund in Verbindung mit den vorgelegten Beweismitteln, entsprechen unter Berücksichtigung des Vorbringens den festgestellten Funktionseinschränkungen.

Die vorgelegten medizinischen Beweismittel sind in die Beurteilung eingeflossen, die befassten Sachverständigen haben sich im Rahmen der Gutachtenserstellung damit auseinandergesetzt und resultiert aus den ergänzenden Beweismittelvorlagen und den darin dokumentierten neuen medizinischen Aspekten auch die geänderte Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung.

Zur Erhöhung des Grades der Behinderung der degenerativen Abbauerscheinungen im Bereich des Bewegungs- und Stützapparates bei Adipositas per magna um eine Stufe gegenüber der Vorbeurteilung erläutert Dr. XXXX schlüssig, dass diese auf Grund der Mehrgelenksbeteiligung sowohl an beiden unteren, als auch beiden oberen Extremitäten und den daraus - im Zusammenwirken mit der massiven Adipositas - resultierenden Einschränkungen der Gesamtmobilität zu erfolgen hat.

Weiters erläutert Dr. XXXX nachvollziehbar, dass – in Abweichung zu den eigenen Vorgutachten – durch die zuletzt vorgelegten fachärztlich neurologischen Befunde eine Verschlechterung des Leidens „Diabetische Polyneuropathie“ dokumentiert wird, woraus die Anhebung des Grades der Behinderung dieses Leidens resultiert. Diese Beurteilung steht im Einklang mit dem Befund des Gesundheitszentrums von April 2021, in welchem dargestellt wird, dass der Beschwerdeführer nur schlecht gehfähig und kaum mobil ist, eine Großzehenheberschwäche beidseits besteht und die Sensibilität beidseits sockenförmig herabgesetzt ist. So wird auch in den vom Beschwerdeführer vorgelegten medizinischen Unterlagen ausgeführt, dass eine Nervenleitgeschwindigkeitsmessung 04/2021 ergeben hat, dass eine ausgeprägte axonale sensomotorische Polyneuropathie besteht. Somit stehen diese Unterlagen im Einklang mit dem Ergebnis Dris. XXXX und den Vorgaben der Einschätzungsverordnung welche Position 04.06.01 für Polyneuropathien mit sensiblen und motorischen Ausfällen leichten Grades vorsieht, wobei der im Befund beschriebenen Großzehenheberschwäche mit beidseits sockenförmig herabgesetzter Sensibilität durch die Heranziehung des oberen Rahmensatzes dieser Position ausreichend hoch Rechnung getragen wurde.

Obige Sachverhalte berücksichtigend wird vom Sachverständigen nachvollziehbar erläutert, dass aus dem Zusammenwirken der degenerativen Abbauerscheinungen des Stütz-und Bewegungsapparates und der Adipositas per magna – BMI über 50 – mit der Polyneuropathie ein sehr ungünstiges Zusammenwirken vorliegt, welches die Erhöhung des führenden Leidens durch die Polyneuropathie um zwei Stufen rechtfertigt. Er beschreibt schlüssig, dass durch das Hinzutreten des Herzleidens im Zusammenwirken mit der Diabetes, eine weitere Erhöhung um eine Stufe gerechtfertigt ist, wodurch der Gesamtgrad der Behinderung mit 70 vH zu bewerten ist.

Der in den ergänzend eingeholten Gutachten Dris. XXXX und Dris. XXXX erfolgten Beurteilung des Grades der Behinderung bzw. der Zuordnung der beim Beschwerdeführer vorliegenden Funktionseinschränkungen zu den jeweiligen Positionen der Einschätzungsverordnung wurde im Rahmen des vom Bundesverwaltungsgericht erteilten Parteiengehörs nicht entgegengetreten.

Die Krankengeschichte des Beschwerdeführers wurde nunmehr umfassend und differenziert nach den konkret vorliegenden Krankheitsbildern auch im Zusammenwirken zueinander berücksichtigt.

Die Sachverständigengutachten Dris. XXXX und Dris. XXXX stehen mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den eingeholten und vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit der befassten Sachverständigen oder deren Beurteilung beziehungsweise Feststellungen in Zweifel zu ziehen.

Die Angaben des Beschwerdeführers waren sohin geeignet, das der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegte Sachverständigengutachten zu entkräften und eine geänderte Beurteilung herbeizuführen.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A)
1.         Zur Entscheidung in der Sache:

Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)

Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1.       ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4.       für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5.       sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderten-einstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(§ 40 Abs. 1 BBG)

Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist. (§ 40 Abs. 2 BBG)

Die Höhe des Freibetrages bestimmt sich nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) richtet sich in Fällen,

1.       in denen Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden, nach der hiefür maßgebenden Einschätzung,

2.       in denen keine eigenen gesetzlichen Vorschriften für die Einschätzung bestehen, nach § 7 und § 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 bzw. nach der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010, für die von ihr umfassten Bereiche.

Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen.

Zuständige Stelle ist:

–        Der Landeshauptmann bei Empfängern einer Opferrente (§ 11 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. Nr. 183/1947).

–        Die Sozialversicherungsträger bei Berufskrankheiten oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern.

–        In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des Bundesbehindertengesetzes, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.

(§ 35 Abs. 2 Einkommensteuergesetz 1988)

Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376.

Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1.       nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2.       zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3.       ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(§ 41 Abs. 1 BBG)

Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen. (§ 42 Abs. 1 BBG)

Der Behindertenpaß ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist. (§ 42 Abs. 2 BBG)

Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen. (§ 45 Abs. 1 BBG)

Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu. (§ 45 Abs. 2 BBG)

Wie unter Punkt II.2. bereits ausgeführt, war das Beschwerdevorbringen geeignet, eine geänderte Beurteilung zu begründen.

Da ein Grad der Behinderung von siebzig (70) vH festgestellt wurde und somit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses erfüllt sind, war spruchgemäß zu entscheiden.

Hinsichtlich der mit der Beschwerde vorgebrachten Einwendungen, welche auf die Vornahme von Zusatzvermerken in den Behindertenpass abzielen ist festzuhalten, dass die Vornahme von Zusatzeintragungen nicht Gegenstand des angefochtenen Bescheides ist, welcher lediglich über den Grad der Behinderung und die damit verbundene Ausstellung eines Behindertenpasses abspricht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ist "Sache“ im Sinne des § 66 Abs. 4 erster Satz AVG für die Berufungsbehörde die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Unterbehörde gebildet hat und nicht das, was der Berufungswerber zum Inhalt der Berufungsschrift gemacht hat (VwGH vom 11.11.1991, Zl. 90/19/0505). Diese Judikatur ist auf die Begrenzung des Beschwerdegegenstandes der Verwaltungsgerichte übertragbar.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Ein in der Bescheidbeschwerde vorgebrachtes Begehren, welches den Gegenstand des angefochtenen Verfahrens überschreitet, kann den zulässigen Beschwerdegegenstand nicht darüber hinaus erweitern.
2.         Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(§ 24 Abs. 1 VwGVG)

Die Verhandlung kann entfallen, wenn

1.       der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2.       die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

(§ 24 Abs. 2 VwGVG)

Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. (§ 24 Abs. 3 VwGVG)

Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. (§ 24 Abs. 4 VwGVG)

Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden. (§ 24 Abs. 5 VwGVG)

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).

Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über den Gesamtgrad der Behinderung sind die Art und das Ausmaß der beim Beschwerdeführer festgestellten Gesundheitsschädigungen.

Zur Klärung des Sachverhaltes hat die belangte Behörde auf persönlicher Untersuchung basierende Sachverständigengutachten eingeholt. Wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt, wurden diese vom Bundesverwaltungsgericht als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet. Der Beschwerdeführer wurde im behördlichen Verfahren persönlich untersucht. Die vorgebrachten Argumente und vorgelegten Beweismittel wurden in den eingeholten Sachverständigengutachten berücksichtigt, soweit diese einschätzungsrelevante Aspekte enthalten bzw. noch aktuell sind, woraus die Anhebung des Grades der Behinderung resultiert. Im Rahmen des durch das Bundesverwaltungsgericht erteilten Parteiengehörs hatten die Verfahrensparteien die Möglichkeit sich zu äußern. Das Ergebnis des ergänzenden Ermittlungsverfahrens wurde jedoch nicht bestritten. Es wurden keine Beweismittel vorgelegt, welche mit der gutachterlichen Beurteilung der Funktionseinschränkungen nicht in Einklang stehen. Sohin ist der Sachverhalt geklärt und unbestritten. Daher konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben. Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist auch kein absoluter. (VfGH vom 09.06.2017, E 1162/2017)

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stützen.

Vielmehr hängt die Entscheidung von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W132.2244953.1.00

Im RIS seit

28.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

28.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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